die katholizität der kirche

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Bonner
Dogmatische
Studien
Dominik Schultheis
die katholizität
der kirche
Versuch einer Bestimmung
der dritten nota ecclesiae
in der deutschsprachigen
Systematischen Theologie
seit dem Zweiten Vatikanum
echter
Dominik Schultheis
die katholizität
der kirche
Herausgegeben von
Karl-Heinz Menke
Julia Knop
Magnus Lerch
Bonner
Dogmatische
Studien
Band 55
Dominik Schultheis
die katholizität
der kirche
Versuch einer Bestimmung der dritten nota ecclesiae in der deutschsprachigen Systematischen Theologie seit dem Zweiten Vatikanum
echter
Meinem Vater Bruno
in dankbarer Erinnerung
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© 2015 Echter Verlag GmbH
www.echter-verlag.de
Umschlaggestaltung: Peter Hellmund
Druck und Bindung: Pustet, Regensburg
ISBN 978-3-429-03774-1 (Print)
ISBN 978-3-429-04788-7 (PDF)
ISBN 978-3-429-06203-3 (ePub)
5
Vorwort
Wenn von der „katholischen“ Kirche die Rede ist, halten viele das Adjektiv
„katholisch“ für eine Konfessionsbezeichnung. Zumeist verbindet man mit
dem Attribut „katholisch“ die unter dem Haupt des Papstes in Rom geeinte
römisch-katholische Kirche, zu der noch die sogenannten unierten Ostkirchen hinzuzurechnen sind, die in voller Gemeinschaft mit dem Bischof von
Rom stehen. Dass der Begriff „katholisch“ aber auch den altorientalischen
und (byzantinisch-)orthodoxen Kirchen, den anglikanischen und traditionellen evangelischen Kirchengemeinschaften sowie der altkatholischen Kirche
zu eigen ist, ist oftmals nicht bekannt. Auch diese Kirchen und kirchlichen
Gemeinschaften bekennen sich zusammen mit der (römisch-)katholischen
Kirche und den katholischen Ostkirchen im nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis zur einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche. Auch sie nehmen für sich in Anspruch, „katholisch“ zu sein.
Die evangelischen Kirchengemeinschaften tun dies selbst dann, wenn sie in
Folge der Konfessionalisierung des 16. Jahrhunderts in ihren Übersetzungen
des Glaubensbekenntnisses statt von der „katholischen“ lieber von der „allgemeinen“ oder „christlichen“ Kirche sprechen.
Die vorliegende Studie, die im Sommersemester 2014 an der KatholischTheologischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn eingereicht
und als Promotionsschrift angenommen wurde, nimmt – in geringfügig
überarbeiteter Form – die dritte nota ecclesiae in den Blick und damit die
Allgemeinheit, Ganzheit, Offenheit und Weite der Kirche Christi.
Sie fragt in ihrer Einleitung danach, was „katholisch“ als Wesensattribut
ursprünglich bedeutet, welche folgenreiche Geschichte dieser Begriff durch
die Jahrhunderte gemacht hat und was die christlichen Konfessionen heute
eigentlich meinen, wenn sie das Attribut „katholisch“ gebrauchen. Dass bei
der letzten Frage mit verschiedenen Begriffsfüllungen zu rechnen ist, wird
nicht überraschen, auch nicht, dass sowohl im innerkatholischen als auch im
interkonfessionellen theologisch-wissenschaftlichen Diskurs unterschiedliche Ansätze zu einem ganzheitlichen Verständnis der Katholizität erörtert
werden. Dabei besteht die Schwierigkeit, dass alle Bestimmungsversuche ei-
6
Vorwort
ner virulenten Gefahr unterliegen, nämlich die, ungewollt zu neuen konfessionellen Ab- und Ausgrenzungen zu führen.
Ich bin mir dieser Gefahr bewusst, wenn ich aus dem Blickwinkel der
(römisch-)katholischen Kirche einen christologischen (sakramentalen) Ansatz
zur Bestimmung der Katholizität in die wissenschaftliche Diskussion einbringe, die – betrachtet man die Veröffentlichungen der letzten Jahre 1 – unter Theologen offensichtlich ein aufkeimendes Interesse genießt. Mit meiner
Studie versuche ich, an die letzte große katholische wissenschaftliche Monographie zu dieser Thematik im deutschsprachigen Raum von vor fünfzig
Jahren von Wolfgang Beinert2 anzuschließen.
In einem ersten Teil analysiert die Studie die Beiträge des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) zur Frage der Katholizität der Kirche, welche
zu einer richtungsweisenden Neubesinnung auf den vollen Gehalt des Katholischen innerhalb der (römisch-)katholischen Kirche geführt haben. Sie
bringt die in den Konzilsdokumenten aufscheinende Bedeutungsvielfalt des
Begriffs „katholisch“ bzw. „Katholizität“ mit den in der innerkatholischen
Wissenschaft etablierten konziliaren Leitbegriffen „Volk Gottes“, „Sakrament des Heils“ und „Communio“ zur Wesensbeschreibung der Kirche in
Zusammenhang und kommt zu der Überzeugung, dass der Begriff „katholisch“ als integraler Schlüsselbegriff zu einer rechten Interpretation der ekklesiologischen Grundlinien des Konzils dienen könnte, verbindet dieser doch wesentliche Themen und Aspekte der Ekklesiologie.
Darauf aufbauend versucht die Studie in ihrem zweiten Teil, das Wesen
der Katholizität christologisch (sakramental) zu bestimmen, um anschließend
nach möglichen Konsequenzen einer so verstandenen Katholizität für das
Verhältnis von kirchlicher Einheit und Vielfalt sowohl im Innern der (römisch-)katholischen Kirche als auch in deren Dialog mit den nichtkatholischen Konfessionen und nichtchristlichen Religionen zu fragen.
Ich danke allen, die in irgendeiner Weise zum Gelingen dieser Arbeit
beigetragen haben. In besonderer Weise gilt mein Dank dem emeritierten
Erzbischof von Köln, Joachim Kardinal Meisner, für die Freistellung zur
Promotion in den letzten Jahren. Ebenso bin ich meinem Doktorvater, Herrn
1
2
In Auswahl: MÜLLER, Katholizität; HELL, Katholizität; HELLER, Katholizität; HAINTHALER, MALI, EMMENEGGER, Einheit und Katholizität; KOFFEMANN, Katholiztät; MÖDE, EHRET, Catholica; OZANKOM, Katholizität.
BEINERT, Kirchenattribut.
Vorwort
7
Prof. Dr. Karl-Heinz Menke, für die hervorragende, sowohl kritische als
auch fachkundige, stets aber freundschaftlich-ermutigende Begleitung in
den letzten Jahren und die Erstellung des Erstgutachtens zu Dank verpflichtet. Herrn Prof. Dr. Claude Ozankom gilt mein Dank für die Erstellung des
Zweitgutachtens. Den Herausgebern danke ich für die Aufnahme in die
Reihe „Bonner Dogmatische Studien“, Herrn Handwerk vom Echter Verlag
für die reibungslose Zusammenarbeit.
Ebenfalls danke ich allen, die durch ihr beständiges Nachfragen: „Was
macht die Diss?“ innerer Antrieb und mahnender Appell zugleich waren,
dasjenige zu Ende zu bringen, was vor Jahren beginnen konnte. Frau Dr.
Wibke Janssen danke ich für anregende ökumenische Fachgespräche, hilfreiche Literaturhinweise sowie aufmunternde Worte in der Schlussphase. Zu
danken habe ich Frau Dr. Claudia Brors, Frau Bettina Laube-Bruchhausen
sowie Frau Dr. Anna Wirtz für die mühsame und zeitraubende Arbeit des
Korrekturlesens. Dem Erzbistum Köln sowie dem Seminar für Dogmatik
und Theologische Propädeutik der Katholisch-Theologischen Fakultät der
Universität Bonn danke ich für deren großzügige Druckkostenzuschüsse.
Schließlich bin ich all jenen zu Dank verpflichtet, die mich seit meiner
Kindheit immer wieder Katholizität haben erfahren lassen: allen voran meinen Eltern und beiden Geschwistern mit ihren Familien, meinen Freundinnen und Freunden, schließlich all jenen, die mir auf den Etappen meiner
seelsorglichen Tätigkeit bislang begegnet sind, zuletzt meinen Schülerinnen,
Kolleginnen und Kollegen der Liebfrauenschule in Bonn sowie den Pfadfinderinnen und Pfadfindern der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG)
im Erzbistum Köln, die mich lehren, das hier Geschriebene im Alltag zu
entdecken und konkret zu leben – jeden Tag ein bisschen mehr.
Die letzten Zeilen gelten meinem Vater Bruno mit seiner „katholischen“,
d.h. offenen und kommunikativen Art. Durch seinen plötzlichen und unerwarteten Tod kurz nach Abgabe der Arbeit war es ihm und uns nicht mehr
vergönnt, sich gemeinsam über den erfreulichen Abschluss des Promotionsverfahrens zu freuen. Ihm sei diese Arbeit gewidmet im festen Glauben daran, dass er jetzt schon an der katholischen Fülle Gottes teilhat, der wir alle
noch entgegengehen.
Bonn, im April 2015
Dominik Schultheis
Inhaltsverzeichnis
i
0. Einleitung .......................................................................................................... 17
1.
Profane Bedeutung des Begriffs „katholisch“ ..................................... 18
1.1
Herkunft des Begriffs ................................................................... 19
1.2
Verwendung in der philosophischen Terminologie ................ 19
2.
Biblische Verwendung des Begriffs „katholisch“ ............................... 20
2.1
Der universale Heilsauftrag der Kirche im
biblischen Kontext ........................................................................ 21
2.2
Die Heilsfülle der Kirche in der Pleroma-Theologie ............... 22
3.
Gebrauch des Begriffs „katholisch“ bis zur Reformation .................. 23
3.1
Das erste Auftreten bei Igantius von Antiochien ..................... 23
3.2
Bedeutungserweiterung im dritten und
vierten Jahrhundert ...................................................................... 26
3.3
Weiterentwicklung bei Augustinus ........................................... 27
3.4
Akzentuierung bei Vinzenz von Lérins .................................... 29
3.5
Verwendung in der mittelalterlichen Theologie ...................... 30
4.
„Katholisch“ im Zuge der Spaltungen der Catholica ......................... 33
4.1
Katholizität nach ostkirchlichem Verständnis ......................... 35
4.2
Katholizität in den aus der Reformation hervorgegangenen traditionellen evangelischen Kirchengemeinschaften ..... 40
4.2.1 Katholizität in evangelisch-lutherischer Sicht ............... 40
4.2.1.1 Katholizität bei Martin Luther .......................... 40
4.2.1.2 Katholizität bei Philipp Melanchthon .............. 45
4.2.1.3 Katholizität in heutiger evangelischlutherischer Sicht ................................................. 47
4.2.2 Katholizität in reformierter Sicht .................................... 49
4.2.2.1 Katholizität bei Johannes Calvin ....................... 49
4.2.2.2 Katholizität in heutiger reformierter Sicht ...... 50
4.3
Katholizität als Konfessionsbezeichnung ................................. 51
4.4
Katholizität in der nachtridentinischen
Kontroverstheologie..................................................................... 52
4.5
Katholizität nach anglikanischem Verständnis ........................ 57
4.6
Katholizität in freikirchlicher Perspektive ................................ 59
4.7
Katholizität in altkatholischer Sicht ........................................... 63
5.
Ziel der Untersuchung und methodisches Vorgehen......................... 65
10
Inhaltsverzeichnis
Erster Teil:
I.
Die Katholzität als Integral aller wesentlichen ekklesialen
Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils ......................... 71
„Katholisch“ und „Katholizität“ in den Konzilstexten ............................ 73
1. Kritische Durchsicht aller Konzilstexte auf die Begriffe
„katholisch“ und „Katholizität“ hin ..................................................... 75
1.1
Die Verwendung in SC ................................................................ 76
1.2
Die Verwendung in IM ................................................................ 77
1.3
Die Verwendung in LG ............................................................... 78
1.4
Die Verwendung in OE ............................................................... 85
1.5
Die Verwendung in UR ............................................................... 90
1.6
Die Verwendung in CD ............................................................. 106
1.7
Die Verwendung in OT ............................................................. 110
1.8
Die Verwendung in GE ............................................................. 113
1.9
Die Verwendung in NA und DV ............................................. 114
1.10 Die Verwendung in AA ............................................................. 115
1.11 Die Verwendung in DiH ........................................................... 116
1.12 Die Verwendung in AD ............................................................. 119
1.13 Die Verwendung in PO und GS ............................................... 124
2. Zwischenresümee: Der unterschiedliche Gebrauch der Begriffe
„katholisch“ bzw. „Katholizität“ in den Konzilstexten und
deren jeweilige Intention ...................................................................... 126
3. Katholizität als Schlüssel zur Verhältnisbestimmung von
kirchlicher Einheit und Vielfalt............................................................ 133
II.
Kirche als „Volk Gottes“ des neuen Bundes oder: Der Bundescharakter der Heilsgeschichte als Voraussetzung der
Katholizität Israels und der Kirche ........................................................... 148
1. Der trinitarische Rahmen konziliarer Ekklesiologie ......................... 150
2. Die Bezeichnung der Kirche als „Volk Gottes“ des
neuen Bundes ......................................................................................... 152
2.1
Biblisch-theologische Grundlegung des Volk-GottesBegriffs ......................................................................................... 156
2.2
Theologiegeschichtliche Verwendung von
„Volk Gottes“ .............................................................................. 158
2.3
Neurezeption des Volk-Gottes-Begriffs auf dem Konzil:
Das Volk-Gottes-Sein der Kirche als Erweis ihrer
Katholizität .................................................................................. 160
3. Exkurs: Die schwierige Verhältnisbestimmung zwischen Jesu
Sammlung des wahren Israels und der Kirche ................................. 165
Inhaltsverzeichnis
3.1
3.2
3.3
3.4
11
Die Bedeutung des alttestamentlichen Begriffs berît und
die alttestamentlichen Bundestheologien ............................... 168
διαθήκη zur Wiedergabe des alttestamentlichen Bundesbegriffs und die Stränge neutestamentlicher
Bundestheologien ....................................................................... 174
Die Verhältnisbestimmung Alter-Bund – Neuer Bund ......... 180
Würdigung und Ertrag für diese Untersuchung ................... 185
III. Kirche als „Grundsakrament“ des Heils oder: Die Sakramentalität der Kirche als Voraussetzung ihrer Katholizität ......................... 189
1. Die Bezeichnung der Kirche als „Sakrament“ ................................... 189
2. Die missverständliche Bezeichnung als „Leib Christi“ .................... 194
2.1
Biblisch-theologische Grundlegung des Leib-ChristiBegriffs ......................................................................................... 196
2.2
Theologiegeschichtliche Verwendung des Leib-ChristiBegriffs ......................................................................................... 198
3. Kirche als „Volk Gottes vom Leib Christi her“: Der Zusammenhang von Eucharistie und Sakramentalität der Kirche .................... 208
3.1
Eucharistie als Herzmitte der Kirche: de Lubacs Zusammenschau von ekklesialem und eucharistischem
Leib Christi .................................................................................. 209
3.2
Ansätze einer eucharistischen Ekklesiologie in den
Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils ............................ 214
3.3
Die Wesensbeschreibung der Kirche als Grundsakrament
im Horizont ihrer Katholizität .................................................. 220
4. Exkurs: Der Streit um das „subsistit in“ oder: Die Verhältnisbestimmung von unsichtbarer und sichtbarer Kirche im
Horizont ihrer Katholizität ................................................................... 224
4.1
Das „subsistit in“ in LG 8 .......................................................... 226
4.2
Würdigung und Ertrag für diese Untersuchung ................... 238
IV. Kirche als „Communio“ oder: Die Verhältnisbestimmung von
Einheit und Vielheit als Kriterium wahrer Katholizität......................... 245
1. Biblisch-theologische Grundlegung des
Communio-Gedankens ......................................................................... 247
1.1
Communio-Denken im Alten Testament ................................ 247
1.2
Communio im Neuen Testament ............................................. 248
2. Theologiegeschichtliche Entfaltung des
Communio-Gedankens ......................................................................... 252
2.1
Die „Communio Sanctorum“ in der Alten Kirche ................. 252
12
Inhaltsverzeichnis
2.2
Die Krise des ekklesiologischen CommunioGedankens ................................................................................... 257
3. Die Neurezeption des Communio-Seins der Kirche im
Horizont ihrer Katholizität ................................................................... 262
3.1
Communio als Teilhabe an der innertrinitarischen
Communio Gottes ...................................................................... 264
3.2
Die eucharistisch bestimmte Communio der Kirche
als Ausdruck ihrer Katholizität ................................................ 265
3.3
Die bischöfliche Kollegialität als sakramentale
Repräsentation der Katholizität ............................................... 270
3.4
Die Communio Fidelium als Verwirklichung der
Katholizität aller Gläubigen ...................................................... 275
3.5
Das Verhältnis von bischöflicher Kollegialität und
päpstlichem Primat oder:
Der Prüfstein echter Katholizität .............................................. 277
4. Exkurs: Das Verhältnis von Universal- und Ortskirche oder:
Die Kontroverse um das Verhältnis von Einheit und Vielfalt
als Kriterium der Katholizität .............................................................. 289
4.1
Die Weiterschreibung der konziliaren Formel „Ecclesia
in et ex Ecclesiis“ durch die Glaubenskongregation:
„Ecclesiae in et ex Ecclesia“ ...................................................... 290
4.2
Die von Joseph Ratzinger betonte ontologische und zeitliche Priorität der Universalkirche vor der Ortskirche oder:
Die christologische Deutung der katholischen
Einheit in Vielfalt ........................................................................ 293
4.3
Der Disput der Kardinäle oder: Die Möglichkeit einer trinitarischen Deutung der katholischen Einheit in Vielfalt ..... 301
4.4
Würdigung und Ertrag für diese Untersuchung ................... 309
5. Resümee der bisherigen Erkenntnisse ................................................ 317
Zweiter Teil: Die sakramentale Bestimmung der Katholizität der Kirche
und ihre Konsequenzen nach innen und nach außen ........... 323
V.
Die Katholizität als christologisch begründete
Einheit in Vielfalt ......................................................................................... 325
1. Die Wesensbestimmung von Kirche als Sakrament ......................... 327
1.1
Die Begründung der Kirche im Heilshandeln Gottes
und in dessen innergeschichtliche Offenbarung in
Jesus Christus .............................................................................. 328
Inhaltsverzeichnis
1.2
1.3
1.4
1.5
13
Die Kirche als sakramentales Zeichen und Werkzeug
zur Durchsetzung des universalen Heilswillens Gottes ....... 330
Das innergeschichtliche Handeln der Kirche als ihre
sakramentale Einbindung in das Heilshandeln Gottes ......... 334
Jesus Christus als das Ursakrament der Selbstmitteilung
Gottes und die Kirche als das Grundsakrament des in
Jesus Christus erschienenen göttlichen Heils ......................... 338
Die trinitarische Bezugsebene: Gott als Ursprung und
bleibendes Gegenüber von Kirche und der Heilige Geist
als die charismatische Dimension von Kirche ........................ 348
2. Die Katholizität der Kirche als Sakrament der
Katholizität Christi ................................................................................ 356
2.1
Die Katholizität Christi als Begründung der Katholizität
der Kirche .................................................................................... 358
2.1.1 Die Katholizität Christi als „universale
concretum“ ....................................................................... 360
2.1.2 Die Katholizität der Kirche als Entfaltung
der Katholizität Christi ................................................... 368
2.2
Die Katholizität der Kirche als je zu verwirklichende
personale Christusrepräsentation und darin
notwendige Einheit in Vielfalt .................................................. 374
2.3
Die Kirche als objektiv und subjektiv zu verwirklichendes heilsnotwendiges Sakrament der Katholizität Christi
um der Vielen willen.................................................................. 381
2.4
Notwendige Grenzziehungen und Weitungen innerhalb
der Kirche zur Wahrung katholischer Einheit in Vielfalt ..... 398
VI. Die Katholizität der Kirche als Maßstab innerkirchlichen Lebens ....... 408
1. Zusammenfassender Überblick der bisherigen Erkenntnisse ......... 410
2. Katholizität nach innen: Das spannungsreiche Zueinander
von Einheit und Vielfalt im binnenkirchlichen Bereich ................... 418
2.1
Die Katholizität der Kirche in der strukturellen Spannung von gemeinsamem und besonderem Priestertum ....... 419
2.1.1 Weitungen zu einer katholischen Vielfalt im
Bereich der Liturgie und der Pastoral .......................... 422
2.1.2 Grenzen katholischer Vielfalt zur Wahrung
kirchlicher Einheit ........................................................... 424
2.1.3 Der Dialog als geistgewirkter Weg zu einem
Mehr an gelebter Katholizität ........................................ 429
2.2
Die Katholizität der Kirche in der strukturellen Spannung von Ortskirchen und Universalkirche ........................... 430
14
Inhaltsverzeichnis
2.2.1 Der Papst und das Bischofskollegium als
aufeinander zugeordnete Subjekte communialer
Katholizität ....................................................................... 434
2.2.2 Gesamt- und partikularkirchliches Recht als
einander zugeordnete Größen
communialer Katholizität .............................................. 442
2.2.3 Die klassischen Sozialprinzipien der Kirche als
Hilfen zu einem Mehr an gelebter Katholizität .......... 449
2.2.4 Das Ringen um ein Mehr an „katholischer“
Haltung ............................................................................. 450
VII. Die Katholizität der Kirche als ökumenische Brücke in der Suche
nach kirchlicher Einheit .............................................................................. 455
1. Aspekte einer im Wesen sakramental bestimmten
Katholizität in ökumenischen Konsenspapieren ............................... 457
1.1
Die Unterscheidung von quantitativer (exklusiver)
und qualitativer (inklusiver) Katholizität ............................... 457
1.2
Die Kirche als Sakrament der Katholizität Christi ................. 460
1.3
Die Katholizität in der Spannung von Schon und
Noch-nicht sowie von Gabe und Aufgabe .............................. 467
1.4
Die Katholizität in der Spannung von Einheit
und Vielfalt.................................................................................. 471
1.5
Die Katholizität in der Spannung von Orts- und
Universalkirche ........................................................................... 476
1.6
Die Katholizität in der Spannung von Inklusivität
und Exklusivität ......................................................................... 481
1.7
Die Katholizität und ihre amtliche Bezeugung ...................... 483
1.8
Resümee ....................................................................................... 490
2. Katholizität und der steile Weg zu einer sichtbaren Einheit
der getrennten Kirchen ......................................................................... 495
2.1
Unterschiedliche Modelle kirchlicher Einheit ........................ 496
2.2
Ein (römisch-)katholisches Modell sichtbarer
Kircheneinheit ............................................................................. 502
2.3
Resümee ....................................................................................... 514
VIII. Die Katholizität als Motor einer Offenheit von Kirche auf die
nichtchristlichen Religionen sowie auf Welt hin .................................... 519
1. Die in der Katholizität gründende Selbstverpflichtung
zum Dialog ............................................................................................. 520
1.1
Die Heilsgeschichte als Dialog Gottes mit den Menschen.... 521
1.2
Das dialogische Wesen Gottes .................................................. 523
Inhaltsverzeichnis
1.3
1.4
15
Die Empfänglichkeit der Menschen für den Dialog
mit Gott ........................................................................................ 525
Konsequenzen für eine gelebte Katholizität nach außen ...... 527
2. Der in der Katholizität begründete Auftrag zur Mission ................. 540
2.1
Mission als Teilhabe an der Katholizität Christi .................... 541
2.2
Mission als Teilgabe des katholischen Glaubens
sowohl nach innen wie nach außen ......................................... 549
2.3
Mission als Kontextualisierung und Inkulturation ............... 553
2.4
Mission als Befreiungshandeln und
diakonischer Dienst.................................................................... 556
2.5
Mission als dialogisches Geschehen ........................................ 558
Schlussbetrachtung .............................................................................................. 561
Literaturverzeichnis ............................................................................................ 567
Personenverzeichnis ............................................................................................ 618
17
0. Einleitung
Die Katholizität der Kirche gehört neben der Einheit, Heiligkeit und Apostolizität zu
den vier Attributen, mit denen das nizäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis (381 n.Chr.) die wahre Kirche Jesu Christi qualifiziert und gegenüber häretischen Gruppen abgrenzt: „Wir glauben […] an die eine heilige katholische und apostolische Kirche“ (DH 150). Wenn heute von der „katholischen“ Kirche gesprochen wird,
dann zumeist in einem konfessionellen, von anderen christlichen Denominationen
abgrenzenden Sinne. Ursprünglich dient „katholisch“ jedoch nicht als Konfessionsbezeichnung, sondern als Wesenseigenschaft: Kirche ist „katholisch“ meint, dass sie
allumfassend, universal und allgemein ist und dies in einem sowohl quantitativen
als auch qualitativen Sinne. Katholizität zeigt an, dass wahre Kirche im Gegensatz zu
schismatischen und lokalen Abspaltungen durch die Zeiten hindurch und über den
ganzen Erdkreis verbreitet ist, dass sie zu allen Menschen, Völkern, Kulturen und
Rassen aller Zeiten und Orte gesandt ist, das Evangelium zu verkünden, und dass sie
zur Bewältigung dieser Aufgabe im Besitz aller notwendigen Gnadengaben ist. Katholische Kirche „verkündet den ganzen Glauben und das ganze Heil für den ganzen
Menschen und die ganze Menschheit.“1
Während alle christlichen Denominationen einig darin sind, dass sie „katholisch“
und folglich wahre Kirche Jesu Christi sind, so zeigt sich doch ein weites Spektrum,
was die jeweiligen Konfessionen unter ihrer „Katholizität“ verstehen und noch mehr:
mit welcher inhaltlichen Füllung und mit welcher Gewichtung sie den Begriff „katholisch“ bzw. „Katholizität“ verwenden. Das aber wirft die Frage auf, was genau
das Referenzobjekt ist, auf das sich die dritte nota bezieht: Welcher Kirchenbegriff ist
vorausgesetzt, wenn von der Katholizität „der“ Kirche die Rede ist? Oder anders gefragt: Welche Wirklichkeit von Kirche, ist Trägerin dieses Wesensmerkmals (Frage
nach dem Seinsgrund der Katholizität)?
