film:riss 06 Symposium. Beiträge zur filmwissenschaftlichen Forschung. Symposium vom 10. November 2006 im Rahmen des österreichweiten StudentInnenfilmfestivals film:riss 06 Inhalt: Seite 02 Erwin Feyersinger: Das blutende Messerchen. Die Lebendigkeit von animierten Objekten im Puppentrickfilm. Seite 20 Deniz Sözen: Klischeebilder des Orients, deren Reinszenierung und Brechung. Odaliske auf Tuchfühlung – eine Schleierfahndung. Seite 33 Albert Allgaier: Improvisierte Musik und Tokyo, synästhetisches Kino, oder: Das Ende der Welt. Seite 43 Sarah Pötzelsberger: Gestaltungsprinzipien des Found-Footage-Films. Seite 46 Johannes Hofinger: Bilder des Jüdischen im österreichischen Kinofilm nach 1945. Seite 51 Simone Weinbacher: Das französische Autorinnenkino der 90er Jahre. Geschlechterverhältnisse, Frauenfiguren und Sexualität. Seite 60 Christian Fröhlich: N’Files. A Space to React. Reaktive Räume – Kommunikation zwischen Architekturen und ihren Benutzern. Das blutende Messerchen. Die Lebendigkeit von animierten O bj ekten im Puppe ntrickfilm. von Erwin Feyersinger Saticky Slameného Huberta/Jabberwocky (1971) im Folgenden zur Analyse eines Puppentrickfilms. In Jabberwocky erwachen Objekte, vor allem Spielsachen, Kleidung und Einrichtungsgegenstände, zum Leben und treiben surreale Spiele. Nach einigen grundsätzlichen Überlegungen zum Puppentrickfilm werde ich ein Beschreibungsverfahren skizzieren, mit dem grundlegend die Ästhetik eines Animationsfilms charakterisiert werden kann. Der folgende Ansatz soll dazu dienen, das Typische und das Auffällige der einzelnen Animationsgattungen beschreiben und genauer differenzieren zu können. Ich werde mich im Wesentlichen auf den Puppentrickfilm beschränken und dabei auf sein wichtigstes Merkmal: die Lebendigkeit und den Ausdruck der unbelebten Objekte. Grundsätzliches zum Puppentrickfilm Die bekannteste Technik des Animationsfilms, zumindest im kommerziellen Kinound Fernsehsektor, ist wohl immer noch der Zeichentrickfilm bzw. die Technik der Folienanimation. Sehr weit verbreitet, vor allem im Langfilmformat, ist mittlerweile die dreidimensionale Computeranimation, die so genannte CGI. Als drittbekannteste Technik ist der Puppentrickfilm zu nennen, der von vielen Menschen mit Kindheitserinnerungen und osteuropäischem Einschlag verbunden wird. Aber so wie das volle Potential des Zeichentrickfilms und der Computeranimation von kreativ eingeschränkten kommerziellen Produktionen verdeckt wird, gibt es natürlich auch beim Puppentrickfilm äußerst vielseitige Möglichkeiten abseits niedlicher Kindergeschichten. Die dominanten Anwendungen sagen jeweils wenig über das vielfältige Entfaltungspotential aus. Neben diesen drei weit verbreiteten Techniken gibt es unzählige weitere, zumeist Einleitung äußerst kreativ genutzte Animationsgattungen und -techniken (vgl. u.a. Bendazzi Aus einem Hut erscheint eine Spitzendecke und breitet sich über einen Tisch aus. 1994, Furniss 1998: 29-59). Der Hut hinterlässt zudem ein Klappmesser, dessen Griff in Form einer Frauenfigur Der Puppentrickfilm ist eine Untergattung der Objektanimation. Grundlegende gestaltet ist. Das Messer beginnt sich zu bewegen, über den Tisch zu springen und zu Technik ist das Stop-Motion-Verfahren. Angefertigte oder vorgefundene Objekte tanzen. Mit seiner Klinge reißt es Löcher in die Spitzendecke. Hoch springt es in die werden dabei in einem realen dreidimensionalen Raum positioniert. Schrittweise Luft, dreht sich und kommt schließlich auf dem Tisch zu liegen. Das Messer klappt zu werden die Positionen der Objekte verändert (oder diese durch ähnliche Objekte und beginnt zu bluten. ausgetauscht) und fotografisch aufgenommen. Wenn diese Einzelaufnahmen Exemplarisch dient diese kurze Szene aus Jan !vankmajers Kurzfilm Zvahlav aneb 2 3 abgespielt werden, ergibt sich die Illusion einer Bewegung der Objekte. Das Verfahren der Aufnahmetechnik ist demnach von der Erscheinung bei der Aufführung (also der Projektion oder der Ausstrahlung) zu trennen. Ein kleines, aber ästhetisch durchaus auffälliges Merkmal der Objektanimation resultiert aus einem schwer zu lösenden technischen Problem, nämlich die Abbildung von Bewegungsunschärfe. Bei Realaufnahmen erscheinen die Bewegungsphasen auf Vom Puppentrickfilm im engeren Sinn spricht man, wenn in der fiktiven Welt des den Einzelbildern unscharf, weil ja während der kurzen Zeit der Belichtung die Films eine aktive Einflussnahme der Objekte auf ihre Bewegung angenommen werden Bewegung fortgeführt wird. Bei der Objektanimation wird im Normalfall mit kann, diese also als Puppen wahrgenommen werden. Wenn die Bewegungen der unbewegten Objekten gearbeitet, die in genau einem Moment der Bewegung fixiert Objekte zwar animiert sind, die Bewegungen aber nur von äußeren Kräften verursacht werden. Die Bewegungen der Objektanimation wirken aus diesem Grund etwas scheinen, etwa von Naturgesetzen, einem eingebauten Antrieb oder durch die ruckartig, was vor allem bei der Mischung mit Realaufnahmen deutlich wird. magische Einwirkung einer anderen Figur, die Objekte also nicht zu Puppen werden, sondern Objekte bleiben, dann wird dies allgemeiner als Objektanimation bezeichnet. Es gibt noch andere Verfahren, bei denen auch bewegte Objekte zum Einsatz kommen, diese aber nicht animiert, sondern in Echtzeit bewegt und abgefilmt werden. Entscheidend für die Ästhetik sind allerdings zwei andere wichtige Voraussetzungen, die bei der Produktion von Objektanimation gegeben sind: zum einen werden reale Objekte animiert und zum anderen befinden sich diese Objekte bei der Aufnahme in einem realen dreidimensionalen Raum. Dies sind u.a. Aufnahmen von Automaten, unterschiedliche Filmtricks wie Zunächst zum realen profilmischen Raum, den sich die Objektanimation mit dem durchsichtige Schnüre oder Green-Screen-Aufnahmen und vor allem abgefilmtes Realfilm teilt. Beide verfügen somit über ähnliche materielle Gestaltungsmittel bei der Puppenspiel bzw. puppeteering. Letzteres ist im Film ziemlich weiter verbreitet, nicht Szenografie, Beleuchtung, Kameraarbeit und der Inszenierung der handelnden nur bei offensichtlichen Puppenfilmen – z.B. mit Handpuppen: The Muppet Show Figuren. Relevante Unterschiede ergeben sich manchmal aus den unterschiedlichen (Serie, 1976-1981) oder Marionetten: Team America: World Police (2004) – sondern Größenverhältnissen, weil in vielen Puppentrickfilmen mit verkleinerten Kulissen und auch bei Monsterdarstellungen, Spezialeffekten und vielen anderen bewegten Objekten gearbeitet wird, deren Aussehen durch diese Miniaturisierung sichtbar Gegenständen. Bei diesen Verfahren kann man allerdings weder von Puppentrickfilm beeinflusst wird. So verringert sich z.B. bei Gegenständen der Detailreichtum, noch von Objektanimation sprechen. während bei Oberflächen Einzelheiten stärker hervortreten. Eine Mischung von animierten Sequenzen mit Realaufnahmen ist aber durchaus Im Übrigen steht auch der Computeranimation ein dreidimensionaler Raum zur nicht ungewöhnlich. Puppentrickaufnahmen kommen im Realfilm vor – berühmte Verfügung, Beispiele sind der Schwertkampf mit den Skeletten in Jason and the Argonauts (1963) Voraussetzungen bei der technischen Umsetzung und den ästhetischen Möglichkeiten oder das Stahlskelett des Terminators am Ende von The Terminator (1984) –, genauso gegeben sind. wie Realaufnahmen im Puppentrickfilm vorkommen – z.B. eine echte Katze in Jabberwocky oder eine reale Hand in Ji"í Trnkas Ruka/The Hand (1965). Kategorisiert werden die Filme zumeist nach dem jeweils hauptsächlich verwendeten Verfahren, aber auch nach Format- und Gattungskriterien. Bei den unterschiedlichen Animationsarten ergeben sich bestimmte Ästhetiken unter anderem auch aus dem technischen Potential bzw. aus den technischen Einschränkungen. allerdings ein virtueller und immaterieller, wodurch andere Herausragendes Kennzeichen der Objektanimation sind die Objekte selbst, die in Bewegung versetzt werden oder sogar lebendig erscheinen. Objekte sind im Film nichts Ungewöhnliches. Kulissen, Requisiten, Kleidungsstücke und andere Ausstattungsgegenstände finden sich in den meisten Filmbildern. Georg Seeßlen unterscheidet für den Realfilm konventionalisierende und bedeutende Objekte: Konventionalisierende Objekte schildern Ort und Zeit der Handlung, während bedeutende Objekte als wichtige Elemente der Handlung oder zur 4 5 Charakterisierung der Figuren dienen (vgl. Seeßlen 1997: 178). Auch bei der Objektanimation wirken die meisten Objekte konventionalisierend, und 15 m) darzustellen. In der afilmischen Welt hat diese Puppe heute sicher einen Wert als Sammlerstück, dieser Wert basiert aber auf ihrem primären auch hier werden Handlungsort und -zeit unter anderem durch Objekte geschildert. Bei Verwendungszweck bei den Aufnahmen des Films. Zu einem gefundenen Objekt der Objektanimation ist es auch nicht ungewöhnlich, dass sich in diesen wiederum würde sie in einem neuen Film werden, wenn die Puppe von Kong in der konventionalisierenden Objekten auch Objekte mit einer wichtigen Bedeutung für den Filmhandlung als Sammlerstück verkauft und in der Vitrine des Sammlers lebendig Handlungsverlauf verstecken. Entscheidend ist allerdings, dass Objekte sogar zu würde. handelnden Figuren werden können. Oftmals wird diese letzte Kategorie klar von den beiden vorigen getrennt. Im kommerziellen Puppentrickfilm gibt es handelnde Figuren, die sich in einer zwar stilisierten, aber klar definierten Welt befinden. Requisiten sind Requisiten und werden allenfalls bedeutend, aber nur in Einzelfällen belebt und zu Handlungsträgern. In offeneren Filmwelten können sich aber natürlich auch Objekte von Kulissen oder Requisiten zu belebten und handelnden Figuren wandeln. Der Gebrauchsgegenstand Tisch beginnt zu tanzen, die Kinderpuppe, mit der die animierte Hauptfigur gerade Filmische Schichten Ein Film besteht aus den unterschiedlichsten semiotischen Schichten und aus deren Verbindung. The various semiotic layers are complexly combined among themselves, and the relationships also create meaningful effects. This ability of cinema to „absorb“ the most varied types of semiosis and to organize them into a unified system is the reason for statements about the synthetic polyphonic nature of cinema. (Lotman 1976/1981: 94) Eine umfassende Beschreibung eines Films müsste also alle abgebildeten sowie die noch spielte, wird plötzlich lebendig. In unserer kurzen Sequenz aus Jabberwocky beschreiben zunächst das Zimmer mit beteiligten filmischen Zeichensysteme, ihr Zusammenspiel und die Entwicklung ihrer seinen Einrichtungsgegenständen, der Tisch und die Tischdecke den Handlungsort. Hierarchien beachten, darüber hinaus die Aufführungssituation und die kognitive Das Messer wird kurz als bedeutendes Objekt präsentiert, entwickelt sich aber durch Verarbeitungsleistung des Publikums miteinbeziehen. seine Bewegung zum Handlungsträger. Durch sein gewalttätiges Einwirken auf die Tischdecke wird diese als Opfer der Gewalt zu einem bedeutenden Objekt. Außerdem gilt es zu unterscheiden, ob die animierten Objekte vorgefundene Die abgebildeten Zeichensysteme können nur solche sein, die visuell und akustisch wiedergegeben werden können. Versuche zum Geruchsfilm, wie John Waters Polyester (1981), seien hier ausgeklammert. Objekte sind oder aber in erster Linie dazu bestimmt und angefertigt wurden, im Film Gerade in der Beschäftigung mit dem Animationsfilm wird die große Bandbreite der Figuren darzustellen. Gefundene Objekte sind jene, die in der afilmischen1 und darstellbaren Zeichensysteme offensichtlich. Animationsfilme sind eben nicht nur diegetischen Welt zunächst eine andere Funktion erfüllen, etwa Spielzeug, bewegte Zeichnungen oder Gemälde oder bewegte Abbildungen von Skulpturen. Der Kleidungsstücke oder das Messerchen in Jabberwocky. Das ursprüngliche semantische Vielfalt an möglichen Formen und Techniken ist kaum Grenzen gesetzt. Und selbst Feld der gefundenen Objekte verbindet sich mit ihren Bedeutungen im Rahmen des beim Realfilm werden ja nicht nur menschliche Handlungen abgebildet. Wiederum schöpft aber die jeweils dominante Praxis nur selten das volle Trickfilms. Objekte der zweiten Kategorie, nennen wir sie geschaffene Objekte, sind Darstellungs- und Ausdruckspotential aus. hauptsächlich dazu bestimmt, in der Diegese lebendig zu sein. Für King Kong (1933) Wie schon angesprochen ähneln sich Objektanimation und Realfilm in vielen wurde eine kleine Puppe von Kong (45 cm) gebaut, um profilmisch die Punkten, sie bedienen sich auch ähnlicher Zeichensysteme. Dies sind zunächst alle Bewegungsphasen der diegetisch riesenhaften Figur Kong (variiert zwischen 5,5 m filmischen Ausdrucksmöglichkeiten, im engeren Sinn die filmografische Ebene 6 7 (Souriau 1951/1997: 149-150), also Bild- und Tonaufzeichnung sowie charakterisieren und die damit verbundenen Wahrnehmungen und kulturellen Nachbearbeitung (u.a. Bildausschnitt, Einstellungsgröße, Schärfe, Kamerabewegung, Zuschreibungen untersuchen: Farben, Proportionen, Verteilung im Raum, Montage, Verbindung von Bild und Ton, optische und akustische Effekte, Oberflächen, usw. Aber auch Merkmale wie eckig/rund, durchgängig/unterbrochen, Filmentwicklung (vgl. Opl 1990: 23 bzw. 177-214)), im weiteren Sinn die Gestaltung flächig/räumlich etc. (vgl. u.a. Wölfflin 1915). des profilmischen Raums durch Szenografie und Beleuchtung. Im Vordergrund stehen Je gegenständlicher die Formen werden, desto mehr tritt das Dargestellte und das beim Realfilm zumeist die Verhaltensweisen und Handlungen von Menschen oder Verhältnis von Dargestelltem und seiner Darstellung in den Vordergrund. Beim Tieren, beim Puppentrickfilm jene von lebendigen Objekten. Zeichentrickfilm beispielsweise werden aus geometrischen Figuren stilisierte Das wichtigste Zeichensystem ist somit der anthropomorphe (und seltener der Darstellungen von konkreten Erscheinungen, von Räumen, Gegenständen und zoomorphe) Ausdruck. Es stellt sich also die Frage: Wie kann ein lebloses Objekt in Lebewesen bzw. Vorgängen einer denk- und visuell darstellbaren Welt. Bei der einer animierten Sequenz Lebendigkeit ausdrücken, wie kann so ein Objekt aktiv Darstellung im Zeichentrickfilm wird auf Techniken der Malerei und Grafik kommunizieren? zurückgegriffen, wobei sich hier historisch und produktionsökonomisch bedingt eigene Methoden und Ästhetiken entwickelt haben. Form und Bewegung So hat jede Gattung ihre Ästhetik der Formen, aus denen sich ihre Bilder Aber vorerst noch eine weitere grundsätzliche Überlegung. Filme – oder etwas zusammensetzen und die im Einzelnen genauer zu untersuchen sind. Zu den Formen allgemeiner: bewegte Bilder – müssen aus visuellen Zeichen bestehen, akustische sind muss immer auch die daraus resultierende Bewegung betrachtet werden, erst diese fakultativ. Zunächst können diese visuellen Zeichen als Formen beschrieben werden. zeichnet ja den Animationsfilm aus. Im zeitlichen Ablauf verändern sich diese Formen, aus den Formen entsteht Bewegung. Wie schon festgestellt, sind die Formen des Puppentrickfilms, neben den Hintergründen und Umräumen, dreidimensionale Objekte. Im Folgenden sollen Die Formen innerhalb der Bilder sind zunächst nichts weiter als unterschiedliche zunächst Ansätze eines Beschreibungsverfahrens für die sichtbare Form, also das Helligkeitswerte, meist mit unterschiedlichen Farbwerten. Sie ähneln mehr oder Aussehen dieser Objekte, gefunden werden und dann Ansätze zur Beschreibung ihrer weniger der Alltagswelt. Es gibt hier also ein Kontinuum, das von mimetisch bzw. Bewegungen. naturnah über stilisiert bis hin zu abstrakt bzw. künstlich reicht. Dieses Kontinuum, so grob und eindimensional es zunächst erscheint, lässt sich bei einer Untersuchung von Animationen auf den unterschiedlichsten Beschreibungsebenen Die Zeichensysteme einer Puppe anwenden. Bei der Beschreibung des Aussehens kann auf die Kategorien Steve Tillis’ Gegebenenfalls müssen andere Begriffe gefunden und andere Beschreibungsspektren zurückgegriffen werden, der sich in Toward an Aesthetics of the Puppet: Puppetry as hinzugefügt werden, aber dieses Kontinuum hilft, viele Erscheinungen, gerade des a Theatrical Art (Tillis 1992) mit der Semiose des Puppentheaters auseinandersetzt. Trickfilms, besser zu fassen (vgl. Furniss 1988: 4-7). Hier ist es wiederum wichtig, die Auch er unterscheidet Form und Bewegung: einzelnen Bedeutungsschichten im Zusammenspiel zu betrachten. Hauptsächlich nicht-mimetische, abstrakte Formen und deren Bewegung stehen im Mittelpunkt der abstrakten Animation. Allenfalls lassen sich vereinzelt geometrische Figuren erkennen. Bei diesen abstrakten Formen lassen sich verschiedene Merkmale 8 […] three types of signs make up, or constitute, the puppet: signs of design, of movement, and of speech. One may say that these signs, whatever their specific nature, arise from the general sign-systems of design, movement, and speech. The specific signs that constitute the puppet are related to signs that are generally recognized as signs of life; that is, as signs one associates with the presence of life. (Tillis 1992: 7) 9 Wie schon angedeutet, unterscheiden sich gefilmtes Puppenspiel, Puppentrickfilm In !vankmajers Film ist es aber nicht nur die Irritation, die aus belebtem Unbelebten und das Puppentheater, das Tillis eigentlich betrachtet. Aber gerade beim Aussehen entsteht. Bei ihm gibt es diese unauflösbare Synthese aus sich eigentlich kann von ähnlichen Gegebenheiten ausgegangen werden. widersprechenden Wahrnehmungen in vielen Bereichen. Im Fall von Jabberwocky ist Tillis’ drittes Zeichensystem, jenes der speech bzw. im weitesten Sinne der Ton, das auch die visuelle Umsetzung der mehrdeutigen Neologismen aus Lewis Carrolls muss bei Animationen zwar nicht zwingend vorkommen, ist aber beim gleichnamigen Gedicht2, das zu Beginn von !vankmajers Films rezitiert wird. Carrolls Puppentrickfilm doch allgegenwärtig und nimmt einen wichtigen Stellenwert in der Charaktere erklären diese Wörter und somit !vankmajers surreale Methode Bedeutungskonstitution ein. Akustische Zeichen, die den Objekten zugesprochen folgendermaßen: „Well, ‘slithy’ means ‘lithe and slimy.’ ‘Lithe’ is the same as werden, müssen neben der Verbalsprache auch um Geräusche erweitert werden, die ‘active.’ You see it’s like a portmanteau— there are two meanings packed up into one die Objekte zu verursachen scheinen. word“ (Carroll 1872/1941: 114). Die Technik der Sprach- und Musikaufnahme im Animationsfilm, deren Das Klappmesser in der Beispielszene ist gleichzeitig ein Messer und eine Synchronisierung mit dem Bild und vor allem die Wirkung im Zusammenspiel bilden Frauenfigur. Wie wir sehen werden, löst sich dieser Doppelcharakter nicht auf, eigene weitreichende Themen, die an anderer Stelle zu behandeln sind. Auch auf jene sondern sorgt vielmehr für Irritationen und das eindrucksvolle Schlussbild des sich visuellen Zeichensysteme, die außerhalb der eigentlichen Erscheinung der Objekte selbst schneidenden Messers. liegen, also Schnitt, Beleuchtung usw., kann im Rahmen des Papers aus Platzgründen nicht genauer eingegangen werden. Es muss aber festgehalten werden, dass gerade im Das Aussehen einer Puppe Animationsfilm das Dargestellte nicht von seiner filmischen Darstellung getrennt Folgende Kategorien unterscheidet Tillis, um das äußere Design, das Aussehen werden kann. Seine Bewegungen existieren außerhalb der filmischen Darstellung bzw. einer Puppe, zu beschreiben: die Größe und die Züge (features) der Puppe, sowie Aufführung nicht. deren Material (vgl. Tillis 1992: 120). Die vierte Kategorie „An/Abwesenheit des Puppenspielers“ betrifft das Puppentheater und ist an dieser Stelle nicht relevant. Die doppelte Wahrnehmung des Publikums Es wurde schon angesprochen, dass die einzelnen Zeichensysteme durch ein Tillis nennt in seiner Untersuchung ein äußerst wichtiges Kennzeichen der Puppe: einfaches Kontinuum beschrieben werden können. Auch Tillis nutzt das Kontinuum Ihr Doppelcharakter als animiertes Objekt. Das Publikum nimmt die Puppe als Objekt von imitativ über stilisiert bis hin zu begrifflich-abstrakt (conceptual) (vgl. Tillis 1992: wahr, stellt sie sich zugleich aber auch als etwas Lebendiges vor (vgl. Tillis 1992: 59- 118). 66). Tillis nennt das double-vision: „A constant tension exists within this doublevision created by the puppet: each of the puppet’s aspects is inescapable, and yet each contradicts the other. The puppet is and is not that which it seems to be“ (Tillis 1992: Die Größe Auf der Bühne gibt es relative und absolute Größen der Puppen und beide können bedeutend sein: So können die in Relation kleineren Figuren z.B. hierarchisch weniger 64). Bei den gefundenen Objekten ist dieser Doppelcharakter offensichtlich, weil ja ein wichtig sein oder die größeren gewalttätiger erscheinen; Puppen, die absolut gesehen für gewöhnlich unbewegtes Objekt scheinbar lebendig wird. Aber auch bei Überlebensgröße aufweisen, beeindrucken allein durch diese Größe, während kleine geschaffenen Objekten wirkt die double-vision und ist ein Grund für die spezielle Handpuppen eher verspielt wirken (vgl. Tillis 1992: 123-126). Anziehung, die Puppentheater und Puppentrickfilm auf das Publikum ausüben. Im Film ist die Größe zunächst immer eine relative Variable, weil sie in Bezug zur Größe der Leinwand, des Fernsehbildschirms o.Ä. zu setzen ist (vgl. Lotman 1981: 10 11 27). Aber auch mit den Einstellungsgrößen variieren die Größenverhältnisse. Durch Cartoons, wo gleichzeitig Merkmale der Figuren reduziert und übertrieben werden. eine Großaufnahme wird ein Detail riesig, aber: „in this case size does not at all denote Aber auch im Puppentrickfilm ist das so. size. It testifies to the significance, the importance of the detail“ (Lotman 1981: 27). In Jabberwocky ist das Messer wie ein gewöhnliches Messer konstruiert: Es gibt Beim Film werden die Größen immer relativ zum diegetischen Bezugssystem eine Klinge, die in den Griff einklappbar ist, wobei der Griff figurativ bearbeitet ist. wahrgenommen. Innerhalb dieses Bezugssystems ergibt sich die Bedeutung der Größe. Die Frauenfigur ist trotz einer gewissen Reduktion eher naturalistisch gestaltet, ihre Das Bezugssystem in Jabberwocky sind reale Zimmer mit normalen Größen. Auch Züge sind gleichmäßig und oberflächlich reduziert, dabei nicht viele Einzelheiten die Größen der darin befindlichen Objekte sind normal. Und gleichzeitig stellen diese erkennbar. Allerdings gibt es noch ein seltsames, fantastisches Detail, nämlich die menschliche Figuren in unterschiedlich verkleinerten Maßstäben dar (vom Klinge: Sie kann als zusätzlicher Fuß bzw. Bein der Frauenfigur gedeutet werden und lebensgroßen, lebendigen Matrosenanzug über größere und kleinere Kinderpuppen bis sie dient ja auch zur Fortbewegung der Frauenfigur. hin zu winzigen Spielzeugsoldaten). In unserer Szene hat das Messer im Bezug auf den Tisch und den Umraum eine Material gewohnte Proportion (naturnah), die Frauenfigur des Griffs ist zwar in ihren Auch beim Material gibt es ein Spektrum, das von naturgetreu bis zu unecht reicht: Proportionen eher naturnah, aber insgesamt stark verkleinert (stilisiert). Schon aus der Einige Materialien bleiben unscheinbar im Hintergrund, andere ziehen viel gemeinsamen Größe ergibt sich also der unauflösbare Konflikt, gleichzeitig Aufmerksamkeit auf sich (Tillis 1992: 128). In !vankmajers Filmen, aber auch in seinen künstlerischen Objekten, nehmen die menschliches Wesen und Messer zu sein. Oberflächen und Materialien der Objekte eine wichtige Rolle ein. Er selbst meint Die Züge hierzu: „The features of the puppet are anatomical details, such as eyes, nose, mouth, and limbs, as well as the general shape of the puppet“ (Tillis 1992: 120). Grundsätzlich können diese Züge fehlen, sie sind nicht entscheidend dafür, dass ein animiertes Objekt als solches wahrgenommen wird. Die meisten Puppen aber weisen natürlich menschliche oder tierische Züge auf. Da aber eine gänzlich realistische Abbildung kaum möglich und auch selten anstrebenswert ist, wird meist eine Auswahl vorgenommen und nur bestimmte menschliche Züge verwendet (vgl. Tillis 1992: 121-122). Am häufigsten sind dies jene, die grundlegend zum Ausdruck beitragen (Kopf mit Brauen, Augen, Mund; Torso mit Armen, Händen, Beinen und Füßen). Nicht nur werden nur bestimmte Züge ausgewählt, sondern die verwendeten Züge bewegen sich ebenfalls im Kontinuum zwischen imitativ und abstrahiert (vgl. Tillis As the results of my study showed, there does exist something akin to „tactile memory“ which penetrates the remotest corners of our childhood; from there it is reflected in the form of an analogy with the slightest tactile stimulation or the provocation of tactile imagination, encouraging the „tactile art“ of communication. [...] I have been working especially to evoke those past or scattered tactile feelings and, in film, I try to enrich the emotive arsenal of expressive means with them. (zit. in Hames 1995: 110) Diese taktilen Erinnerungen, die von seinen Filmen ausgelöst werden sollen, sind ein Mittel, um mit der Unkörperlichkeit von Film umzugehen: „Die Tragödie des Kinos ist seine Unkörperlichkeit. Man kann es nicht anfassen. Es ist ein System der Repräsentanz des Körpers.“ (Seeßlen 1997: 179) In der Messerszene kann man sich gut vorstellen, wie sich der abgenutzte Griff mit seiner figurativen Struktur anfühlt. Vor allem aber ist es die verwitterte Klinge, die sich durch die Spitzendecke schneidet, die taktile Reaktionen hervorruft. 1992: 123). Bekannt ist dies vor allem aus dem Zeichentrickfilm und dort aus den 12 13 Die Frauenfigur ist durch ihr Material verfremdet, wirkt dadurch künstlich, während ihr Aussehen sonst eher naturalistisch wirkt. Durch ihr Material scheint sie eigentlich realisieren; und in 2. Zeichen, die sich als Fortbewegung, also als Bewegung durch den Raum, realisieren. (Fischer-Lichte 1988: 87) unbeweglich. Im Fall des blutenden Messers ist vor allem die zweite Definition von Interesse, also Die Bewegungen einer Puppe die zeichenhafte Bewegung durch den Raum. Jede Aktion eines Schauspielers wie Das übergeordnete Zeichensystem der Bewegungen ist nicht nur das wichtigste einer Puppe ist zeichenhaft. Nichts geschieht im Film, dem nicht Bedeutung System, um den Objekten Leben zu verleihen (der Ton hingegen kann fehlen, das zugemessen werden kann. Bewegungen im Raum, die sich auf andere Figuren oder Aussehen kann sehr abstrakt sein (vgl. Tillis 1992: 133-134)), durch die Bewegungen auch nur auf den Raum selbst beziehen, eröffnen ein weites Betrachtungsfeld. Vor erst wird ein Objekt zum Schauspieler. allem sei hier auf die Choreografie bzw. den Tanz verwiesen, die speziell für den Während sich durch Tillis’ Verfahren das Aussehen einer Puppe sehr fruchtbar beschreiben lässt, kann für die Beschreibung der Bewegung unter anderem eine Animationsfilm wichtige Ausdrucksformen bilden (vgl. auch Wells 1998: 111-121). Tanz ist aber natürlich auch ein Aspekt der Gestik und Mimik. Untersuchung der schauspielerischen Zeichen von Erika Fischer-Lichte genutzt Das Messer springt in die Luft und überwindet dabei zeitweilig Naturgesetze der werden. In Semiotik des Theaters: Das System der theatralischen Zeichen (Fischer- Alltagswelt, die in der Filmwelt von Jabberwocky meistens auch gelten. Es nähert sich Lichte 1988) unterscheidet auch sie grundsätzlich Erscheinung, Bewegungen und der Decke und zerschneidet sie dabei. Hier handelt es sich also wieder um eine Verbalsprache. Die Erscheinung einer menschlichen Schauspielerin wird nach Fischer- doppelte Signifikation, bei der sich also eine spielerische Bewegung mit einer Lichte bestimmt von Maske, Frisur und Kostüm, an dieser Stelle ist es aber sinnvoller aggressiven, kriegerischen vermischt. Auch die Intentionalität der Zerstörung bleibt auf Tillis’ Betrachtungen des Designs von Puppen zurückzugreifen. Die Bewegungen ungeklärt. der SchauspielerInnen, die auch auf das Schauspiel eines Objekts übertragbar sind, Unabsichtlichkeit unterstellen. untersucht Fischer-Lichte in Hinsicht auf Proxemik, Gestik und Mimik. Gleichermaßen kann man dem Messer böse Absichten wie Dass fantastische Vorgänge mit strenger Choreografie und Kameraeinstellung Diese drei Zeichensysteme lassen sich getrennt voneinander untersuchen, aber zu verbunden sind, ist ein weiteres stilistisches Merkmal von Jabberwocky. Dadurch beachten ist wiederum, dass „in der überwiegenden Mehrzahl aller denkbaren spielt Jabberwocky unter anderem auf militärische Gruppenformationen an, ebenso ein Kommunikationssituationen die Zeichen der drei Gruppen in Kombination Untersuchungsbereich von Proxemik und Choreografie. miteinander Verwendung finden“ (Fischer-Lichte 1988: 47). Gestik Durch die Einteilung in diese Zeichensysteme kann auf die spezifische Forschung dieser Systeme zurückgegriffen und diese auf die Eigenheiten der animierten Objekte Gesten im engeren Sinn sind Zeichen der nonverbalen Kommunikation mittels Hand-, Arm- und Kopfbewegungen. Im weiteren Sinn, wie an dieser Stelle gebraucht, umgelegt werden. schließt die Gestik auch Körperbewegungen und -haltungen ein (vgl. Nöth 2000: 298). Proxemik Einen weit gefassten Begriff von Gestik und deren Zeichenhaftigkeit vertritt Fischer-Lichtes weite Definition der Proxemik lautet folgendermaßen: Greimas. Er unterscheidet dabei aber gestische Praxis, also jene Gesten, die primär zur Die proxemischen Zeichen lassen sich im Wesentlichen in zwei Gruppen ausdifferenzieren, und zwar in 1. Zeichen, die sich als Abstand zwischen den Interaktionspartnern – also als leerer Raum zwischen den Interaktionspartnern – und als Veränderung dieses Abstandes Produktion, Distribution oder Konsumtion von Objekten eingesetzt werden, von 14 15 gestischer Kommunikation, also all jene Gesten, die verwendet werden, um eine Botschaft zu übermitteln (vgl. Nöth 2000: 302 und Fischer-Lichte 1988: 66, 214). Gesten sind eines der wichtigsten Ausdrucksmöglichkeiten der Puppen. Häufig ihrerseits aus Bewegungssets dreier verschiedener Zonen (Brauen/Stirn, vereinen sie dabei menschlichen Ausdruck mit tierischem Ausdruck oder überhaupt Augen/Augenlider, untere Gesichtspartie mit Wangen, Nasen, Mund und Kinn) mit der Beweglichkeit der Gegenstände, die sie darstellen. Nicht nur im zusammensetzen. Die Sets der einzelnen Zonen können entweder gemeinsam einen Puppentrickfilm, sondern auch im Zeichentrickfilm und in der Computeranimation Affekt denotieren, bei der Kombination unterschiedlicher Sets aber auch auf sind oft anthropomorphe Tiere oder Gegenstände zu finden, die mehrere abgeschwächte Intensität oder auf eine Gefühlsmischung verweisen (vgl. Fischer- Bewegungsarten in sich vereinen. Ein aktuelles Beispiel ist Pixars Cars (2006), dessen Lichte 1988: 50). Welt von vermenschlichten Autos bevölkert wird. Animationsfilme beschränken sich zumeist auf genau diese Bereiche des Gesichts Auch die Gesten kann man in einem Spektrum zwischen mimetischer und versuchen dabei, durch Reduktion und Übertreibung die Essenz der Affekte (anthropomorpher) Darstellung und Abstraktion einteilen. Dies betrifft zum einen die darzustellen. Im Puppentrickfilm sind es häufig sogar nur Augen und Mund, die sich Bewegungsmöglichkeiten, zum anderen aber die Bewegungen selbst, die in Bezug auf im Gesicht verändern und dennoch eine große Bandbreite an Emotionen ausdrücken das Objekt naturalistisch sein können, aber nicht in Bezug auf das menschliche können. Gestenrepertoire. Die Mimik bleibt in der Messerszene auf den unveränderten Gesichtsausdruck der Die Bewegungen des Messers durch die drei Dimensionen sind proxemische Figur beschränkt, ist also in diesem Fall eine erstarrte Pose, die den Artefaktcharakter Zeichen, das Auf- und Zuklappen aber gestische. Das Messer bedient sich dabei der Frauenfigur und ihren rätselhaften Ausdruck deutlich macht. Auch das Fehlen hauptsächlich seiner natürlichen Beweglichkeit, nämlich des Auf- und Zuklappens am eines Ausdrucks der Lebendigkeit ist zeichenhaft. Scharnier zwischen Klinge und Griff. Aus dieser Beweglichkeit ergeben sich tänzerisch-springende und tierischkriechende Bewegungen. Andererseits vollführt das Messer auch Drehbewegungen um Am Ende ein Objekt mit menschlichen Körperfunktionen die Längsachse, die es aus eigener Kraft nicht unbedingt schaffen würde. Also Die Bedeutung, das heißt im Fall des Puppentrickfilms der lebendige Ausdruck wiederum eine Mischung aus realistisch begründeten und fantastischen Bewegungen. eines Objekts, ergibt sich aus den beschriebenen Zeichensystemen. !vankmajer nutzt Die Frauenfigur bewegt sich nicht, aber sie bewegt sich als Messer-Frau-Hybrid, mit diese Tatsache und die doppelte Sichtweise des Publikums, um unvereinbar Frauenkörper und einem langen Fuß (die Klinge). Aus dieser Sichtweise, die ja scheinende Mehrdeutigkeiten in ein und demselben Objekt zu vereinen. gleichzeitig mit der Wahrnehmung eines reinen Messers auch besteht, erscheinen die Am Ende der Szene löst sich das Doppelbild der Frauenfigur und des Messers nicht auf, findet aber einen logisch-unlogischen Schluss. Das Messer klappt zu. Die Klinge Bewegungen äußerst ungewohnt. schneidet somit die Frauenfigur. Und natürlich beginnt diese dann zu bluten und somit Mimik blutet das Messer. Bei den mimischen Zeichen beschäftigt sich Fischer-Lichte mit jenen, die Das Messer schneidet sich zum einen selber. Und zum anderen ist das Bluten gerade Primäraffekte ausdrücken. Mit Ekman nennt sie sieben grundlegende Affekte, „die in ein Vorgang, der hauptsächlich der menschlichen Figur zugeschrieben werden kann, verschiedenen Intensitätsgraden auftreten können: Glück, Überraschung, Angst, die aber durch ihr Material und ihre Unbeweglichkeit als der unbelebtere Teil des Traurigkeit, Ärger, Ekel/Verachtung, Interesse“ (Fischer-Lichte 1988: 49). Auf diese Messer-Frauen-Hybrids in Erscheinung getreten ist. Das mehrdeutige Potential wird Affekte verweisen indexikalisch jeweils Sets von Gesichtsbewegungen, die sich somit konsequent genutzt und um eine weitere surreale Nuance erweitert. 16 17 Fußnoten 1 Etienne Souriau unterscheidet folgende Filmuniversen: Das afilmische (die „reale“ Alltagswelt), das profilmische (das, was für die Aufnahme existiert bzw. getan wird, also Schauspiel, Kulisse, Requisiten, aber auch reale Orte), das filmografische (das auf einem Trägermedium Eingeschriebene, auch Schnitt und die Verbindung von Bild und Ton, sowie Nachbearbeitungen), das filmophanische (das „Leinwandliche“ der Aufführung, z.B. Projektion im Kino mit Tonaufführung), das spektatorielle (die Wahrnehmung der ZuschauerInnen und deren Rezeption), das kreationelle (wenn der „Autor“ des Films spürbar wird) und das diegetische Universum (die implizierte raumzeitliche Welt des spezifischen Films) (Souriau 1997, vgl. auch Kloepfer 2003: 1519). 