03.06.2013, KVP Schweiz 50 Jahre „Kantonalkirche“ Zürich Ein Regierungsrat verkennt seine Partnerin – die Kirche Aus Anlass der 50 Jahre seit der öffentlichrechtlichen Anerkennung der Zürcher „Kantonalkirche“ kritisierte der Zürcher Regierungsrat Martin Graf das Bistum Chur und „Rom“ als „geschützte Werkstatt“, rückständig und in permanenter Weigerung, gesellschaftliche Realitäten anzuerkennen. Die Kirche habe sich damit weder in der Schweiz noch global viel Ruhm eingetragen. Gegenstand der Kritik war die Haltung der Kirche in Sachen Stellung der wiederverheirateten Geschiedenen, die Nichtanerkennung gleichgeschlechtlicher Paare und die Verweigerung der Priesterweihe für Frauen. Gemäss Kipa vom 2. Juni 2013 wollte Graf seine Kritik „ausschliesslich gegen die Haltung des Bischofs von Chur und des Papstes verstanden wissen. Laut „Sonntagsblick“ vom 2. Juni 2013 hat Graf die beiden Persönlichkeiten als „verfassungsfeindlich“ bezeichnet. Die KVP weist diese Argumentation als sowohl historisch wie aktuell sachlich unhaltbar und als persönlicher Angriff auf einen Bischof und den Papst zurück. Grafs Kritik ist ein Angriff auf die Religionsfreiheit – gemäss Benedikt XVI. „das erste der Rechte“. Die KVP ist eine Partei, die, wenn nötig, politisch dafür einsteht, dass die Staaten der katholischen Kirche die von ihr beanspruchte Freiheit in der Regelung ihrer inneren Angelegenheiten zugestehen. Von diesem Standpunkt aus ist es nicht nachvollziehbar, warum Graf seine Kritik auf zwei Persönlichkeiten der Kirche fokussiert. Die kritisierten Regelungen sind keine Spezialitäten dieser beiden Kirchenvertreter, sondern der Kirche seit Jahrhunderten. Bei der Regelung des Verhältnisses von Kirche und Staat im Kanton Zürich vor 50 Jahren war die Regelung genau so. Die kritisierte Regelung betrifft die innere Ordnung der Kirche. Hier haben die Staaten keine Befugnisse, einzugreifen. Der Bischof von Chur beruft sich zu Recht auf die Religionsfreiheit. Formell ist die innere Ordnung der Kirche nicht an die Schweizerische Bundesverfassung gebunden. Wenn die Kirche die Grundrechte teilweise anders interpretiert als der Staat – und dafür gibt es Seite 1 von 2 Beispiele – so ist das ihr gutes Recht. Von einem „Verstoss“ gegen eine staatliche Verfassung kann daher nicht gesprochen werden, sondern nur von einer Nichtübereinstimmung. Es gibt in der katholischen Kirche kein Grundrecht auf Scheidung, kein Recht gleichgeschlechtlicher Menschen auf eine Ehe und kein Recht von Frauen, das Priestertum auszuüben. Diese Regelungen mögen dem Zeitgeist widersprechen, können jedoch gute Gründe für sich beanspruchen und haben bei genauer Betrachtungsweise gegenüber den derzeitigen staatlichen Regelungen sogar klare Vorteile. Ob die Kirche damit weder in der Schweiz noch global „Ruhm“ erworben habe, wie Martin Graf einwirft, ist nach unserem Verständnis für die Kirche ohne Belang. Mindestens haben ihr staatliche Behördenvertreter nicht vorzuschreiben, wie sie Ruhm erwerben soll. Jesus Christus hat aus staatlicher Sicht ein unrühmliches Ende gefunden. Trotzdem hat er Weltgeschichte geschrieben und wird sie bis zum Ende der Welt weiterschreiben. Die Geschichte der Kirche im Verlauf der Jahrhunderte zeigt rühmliche und unrühmliche Seiten. Gerade in der Menschenrechtspolitik der Neuzeit ist sie in weiten Bereichen aber vorbildlich. Erinnert sei etwa an die Flüchtlings- und Migrationspolitik, den Kampf gegen Armut, Unterdrückung und Waffengewalt, den Schutz von Mensch und Umwelt, die Kritik am Neokapitalismus, das Einstehen für die Rechte der Arbeitenden, die Religionsfreiheit und die Sinngebung für die menschliche Existenz. Ob die von Martin Graf kritisierten Regelungen vor der Geschichte standhalten werden, wird die Entwicklung in der Zivilgesellschaft mit ihren gegenteiligen Modellen zeigen. Vieles spricht zurzeit dafür, dass dem nicht so sein wird. Von einem Regierungsrat des Kantons Zürich erwartet die KVP daher eine etwas umsichtigere, weniger geschichtsvergessene und zukunftsoffenere Haltung gegenüber der katholischen Kirche. Seite 2 von 2