Wenn jede christliche Konfession gleichermaßen Katholizität für sich in Anspruch nimmt, den Begriff aber unterschiedlich mit Inhalt füllt, ist danach zu fragen,
woran genau man „eine der Konfessionskirchen im Bekenntnis zur einen, heiligen,
katholischen und apostolischen Kirche als deren Repräsentation oder Verwirklichung erkennen“2 kann? Inwieweit lassen sich die von der Kirche aussagbaren Wesenseigenschaften empirisch erfassen, so dass auch von außen gesagt werden kann,
dass diese oder jene Wirklichkeit von Kirche eine konkrete Existenzform der einen
Kirche Jesu Christi ist (Frage nach dem Erkenntnisgrund der Katholizität)? Auch
wird in derartige Überlegungen die Frage mit einbezogen werden müssen, in welcher inneren Korrelation die vier Wesensmerkmale zueinander stehen. Denn „Katho1
2
KASPER, Kirche. III.: 1466.
ARX, Kirche:149.
18
0. Einleitung
lizität ist die Eigenschaft der Kirche, durch die sie als die eine (→ Einheit) und stets
ihrem Ursprung verbundene (→ Apostolizität) und dank der Macht der heiligenden
Gnade (→ Heiligkeit) universale Kirche existiert.“3
Es gibt noch weitere Fragenhorizonte, die eine Reflexion über die Katholizität
aufreißen. Bevor ich mich solchen Fragen widme und den Versuch einer Bestimmung der Katholizität der Kirche in der deutschsprachigen systematischen Theologie
seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil betreibe, scheint eine kurze Analyse des Begriffes „katholisch“ und seiner geschichtlichen (konfessionellen) Entwicklung angezeigt. Hierzu wurden in früheren Studien zur Katholizität bereits umfangreiche Erkenntnisse geliefert. Verwiesen sei etwa auf Arbeiten von Henri de Lubac, Yves
Congar, Urs von Balthasar, Wolfgang Beinert, Peter Steinacker u.v.a.m.4 Um den
Problemhorizont genauer entfalten zu können, vor dem ich meine Untersuchung aus
„(römisch-)katholischem“ Blickwinkel anstelle, sollen die unterschiedlichen konfessionellen Konnotationen des Begriffs „katholisch“ mit in den Blick genommen werden. Denn das (römisch-)katholische Verständnis der Katholizität lässt sich nicht widerspruchsfrei entfalten, wenn nicht die Positionen der anderen Denominationen
zumindest ansatzweise präsent sind. Dass dies im Rahmen dieser Untersuchung nur
ansatzweise geschehen kann, versteht sich von selbst. Ess können nur einige – notgedrungen selektive – Schlaglichter auf diesen weiten Themenkomplex geworfen
werden, die am Ende womöglich mehr Fragen aufwerfen als sie Antworten liefern.
1. Profane Bedeutung des Begriffs „katholisch“
Auch wenn sich der Begriff „katholisch“ in adverbialer Form („καθόλον“) sowohl in
der Septuaginta als auch im NT finden lässt5, ist er kein originär theologischer Terminus, sondert entspringt dem profanen Bereich der griechischen Antike.
3
4
5
BEINERT, Katholizität, katholisch: 625.
Zum Thema allgemein vgl. u.a. folgende Monografien: LUBAC, Catholicisme; GARCIADIEGO, Katholiké Ekklesia; BEINERT, Kirchenattribut; BERKHOF, Katholizität; BALTHASAR,
Katholisch; STEINACKER, Kennzeichen; DULLES, Catholicity; SECKLER, Katholizität. Einen
guten Überblick über den Wortsinn von „katholisch“ und dessen folgenreiche Begriffsgeschichte bieten u.a.: BEINERT, Katholisch, Katholizität: 787–789; DERS., Katholizität
der Kirche: 1372; DERS., Katholizität als Eigenschaft: 238–264; DERS., Wesenseigenschaften
der Kirche: 492–524, bes. 512–517; CONGAR, Wesenseigenschaften: 478–502 (hier vor allem
auch Anm. 1 und 2); FAHLBUSCH, Katholisch: 991f; KELLY, Begriffe: 9–21; HELL, Katholizität: 9–47; LOSSKY, Image: 169–181; KASPER, Katholische Kirche: 254–265; DERS., Katholizität: 360–371; LEHMANN, Herausforderung: 109–121; LIES, Geschichte: 17–47; MAYER, Allumfassend: 37–48; MERKLEIN, Katholizität: 1370–1372; NEUMANN, Katholizität: 53–71;
SCHLIER, Das bleibend Katholische: 297–320; DERS., Gotteswort: 54–82; SECKLER, Katholisch: 401–431; STEINACKER, Katholizität: 72–80; STOCKMEIER, Begriff: 63–74.
Vgl. BEINERT, Katholizität, katholisch: 625f.
1. Profane Bedeutung des Begriffs „katholisch“
1.1
19
Herkunft des Begriffs
Etymologisch leitet sich der Begriff „katholisch“ vom griechischen Adjektiv
καθολικό ab, das aus dem ursprünglicheren Adverb καθόλον gebildet wurde. Das
aus der Präposition κατά (mit Genitiv: „von … herab“; „in ... hinein“) und dem Adjektiv ὅλος („ganz“) zusammengesetzte Wort lässt sich wörtlich übersetzen mit: „auf
ein Ganzes bezogen“, „vom Ganzen her“, „ein Ganzes betreffend“ und kann auf die
Grundbedeutung: „umfassend“, „vollständig“, „vollkommen“ subsumiert werden.6
Griechische Antonyme sind etwa ἴδιος („eigen“, als Adverb ἴδιον: „für sich“) und
μέρικο„einzeln“, „zum Teil“). Als lateinische Synonyme lassen sich nennen:
„communis“ („gemeinsam“, „im Allgemeinen“), „universalis“ („allgemein“), „totus“
(„ganz“, „voll“, „in vollem Umfang“), „perpetualis“ („allgemeingültig“).7
Da die Begriffe καθολικό und καθόλον in der philosophischen Terminologie in
reicher Bedeutungsvielfalt anzutreffen sind, seien nachfolgend die wichtigsten Linien ihrer Verwendung in der antiken Profanliteratur nachgezeichnet.
1.2
Verwendung in der philosophischen Terminologie
In der griechischen Philosophie sind sowohl das Adverb καθόλον als auch das Adjektiv καθολικό häufig anzutreffen, erstmals belegt bei Platon (5./4. Jh. v. Chr.).8
Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch und damit in die Logik und Metaphysik finden beide Begriffe durch Aristoteles (4. Jh. v. Chr.). Bei ihm bezeichnen
καθόλον bzw. καθολικόden Allgemeinbegriff, einen allgemeinen Satz oder das
Objekt einer Wissenschaft, welche Allgemeines behandelt.9 Im aristotelischen Sinne
können beide Begriffe demnach übersetzt werden mit: „sich auf ein Ganzes beziehend“,
„im allgemeinen“. Zeno (4./3. Jh. v. Chr.) überschreibt eines seiner Werke mit dem
6
7
8
9
Vgl. ebd.; BEINERT, Kirchenattribut I: 24; DERS., Katholisch, Katholizität: 787; FAHLBUSCH,
Katholisch: 991.
Vgl. QUINT. inst. II; 13; 14, nach der lateinisch-deutschen Ausgabe hg., übers. und
kommentiert von Franz Loretto (Stuttgart 1974). Henri de Lubac bemerkt: „Die Kirche
Christi ist universal: sie ist ‚katholisch’. Etymologisch sind diese beiden Attribute nahe
verwandt; man kann sie als beinah gleichbedeutend bezeichnen“ (LUBAC, Einheit: 31).
Vgl. PLAT. Men. 77 a, nach der griechisch-deutschen Ausgabe hg. und übers. von
Klaus Reich auf der Grundlage der Übersetzung von Otto Apelt in Verbindung mit
Else Zekl = PhB 278 (19933).
Vgl. ARISTOT. an. pr., 24 a 17f. und DERS. an. post. 73 b 26 (nach der griechischdeutschen Ausgabe hg. und übers. von Hans Günter Zekl = PhB 492–495 (2001); DERS.
metaph. IV, 1023 b 29, nach der griechisch-deutschen Ausgabe hg. und übers. von
Hermann Bonitz auf der Grundlage des griechischen Textes von Wilhelm Christ = PhB
307 (19893), sowie DERS. int. 7,17 a 39, nach der griechisch-deutschen Ausgabe hg. und
übers. von Hans Günter = PhB 493 (2001).
20
0. Einleitung
Wort καθόλικαdas ins Deutsche mit „Über die Universalien“ bzw. „Über die allgemeinen Prinzipien“ übersetzt werden kann.10
Polybios (2. Jh. v. Chr.) verwendet das Adjektiv καθολικόunter anderem im
Sinne von „vollkommen“, „allumfassend“, „vollständig“, „allgemein“, „in Fülle bestehend“,
„in sich vollständig“, womit in metaphysischem bzw. geschichtlichem Zusammenhang eine organische Ganzheit bzw. ein geistesgeschichtlicher Zusammenhang ausgesagt werden soll.11 Bei Rhetorikern und Naturwissenschaftlern wie etwa Philon
(1. Jhd. n. Chr.) wird der Begriff im Sinne von „generell“, „allgemein“ im Gegensatz zu
„partikulär“ gebraucht.12
Bei aller hier nur exemplarisch dargelegten Bedeutungsvielfalt lassen sich für
καθολικό im nichttheologischen Wortgebrauch zusammenfassend drei Grundbedeutungen herausstellen:
„1. Die raum-zeitliche im Sinne von „vollständig“, „allgemeingültig“; 2. „allgemein“, „generell“ in der Fachterminologie von Logik und Rhetorik; 3. „vollkommen“, „in Fülle“, „richtig, d.h. so, wie es sein soll“13.
Während die erste Bedeutung in der lateinischen und neueren Philosophie ihren
Niederschlag findet (etwa bei Johannes Clauberg und Emilie Meyerson14), gewinnt
die dritte in der Theologie der Patristik an Relevanz. Bevor diese dritte Bedeutung
näher betrachtet werden soll, sei ein kurzer Blick auf den biblischen Befund gelenkt.
2. Biblische Verwendung des Begriffs „katholisch“
Im Neuen Testament ist das Adverb καθόλον lediglich einmal belegt (vgl. Apg 4,18).
Dort wird es im Sinne von „gänzlich“, „überhaupt“, „jemals“ verwendet. Mit gleicher Bedeutung findet sich der Begriff an neun Stellen in der Septuaginta. Beide
Quellen verwenden καθόλονniemals im theologischen, ekklesiologischen Sinne,
etwa als Attribut der Kirche zur Bezeichnung von deren Universalität.15 In diesem
Wortsinne lässt sich der Begriff „katholisch“ im Neuen Testament nicht finden. Sehr
wohl aber sind der Sache nach begriffliche Äquivalente im Neuen Testament enthalten, die das zum Ausdruck bringen, was mit dem erst später verwendeten Terminus
10
11
12
13
14
15
Vgl. ZEN. Stoic. vet. fragm. 1,14, hg. von Hans von Arnim (Stuttgart 1964).
Vgl. POL., Hist. I, 4,2, hg. von Ludwig Dindorf und Theodor Büttner-Wobst (München
1993).
Vgl. CONGAR, Wesenseigenschaften: 479.
STEINACKER, Katholizität: 72.
Vgl. CLAUBERG, Opera: 283; MEYERSON, explication: 703.
Vgl. BEINERT, Katholizität, katholisch: 625f.
2. Biblische Verwendung des Begriffs „katholisch“
21
„katholisch“ ausgesagt sein will: den universalen Heilsauftrag der Kirche und ihre
umfassende Heilsfülle.16
2.1
Der universale Heilsauftrag der Kirche im biblischen Kontext
Vorbereitet wird der Gedanke des universalen Heilsauftrages der Kirche bereits im
Alten Testament. Vor allem Deutero-Jesaja hat das Heil für die ganze Welt im Blick
(vgl. Jes 40,5; 45,23f; vgl. auch Sach 2,15; Ps 22,28; Jes 25,6ff), welches durch Israel bezeugt wird. Dessen eschatologische Sendung ist es, „Licht für die Völker“ (Jes 42,6;
49,6) zu sein und die Völker zur endzeitlichen Wallfahrt nach Jerusalem zu rufen
(Jes 2,2ff; Mich 4,1ff). Seit der Berufung Abrahams ist mit der Geschichte Israels eine
„allgemein gültige, universale Verheißung verbunden. Über Israel wird das Heil zu
allen Völkern gelangen“17. In diese Sendung weiß sich Christus gestellt, der sich anfangs ausschließlich zum Volk Israel gesandt fühlt (Mt 10,6; 15,24).
Mit seinem nachösterlichen Missionsauftrag: „Geht zu allen Völkern und macht
alle Menschen zu meinen Jüngern“ (Mt 28,19) weitet er das ursprünglich eschatologisch verstandene Motiv der Völkerwallfahrt missionarisch auf alle Völker aus. So
betont etwa der Evangelist Lukas das in Jesus aufgeschienene Licht, das nicht nur
das Volk Israel, sondern „die Heiden erleuchtet“ (Lk 2,32). Und auch der Evangelist
Johannes unterstreicht den Gedanken der Heilsuniversalität Jesu, wenn er Metaphern wie „Licht der Welt“ (Joh 8,12; 12,46) oder „Retter der Welt“ (Joh 4,26) auf
Christus bezieht.
Sowohl in der Apostelgeschichte als auch bei Paulus lässt sich sodann der Gedanke der weltweiten, universellen Mission „bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8;
Röm 15,19.24) finden. Zur Kirche gehören sehr bald Juden wie Heiden, wobei der
Gedanke von der Sammlung aller (Heiden-)Völker stets mit dem Gedanken der
Wiederherstellung des Volkes Israels verbunden bleibt (vgl. Apg 15,13–18). Es setzt
sich die Einsicht durch, dass es „keinerlei nationale, rassische, geographische, soziologische, biologische Schranken für die Aufnahme in die christliche Gemeinde geben
kann, weil der in Christus sich manifestierende Versöhnungswille Gottes universal
ist“18. Das universale Heilsgeschehen in Christus bringen vor allem die paulinische
Lehre von der Rechtfertigung (vgl. Gal 2,15–21; Röm 3,21–31) sowie die johannäische
Rede von der kosmischen Sendung Jesu zum Heil der Welt (vgl. Joh 3,16f; 12,46f;
1 Joh 4,9) zum Ausdruck.
Die sich sehr bald einstellende Universalität der frühchristlichen Gemeinden
schmälert keineswegs Israels originäre heilsgeschichtliche Bedeutung und dessen eschatologische Erwählung. Im Gegenteil: Die Rückbindung der (heiden-)christlichen
16
17
18
Vgl. KASPER, Katholische Kirche: 254f. Vgl. zu den folgenden Ausführungen auch BASARAB, Katholizität: 258–268, vor allem aber MERKLEIN, Katholizität: 1370ff.
HASITSCHKA, Katholizität: 11.
STEINACKER, Katholizität: 73; vgl. hierzu auch: Mt 8,5–13; Lk 7,1–10.
22
0. Einleitung
Kirche an die Sendung Israels wird zum Wesen ihrer universellen – im Epheser- (vgl.
Eph 1,10; 1,20; 3,10) und Kolosserbrief (vgl. Kol 1,18) kosmisch ausgeweiteten – Sendung und erweist sich fortan als Merkmal ihrer Katholizität. Dass deren Sendung
nicht nur ein geographisches, sondern auch ein zeitlich-universalgeschichtliches
Ausmaß haben wird, lässt Paulus anklingen, wenn er davon berichtet, wie er „von
Jerusalem aus in weitem Umkreis bis nach Illyrien überallhin das Evangelium Christi
gebracht“ (Rom 15,19) hat und darum bemüht ist, „das Wort Gottes in seiner Fülle
[zu] verkündige[n]“ (Kol 1,25).
2.2
Die Heilsfülle der Kirche in der Pleroma-Theologie
Ausgefaltet wird der Gedanke von der Universalität der Kirche in der deuteropaulinischen πλήρωμα-Theologie.19 Kolosser- und Epheserbrief bedienen sich des
umgangssprachlichen Begriffs πλήρωμα und verleihen ihm eine soteriologischekklesiologische Bedeutung. Damit wird der Gedanke vom universalen Heilsauftrag
der Kirche auf ihre umfassende Heilsfülle ausgeweitet.
Auch wenn sich die jüngere Exegese schwer tut, den in Kol 1,19 verwendeten
Terminus πλήρωμα eindeutig zuzuordnen20, dürfte unumstritten sein, dass
Kol 1,15–20 den Kreuzestod Jesu als eine den ganzen Kosmos umspannende Versöhnungstat wertet, die der Kirche als dem „Leib Christi“ (vgl. 1 Kor 12,12–27) wiederum eine kosmische Dimension verleiht. Dadurch kann sowohl die paulinische Völkermission als geschichtliche Antizipation der eschatologischen Sammlung des Volkes Israels verstanden als auch die ἐκκλησία als Verwirklichung bzw. geschichtliche
Konkretisierung des in Christus wohnenden Heils interpretiert werden: „Denn in
ihm allein wohnt wirklich die ganze Fülle Gottes. Durch ihn seid auch ihr davon erfüllt; denn er ist das Haupt aller Mächte und Gewalten“ (Kol 2,9–10; vgl. Kol 1,24–
2,5; Joh 1,14–16).
Der Epheserbrief weitet diese soteriologische Sicht der Kirche aus, wenn er dem
universellen Heilsgeschehen in Christus eine ekklesiale Bedeutung beimisst. Eph 1,23
gibt dem Begriff πλήρωμα einen ekklesiologischen Sinn: „Sie [die Kirche] ist sein
Leib und wird von ihm erfüllt, der das All ganz und gar beherrscht“ (Eph 1,23).
Eph 4,13 beschreibt Ideal und Sendung einer im Innern und Äußeren gereiften Gemeinde, die den österlichen Christus abbildet, während Eph 2,14–17 das Erlösungswerk Christi als „Türöffner“ zum himmlischen Jerusalem versteht: Juden wie Heiden
werden durch Christi Heilstat zu einem neuen Menschen gestaltet und erhalten „zu19
Vgl. hierzu folgende Beiträge in Auswahl: BEINERT, Kirchenattribut II: 401ff; DELLING,
πλήρωμα: 207–304; ERNST, Pleroma: 355; DERS., Pleroma Christi; FEUILLET, Plérôme: 18–
20
40; HÜBNER, Pleroma: 262ff; KORTING, Partizip: 260–265; LANGKAMMER, Einwohnung:
258–263; MÜNDERLEIN, Erwählung: 264–276; MUßNER, Christus: 46–64; POTERIE,
Plérôme: 500–524; STEINACKER, Kennzeichen: 74–101.
Vgl. ERNST, Pleroma: 355.
3. Gebrauch des Begriffs „katholisch“ bis zur Reformation
23
sammen mit ihm einen Platz im Himmel“ (Eph 2,6) sowie – als „Hausgenossen Gottes“ einen direkten „Zugang zum Vater“ (Eph 2,18f).