2 „’Twas brillig, and the slithy toves / Did gyre and gimble in the wabe: / All mimsy were the borogoves, / And the mome raths outgrabe“ (Carroll 1872/1941: 23, Jabberwocky - 1. Strophe). Bibliografie Jason and the Argonauts (UK/USA 1963, R: Don Chaffey, Puppentrick: Ray Harryhausen, 104 min) The Muppet Show (Serie, USA/UK 1976-1981, 120 Episoden, je 30 min) Polyester (USA 1981, R: John Waters, 86 min) Ruka/The Hand ($SSR 1965, R: Ji"í Trnka, 18 min) Team America: World Police (USA 2004, R: Trey Parker, 98 min) The Terminator (USA 1984, R: James Cameron, Puppentrick: Peter Kleinow, 108 min) Zvahlav aneb Saticky Slameného Huberta/Jabberwocky ($SSR 1971, R: Jan !vankmajer, 14 min) Erwin Feyersinger (*1977) ist Herausgeber von FLIM - Zeitschrift für Filmkultur und Veranstalter filmvermittelnder Events, studiert außerdem Sprachwissenschaft in Innsbruck und schreibt an seiner Diplomarbeit über Film- und Formensprache im Animationsfilm. Kontakt: [email protected] BENDAZZI, Giannalberto 1994: Cartoons. One Hundred Years of Cinema Animation. London: John Libbey & Company Ltd. CARROLL, Lewis 1872/1941: Through the Looking-Glass and What Alice Found There. New York: Heritage Press. FISCHER-LICHTE, Erika 1988: Semiotik des Theaters. Band 1. Das System der theatralischen Zeichen. 2., durchges. Aufl. Tübingen: Narr. FURNISS, Maureen 1998: Art in Motion. Animation Aesthetics. London: John Libbey & Company Limited. HAMES, Peter 1995: „Interview with Jan !vankmajer“. Übers. aus dem Tschechischen: Karolina Vo#adlo. In: Hames, Peter (Hrsg.), Dark Alchemy. The Films of Jan !vankmajer. Westport: Greenwood Press. S. 96-118. KLOEPFER, Rolf 2003: „Semiotische Aspekte der Filmwissenschaft: Filmsemiotik“. In: Posner, Roland (Hrsg.), Semiotik=Semiotics. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur, Band III, Berlin/New York: de Gruyter. S. 3188-3211. Abgerufen am 4. August 2006: <http://www.phil.uni-mannheim.de/romanistik/romanistik3/images/stories/ kloepfer_publikationen/prk00_filmsemiotik.pdf> LOTMAN, Jurij M. 1981: Semiotics of Cinema. Übers. aus dem Russ.: Mark E. Suino. Ann Arbor: University of Michigan. NÖTH, Winfried 2000: Handbuch der Semiotik. 2., vollständig neu bearb. und erw. Aufl. Stuttgart: Metzler. OPL, Eberhard 1990: Das filmische Zeichen als kommunikationswissenschaftliches Phänomen. München: Ölschläger. SEESSLEN, Georg 1997: David Lynch und seine Filme. 3. Aufl. Marburg: Schüren. SOURIAU, Etienne 1951/1997: „Die Struktur des filmischen Universums und das Vokabular der Filmologie [La structure de l’univers filmique et le vocabulaire de la filmologie]“. Übers. aus dem Franz.: Franz Kessler. In: montage/av. 6.2. S. 140-157. TAYLOR, Richard 2003: The Encyclopedia of Animation Techniques. London: Quarto Publishing. TILLIS, Steve 1992: Toward an Aesthetics of the Puppet: Puppetry as a Theatrical Art. Westport: Greenwood Press. WELLS, Paul 1998: Understanding Animation. Abingdon, Oxon: Routledge. WÖLFFLIN, Heinrich 1915: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilentwickelung in der neueren Kunst. München: F. Bruckmann. Filmografie Cars (USA 2006, R: John Lasseter/Joe Ranft, 116 min) King Kong (USA 1933, R: Merian C. Cooper/Ernest B. Schoedsack, Puppentrick: Willis O’Brien, 100 min/104 min [restored version]) 18 19 Klischeebilder des Orients, deren Reinszenierung und Brechung. Die marrokanische Schriftstellerin Fatima Mernissi bezeichnet Odaliske als „das im Westen am häufigsten benutzte Wort für eine Haremssklavin. Es ist ein türkisches, kein arabisches Wort, und es hat eine räumliche Bedeutung. Seine Wurzel ist ‚Oda’, Odaliske auf Tuc hfühl ung – eine Schl eierfahndung. ‚Zimmer’.“ (Mernissi 2000, S. 37) von Deniz Sözen Im großen Kunstlexikon von P.W. Hartmann wird „Odaliske“ folgendermaßen Im folgenden Artikel möchte ich meine künstlerische Diplomarbeit – das definiert: experimentelle Videoprojekt „Odaliske auf Tuchfühlung – eine Schleierfahndung“ (2005) – in Bezug zu seinem theoretischen Umfeld, u.a. der Orientalismuskritik von „Odaliske, französisch odalisque, ‚Haremsfrau’, ‚Sklavin im Harem’, von türkisch Edward Said, diskutieren. Ein kurzer historischer Überblick über stereotype oda, ‚Gemach’, ‚Zimmer’ ; Bezeichnung für die Darstellung einer nackten oder mit Darstellungsformen orientalischer Frauen wird in Bezug zu gegenwärtigen durchscheinenden Schleiern bzw. mit einer bis zu den Knöcheln reichenden Kopftuchdebatten gesetzt. Pluderhose aus dünnem Gewebe bekleideten Frau. Wiedergegeben werden Odalisken oft in einem Zelt auf einem Ottoman bzw. auf Teppichen ‚hingegossen’ liegend oder Im breitgefächerten Gebiet des Orientalismus – Malerei, Photographie, Literatur und wie sie z. B. auf einem Sklavenmarkt feilgeboten werden. Die seit dem Louis-quinze Film – spielt das Bild der verschleierten Frau eine zentrale Rolle. Die prominentesten vor allem aber im 19. Jh. von europäischen Malern in exotische Umgebung Vertreter der orientalistischen Schule der Malerei, der man etwa ab den 1830er Jahren hineingesetzten Odalisken sind meist verführerisch schön, haben häufig Ähnlichkeit Bedeutung zuspricht, kamen aus den beiden Kolonialmächten Frankreich und mit Bildern der liegenden Venus, als Idealbild der Frau, manchmal wird die Odaliske England. Viele dieser Maler, wie beispielsweise Jean Auguste Dominique Ingres und auch als unerreichbare, die Sinne verwirrende Femme fatale dargestellt.“ William Clarke Wontner, hatten den Orient nie selbst besucht und stellten in ihren (www.beyars.com/kunstlexikon/lexikon_6440.html) Bildern, beeinflusst vom herrschenden Zeitgeist, vor allem ihre (männlichen) Phantasien zur Schau. Beliebte Sujets dieses Genres sind die Odaliske und der Harem. In dem Video „Odaliske auf Tuchfühlung – eine Schleierfahndung“ versuche ich, Das puritanische Klima in der Heimat der Kolonialmächte führte dazu, dass der diese Darstellungsklischees durch Re-Inszenierung aufzulösen und gegenwärtige „Orient“ als eine Art Projektionsfläche für erotische Phantasien diente. Es gab eine Kopftuchdebatten in Europa mit historischen Diskursen des Kolonialismus und rege Nachfrage nach Postkarten mit gestellten Szenen von halbnackten oder teils Orientalismus in Beziehung zu setzen. In der Rolle der Odaliske begebe ich mich auf verschleierten für „Tuchfühlung“ mit meiner türkischen und meiner deutschen Großmutter, zwei Inszenierungen kolonialen Begehrens sind, und nach Berichten von Reisenden über unterschiedlichen Kopftuchkulturen. Die Odaliske ist in diesem Fall kein passives das Leben im Harem. Auch waren jene Gemälde, die passive, sinnliche Orientalinnen Schau-Objekt, sondern aktive Erzählerin und Forscherin. bzw. so genannte Odalisken in prunkvollen Gemächern eines imaginären Harems Beim Dekor des Sets für die Odalisken-Szene habe ich mich an gängige Darstellungen darstellten, besonders beliebt. und Klischeevorstellungen von Odalisken innerhalb des Genres orientalistischer orientalischen Frauen, welche hervorragende Beispiele Malerei und inszenierten Photographien des 19. Jahrhunderts angelehnt. 20 21 „Women as odalisques was a common style of painting Muslim women, East, describing Orientalism as the product of ‚imaginative geography and history’, a communicating the imagery of leisure, luxury, voluptuousness and non-Christian creative fiction that presented itself as reality.“ (Bailey/Tawadros 2003, S. 19) womanhood. The term odalisque, according to Alloula, began to appear in French at (Übersetzung: Edward Saids einflussreicher Text „Orientalism“, der erstmals 1978 veröffentlicht the beginnnig at the 17th century, but ironically derives from Turkish, odaliq (oda wurde, war eine Anfechtung etablierter westlicher Haltungen bezüglich des Ostens und definierte meaning chamber), which means ‚chambermaid’. The term is metamorphosed by Orientalist painting … into the sublimated image of the one enclosed by the harem … the prohibited space is endowed by Western imagination with a strong erotic Orientalismus als ein System der (Sach-)Kenntnis über den Orient, (…) Saids These betonte die Entstehung des Orientalismus durch die kulturelle Hegemonie des Westens in Relation zum Osten und schilderte Orientalismus als ein Produkt „erdichteter Geographie und Geschichte“, eine kreative Fiktion, die sich selbst als Realität darstellte.) connotation.“ (El-Guindi 1999, S. 36) (Übersetzung: Es war üblich, muslimische Frauen als Odalisken zu malen, wobei ein Bild der Muße, Nicht nur in der Malerei, auch in der Reiseliteratur war der Schleier in den letzten 200 des Luxus, der Sinnlichkeit und der nicht-christlichen Frau vermittelt wurde. Nach Alloula wurde der Jahren ein beliebtes Sujet. Der Anfangssequenz mit der Odaliske ist ein Zitat vom Ausdruck Odaliske im Französischen Anfang des 17. Jahrhunderts erstmals verwendet, aber stammt ironischerweise aus dem Türkischen, von „odaliq“ (oda bedeutet Zimmer), was soviel bedeutet wie „Zimmermädchen“. Dieser Begriff wird in der orientalistischen Malerei metaphorisch in das veredelte französischen Schriftsteller und einem der prominentesten Vertreter der orientalistischen Gattung, Pierre Loti, vorangestellt: Bild der im Harem Eingesperrten übertragen … der verbotene Raum wird von der westlichen „Bei diesem ersten Kontakt erfüllt mich eine tödliche Mattigkeit: Ihre Schleier sind Imagination mit einer starken erotischen Konnotation ausgestattet.) mit allen Düften des Orients getränkt, ihr Fleisch ist fest und kühl.“ (Loti 1877) Farblich sind die Dekoration und Kostümierung mit jener im dazwischen Dieses schwülstige Zitat – seinem Roman Aziadeh, der in Istanbul spielt und von der geschnittenen Video einer bayrischen Bauchtänzerin abgestimmt. Ein unverzichtbares unerfüllten Liebe zu einer jungen Haremsdame handelt, entnommen – ist ein Accessoire ist die Nargile, die Wasserpfeife. Die Odaliske liegt sinnlich, passiv auf klassisches Beispiel für die orientalistische Assoziation von Verschleierung und Kissen gebettet – und raucht Pfeife. Der Rauch verdeckt ihr Gesicht und steht für die erotischen Phantasien. vernebelte, verschleierte Sicht des Westens auf den Orient. Indem sie den Blick zurückwirft, als der Rauch sich verflüchtigt, bricht die Odaliske ihre stereotype In einer binären Weltsicht der Kolonialmächte stand der Schleier auch für die strikte Darstellung als passive Projektionsfläche für westliche Phantasien. Trennung von Ost und West, Orient und Okzident. Hinter den Schleier zu sehen, In der nächsten Szene wird gezeigt, wie die Odaliske in einem Buch namens bedeutete die symbolische Penetration kolonialen Territoriums. Der Schleier wurde oft „Orientalism – from Delacroix to Klee“ blättert und sich über Orientalismus als der Beweis für die Unterdrückung muslimischer Frauen und die allgemeine informiert. Ein selbstreflexiver Moment voller Ironie. Rückständigkeit der muslimischen Gesellschaft angesehen. Wahl-Slogans der FPÖ wie „Freie Frauen statt Kopftuchzwang“ oder „Daham statt Islam“ können als eine „Edward Said’s hugely influential text Orientalism, first published in 1978, Fortsetzung kolonialer Diskurse gelesen werden. challenged established Western attitudes to the East and defined Orientalism as a system of knowledge about the Orient, (…) Importantly, Said’s thesis stressed the Frantz Fanon, der die Verschleierung im Kontext der Kolonialgeschichte Algeriens emergence of Orientalism from the cultural hegemony of the West in relation to the analysiert hat, schreibt in seinem Essay „Algeria Unveiled“: „Algerian society with every abandoned veil seemed to express its willingsness to attend the master’s school 22 23 and to decide to change its habits under the occupier’s direction and patronage.“ (in: Gebräuche, im besonderen jene, welche am stärksten durch Kolonialmächte angegriffen worden waren Bailey/Tawadros 2003, S. 76) – nämlich Gebräuche und Sitten, die Frauen betreffen – und ein Symbol für das Bedürfnis, jene Sitten (Übersetzung: Bei jedem Verzicht auf den Schleier, schien die algerische Gesellschaft ihren Willen, als ein Mittel des Widerstands gegen die westliche Herrschaft zu bejahen.) bei dem Meister in die Lehre zu gehen und ihre Gebräuche und Sitten unter der Führung und Schirmherrschaft der Besatzungsmacht zu ändern, auszudrücken.) Diese stark verkürzte Darstellung ist natürlich völlig unzureichend, um die Geschichte und die besondere Dynamik des Kopftuchdiskurses zu vermitteln, zudem sich die Die algerische Gesellschaft beugte sich demnach durch die Entschleierung der Frau Situation auch von Land zu Land stark unterscheidet. Ich setzte voraus, dass symbolisch dem Willen der Besatzungsmacht. In anderen arabischen bzw. muslimisch institutionalisierter Verhüllungszwang wie beispielsweise im Iran oder in Saudi- geprägten Ländern versuchten einerseits christliche Missionare und andererseits Arabien und im extremen Fall der ehemaligen Diktatur der Taliban in Afghanistan, Männer der Oberschicht, die im Westen studiert hatten, das europäische Modell auf ihr allgemein bekannt ist und bin auf diese Punkte in meinen vorhergehenden Herkunftsland zu übertragen. Heide Oestreich ist eine der wenigen Politologinnen im Ausführungen deshalb nicht näher eingegangen. Stattdessen habe ich mich auf die deutschsprachigen Raum, die versucht haben, die Wurzeln der gegenwärtigen Schilderung des in Europa weniger reflektierten, kolonialen Entschleierungszwangs Kopftuchdebatte(n) zu analysieren. Sie schreibt in ihrem jüngst erschienenen Buch beschränkt, da erst diese historische Auseinandersetzung es ermöglicht, die Wurzeln „Der Kopftuch-Streit“: der gegenwärtigen Kopftuchdebatte zu verstehen. Es erschien mir besonders wichtig „In fast allen islamisch geprägten Ländern hat sich der Fundamentalismus als hervorzuheben, antikoloniale Bewegung entwickelt, der der Zwangsentschleierung wieder eine Verschleierungsdiktat – sei es nun durch die Familie oder durch den Staat Verschleierung entgegensetzte. Dieses symbolische Spiel setzen diejenigen fort, die ausgesprochen – Zwang für die betroffene(n) Person(en) bedeuten. nun wieder die Entschleierung fordern.“ (Oestreich 2004, S. 158) Aus diesem Grund ist der Intro-Sequenz von „Odaliske auf Tuchfühlung – eine dass sowohl verordnete Entschleierung sowie ein Schleierfahndung“ folgendes Zitat von Malak Hefni Nassef, alias Bahithat Al-Badia, Auch Leila Ahmed versteht heutige Diskurse um den Schleier im Orient als eine vorangestellt: Antwort auf Orientalismus und Kolonialismus. Der Schleier erhält eine verstärkte „Wenn der Mann befiehlt, wir sollen uns verschleiern, verschleiern wir uns; wenn er Bedeutung, indem er positiv besetzt wird und für die Aufwertung all dessen steht, was schreit und unsere Entschleierung fordert, dann entschleiern wir uns. Wir haben ihre vom Westen abgewertet wurde: Herrschaft satt!“ (Bahithat Al-Badia, Kairo 1886-1918) (vgl. Taufiq 1991, S. 42) „The veil came to symbolize in the resistance narrative, not the inferiority of the culture and the need to cast aside its customs in favor of those of the West, but, on the Ich werde nun kurz auf die Bedeutung dieses Zitats eingehen, woraus ersichtlich contrary, the dignity and validity of all native customs, and in particular those customs werden soll, in welchem Zusammenhang es zu den gezeigten Filmsequenzen steht. coming under fiercest colonial attack – the customs relating to women – and the need Danach werde ich die einleitende Animationssequenz – das Intro – technisch und to tenaciously affirm them as a means of resistance to Western domination.“ (Ahmed inhaltlich genauer erläutern. 1992, S. 164) Aus dem obigen Zitat von Bahithat Al-Badia, das einem Brief an ihre Kollegin May (Übersetzung: Der Schleier wurde in der Geschichte des Widerstands nicht zum Symbol der Ziada aus dem Jahre 1913 entnommen ist, geht deutlich hervor, dass sie sich dessen Unterlegenheit der Kultur und der Erfordernis, eigene Bräuche zu verwerfen und durch Westliche zu bewusst war, dass sowohl Verschleierung als auch Entschleierung Zwang für die ersetzen, sondern ganz im Gegenteil, zum Symbol für die Würde und den Wert der eigenen Sitten und 24 betroffenen Frauen bedeuten können und ihnen daher diese Entscheidung freigestellt 25 sein muss. Sie setzte sich besonders für das Recht der Frauen auf Bildung und die Animationssequenz, bei der neben orientalischen Kopftüchern auch Kopftücher Gleichberechtigung ein, stand jedoch der symbolischen Entschleierungspolitik der aus dem deutschsprachigen Raum vorkommen, mit einem Bauchtanz-Rhythmus englischen Kolonisatoren und der westlich orientierten ägyptischen Bourgeoisie mit unterlegt bzw. den Film nach diesem Rhythmus geschnitten. Skepsis gegenüber. Zu Recht, wie sich später herausstellen sollte: Der damalige Wie ich schon erwähnt habe, wählte ich diese Vielfalt an Tüchern, um auf die britische Generalkonsul in Ägypten, Lord Cromer, forderte vehement die Befreiung vielfältigen Bedeutungen, die ein Kopftuch haben kann, aufmerksam zu machen. der ägyptischen Frau durch Entschleierung, während er zugleich in seiner Heimat eine Kampagne gegen das Frauenwahlrecht organisierte. (vgl. Oestreich 2004, S.157) „Das Kopftuch ist ein Stück Alltagskultur, ein Gegenstand der Volkskunst und ein Diesen vermeintlichen Befreiern ging es in Wirklichkeit nicht um die Frauen. Sie Kleidungsstück, das sozialhistorischen Wandlungen unterliegt.