Angewandte Geometrie

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Technische Universität München
Zentrum Mathematik
Prof. Dr. J. Hartl
SS 2015
Blatt 3
Angewandte Geometrie
Geometrische Modellierung eines Roboters mit zwei Drehgelenken
Im euklidischen Raum E 3 seien {O; x1 , x2 , x3 } ein kartesisches Koordinatensystem,
a die gerichtete Gerade durch den Ursprung O in x3 -Richtung und b die gerichtete
Gerade durch P (1, 0, 0) in x2 -Richtung. Die Punkte X ∈ E 3 werden zunächst um
die Achse a durch den Winkel α in die jeweilige Lage X ∗ und anschließend um die
Achse b durch den Winkel β in die Lage X ∗∗ gedreht. Für die Geraden g ⊂ E 3
werden die entsprechenden Bezeichnungen g ∗ und g ∗∗ verwendet.
a) Beispiel für Vorwärtsrechnung:
Man bestimme die Koordinatenvektoren ~x∗∗ der Punkte X ∗∗ in Abhängigkeit
von α, β und den Koordinatenvektoren ~x der Punkte X. Ebenso gebe man
die Richtungsvektoren ~r∗∗ der Geraden g ∗∗ in Abhängigkeit von α, β und den
Richtungsvektoren ~r der Geraden g an.
Lösung:
Soll bei der Drehung, die X in X ∗ überführt, die Gerade b mitgedreht werden?
Nach der Aufgabenstellung nicht, da X ∗ um b und nicht um b∗ gedreht werden
soll. Wie kann dann die Bewegung X 7→ X ∗ durch einen seriellen Roboter
realisiert werden?
Skizze für Ausgangsstellung des Roboters!
Achse b um a durch den Winkel α zurückdrehen liefert die Ausgangsstellung
des Roboters. Dann X und die Ausgangsstellung von b um a durch den
Winkel α drehen, anschließend X ∗ um b durch den Winkel β drehen.
Aber da nach der Drehung in die Ausgangsstellung nicht gefragt ist, wird
diese Drehung hier auch nicht rechnerisch behandelt.
Drehung um a durch den Winkel α:
1


cos α − sin α 0
~x∗ =  sin α cos α 0  ~x
0
0
1
Drehung um b durch den Winkel β:


cos β 0 sin β
0
1
0  (~x∗ − p~)
~x∗∗ − p~ = 
− sin β 0 cos β
(Schaut man entgegen der y-Achse auf die xz-Ebene, so bilden x- und z-Achse
in dieser Reihenfolge ein Linkssystem.)
Damit gilt:




cos β 0 sin β
cos β − 1
=
0
1
0  ~x∗ − 
0
~x∗∗ = 
− sin β 0 cos β
− sin β





cos β − 1
cos β 0 sin β
cos α − sin α 0
=

0
0
1
0   sin α cos α 0  ~x − 
− sin β
− sin β 0 cos β
0
0
1




cos β cos α − cos β sin α sin β
1 − cos β


sin α
cos α
0  ~x + 
0
− sin β cos α sin β sin α cos β
sin β
Richtungsvektoren transformieren sich ohne Translationsanteil:

~r∗∗

cos β cos α − cos β sin α sin β
sin α
cos α
0  ~r
=
− sin β cos α sin β sin α cos β
b) Beispiel für Rückwärtsrechnung:
b1) Der Punkt Q(−1, 0, 1) soll in die x1 x2 -Ebene ε überführt werden. Man
gebe eine (notwendige und hinreichende) Bedingung für die zugehörigen
Winkel α und β an und bestimme den Ort aller möglichen Lagen von
Q∗∗ in ε.
Lösung:

~q∗∗

 

cos β cos α − cos β sin α sin β
−1
1 − cos β
=
sin α
cos α
0   0 +
0
=
− sin β cos α sin β sin α cos β
1
sin β
2


− cos β cos α + sin β + 1 − cos β


− sin α
sin β cos α + cos β + sin β
Q∗∗ ∈ ε ⇔ 0 = sin β cos α + cos β + sin β ⇔ cos β + sin β(1 + cos α) = 0
Damit Q∗∗ ∈ ε, darf sin β nicht verschwinden. Folglich ist
cos α = −
cos β
− 1.
sin β
Notwendig und hinreichend dafür, dass es zu gegebenem β ein solches α
gibt, ist
cos β
−1 ≤ −
− 1 ≤ 1,
sin β
also
0 ≤ − cot β ≤ 2
oder
−2 ≤ cot β ≤ 0.
Damit ist
s
√
cos β
sin α = ± 1 − cos2 α = ± 1 − (−
− 1)2 =
sin β
s
cos β
cos β
cos β 2
+ 1)2 = ± −(
) −2
1−(
sin β
sin β
sin β
s
±
Da in q3∗∗ nur cos α vorkommt und nicht sin α, können bei dem ± beide
Vorzeichen gewählt werden.
Mögliche Bilder Q∗∗ von Q:

~q∗∗

− cos β cos α + sin β + 1 − cos β

− sin α
=
sin β cos α + cos β + sin β
mit den folgenden Bedingungen für α und β:
−2 ≤ cot β ≤ 0,
cos α = −
s
sin α = ±
−(
cos β
− 1,
sin β
cos β 2
cos β
) −2
.
sin β
sin β
Kann man über die Menge der Bilder noch etwas aussagen?
Es gilt:
x = − cos β cos α + sin β + 1 − cos β =
3
− cos β(−
cos β
− 1) + sin β + 1 − cos β =
sin β
cos2 β
cos2 β + sin2 β
+ cos β + sin β + 1 − cos β =
+1=
sin β
sin β
1
+ 1.
sin β
Das liefert zusammen mit
s
y = − sin α = ∓
−(
cos β 2
cos β
) −2
sin β
sin β
und der Nebenbedingung
−2 ≤ cot β ≤ 0
eine Parameterdarstellung der Menge aller möglichen Q∗∗ .
Alternative Darstellung als Graph zweier Funktionen:
Wegen x =
1
sin β
+ 1 ist
s
q
1
x(x − 2)
, cos β = ± 1 − sin2 β = ±
sin β =
x−1
(x − 1)2
und
p
cos β
= ± x(x − 2).
sin β
Dabei ist notwendig x(x − 2) ≥ 0, also x ≥ 2 oder x ≤ 0, und weil
−2 ≤ cot β ≤ 0, gilt sogar
p
cos β
= − x(x − 2).
sin β
p
Wegen −2 ≤ cot β ist dabei x(x − 2) ≤ 2, also
x2 − 2x − 4 ≤ 0.
Da Gleichheit für
x1,2 =
√
√
1
· (2 ± 4 + 16) = 1 ± 5
2
gilt, ist also
1−
√
5≤x≤0
oder
2≤x≤1+
4
√
5.
Also ist
s
y = − sin α = ∓
cos β 2
cos β
−(
) −2
=∓
sin β
sin β
q
p
−x(x − 2) + 2 x(x − 2)
für die beiden angegebenen x-Intervalle.
Andere Darstellung für die Menge der möglichen Bilder Q∗∗ von Q als
algebraische Kurve:
q
p
y = ∓ −x(x − 2) + 2 x(x − 2) =⇒
p
y 2 = −x(x − 2) + 2 x(x − 2) =⇒
p
y 2 + x(x − 2) = 2 x(x − 2) =⇒
y 4 + 2y 2 x(x − 2) + x2 (x − 2)2 = 4x(x − 2) =⇒
y 4 + 2(y 2 − 2)x(x − 2) + x2 (x − 2)2 = 0
Die Menge der möglichen Bilder Q∗∗ von Q ist enthalten in einer
algebraischen Kurve vierter Ordnung.
b2) Man bestimme alle Winkelpaare (α, β), für welche die Strecke QS (mit
S(0, 1, 2)) in die Ebene ε befördert wird und berechne die Endpositionen
Q∗∗ S ∗∗ ⊂ ε. (Anwendung: Ablegen eines Stabes auf einer ebenen
Unterlage.)
Lösung:
Berechnung von S ∗∗ :

~s∗∗
  

cos β cos α − cos β sin α sin β
0
1 − cos β
=
sin α
cos α
0  1 +
0
=
− sin β cos α sin β sin α cos β
2
sin β