Dieser nur äußerst knappe Einblick in die Pleroma-Theologie macht deutlich, wie
die Katholizität – wenn auch nicht explizit, so doch implizit – bereits in frühchristlicher Zeit der ἐκκλησία zugeordnet wird:
„Die Kirche wird zum Raum der Heilsfülle (πλήρωμα), durch den Christus als
das Haupt über alles das All erfüllt […] [D]as ekklesiale Sosein [wird] zur bleibenden Aufgabe der geschichtlichen Kirche, die die ihr geschenkte Heilsfülle in erkennender Reflexion, sittlicher Erneuerung und missionarischer Bemühung je erst
einholen muss“.21
3. Gebrauch des Begriffs „katholisch“ bis zur Reformation
In der Theologie erscheint der Begriff „katholisch“ als Theologumenon erstmals in
der Väterzeit. Zunehmend dient er der Ausgestaltung des Selbstverständnisses der
jungen Kirche und wird mit unterschiedlichen theologischen Inhalten gefüllt. Dies
hängt vom Verständnis des im Begriff „Katholizität“ enthaltenen ὅλος ab. Je nachdem, was mit diesem „Ganzen“ ausgesagt ist, variieren auch die sich teils überschneidenden Bedeutungen der „Katholizität“. Im Folgenden seien die wesentlichen
Bedeutungsvarianten in ihrer historischen Entwicklung bis zur Reformation nachgezeichnet.22
3.1
Das erste Auftreten bei Ignatius von Antiochien
Als Attribut der Kirche sowie im christlichen Sprachgebrauch überhaupt tritt der Begriff „katholisch“ erstmals bei Ignatius von Antiochien auf. In seinem wohl um
110 n. Chr. verfassten Brief an die Gemeinde in Smyrna heißt es: „Wo der Bischof erscheint, da soll auch die Gemeinde sein, wie da, wo Christus Jesus sich befindet, auch
die allgemeine Kirche ist.“23
Ignatius unterscheidet zwischen der allgemeinen Kirche („ἡ καθολικὴ
ἐκκλησία“, „wo Christus Jesus sich befindet“) und ihren Ortskirchen („wo der Bischof erscheint“) und stellt zwischen beiden Größen eine Beziehung her. Die Entsprechung zwischen Bischof und Christus auf der einen und irdischer und himmlischer Realität der Kirche auf der anderen Seite ist für die ignatianische Theologie
21
22
23
MERKLEIN, Katholizität: 1371f.
Vgl. zur Geschichte über den mannigfaltigen Gebrauch des Begriffes „katholisch“ die
bei Y. Congar und P. Steinacker zusammengetragenen Literaturhinweise: vgl. CONGAR, Wesenseigenschaften: 478 und STEINACKER, Katholizität: 80.
IGN. Smyrn. 8,2 (vgl. PAULSEN, Briefe: 96; vgl. auch: LINDEMANN, Väter: 176–241.
24
0. Einleitung
kennzeichnend. Es scheint unbestritten, dass Ignatius das im Kolosser- und Epheserbrief entfaltete soteriologisch-ekklesiologische Begriffsfeld von πλήρωμα durch das
bis dato nur im profanen Sprachgebrauch verwendete καθόλον ersetzte, ohne das
dort Gemeinte abzumildern. Die Kirche im urbildlichen, transzendenten Sinne ist
„katholisch“, das heißt heilsuniversal und heilsvollkommen, da Christus in ihr gegenwärtig ist. Katholische Kirche meint also hier primär die Universalkirche, die
überall dort ist, wo Christus gegenwärtig ist.24 Die je geschichtlich-konkrete Kirche
vor Ort bleibt als Abbild notwendig auf ihr Urbild, die Universalkirche, und damit
auf Christus bezogen.25 „Katholisch ist die Kirche also letztlich von Christus her; in
ihm ist ja Gott in seiner ganzen Fülle (πλήρωμα) erschienen (Kol 1,19; 2,9) […]. Diese
christologische Fülle ist in der vom Bischof geleiteten Ortskirche präsent. Damit gehört sowohl die christologische Begründung wie die bischöfliche Verfasstheit von
Anfang an zur Katholizität der Kirche“26.
Gottes Heilswille setzt innergeschichtlich stets an einem Konkretum an. Immer
richtet er sich zunächst auf eine partikuläre und sich von anderen Gruppen unterscheidende Heilsgemeinde, um durch sie und mit ihr seinem Heil universale Geltung
zu verschaffen. Gottes Heilswille zielt immer schon darauf, die infolge der Sünde
auseinander gebrochene Gemeinschaft aller Menschen mit ihm und untereinander
wiederherzustellen. Daran mitzuwirken, ist Kirche gerufen und kraft der Katholizität
auch befähigt. Die Entsprechung von partikulärer (örtlicher) Heilsgemeinde und
dem universalen Heilswillen Gottes zeigt sich in der bereits bei Ignatius anklingenden universalen (katholischen) Weite der Kirche, die ihrerseits in einer unaufhebbaren Spannung zu ihrer strukturellen Form (Verhältnis von Universal- und Ortskirche) steht.27 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Begriff „Katholizität“ in
seiner frühen christlichen Verwendung durch den Märtyrerbischof Ignatius eine geographische, anthropologische, soteriologische und vor allem christologische Bedeutung trägt.28 „Katholisch“ qualifiziert die Kirche als „universell“ und „umfassend“
im Sinne von „vollkommen“ und „ganz“.
Während diese Ansicht von einer Mehrheit der Theologen vertreten wird, meinen einzelne Vertreter29, bei Ignatius bereits eine offenbarungstheologische Bedeu-
24
25
26
27
28
29
Vgl. KASPER, Katholische Kirche: 255.
Vgl. STOCKMEIER, Begriff: 70.
KASPER, Katholizität: 361.
KEHL, Kirche: 294; 301.
Ich verwende im Folgenden die von Miroslav Volf angeführten und erläuterten Bezeichnungen für die verschiedenen Bedeutungsdimensionen der Katholizität; dabei
nimmt Volf eine Auswahl vor, der ich mich – sofern nicht anders vermerkt – der
Übersicht halber anschließe: „die geographische (überall verbreitet), die anthropologische
(alle Menschen umfassend), die offenbarungstheologische (alle Heilswahrheiten enthaltend), die schöpfungstheologische (alles Geschaffene heilend), die soteriologische (alle
Heilsgüter enthaltend) oder die christologische (den ganzen Christus in sich tragend)“
(VOLF, Trinität und Gemeinschaft: 253; Hervorhebungen von mir).
Vgl. etwa GARCIADIEGO, Katholiké Ekklesia und BRIEK, cattolica: 263–287.
3. Gebrauch des Begriffs „katholisch“ bis zur Reformation
25
tung der Katholizität ausfindig machen zu können. Katholizität meine „die umfassende und (in der Wahrheit und in der Verbundenheit mit Christus) vollkommene
Kirche, ja sogar die allein wahre Kirche“30 im Unterschied zu denjenigen Kirchen, die
sich zwar Kirche nennen, aber keine im eigentlichen (orthodoxen) Sinne sind. Es
bleibt herauszuheben, dass sich die Wissenschaft nicht einig darüber ist, ob der offenbarungstheologische Aspekt bereits bei Ignatius intendiert und somit seinem Begriff von „katholisch“ ein bereits polemischer Unterton gegen häretische Gruppen zu
eigen ist. Peter Steinacker warnt davor, allzu voreilig spätere Füllungen des Begriffs
„katholisch“ in das von Ignatius Gemeinte hineinzuinterpretieren.31 Unumstritten
aber ist, dass die bei Ignatius grundgelegte Bedeutung von „katholisch“ eine „Fülle“
bzw. „Vollkommenheit“ der Kirche zum Ausdruck bringt, die sie nicht für sich behalten, sondern allen Menschen zuteil werden lassen soll: eine Fülle, die in Jesus
Christus gründet und sich in der Weite der über den ganzen Erdkreis zerstreuten katholischen Kirche äußert.
Damit aber sind zwei wesentliche und in der Folgezeit an Bedeutung gewinnende Grunddimensionen der Katholizität vorgezeichnet: die quantitative (extensive)
Dimension der Katholizität, die auf die universale „Weite“ und globale Ausbreitung
der Kirche hinweist, sowie die qualitative (intensive) Dimension der Katholizität, die
die christologisch begründete „Fülle“ und Heilsuniversalität der Kirche nach außen
trägt.32 Beide Grunddimensionen zeigen sich auch im Bericht vom Martyrium des Bischofs Polykarp (um 160 n. Chr.). Dieser Bericht ist in Briefform an alle Gemeinden
der (einen) heiligen katholischen Kirche an allen (vielen) Orten gerichtet.33 Da jede
christliche Gemeinde in Christus ihren Hirten erkennt und an seiner Fülle teilhat,
sind alle Gemeinden, so die Überzeugung des Verfassers, „katholisch“.34 Die in
Christus begründete Fülle der katholischen Kirche korrespondiert mit ihrer sich über
den ganzen Erdkreis erstreckenden Weite.35 Entsprechend kann Polykarp als Bischof
der katholischen Kirche zu Smyrna bezeichnet werden.36 Wie sich beide Grunddi30
31
32
33
34
35
36
CONGAR, Wesenseigenschaften: 479.
Vgl. STEINACKER, Katholizität: 73. Ihm folgt Paulsen: „Es ist nicht die katholische Kirche im Gegensatz zu schismatischen Gemeinschaften (so etwa Canon Muratori 66; 69;
ClemAl, strom. VII 17,106f), sondern die allgemeine Kirche, die in die Einzelkirchen
zerfällt (vgl. Mart-Pol inscr; 8,1; 19,2)“: PAULSEN, Briefe: 96.
Hierzu de Lubac: „Das Wort [i.e. „katholisch“] enthält somit eine aktive, dynamische,
intensive Betonung, während ‚universal’ eher passiv, statisch und extensiv ist. Als innere Qualität der Kirche drückt sich die Katholizität durch einen universalen apostolischen Drang aus, sie ist die aktive Kraft dieses fruchtbaren Ölbaums: das neue Israel“
(LUBAC, Einheit: 32f). Volf indes verwechselt in seiner Dissertation zunächst die Zuordnung dieser Begriffe (vgl. VOLF, Trinität und Gemeinschaft: 253), führt im weiteren
Verlauf jedoch die „intensive [qualitative] und extensive [quantitative] Auffassung der
Katholizität“ richtig an (vgl. ebd. 256).
Vgl. POLYKARP, ep. Circularis, praescriptum.
Vgl. ebd. 19,2.
Vgl. ebd. 8,1.
Vgl. ebd. 16,2.
26
0. Einleitung
mensionen der Katholizität zueinander verhalten, wird noch zu erörtern sein. Schon
jetzt sei aber betont, dass das Adjektiv „katholisch“ von Anfang an eine der Kirche
„in allen Verschiedenheiten sich überlegen durchsetzende[…] Identität, Kontinuität
[…][und] Universalität“37 anzeigt.
3.2
Bedeutungserweiterung im dritten und vierten Jahrhundert
Ein zum Erweis der Orthodoxie unterscheidendes Kriterium mischt sich ab der
Mitte des dritten Jahrhunderts in die Bedeutungsvielfalt des Terminus „katholisch“,
wenn etwa Cyprian mit Nachdruck die aktuelle Präsenz des Ursprungs in jeder Kirche mit diesem Begriff zum Ausdruck bringt.38 Auch bei Hippolyt, Tertullian, Clemens von Alexandrien und Enkratios von Thenis39 meint „katholisch“ fortan immer
auch die „wahre“, „echte“, „einzigartige“, „authentische“ Kirche des Ursprungs in
Absetzung von häretischen und schismatischen Kreisen, die sich von der immer größer werdenden Großkirche absondern. Das Adjektiv „katholisch“ gereicht somit zum
Synonym für „rechtgläubig“, „exklusiv“ und „einzig“.40 Diese offenbarungstheologische – mehr polemische – Bedeutung ergänzt die geographische, anthropologische,
soteriologische und christologische und wird fortan zum festen Bestandteil der Katholizität.
In den Katechesen des Cyrill von Jerusalem (gest. 386 o. 387 n.Chr.) findet man
einen beeindruckenden Beleg dafür, wie vielschichtig der Begriff „katholisch“ verstanden und wie diese Vielschichtigkeit vornehmlich qualitativ begründet wurde:41
„Die Kirche heißt katholisch, weil sie auf dem ganzen Erdkreis, von dem einen
Ende bis zum anderen, ausgebreitet ist, weil sie allgemein und ohne Unterlass all
das lehrt, was der Mensch von dem Sichtbaren und Unsichtbaren, von dem
Himmlischen und Irdischen wissen muss, weil sie das ganze Menschengeschlecht,
Herrscher und Untertanen, Gebildete und Ungebildete, zur Gottesverehrung
führt, weil sie allgemein jede Art von Sünden, die mit der Seele und dem Leibe
begangen werden, behandelt und heilt, endlich weil sie in sich jede Art von Tugend, die es gibt, besitzt, mag sich dieselbe in Werken oder Worten oder in irgendwelchen Gnadengaben offenbaren“42.
Cyrill lässt die offenbarungstheologische Dimension der Katholizität deutlich erkennen, wenn er in seinen Katechesen weiter schreibt: „Mit Grund könnte also jemand
37
38
39
40
41
42
BARTH, Dogmatik IV/1: 783.
Vgl. hierzu DEMOUSTIER, Épiscopat: 337–369. Dieser wörtlich: „On en peut conclure
que Catholica signifie la présence actuelle de l’origine en chaque église et en toutes:
l’actualité développée de l’unité originaire“ (ebd. 369). Vgl. auch LUBAC, Einheit: 33.
Vgl. BEINERT, Kirchenattribut I: 46–51.
Vgl. ebd. 75f; vgl. auch CONGAR, Wesenseigenschaften: 480 (v.a. hier Anm. 7–9).
Vgl. CYR. H., mystagogiae XVIII,23 (BEP 39,242; PG 33,1043).
HÄUSER, Katechesen: 23; vgl. BERKHOF, Katholizität: 14f.
3. Gebrauch des Begriffs „katholisch“ bis zur Reformation
27
behaupten: die Versammlung der ruchlosen Häretiker, der Marcioniten und Manichäer usw. sind tatsächlich auch eine Kirche. Deshalb versichert dir nun das Glaubensbekenntnis: ‚und an eine heilige, katholische Kirche’. Die hässlichen Versammlungen
der Häretiker sollst du nämlich meiden, der heiligen, katholischen Kirche aber, in der
du wiedergeboren wurdest, stets treu anhangen!“43
In der Folgezeit findet der Begriff „katholisch“ Niederschlag in den Symbola
(erstmals im Papyrus von Dêr-Balyzeh) und erhält durch die Aufnahme ins Nicänum
(325 n. Chr.) und Apostolicum (381 n. Chr.) dogmatische Dignität.44 Fortan werden
von der Kirche vier Grundeigenschaften (notae ecclesiae) als Erkennungszeichen der
wahren Kirche Jesu Christi verbindlich ausgesagt: „Wir glauben die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“ (DH 15045).46
3.3
Weiterentwicklung bei Augustinus
Eine Weiterentwicklung erfährt der Begriff in der Auseinandersetzung mit den Donatisten. Diese sprechen der Katholizität das Kriterium einer weltweiten Verbreitung
ab und blenden zugunsten einer betont qualitativen (sakramentalen) Sicht deren geographische Dimension aus. Ihrer Ansicht nach ist nur diejenige Kirche „katholisch“,
die die Fülle der Sakramente und die Reinheit des apostolischen Ursprungs bewahrt
habe. Auch da – besser: nur da – sei Kirche „katholisch“, wo sie, selbst wenn nur lokal ansässig, ihre Reinheit und Heiligkeit betone sowie daraus ableitend die persönliche Heiligkeit des Sakramentenspenders rigoristisch vertrete. Dies sei aber – so die
Meinung der Donatisten – lediglich in der Kirche Afrikas gewährleistet, folglich dessen nur sie „wahre“ Kirche Jesu Christi genannt werden könne.47
Augustinus (354–430 n. Chr.) akzentuiert in Abwehr dieser separatistischen
Gruppe und ihres betont qualitativen (sakramentalen) Katholizitäts-Verständnisses
das quantitative (geographische) Moment der Katholizität.48 Das Pfingstereignis habe
43
44
45
46
47
48
HÄUSER, Katechesen: 26.
DH 2.3.4.5.12.15.19.21.23.27–36.41–49.51.60.125–126.150.
Hervorhebungen von mir.
Vgl. zu den vier Wesenseigenschaften der Kirche neben der oben aufgeführten Literatur auch PESCH, Dogmatik: 104–110.
CONGAR, Wesenseigenschaften: 481.
Einen ersten Einblick in das Denken Augustinus’ bietet: TRAPÈ, Augustinus; für sein
Ringen um die Einheit der Kirche vgl. insbesondere ebd. 151–162. Einen Überblick
über ausgewählte ältere Arbeiten zur Ekklesiologie Augustins bietet: GENN, Felix, Augustinus: 43ff. Aus der Vielzahl neuerer Arbeiten zur Ekklesiologie Augustins und seinem Katholizitätsverständnis seien folgende Arbeiten in Auszügen genannt: ÁLVAREZ
MIÑAMBRES, Vera religio: 51–83; ENO, Radix: 3–13; EVANS, Catholic:149f; DERS., Católica:
249f; DERS., Eglise: 503f; FISCHER, Katholizität: 238–250; GROSSI, La discussione:101–122;
LAMIRANDE, Ecclesia: 687–720; SCHINDLER, catholicus: 815–819; DERS., Ekklesiologie: 295–
309; DERS., Katholizität: 438–453.
28
0. Einleitung
bereits der nachösterlichen Kirche eine Sendung für die ganze Welt erwiesen;49 daher
bedeute Katholischsein zuallererst „communicare orbi terrarum“50, „Mit-allen-aufdem-ganzen-Erdkreis-in-Einheit-verbunden-sein“.51 Rechtgläubige Kirche ist in den
Augen Augustins nur die universale Gemeinschaft der „Catholica“. Nur diese ist –
im Unterschied zu den Donatisten und anderen häretischen Gruppen, welche nur an
vereinzelten Orten vertreten sind –, mit ihrer Heils- und Lehrfülle überall und an allen
Orten, über den ganzen Erdkreis verbreitet und darüber hinaus geeint.52 Katholizität
kommt dabei sowohl der Universalkirche als auch den Ortskirchen zu.53
Will man Augustinus an dieser Stelle ein rein quantitatives Verständnis der Katholizität unterstellen, greift eine solche Interpretation sicher zu kurz.54 Wenn er in
der Auseinandersetzung mit den Donatisten zweifelsohne die geographische Dimension der Katholizität besonders hervorhebt – was in der Folge, vor allem in der Abwehr weiterer häretischer Gruppen, nicht ohne Wirkung bleibt – so ist ihm an einer
qualitativen Bestimmung der Katholizität durchaus gelegen. So betont Augustinus
etwa die Einheit der Kirche, die er als Bedingung der Möglichkeit ihrer Heilsvollkommenheit versteht.55 Diese Einheit werde durch das Band der Liebe gewährleistet,
die in der Trinität, näherhin im Verhältnis zwischen Gott Vater und Jesus Christus,
ihren Ursprung habe und in der Feier der Eucharistie je neu verwirklicht werde.56
49
50
51
52
53
54
55
56
Augustinus wörtlich: „Conversatus est in terra quadraginta dies cum discipulis suis,
atque ipsis videntibus ascendit in coelum, et post dies decem misit promissum Spiritum sanctum; cuius venientis in eos qui crediderant, tunc signum erat maximum et
maxime necessarium, ut unusquisque eorum linguis omnium gentium loqueretur; ita
significans unitatem catholicae ecclesiae per omnes gentes futuram, ac sic linguis omnium locuturam“ (AUG. civ. 18,49 [CCL 48,647–648; CSEL 40/2,350; PL 41,612]).
AUG. en. Ps. 56,13 (CCL 39,703; PL 36,669).
Augustinus wörtlich: „Loquor omnium linguis, audeo tibi dicere. In corpore Christi
sum, in Ecclesia Christi sum; si corpus Christi iam omnium linguis loquitur, et ego in
omnibus linguis sum; mea est graeca, mea est syra, mea est hebraea, mea est omnium
gentium, quia in unitate sum omnium gentium“ (AUG. en. Ps. 147,19 [CCL 40,2156;
PL 37,1929]).
Augustinus wörtlich: „constituam ab illo matrem ecclesiam, quae catholica dicitur, ex
eo quia universaliter perfecta est et in nullo claudicat et per totum orbem diffusa est“
(AUG. Gn. litt. inp. 1 [CSEL 28/1,461; PL 34,221]) sowie: „Katholike graece appellatur
quod per totum orbem terrarum diffunditur“ (AUG. ep. 52,1 [CSEL 34/1,149;
PL 33,194]); vgl. auch CONGAR, Wesenseigenschaften: 481 (v.a. Anm. 14–16) sowie
STEINACKER, Katholizität: 74.
Vgl. AUG. ep. 141,6 (CSEL 44,240; PL 33,579) und DERS. ep. 185,10,47 (CSEL 57,41;
PL 33,813).
Vgl. BEINERT, Kirchenattribut I: 63.
Vgl. AUG. ep. 185,10,46 (CSEL 57,40; PL 33,813) und DERS. s. 46,18 (CCL 41,544;
PL 38,280).
Augustinus wörtlich: „Hoc est illud Totum, quod graece dicitur Holon, ubi custodientes vinculum pacis eritis secundum totum, quod Catholon vocatur, et unde Catholica
nominatur“ (AUG. s. 3 [RBen 84 (1974) 250; PL 46, 828]; Übersetzung nach Beinert:
„Dort aber ist das ‚Ganze’, das griechisch Holon heißt, wo ihr das Band des Friedens
3. Gebrauch des Begriffs „katholisch“ bis zur Reformation
29
Gegen diese Liebe aber – und hierin zielt seine qualitative Argumentation gegen die
afrikanische Kirche – sieht Augustinus die Donatisten sich versündigen, beabsichtigten diese doch, die Liebe allein auf die Grenzen Afrikas zu beschränken. Gottes Liebe
aber, so der Bischof von Hippo, sei ohne Schranken, folglich dessen die Donatisten
aus der Liebe herausfielen und nicht katholisch seien.57
3.4
Akzentuierung bei Vinzenz von Lérins
In der Folge betont Vinzenz von Lérins (gest. um 435 n. Chr.) stärker die auch schon
bei Augustinus anklingende zeitlich ausgeweitete anthropologische Dimension der
Katholizität und unterstreicht damit zugleich den offenbarungstheologischen Aspekt
der Katholizität. Ihm geht es um eine – noch nicht institutionell gedachte – normative
Instanz, welche Synkretismen sowie Häresien vermeiden hilft.58 Bei ihm werden
„universitas“, „antiquitas“ und „consensio“ wesentliche Hauptbestandteile der Katholizität. Er sieht die universal verbreitete Catholica deshalb als rechtgläubig an,
weil sie in Kontinuität (traditio) zu dem steht, was immer schon zu allen Zeiten überall
allgemein gelehrt und von allen geglaubt wird.59 Damit hebt er die Katholizität als
57
58
59
bewahrt und einmütig auf die Gesamtheit ausgerichtet seid, also katholisch genannt
werden könnt, wovon der Name der Catholica kommt“ (BEINERT, Kirchenattribut I: 63).
Augustinus wörtlich: „et nescio quis ponit in Africa fines charitatis“ (AUG. ep. Io. tr.