“ (Akkent/Franger wollten die muslimische Gesellschaft der westlichen Gesellschaft angleichen und die 1987, S. 16) männliche Dominanz in der muslimischen Gesellschaft durch eine männliche Dominanz im westlichen Stil ersetzen. Unter dem Deckmantel der Frauenbefreiung Durch den ständigen Wechsel der Tücher auf dem Kopf der Puppe wird die attackierten diese Männer die indigene Bevölkerung und ihre Bräuche. Geschichtlichkeit und ständige Bedeutungswandlung des Kopftuchs angedeutet – es Wie Malak Hefni Nassef, alias Bahithat Al-Badia, diese mutige Ruferin in der Wüste, bleibt in Bewegung und ist nicht festzumachen. es bereits vor rund 100 Jahren tat, plädiere ich mit diesem Film für die Den Modepuppenkopf habe ich in einem Vintage-Modengeschäft in Wien erworben. Entscheidungsfreiheit des Individuums. Im gegenwärtigen Kopftuchstreit wird eine wichtige Komponente – nämlich Mode Nun möchte ich auf formale und inhaltliche Besonderheiten der Intro-Sequenz und Design – oft vergessen. Dabei handelt es sich beim Kopftuch im Grunde um ein eingehen: wobei Stück Stoff, das trotz allem, was da noch dranhängen mag, als Bekleidungsstück verschiedenste Kopftücher aus zwei unterschiedlichen Kulturkreisen zum Einsatz Ein Modepuppenkopf wird verschleiert und entschleiert, fungiert, welches natürlich auch den Gesetzen der Mode und somit stetigem Wandel kommen. Die Tücher stammen zum Teil aus dem Fundus meiner deutschen unterworfen ist. Um diese Tatsache visuell zu kommunizieren, eignet sich am besten Großmutter und meiner Mutter und anderseits aus Beständen meiner türkischen der eben erwähnte Modepuppenkopf. Zudem wollte ich dadurch vermitteln, wie durch Großmutter und Tanten aus dem anatolischen Raum. Ein Ansatz für mein Projekt ist symbolische Schleierpolitik, durch Verschleierungs- und Entschleierungszwang in es, das Fremde mit dem Eigenen in Zusammenhang zu bringen und interkulturelle Geschichte sowie in Gegenwart, die Frau in eine passive Mode-Puppe verwandelt Verbindungen herzustellen, mit dem Ziel, Vorurteile abzubauen und zu einer wird, da Dress-Codes sie in ihrer Autonomie einschränken. Ein ideologischer Kampf differenzierten Betrachtungsweise des Kopftuchs anzuregen. wird über ihren Körper ausgetragen. Die Kopftücher meiner deutschen Großmutter verweisen auf den Kopftuchgebrauch in Österreich und Deutschland, welcher dem hiesigen Publikum vertraut ist. Mir ist Am Ende der Animationssequenz folgt der Sprung ins Menü der DVD. Ein Standbild aufgefallen, dass lokale Kopftuchkulturen in ländlichen Gebieten und gängige zeigt die Odaliske, liegend, auf ihre Hand aufgestützt – in einer klassischen Position. Verschleierungspraktiken Dieses Bild wird von semitransparenten Kohlezeichnungen überlagert. bei Hochzeiten bei den emotionsgeladenen Kopftuchdiskussionen in den Medien nie erwähnt werden – das Kopftuch und Im Menü kann man zwischen den Punkten „Tuchfühlung“ und „Schleierfahndung“ Verschleierung werden ausschließlich mit dem Orient und dem Islam assoziiert. Um wählen. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, die einzelnen Filmteile als ganzen Film zu dieses orientalistische Klischee zu hinterfragen und mittels Ironie zu brechen, habe ich 26 27 sehen. Im Untermenü „Filmmusik“ sind die Kompositionen von Hakan Gürses als es Brauch, dass die Familie der Braut der zukünftigen Schwiegermutter zur Einzeltracks anwählbar. Verlobungszeit ein Kopftuch mit dieser Borte schenkt. Wenn sie kein Kopftuch geschenkt bekommt, ist die Schwiegermutter schrecklich beleidigt.“ In dem Filmsegment „Tuchfühlung“ demonstriert meine (türkische) Tante Bei diesem Zitat wird klar, dass bestimmte Kopftücher Eingeweihten sehr viel über verschiedene, im Raum Konya/Anatolien übliche Bindungsarten von Kopftüchern. Sie den Status, die aktuelle Lebenssituation und Herkunft der Trägerin mitteilen. Farbe, trägt einen „Schalwar“ – eine Pluderhose mit dazupassender Bluse. Die Kopftücher Form und Material tragen wesentlich zur Bedeutungskonstruktion bei. Kopftücher hat sie zum Teil von ihren Schwiegertöchtern, zum Teil von Verwandten anlässlich haben in Anatolien demnach noch immer eine wichtige soziale Funktion und können der Hochzeit ihres Sohnes geschenkt bekommen. Sie haben eine besondere Borte, die durchaus als Kunstwerke betrachtet werden. (vgl. Erden 1998, S. 11) für diese Region der Türkei charakteristisch ist. „The problem is that there is no single garment, nor any single woman or man Durch den Schnitt verschwimmen die Grenzen realer oder fiktiver Gegenwart – ich (remembering the example of veiled Tuareg men, as well as men’s use of headscarfs transformiere mich in meine Tante, während die Kopftücher und Bindungsarten elsewhere), who dresses as she or he does for any single reason: generalizations about ständig wechseln. Zwischen Form und Inhalt entstehen vielfältige Spannungen – das the veil and a category of women or men partake of the absurd. Rather, wearing a Deutungsmuster bzw. die „Organizing metaphor“ ist immer der Schleier. head-covering must be understood as a complex act which may generate a myriad of Ein Großteil der Frauen in der Türkei trägt kein Kopftuch. „Häufig lehnen diese nuanced interpretations.“ (Lindisfarne-Tapper/Ingham 1997, S. 16) Frauen das Kopftuch als etwas ‚Bäurisches’ und ‚Rückständiges’ ab oder auch, weil (Übersetzung: Das Problem besteht darin, dass es kein einzelnes Bekleidungsstück gibt, noch eine sie sich politisch in der kemalistischen Tradition sehen.“ (Akkent/Franger 1987, S. einzelne Frau oder einen einzelnen Mann (wenn man an das Beispiel der verschleierten TuaregMänner denkt oder den Gebrauch von Kopfbedeckungen durch Männer anderswo), der oder die sich 195) Meine Tante gehört zu der Gruppe von Frauen, die das Kopftuch aus Gewohnheit und aus einem einzigen Grund auf die Art und Weise kleidet, wie sie oder er es tut: Verallgemeinerungen über den Schleier oder eine Kategorie von Frauen oder Männern sind absurd. Stattdessen muss man Tradition tragen, ohne dies zu hinterfragen. Wie auch für deutsche Frauen in das Tragen einer Kopfbedeckung als einen komplexen Akt begreifen, der eine Vielzahl von fein ländlichen Gebieten, ist das Tuch für sie ein Teil ihrer Bekleidung. Meine andere nuancierten Interpretationen entstehen lässt.) Tante trägt kein Kopftuch. Nur zu speziellen Anlässen bindet sie sich eines um. Es ist in der türkischen Gesellschaft üblich, dass man innerhalb ein und derselben Familie, Im aktuellen Kopftuchstreit in Europa wird das Kopftuch ausschließlich als religiöses sowohl Frauen mit als auch Frauen ohne Kopftuch antrifft. In der folgenden Symbol interpretiert – in meinem Film möchte ich zeigen, dass es sich bei der Einstellung sitzen meine Großmutter mit Kopftuch und meine Tante ohne Kopftuch Verhüllung, wie es das obige Zitat besagt, um ein weitaus komplexeres Phänomen nebeneinander auf dem Sofa: meine Tante, die selbst eher selten Kopftücher trägt, handelt, wobei jede Frau ihre individuellen Gründe für das Tragen eines Kopftuchs hat. erzählt über die Bedeutung des Kopftuchs mit der grünen Borte, das in den Ich habe in meiner filmischen Darstellung des anatolischen Kopftuchs den religiösen vorhergehenden Trick-Sequenzen mit meiner anderen Tante und mir vorgestellt Aspekt völlig ausgeklammert und stattdessen eine sehr spezielle lokale Kopftuch- wurde. Tradition dargestellt, um auf soziale Aspekte dieses Bekleidungsstücks hinzuweisen. Die Kamera steht still, der Abstand zu den Personen ist relativ groß – im Stil der Ich habe eine sehr humorvolle Art mit diesem schwierigen Thema umzugehen – ich „objektiven Kamera“ wie sie bei Dokumentarfilmen eingesetzt wird. Meine Tante möchte zeigen, dass auch Frauen, die Kopftücher tragen, lachen und nicht alle spricht über das Tuch, das sie in der Hand hält: „Diese Borte heißt Filize. In Konya ist kopftuchtragenden Frauen Fundamentalistinnen sind. 28 29 Die marokkanische Schriftstellerin und Feministin Fatima Mernissi meinte in einem Nachdem „die Tuchfühlung“ damit endet, dass meine türkische Großmutter alle Interview: „Der Westen muss wirklich mal dieses Schleiersyndrom überwinden. Das Tücher fertig zusammengelegt hat, begibt sich die Odaliske, die sich nun in eine Braut ist schon ein richtiger Komplex.“ (Szostak /Taufiq 2001, S. 17) verwandelt hat, auf so genannte „Schleierfahndung“. In Deutschland wird das Kopftuch seit Mitte des 20. Jahrhunderts aus praktischen oder Im darauf folgenden Teil werden Videoaufnahmen von mir selbst, alias Kalypso El modischen Gründen getragen. In den 1930er und 1940er Jahren wird das Kopftuch aus Kader, in der Rolle der verschleierten Braut, mit Home-Video-Aufnahmen von der wirtschaftlicher Not zum Alltagskleidungsstück und auch vom ideologischen Hochzeit meines Cousins in Anatolien und mit Puppentrick kombiniert, wobei eine als Standpunkt aus akzeptabel. Arbeiterinnen in Rüstungsbetrieben sowie Trümmerfrauen Braut gekleidete Barbiepuppe und ihr Brautschleier animiert werden. Dieser Schleier nach dem Krieg tragen Kopftücher. Im Dritten Reich sind Rock-Bluse, Dirndl und stellt auch für meine Generation immer noch einen ganz bestimmten Aspekt der Kopftuch als Ausdruck von Mütterlichkeit und deutscher Natürlichkeit durchaus weiblichen Lebenswelt dar und ist für mich das Verbindungsglied zwischen den populär. (Vgl. Lorbeer, Marie: Das Kopftuch in der Mode, in: Akkent/Franger 1987, beiden Kulturkreisen. S. 75 –80) Die türkische Brautmode hat sich längst der westlichen Brautmode angeglichen. Beim Im Filmsegment, das ich „deutsche Tuchfühlung“ nenne, blättert meine deutsche Betrachten des Hochzeitsvideos meines türkischen Cousins, das ich selbst gefilmt Großmutter in ihrem Fotoalbum. Anhand der Fotos erzählt sie von ihren Erinnerungen habe, würde das europäische Publikum nicht vermuten, dass es sich hier um eine an die Zeit, als sie im Dritten Reich beim Arbeitsdienst war. Die Fotos zeigen sie als türkische Hochzeit handelt. Die Braut ist weiß gekleidet, hat blondes Haar und der junge, kopftuchtragende Frau bei Tätigkeiten im Freien, wie zum Beispiel Schleier ist locker an der Frisur befestigt. Um sie herum tanzen meine Cousinen und Wäschewaschen, Umgraben und beim Arbeiten auf den Feldern. Sie erzählt über die Cousins, wobei keine meiner Cousinen ein Kopftuch trägt. Indem ich die Funktion der Kopftücher, während die freigestellten Fotos eingeblendet bzw. zum Teil Dokumentation der Hochzeit meines Cousins in Konya, Anatolien, in meinem mittels Legetrick animiert werden. selbsterzeugten Film blitzartig auftauchen lasse, möchte ich dem Publikum die Die Fotografien werden durchsichtig wie ein Schleier und gleiten über das Gesicht Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Kulturen bewusst machen, festgefahrene meiner Großmutter, während sie in ihren Erinnerungen schwelgt. Visuelle Eindrücke Wahrnehmungsmuster in Frage stellen und Klischeebilder des Orients, die durch die und Geschichtsfragmente ihrer Biografie bilden einen Ort der Überlagerungen und westlichen Medien verbreitet werden, auflösen. Schichtungen. Das diaphane Gewebe des Spinnenwebpapiers, das sich ab und an über die Fotos oder über ihr Gesicht legt, stellt den Schleier des Bewusstseins dar, indem es dahinterliegende Erinnerungen durchsichtig macht (und gleichzeitig auf das Fotoalbum verweist). Und doch geht es hierbei nicht vorrangig um ihre Biografie, sondern um die Darstellung des Kopftuchs im Kontext Arbeit als notwendige Ergänzung zur Arbeitskleidung und die Funktion dieses Bekleidungsstücks als Witterungsschutz, bei starker Hitze oder Kälte. 30 Literatur Akkent, Meral / Franger, Gaby: „Das Kopftuch/Basörtüsü“, Dagyeli, Frankfurt am Main, 1987. Bailey, David / Tawadros, Gilane: „Veil – Veiling, Representation and Contemporary Art“, Iniva, London, 2003. El-Guindi, Fadwa: „Veil: Privacy, Modesty and Resistance“, Berg, Oxford & New York, 1999. Erden, Attila: „Anadolu Giysi Kültürü/Anatolian Garment Culture“, Ankara, 1998. Höglinger, Monika: „Kopftücher in Wien: Einblicke in verschleierte Lebenswelten; eine ethnologische Studie zur Bedeutung des Kopftuchs für muslimische Frauen in Wien“, DA , Wien, 2001. Lindisfarne-Tapper, Nancy / Ingham, Bruce: „Languages of Dress in the Middle East“, Curzon Press, London, 1997. Mernissi, Fatima: „Harem. Westliche Phantasien – Östliche Wirklichkeit“, Herder, Freiburg, 2000. Oestreich, Heide: „Der Kopftuch-Streit“, Brandes und Aspel Verlag, Frankfurt am Main, 2004. Szostak, Jutta / Taufiq, Suleman: „Der wahre Schleier ist das Schweigen. Arabische Autorinnen melden sich zu Wort.“ Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 2001. 31 Taufiq, Suleman (Hrsg): „Frauen in der Arabischen Welt“, Deutscher Taschenbuchverlag, München, 1991. Quellen aus dem Internet www.beyars.com/kunstlexikon/lexikon_6440.html Deniz Sözen lebt und arbeitet als Künstlerin/Filmemacherin/Vermittlerin in Wien. Kontakt: [email protected] Improvisierte Musik und Tokyo, synästhetisches Kino, oder: Das Ende der Welt. von Albert Allgaier 1.1 Rinzen Das japanische Konzept Rinzen – nach dem auch die gleichnamige Installation von Antonio Tapies im Museu d’Art Contemporani de Barcelona (ein überdimensionales Bett mit herabhängenden Laken senkrecht an der Wand befestigt) benannt ist – bedeutet sinngemäß „plötzliches Erwachen“ oder „Erleuchtung“, eine Veränderung des Geistes. Eben dieses Gefühl des Rinzen überkam mich bei der Performance von Otomo Yoshihide, Cosmos (Sachiko M und Ami Yoshida) und Astro Twin (Utah Kawasaki und Ami Yoshida) auf der Ars Electronica 2002 in Linz. Eher zufällig besuchte ich diese Performance, bei der Yoshihide mit drei Plattenspielern (ohne Schallplatten wohlgemerkt), Sachiko M mit einem leeren Sampler (also ausschließlich den Sampler-internen Testtönen und dem daraus resultierenden Feedback), Utah Kawasaki mit einem defekten Synthesizer (die Geräusche wurden nur durch unterschiedliche Steckverbindungen an der Rückseite des Geräts erzeugt) und Ami Yoshida mit ihrer „howling voice“ (der Gesang ließ sich während der Performance nicht von Kawasakis Part unterscheiden) mich in die Welt des Onkyo, der (sehr) freien japanischen Improvisation, einführten. In diesem Zusammenhang würde es keinen Sinn machen, eine musiktheoretische Abhandlung über Improvisation oder einen kulturtheoretischen Text über Japan zu verfassen. Jegliche theoretische Annäherung würde die Gefahr mit sich bringen, den Mythos zu entzaubern und die Atmosphäre zu zerstören, geht es doch hier um das direkte Erfahren und Erleben, das ungefilterte Hören und Sehen, die Sehnsucht an einen Punkt der völligen Versenkung zu gelangen, der Punkt, in dem Ort und Moment zusammentreffen, wie ich es damals auf der Ars Electronica erlebte. Deshalb möchte ich im Folgenden den persönlichen Zugang zu diesen Themen schildern und mit einer Reflexion über die daraus entstandene 32 33 filmische Arbeit sowie der Konzeption der Aufführung und der Dokumentation kann, welche die CD auratisieren? Oder würde ich die englischen oder deutschen schließen. Texte einer anderen CD gar nicht lesen? Obwohl es sicher genuin japanische Momente gibt, welche die japanische Kultur und 1.2 Improvisierte Musik und Tokyo Ästhetik in der improvisierten Musik aus Tokio widerspiegeln, sind diese Fragen bei genauerer Betrachtung irrelevant. Wichtig ist in diesem Falle nur die persönliche „When Victor Segalen redefined the concept of exoticism, it was to remind us that this Erfahrung: die Frage, ob mich nun die improvisierte Musik nach Tokio geführt hat, radical strangeness was less the question of the distance itself as the concept of the oder umgekehrt Tokio mich zur improvisierten Musik, bleibt unbeantwortet. Ich other: this entity which exists in the same here and now, but who lives in another wählte nun die Diplomarbeit als Möglichkeit, mich tiefer gehend mit der Materie zu form, who moves in another temporal imagination.“ (Stofer 2001, S.21) So beginnt beschäftigen, und zwar nicht mit dem Lesen von Fachbüchern oder einer ausgiebigen Michel Henritzi seinen Essay „Extreme Contemporary – Japanese Music As Radical Internetrecherche, sondern vor Ort in Tokio als Artist in Residence der Youkobo Contemporary“, der genau so gut „Oder: das Ende der Welt“ betitelt sein könnte, Gallery in Kichijoji, Tokio, um dem versteckten Auslöser jener Faszination der kommt doch eben meine persönliche Faszination von diesem Konzept des „Anderen“. doppelten Exotik auf den Grund zu gehen. Nachdem ich schon einige Aufführungen Henritzi schreibt weiter: „If Japan remains this fascinating ‚other’ for the Occident, as japanischer Improvisation in Europa gesehen habe, wollte ich wissen, unter welchen it has been at least since the 19th century – a radical exoticism, especially in the field Umständen diese Musik in ihrem Heimatort entsteht. Im oberen Stock einer of music, subject to the process of globalization – and if many of us continue to elude Kunstgalerie, die man nur durch eine baufällige Treppe erreicht? In einem 30 Jahre our definitions of its forms. In Japanese music (or at least in Japanese independent alten Jazzclub, in dem die Kellner Fliegen tragen? In einem winzigen Atelier, wo die music) from the end of the 20th century, there is a double exoticism: it is music that is Musiker noch im wahrsten Sinne die Korken knallen lassen? Oder in einem noblen both distant (geographically, but also temporally as representative of a techno-future), Vorort, wo ein pensionierter Versicherungsbeamter gerne junge Künstler um sich and extremly contemporary (the noise). The feeling is of a phasing out of the forms of schart? Wo, wenn nicht am Ende der Welt, sind eben diese Ort zu finden: die Appel our modernity, and indeed the modern world itself, like a blurred image, feedback Gallery, die Lady Jane Jazz Bar, Loop Line Media Arts und die Youkobo Gallery. from the future.