− cos β sin α + 2 sin β + 1 − cos β


cos α
sin β sin α + 2 cos β + sin β
S ∗∗ ∈ ε ⇔
sin β · (1 + sin α) + cos β · 2 = 0.
(∗)
Zusammen mit der Bedingung für Q∗∗ ∈ ε
sin β · (1 + cos α) + cos β · 1 = 0
(∗∗)
ist das ein LGS mit der nichttrivialen Lösung (sin β, cos β)T und der folglich verschwindenden Koeffizienten-Determinante
5
0 = 1 + sin α − 2 − 2 cos α = sin α − 2 cos α − 1.
2 cos α = sin α − 1
(∗ ∗ ∗)
=⇒ 4 cos2 α = sin2 α − 2 sin α + 1
=⇒ 5 sin2 α − 2 sin α − 3 = 0 =⇒ sin α =
sin α1 = 1,
√
2± 4+60
10
sin α2 = −
3
5
Diese Bedingung ist notwendig, aber nicht notwendig hinreichend.
1. Fall: sin α1 = 1: Dann: cos α1 = 0 und α1 = π2 . Mit (*) oder (**) folgt
dann:
sin β + cos β = 0,
also
Damit ist β =
3π
4
1
sin β = − cos β = ± √ .
2
7π
oder β = 4 .
Damit ist cot β = −1, die Nebenbedingung für cot β also erfüllt.
Ist das auch hinreichend? Ja. Das erkennt man anhand einer kurzen Kopfrechnung, wenn man die z-Koordinaten von Q∗∗ und von S ∗∗ betrachtet.
Ergebnis 1: Für α1 = π2 und β1 = 3π
oder β2 = 7π
wird die Strecke QS
4
4
in die Ebene ε befördert.
2. Fall: sin α2 = − 35 : Dann folgt aus (*):
sin β + 5 cos β = 0.
Aus sin2 β = 25 cos2 β und sin2 β + cos2 β = 1 folgt
1
5
cos β = ± √ , sin β = ∓ √ .
26
26
Damit ist cot β = − 15 , die Nebenbedingung für cot β also erfüllt.
Ist das auch hinreichend? Da sin α2 = − 53 , ist nach (***) cos α2 = − 45 .
Probe: Liegen Q∗∗ und S ∗∗ in ε?
x3 -Koordinate von Q∗∗ :
4
5
5
1
sin β cos α + cos β + sin β = ∓ √ · (− ) ± √ ∓ √
5
26
26
26
Damit gilt: Q∗∗ ∈ ε.
6
Damit x3 -Koordinate von S ∗∗ :
5
1
3
5
sin β sin α + 2 cos β + sin β = ∓ √ (− ) ± 2 √ ∓ √ = 0
26 5
26
26
Ergebnis 2: Für sin α2 = − 53 , cos α2 = − 54 , also
4
α2 = 2π − arccos(− )
5
und cos β = ± √126 , sin β = ∓ √526 , also
1
1
β = arccos(− √ ) oder β = 2π − arccos( √ )
26
26
wird die Strecke QS in die Ebene ε befördert.
c) Interpretation der Gesamtbewegung X 7→ X ∗∗ als Schraubung:
c1) Man ermittle alle Geraden g ⊂ E 3 , die zu ihrer Endlage g ∗∗ parallel sind.
Lösung:
Die Schraubachse - falls es sie gibt - ist zu ihrer Endlage parallel. Ihr
Richtungsvektor ist Eigenvektor der Drehmatrix U zum Eigenwert 1. Da
hier jedoch nach allen Geraden gefragt ist, die zu ihrer Endlage parallel sind, müssen wir auch nach Eigenvektoren zum Eigenwert -1 suchen.
Notwendig dafür, dass -1 Eigenwert von U ist, ist die Bedingung:


cos β cos α + 1 − cos β sin α
sin β
 = (SARRUS) =
sin α
cos α + 1
0
0 = det 
− sin β cos α
sin β sin α cos β + 1
= (cos β cos α + 1)(cos α + 1)(cos β + 1) + 0 + sin2 β sin2 α
−(− sin2 β cos α(cos α + 1) + 0 − sin2 α cos β(cos β + 1))
= cos2 β cos2 α + cos β cos2 α + cos2 β cos α + cos α cos β
+ cos β cos α + cos α + cos β + 1 + sin2 β sin2 α
+ sin2 β cos2 α + sin2 β cos α + sin2 α cos2 β + sin2 α cos β
= cos2 α + cos β + cos α + cos α cos β
+ cos β cos α + cos α + cos β + 1 + sin2 α
= 2(1 + cos β + cos α + cos α cos β)
= 2(1 + cos β)(1 + cos α)
7
Nur für cos β = −1 oder cos α = −1, also für β = π oder für α = π kann
-1 Eigenwert von U sein. In diesem Fall ist


− cos α sin α 0
U =  sin α cos α 0 
0
0
−1
oder


− cos β 0 sin β
0
−1
0 
U =
sin β
0 cos β
und die Eigenvektoren zum Eigenwert -1 sind im einen Fall Linearkombinationen von (sin α, cos α − 1, 0)T und (0, 0, 1)T , im anderen Fall
Linearkombinationen von (sin β, 0, cos β − 1) und (0, 1, 0)T . Jede Gerade g mit einem solchen Eigenvektor ist dann parallel zu ihrer Endlage g ∗∗ .
Nun zu den Eigenvektoren zum Eigenwert 1, als Vorbereitung zur Ermittlung der Schraubachse:


cos β cos α − 1 − cos β sin α
sin β

 ~x = ~o.
sin α
cos α − 1
0
− sin β cos α
sin β sin α cos β − 1
Aus der zweiten Gleichung erhält man o.E.
(x1 , x2 ) = (1 − cos α, sin α).
(Der Fall cos α = 1 ist später noch eigens zu betrachten!)
Einsetzen in die dritte Gleichung führt auf
(cos α − 1) cos α sin β + sin2 α sin β + x3 (cos β − 1) = 0
sin β(1 − cos α) + x3 (cos β − 1) = 0
sin β(1 − cos α)
x3 =
1 − cos β
(Der Fall cos β = 1 ist später noch eigens zu betrachten!)
Eigenvektoren zum Eigenwert 1 sind die Vielfachen der Vektoren
((1 − cos β)(1 − cos α), (1 − cos β) sin α, sin β(1 − cos α))T
falls cos α 6= 1 und zugleich cos β 6= 1.
Ist cos α = 1 = cos β, so ist die Bewegung x 7→ X ∗∗ die identische
Abbildung und für alle Geraden g gilt: g ∗∗ = g.
Ist cos α = 1, also sin α = 0,
Eigenvektorgleichung:

cos β − 1

0
− sin β
8
und cos β 6= 1, so vereinfacht sich die

0
sin β
 ~x = ~o.
0
0
0 cos β − 1
Alle Geraden g, die parallel sind zur x2 −Achse sind parallel zu ihrer
Endlage g ∗∗ .
Ist cos β = 1, also sin β = 0, und cos α
Eigenvektorgleichung:

cos α − 1 − sin α
 sin α
cos α − 1
0
0
6= 1, so vereinfacht sich die

0
0  ~x = ~o.
0
Alle Geraden g, die parallel sind zur x3 −Achse sind parallel zu ihrer
Endlage g ∗∗ .
c2) Für α = β = 90◦ interpretiere man die Bewegung der Punkte X ∈ E 3 in
die Lagen X ∗∗ als Schraubung.
Lösung:
Für α = β = 90◦ gilt

~x∗∗

 
0 0 1
1



1 0 0 ~x +
0 
=
0 1 0
1
Die Richtung der Schraubachse ist gegeben durch einen Eigenvektor zum
Eigenwert 1, also (wie aus c1) bekannt oder wie man auch leicht errät)
etwa durch (1, 1, 1)T .
Ermittlung einer Fixgeraden: Gesucht ist ein ~x, so dass gilt:
U~x + w
~ = ~x + λ · (1, 1, 1)T


   
−1 0
1
1
1
 1 −1 0  ~x = λ ·  1  −  0 
1
0
1 −1
1
Addition der ersten und der dritten Gleichung liefert
−x1 + x2 = 2(λ − 1).
Zusammen mit der zweiten Gleichung ergibt sich
2(λ − 1) = −λ, also
2
λ= .
3
Einsetzen in die beiden ersten Gleichungen liefert:
−x1
+x3 = − 13 ,
x1 − x2
= 23 .
9
Verwendet man x1 als Parameter, so erhält man für die Schraubachse die
Parameterdarstellung
 
 
0
1
1 

2
1 
~x = −
+λ·
3
1
1
Der Schiebvektor ist - wie vorher berechnet  
1
2  
1
·
3
1
Der nicht orientierte Drehwinkel ϕ mit 0 ≤ ϕ ≤ π berechnet sich nach
einer Formel der Vorlesung mit
cos ϕ =
spur(U ) − 1
1
=−
2
2
zu
1
2
ϕ = arccos(− ) = 120◦ = π.
2
3
Durch die Orientierung der Schraubachse ist ein Drehsinn festgelegt. Man
kann von Rechts- oder Linksdrehung um die orientierte Schraubachse
sprechen oder davon, dass der orientierte Drehwinkel δ positiv oder
negativ ist.
Ermittlung des orientierten Drehwinkels δ:
Orthogonal zu ~r = (1, 1, 1)T ist zum Beispiel der Vektor ~v = (1, −1, 0)T
mit dem Bild U~v = (0, 1, −1)T .
Nicht zu berechnen braucht man eigentlich
−1
−1
~v T U~v
=√ √ =
= cos ϕ,
|~v | · |U~v |
2
2· 2
weil man diesen Wert schon kennt. Interessant ist aber die Frage: Ist
{~v , U~v , ~r} ein Rechtssystem, ist also mit M := (~v , U~v , ~r) die Determinante det M positiv? Da


1
0 1
det M = det  −1 1 1  = 1 + 0 + 1 − 0 + 1 + 0 = 3 > 0
0 −1 1
handelt es sich um eine Rechtsschraubung mit der angegebenen Schraubachse, die durch ihre Parameterdarstellung gerichtet ist, durch den Winkel
= 120◦ .
δ = arccos(− 12 ) = 2π
3
10
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