10,8 [PL 35,2060]).
Vinzenz von Lérins wörtlich: „Sequemur autem universitatem hoc modo, si hanc
unam fidem veram esse fateamur, quam tota per orbem terrarum confitetur ecclesia;
antiquitatem vero ita, si ab his sensibus nullatenus recedamus, quos sanctos maiores
ac patres nostros celebrasse manifestum est; consensionem quoque itidem, si in ipsa
vetustate omnium vel certe paene omnium sacerdotum pariter et magistrorum definitiones sententiasque sectemur“ (VINCENT. LER. comm. 2,6 [CCL 64,149]). Rauschen
übersetzt: „Der Allgemeinheit aber werden wir folgen, wenn wir den Glauben allein
als den wahren bekennen, den die gesamte Kirche auf dem Erdkreise bekennt; dem
Altertum aber dann, wenn wir von den Anschauungen in keiner Weise abgehen, denen anerkanntermaßen unsere heiligen Vorfahren und Väter allgemein gehuldigt haben; der Einstimmigkeit dann, wenn wir innerhalb des Altertums selbst uns den Entscheidungen und Aussprüchen aller oder fast aller Priester und Lehrer anschließen“
(RAUSCHEN, Vinzenz: 17).
Vinzenz von Lérins wörtlich: „In ipsa item Catholica Ecclesia magnopere curandum
est, ut id teneamus, quod ubique, quod semper, quod ab omnibus creditum est. Hoc
enim vere proprieque catholicum, quod ipsa vis nominis ratioque declarat, quae omnia fere universaliter comprehendit. Sed hoc ita demum fiet, si sequamur universitatem, antiquitatem, consensionem“ (VINCENT. LER. comm. 2,5–6 [CCL 64,149]). Rauschen übersetzt: „Desgleichen ist in der katholischen Kirche selbst entschieden dafür
Sorge zu tragen, dass wir das festhalten, was überall, was immer und was von allen geglaubt wurde; denn das ist im wahren und eigentlichen Sinn katholisch. Darauf weist
schon die Bedeutung und der Sinn des Wortes (katholisch) hin, das alles in der Gesamtheit umfasst. Dies wird aber nur dann geschehen, wenn wir der Allgemeinheit,
30
0. Einleitung
ein kontinuierliches, unveränderliches und notwendiges Wesensmerkmal (nota
ecclesiae) der Kirche heraus;60 die Katholizität wird durch den Kontinuitätsgedanken
als Identität interpretierbar.61
3.5
Verwendung in der mittelalterlichen Theologie
Die von Augustinus und Vinzenz von Lérins betonte geographische und offenbarungstheologische Dimension der Katholizität wird für das Mittelalter bestimmend.62
Damit geht ein neues Kirchenverständnis einher, dem von Papst Leo dem Großen
(440–461 n.Chr.) der Weg geebnet wird und die römische Kirche neben den anderen
sich herausbildenden Patriarchaten zunehmend zu einer ordnenden Leitungsgewalt
werden lässt. Leo baut nicht nur die Idee der Petrus-Nachfolge des römischen Bischofs weiter aus, dem fortan der Titel „Papst“ zukommt, sondern er verbindet die
Idee der Petrusnachfolge mit der Leitungsvollmacht über die ganze Kirche: Der Bischof von Rom erhält neben Synode und Konzil Anteil an der Legislative der universalen (katholischen) Kirche.63
In Folge des Boethius (475/480–525 n.Chr.), der in seinem Werk „De trinitate“64
erstmals von der „fides catholica“ spricht, verbindet man die Idee der Katholizität
immer mehr mit der des rechten Glaubens. Dabei kommt der Katholizität sowohl das
qualitative Moment der Orthodoxie als auch der quantitative Aspekt der universalen
Verbreitung zu.
Die wichtigsten Vertreter der Hochscholastik wie Albert der Große (1193–1280)
und Thomas von Aquin (1225–1274) folgen diesem Verständnis. Sie messen der
„ecclesia“ die gleichen Eigenschaften wie der „fides“ bei und verstehen die Katholizität im qualitativen Sinne als die „Fülle des Heils“, die der Kirche durch Christus als
ihrem Haupt immer schon, d.h. wesentlich (essentiell) zu eigen ist und ihr universale
Geltung verleiht.65 Insofern der Glaube aber – weil er sich an alle Menschen aller Or-
60
61
62
63
64
65
dem Altertum und der Einstimmigkeit folgen“ (RAUSCHEN, Vinzenz: 17). Vgl. auch
BEINERT, Kirchenattribut I: 65 sowie STEINACKER, Katholizität: 74f.
Vgl. BEINERT, Kirchenattribut I: 66; 76.
Vgl. KÜNG, Kirche: 359: „Katholisch ist die Kirche nur aufgrund einer umfassenden
Identität: dass sie bei allem notwendigen ständigen Wechsel der Zeiten und Gestalten
und bei aller Unvollkommenheit und Gebrechlichkeit überall, in jeder Gestalt und in
jeder Zeit wesentlich dieselbe ist, sein soll und sein will; dass so ‚immer, überall und von
allen’ dasselbe Wesen der Kirche glaubwürdig bewahrt, bestätigt und betätigt wird“.
Vgl. BEINERT, Kirchenattribut I:78–92.
Vgl. KEHL, Kirche: 331f.
„Ea fides [christianae religionis] pollet maxime ac solitarie, quae cum praetur auctoritas, tum propterea quod eius cultus per omnes pene mundi terminos emanavit, catholica vel universalis vocatur“ (BOETH. trin. [PL 64,1249]).
Vgl. LABRUNIE, Les principes: 633–658 sowie die von Congar für Thomas und Albert
angegebenen Belegstellen: CONGAR, Wesenseigenschaften: 484 (Anm. 33).
3. Gebrauch des Begriffs „katholisch“ bis zur Reformation
31
ten und aller Zeiten richtet sowie auf letzte Fragen verbindliche Aussagen zu treffen
vermag – immer schon universell ausgerichtet ist, kommt der Katholizität neben ihrer
qualitativen Dimension zugleich das quantitative Moment der Kontinuität hinzu.66
Diese qualitativ wie quantitativ geprägte Idee der „ecclesia universalis“ bleibt im
gesamten Mittelalter bestimmend. Zugleich kristallisiert sich in Folge der von Humbert von Silva Candida herausgegebenen Ekklesiologie „De sancta romana ecclesia“
(1053) und der von Papst Gregor VII. (1073-1085) initiierten Gregorianischen Reform
die Kirche von Rom als jene – bei Vinzenz von Lérins noch unbestimmt gebliebene –
normative Instanz heraus, welche die offenbarungstheologische Dimension der Katholizität garantiert. Die Kirche von Rom und mit ihr deren Bischof garantieren zunehmend die „Authentizität des universellen katholischen Glaubens […] etwa im
Sinne ‚Römisch‘ garantiert ‚katholisch‘ […][und beanspruchten] die Entscheidungskompetenz im Blick auf Einheit und Katholizität der ganzen Kirche“67. Galt die Kirche von Rom seit dem vierten Jahrhundert lediglich als Appellations- und Schiedsinstanz, die in Streitfragen zwischen anderen Ortskirchen vermittelnd eingriff 68, vertritt man nunmehr die Auffassung, „mater omnium catholicorum“ zu sein. Da Christus nach Mt 16,18f die Kirche auf Petrus gegründet habe, dieser aber in der römischen Kirche samt ihren Bischöfen fortlebe, sei die römische Kirche als Ursprung und
Quelle aller anderen Kirchen anzuerkennen.69 Dies hat zur Folge, dass als „katholisch“ zunehmend das gilt, was „römisch“ ist, d.h. was vom römischen Lehramt
(Papst und Bischofskollegium) als verbindlich zu glauben verkündet wird.70 Zwar ist
die römische Kirche genauso Ortskirche der Universalkirche wie alle anderen Ortskirchen auch; dennoch gereicht die Kirche von Rom mit ihrem besonderen Bischofssitz über den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus zur Spitze der anderen Ortskirchen. „‘Römischer‘ Glaube ist der durch Petrus geprüfte und entschiedene ‚katholische‘ Glaube. […] Sie [umfasst] in ihrer Romanitas und durch ihren Bischof […] all
das authentisch, was die anderen Kirchen zu heiligen, apostolischen und katholi-
66
67
68
69
70
Vgl. auch FINKENZELLER, Kirche: 232f.
LIES, Geschichte: 20.
Vgl. ebd. 19.
Vgl. CONGAR, Lehre: 57f: „Die Schlüsselbegriffe, die das Verhältnis der ecclesia Romana
zur übrigen Kirche bestimmen, sind: caput, mater, cardo, fons, fundamentum. Sie bringen
den gleichen Gedanken zum Ausdruck: Die römische Kirche ist das Haupt, deren
Glieder Leben und Weisung entgegennehmen, sie ist die Mutter, die anderen ihre
Töchter, die von ihr erzogen werden (disciplina), sie die Angel, auf der alles beruht,
die Quelle – die Flüsse trockneten aus ohne ihr Strömen –, das Fundament, das allem
übrigen seine Festigkeit verleiht, kurz: alles, was im Leben der Kirchen entscheidend,
ist die Qualität Kirche selbst, kommt ihnen aus der römischen Kirche zu, aufgrund der
in Petrus geschehenen Stiftung (Mt 16,18–19). Auf ihre Bestimmungen wartet man
noch mehr als auf jene aus der Bibel und der Tradition. Etwas ist nach Gott, oder es ist
des Teufels – je nachdem es Rom untergeordnet ist oder nicht.“
Vgl. STEINACKER, Katholizität: 75, FAHLBUSCH, Katholisch: 992 sowie BEINERT, Katholizität, katholisch: 626.
32
0. Einleitung
schen Kirchen macht“71. Die ursprünglich der Abwehr von Häretikern, der Authentizität des wahren katholischen Glaubens und der Vermittlung in Auseinandersetzungen dienende Vorrangstellung Roms verselbständigt sich immer mehr zum späteren „una sola catholica“-Denken, welches die Herausbildung der „ecclesia Romana“ begünstigt. Durch das „Dictatus papae“ Gregors VII. (1075) und späteren Bestimmungen des IV. Laterankonzils (1215) wird der Primat des Papstes zum einzigen
Prinzip der kirchlichen Einheit. Innozenz III. (1198–1216) verbindet die „Katholizität“
mit der „plenitudo potestatis“ des römischen Bischofs, um die Vorrangstellung des
Papstes als kirchliche und weltliche Macht zu begründen.72 Weil fortan allein dem
Papst die „plenitudo potestatis“ zukommt, hat er ein uneingeschränktes und unmittelbares Eingriffsrecht in alle Angelegenheiten der Ortskirchen. „Damit wird die altkirchliche Idee und Wirklichkeit einer Communio der Bischöfe, deren Kollegialität
und Vollmacht einen eigenständigen apostolischen Ursprung besaßen, […] praktisch
aufgegeben“73. Mit der römischen Ortskirche an der Spitze der anderen Ortskirchen
zeichnet sich nicht mehr nur eine Hierarchie innerhalb der einen katholischen Kirche
ab; vielmehr „ist die weltweite Kirche erst durch den Vorsitz der ‚Römischen Kirche‘
katholisch, sozusagen ‚römisch-katholisch‘“74.
Der spanische Dominikaner Johannes de Torquemada (1388–1468) ist es schließlich, der in seiner „Summa de Ecclesia“ die „ecclesia universalis“ mit der „ecclesia
Romana“ gleichsetzt und sie mit dem Inhaber des Stuhles Petri identifiziert.75 Er
sieht die Katholizität der „ecclesia universalis“ im Papst verwirklicht: Als Haupt der
Kirche kommt ihm von Christus her – vor allen anderen und für die anderen – die
Fülle der kirchlichen Gewalt zu. So ist der Bischof von Rom als Ursprung und Quelle
aller kirchlichen Gewalt das Ganze der Kirche. Damit wird die Kirche von Rom
„zum Inbegriff und zur Vollendung der katholischen Kirche und ihrer Teilkirchen,
damit auch des katholischen und des mit ihm verbundenen teilkirchlichen Glaubens.
Die ‚Römische Kirche‘ wird zur eigentlichen allgemeinen katholische[n] Kirche“76.
Mit der Bulle „Unam sanctam“ Papst Bonifatius VIII. (1302) war zudem die Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom als heilsnotwendig bestimmt worden (vgl. DH 870–
872). „Damit erfüllt nur die römische Kirche den gesamt-kirchlich-katholischen
Heilsauftrag. ‚Katholisch‘ ist nur in ‚römischer‘ Gestalt heilbedeutsam. […] Weil es
nur noch eine einzige universell-katholische Kirche, eben die universell-römische
gibt, gibt es als den einen katholisch rechtgläubigen Glauben nur den ‚römischen‘“77.
71
72
73
74
75
76
77
LIES, Geschichte: 21–23.
Vgl. CONGAR, Lehre: 53–75.
KEHL, Kirche: 351.
LIES, Geschichte: 29.
FINKENZELLER, Kirche: 239. Finkenzeller übersetzt aus der Summa: „Die Kirche ist die
Gesamtheit der Gläubigen, die im Kult des einen wahren Gottes und im Bekenntnis
des einen Glaubens übereinstimmen […] [und] im Glauben und Gehorsam gegenüber
dem Apostolischen Stuhl verharren“ (ebd. 238f).
LIES, Geschichte: 46.
Ebd. 30; 47.
4. „Katholisch“ im Zuge der Spaltungen der Catholica
33
Diese Sichtweise der Römischen Kirche und die damit zusammenhängende Identifizierung von „katholisch“ und „römisch“ bestimmte die katholische Ekklesiologie bis
zum Konzil von Trient und darüber hinaus.78
4. „Katholisch“ im Zuge der Spaltungen der Catholica
Heute blicken wir auf eine geschichtlich gewachsene Pluralität von christlichen Konfessionen zurück, die allesamt Katholizität für sich beanspruchen, die Begriffe „katholisch“ bzw. „Katholizität“ jedoch unterschiedlich mit Inhalt füllen und gewichten.
In Westeuropa beheimatete Christen werden, wenn von Konfessionen die Rede ist,
vor allem an die katholische Kirche denken, zu denen die weniger geläufigen unierten Ostkirchen hinzuzurechnen sind, ferner an die traditionellen evangelischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften mitsamt der Anglikanischen Kirche, an die
evangelischen Freikirchen sowie an die Altkatholische Kirche; manchen wird noch
die große, aber wenig vertraute Gemeinschaft der (byzantinisch-)orthodoxen Kirchen
einfallen. All diese Kirchen und kirchliche Gemeinschaften entwickelten sich auf
dem geographischen Gebiet des alten Römischen Reiches. Daneben gibt es noch weitere christliche Kirchen, deren Wurzeln gleichermaßen bis zu den Aposteln zurückreichen, die jedoch am Rande bzw. außerhalb des geographischen Gebiets des alten
Römischen Reiches eine je eigene Geschichte entwickelt haben und folglich westlich
geprägten Christen kaum bis gar nicht im Bewusstsein stehen: die Gemeinschaft der
altorientalischen Kirchen. In konfessionskundlicher Hinsicht unterscheidet man
hierbei nochmal zwischen der Assyrischen Kirche des Ostens, deren Wurzeln außerhalb des alten Römischen Reiches liegen, und den orientalisch-orthodoxen Kirchen,
zu denen die syrisch-orthodoxe, die koptisch-orthodoxe, die äthiopisch-orthodoxe,
die armenisch-apostolische, die erithreische sowie die malankarisch-orthodoxe Kirche gerechnet werden.79 Sowohl diese „vorchalkedonischen“ altorientalischen Kirchen als auch die uns mehr vertrauten sogenannten „chalkedonischen“ Kirchen und
kirchlichen Gemeinschaften auf dem Gebiet der alten Reichskirche bekennen sich zur
einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche des Nizäno-Konstantinopolitanums, ein Bekenntnis, das älter ist als alle späteren historischen Aufspaltungen
der ursprünglich einen Catholica.
Zur ersten Spaltung der einst ungeteilten Catholica kam es mit dem Schisma des
fünften Jahrhunderts. Im Zuge der christologischen Streitigkeiten um das Verhältnis
78
79
Vgl. weitere Literaturangaben bei: PRÜGL, Johannes: 973f.
Vgl. hierzu und im Folgenden: OELDEMANN, Kirchen: 9f. Auf zwei Grundlagenwerke
zur Geschichte und Theologie der Ostkirchen sei neben dem Überblick bietenden
Band von Oeldemann hingewiesen: HAGE, Christentum mit ausführlichem Literaturverzeichnis: 492–524 sowie NYSSEN, SCHULZ, WIERTZ, Ostkirchenkunde. Zur Besonderheit der altorientalischen Kirchen vgl. u.a. LANGE, PINGGÉRA, Kirchen.
34
0. Einleitung
von wahrem Menschsein Jesu und seiner wahren Gottheit in der Einheit der Person
(Zwei-Naturen-Lehre) trennten sich die orientalisch-orthodoxen Kirchen von der alten Großkirche ab, da sie vor allem die christologische Entscheidung des Konzils von
Chalcedon (451) nicht mittragen konnten. Bereits zuvor hatte sich parallel zur
Reichskirche außerhalb des geographischen Gebiets des römisch-byzantinischen Reiches die Assyrische Kirche des Ostens herausgebildet, die an den reichskirchlichen
Konzilien nicht beteiligt war, deren Beschlüsse aber – mit Ausnahme der Bestimmungen des Konzils von Ephesus (431) – nachträglich übernahm. Dem Bruch der
orientalisch-orthodoxen Christen mit der Reichskirche folgte mit dem Schisma zwischen Rom und den östlichen Patriarchaten (1054) eine weitere Aufspaltung der Catholica, aus der die (byzantinisch-)orthodoxen Kirchen hervorgegangen sind. Durch
die Konfessionalisierung im Zuge der Reformation des 16. Jahrhunderts auf dem geographischen Gebiet der weströmischen Kirche verselbständigten sich schließlich die
traditionellen evangelischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften sowie die
Anglikanische Kirche, später die evangelischen Freikirchen. Im 19. Jahrhundert ging
aus der (römisch-)katholischen Kirche schließlich die Altkatholische Kirche hervor;
bis heute entwickeln sich auf allen Kontinenten selbständige kirchliche Gemeinschaften.
Dieser vereinfachte konfessionskundliche Abriss vermag veranschaulichen, dass
sich in der zweitausendjährigen Kirchengeschichte immer wieder neue Denominationen ausbildeten, mit denen verschiedene, konfessionell geprägte Bedeutungsvarianten der Begriffe „katholisch“ und „Katholizität“ einhergehen. Denn jede Konfession
meint nicht immer dasselbe, wenn sie das Attribut „katholisch“ für sich in Anspruch
nimmt. Diese verschiedenen Bedeutungsvarianten sind von dem für Kirche typischen Spannungsverhältnis Einheit–Vielfalt je unterschiedlich geprägt und betonen
einmal mehr die qualitative oder die quantitative Dimension des Begriffs „katholisch“. Bevor wir in dieser Studie herauszuschälen versuchen, wie die (römisch-)katholische Kirche beide Begriffe mit Inhalt füllt und was sie eigentlich meint, wenn sie
von der „katholischen Kirche“ spricht, seien im Folgenden Grundzüge nichtkatholischer Auffassungen von Katholizität grob skizziert, ohne damit den Anspruch auf
Vollständigkeit erheben zu wollen.
Bei einer solchen Darstellung müsste, was die Kirchen des Ostens anbetrifft,
strenggenommen zwischen altorientalischem und orthodoxem Katholizitätsverständnis unterschieden werden. Da dies jedoch zu vielen Überschneidungen und
unnötigen Wiederholungen führen würde, soll das Katholizitätsverständnis der Ostkirchen insgesamt in den Blick genommen und nur dort differenzierter werden, wo
es aus Warte dieser Untersuchung nennenswerte Besonderheiten anzumerken gibt.
Ähnliches gilt für die kaum überschaubare Gruppe der evangelischen Freikirchen.
Diese werden, um den Rahmen dieser Studie nicht zu sprengen, nicht gegliedert
nach einzelnen freikirchlichen Traditionen, sondern allgemein in den Blick genommen. Dass bei der gesamten nun folgenden Darstellung mit Unschärfen und Unge-
4. „Katholisch“ im Zuge der Spaltungen der Catholica
35
nauigkeiten zu rechnen ist, versteht sich von selbst. Diese genauer zu analysieren,
könnte Gegenstand einer eigenen Studie sein.
4.1
Katholizität nach ostkirchlichem Verständnis
Typisch für die Theologie der östlichen Kirchen ist, dass sie ihre Identität weniger in
dogmatischen Sätzen begründet sehen, denn in der liturgischen Tradition ihrer jeweiligen Ritusfamilie sowie in den Schriften der Kirchenväter.80 Wegen ihrer stark
ausgeprägten Orientierung an der patristischen Lehre verstehen sich die Kirchen des
Ostens als legitime Erben der apostolischen und patristischen Tradition, weshalb sie
sich in Absetzung von den anderen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften oft als die einzige wahre katholische und apostolische Kirche verstehen. Die
Universalkirche betrachten sie als den vollständigen, aus den Ortskirchen im Heiligen Geist geeinten Leib Christi. Insoweit wird die Ekklesiologie als Fortsetzung der
Christologie gesehen81, wenngleich ostkirchliche Theologie insgesamt einen trinitarischen Grundduktus aufweist. Diese trinitarische Grundlegung des Wesens der Kirche will das heilsökonomische Zusammenspiel aller drei innertrinitarischen Personen gleichermaßen betont wissen. Dadurch soll einem Christomonismus gleichermaßen gewehrt werden wie einer einseitigen und übermäßigen Betonung des Heiligen Geistes.82
Mit dem für die ostkirchliche Theologie typischen apophatischen Charakter, d.h.
mit dem bewussten Verzicht, den Glaubens bis ins kleinste Detail begrifflich definieren zu wollen, geht für die Kirchen des Ostens ein Kirchenverständnis einher, das die
Kirche in erster Linie als Geheimnis (mysterion) begreift, dessen Wesen nicht mittels
dogmatischer Sätze vollends erfasst werden kann. Kirche ist zwar eine äußere (sichtbare) Größe, d.h. konkrete Gemeinschaft (koinonia), die in jeder Eucharistiefeier vor
Ort symbolisch erfahrbar und konkret erlebbar wird. Sie ist aber auch und vor allem
der καθόλικον σῶμα τοῦ Χριστοῦ, d.h. der ganze pneumatische Leib Christi, durch
den die Gläubigen mit Gott verbunden werden. Einzig die vier im Glaubensbekenntnis benannten notae ecclesiae markieren bis heute die dogmatischen Grundlinien der Ostkirchen, die die einzelnen autokephalen Kirchen zu realisieren suchen.83
Die Katholizität der Kirche garantiert dabei einerseits die der Kirche von der Trinität
her zukommende Heilsfülle, andererseits demonstriert sie deren sichtbare Einheit.