“ Welche Menschen bespielen diese Räume mit Babuschka-Thereminen, spielen irische Dieser Ansatz lässt sich nun nicht nur auf die japanische (Musik-)Kultur anwenden, Folklore zu schmerzhaft hohen Sinustönen oder benennen ihre CDs nach sondern auch auf improvisierte Musik im Allgemeinen. So ist Japanische Kultur aus Mathematikbüchern? Otomo Yoshihide, Takumi Ito, Taku Sugimoto? Jene mystischen eurozentristischer Perspektive gesehen das „exotische Andere“ und improvisierte Figuren, die mich ans andere Ende der Welt gezogen haben, die über den Drehregler Musik ist für den durchschnittlichen Musikkonsumenten das „exotische Andere“. zu meditieren scheinen und mit Gitarrenfeedbacks Aschenbecher vom Verstärker Diese Verdoppelung der Exotik ist es nun, die den Themenkomplex interessant macht: fliegen lassen? Oder sind es doch jene typisch-japanischen Universitätsstudenten aus Gefällt mir diese oder jene Musik nun, weil sie aus Japan kommt? Oder würde mich den Murakami-Romanen, für die ich der Exot bin, die Australien mit Austria eine „Empty Sampler“-Performance aus Sinustönen à la Sachiko M auch von einer verwechseln und dir Bier und Sake nachschenken, um das Gespräch am laufen zu Musikerin aus Vorarlberg ebenso faszinieren? Sind es die in einer exotischen Schrift halten? geschriebenen Liner Notes, von denen ich höchstens das Erscheinungsjahr entziffern Auf diversen Japanologie-Foren (z.B. unter wikipedia.org) ist eine Diskussion entfacht, ob Japanophil ein abwertender Begriff sei. Diese geht Hand in Hand mit der 34 35 Frage des NIHONJINRON, wörtlich der Diskurs über die Japaner, eine ständige Hinterfragung eben jener Klischees erfordert sowie eine kontinuierliche kulturwissenschaftliche Frage, die zu klären versucht, inwiefern die japanische Kultur Reflexion über die eigene Wahrnehmung ermöglicht. sich wirklich vom Rest der Welt unterscheidet. Peter N. Dale schreibt über Nihonjinron: 1.3 Synästhetisches Kino „First, they implicitly assume that the Japanese constitute a culturally and socially homogeneous racial entity, whose essence is virtually unchanged from prehistoric In „Oder: das Ende der Welt“ bündeln sich also meine privaten Interessen an times down to the present day. Secondly, they presuppose that the Japanese differ improvisierter Musik und japanischer Kultur mit dem Interesse am Film. Der erste radically from all other known peoples. Thirdly, they are conspicuously nationalistic, Gedanke an eine Arbeit über Improvisierte Musik und Tokio ging dann auch displaying a conceptual and procedural hostility to any mode of analysis which might klarerweise in Richtung einer klassischen Filmdokumentation, mit Interviews, be seen to derive from external, non-Japanese sources. In a general sense then, Konzertaufnahmen, etc. über Improvisation in Tokio selbst. Nun ist aber gerade bei nihonjinron may be defined as works of cultural nationalism concerned with ostensible improvisierter Musik eine Aufnahme, besonders eine Videoaufnahme, problematisch, ‚uniqueness’ of Japan in any aspect, and which are hostile to both individual da die Spontaneität sowie der „Moment“ der Improvisation verloren ginge, die experience Aufnahme würde die Nicht-Reproduzierbarkeit des Moments negieren und so and the notion of internal socio-historical diversity.“ (http://en.wikipedia.org/wiki/Nihonjinron) manchen Zuhörer und Zuseher über das wahre Wesen der Improvisation Kreiert sich Japan also bewusst seinen eigenen Mythos, oder ist dieser Mythos ein hinwegtäuschen. fixer Bestandteil und somit schon in die Kultur integriert, sodass er von ihr nicht mehr In der Kunstgeschichte stehen sich Musik und Film in einem komplexen Verhältnis zu trennen ist? Ich denke, diese Fragen kann in diesem Rahmen nicht beantwortet gegenüber und bilden damit ein widersprüchliches Paar: sie versuchen, sich werden, aber ich sah den verstörten Blick meines japanischen Nachbarn, als ich mit voneinander zu emanzipieren, indem sie die Form des anderen imitieren; sie meinen Hausschuhen an seine Tür klopfte, und er hätte einen ähnlichen Ausdruck von versuchen, die vorherrschende Hierarchie neu zu ordnen, indem sie Übersummativität meinen Augen lesen können, als er mir drei Minuten später die Hand schüttelte und anstreben; sie versuchen, durch Technologie ihr innerstes Wesen hervorzubringen, sich verabschiedete, ohne mir in die Augen zu sehen. Es ist eben diese omnipräsente indem sie im digitalen Schein miteinander verschmelzen. Was soll nun also die Ambivalenz, die eine persönliche Reflektion jedes Details erfordert: einerseits die vorliegende Arbeit in diesem Jahrhunderte alten Spannungsfeld leisten? Was kann sie Legende vom Automaten mit gebrauchten Unterhosen, die kostümierten Jugendlichen neues in den Bereichen Expanded Cinema oder Synästhetischem Kino vorweisen? auf der Jingu Mae, das rohe Pferdefleisch; andererseits das immense Wissen über Über diesen Gedanken bzw. der Verpflichtung des Fortschritts schreibt Peter Weibel europäische Underground-Musik, die deutsche Bäckerei „Zur Linde“ in Kichijoji oder in seinem Essay „Expanded Cinema“: „However, we still face the problem that most der Galerist, der nach einem Essen „Der Mai ist gekommen …“ anstimmt. Der art historians and writers, being oblivious to the history of avant-garde film and video spezifische Blick durch das Kameraobjektiv ist eine Methode, über diese Klischees art, cannot make a connection between the generations and therefore exaggerate und Vorstellungen hinwegzublicken und einen unscheinbaren Zebrastreifen, einen contemporary achievements.“ (Shaw/Weibel 2001, S.119f) Auch auf der Seite der Vorstadtpark oder eine Kreuzung bei Nacht ins Blickfeld zu rücken. Dies ermöglicht Akteure sieht er eine ähnliche Situation: „We find surprising evidence of parallels, eine persönliche Annäherung mittels der Filmkamera als Instrument, welches eine sometimes extending even to the finest detail, not only in style and technique, but in content and motif as well.“ (Shaw/Weibel 2001, S.121) 36 37 Weiters zeigt die Seltenheit von Arbeiten wie William Basinskis „Disintegration Loop Youngblood und Adorno von Bild bzw. Ton forderten. Weiters soll diese 1.1“, dass es sehr wenige Arbeiten gibt, die das Prädikat „Synästhetisch“ tatsächlich Projektionsfläche auch entsprechend Raum für die Musik schaffen und ihr das verdienen – also Arbeiten, die über ein ausgewogenes und tiefer greifendes Verhältnis Potential zur vollständigen Entfaltung geben. von Bild und Ton verfügen. Es sei denn, es handelt sich um Arbeiten, welche die Synästhetik – meist auf technologischer Basis – zu ihrer einzigen Daseinsberechtigung Diese Überlegungen schlagen sich formal in einem Konzept nieder, das seine Wurzeln heranziehen und deren Resultat primär technische Spielereien darstellen und sich in in der frühesten Filmgeschichte hat: dem Film mit Live-Musikbegleitung. Dieser einem geschlossenen Kreislauf abspielen, wie man sie auf jedem Festival für digitale Schritt ermöglicht eine klare Trennung der Inhalte: Die rein visuelle Ebene besteht aus Medien in großer Zahl vorfindet. Die Zeiten, in der die Synästhetik den einer sehr persönlichen Sichtweise auf die Stadt Tokio, die gleichzeitig in der Art des theosophischen Visionen eines Skrabjins diente, sind also einer „anything goes“- Autorenfilms eine Selbstreflexion auf das filmische Medium darstellt. Die Mentalität gewichen: Die technischen Möglichkeiten werden ausgereizt und als Verweigerung einer touristischen Sichtweise geht mit einer Fokussierung auf die Rechtfertigung gegen den Vorwurf der Inhaltslosigkeit angeführt. So werden in Person einher. Kombiniert mit einer Montage der Kontemplation, die zunehmend die diesem Kontext Schlagworte wie Expanded oder Synästhetisch ebenfalls inflationär aktive Beteiligung des Zusehers erfordert, sowie der Reflexion auf den Film mit den und teilweise ungerechtfertigt benutzt, wenn man Expanded nicht bloß als technische inhärenten Parametern Schnitt, Zeitlupe, Zeitraffer, Überblendung, Standbild und Erweiterung im Sinne einer Multiscreen-Projektion oder eines interaktiven Films und Belichtungsdauer als primäre Gestaltungsmittel, soll dem Zuschauer eine neue Synästhesie nicht als oberflächliche Parallelität oder rein technische Verbindung von Möglichkeit der Wahrnehmung mit Raum für eigene Interpretationen geschaffen Bild und Ton versteht. werden. Die auditive Ebene besteht aus der Performance ein oder mehrerer Musiker, Mit diesen Vorüberlegungen, die aus der Recherche entstanden sind, versuchte ich, die neben der Leinwand in Echtzeit einen Soundtrack improvisieren. Durch die das Konzept des Films zuerst aus der inhaltlichen Seite zu erarbeiten, bevor ich auf die Präsenz der Musiker und die Offenheit der Bilder entsteht Freiraum für musikalische formale Gestaltung überging. Dieser Schritt sollte die Diskrepanz zwischen Inhalt und Interpretation (hier allerdings nicht als Interpretation im herkömmlichen Sinn als Form überwinden, um ein schlüssiges Zusammenspiel meiner künstlerischen Intention Verarbeitung einer Notation), die sich im Kollektiv zur Improvisation entwickelt, und der Art der Darstellung sowie der Verbindung von Bild und Ton zu gewährleisten, welche die Musik vom Diktat des Bildes befreien soll und ihr jegliche Einschränkung indem die formale Ausführung in ein wechselseitiges Verhältnis zum Inhalt sowie den nimmt. So entsteht ein Spannungsfeld zwischen Filmprojektion, Zuseher und Musiker technischen Gegebenheiten gestellt wird. Rein inhaltlich ließen sich zu Beginn zwei im youngbloodschen Sinn des „synästhetischen Kinos“, welches im Vergleich zu einer Bereiche klar abstecken: Die Stadt Tokio und improvisierte Musik. Nun wollte ich den herkömmlichen Tonspur vielleicht nicht jene dramaturgische Qualität und Präzision dokumentarischen Aspekt der Arbeit in den Hintergrund stellen und die Thematik auf aufweist, aber eben die der Improvisation inhärente Spannung und Unberechenbarkeit. eine persönliche Weise verarbeiten: Tokio und improvisierte Musik als in sich Diese zusätzliche Qualität ist nun primär in der Performance selbst spürbar, und so verschränkter Themenkomplex, der selbst von mir persönlich nicht zur Gänze sind die daraus entstandenen DVDs als Dokumentation und nicht als Endprodukt zu entschlüsselt ist und so vielmehr eine Projektionsfläche unterschiedlichster Sehnsüchte verstehen. und Vorstellungen darstellt. Nun gilt es, eben diese Projektionsfläche auch für den Geräuschkulisse erwarten, sind es eben im Gegenteil die Passagen der Stille, welche Zuschauer oftmals eine Improvisation ausmachen. Nichtsdestotrotz bietet das Medium DVD darzustellen, ohne mit der Berechnung eines „kalkulierten Wirkungszusammenhangs“ die Erwartungen der Zuschauer zu befriedigen, wie es 38 Während wir von einer Fernsehübertragung Möglichkeiten, die über die bloße Dokumentation hinausgehen: 39 eine fortlaufende Die erste Disk enthält Multi-Angle-Aufnahmen der Aufführungen, bei denen zwischen Interviews aufgenommen wurden, und die im Bild versteckten Details oftmals mehr der Performance-Situation und einer Vollbild-Version gewechselt werden kann. Dies als das Aufzählen von Namen. Die zwei entstandenen DVDs beleuchten also das ermöglicht einen Vergleich der Wirkung von Bild und Ton im Hinblick auf den Phänomen der Improvisation in Tokio aus verschiedenen Blickwinkeln, was dem Charakter der Live-Aufführung, im Vergleich zu der gewöhnlichen Weise, bei welcher Zuschauer vielleicht ein Stück weit die persönliche Faszination vermitteln kann und der Aspekt der Musikproduktion für den Zuseher undurchsichtig bleibt. Mit der andererseits tatsächlich Interesse an der japanischen Kultur und der improvisierten Einteilung der Szenen in DVD-Kapitel Musik erwecken vermag. ist die Möglichkeit, verschiedene Performancesituationen und Audiospuren untereinander zu vergleichen, gegeben, welche eine persönliche Reflexion über den ursprünglichen (also nicht im 1.4 Reflexion über die (Un-)Möglichkeit des Titels youngbloodschen Sinne) Begriff der Synästhetik ermöglicht. Da die Notwendigkeit einer Tonspur von inhaltlicher Seite gegeben ist, schlägt sich Von der physikalischen Unmöglichkeit eines Endes der Welt abgesehen, scheint dies auch in der formalen Ausführung nieder, die eine neue Verbindung von Bild und „Oder: Das Ende der Welt“, in Anlehnung an Haruki Murakamis „Hard Boilded Ton vorschlägt. Die Aufführung als Musikkonzert mit Filmbegleitung oder als Wonderland“, als Projekttitel aus europäischer Sicht einleuchtend zu sein, sowohl als Filmvorführung mit Musikbegleitung: der Zuschauer allein entscheidet, welchem geographischer Fakt sowie als kulturelle Projektion. Wie sieht es aber mit den Wahrnehmungskanal er den Vorzug gibt oder ob er sich auf die Forderung Bewohnern am Ende der Welt aus? Mit dieser Frage wurde ich konfrontiert, als ich die Youngbloods einlässt und seine aktive Rolle einnimmt, die im Idealfall zu einem Möglichkeit bekam, die Premiere meines Projekts in einer Galerie in Japan zu übersummativen, Das veranstalten. Die Situation wurde noch ein Stück komplexer, indem ein japanischer Zusammenspiel von Bild und Ton wird von jedem einzelnen fortlaufend auf seine Musiker, der Saxophonist Takumi Ito, sich bereit erklärte, den musikalischen Teil zu Qualitäten abgetastet, und so wird es, wie bei der improvisierten Musik selbst, eher auf übernehmen. Mein ursprünglicher Gedanke, den Raum Tokio mittels des Films an einzelne Momente und Fragmente ankommen als den generellen Spannungsbogen. verschiedene Orte zu transferieren, war der einzigartigen Möglichkeit, einem Der Film scheint seiner Linearität entkommen zu können, indem die improvisierte japanischen Publikum meine Arbeit näher zu bringen, gewichen. Während der Musik eine Unabhängigkeit und Expressivität beweist und sie gemeinsam zu Organisation dieser Vorführung vor Ort wandelte sich durch die Dauer des Aufenthalts Momenten der Erinnerung verschmelzen, die mühsam gestreckt oder scharf auf den parallel dazu auch mein Blick durch die Kamera. Beim Selektieren der ausgewählten Punkt gebracht erscheinen, die unabhängig voneinander sich parallel entwickeln oder Aufnahmen fiel meine Wahl intuitiv auf jene, die Personen im Mittelpunkt hatten: Der sich wie Parabeln immer näher kommen: es liegt am Zuseher, dies zu erfahren. kurze wahrnehmungserweiternden Gesamteindruck führt. Augenblick, in dem man eine Personengruppe in verschiedensten Konstellationen auf der gegenüberliegenden Straßenseite erblickt, die einzelne Person Die zweite Disc enthält einen dokumentarischen Teil mit Konzertaufnahmen und in sich versunken in einer für Tokio surreal wirkenden Gartenlandschaft, Interviews. Die Konzertaufnahmen von improvisierter Musik in Tokio sollen, trotz der verschmelzende Menschenmassen, die sich geisterhaft über die Straßen bewegen. Der angesprochenen Unmöglichkeit der medialen Reproduzierbarkeit, einen Einblick in Mensch als konstituierender Moment des Raumes, der allein meinen Blick reflektieren die Vielfalt und den Aspekt der Performance ermöglichen. Ebenso ermöglichen die zu vermag. Das persönliche Ende der Welt, für einen Taxifahrer in Tokio stellt es nur Interviews einen persönlichen Einblick in das Schaffen zweier Hauptakteure der Szene einen weiteren Stopp in Shibuya dar, ehe er wieder in die Nacht eintaucht. Scheinbar in Tokio, aber wie auch hier ersichtlich wird, sagen die Umgebung, in der die alltägliche Situationen werden durch die Möglichkeiten des Kinoglaz, wie sie Dziga 40 41 Gestaltungsprinzipien des Found-Footage-Films. Vertov in seinem Text „Kinoki – Umsturz“ 1923 beschrieb (vgl. Albersmeier 1979, S. 24-38), zur Projektionsfläche für eigene Interpretationen, und somit bleibt auch in der komplexen Situation vor japanischem Publikum und japanischer Improvisation die von Sarah Pötzelsberger Möglichkeit einer Reflexion über das Gesehene gegeben. „Oder: Das Ende der Welt“ bezieht sich also nicht mehr explizit auf die Stadt Tokio, sondern bezeichnet jenen unzugänglichen Gedankengang, den der Zuseher verfolgt, wie auch die Route des Der Begriff Found-Footage bezeichnet Filme, die nicht aus eigens für diesen Zweck Taxis verborgen bleibt: Sie treffen sich lediglich in jenem Augenblick, in dem der Ort gedrehtem Material bestehen, sondern Material wieder verwenden. Dieses Material und der Moment sowie Bild und Ton zusammentreffen, wo die Zeit still zu stehen kann ganz unterschiedlicher Natur sein – Homevideos, Archivaufnahmen, Pornos, scheint, um danach wieder getrennt ihren Weg zu gehen. Eben dieser Punkt, in dem Spielfilme etc. Ort und Moment nicht mehr voneinander sprachlich zu trennen in eine übersummative In ihrem Bezug zur Realität kann man diese jedoch in unterschiedliche Methoden Wahrnehmung münden, markiert einen Endpunkt oder eine Grenze. „Die Grenzen unterscheiden – in die Methode der Kompilation, der Aneignung und der Collage. meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“ schrieb Ludwig Wittgenstein im Tractacus Logicus Philosophicus. Diese definierte Grenze führt unter dem Kompilation – Hier stimmen Realität und Repräsentation überein, historische Bezüge synästhetischen Paradigma zu folgender Schlussfolgerung über die entstandene Arbeit: etwa bleiben erhalten. Diese Methode wird vor allem in Dokumentarfilmen verwendet. Die Grenzen meiner (filmischen) Sprache sind die Grenzen deiner (VorAneignung – Bei dieser Methode steht das Bild im