Sie tut dies in einer sowohl quantitativen als auch qualitativen Weise, wobei in der
ostkirchlichen Tradition die qualitative Dimension stärker betont wird als die quanti-
80
81
82
83
Vgl. OELDEMANN, Kirchen: 183–184.
Vgl. das Zitat des Metropoliten Petrus Moghilas aus der Confessio orthodoxa bei:
HERBIGNY, Theologia: 67.
Vgl. OELDEMANN, Kirchen: 185f.
Ebd. 190.
36
0. Einleitung
tative. Dabei wird die Katholizität nie losgelöst von den anderen drei notae betrachtet.84
Die quantitative Dimension der Kirche resultiert nach orthodoxem Verständnis
aus ihrer Sendung, allen Menschen an allen Orten und zu allen Zeiten das Evangelium
Jesu Christi zum Heil der ganzen Welt zu verkünden (vgl. Apg 1,8; 13,47; Mt 28,19f,
Joh 10,16). Dadurch, dass die Kirche gemäß ihrer Sendung gehandelt hat, ist sie faktisch an vielen Orten präsent und für alle Menschen zu allen Zeiten die eine, wahre
und katholische Kirche Jesu Christi. Dies wird äußerlich am deutlichsten in ihrer autokephalen Struktur: In den selbständigen Ortskirchen findet die Universalkirche
Eingang in die je unterschiedlichen Völker, ohne dabei ihre pneumatische Einheit als
der eine Leib Christi und ihre durch Christus im Heiligen Geist geschenkte Heilsfülle
Gottes einbüßen zu müssen. Auch wenn die enge Zusammenarbeit zwischen Staat
und Kirche sowie das entwickelte Autokephaliesystem die quantitative Dimension
der Katholizität im Laufe der Jahrhunderte schwächte und vernachlässigte, verlor
diese nie an theologischer Bedeutung, sondern formte sich je neu heraus.85
Die qualitative Dimension der Katholizität resümiert aus einem Urbild-AbbildDenken, nach welchem die Katholizität der Kirche qua natura von Gott her gegeben
ist, die Fülle und das Heilshandeln der ökonomischen Trinität widerspiegelt und
diese geschichtlich fortsetzt, bis sie – schon jetzt durch den Heiligen Geist das ewige
Leben der göttlichen Fülle innehabend – im Eschaton einst vervollkommnet wird.86
Die Kirche als Stiftung und Abbild Gottes ist mit „derselben Wirkkraft wie er [sc.
Gott], freilich in Nachahmung und Nachbild, ausgerüstet“87 und verinnerlicht die in
ihm zuteil gewordene innertrinitarische Universalität, die ihr je neu in den Sakramenten – vor allem aber in der Eucharistie – zukommt.88 Damit ist die qualitative (intensive) Katholizität weder eine abstrakte Eigenschaft noch eine platonische Idee,
sondern Verwirklichung der in Christus geschenkten Heilsfülle.89
Die Eucharistie ist der Ort, an dem die Gemeinschaft Gottes mit den Menschen
sakramental begründet sowie liturgisch vollzogen wird. In ihr verwirklicht sich ontologisch die Heilsfülle der Kirche im Heiligen Geist.90 Daher verwirklicht sich nach or84
85
86
87
88
89
90
NIKOLAOU, Katholizität der Kirche: 37; vgl. DERS., Demonstration: 6–9; DERS., Katholizität:
627ff.
Vgl. NIKOLAOU, Katholizität der Kirche: 48.
Vgl. NISSIOTIS, Katholizität: 259–280 sowie allgemein zum orthodoxen Verständnis der
Katholizität: KARMIRIS, Dogmatik; NIKOLAUOU, Grenzen: 316–32; DERS., Verständnis: 6–8;
NISSIOTIS, Theologie; ZANKOV, Katholizität: 108–112.
Vgl. MAXIMUS CONFESSOR, myst. 1 (PG 91, 664 D); vgl. STEINACKER, Katholizität: 75;
NIKOLAOU, Katholizität: 627; DERS., Katholizität der Kirche: 48f.
FLOROVSKIJ, corps: 9–57.
Kyrill von Jerusalem qualifiziert die intensive Katholizität der Kirche als heilsnotwendig: „Indem wir in dieser heiligen katholischen Kirche richtig gelehrt werden und unseren Umgang haben, werden wir das Himmelreich haben und ewiges Leben erben“
(CYRILL H., catech. XVIII,28 [BEP 39,243; PG 33,1049 AB]).
Damit ist begründet, was heute als eucharistische Ekklesiologie bezeichnet wird. „Vater“ der eucharistischen Ekklesiologie ist der orthodoxe Theologe Nicolaj Afanas’ev
4. „Katholisch“ im Zuge der Spaltungen der Catholica
37
thodoxem Verständnis Kirche primär in jeder Ortskirche, d.h. an jedem Ort, wo die
im Namen Jesu versammelte Gemeinde in Gemeinschaft mit ihrem Bischof vereint
Eucharistie feiert. Die Eucharistie ist dabei nicht zu trennen vom bischöflichen Amt.
Denn die Gemeinschaft mit dem Bischof ist notwendige Voraussetzung dafür, dass
die Versammlung der Gläubigen tatsächlich Eucharistiegemeinschaft wird.91 Der
Ortsbischof vergegenwärtigt durch seinen eucharistischen Dienst nicht nur die Gegenwart Christi in den eucharistischen Gaben, sondern sichert jeder Eucharistie feiernden Ortskirche zugleich die Fülle des Heils sowie die Einheit der Kirche, letztlich
deren Katholizität, zu. Jede Eucharistiegemeinschaft ist, wo sie sich um ihren Bischof
im Heiligen Geist versammelt, durch den Dienst des Bischofs und nur durch diesen
Kirche im vollen Sinne, d.h. „katholische“ Kirche in ihrer originären Erscheinungsform: autokephaler Teil der sichtbar-institutionellen Universalkirche. Der Bischof ist
die Bedingung der Möglichkeit der Katholizität jeder Ortskirche und ermöglicht
ihnen, aber auch jedem einzelnen Gläubigen, Anteil an der Einheit sowie an der Katholizität der Kirche.92
Zu dieser Katholizität der Ortskirchen kommt unzertrennlich und notwendig die
Katholizität der Universalkirche hinzu, welche als Gemeinschaft von Ortskirchen
verstanden wird, die durch den gemeinsamen Glauben, die gemeinsame Feier der Liturgie und die Gemeinschaft der Bischöfe untereinander verbunden sind.93 Die Universalkirche gibt dem orthodoxen Episkopat seine kollegiale Ordnung und eint die
91
92
93
(1893–1966). Dieser nimmt die Ekklesiologie des Apostels Paulus, wie sie v.a. im ersten Korintherbrief zum Ausdruck kommt, zum Ausgang seiner Überlegungen. Den
Versen 1 Kor 10,16f entnimmt er, dass der ekklesiale Leib Christi, die Kirche, aus dem
eucharistischen Leib Christi, d.h. den heiligen Gaben, hervorgeht: „Ist der Kelch des
Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi? Ist das Brot,
das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi?“ (1 Kor 10,16–17). Durch die gemeinsame Teilhabe am eucharistischen Leib wird die Eucharistie feiernde Gemeinde ihrerseits zum ekklesialen Leib und nur so. Eucharistie – immer an einem konkreten Ort
gefeiert – ist also Quelle und Ursprung der Kirche, die sich in den vielen Eucharistie
feiernden Gemeinden je voll verwirklicht. Die konkrete Ortsgemeinde und nur sie ist
als Eucharistiegemeinde die „ekklesia“ Gottes in Christus, oder anders gesagt: Kirche
ist Eucharistiegemeinschaft am jeweiligen Ort. Afanas’ev lehnt jede universal gedachte Kirche im Sinne der weltweiten Catholica als „universalistisch“ ab, was ihm nicht
nur Kritik seitens der (römisch-)katholischen, sondern auch seiner eigenen orthodoxen
Kirche einbrachte, stellt seine Ekklesiologie doch nicht nur den Primat des Papstes in
Frage, sondern auch jegliches synodale Prinzip. Denn Kirche ist für ihn schon da voll
und ganz verwirklicht, wo Christus in einer Eucharistie feiernden Gemeinde gegenwärtig ist. Vgl. hierzu u.a.: PLANK, Eucharistieversammlung (Auf den Seiten 41–47 findet sich ein vollständiges Verzeichnis der gedruckten und ungedruckten Werke Afanas’evs); DERS., Kirche: 72–92.
Vgl. OELDEMANN, Kirchen: 191.
Vgl. MAXIMUS VON SARDES, Patriarchat: 18: „Dort, wo die Einheit von Bischof, Klerus
und Volk tatsächlich stattfindet und denselben Leib bildet, dort ist auch die ganze Fülle der kirchlichen Gnadengaben.“
OELDEMANN, Kirchen: 191.
38
0. Einleitung
Ortskirchen im Glauben sowie im Ritus, ohne dass die Gleichberechtigung der Bischöfe untereinander sowie die Selbständigkeit der einzelnen Ortskirchen geschmälert werden. Dabei stehen ekklesiale Einheit und Vielfalt oft in einem inneren Spannungsverhältnis. Dies belegen etwa immer wieder aufkeimende Differenzen zwischen den – verallgemeinernd gesagt – griechischsprachigen und slawischsprachigen
Ostkirchen.94 Nichtsdestotrotz garantiert der jeweilige Ortsbischof durch seinen eucharistischen Dienst einerseits die Katholizität der Ortskirche, andererseits ermöglicht er als Bindeglied zu den anderen Ortskirchen die Katholizität der ganzen universalen Kirche. Die Katholizität einer Ortskirche verliert sich, wo sie nicht mehr
eingebunden ist in die Katholizität der Universalkirche, oder anders gesagt: Eine
Ortskirche hört dort auf, katholisch zu sein, wo sie entweder nicht mehr in Gemeinschaft mit ihrem Bischof oder wo ein Ortsbischof nicht mehr in Gemeinschaft mit den
anderen Bischöfen steht.
Das Verhältnis von Ortskirchen und Universalkirche bzw. von kirchlicher Vielfalt
und Einheit ist nach ostkirchlichem Verständnis im trinitarischen Wesensverständnis
der Kirche grundgelegt. Nach diesem wird die Kirche als „Ikone der Trinität“ verstanden, gemäß einer Urbild-Abbild-Dialektik als Abbild der göttlichen Dreifaltigkeit: „Die Einheit und Vielfalt der Kirche ist Ausfluss der trinitarischen Wesenseinheit und der personalen Vielfalt der Dreieinigkeit.“95 Analog der Einheit der drei
göttlichen Personen durchdringen sich Ortskirchen und Universalkirche in einer Art
Perichorese gegenseitig und kennen keine Präexistenz sowohl der einen als auch der
anderen. Beide Größen sind in der einen, beide Erscheinungsformen der Kirche
gleichermaßen durchdringenden inneren Katholizität begründet.96
Ausdruck der sowohl für die Katholizität der Ortskirchen als auch für die der
Gesamtkirche notwendigen Kollegialität der Bischöfe ist die Synode, auf der die von
ihrem Amt her völlig gleichrangigen Ortsbischöfe zusammenkommen und Dinge regeln, die entweder eine oder mehrere Ortskirchen oder die Universalkirche betreffen.97 Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die als „Sobornostj“ bezeichnete
94
95
96
97
Vgl. ebd. 192.
KALLIS, Kirche: 255.
Vgl. NIKOLAOU, Katholizität der Kirche: 50f. Auf die katholischerseits diesbezüglich geführte Kontroverse zwischen dem damaligen Sekretär der Glaubenskongregation Joseph Kardinal Ratzinger und Walter Kardinal Kasper wird an späterer Stelle eingegangen werden; vgl. hierzu: KASPER, Auseinandersetzung: 795–804.
Die Ortsbischöfe bezeugen im Sinne der „sobornostj“ den katholischen Glauben ihrer
Ortskirchen und garantieren zugleich die notwendige Einheit zu ihren Gläubigen und
untereinander sowie zu allen Ortskirchen. Bezüglich des Prinzips der Sobornstj gibt es
in der Ostkirche unterschiedliche Auffassungen, die hier nicht näher erläutert werden
können. Während orthodoxe Theologen der Linie Aleksej St. Chomjakovs (1804–1860)
folgen, welcher die Katholizität der Kirche i.S. einer „mystischen Gemeinschaftlichkeit“ verstand und eine Beschränkung der bischöflichen Vollmacht in Lehrfragen folgerte, betont Nikolaou die ungeschmälerte synodale lehramtliche Vollmacht; vgl.
hierzu: BEINERT, Kirchenattribut I: 158 (Anm. 11), NIKOLAOU, Katholizität der Kirche: 61f;
DERS., Theologie: 289–309.
4. „Katholisch“ im Zuge der Spaltungen der Catholica
39
und im 19. Jahrhundert in Russland entwickelte Lehre von der Konziliarität bzw. Synodalität der Kirche. „Sobornostj“ kann sowohl mit „Katholizität“ als auch mit
„Konziliarität“ übersetzt werden. Den inneren Zusammenhang beider Begriffe markiert die im russischen Glaubensbekenntnis vorgenommene Ersetzung des griechischen Wortes „katholike“ durch das russische Wort „sobornaja“ (von „sobor“ –
„Konzil“).98
Auf eine Besonderheit sei am Ende noch hingewiesen, die die Assyrische Kirche
des Ostens betrifft. Diese nimmt aufgrund ihrer oben geschilderten besonderen historischen Entwicklung unter den ostkirchlichen Kirchen eine Sonderstellung ein,
welche die Ökumene mit den anderen Ostkirchen nachhaltig betrifft. Denn sie steht
mit den anderen orientalisch-orthodoxen sowie mit den (byzantinisch-)orthodoxen
Kirchen bislang nicht in Kirchengemeinschaft. Lediglich mit der mit Rom unierten
Chaldäischen Kirche pflegt die Assyrische Kirche des Ostens Kommuniongemeinschaft, was deren extensive Katholizität ökumenisch erfahrbar werden lässt.99
Eine terminologische Besonderheit soll an dieser Stelle ebenfalls nicht unerwähnt
bleiben. Wie alle christlichen Kirchen des Ostens sind auch die altorientalischen Kirchen bischöflich verfasst.100 Ihre Eparchien (Diözesen) unterstehen jeweils der Leitung eines Bischofs, die entweder als Metropolit, Erzbischof, Bischof oder Exarch tituliert werden. Bei der Bezeichnung des Primas unter den Bischöfen einer autokephalen Ostkirche taucht neben den Bezeichnungen Patriarch, Metropolit oder Erzbischof in einigen altorientalischen Kirchen der Titel „Katholikos“ zur Herausstellung
des „allgemeinen“ (höherrangigen) Bischofs gegenüber den anderen („normalen“)
Bischöfen.101 So ist diese Bezeichnung beispielsweise im Bereich der ostsyrischen Kirche seit dem fünften bzw. sechsten Jahrhundert belegt. Mit dieser Titulierung demonstrierten die ostsyrischen Bischöfe schon früh ihre beanspruchte Gleichberechtigung mit den übergeordneten Patriarchen, besonders demjenigen von Antiochia.
Auch für die westsyrische Kirche ist diese Titulierung zur Bezeichnung ihres Kirchenoberhaupts gelegentlich belegt. In der Armenischen Kirche nannte man seit dem
sechsten Jahrhundert das kirchliche Oberhaupt „Katholikos“, wobei aufgrund von
Spaltungen mehrere Katholikate entstanden, wovon inzwischen der Katholikos von
Edschmiatzin die geistliche Oberhoheit über alle Armenier innehat. In der äthiopischen Kirche nannte man den Ersthierarchen zweitweise „Patriarch-Katholikos“;
heute trägt er nur noch den Titel „Patriarch“.
98
99
100
101
Vgl. OELDEMANN, Kirchen: 189.
Vgl. ebd. 63.
Vgl. hier und im Folgenden ebd. 59–75.
Vgl. hier und im Folgenden: KAUFHOLD, Katholikos: 226f. Dieser Titel ist auch in der
georgisch-orthodoxen Kirche sowie in einigen mit Rom unierten Kirchen belegt (vgl.
ebd. 227.
40
0. Einleitung
4.2
Katholizität in den aus der Reformation hervorgegangen traditionellen evangelischen Kirchengemeinschaften
Die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchengemeinschaften verstehen sich in
Kontinuität zur reinen und unverfälschten altkirchlichen „Catholica“. Sie halten „mit
dem gemeinsamen Bekenntnis der alten Christenheit auch am Bekenntnis zur katholischen Kirche fest“ und erheben entsprechend ihrem jeweiligen Kirchenverständnisses Anspruch auf Katholizität. Im Folgenden seien die jeweiligen ekklesiologischen
Überzeugungen der aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und mit ihnen
das jeweilige Verständnis von Katholizität in Grundzügen grob und ohne Anspruch
auf Vollständigkeit skizziert.
4.2.1
Katholizität in evangelisch-lutherischer Sicht
Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche verstehen – im Rückgriff auf die ekklesiologischen Ausführungen von Martin Luther (1483–1546) sowie
Philipp Melanchthon (1497–1560) – die Kirche Jesu Christi als Gemeinschaft der
Gläubigen (communio sanctorum), die in der Teilhabe an den Sancta (Hören auf das
Wort Gottes und rechtmäßige Feier der Sakramente) kraft des Heiligen Geistes teilhaben an der Fülle Christi und in dieser Teilhabe partizipieren an der „una sancta catholica“, deren Wesen sich im jeweiligen gottesdienstlichen Vollzug erschließt.
4.2.1.1 Katholizität bei Martin Luther
Fragt man nach Luthers Katholizitätsverständnis, so fragt man notwendiger Weise
nach seinem Kirchenverständnis. Ein in sich konsistentes, systematisch entfaltetes
Verständnis von Kirche lässt sich angesichts Luthers facettenreicher, vielschichtiger
Persönlichkeit sowie seines umfangreichen theologischen Werkes nur schwerlich rekonstruieren.102 Es gilt als einhellige Meinung in der Lutherforschung, dass sich Luthers Kirchenverständnis stetig entwickelt hat und nicht mit einem Mal – stringent
von ihm systematisch entfaltet – vorgelegt wurde. Über das Wie dieser Entwicklung
allerdings herrscht Uneinigkeit.103 Dieser Tatbestand erfordert eine differenzierte
und kontextuelle Betrachtung seiner Schriften und – damit einhergehend – ein angemessenes methodologisches Vorgehen.104 Es ist nicht Ziel und Aufgabe dieser Untersuchung, die Entwicklung in Luthers Kirchenverständnis darzulegen und mittels
Textbefunden einhellig zu belegen. Auch kann im Folgenden nicht der derzeitige
102
103
104
Vgl. DIEZ, Ecclesia: 67.
Vgl. ebd. 93.
Vgl. KLAUSNITZER, Papstamt: 121–124. Diez gibt einen Überblick über die wichtigsten
Schriften, die zur Bestimmung Luthers’ Kirchenverständnisses zurate gezogen werden: DIEZ, Ecclesia: 71f.
4. „Katholisch“ im Zuge der Spaltungen der Catholica
41
Stand der Lutherforschung daraufhin analysiert und zusammenfassend referiert
werden. Daher berufe ich mich auf die Einschätzung Diez’, Luthers Kirchenverständnis sei von den zentralen Aussagen seiner Theologie nachhaltig mit bestimmt
worden105, was allerdings die Frage nach dem Zentralen dieser „seiner“ Theologie auf
den Plan ruft.
Martin Brecht meint „bei der Christologie in ihrer Verbindung mit der Rechtfertigungslehre als dem Zentralsten“106 einen Kristallisationspunkt der lutherischen Theologie ausfindig machen zu können. Friedrich Janssen indes sieht einen solchen in
der Schnittstelle zu erkennen, den Luthers „Gottes- und Menschenlehre bilden, nämlich in der theologischen Anthropologie, in deren Zentrum das Gott-MenschVerhältnis steht. Nirgendwo sonst finden sich die Essentials der theologischen Konzeption des Reformators so komprimiert wieder wie in der Frage nach der Beziehung
zwischen Gott und Mensch.“107 Gleich welche theologischen Abhandlungen Luthers
man zum Zentralsten seiner Theologie erhebt, gilt: In der Weise, wie sich die Ansichten Luthers zu verschiedenen Topoi der Theologie herausbilden, entwickelt sich auch
sein Kirchenverständnis. Dieses wiederum dürfte am Nachhaltigsten von der Rechtfertigungsproblematik beeinflusst worden sein.108
Bezüglich der uns interessierenden Frage nach der Katholizität der Kirche lässt
sich konstatieren, dass Luther diese überall da mit aussagt, wo er – in Absetzung von
der römischen Kirche – sein Kirchenverständnis entwickelt. Zwei Grundannahmen
lassen sich in seinem Katholizitätsverständnis ausfindig machen:109
Erstens hat es für Luther stets nur eine Kirche gegeben, nämlich die „eine heilige
catholica oder christliche Kirche“110, womit er die alte Kirche der Apostel und der
Urkirche meint, in deren Kontinuität er die aus der Reformation hervorgegangen
Kirchen im Gegensatz zu häretischen und vom wahren Glauben abgefallenen Grup-
105
106
107
108
109
110
Diez wörtlich: „In der Entwicklung und Heranreifung der Ansichten, die für Luther
zentrale Bedeutung haben, ist auch das Verständnis von ‚Kirche’ eingeschlossen, wobei man wohl leichter das ‚Resultat’ dieser Entwicklung aus einer Sicht a posteriori zu
benennen als diese Gedankenentwicklung reflektierend zu begleiten und mitzuverfolgen vermag“ (DIEZ, Ecclesia: 68). Vgl. auch WAGNER, Kirche: 70: „Seine [sc. Luthers]
Lehre vom corpus-mysticum hat sich […] mit der bewussten Änderung der Hauptlehre mit-geändert.“
BRECHT, Martin, Iustitia: 211.
JANSSEN, Anthropologie: 76.
Vgl. LUTZ, Unio: 76: „Die Kirche als communio [gehört bei Luther] mitten hinein in
den von Christus gewirkten Prozess der Rechtfertigung“. Diez weist darauf hin, dass
die verschiedenen Untersuchungen zu Luthers Kirchenverständnis unterschiedliche
Interpretationen evozieren, je nachdem, ob man Luther eine bewusste Neubestimmung des Verhältnisses von sichtbarer und unsichtbarer Kirche zuspricht oder ihn ein
Kirchenbild zeichnen sieht, das von Paradoxalität geprägt ist (vgl. DIEZ, Ecclesia: 70,
bes. auch Anm. 13 und 14). Kinder spricht daher lieber von einem regulativen denn
von einem in sich geschlossenen Kirchenbegriff (vgl. KINDER, Kirchenbegriff: 365).
Vgl. BEINERT, Kirchenattribut I: 93–98.
WA 22, 299 f.
42
0. Einleitung
pen sieht und deren Zugehörigkeit sich im Katholischsein erweist. Luther spricht
auch der römischen Kirche dieses Katholischsein nicht eo ipso ab, sieht sie jedoch –
weil zu verweltlicht und in sich verdorben – als reformierungsbedürftig an.111 Katholisch ist nach Luthers Auffassung, „der mit dem Haufen ist und mit der ganzen Versammlung stimmet im Glauben und im Geist“112. Hiermit hebt er neben der geographischen und anthropologischen Bedeutung der Katholizität, welche ihn das griechische καθολικό unglücklicherweise mit „christlich“ übersetzen lassen, vor allem die
offenbarungstheologische Bedeutung in den Vordergrund: Niemand soll eine „Lehre
annehmen, die nicht Zeugnis hat von der alten reinen Kirchen, dieweil leichtlich zu
verstehen ist, daß die alte Kirche hat alle Artikel des Glaubens haben müssen, nämlich alles, so zur Seligkeit nötig ist“113.
Die zweite Grundannahme fußt in seinem sich entwickelnden Kirchenverständnis, das – wie bereits angemerkt – von seiner Rechtfertigungslehre nachhaltig geprägt wurde. Ausgehend von einem akzentuierten (verborgenen und alleinigen)
Heilshandeln Gottes in Jesus Christus (Theozentrik), welches Luther – mit Blick auf
sein Verständnis der Idiomenkommunikation – einer monophysitischen Verkürzung
in seiner Christologie verdächtig macht114, entfaltet er eine Rechtfertigungslehre, die
eine heilsnotwendige Mitwirkung des Menschen in Frage stellt, wenn nicht gar ausschließt115. Des Weiteren postuliert er zwei Erscheinungsweisen der Kirche: „Sub
specie mundi ist die Kirche […] unsichtbar […]. Sub specie Dei und auch sub specie
fidelis ist die […] eine Kirche dagegen unverborgen“116. Unter der christologisch begründeten „Verborgenheit“ der Kirche versteht Luther jedoch keine attributive Zu111
112
113
114
115
116
Vgl. BEINERT, Kirchenattribut I: 97, bes. auch Anm. 21.
HEILER, Urkirche: 9.
WA 50,12. Luther sieht sich in Kontinuität zur alten Kirche, wenn er schreibt: „Haben
wir nun die selbe Taufe der ersten alten und (wie im Symbolo steht Catholice, das ist
der ganzen) christlichen Kirche und sind in derselben getauft, so gehören wir gewiß in
dieselbe alte und ganze christliche Kirche“ (WA 51,479). Vgl. auch WA 39 I, 191;
WA 39 II,176,5.
So vor allem von Yves Congar diagnostiziert; vgl. hierzu entsprechende Verweise bei
DIEZ, Ecclesia: 87ff. Dagegen beziehen klar Stellung u.a.: MANNS, Fides: 1–48; LIENHARD, Zeugnis: 220ff.; 277; 279f.; 282; VORLÄNDER, Deus: 230–235; vgl. hierzu auch
DIEZ, Ecclesia: 83–93.
So konstatiert Diez: „Wie immer man die Bedeutung der ‚Idiomenkommunikation’ bei
Luther für das Gesamt seiner Theologie ansetzen mag, eine gewisse Ausstrahlung auf
den gesamttheologischen Gedankenzusammenhang ist wohl nicht abzuweisen, insofern dabei unmittelbar das Problem ‚heilsbedeutsamer’ Vermittlung menschlichgeschöpflicher Wirklichkeit angesprochen ist“ (DIEZ, Ecclesia: 92f).
MÜLLER, Ekklesiologie: 106. Luther wörtlich: „Igitur sicut Petra ista (sc. Christus) sine
peccato, invisibilis et spiritualis est sola fide perceptibilis, ita necesse est et Ecclesiam
sine peccato, invisibilem et spiritualem sola fide perceptibilem esse: oportet enim fundamentum esse cum aedificia eiusdem conditionis, sicut, dicimus: ‚Credo Ecclesiam
sanctam Catholicam’, at fides est rerum non apparentium. Qua re hoc verbum Matthaei ‚Tu es Petrus’ per dis diapason a Papatu et visibili Ecclesia eius distat, immo eam
funditus subvertit et Synagogam Satanae facit“ (WA 7,710,1–7).
4. „Katholisch“ im Zuge der Spaltungen der Catholica
43
schreibung im Sinne einer nota ecclesiae. Vielmehr ist diese prädikativ zu verstehen
als Ausdruck eines Vorgangs: Die Kirche ist eine unsichtbare, weil sie eine aus dem
Wort Gottes lebende Kirche ist, in die der Mensch je neu hineinverwandelt wird.
Damit aber ist die Kirche „nicht mehr im methaphysischen Sinne […] ‚sichtbare[s]
Zeichen’ einer transzendenten Wirklichkeit, sondern […] ‚Anzeichen’ der unmittelbaren, verheißungsvollen Nähe des Gottesreiches mitten in Raum und Zeit. 117 Ohne
der Kirche eine konkrete Leiblichkeit absprechen zu wollen, bestreitet Luther zugleich eine bestimmte, als heilsnotwendig geltende und von außen klar zu definierende Ausformung dieser Leiblichkeit der Kirche: „das reich gottis […] ist nit zu
Rom, auch nit an Rom gebunden, wider hie nach da, sondern wo da inwendig der
glaub ist, der mensch sey zu Rom, hie odder da, Alszo das es erlogen und erstuncken
ist, und Christo als einem lugener widderstrebt, wer do sagt, das die Christenheit zu
Rom odder an Rom gepundenn sey, vil weniger, das das heubt unnd gewalt da sey
ausz götlicher ordnung“118.
Die wahre eine, katholische und apostolische Kirche ist für Luther eine verborgene Größe.119 Man kann die Catholica nicht „sehen“; sie ist eine „ecclesia abscondita“
und tritt nicht empirisch in Erscheinung. Man kann die Kirche lediglich glauben
durch das Verbum Dei („per signum verbi“), welches allein im Heiligen Geist verständlich ist.120 Damit erteilt Luther den alten „notae ecclesiae“ als sichtbare Wesensbeschreibungen eine Absage und relativiert die Bedeutung der verfassten „ecclesia
Romana“121. Wenn er vor allem in seinen späteren Schriften dennoch von sichtbaren
Zeichen der wahren Kirche Christi spricht, dann aus der Notwendigkeit heraus, Orte
zu benennen, wo das Wort Gottes unverfälscht gehört werden kann, und Kriterien
aufzuzeigen, anhand derer die Kirche Christi sicher erkannt werden kann.122 Aus
zunächst drei „symbola“ (Verkündigung, Taufe, Abendmahl) entwickelt er später
sieben Kennzeichen: Verkündigung, Taufe, Abendmahl, „Schlüssel“, Ämter, Gebet
und Bekenntnis, heiliges Kreuz.123 Diese Kennzeichen werden nicht als attributive
Wesensbeschreibungen wie die katholischen notae ecclesiae verstanden. Sie sind
vielmehr – wie die Verborgenheit der Catholica selbst – prädikativ zu verstehen: Es
117
118
119
120
121
122
123
Vgl. DIEZ, Ecclesia: 97f.
WA 6,293,22–27; vgl. auch WA 7,720,13–21 sowie WA 7,719,26–720,1.
Vgl. WA 18,652: „Abscondita est ecclesia, latent sancti“.
Vgl. DIEZ, Ecclesia: 106 unter Berufung auf WA 7,722,8–10. Luther wörtlich: „Die recht
Kirche die gegläubt wird, welche ist ein Gemeine oder Sammlung der Heiligen im
Glauben, aber niemand sieht, wer heilig oder gläubig sei“ (WA 6,301).
Vgl. WA 22,299: „Darum heißt und ist diese Einigkeit der Kirche nicht einerlei äußerlich Regiment, Gesetz oder Satzung und Kirchengebräuche haben und halten, wie der
Papst mit seinem Haufen vorgibt und alles will aus der Kirche geschlossen haben, die
da nicht hierin ihm wollen gehorsam sein“.
Vgl. WA 50,629,19; WA 50,630,23; WA 50,631,8.
In seiner Schrift „Wider Hans Worst“ (vgl. WA 51,479–487) führt Luther 1541 sogar
folgende elf Kennzeichen an: Taufe, Altarsakrament, „Schlüssel“, Predigtamt, Apostolisches Symbolum, Vater unser, Ehren der weltlichen Herrschaft, Ehestand, Verfolgung erleiden, Leiden und Erdulden, Fasten. Vgl. DIEZ, Ecclesia: 107, insbes. Anm. 199.
44
0. Einleitung
sind Vorgangsbeschreibungen, Wirkungen des Heiligen Geistes, so wie das Sein der
Kirche selbst ein Geschehen des Heiligen Geistes ist: „Beschreibungen des Prozesses
der Heiligung der Kirche durch den Heiligen Geist, das heißt, in diesem Vorgang der
Heiligung fasst sich das Wesen der Kirche zusammen.“124 Diese Kennzeichen sind
einerseits und für sich genommen jedermann empirisch erkennbar, andererseits aber
als Wirkung des Heiligen Geistes nur dem Glaubenden evident.125 Luthers notae
„zeigen […] die unsichtbare Kirche […] sichtbar an, ohne sie selbst ihrem Wesen nach
sichtbar zu machen.“126 Das Wort Gottes und der Glaube sind sowohl Seinsgrundals auch Erkenntnisgrund der Catholica, oder anders gesagt: deren Seinsgrund (der
Glaube als Glaube der Kirche) ist zugleich ihr Erkenntnisgrund (der Glaube als je individuell geglaubter Glaube).127
Die Catholica ist für Luther „nicht institutionell, ist […] kein Organ, keine Institution, keine Anstalt, kein Handlungsträger und keine Handlungsform – und kann […]
das auch nicht sein“128. Kirche ist die Versammlung der Gläubigen vor Ort, die auf
die Frohe Botschaft hören und die Sakramente feiern. Im gottesdienstlichen Vollzug
erschließt sich das Wesen der Kirche; jede Gemeindeversammlung ist wesentlich mit
einem Bezug zur Catholica versehen, ohne ganz Kirche zu sein. Folglich zielt Katholizität für Luther zuallererst auf die geglaubte Kirche als geistige (unsichtbare) Größe, auf das christlich heilige Volk, das an Christus glaubt und in diesem einen Glauben sich versammelt, „geistlich und nicht leiblich“129. Diese katholische Kirche wird
überall dort evident, wo die Frohe Botschaft verkündet, geglaubt und gelebt sowie
die Sakramente rechtmäßig gespendet werden, also in jeder Ortskirche. In ihnen ist
die Heilsuniversalität Christi im Heiligen Geist zugegen und kann dort erfahren
werden:
„Christliche Kirche und christliche Heiligkeit ein gemeiner Name und ein gemein
Ding ist allen Kirchen und Christen in der Welt, daher man es nennet Catholicum
[…] Denn christliche Heiligkeit oder gemeiner Christenheit Heiligkeit ist die,
124
125
126
127
128
129
STEINACKER, Katholizität: 115.
Vgl. SCHLOEMANN, Ekklesiologie: 280.
WAGNER, Ortsbestimmung: 23 (Hervorhebungen von mir).
Vgl. KRECK, Grundfragen: 14. Winkler hierzu: „Die Unsichtbarkeit der Kirche ist […]
die Unmöglichkeit, die Kirche auf eine andere Weise gewahr zu werden als durch den
Glauben. Kirche steht dem Glauben nicht als objektive Heiligkeit gegenüber. Erst in
dem gläubigen Sich-Einrechnen in sie blitzt ihre Heiligkeit auf. Es besteht zwischen
Kirche und gläubigem Ich ein Zirkel, ein wechselseitiges Sich-Fordern und SichBedingen“ (WINKLER, Kirche: 22). Entscheidend sei die Korrelation zwischen Glaube
und Kirche, vgl. ebd. 24.
KOCH, Problem: 128.
WA 50, 624.626. Oft wird Luthers Kirchenverständnis unter Spiritualisierungsverdacht gestellt. Martin Doerne indes sieht Luthers Lehre als Korrektiv gegen jede Spiritualisierung der Kirche und gegen jede Flucht in eine falsche Sichtbarkeit der Kirche,
vgl. DOERNE, Gottes Volk: 6; vgl. hierzu auch DIEZ, Ecclesia: 114ff.
4. „Katholisch“ im Zuge der Spaltungen der Catholica
45
wenn der Heilige Geist den Leuten Glauben gibt an Christus und sie dadurch heiligt“130.
Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass die Katholizität bei Luther für
„das Zeugnis einer geistlichen Realität [steht] und die Aufgabe […], jene Universalität und die Gemeinschaft der wahrhaft Gläubigen (Ecclesia spiritualis) erfahrbar zu
machen in den partikularen Kirchen (singulae Ecclesiae) und in deren Gesamtheit
(Ecclesia universalis).“131 Luther wörtlich:
„daher heißt es eine heilige catholica oder christliche Kirche, dass da ist einerlei
reine und lautere Lehre des Evangelii und äußerlich Bekenntnis derselben an allen
Orten der Welt und zu jeder Zeit, unangesehen, was sonst für Ungleichheit und
Unterschied des äußerlich leiblichen Lebens oder äußerlicher Ordnungen, Sitten
und Zeremonien sind“132.
4.2.1.2 Katholizität bei Philipp Melanchthon
Philipp Melanchthon versucht die theologische Haltung und Orthodoxie der sich
zunehmend herausbildenden reformatorischen Kirchen, welche seiner Meinung nach
in ungebrochener Kontinuität zur Kirche der Väter stehen, als eine nicht mehr zu
leugnende Wirklichkeit neben der „ecclesia Romana“ darzulegen. Dabei lässt er –
bedingt durch die auf das lutherische Rechtfertigungsverständnis konzentrierte Frage nach der Orthodoxie der reformierten Kirchen – in seinem, wie Wiedenhofer konstatiert, sich entwickelnden, aber seit 1530 wesentlich einheitlichen Kirchenbegriff eine Tendenz zu einer Konfessionskirche spürbar werden.133 Anders als Luther, bei
dem wahre (die reformierte) und falsche (die römische) Kirche in einem Kirchentum
im „eschatologischen Streit beieinander“134 waren, sieht er beide „Kirchen“ sich zunehmend als Kontrahenten gegenüber stehen, unbeschadet dessen, dass es in der
„ecclesia Romana“ durchaus Glieder der wahren Kirche (Catholica) geben könne.135
Wiedenhofer bescheinigt Melanchthon eine zwar unter formalen und strukturellen
Gesichtspunkten überraschende Nähe zum zeitgenössischen katholischen Kirchenverständnis, betont aber zugleich dessen dezidierte inhaltlich pointierte Gegenposition.136
130
131
132
133
134
135
136
WA 50,626.
FAHLBUSCH, Katholisch: 994.
WA 22,299 f.
Vgl. zum Kirchenbegriff Melanchthons: WIEDENHOFER, Formalstrukturen.
Apol. Conf. XII,66 (BSLK 265,66): „At Petrus hic in nostra causa etiam allegat consensum ecclesiae: Huic, inquit, omnes prophetae perhibent testimonium, remissionem
peccatorum accipere per nomen ius etc. Profecto consensus prophetarum iudicandus
est universalis ecclesiae consensus esse."
Vgl. KÜHN, Kirche: 57.
Vgl. WIEDENHOFER, Formalstrukturen: 263f; 267.
46
0. Einleitung
In Melanchthons Kirchenverständnis verschiebt sich stärker als bei Luther der
Akzent auf eine Kirche als empirische Größe: „Est autem ecclesia congregatio sanctorum, in qua evangelium pure dicetur et recte administrantur sacramenta“137. Damit
übernimmt Melanchthon Luthers nichtinstitutionellen Ansatz eines Kirchenverständnisses, legt für ihr Wesen jedoch zugleich institutionelle Elemente zugrunde:
Die Versammlung der „wahren“ Kirche („ecclesia congregata“) geht zwar vom Wort
Gottes aus; dieses aber ergeht „nicht einfach unvermittelt und frei […], sondern vom
ministerium Evangelii vermittelt“138. Damit misst Melanchthon der an sich nichtinstitutionellen „congregatio sanctorum“ im Amt eine evidente Größe bei. 139
Konsequenterweise überträgt Melanchthon die bei Luther für die empirische Kirche nur zweitrangige Frage nach der Katholizität auf die sichtbare „lutherische“ Kirche: „Die Kirchen, die unser Bekenntnis angenommen haben, sind wahrhaftig Glieder der katholischen Kirche, da ja die Lehre unserer Kirche mit derjenigen der Alten
Kirche übereinstimmt“140. Demgemäß versteht er die Katholizität im offenbarungstheologischen Sinne, meint mit ihr aber keine nota ecclesiae im alten Sinne. Vielmehr
versteht er darunter eine überempirische, geistliche Größe, die der Kirche allgemein
zukomme, „da sie die Menschen über die verschiedenen Traditionen hinaus auf den
einen Christus hin eint. Christen stimmen im Evangelium zusammen, haben denselben Heiligen Geist und dieselben Sakramente.“141 Wie Luther interpretiert auch Me137
138
139
140
141
BSLK 61,2–6. Die BSLK übersetzt: „dass alle Zeit müsse ein heilige christliche Kirche
[…], welche ist die Versammlung aller Gläubigen, bei welchen das Evangelium rein
gepredigt und die heiligen Sakrament lauts des Evangelii gereicht werden“. In Ca VIII
heißt es, wie Diez anfügt (vgl. DIEZ, Ecclesia: 129, Anm. 305): „Quamquam ecclesia
proprie sit congregatio sanctorum et vere creditum“ (BSLK 62,2f.).
WIEDENHOFER, Formalstrukturen: 279.
Vgl. KÜHN, Orthodoxie: 264; vgl. STEINACKER, Kennzeichen: 106f.
STUPPERICH, Studienausgabe: 292,6.14; 290,27. Vgl. Apol VII,10 (BSLK 235 f.): „Et catholicam ecclesiam dicit, ne intelligamus, ecclesiam esse politiam externam certarum
gentium, sed magis homines sparsos per totum orbem, qui de evangelio consentiunt et
habent eundem Christum, eundem spiritum sanctum et eadem sacramenta, sive habeant easdem traditiones humanas sive dissimiles. Et in decretis inquit glossa, ecclesiam
large dictam complecti bonos et malos; item malos nomine tantum in ecclesia esse,
non re, bonos vero re et nomine“.
STEINACKER, Katholizität: 77. Beinert kommt aufgrund dieses Befundes zu dem Ergebnis, Melanchthon habe „die Katholizität mit der lutherischen Kirche […] identifizier[…][t] […]. Katholisch wird […] gleichbedeutend mit lutherisch. Unvermerkt hat
man damit grundsätzlich den gleichen Weg eingeschlagen, den Luther am Papsttum
getadelt hatte, nämlich eine Kirche mit der Katholizität zu identifizieren. Diese Entwicklung ist ein Zeugnis dafür, dass sich – schon zur Zeit der Apologie – tatsächlich
eine neue Kirche, die ausdrücklich diesen Titel beanspruchte, endgültig gebildet hatte.
[…] Katholisch ist […] nicht mehr Rom, das es verworfen, sondern eben die lutherische Kirche, die es sich zu eigen gemacht hat“ (BEINERT, Kirchenattribut I: 99f; vgl. ebd.
102f). Steinacker betont dem gegenüber m.E. zu Recht, Melanchthon habe ein Vorhandensein an wahrem Glauben und damit an Katholizität in der ecclesia Romana nicht
ausgeschlossen, sei die Taufe doch auch hier gültig geblieben (vgl. STUPPERICH, Studienausgabe: II,2,491,34); somit sei der Vorwurf eines „‚Katholisch’-Werden[s]“ der re-
4. „Katholisch“ im Zuge der Spaltungen der Catholica
47
lanchthon die klassischen notae als dynamische Vorgänge, als ein Geschehen von
Rechtfertigung.142
4.2.1.3 Katholizität in heutiger evangelisch-lutherischer Sicht
Katholizität verwirklicht sich nach heutigem evangelisch-lutherischem Verständnis
wesentlich in der Gottesdienst feiernden Ortsgemeinde als prototypischer Existenzform der „congregatio sanctorum“.143 In der das Wort Gottes hörenden und die Sakramente empfangenden versammelten Gottesdienstgemeinde ist der Auferstandene
im Heiligen Geist real zugegen. Die Ortsgemeinde ist somit die primäre Form von
Kirche. Dabei hat jede Ortsgemeinde notwendigerweise einen wesentlichen universalkirchlichen Bezug, der sowohl räumlich als auch zeitlich bestimmt ist. Denn die
Ortsgemeinden sind nur dann ganz Kirche, d.h. „katholische“ Kirche, wenn sie mit
allen anderen Ortsgemeinden synchron wie diachron in Gemeinschaft stehen. Ohne
diesen universalkirchlichen Bezug wären die Ortsgemeinden nicht Kirche.144 Anders
als in der (römisch-)katholischen Kirche wird die Universalkirche allerdings ausdrücklich nicht als ekklesiologische Primärform von Kirche und damit als eine notwendig sichtbar-konkrete Größe verstanden. Vielmehr wird die Universalkirche als
eine unsichtbare wesentliche Größe verstanden, folglich dessen auch die Katholizität
primär „als Eigenschaft der geglaubten verborgenen bzw. unsichtbaren Kirche“ 145
gilt, die sich in den Ortsgemeinden verwirklicht.
Die öffentliche Wortverkündigung und die rechtmäßige Sakramentenspendung
obliegt nach evangelisch-lutherischem Kirchenverständnis primär dem presbyteralen
Gemeindepfarramt, in das durch Ordination berufen wird. Das Gemeindepfarramt
ist zum Dienst an der Einheit und der Katholizität beauftragt. Aufgrund der von Luther und Melanchthon herausgestellten wesentlichen universalkirchlichen Ausrichtung jeder Ortskirche – denn die Kirche übersteigt als „Catholica“ notwendigerweise
ihre eigenen raum-zeitlichen Grenzen und erweist sich gerade darin als katholisch –
ist die Ausgestaltung von übergemeindlichen landeskirchlichen Strukturen mit einem Landesbischof oder Präses an der Spitze im Sinne einer Episkopé notwendig.
142
143
144
145
formierten Kirchen „nicht ganz richtig“ (STEINACKER, Katholizität: 77). Wenngleich Melanchthon zweifelsohne die Katholizität der lutherischen Kirche im Gegensatz zur
ecclesia Romana nachzuweisen versucht, so doch nicht, um diese ausschließlich (exklusiv) mit der lutherischen Kirche zu identifizieren, wie es Beinert formuliert: „Die reformatorische Lehre ist die richtige und auch die allgemeinkirchliche Interpretation
des Evangeliums und die sich dazu bekennende Kirche die Fortsetzung der alten,
apostolischen und darum der exklusiven katholischen Kirche.“ (BEINTERT, Kirchenattribut I: 103; Hervorhebung von mir).
Vgl. STEINACKER, Kennzeichen: 109.
Vgl. WENZ, Katholizität: 101.