Vordergrund, historische Bezüge stellungs-)Welt. etc. werden vernachlässigt, Bezugspunkt sind die Medien, nicht die Realität. Diese Literatur: Albersmeier, Franz-Josef (Hrsg.): Texte zur Theorie des Films (1979) Stuttgart: Reclam. Henritzi, Michael: Extreme Contemporary: Japanese music as radical exoticism. In: Japanese Independent Music (2001) Frank Stofer (Hrsg.), Bordeaux: Sonore. Shaw, Jeffrey/ Weibel, Peter (Hrsg.): Future Cinema (2001) Cambridge: MIT Press. Form des Found-Footages wird häufig in Musikvideos eingesetzt. Collage – Diese Form des Found-Footages liegt zwischen den beiden anderen, sie bezieht sich sowohl auf die Realität, als auch auf ihre mediale Entsprechung. Und Albert Allgaier, geboren 1983. Studium Kommunikationsdesign an der FH Vorarlberg. Derzeit Studium Japanologie und Philosophie an der Universität Wien. Kontakt: [email protected] hinterfragt damit kritisch die Medien und ihre Strukturen. Die meisten Filme, die als Found-Footage-Filme bezeichnet werden – also künstlerische oder experimentelle Filme – fallen in diese Kategorie. (vgl. Wees, Repräsentation, 40-52) Das Wieder-Verwenden von Material beschränkt sich jedoch nicht nur auf den FoundFootage-Film: Collage, Montage, Sampling – alle diese Begriffe bezeichnen die Praxis des Gestaltungsmittels der Wiederverwendung. In der bildenden Kunst verwenden es etwa alle modernen Kunstrichtungen, egal ob Dadaisten, Futuristen oder Surrealisten. In der Literatur gibt es etwa bei James Joyce Montageverfahren. In der Musik ist seit 42 43 den 80ern und der Möglichkeit des digitalen Samplens das Wieder-Verwenden weit Grafische Assoziationen bauen dagegen auf einem ähnlichen Bildaufbau aufeinander verbreitet, war jedoch schon früher ein häufiges Stilmittel. folgender Bilder auf, wenn etwa verschiedene runde Formen aneinander geschnitten Die zwei wichtigsten Filmmontage-Schulen – der klassische Hollywood-Schnitt und werden. die russische Filmavantgarde – haben beide einen Einfluss auf den Found-FootageFilm. Vom unsichtbaren Schnitt Hollywoods, der der Erzählung dient und die Schnitte Betrachtet man assemblageartige Found-Footage-Filme als Ganzes wird auch eine eben möglichst kaschieren soll, zweckentfremdet der Found-Footage-Film die übergreifende Struktur der Filme wichtig, die Makroebene. Dabei handelt es sich um Strategien zur Herstellung einer einheitlichen Filmzeit und eines einheitlichen Schemata, in die die Zuseher das Gesehene einzubetten versuchen. Filmraums. So werden verschiedene Filme etwa mit Schuss-Gegenschuss oder match Er beginnt dabei mit einer narrativen Struktur. Ist es ihm nicht möglich, die Bilder in cut verbunden. eine „Geschichte“ einzubetten, wird als nächstes ein thematisches Schema angelegt Die russische Filmavantgarde steht dem Found-Footage-Film jedoch näher, da sie und versucht das Gesehene in ein ähnliches Themengebiet einzubetten. auch die Auffassung hat, dass eine Einstellung ein Baustein ist. Und aus diesen Gelingt auch das nicht, folgt als letzter Schritt das atmosphärische Schema. Hier „Bausteinen“ kann etwas Neues „gebaut werden“ und neuer Sinn erzeugt werden. orientiert sich der Zuschauer einfach an dem „Gefühl“, das der Film hinterlässt und Der Found-Footage-Film verwendet also viele Gestaltungsmittel des „normalen“ macht sich so auf die gesehenen Bilder einen Reim. Es bleibt ein Angst einflössender, Films, hat jedoch auch seine eigenen Gestaltungsprinzipien – den strukturalistischen erotischer, lustiger oder verstörender Film. Ansatz und Found-Footage-Film als Assemblage. Diese können auch beide in einem Film verwendet werden. Dies sind die grundlegenden Strukturen, mit denen man Found-Footage-Filme „erklären“ kann, so weit das notwendig und erwünscht ist. Denn Found-Footage-Filme Strukturalistischer Found-Footage-Film beschäftigt sich mit den grundlegenden sollen nicht eindeutig sein, sondern zum Nachdenken, zu eigener Aktivität beim Elementen des Mediums – also mit Zoom, Kader, Negativfilm, dem Filmmaterial an Zuseher anregen. sich etc. Er steht in der Tradition des strukturellen Films etwa von Michael Snow, Peter Kubelka oder Kurt Kren. Vertreter des strukturalistischen Found-Footage-Films sind etwa Martin Arnold oder die Gruppe „schmelzdahin“, die das Filmmaterial häufig Verwendete Literatur: Wees, William C. (1992). Found Footage und Fragen der Repräsentation. In: Hausherr, Cecilia/ Settele, Christoph (Hg.): Found Footage Film. Luzern: VIPER/zyklop verlag, S. 36 -54. mit Bakterien oder Chemikalien versetzt. Der assemblageartige Found-Footage-Film arbeitet mit dem Herstellen neuer Bedeutungen zwischen verschiedenen Filmen. Auf der Ebene der einzelnen Bilder, des Schnitts – also der Mikroebene – werden hierfür konzeptuelle und grafische Sarah Pötzelsberger lebt in Wien und hat mit der Diplomarbeit „Vom Suchen und Neuerfinden. Verfahren zur Wiederverwendung in Film, Kunst, Literatur und Musik anhand des österreichischen Found-Footage-Films“ ihr Informations-Design Studium an der FH Joanneum Graz beendet. www.sarahpoetzelsberger.net, [email protected] Assoziationen verwendet. Konzeptuelle Assoziationen basieren auf dem thematischen Gehalt der Bilder. Hier werden etwa Metaphern als Verbindungselement verwendet, in Found-Footage-Filmen sind etwa sich öffnende Blumen und spritzende Schläuche oft sexuelle Andeutungen. 44 45 Bilder des Jüdischen im österreichischen Kinofilm nach 1945. das keineswegs homogen ist, weder entlang der Zeitachse noch auf einer fiktiven Intensitätsskala. Bei der Analyse dieses Bildes, dieses Images gehe ich von einigen zentralen Prämissen von Johannes Hofinger aus; zwei seien an dieser Stelle genannt: 1) Das filmische Image – verstanden als visuelle Repräsentation mit impliziter Der vorliegende Artikel stellt die verschriftlichte Fassung eines Referats am Konnotation – ist unter anderem geprägt von den gesellschaftlichen, kulturellen filmwissenschaftlichen Symposion des Filmfestivals film:riss 06 an der Universität und politischen Bedingungen der Entstehungszeit des jeweiligen Films und der Salzburg dar. Diese Druckfassung geht nicht nur auf den Inhalt meiner Dissertation ein, an der ich nun seit zwei Jahren arbeite, sondern stellt vor allem die Methodik und Wechselwirkungen zwischen filmischer und realer Welt. 2) Ebenso bestimmend ist das an der Herstellung beteiligte Filmteam, wobei die den Aufbau meiner Arbeit zur Diskussion. einzelnen Motivationen an der Mitwirkung in der filmischen Kreation des Zunächst zum Inhalt und Aufbau meiner Dissertation am Fachbereich für Geschichts- Jüdischen von Interesse sind. Verwiesen sei auf Entlastungsstrategien in der und Politikwissenschaft der Universität Salzburg zum Thema „Bilder des Jüdischen im unmittelbaren Nachkriegszeit anhand der Personen G.W. Pabst, Karl Hartl oder österreichischen Kinofilm nach 1945“. Paula Wessely. In den sechzig Jahren von 1945 bis 2005 verschiebt sich dieses „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben ist barbarisch, und das frisst auch die Bild sowohl inhaltlich als auch – der technischen Entwicklung folgend – Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu filmisch-formal. schreiben.“ Theodor W. Adornos Postulat aus dem Jahr 1951 über die Unmöglichkeit Die Dissertation selbst umfasst zwei etwa gleich umfangreiche Teile. Der erste von Lyrik nach dem Holocaust steht stellvertretend für die Ohnmacht der „Schönen Abschnitt stellt chronologisch jene Filme vor, die ein bestimmtes Image des Jüdischen Künste“ und ihre Verstrickungen in das System des Dritten Reiches. Nach dem Ende erzeugen. Daher wird zunächst der Inhalt dieser Filme kurz skizziert und das speziell des so genannten Tausendjährigen Reiches stellte sich die Frage, wie man künstlerisch Jüdische daran herausgestrichen. Dies ist notwendig, da die Qualität und die Quantität mit der menschlichen Katastrophe des Holocaust umgehen soll bzw. umgehen kann der Darstellung des Jüdischen sehr unterschiedlich sind, zwei Beispiele seien bzw. muss. Diese Problematik wurde nicht nur im Bereich der Lyrik und der Prosa angeführt: In Franz Antels Film Der Bockerer aus dem Jahr 1981 taucht lediglich der virulent, sie gilt im demselben Maß auch für das noch junge Medium Film, das in der Rechtsanwalt Rosenblatt, dargestellt von Heinz Marecek, als handelnde Figur auf. Auf NS-Zeit in den Dienst der politischen Propaganda genommen wurde und diese der narrativen Ebene fungiert er sozusagen als das einzige jüdische Element der willfährig ausführte. Wie also nach 1945 mit dem Holocaust, mit dem Leiden und der Erzählung. Demgegenüber steht Robert Schindels und Lukas Stepaniks Film Gebürtig Vernichtung der europäischen Juden, ja, mit jüdischem Leben ganz generell filmisch aus 2002, in dem ein Sittenbild des jüdischen Wiens zur Zeit der Waldheim-Affäre umgehen? gezeichnet und der gesamte Film somit aus einer jüdischen Perspektive erzählt wird. Grundannahme meiner Dissertation ist, dass österreichische Filmschaffende (meine Nach dieser kurzen Wiedergabe des Inhalts und der besonderen Betonung des Aspekts Analyse richtet den Blick vor allem auf Regisseure, Produzenten, Drehbuchautoren des Jüdischen im jeweiligen Film wende ich mich dem weiten Feld der sowie auf die an den Filmen mitwirkenden Darstellerinnen und Darsteller) in den Produktionsbedingungen und der zeitgenössischen Rezeption zu, die die spezielle sechzig Jahren seit 1945 ein bestimmtes Bild des Jüdischen im österreichischen Film historische Dimension meiner Arbeit beinhaltet. Wieder gehe ich von einer generiert haben, bewusst oder unbewusst sei an dieser Stelle ausgeklammert; ein Bild, Grundannahme 46 aus, derzufolge jede Filmproduktion 47 eine unterschiedliche Entstehungsgeschichte vorzuweisen hat, die im einen Fall unproblematisch, unwidersprochen und ohne größere Skandale verläuft, im anderen • der beinahe ausschließlich auf die Hauptstadt Wien bezogene Handlungsort, der von filmtechnisch einerseits die Zentralisierung des österreichischen Films Schwierigkeiten aller Art begleitet wird. Diese herauszuarbeiten und in den widerspiegelt, andererseits historisch betrachtet aber auch mit der Struktur der gesamtgesellschaftlichen Kontext zu stellen, ist Teil dieses ersten Abschnitts. jüdischen Gemeinde Österreichs sowohl vor 1938 als auch nach 1945 Im filmwissenschaftlichen Jargon gesprochen, beschäftigt sich dieser erste Teil meiner zusammenhängt. Arbeit primär mit den beiden Ebenen der Produktionsbedingungen und der Rezeption • Natürlich die Frage nach der Repräsentation von Mann und Frau im Film, nach des Films; nur in summarischen Ansätzen gehe ich auf das Produkt selbst ein, vor Juden und Jüdinnen und deren Handlungsspielräumen. Hier lässt sich keine allem hinsichtlich der Repräsentation des Jüdischen im jeweiligen Film. einheitliche Entwicklungslinie verfolgen, vielmehr müssen die weiblichen Inhalt und Umfang des zweiten Teils meiner Dissertation sind noch nicht endgültig fixiert, einige zentrale Ansätze der Analyse liegen jedoch auf der Hand. Fest steht, dass sich dieser Abschnitt nun ausschließlich mit den Filmprodukten, richtiggehend: mit den narrativen Inhalten dieser Produkte, beschäftigt. Die Chronologie des ersten Teils wird insofern gebrochen, als sie zugunsten eines Vergleichs von unterschiedlichen Einzelaspekten zunächst aufgehoben wird; beispielsweise der Aspekt des filmischen Handlungsorts, seine Kontinuitäten und Brüche in heimischen Spielfilmen. Innerhalb des jeweiligen Vergleichs folge ich jedoch wieder einem chronologischen Muster und benenne Filme von 1945 bis heute, um Aussagen über die Verlaufsform der Repräsentation treffen und sie mit der sozialen, politischen und Charaktere in Beziehung zur Funktion innerhalb des Films und zur Rolle der Frau im jeweiligen historischen Abschnitt der österreichischen Gesellschaft betrachtet werden. • Das Kriterium der Sprache im Film als Ausdruck sozialer, politischer und natürlich gruppenspezifischer Zugehörigkeit weist im Bereich der Repräsentation des Jüdischen eine große Bandbreite auf. Vom jiddelnden Kaftanjuden als Sinnbild des ärmlichen, unterprivilegierten und ungebildeten Ostjuden bis hin zum exakt hochdeutsch artikulierenden jüdischen Schauspieler, Rechtsanwalt, Literaten, also der – ebenfalls stereotypisierten – Repräsentation des assimilierten „Upper Class“-Juden. filmwirtschaftlichen Entwicklung Österreichs in Beziehung setzen zu können. Am Ende dieser Ausführungen soll noch ein Blick auf die einzelnen Filme und die Einige Punkte dieses zweiten Abschnitts, die fix in meiner Analyse thematisiert unterschiedlichen Abschnitte der Repräsentation des Jüdischen in den letzten sechzig werden, sollen kurz angesprochen werden. Sie erheben weder Anspruch auf Jahren geworfen werden. 60 Jahre österreichische Filmgeschichte können demnach in Vollständigkeit noch geben sie in ihrer Aufzählung eine Hierarchie wieder – weder vier Epochen geteilt werden, wobei jede sich in sehr eigener, manchmal auch innerhalb der einzelnen Filme, noch in meiner Analyse selbst. eigentümlicher Art und Weise dem Thema Judentum, jüdisches Leben und Holocaust In der Generierung der filmischen Jüdin / des filmischen Juden lassen sich dominante widmet. Strategien bzw. Topoi der visuellen Repräsentation dingfest machen: Die vier Unterteilungen mit ihren jeweils für die Analyse entscheidenden Filmen • Etwa die entlang der Zeitachse konstant zu beobachtende inhaltliche Fixierung lauten wie folgt: auf die Zeit des Nationalsozialismus als thematischen Fluchtpunkt jeder a. Zwischen Visualisierung; angefangen von Der Engel mit der Posaune und Das andere Kriegsende und Staatsvertrag (1945–1955): Vertriebene, Alliierte und der entnazifizierte Walzertakt Leben aus dem Jahr 1948 bis hin zu Gebürtig und Epsteins Nacht aus 2002 – Der Prozess (Ö 1948; G.W. Pabst) bzw. 2004; – Das andere Leben (Ö 1948; Rudolf Steinboeck) – Der Engel mit der Posaune (Ö 1948; Karl Hartl) 48 49 Heimkehrer, – Der letzte Akt (Ö 1955; G.W. Pabst) b. Heimatfilm, Erotik und der ORF (1955 – 1980) – Du bist die Welt für mich (Ö 1953; Ernst Marischka) Das französische Autorinnenkino der 90er Jahre. Geschlechterverhältnisse, Fraue nfiguren und Sexualität. von Simone Weinbacher – Bel Ami (Ö/F 1955; Louis Daquin) – Mit Himbeergeist geht alles besser (Ö 1960; Georg Marischka) c. Von der US-Serie „Holocaust“ zu Waldheim zum „Bedenkjahr“ 1988 (1980 – 1995) – Der Bockerer (Ö/BRD 1981; Franz Antel) – Welcome in Vienna (Ö 1986; Axel Corti) – 38 – Auch das war Wien (Ö/BRD 1986; Wolfgang Glück) – Johann Strauß – Der König ohne Krone (Ö/F/BRD/DDR 1987; F. Antel) – Weiningers Nacht (Ö 1990; Paulus Manker) d. Initialzünder „Schindlers Liste“ (1995 – 2005) – Mutters Courage (D/Ö/GB 1995; Michael Verhoeven) – Hannah (Ö 1996; Reinhard Schwabenitzky) – Der Bockerer II – Österreich ist frei (Ö/D 1996; Franz Antel) – Comedian Harmonists (D/Ö 1997; Joseph Vilsmaier) – Viehjud Levi (D/CH/Ö 2000; Didi Danquart) – Sunshine – Ein Hauch von Sonnenschein (H/D/CD/Ö 2000; Istvan Szabo) – Gripsholm (D/Ö 2001; Xavier Koller) – Gebürtig (Ö/D/PL 2002; Lukas Stepanik und Robert Schindel) – Taking Sides – Der Fall Furtwängler (H/D/F/Ö 2003; Istvan Szabo) – Epsteins Nacht (D/CH/Ö 2004; Urs Egger) – Klimt (Ö/D/F/GB 2005; Raoul Ruiz) Wenn der Film und das Kino im eigenen Leben einen wichtigen Stellenwert einnehmen, wird man es als Frau oftmals leid, den Blick der Kamera und die Identifikation durch einen männlich dominierten Blick wahrzunehmen und den vielen männlichen Protagonisten durch ihre Veränderungen und „Heldenreisen“ zu folgen. Von etwa 20.000 Regisseurinnen/Regisseuren, die es auf der Welt gibt, sind nur 600, also etwa drei Prozent weiblich. Eine Ausnahme stellen die frankophonen Länder wie etwa Frankreich dar, in denen in den letzten 20 Jahren so etwas wie ein Gleichheitsgedanke aufkommt. Doch setzt man sich mit Regisseurinnen des französischen AutorInnenkinos auseinander, ist es immer unumgänglich, sich zu fragen, inwieweit man dadurch kategorisiert. Border Line (1992) von Daniele Dubroux, On avoir (ou pas) (1995) von Laetitia Masson, La nouvelle Eve (1999) von Catherine Corsini, Romance (1999) von Catherine Breillat und La captive (2000) von Chantal Akerman stellen fünf interessante Beispiele dieses späten französischen Johannes Hofinger, geb. 1978, in Grieskirchen / OÖ. Studium der Geschichts- und Politikwissenschaft an der Universität Salzburg. Publikation der Diplomarbeit: „Die Akte Leopoldskron. Max Reinhardt – Das Schloss – Arisierung und Restitution“, erschienen im Verlag Anton Pustet, Salzburg 2005. Derzeit Dissertationsstudium an der Universität Salzburg. Kontakt: [email protected] Autorinnenkinos dar. Es stellen sich diverse Fragen: Gibt es einen weiblichen Blick, der sich von der männlichen Sichtweise unterscheidet? Wie sehen die Filme solcher Frauen aus? Und im speziellen: Gibt es Gemeinsamkeiten in ihrer Darstellungsform? Wie stellen sich die Geschlechterverhältnisse in diesen Filmen dar, wie definieren sich die Frauenfiguren, und wie gehen sie mit ihrer Sexualität um? Die Sexualität ist deshalb 50 51 wichtig, da es immer wieder die Fragen nach dem Platz in der Gesellschaft und der Schon Annette Kuhn stellte Anfang der 90er fest: „More women have taken an active eigenen Identität sind, in denen ich eine Gemeinsamkeit der Protagonistinnen dieser part in French cinema than in other national film industry.