Vgl. ebd. 101.
KASPER, Katholizität: 364.
48
0. Einleitung
Diese stehen in enger und untrennbarer Einheit zu den presbyteralen Pfarrern.146 Die
amtliche Gestalt wie die gesamte Verfassung der evangelisch-lutherischen Kirche
stehen
„im alleinigen Dienst desjenigen Gehalts, welcher das Wesen der Kirche begründet und von den Gestalten des Amtes zwar nicht zu treffen, wohl aber zu unterscheiden ist. Die zum amtlichen Hirtendienst Berufenen haben keinen anderen
Auftrag, als der Stimme des einen Hirten Gehör zu verschaffen, der sich in Wort
und Sakrament selbst zur Sprache zu bringen verheißen hat. […] Nicht die Macht
formaler Autorität, sondern allein die Ohnmacht des Wortes und der sakramentalen Zeichenvollzüge, wie sie in der Heiligen Schrift kanonisch bezeugt sind, hat
das Vermögen, im Innersten zu überzeugen.“147
Mit dem spezifisch evangelisch-lutherischen Kirchen- und Amtsverständnis geht neben der Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom aus (römisch-)katholischer Warte
auch die mit der Katholizität von Anfang an aufs engste verbundene betont bischöfliche Verfasstheit der Kirche verloren. Diese wird nach evangelischer Lehre nicht als
„primärer Bestimmungsfaktor kirchlicher Einheit und Katholizität“ angesehen, sondern „das gemeinsame Bekenntnis im Sinne eines Sachkonsenses bezüglich rechter
Evangeliumsverkündigung und stiftungsgemäßer Sakramentsverwaltung“148. Zwar
wird „das ordinationsgebundene Amt in seinen Gestalten und insbesondere in seiner
episkopalen Form […][als] seinem Wesen nach dazu bestimmt [angesehen], der Einheit und Katholizität der Kirche in apostolischer Nachfolge zu dienen“149. Aber mit
ihm ist – und hier unterscheidet sich das evangelische Amtsverständnis, wie wir
noch sehen werden, in grundlegendem Maße von dem sakramentalen Amtsverständnis der (römisch-)katholischen Kirche – „nicht der Anspruch verbunden […], an
sich selbst Garant der Einheit und Katholizität der Kirche zu sein. Zwar ist das kirchliche Amt auch nach evangelischer Lehre dazu bestimmt, ‚in persona Christi‘ zu
handeln. Aber die amtliche Christusrepräsentation ist ihrem Wesen nach das gerade
Gegenteil von Ersatz und schließt die Tatsache nicht aus, sondern ein, dass jeder getaufte Gläubige je auf seine Weise dazu bestimmt ist, ein Christusrepräsentant zu
sein. Die Besonderheit des ordinationsgebundenen Amtes lässt sich von der Allgemeinheit des Priestertums aller nicht ablösen. Vielmehr waltet zwischen dem ordinationsgebundenen Amt und dem gemeinsamen Priestertum aller Christen ein wechselseitiger Begründungszusammenhang. Der Einheit und Katholizität der Kirche
kann nur im Verein von ordinierten und nichtordinierten Christen gedient werden“150.
146
147
148
149
150
Vgl. WENZ, Katholizität: 103f.
Ebd. 111f.
Ebd. 110.
Ebd. 106.
Ebd. 106f.
4. „Katholisch“ im Zuge der Spaltungen der Catholica
4.2.2
49
Katholizität in reformierter Sicht
Die reformierten Kirchen der Schweiz behielten bis ins 17. Jahrhundert den Anspruch auf „Katholizität“ bei, maßen jedoch ab dem 19. Jahrhundert – in Abgrenzung
von der (römisch-) katholischen Kirche und aufgrund des Apostolikumsstreits im
Kanton Zürich151 – zunehmend der Katholizität keine Bedeutung mehr bei, so dass
sie für eine reformierte Identität heute kaum eine Rolle spielt.152 Dabei war die Katholizität sowohl für Johannes Calvin (1509–1564) als auch für Huldrych Zwingli
(1484–1531) ein wichtiger theologischer Begriff. Im Folgenden sei stellvertretend auf
Calvins Katholizitätsverständnis kurz eingegangen.
4.2.2.1 Katholizität bei Johannes Calvin
Johannes Calvins ekklesiologisches Denken ist wie das von Luther von einer Entwicklung geprägt.153 Aus christologischen und heilsökonomischen Gründen verschiebt er – durch die Prädestinationslehre bedingt, die das theologische Fundament
seines Katholizitätsverständnisses bildet – die Katholizität der Kirche zunächst in
den Bereich der nicht sichtbaren Kirche und versteht sie rein attributiv. Bei ihm ist
die Katholizität kein empirischer, sondern ein theologisch-normativer Begriff. Dementsprechend formt Calvin ein rein geistliches Verständnis der Katholizität, was die
Frage nach der Orthodoxie deutlich in den Hintergrund treten lässt.154
Fundament der Katholizität der Kirche (sanctorum communio, populus electorum Dei) ist nach Auffassung Calvins deren verborgene Erwählung durch Gott, die
dem Menschen an sich nicht evident ist. „Dem Glaubenden wird allerdings das Vorhandensein dieser Versammlung der Erwählten zur unbezweifelbaren Gewissheit,
wenn er im Vorgang des Zum-Glauben-Kommens sich selber als Erwählten erkennt
und den in Gottes Wort offenbarten Willen gläubig erkennt und auf sich appliziert.“155 Der Prozess des Gläubigwerdens vollzieht sich mit Blick auf Christus im
Heiligen Geist und offenbart sich in Wort und Sakrament in der konkreten Gemeinde. Damit aber erweist sich die sichtbare Kirche „als bevorzugtes Mittel zur Weitergabe des Heils, als ‚sichtbar dienende Mutter’“156. Diese heilsmittlerische Funktion
erreicht die Kirche nur, so Calvin, wenn sie auch eine erfahrbare Einheit bildet:
„Deshalb heißt die Kirche ‚katholisch’ oder ‚allgemein’; denn man könnte nicht zwei
oder drei ‚Kirchen’ finden, ohne dass damit Christus in Stücke gerissen würde – und
151
152
153
154
155
156
Vgl. hierzu GEBHARDT, Bekenntnisfreiheit.
Vgl. KUNZ, Katholizität: 117.
Vgl. NIJENHUIS, Calvin: 584.
Vgl. STEINACKER, Kennzeichen: 126–140; vgl. DERS., Katholizität 77.
DERS, Kennzeichen: 136.
DIEZ, Ecclesia: 143. Vgl. SCHELD, Media Salutis: 9: „Die sich […] abzeichnende Wendung Calvins von der unsichtbaren […] zur Kirche in dieser Welt […] führt zu einer
größeren Konzentration auf die äußeren Heilsmittel Gottes.“
50
0. Einleitung
das kann doch nicht geschehen“157. Als katholische Kirche versteht er „die Gesamtheit der Erwählten, der Engel wie der Menschen; und zwar der Toten wie der Lebenden, in welchen Ländern sie auch immer leben, bzw. unter welchen Völkern sie
auch immer verstreut sind“158. Da in ihr sündige Menschen leben, bleibt die sichtbare
(erfahrbare) Kirche stets eine mangelhafte und unvollständige Realisierung dieser
Catholica, die auf ihre Vollendung im Eschaton wartet. Dann erst sei die volle Katholizität realisiert, wenn die Kirche wieder ganz „ecclesia“ werde.159
4.2.2.2 Katholizität in heutiger reformierter Sicht
Heute ist das Prädikat „katholisch“ unter Reformierten weitgehend zu einer Leerstelle geworden. Während Gläubigen die Rede und das Verständnis von Katholizität
gänzlich abhanden gekommen sind, stellen zumindest reformierte Theologen neuerdings Überlegungen zur Rückgewinnung einer im Zuge der Dekatholisierungstendenz des 19. Jahrhunderts verloren gegangenen reformierten Katholizität an.
Das zweite Helvetische Bekenntnis verlagert die Katholizität der Kirche gänzlich
in den Bereich der unsichtbaren Kirche und reklamiert sie als rein geistige Größe, der
alle sichtbaren Kirchen in Tat und Wahrheit entsprechen sollen.160 Alleiniges Symbol,
das alle Kirchenglieder verbindet, ist das Wort Gottes. Diesem Verständnis geht eine
Spiritualisierung der Catholica einher, die die Katholizität höchstens als einen Würdentitel verstehen lässt, der Gabe und Aufgabe zugleich ist. Vielen jedoch ist die
Würde dieses Namens, die Ehre, zur „communio sanctorum“ zu gehören, verlustig
gegangen. Die Reformierte Kirche versteht sich zwar als Denomination, die als
„ecclesia militans im Streit um die Wahrheit des Evangeliums das Recht [hat,] sich
auf den einen Namen zu berufen, der allein geheiligt ist und der allein heilig
spricht.“161 Zugleich aber wird immer mehr ein Graben zwischen dem Glauben der
Einzelnen und der Sozialgestalt der Kirche deutlich, der das Bewusstsein, zur einen
Catholica zu gehören, subjektiv aufzulösen droht, wie es der Apostolikumsstreit des
Kantons Zürich faktisch zur Folge hatte.162 Wo eine subjektivistische, privatisierte
Form von Glauben um sich greift, kann die kirchliche Einheit nur noch als Geisteshaltung, Apostoliziät nur noch als Historie, Heiligkeit nur noch als Ethos und Katholizität
157
158
159
160
161
162
CALVIN, Inst. rel. christ. IV, 1,2, übersetzt nach HEILER, Urkirche: 11.
CALVIN, Inst. rel. christ. IV 3,6; OS I, 86.
Die Frage nach Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Kirche ist innerhalb der reformierten Ekklesiologie umstritten. Kunz konstatiert: „Während Bullinger, Zwingli folgend,
das credo ecclesiam auf die von Gott erkannte Kirche bezog, konnte Calvin den Glauben
an die Kirche auch auf die ecclesia externa (Calvin, Institutio IV, 1,7) beziehen. Karl
Barth, KD IV/1, 747, folgte Calvin und betonte die Einheit des Leibes, in dem sich die
sichtbare Kirche als Gleichnis des unsichtbaren Reiches Gottes darstellt“ (KUNZ, Reformierte Katholizität: 124, Anm. 13). Vgl. hierzu auch LINK, Kennzeichen: 271–294.
Vgl. KIRCHENRAT DES KANTONS ZÜRICH, Bekenntnis: 85.
KUNZ, Reformierte Katholizität: 125.
Vgl. PAZTOR, Katholizität: 44.
4. „Katholisch“ im Zuge der Spaltungen der Catholica
51
nur noch als universales Prinzip der Vernunft verstanden werden.163 Die reformatorische „Ausblendung des Glaubens an die Kirche steht [jedoch] in der Gefahr, die
Gabe der Kirche, eine ‚Haushälterin der Geheimnisse Gottes’ (1 Kor 4,1) zu sein, aus
dem Blick zu verlieren […][, letztlich] den Glaubenssinn für die universale Kirche“164. Dies zu sein, ist nämlich nicht Aufgabe einer Konfession, sondern der gesamten ökumenischen Kirche165.
4.3
Katholizität als Konfessionsbezeichnung
Wie auch immer die einzelnen Reformatoren ihr Kirchenverständnis ausprägten und
den Begriff „katholisch“ gebrauchten: „Katholisch“ ist sowohl für die Reformatoren
als auch für die reformierten Theologen der ersten Generation noch keine Konfessionsbezeichnung, sondern mehr ein „Gütesiegel“. „Katholisch“ wird primär als geistige Größe verstanden und nur sekundär auf die sichtbare Kirche übertragen, was
die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen aus ihrer Sicht als „wahre“ Kirchen qualifiziert. Damit wird die bleibende Kontinuität zur alten Kirche betont und
zugleich eine Abgrenzung zur „ecclesia Romana“ unterstrichen. Die eigentliche Bezeichnung, die man beibehalten wollte, war: „ecclesia apostolica catholica“, „christliche“, „allgemein katholische“166 Kirche.
Während ein mehr wesentliches Verständnis der Katholizität lediglich der unsichtbaren Kirche das Attribut „katholisch“ zubilligt, in der die einzelnen Konfessionskirchen geeint und somit indirekt katholisch sind167, fördert die institutionelle
Deutung des Katholizitätsbegriffs in Folge Melanchthons die Identifizierung der
sichtbaren lutherischen mit der einzig wahren katholischen Kirche. Schon bald gereicht „katholisch“ mehr und mehr zur Konfessionsbezeichnung, wovon absetzend
sich die die reformatorischen Kirchen „lutherisch“ nennen und das ursprüngliche
Begriffsverständnis von „katholisch“ aufgeben. Wegen der Gefahr der Verwechslung
mit der „römischen“ Konfession ersetzen die meisten evangelischen Gemeinden das
„katholisch“ im Apostolikum durch Wörter wie „christlich“, „allgemein“ oder in
Kombination „allgemein christlich“, die ihrer Auffassung nach in gleicher Weise die
Gemeinschaft der Catholica als alle Christen auf der ganzen Welt einende (unsichtbare) Größe zum Ausdruck bringen. Wo aber das Wort „katholisch“ aufgegeben
wird, „um statt dessen ‚allgemeine Kirche’ zu sagen“, wird man – so folgert Henri de
Lubac richtig – „damit unvermeidlich eine völlig andere ‚Kirche’ bezeichnen als die
von Jesus Christus auf dem Fundament der Apostel gegründete und von dorther
163
164
165
166
167
Vgl. KUNZ, Reformierte Katholizität: 130.
Ebd. 139f.
Vgl. ebd. 143.
KANTZENBACH, Einheit: 41.
Vgl. HUTTER, analysis methodical: 431: „Manet enim nihilominus una tantum Catholica
Ecclesia, particulares illas omnes ceu mater filias suo ambitu compectens“
52
0. Einleitung
durch die Geschichte hindurch fortlebende: man […] [denkt] an eine ‚Kirche’ ohne
Struktur, unsichtbar und diffus“168.
Eine beginnende Wiederbesinnung auf das Wesen der allen christlichen Kirchen
zukommenden Katholizität setzt auf evangelischer Seite zu Beginn des 20. Jahrhundert ein unter anderem mit Beiträgen von Friedrich Heiler (1892–1967), Nathan
Söderblom (1866–1931) und Paul Tillich (1886–1965), die selbstbewusst von einer
„evangelischen Katholizität“ sprachen.169 Bedeutende evangelische Theologen machen derweil das Attribut „katholisch“ ganz selbstverständlich für die evangelische
Kirche geltend (vgl. u.a. Karl Barth, Werner Elert, Ernst Kinder, Edmund Schlink, Ulrich Kühn, Gunther Wenz).170
4.4
Katholizität in der nachtridentinischen Kontroverstheologie
Während das Konzil von Trient (1545–1563) keine nennenswerten ekklesiologischen
Themen diskutiert, versucht die nachtridentinische katholische Kontroverstheologie
mittels des Katholizitätsbegriffs auf die sich ausbreitende Reformation zu reagieren.
Dabei verwendet sie den Begriff „katholisch“ fast ausschließlich polemisch.171
Bemüht man anfangs noch Aussagen der Bibel sowie die Lehren des Vinzenz von
Lérins und des Augustinus, um nachzuweisen, dass die vier Wesensmerkmale in der
(römisch-)katholischen Kirche voll verwirklicht sind, so führt man zunehmend die
weltweite Verbreitung der Kirche, also deren rein quantitative Katholizität als alleiniges Argument an, um die „ecclesia Romana“ als die wahre Kirche Jesu Christi herauszustellen.172
168
169
170
171
172
LUBAC, Einheit: 35. De Lubac zitiert in diesem Kontext einen 1970 von den fünf französischen Mitgliedern der internationalen Theologenkommission verfassten Brief an den
französischen Episkopat, in dem es heißt: „Es [ist] unmöglich […], die Worte ‚katholische Kirche’ durch ‚universale Kirche’ zu ersetzen. Dies müsste bei den Gläubigen
unweigerlich den Eindruck erwecken, wir bräuchten nicht mehr unsern Glauben an
eine von Christus gegründete Kirche zu bekennen, die alle Christen in der Einheit des
Glaubens und der echten Sakramente wie in der Treue zu den legitimen Hirten zu
versammeln hat, sondern nur einen vagen Glauben an eine unsichtbare Kirche, in der
alle Christen trotz der bestehenden Spaltungen in einer geistigen Einheit beisammen
sein könnten. Im Gegensatz dazu wollte das Wort ‚catholica’ seit seiner ersten Einführung ins Credo gerade die in Sichtbarkeit eine und in Echtheit des Glaubens, der Sakramente und der Hierarchie einzige Kirche von allen diesen Erfordernissen nicht entsprechenden Gemeinschaften unterscheiden. Das Wort ‚katholisch’ fahrenlassen hieße
demnach die Setzung aufheben, um deretwillen dieser Artikel des Credo verfasst
worden ist“ (LUBAC, Einheit: 35f, Anmerkung 27).
Vgl. STEINACKER, Katholizität: 77.
Vgl. KASPER, Katholische Kirche: 259.
Vgl. BEINERT, Kirchenattribut I: 128 ff.
Kardinal Stanislaus Hosius etwa betont die wahre Kirche als sichtbare, empirische
Größe und sieht den katholischen (universalen) Glauben als Bedingung der Möglich-
4. „Katholisch“ im Zuge der Spaltungen der Catholica
53
Kardinal Robert Bellarmin (1542–1621), der wohl bedeutendste und noch das
I. Vatikanische Konzil sowie die Enzyklika „Mystici Corporis“ Papst Pius XII. beeinflussende Kontorverstheologe dieser Zeit – von Medard Kehl als Begründer eines
„veräußerlichten und verrechtlichten katholischen Kirchenbegriffes“173 bezeichnet –,
betont im Zuge seiner pointierten juridischen Ekklesiologie 174 die Hierarchie der Kirche und den Primat des Papstes. Seine Kirchendefinition lautet:
„Die Kirche ist die Vereinigung der Menschen, die durch das Band des Bekenntnisses desselben Glaubens und die Teilnahme an denselben Sakramenten unter
Leitung der rechtmäßigen Hirten und besonders des einen Statthalters Christi auf
Erden, des römischen Papstes, verbunden sind“175.
Diese institutionalisierte und unter die Autorität des Papstes gestellte Kirche als
„societas perfecta“ – von Gott mit allen notwendigen „Heilsmitteln“ ausgestattet –
garantiere seiner Meinung nach alleine den Wahrheitsgehalt der „vera Christi Ecclesia“, die notwendigerweise nur eine sein könne. Anhand des Bekenntnisses des wahren Glaubens („vinculum symbolicum“), der Gemeinschaft in den Sakramenten
(„vinculum liturgicum“) sowie der Unterordnung unter den Primat des Papstes
(„vinculum hierarchicum“) meint er die Kirchenzugehörigkeit genau verifizieren zu
können. „Die ‚forma Ecclesiae’ kann nicht die fides interna sein, will man nicht eine
unsichtbare Kirche konzipieren, sondern nur die fides externa, das äußere Bekenntnis des Glaubens“176. Für ihn ist die Kirche „eine Gemeinschaft von Menschen, die so
sichtbar und greifbar ist wie die Gemeinschaft des römischen Volkes oder das Königreich Frankreich oder die Republik Venedig.“177 Sein Bestreben ist es, mit Gewissheit
herauszustellen, wie und woran man die notwendig sichtbare wahre Kirche erkennen
könne. In diesem Bestreben will er allerdings die Kirche nicht gänzlich in den Bereich
des Sichtbaren verlagern, bleibt sie doch immer auch „regnum coelorum“, das übernatürlichen, göttlichen Ursprungs ist. Dazu rekurriert Bellarmin auf die vier alten
notae ecclesiae, die er allein in der „ecclesia Romana“ verwirklicht sieht. Die dritte
nota benennt er als „nomen catholicum“, das schon immer „nota“ der einen und
wahren Kirche gegenüber allen sektiererischen Tendenzen gewesen sei.178 Neben der
geographischen Dimension der Katholizität stellt Bellarmin deren Kontinuitätsgedanken heraus. Er postuliert, dass es für die geographische Katholizität genüge, dass
„die Kirche im Lauf der Geschichte einmal bei allen Völkern Fuß [ge]fasst [habe]. Es
173
174
175
176
177
178
keit ihrer Ganzheit und Fülle im Gegensatz zu jenem Partikularismus, der den aus der
Reformation hervorgegangenen Kirchen zu eigen ist: „Illud modo propositum habuimus, quae sit ecclesia catholica demonstrare: quo nomine non pars, neque enim sunt
partes in Ecclesia, versum totum quiddam significatur“ (HOSIUS, Confessio: 2, 47).
KEHL, Institution: 76f.
Vgl. zum Kirchenverständnis Bellarmins: DIEZ, Ecclesia: 327–345 sowie LÖHR, Lehre.
Zit. nach: FINKENZELLER, Kirche: 241.
DIEZ, Ecclesia: 335.
FINKENZELLER, Kirche: 241.
Vgl. Beinert, Kirchenattribut I: 135.
54
0. Einleitung
[…][sei] nicht nötig, dass sie auch stets dort bleibe.“ 179 Mittels dieser These bleibt die
„ecclesia Romana“ ungebrochen die numerisch größte, älteste, ursprünglichste und
damit einzig wahre Kirche, auch wenn sich die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen zahlenmäßig ausdehnen.
Als sich die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen immer mehr verbreiten, scheint die geographische Dimension der Katholizität als alleiniges antiprotestantisches Argument an Beweiskraft zu verlieren. Dies ruft bei einigen Theologen
die offenbarungstheologische Dimension der Katholizität auf den Plan: Nicht die
numerische Größe der Kirche sei allein ausschlaggebend, sondern auch der Grad ihrer Rechtgläubigkeit.180 Ungeachtet solcher Ansätze, die Bestimmung der Katholizität
nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ zu füllen, setzt sich in der Hauptrichtung der Apologetik bis ins 19. Jahrhundert ein rein quantitativ bestimmtes Verständnis von Katholizität als Argument gegen die sich ausbreitenden Kirchen der Reformation durch, wonach die Catholica mit der „ecclesia Romana“ identifiziert wurde:
„Katholischerseits [wurde] vom Lehramt und von der Schuldogmatik fast einhellig die Auffassung vertreten, die Kirche als Leib Christi oder Volk Gottes sei
schlechthin identisch mit der konkreten römisch-katholischen Kirche. Denn Kirche
wurde definiert als die Gemeinschaft jener Glaubenden (congregatio fidelium), die
(1) das christliche Glaubensbekenntnis annehmen, (2) die Sakramente empfangen
und (3) die institutionell-hierarchische Einheit mit der katholischen Kirche wahren.“181
Dieses verengte Verständnis der Katholizität der Kirche gipfelt darin, dass die Begriffe „Katholizität“ und „Einheit“ ab Mitte des 19. Jahrhunderts komplementär verwendet werden. Die Katholizität der Kirche im Sinne ihrer universellen (geographischen) Ausbreitung gereicht zur Bedingung der Möglichkeit ihrer im Primat des
Papstes garantierten und sichtbaren Einheit: „Die Einheit wird zu einem desto wirkungsvolleren Merkmal der Kirche, je weiter diese zeitlich und räumlich ausgedehnt
ist. Indem die Katholicität zu der Einheit hinzukommt, gewinnt der Beweis für die
Wahrheit der Kirche an Anschaulichkeit und Evidenz“182.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bemühen sich Theologen wie Johann Sebastian
Drey (1777–1853)183 oder Johann Adam Möhler (1796–1838)184, das (römisch-)katho-
179
180
181
182
183
184
Ebd.