“ (Kuhn/Radstone 1990, S. Filme sehe. Gleichzeitig sehe ich in der Situation der inszenierten Sexualität fiktiver 163) 1949 war Jacqueline Audry, abgesehen von einigen wenigen, die Kurzfilme oder Personen sowie einer durch diese inszenierte Person erzeugten Intimität einen Dokumentationen machten, die einzige weibliche Regisseurin für Spielfilme in entscheidenden Moment der Identität dieser Figuren. Durch die vorherrschende Frankreich. 50 Jahre später gab es immerhin mehr als fünfzig weibliche Regisseure für heterosexuelle Matrix, die den Mann in einer patriarchalen Gesellschaft als Langspielfilme. Im Jahre 1999 entstanden mehr als 19 Filme von Regisseurinnen, die Ausgangspunkt nimmt, definieren sich die Struktur und das Verhältnis der im Kino sowie auf internationalen Filmfestivals ihr Publikum fanden. geschlechtlichen Dichotomie. Bis heute ist diese Struktur und Sichtweise in Filmen „The presence in strength of women directors seems to be a fait accompli, even if, as vorrangig vorhanden. Francoise Audé has pointed out, their work over the decade of the 1990s as a whole actually constitutes only 14 percent of France’s annual production and is best DAS FRANZÖSISCHE AUTORINNENKINO described as ‘progress, not a tidal wave’.“ (Tarr/Rollet 2001, S. 1) Wenn man an den französischen Film denkt, denkt man gleichzeitig an die Nouvelle Am Ende dieses Jahrhunderts erreichen nun französische Filmemacherinnen auch Vague der 60er Jahre, die ihren unbestrittenen Platz in der Filmgeschichte einnimmt. außerhalb Frankreichs Popularität, wie man etwa an Retrospektiven über Claire Denis Vergebens kann man in dieser Gruppierung rund um François Truffaut und Jean-Luc oder Catherine Breillat sehen kann. Als ein Grund dafür kann angeführt werden: Godard nach Frauen, nach Regisseurinnen suchen. Es gab nur wenige Regisseurinnen, „These works have consolidated a certain pantheon of French or French-language die in dieser Zeit die Möglichkeit fanden, Filme zu machen, wie Maguerite Duras und women filmmakers in particular Germaine Dulac, Maguerite Duras, Agnès Varda, Agnès Varda, die jedoch mehr Berührungspunkte zur „Rive gauche“-Gruppe um Alain Nelly Kaplan and Chantal Akerman, whose films have made an important contribution Resnais, Chris Marker und Alain Robbe-Grillet aufwiesen, Nelly Kaplan oder, wenn to the history of European women’s filmmaking as well as to film style more man bis an die Stummfilmzeit zurückdenkt, Alice Guy-Blaché. generally.“ (Tarr/Rollet 2001, S. 1f) Doch Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre begann sich dies stark zu ändern. Zieht man einen Vergleich zwischen den USA und Frankreich, wird deutlich sichtbar, Filmemacherinnen wie Laetitia Masson, Dominique Cabrera, Pascale Ferran, Sandrine dass es in den USA 1999 nur etwa 10,2 Prozent und 1985 nur 4 Prozent weibliche Veysset, Agnes Jaoui, Nicole Garcia, Laurence Ferreira Barbosa, Tonie Marshall, Filmemacher, im Gegensatz dazu in Frankreich schon in den 80ern 6,4 Prozent und in Coline Serreau, Claire Denis oder Catherine Breillat haben sich in der französischen den 90ern 13,7 Prozent weibliche Regisseure gab. Während in den 70ern der Filmlandschaft seit den 90er Jahren etabliert und es gleichzeitig geschafft, sich nicht feministische Filmgedanke im Vordergrund stand, wurde in den 80ern vor allem auf unter der Bezeichnung des „Frauenfilms“ in ein Eck drängen zu lassen. Sie haben sich das wenig politische Mainstreamkino „Cinema du look“ gesetzt, wobei zugleich die vom Pariser Mikrokosmos entfernt und mit einer ungeheuren Bandbreite an sozialen Frage aufkam, was Frauen für das Kino als Frauen mitbringen. und Gleichzeitig Als 1987 neben anderen Chantal Akerman postulierte „The idea of women’s cinema ermöglichen sie durch ihre vielseitigen Frauenfiguren unterschiedlichste Rollen für was ‚outdated’“ (Austin 1996, S. 82) und Coline Serreau erklärte „Je ne suis pas une Schauspielerinnen, was mitunter auch daran liegen kann, dass viele von ihnen selbst femme qui fait du cinéma“ (Hayward 1993, S. 258), brachten sie und andere damit eine Schauspielerinnen sind. wichtige Problematik auf den Punkt. Viele Regisseurinnen wollten nicht mehr als gesellschaftlichen Thematiken neue Sichtweisen eröffnet. Filme machende Frauen gesehen werden und wehrten sich gegen Begriffe wie 52 53 „Frauenkino“ und „Frauenfilm“. Oft wurden Regisseurinnen miteinander verglichen größeres Budget für ihre Filme zu bekommen und machen vermehrt Filme, die sich mit oder in einen Topf geworfen, auch wenn ihre Filme komplett unterschiedliche Themen der Präsentation von Bedürfnissen und Identitäten von Frauen im mittleren Alter behandelten. Viele Regisseurinnen wollten ihren Film auch nicht mehr auf dem Créteil beschäftigen. Auf der anderen Seite gibt es eine junge Generation von in den 60er/70er International Women´s Film Festival zeigen, um sich nicht kategorisieren zu lassen. Jahren geborenen Filmemacherinnen, von denen viele das FEMIS (Institut de Diese Sichtweise ist bis heute erhalten und auch eine wichtige, um Film nicht im Formation et d’ Enseignement pour les Métiers de l’Images et du Son) besuchten und Vorhinein durch das gender der/des Regisseurin/Regisseurs zu kategorisieren, sondern eine große Kenntnis über die Filmkultur und einen anderen Zugang durch ihre um mit einem gender-neutralen ersten Eindruck zu beginnen. Interessant bleibt jedoch, Ausbildung zeigten. Dazu gehören Filmemacherinnen wie Laurence Feirreira Barbosa, in Agnès Merlet, Martine Dugowson und Pascale Ferran sowie Christine Carrière, Noémie einer weiterführenden Analyse eines Films das gender der/des Regisseurin/Regisseurs unter anderen Aspekten zu bedenken. Lvovsky und Laetitia Masson. Ihre Filme konzentrieren sich stark auf die komplexe, Seit Mitte der 90er Jahre hat sich nun einiges verändert: „In the mid to late 1990s, ruhelose junge Protagonistin, die sich auf den konventionellen Feminismus bezieht. Die however, there has been a further quantitative and qualitative shift in women’s Regisseurinnen werden oft als „Le jeune cinéma français“ bezeichnet. Diese Filme von filmmaking, as well as a shift in the political climate in France. On the one hand, the einer neuen Generation junger Regisseurinnen können durchaus als eine „‘retour du decade is marked by the growing recognition of the work of a generation of women politique’, especially in their articulation of female subjectivities and desires“ gesehen directors who started making films in the late 1980s and early 1990s. [...] On the other werden. hand, a new generation of women filmmakers has emerged, born in the 1960s.“ Ab dem Jahre 2000 finden sich neue Schwerpunkte (z.B. häufigeres Entstehen von (Tarr/Rollet 2001, S. 5f) Dokumentationen) und Veränderungen, da viele Filmemacherinnen bei ihren zweiten Während in den 80er Jahren Filme von Frauen oft von der Filmkritik ignoriert wurden, oder dritten Filmen anders agieren als bei ihren Erstlingswerken. Wichtige Filme 2000 werden Ende der 90er Jahre fast alle Filme von Regisseurinnen (auch waren Le Goût des autres von der Schauspielerin und Regisseurin Agnés Jaoui, der mit Dokumentationen) rezensiert. Wurden in den 80er Jahren Filme von Frauen dafür mehr als drei Millionen Zuschauerinnen/Zuschauern einen großen Erfolg erzielte, sowie gelobt, keine feministischen Filme zu sein oder Filme, die sich nicht mit auch ihr nächster Film Comme une image 2004. Einer der bis heute meist diskutierten Frauenproblematiken auseinander setzten (auch wenn sie dies taten), so werden sie Filme ist Baise-moi von Virginie Despentes und mit dem Porno-Star Coralie Trinh-Thi, heute gender-neutraler bewertet. Wenn man dieser Entwicklung glauben möchte, der aufgrund seiner explizit dargestellten Sexszenen und seiner Protagonistinnen, die hieße das, dass die Regisseurinnen in der französischen Filmindustrie erfolgreich Männer zu Opfern ihrer Rache machen und töten, schockierte. wurden, weil sie die Frage nach dem Geschlecht (gender) ignorierten bzw. nicht stellten. Doch so einfach ist es nicht: „Although there is no necessary link between DIE AUSGEWÄHLTEN FILME films directed by women and films which address women’s concerns […], nevertheless Border Line (1992) von Daniele Dubroux, On avoir (ou pas) (1995) von Laetitia it is evident that some, if not most, of the films directed by women explore issues Masson, La nouvelle Eve (1999) von Catherine Corsini, Romance (1999) von relating to women, often from a woman’s point of view.“ (Tarr/Rollet 2001, S. 11) Catherine Breillat und La captive (2000) von Chantal Akerman behandeln zwar sehr Die Generation um Josiane Balasko, Claire Devers, Philomène Esposito und Coline unterschiedliche Themen, jedoch stehen ihre Protagonistinnen und deren Handeln Serreau sowie Catherine Breillat, Claire Denis, Catherine Corsini, Nicole Garcia, eindeutig im Vordergrund – abgesehen von La captive, obwohl hier auch die Frau Jeanne Labrune, Tonie Marshall und Brigitte Roüan haben die Möglichkeit, ein (Ariane) im Vordergrund steht, da sie das Objekt der Begierde des männlichen 54 55 Protagonisten (Simon) ist, was diesen Film grundlegend von den anderen Sexualpartner statt sowie der Blick der Regisseurin auf den weiblichen Körper und unterscheidet. Diese weiblichen Filmfiguren können alle als aktive handelnde Figuren dessen Inszenierung. angesehen werden. Sie verfolgen alle ihre Ziele und versuchen alles, um diese zu Gemeinsam haben die Frauen in den Filmen auch, dass sie alle eine besondere erreichen. Sie lassen sich alle auf ihre Umwelt ein und verlieren doch nie ihre Bezugsperson haben oder finden, die sich außerhalb ihrer Beziehung befindet. Familie Bedürfnisse (ihr etabliertes Ziel) aus den Augen. wird in den Filmen unterschiedlichst behandelt. Einerseits geht es um Eltern oder Eingeführt werden die Protagonistinnen entweder in einer für sie und den Filmverlauf Geschwister, andererseits (in Border Line, La nouvelle Eve und Romance) auch um wichtigen Situation oder sie werden durch eine alltägliche Szene charakterisiert, bevor Frauen, die am Ende Mütter werden. ihre eigentliche Geschichte beginnt. Das Ende der jeweiligen Filme hängt eindeutig Vergleicht man die männlichen Charaktere der Filme, findet man einerseits Männer, mit den zu Beginn des Films etablierten Bedürfnissen der Protagonistinnen zusammen. die das Objekt des Begehrens der Protagonistinnen sind, das sich deshalb stark durch Liebesbeziehungen werden in allen Filmen bewusst thematisiert. Auch die Sexualität den Blick der Protagonistinnen definiert. (Eine Ausnahme stellt hier Bruno (En avoir der Protagonistinnen nimmt in den Filmen einen hohen Stellenwert ein; sie wird aus ou pas) dar, der unabhängig von Alice in die Filmhandlung eingeführt wird und auch unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet, denen gemeinsam ist, dass sie in all diesen unabhängig von ihr existiert, womit er der einzige dieser Männer ist, der von Anfang Filmen nicht verbal tabuisiert wird. Der Umgang der einzelnen Figuren mit ihrer an ein Subjekt ist, das er bis zum Ende des Films auch bleibt.) Sexualität wird in keiner Weise gewertet. Auch leben alle Frauenfiguren, abgesehen Neben diesen Objekten der Begierde gibt es Männer, die Nebenfiguren in der von Ariane, ihre Sexualität auch außerhalb ihrer Beziehung aus. Die Sexualität der Handlung darstellen, die durch ihr Handeln die Geschichte bewusst in die Richtung Figuren macht einen Teil ihrer Identität aus und spiegelt stark ihre Bedürfnisse wider. ihrer Bedürfnisse und Wünsche zu verändern versuchen. Sie erreichen diese Interessant an der filmischen Darstellung der Sexualität ist, dass entweder (wie in Bedürfnisse am Ende jedoch nur, wenn sie sich mit den Zielen und Wünschen der Border Line und On avoir (ou pas)) nur eine kurze Einstellung den Sex andeutet, jeweiligen Protagonistin decken. wobei in beiden Filmen nur die Köpfe und Oberkörper zu sehen sind, während in den Diese Filme entsprechen einer bestehenden traditionellen narrativen Filmsprache und anderen drei Filmen diese Einstellung(en) länger dauern und der ganze Körper sichtbar versuchen eindeutig damit zu brechen. All diese Filme bedienen sich einer klassischen ist. All den Filmen ist gemeinsam, dass in Bezug auf Licht und Darstellung des narrativen Grundstruktur, in der sich die/der Protagonistin/Protagonist auf eine Reise Geschlechtsverkehrs, im Gegensatz zu „klassischen“ erotischen Szenen, die speziell begibt, an deren Ende ein im Film etabliertes Ziel steht. Dabei funktionieren diese im Hollywoodkino zu finden sind, Sexualität „natürlich“ inszeniert ist. Es gibt kein Filme nicht, wie Teresa de Lauretis in ihrer Beschreibung von Filmen, die auf eine besonderes Licht, in das diese Darstellung getaucht wird, wie es auch keine Protagonistin zentriert sind, feststellt, indem sie am Ende trotz einer weiblichen Nahaufnahmen von Brüsten und Hintern gibt. Besonders hervorgehoben werden die Protagonistin das Ziel des Mannes erfüllen. In diesem Film ist es eindeutig das Ziel Blicke der Figuren zueinander, wobei hier wiederum La captive eine Ausnahme bildet, der Protagonistin, das sich erfüllt, denn die Protagonistinnen und ihre Ziele stehen da Ariane während intimer Momente ihre Augen Simon zuliebe stets geschlossen hält. auch am Ende des Filmes im Vordergrund und nehmen von Anfang bis zum Ende Speziell bei der Inszenierung der weiblichen Sexualität drängt sich die Frage nach ihren zentralen Platz in der Handlung ein. Sie erreichen alle ihre Ziele, bis auf Simon, einem weiblichen Blick wieder erneut auf. Gerade in der Darstellung von Sexualität der als einzige männliche Hauptfigur an seinem Ziel scheitert. findet ebenfalls eine Gewichtung auf den Blick der Protagonistinnen auf ihre All diese Filme handeln wie alle klassisch narrativen Filme vom Begehren eines Subjektes, in diesem Fall dem Begehren der weiblichen Protagonistinnen, die im 56 57 Zentrum stehen und in keiner Weise zum Objekt werden, sondern immer Subjekt Abschließend soll noch festgehalten werden, dass gerade die Darstellung der bleiben. Ihr Bild, ihr „narrative image“, stützt und repräsentiert nicht den männlichen Sexualität in Filmen von Frauen eine sehr spannende und noch zu wenig untersuchte Status, sondern geht wie etwa in Romance sogar so weit, diesen Status am Ende des Thematik ist. Dabei sollten jedoch Filme von Frauen nie als kategorisierte Films zu zerstören. Die Handlungen werden nicht entsexualisiert, wie auch ihr Körper „Frauenfilme“ untersucht werden, jedoch ermöglichen sie einen weiblichen Blick. Sie nicht ein erotisches Objekt des männlichen Blickes ist. Sie werden hingegen zu erzählen vermehrt auch Filme mit Frauen als Hauptfiguren, was in einer noch stark Trägerinnen des Blickes, wobei ergänzend dazu auch im einzigen Film, in dem der männlich dominierten Filmindustrie einen wichtigen Stellenwert einnimmt und hoffen Mann Träger dieses Blickes ist und die Frau für ihn zu einem sexualisierten Objekt lässt, dass weibliche Hauptfiguren in Filmen keine Besonderheit mehr darstellen wird, dieser genau daran scheitert. Die Protagonistinnen beobachten auch das werden. Weiteres ist eine Weiterentwicklung und Ergänzung der (feministischen) männliche Objekt ihres Begehrens, ohne gleichzeitig von diesem beobachtet zu Filmwissenschaft, die auch in den Theorien eine praxisnähere Auseinandersetzung werden. fordert, wünschenswert, sowie eine Veränderung der gender-konnotierten filmischen Alle fünf Filme verändern die filmisch männlich zentrierte klassische Darstellung in Codes. eine weiblich zentrierte, wobei Männer zu Objekten werden, es aber auch Raum und Platz für männliche Subjekte in der Handlung gibt. Diese Frauenfiguren tabuisieren ihre Sexualität nicht und werden nicht entsexualisiert, sie werden aber auch nicht zu „männlichen“ Frauen. Gleichzeitig sind diese Filme nicht als Filme, die auf ein weibliches Publikum ausgerichtet sind, zu lesen, sondern ermöglichen ihren Zuschauerinnen und Zuschauern einen „gender-neutralen“ Zugang. In diesen Punkten bilden diese Filme einen starken Gegensatz zu Theorien der feministischen Filmwissenschaft, ausgehend von Laura Mulvey bis zu Teresa de Lauretis. Die Theorie ist nur sehr schwer auf eine praktische Filmanalyse umzulegen. Denn die Theorien und die filmische Realität stehen in einem nur schwer zu vereinbarenden Kontext, wie auch aus der Arbeit ersichtlich wurde. Die Theorien der feministischen Filmwissenschaft sind nur in einer Reflexion nach der Analyse Literaturhinweise: Angerer, Marie-Lusie: Body Options. Körper. Spuren. Medien. Bilder, Wien, Turia und Kant Verlag, 1999. Angerer, Marie Luise (Hg.): The Body of Gender. Körper. Geschlechter. Identitäten, Wien, Passagen Verlag, 1995. Felix, Jürgen (Hg.): Moderne Film Theorie, Mainz, Theo Bender Verlag, 2002. Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1, 14. Aufl., Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1983. Seesslen, Georg: Der pornographische Film, Frankfurt am Main, Ullstein, 1990. Flitterman-Lewis, Sandy: To desire differently. Feminism and the French cinema, New York, Columbia Univ. Press, 1996. Hayward, Susan: French National Cinema, London, New York, Routledge, 1993. Kuhn, Annette: Women’s Pictures. Feminism and Cinema. London, Boston, Routledge and Kegan Paul, 1982. Rüffert, Christine/ Schenk Irmbert/ Schmid, Karl Heinz (Hg.): Wo/Man. Kino und Identität, Berlin, Bertz, 2003. Tarr, Carrie/ Rollet, Brigitte: Cinema and the second sex. Women's filmmaking in France in the 1980s and 1990s, New York, Continuum Books, 2001. Thornham, Sue: Feminist film theory. a reader, Edinburgh, Edinburgh Univ. Press, 1999. anwendbar, um die Ergebnisse anhand des vorgegebenen Kontextes zu analysieren, bieten jedoch keine Möglichkeit in die Analyse selbst eingebunden zu werden. Auch wenn sich die Filmemacherinnen der in der Arbeit besprochenen Filme nicht als feministische Filmemacherinnen sehen, oder in die Kategorie des so genannten Frauenfilms eingeordnet werden möchten, arbeiten sie in ihrer Widerspiegelung der Simone Weinbacher, Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Universität Wien. Neben eigenen Kurzfilmprojekten auch als Autorin und Regisseurin in der freien Theaterszene aktiv. Mitorganisatorin und Mitbegründerin von Vienna Independent Shorts – Wiens internationalem Kurzfilmfestival. Lebt und arbeitet in Wien. Kontakt: [email protected] Realität mit Symbolen und Elementen, die auf eine Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen und deren Inszenierung hindeuten. 58 59 Dynamic Wallpaper, 2006 N`FILES A Space To React Reaktive Räume Kommunikation zwischen Architekturen und ihren Benutzern Christian Fröhlich Martin Kern INDEX CASE. 01 4-8 HISTORY+SOURCES QUELLEN+EINFLÜSSE Schlüsselbegriffe CASE. 02 9 - 13 DIFFERENT SPACES OF THE SAME RAUM-ANALOGIEN Augmented Architecture CASE. 03 14 - 16 18 2 A SPACE TO REACT REAKTIVE RÄUME Anwendungsbeispiele CREDITS ABSTRACT Man muß exakt sein, wenn man phantasiert. Wenn man nicht phantasiert, kann man sich Freiheiten erlauben. Das ist das Tödliche am akademischen Denken, weil es immer geschützt denkt und daher in den Staub fällt. Wenn man phantasiert, kann man sich das nicht erlauben. (V.Flusser, 2003) Die digitalen Medientechnologien bilden das Potenzial zur Entwicklung von neuen Räumen, Arbeits- und Austauschformen. Die Architektur wird zur Ressource für die Entwicklung von Technologie und Kultur, indem sie das liefert, was am dringlichsten benötigt wird: Ideen und Anstöße, die aus einem erweiterten Verständnis von Technik als integraler Bestandteil der Gegenwartskultur entstehen. Was es dafür braucht, ist ein Architektur-Laboratorium, in dem neue Technologien im Sinne ihrer erweiterten sozialen und gesellschaftlichen Funktion entwickelt und getestet werden und welches als experimenteller Ausnahmeraum seine Definition finden könnte.1 Das Projekt N`Files versteht die Architektur als Medium und verfolgt dabei die Intention, die Architektur über ihre traditionellen, physischen Grenzen hinaus zu erweitern (Augmented Architecture). Mit Hilfe avancierter Medientechnik sollen räumliche Wirkungen erzeugt werden, die eine Verschmelzung von realem Handlungsraum mit digitalem Datenraum ermöglichen. Ziel des Projektes N`Files ist es, ein System zu entwickeln, das die Interaktion zwischen Räumen und ihren Benutzern unterstützt. Ein Raum, der sich mit und durch den Benutzer verändert, der auf ihn reagiert. Die Grundlage für diese Systeme liegt in Forschungsfeldern wie Ambient Intelligence, Ubiquitous Computing oder Hybrid Environments. Denkt man diese neuen Kommunikationsund Interaktionsmöglichkeiten weiter, so wird klar, dass sich damit unser traditioneller Raumbegriff radikal verändert. Christian Fröhlich 3 CASE. 01 HISTORY+SOURCES QUELLEN+EINFLÜSSE Caravaggio . Die Ungläubigkeit des Hl. Thomas (1601-02) 01. The Eyes of the Skin Unabhängig von der Priorität unseres Auges ist die visuelle Beobachtung oftmals durch den Tastsinn geprägt. (Juhani Pallasmaa) Dziga Vertov . The Man with a Movie Camera (1929) 02. Auge vs. Camera-Auge Der Sehsinn wurde verstärkt durch zahlreiche technische Erfindungen. Wir sind nun fähig, tief in die Geheimnisse der Materie und die Unermesslichkeit des Raumes zu blicken. (Juhani Pallasmaa) 4 CASE. 01 N`Files. Transformation of Spheres (2006) 03. Interaktion Der Geschmack des Apfels liegt im Kontakt der Frucht mit dem Gaumen, nicht in der Frucht selbst. In ähnlicher Weise steckt Poesie im Aufeinandertreffen von Gedicht und Leser, nicht in den gedruckten Buchstaben auf den Seiten eines Buches. Was wichtig ist, ist der ästhetische Akt, die Spannung, die physische Emotion, die bei jedem Leser aufkommt. (Jorge Luis Borges) Medium Total. Domenig / Huth (1970) 04. Medium „Medium“ ist ein Beziehungsbegriff. Medium“ bezeichnet lateinisch >die Mitte<, also etwas, was „in medio“, d. h. mitten zwischen zwei sich aufeinander beziehenden Gegenständen existiert. Es ist offenkundig von diesen beiden Größen abhängig (...), hat also 5 CASE. 01 zunächst keinen Eigenwert. Erst als gestalteter Inhaltsträger zwischen Produzent und Rezipient, zwischen Gestalter und Nutzer gewinnt ein Medium Identität. (aus: Einführung in die Medienkunde, D. Kerlen, Reclam 2003) Cb, Y, Cr, Y ramp. Video-Still (2006) 05. Atmosphären Die neue Ästehtik hat es mit der Beziehung von Umgebungsqualitäten und menschlichem Befinden zu tun. Dieses «Und», dieses zwischen beidem, dasjeneige, wodurch Umgebungsqualitäten und Befinden aufeinander bezogen sind, das sind die Atmosphären. (...) Man weiß nicht recht, soll man (die Atmosphären, Anm.) den Objekten oder Umgebungen, von denen sie ausgehen zuschreiben oder den Subjekten, die sie erfahren. Man weiß auch nicht so recht, wo sie sind. Sie scheinen gewissermaßen nebelhaft den Raum mit einem Gefühlston zu erfüllen. (Gernot Böhme) 6 CASE. 01 FILM IST. Gustav Deutsch (1998) 06. Der Nicht-Berührungssinn Den Sinnen wird viel Aufmerksamkeit geschenkt (Hören, Sehen, Fühlen). Die berührungslose Verbindung zwischen Mensch - Maschine - Raum wird durch genuine sinnliche Wahrnehmung erreicht. Die immaterielle Schnittstelle und das Paradigma des Berührungslosen generiert einen weiteren Sinn: den Nicht-Berührungssinn. Um einen geeigneten Zugang zu dieser ungewöhnlichen sinnlichen Erfahrung zu finden, werden Anleihen aus der Technik des Chi-Gong, der Bewegung von Materie durch pure mentale Energie, genommen. (Monika Fleischmann) 7 CASE. 01 Das Unsichtbare Kino. Österreichisches Filmmuseum 07. Immersion Das Prinzip der Immersion beschreibt sich am besten durch jene magischen Momente, in denen der Zuschauer im Kino völlig von der Aura der Leinwand absorbiert wird und die erzählte Welt als seine eigene annimmt. Er taucht ein in eine artifizielle Welt. (archplus 175) Doch was, wenn wir Bilder nicht mehr getrennt von unserem Körper wahrnehmen können, sondern wenn wir in die Bilder hinein gezogen werden?” (...) Wenn diese Bilder die repräsentative Ebene umgehen und auf den präsprachlichen Körper einwirken?” (Marie-Louise Angerer) „Immersion bedeutet, Sie lassen sich darauf ein,(...) in künstliche Environments einzutauchen(...). Durch diese Techniken werden Menschen endlich als Wesen ernst genommen, zu deren Natur selbst das Tauchen gehört - und zwar nicht bloß im nassen Element, sondern in Elementen oder Umgebungen schlechthin. Das Verfahren ist seit längerem bekannt(...); doch schon die Panoramen des 19. Jahrhunderts nahmen das Problem des Halluzinationsmanagement und des Immersionswechsels vorweg. Immersion ist ein Entrahmungsverfahren für Bilder und Anblicke, die zur Umgebung entgrenzt werden.“ (Peter Sloterdijk) 8 CASE. 02 DIFFERENT SPACES OF THE SAME RAUM-ANALOGIEN Fullbody Motion Tracking. N`Files (2006) 01. Space of the Body Die digitalen Medientechnologien bilden das Potenzial zur Entwicklung von neuen Räumen, Arbeits- und Austauschformen. Die Architektur wird zur Ressource für die Entwicklung von Technologie und Kultur, indem sie das liefert, was am dringlichsten benötigt wird: Ideen und Anstöße, die aus einem erweiterten Verständnis von Technik als integraler Bestandteil der Gegenwartskultur entstehen. Was es dafür braucht, ist ein Architektur-Laboratorium, in dem neue Technologien im Sinne ihrer erweiterten sozialen und gesellschaftlichen Funktion entwickelt und getestet werden und welches als experimenteller Ausnahmeraum seine Definition finden könnte. Das Projekt N`Files beschreibt das Konzept und den Stand der Entwicklung von reaktiven Räumen im Medienlabor no_LAb der TU Graz. Wie kann man mit architektonischen Räumen kommunizieren, nur durch Eigenbewegung oder blosse Anwesenheit... 9 CASE. 02 Camera Calibration. Screenshot 02. Space Of Measuring Das Medienlabor no_LAb des Institutes für Architektur und Medien verfügt seit kurzem über ein High-End Motion Tracking-Kamerasystem, wie es sonst in der Filmindustrie Hollywoods zum Einsatz kommt oder in medizinischen Labors zur Bewegungsanalyse verwendet wird. Wir verwenden das Equipement für Experimente, um die Architektur über ihre traditionellen, physischen Grenzen hinaus zu erweitern (Augmented Architecture). Mit Hilfe avancierter technischer Medien werden räumliche Wirkungen erzeugt, die eine Verschmelzung von realem Handlungsraum mit digitalem Datenraum ermöglichen. Ziel des Projektes N`Files - A Space To React ist es, ein System zu entwickeln, das die Interaktion zwischen Räumen und ihren Benutzern unterstützt. Ein Raum, der sich mit und durch den Benutzer verändert...der auf ihn reagiert. Die Grundlage für diese Systeme liegt in Forschungsfeldern wie Ambient Intelligence (AmI), Ubiquitous Computing oder Hybrid Environments. Denkt man diese neuen Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten weiter, so wird klar, dass sich damit unser traditioneller Raumbegriff radikal verändert. 10 CASE. 02 Raumgeist. N`Files (2006) 03. Space Of Virtuality “Die Architekten sollen endlich aufhören, nur in Materialien zu denken” - forderte Hans Hollein 1968 in seinem Manifest “Alles ist Architektur”. Eine Forderung, die niemand versucht hat einzulösen, eingeschlossen ihn selbst. Will man die statische Architektur also immaterialisieren, d.h. in ein dynamisches System verwandeln, würde die Architektur so zu einem Medium, das sich stets verändert, zeitlich und räumlich, eine kontextgesteuerte Ereigniswelt. Aus der Variabilität der architektonischen Elemente – Tür, Fenster, Wand, Fassade, etc. - aus der Virtualität der gespeicherten Informationen – Wärme, Licht, Klang, Gesten, Bewegungen - erwüchse ein Gebäude, das lebensähnliches Verhalten zeigt: Viabilität. Architektur, als ein intelligentes Ambiente, das auf die Eingaben der Benutzer reagiert und intelligent Zustandsveränderungen durchführt. Interaktivität zwischen Benutzer und Architektur, beide als korrelierende Teile eines dynamischen Systems, das lebensähnliches Verhalten zeigt – viable Architektur.2 Die Begriffe virtuelle und viable Architektur – 1989 bzw. 1994 von Peter Weibel formuliert – erfahren im Projekt N`Files ein zeitgemäßes “upgrade” und werden dabei einer praktischen Testreihe unterzogen. 11 CASE. 02 no_LAb. Laboratorium für Architektur und Medien 04. Space Of Hybrids Die Herausforderung besteht darin, komplexe technologische Umgebungen mit einer gewissen Einfachheit und Intution zu versehen, die der Benutzer mit Recht erwartet. Wir leben in einer immer komplexeren technologischen Welt, in der nichts so funktioniert, wie es sollte und uns am Ende des Tages die Sehnsucht nach einer gewissen Einfachheit ereilt.3 Das Forschungsprojekt folgt deshalb der Frage, ob ein Raum aus Medien den Benutzer in alltäglichen Handlungen unterstützen kann oder ob es Handlungen gibt, die sich durch den Einsatz der Medien verändern, vereinfachen oder überhaupt erst neu ergeben. Das Projekt N`Files verfolgt die Absicht, sich eingeübtes kulturelles Verhalten im Umgang mit Medien zu nutze zu machen. Den Sinnen (Sehen, Hören, Fühlen) wird dabei grosse Aufmerksamkeit entgegengebracht. Im Zentrum steht die berührungslose Verbindung von Mensch – Maschine – Raum über genuine Sinneserfahrung. Durch die immaterielle Schnittstelle (der Raum selbst ist das Interface!) und das Paradigma des Berührungslosen wird ein weiterer Sinn generiert – der Nicht-Berührungssinn.4 Diese ungewöhnliche sensitive Erfahrung ist Ausgangspunkt für die Forschung über Raumkommunikation via Gesten und Bewegung – eine Form, wie wir in Zukunft unsere Räume benützen werden. 12 CASE. 02 no_LAb. Raumgeometrie, Medien und Möblierung, Wide-Screen 05. Space Of Abstraction Versuchsraum für das Projekt N`Files ist das Medienlabor no_LAb des Institutes für Architektur und Medien der TU Graz, in dem durch das optische Trackingsystem die technische Voraussetzung gegeben ist. Das Labor wird für dieses Projekt in ein interaktives Raumvolumen verwandelt, das auf seine Besucher reagiert und sein Erscheinungsbild auf diese anpasst. Das heisst, der Raum wird nicht durch Computer oder klassische Eingabegeräte gesteuert, sondern der Raum selbst ist die Maschine. Eine Maschine, die in der Lage ist sensorisch “zu fühlen” und diese Stimmungen auch wiederzugeben. Architektur als Medium und als intelligente Umgebung , die auf die Eingaben ihrer Benutzer – bewußte und unbewußte - intuitiv und “on demand” reagieren kann... Mit ähnlichen Aufgaben der Bewegungsanalyse in (architektonischen) Räumen beschäftigen sich ganz unterschiedliche Institutionen wie z.B. aus dem Bereich der Informatik, der Computergraphik, der elektronischen Musik oder der Medizin. Das Projekt versucht in diesem Zusammenhang sich bietende Synergieeffekte zu nützen. Es ist überhaupt anzumerken, dass sich das Thema “Motion-Tracking” als ein transdisziplinäres Forschungfeld erweist und sich somit – speziell für den Bereich Architekturforschung – als echte Chance für fächerübergreifende Zusammenarbeit anbietet... 13 CASE. 03 A SPACE TO REACT REAKTIVE RÄUME ANWENDUNGSBEISPIELE Ambient Object. Video-Still. N`Files (2006) 14 01. Ambient Object Augmentierung eines Arbeitstisches als Eingabegerät. Die Oberfläche des Tisches wird als tangible interface für Präsentationen benutzt. Die Idee besteht darin, ein gewöhnliches Möbel mit einem neuen (intelligenten) Wert zu versehen. Das Interface (die Tischfläche) reagiert dabei auf Bewegungen, die jenen Gesten entsprechen, die man für gewöhnlich während einer Präsentation an einem Tisch sitzend, vollzieht. Ein kurzes Beispiel: Will man ein Video abspielen, geht man wie folgt vor. Auf dem Tisch liegt eine Videokassette. Sie berühren die Kassette und das Video startet. Unsere Experimente bedienen sich einer Form von intuitiver Interaktion zwischen Benutzer und Raumsystem durch Verwandlung von Möblierungen in Objekte mit veränderbarem Ambiente. CASE. 03 MoodBoard. N`Files (2006) 02. MoodBoard Übersetzung der Raumgeometrie in das RGB Farbspektrum. Jede Raumkoordinate besitzt ihre eigene Farbe. Bewegt sich ein Benutzer durch den Raum, reagiert dieser mit Farbe; von hellem Rot bis dunklem Blau.... 15 CASE. 03 Dynamic Wallpaper. N`Files (2006) 16 03. Dynamic Wallpaper Innere Fassade und virtuelles Fenster, welches den Zustand des Raumes gemäß Frequenz und Fluktuation beschreibt. Das Muster der dynamischen Tapete wird durch die Bewegung der Akteure bestimmt. Interferenzen. „Um das (unerwartete) Spiel zu spielen, das ich ihnen vorschlage, genügt es, das erste Fragment Rasterfolie, das ihnen in die Hand fällt, auf seinen Bruder zu legen. Dreht man es dann unmerklich von links nach rechts oder umgekehrt, erkennt man, das man in der Zeit von nicht einmal einer Viertelumdrehung sieben verschiedene Sechseckzeichnungen gefertigt hat. Alles geschieht vor ihren Augen: in einer Sekunde sehen sie ein erregendes geometrisches Wunder geschehen und Gestalt gewinnen. Haben sie aber bei ihren Drehungen nicht an der richtigen Stelle halt gemacht, wird es keine Geometrien geben; sie werden draußen vor der Tür stehen bleiben, im Haltlosen...!” (Le Corbusier) RELEASES Print Forschungsjournal der Technischen Universität Graz Research Journal / Graz University of Technology Fröhlich, C.: N`Files - Reaktive Räume. - in: Forschungsjournal der Technischen Universität Graz (2006) SS 06, S. 4 - 5 Fröhlich, C.; Kern, M.: N`Files - A Space To React. Communication Between Architecture and Its Users. - in: Interactive Technologies & Sociotechnical Systems. (Springer Verlag 2006), S. 52 - 59 SS 06 Lecture Fröhlich, C.; Kern, M.: N`Files - A Space To React. Communication Between Architecture and Its Users. - in: Interactive Technologies & Sociotechnical Systems. Xi An/China am: 19.10.2006 Fröhlich, C.; Kern, M.: N`Files - A Space To React. Communication Between Architecture and Its Users. - in: film:riss 2006. Salzburg am: 10.11.2006 Eilfried Huth über Medium Total. N`Files (2006) References 1. Digitale Transformationen, Fleischmann – Reinhard, 2004 Praxis Reaktorbau, Edler & Edler (S. 216) 2. Viable und virtuelle Architektur, P. Weibel, 1994 - in Interaktive Architektur – Ch. Möller (S. 3-5) 3. Simplicity – the art of complexity, John Maeda, 2006 – in preface Ars Electronica 2006 4. Ohne Schnur, Kwastek, 2004 - Mobile Spaces of Interaction (S.102-124), Strauss-Fleischmann-Zobel 5. arch plus175, 2005, Zeitschrift für Architektur und Städtebau (S.14), Das Immersionsprinzip – Anh-Linh Ngo 17 CREDITS Eilfried Huth über Medium Total. N`Files - Finals (2006) N`FILES A Space To React Reaktive Räume Kommunikation zwischen Architekturen und ihren Benutzern Christian Fröhlich Martin Kern ©2006 http://iam.tugraz.at/nolab N`Files Projektteam: Christian Fröhlich, Martin Kern Blümm, Bräuer, Finck, Gerstl, Hohner, Jocham, Kettele, Meszaros, Paar, Pilz, Rust, Trajceski, Zirngast DI Christian Fröhlich no_LAb__in_feld Institut für Architektur und Medien [email protected] 18 Christian Fröhlich ist Vertragsassistent am Institut für Architektur und Medien der TU Graz, Co-Leiter des Master-Universitätslehrgangs Architectural Computing and Media Technology (ab Sommer 2007) und arbeitet an einer Dissertation über Architekturexperimente.