Vgl. etwa die Aussagen Suarez’: Nam licet haeretici, quoad veritatem fidei Christiani
non sint, tamen quia non omnino Christum negant, sed eum suo modo colunt, et confitentur, id circo peculiarem modum infidelitatis sub nomine christiano habent, et ideo
[…] additum est, fidei vere Christianae cognomen catholicae, quo a sectis haereticorum distingueretur“ (SUAREZ, Defensio: I, 16).
KEHL, Kirche: 412.
SCHANZ, Kirche: 507.
Vgl. DREY, Geist und Wesen: 3–24.193–210.369–392.559–575.
Vgl. MÖHLER, Einheit der Kirche.
4. „Katholisch“ im Zuge der Spaltungen der Catholica
55
lische Katholizitätsverständnis aus seiner konfessionellen Verengung herauszuführen und die ursprüngliche altkirchliche Bedeutung von „katholisch“ wieder ins Bewusstsein zu heben.185 Johann Adam Möhler etwa sieht die Katholizität in enger Verflechtung mit der Einheit: Die Vielfalt in der Kirche, die als ihre Katholizität aufgefasst werde, besitze die Eigenschaft, „dass sie nicht aufgelöst werden […][könne],
ohne dass die Teile, welche das Ganze konstituieren, mit diesem selbst zugrunde“186
ginge. Einheit und Vielheit der von Christus begründeten Kirche versteht Möhler als
dialektisch einander zugeordnete Größen: Ein jeder Teil am Leib der Kirche lebt seines Erachtens aus dem Geist des ganzen Leibes, aus seiner Einheit heraus. „Die Einheit darf nicht im Sinne von Uniformität oder Gleichförmigkeit bestehen; sie muss
eine die Vielheit und Mannigfaltigkeit involvierende Einheit sein, die durch den
Nachfolger Petri repräsentiert wird.“187 Auch der kleinste Teil der Kirche ist als Folge
ihrer Einheit katholisch und die Katholizität wesentlicher Bestandteil des „innern
Seins und Lebens“ der Kirche, nicht nur ihre äußere (rein quantitative) Erscheinung;188 ihren letzten Grund hat die Katholizität in der Heilsfülle Gottes. Ausgehend
vom Geheimnis der Inkarnation (hypostatische Union) erklärt Möhler den Grund der
Sichtbarkeit der Kirche in der Analogie zur Fleischwerdung des göttlichen Logos
und versteht die Kirche – in nicht unproblematischer Formulierung – als „andauernde Fleischwerdung“ des Wortes Gottes.189
In ähnlicher Weise versteht Hans Klee (1800–1840) die Heilsfülle Christi als Ursprung der Katholizität der Kirche und bestimmt sie zuerst qualitativ, dann – nachgeordnet – quantitativ:
„Katholisch ist die Kirche, weil und inwiefern sie in sich das Allgemeine und Ganze, Christi Wahrheit und Gnade in äußerer, zeitlich räumlicher Erscheinung, und
für den ganzen Menschen und das ganze Menschengeschlecht aller Orten und aller Zeiten ist, alle in dieselbe eingehen sollen und können; auch in wiefern sie
aufwärts alle Frommen in sich begreift, eine neue Offenbarung und Herstellung
des Ursprünglichen ist, und alles Heilige auf Erden und im Himmel, die nicht gefallene Geisterwelt und die hergestellte Menschenwelt begreift“190.
In Folge ergänzt Friedrich Pilgram (1819–1890) den wieder zunehmend im ursprünglichen Sinne gebrauchten Begriff der Katholizität durch die schöpfungstheologische
185
186
187
188
189
190
Vgl. KASPER, Katholische Kirche: 258.
GEISELMANN, Einheit: 253ff.
FINKENZELLER, Kirche: 245.
Ebd. 256ff.
Möhler wörtlich: „So ist denn die sichtbare Kirche […] der unter den Menschen in
menschlicher Form fortwährend erscheinende, stets sich erneuernde, ewig sich verjüngende Sohn Gottes, die andauernde Fleischwerdung desselben, so wie denn auch
die Gläubigen in der heiligen Schrift der Leib Christi genannt werden“ (MÖHLER,
Symbolik oder Darstellung: 332f). Vgl. auch die jüngste und kommentierte Ausgabe:
GEISELMANN, Symbolik.
KLEE, Dogmatik: 95f.
56
0. Einleitung
Dimension.191 Der Theologe Franz Adam Göpfert (1849–1913) unterscheidet deutlicher zwischen qualitativer und quantitativer Dimension der Katholizität und sieht
die quantitative in der qualitativen begründet bzw. versteht sie als deren Ausdruck.192
Dass derartige Versuche einzelner Theologen, die der intensiven Katholizität
wieder zu neuer Beachtung verhalfen, lehramtlicherseits eher weniger Beachtung
fanden, zeigt die Enzyklika „Mystici Corporis“ 193 (1943). Zwar korrigiert Pius XII. ein
bloß juristisches Verständnis der Kirche durch die Aufnahme biblischer Aussagen
sowie pneumatologischer Begründungen. Dennoch greift er die seit dem Tridentinum bestimmend gewordene Ekklesiologie Bellarmins auf und zieht für sein Kirchenverständnis (Kirche als „Leib Christi“) die Zwei-Naturen-Lehre der Enzyklika
„Satis cognitum“ Leos XIII. (1896) heran. Die fast ausschließlich von dem Jesuiten
Sebastian Tromp verfasste Enzyklika greift den nach der Reformation zum Kennzeichen der protestantischen Ekklesiologie avancierten Begriff „corpus Christi mysticum“ auf und wendet ihn auf die Kirche an. Zugleich identifiziert sie die sichtbare
(römisch-)katholische Kirche mit dem „corpus Christi mysticum“ im Sinne eines
strikten „est“.194 Der universale (katholische) Horizont des Heils, in den Paulus seine
Leib-Christi-Lehre im Kolosser- und Epheserbrief ursprünglich stellte, und damit die
qualitative Dimension der Katholizität der Kirche kommen hierbei nicht zum Tragen.195 Da sich gegen die in „Mystici Corporis“ entfaltete untrennbare Einheit zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche Widerspruch erhob, erneuerte Papst Pius XII. in seiner Enyklika „Humani generis“ (1950) seine Auffassung von der Identität des mystischen Leibes Christi mit der römisch-katholischen Kirche.
191
192
193
194
195
PILGRAM, Physiologie.
GÖPFERT, Katholizität.
Vgl. DH 3800.
Vgl. RUSTER, Mystici: 538. Ruster qualifiziert die Enzyklika als einen bedeutsamen
Schritt, was die Entwicklung der katholischen Ekklesiologie des 1. Vatikanums zu derjenigen des 2. Vatikanums anbetrifft, während Kehl sie weniger euphorisch als „Höhepunkt und zugleich […] Ende dieser […] traditionell-apologetischen Argumentation“ (KEHL, Kirche: 412) Bellarmins versteht. Vgl. hierzu auch: RAHNER, Zugehörigkeit:
7–94; SCHIERL, Christus; VERWEYEN, Wort: 403–407.
Vgl. MIRBACH, Leib Christi: 103–160. Verweyen merkt – mit Blick auf die Begründung
der päpstlichen Lehr- und Leitungsgewalt – kritisch an, dass die Ausführungen der
Enzyklika „von dem Grundgedanken bestimmt [sind], dass ‚die, welche im Glauben
oder in der Leitung voneinander getrennt sind, nicht in diesem einen Leib und aus
seinem göttlichen Geiste leben[können]’ […]. Bei der Argumentation wirkt sich zum
einen die dem Kolosser- und Epheserbrief inhärente Gefahr aus, Christus und die Kirche gleichsam demselben ‚ontologischen Material’ zuzuordnen. Zum anderen ergeben
sich über den neutestamentlichen Horizont hinausgreifende Perspektiven durch die
Vermischung der paulinischen Paränese von dem Leib und seinen Gliedern mit der
(einem ganz anderen semantischen Raum entstammenden) Haupt-Leib-Vorstellung.“
(VERWEYEN, Wort: 406.)
4. „Katholisch“ im Zuge der Spaltungen der Catholica
57
Zum Durchbruch eines wieder verstärkt qualitativen und damit ursprünglichen
Katholizitätsverständnisses verhilft neben den theologischen Arbeiten von Henri de
Lubac (1896–1991) und Yves Congar (1904–1995) vor allem die biblische und liturgische Bewegung. Dank der Rückbesinnung auf die Grundbedeutung der Katholizität
treten im 20. Jahrhundert das in ihr ausgedrückte Heilsmysterium der Kirche und
deren Heilsuniversalität wieder stärker in den Vordergrund:
„Die innere und qualitative Katholizität hat ihren Ursprung im trinitarischen
Heilsplan, dem gemäß die Kirche das Instrument des allgemeinen Heilswillens
Gottes sein soll. Darum ist sie so groß und wie Gottes Wille. Hier liegt ihre wesentliche Katholizität. Die äußeren Realisationen der Katholizität, ihre raumzeitliche
Universalität werden nicht übersehen, aber sie stehen nicht beziehungslos da,
sondern haben ihren Sinn, ihre Begründung und auch das Maß ihrer Verwirklichung im Gottesgeheimnis selbst“.196
Diese bedeutsame Rückbesinnung lässt das Zweite Vatinum (1962–1965) eine Ekklesiologie vorlegen, die die Vorstellung einer Identifikation der wahren Kirche Jesu
Christi mit der (römisch-)katholischen Kirche zwar nicht aufgibt, diese aber weitet
(„subsistit in“):
„Christus hat seine heilige Kirche […] auf Erden als sichtbares Gefüge verfasst [.]
[…] Die[se] mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi […] bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die […]
in einer nicht unbedeutenden Analogie dem Mysterium des fleischgewordenen
Wortes ähnlich [ist]. Dies ist die einzige Kirche Christi, die wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen. […] Diese
Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet, ist verwirklicht in
der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird. Das schließt nicht aus, dass außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als
der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen.“ (LG 8)
Was dies für das Selbstverständnis der (römisch-)katholischen Kirche und ihre Katholizität sowohl nach innen wie nach außen bedeutet, soll im späteren Verlauf dieser Studie analysiert werden. Kommen wir zuvor noch auf das Katholizitätsverständnis der altkatholischen Kirche zu sprechen, die sich aus Protest gegen die dogmatischen Definitionen des Jurisdiktionsprimats und der päpstlichen Unfehlbarkeit
des Ersten Ersten Vatikanums von der (römisch-)katholischen Kirche abspaltete.
4.5
Katholizität nach anglikanischem Verständnis
Die Anglikanische Gemeinschaft vereinigt seit jeher unterschiedliche Typen christlicher Bekenntnisse. Der Tatbestand dieser sogenannten „comprehensiveness“ führt
196
BEINERT, Kirchenattribut I: 146 (vgl. auch die Fülle an Literaturhinweisen in Anm. 86).
58
0. Einleitung
einerseits zu einem Reichtum an verschiedenen (katholischen wie evangelischen)
Traditionen, verhindert andererseits eine einheitliche Dogmatik „der“ anglikanischen
Kirchen sowie ein einheitliches Verständnis von Katholizität.197
Die Anglikanische Gemeinschaft versteht sich als „eine Familie von Kirchen innerhalb der universalen Kirche Christi, die an der apostolischen Lehre und Struktur
festhält und in voller Sakramentsgemeinschaft miteinander und mit den Bischofssitzen von Canterbury und York steht.“198 Dabei sind Übereinstimmung im katholischen und apostolischen Glauben (der sich in Teilen liturgisch und lehrmäßig im
„Common Prayer Book“ ausdrückt) sowie ihre bischöflich-synodale Verfassung mit
Autokephalie der Ortskirchen und gleichzeitiger Kirchengemeinschaft untereinander
(Lambeth-Konferenz seit 1867 als Synode sowie das damit verbundene Anglican
Consultative Council seit 1970 ohne Legislative und Exekutive) Wesenszüge der
Anglikanischen Kirche, die mehr eine moralische Größe denn eine ontologische
Glaubensaussage darstellen.199 Die Anglikanische Gemeinschaft versteht sich also als
ein Teil der einen „wahren“ Kirche, die als ein größeres Ganzes gedacht wird und nicht
notwendiger Weise empirisch erkennbar sein muss.200
Während das Interesse am Verständnis der Katholizität während und kurz nach
der Reformation auf anglikanischer Seite noch recht groß war, ebbte es im 17. und 18.
Jahrhundert zunehmend ab. Eine Neubesinnung auf die Frage nach der Katholizität
der Kirche erfolgte erstmals im 19. Jahrhundert im Zuge der Erneuerung der hochkirchlichen Bestrebungen und in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Im Vordergrund steht fortan das Anliegen, die dogmatische Vielfalt sowie das Nebeneinanderbestehen evangelischer und katholischer Traditionen der anglikanischen Kirche
im Sinne der „comprehensiveness“ in eine Synthese zu bringen. Während etwa
Arthur Michael Ramsey201 das der anglikanischen Kirche aufgegebene Problem einer
Einheit in der Vielheit strukturell aufzulösen versucht – er glaubt, in der Verfassung
der Kirche („order“) das einigende und normierende Prinzip der Katholizität zu finden –, setzt Daniel Jenkins202 am Glauben der Kirche an („faith“) und sieht die Katholizität der Kirche in ihrer Kontinutität zur Lehre der Apostel begründet, wie sie in
der Heiligen Schrift bewahrt ist.
197
198
199
200
201
202
Vgl. Literaturangaben bei BEINERT, Kirchenattribut I: 162 (Anm. 33) sowie BERKHOF, Katholizität: 33ff.
FAHLBUSCH, Kirchenkunde: 206.
Vgl. REIN, Kirchengemeinschaft: 252–260; PURDY, Anglikanische Kirche: 662–664 mit weiteren Literaturangaben.
Dies anzunehmen legen klassische, aber auch jüngere anglikanische Aussagen nahe,
die von der Möglichkeit sprechen, eine von der Anglikanischen Gemeinschaft kanonisch getrennte Kirche unter bestimmten Bedingungen als Teil der einen wahren Kirche Jesu Christi anzuerkennen, selbst wenn eine volle sichtbare Kirchengemeinschaft
nicht oder noch nicht gelebt werden kann; vgl. hierzu: ARX, Kirche: 149f sowie HOUSE
OF BISHOP OF THE CHURCH OF ENGLAND, Sacrament of Unity: 16f.; DERS., Unity: 95–103.
Vgl. RAMSEY, Gospel.
Vgl. JENKINS, Catholicity.
4. „Katholisch“ im Zuge der Spaltungen der Catholica
59
Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg nehmen qualifizierte Theologen des hochkirchlichen203, evangelikalen204 und freikirchlichen205 Teils getrennt voneinander Stellung zur Frage nach einer einenden Synthese der unterschiedlichen Auffassungen.
Der erste (hochkirchliche) Bericht betont die Institution („order“) der Kirche als das
einigende Prinzip der Katholizität.206 Der zweite Bericht spricht Katholizität im Sinne
von Heilsfülle („fullness“) jeder kirchlichen Gemeinschaft nur fragmentarisch zu. Die
eigentliche Heilsfülle komme allen erst im Eschaton zu. Der dritte und letzte Bericht
definiert die Katholizität der Kirche als die alles umfassende Fülle Christi, die nie in
einer konkreten (sichtbaren) Kirche verwirklicht sein könne, sondern nur in der gesamten Menschheit, letztlich überall dort, wo Menschen an das Wort Gottes glauben
und es in tätiger Liebe bezeugen.207
Das Prinzip der Katholizität bleibt in der anglikanischen Kirche demnach unterschiedlich definiert. Folglich eignet sich die Katholizität kaum, die unterschiedlichen
Strömungen zu einer Synthese zu führen.
4.6
Katholizität in freikirchlicher Perspektive
Die meisten freikirchlichen Gemeinden bekennen sich zwar zur Katholizität der Kirche, messen ihr aber eine eher nebensächliche Bedeutung bei. Dies liegt unter anderem daran, dass sie ihr kirchliches Selbstverständnis ganz vom Gedanken der Ortsgemeinde her ableiten.208 Wenn jede Gemeinde, die sich im Namen Jesu versammelt
und sich zu seinem Leben und seiner Botschaft bekennt, kraft seines Geistes bereits
ganz und voll Kirche ist, rückt die Frage nach übergemeindlichen Strukturen und die
Bedeutung einer alle Grenzen des Partikularen übersteigen wollenden Katholizität
zwangsläufig in den Hintergrund. Die Ortsgemeinde wird nicht als Teil eines ekklesialen Ganzen verstanden, sondern als das Ganze im Fragment. Zwar bleibt eine
Ortsgemeinde auch in freikirchlicher Sicht notwendig auf ein sie übersteigendes
Ganzes verwiesen; dies aber nicht im Sinne des sakramental vermittelten „Auf-dieUniversalkirche-hin“ bzw. „Von-der-Universalkirche-her“ wie in der (römisch-)katholischen Kirche. Jede Gemeinde ist vielmehr unmittelbar katholisch, weil Christi
Geist in ihr wirkt und weil sie auf das Je-Größere Gottes hingeordnet bleibt.209
Die verschiedenen Freikirchen schreiben – gleich dem ihnen zugrunde liegenden
reformierten Denken, dem sie entspringen – primär der unsichtbaren Kirche Katholizität zu. Sie allein sei die wahre Kirche Jesu Christi. Weil sie „die göttlich203
204
205
206
207
208
209
ABBOTT, Catholicity.
ALLISON, Fullness.
FLEW, Catholicity.
Vgl. ABBOTT, Catholicity: 9–17.
Vgl. FLEW, Catholicity: 2–5.
Vgl. KLAIBER, Katholizität: 35; vgl. auch IFF, Katholizität: 153f.
Vgl. IFF, Katholizität: 173.
60
0. Einleitung
vollkommene Gemeinschaft aller Erwählten und Wiedergeborenen aus allen Zeiten
und an allen Orten“210 sei, komme nur ihr primär Katholizität zu. Von der Überzeugung getragen, dass „die verborgene Kirche als die einige und allgemeine (katholische) Kirche […] nicht nur durch ‚eine geistige und ethische Gemeinschaft mit Christo‘ […] ausgezeichnet“211 ist, sondern sich auch konkret verwirklicht, wird die jeweilige Gemeinde vor Ort, in einem nachgeordneten sekundären Sinne und streng von
der verborgenen Liebesgemeinschaft aller Gläubigen in Christus her gedacht, als
Verwirklichungsweise der ecclesia invisibilis verstanden. Urbild für die Ausgestaltung jeder Gemeinde ist und bleibt die unsichtbare Gemeinschaft aller Gläubigen in
Christus, deren vollkommene Seinsweise zwar nie verwirklicht werden wird, wohl
aber anzustreben ist.212 Aus dem streng reziproken Verhältnis von sichtbarer und
unsichtbarer Kirche erwächst eine grundsätzliche katholische Offenheit jeder Ortsgemeinde für alle anderen Gläubigen: Wahre Kirche Jesu Christi ist sie nur dann,
wenn sie offen ist für alle, die zur Liebesgemeinschaft mit Christus gehören.213 Zudem ist sie nur dann katholisch, wenn in ihr die Botschaft Jesu „verkündigt, geglaubt
und in der Gemeinschaft der Heiligen gelebt wird“214.
Ein zugrunde liegendes rein spirituelles Gemeindeverständnis bringt es mit sich,
dass die Katholizität neben der grundsätzlichen Offenheit an keine formalen Strukturen wie etwa des ordinierten Amtes rückgebunden wird. Das aber bedeutet nicht,
dass die Zugehörigkeit zu einer sichtbaren Gemeinde von nachgeordneter Bedeutung wäre und man auch individuell Heil finden könne. Im Gegenteil: Die Zugehörigkeit zu einer konkreten Gemeinde wird als notwendige Bedingung für die subjektive Katholizität des Einzelnen verstanden: Wohnt der Geist Christi zwar in jedem
Gläubigen, so „kann kein Christ für sich alleine, getrennt von anderen Christen, eine
katholische Person sein. Die Gemeinschaft des ganzen Volkes Gottes kann man nur
dann abbilden, wenn man in der Gemeinschaft lebt. Der Einzelne muss, um katholisch zu sein, in seiner inneren Konstitution durch eine ekklesiale Gemeinschaft bedingt sein. […] Das Stehen im Geist Christi impliziert für die Katholizität der Person
somit das Stehen in einer ekklesialen Gemeinschaft“215.
Unter den verschiedenen evangelischen Freikirchen betonen besonders die kongregationalistisch organisierten Denominationen wie etwa die Baptisten das ortsgemeindliche Moment. Im Bekenntnis des Bundes Evangelisch-freikirchlicher Gemeinden von 1977 heißt es: „Die Gemeinschaft der Gemeinde erfährt der Christ vornehm210
211
212
213
214
215
GRAFE, Lebenszeichen: 62.
IFF, Katholizität: 158.
Vgl. ebd. 159.
„Eine Gemeinde kann nicht die sichtbare und eschatologische Katholizität aller Erwählten und Wiedergeborenen und damit des ganzen Volkes Gottes widerspiegeln
und sich zugleich von den anderen Kirchen isolieren. Die Katholizität der Ortsgemeinde setzt voraus, dass diese synchron und diachron im Gespräch und in der Gemeinschaft mit anderen Gemeinden steht“ (ebd. 168).
DEMANDT, Kirchen: 21.
IFF, Katholizität: 165.
4. „Katholisch“ im Zuge der Spaltungen der Catholica
61
lich in der örtlichen Versammlung der Glaubenden. In ihr wird die eine Taufe auf
das Bekenntnis des Glaubens hin vollzogen und das eine Brot, von dem einen Herrn
gestiftet, gebrochen und geteilt. Deshalb versteht sich die Ortsgemeinde als die Manifestation des einen Leibes Jesu Christi, durchdrungen von dem einen Geist und erfüllt mit der einen Hoffnung“216. Das ekklesiologische Denken der Baptisten wie anderer freier evangelischer Gemeinden dürfte in seinen Grundzügen unter anderem
von der Theologie Huldrych Zwinglis (1484–1531) bestimmt sein. Zwingli vertritt einen anthropologischen Dualismus, der aus seinem Spiritualismus sowie seiner Verhältnisbestimmung von Gott und Mensch, Geist und Fleisch resultiert und „sich im
Antagonismus zwischen Fleisch und Geist, sinnenhaftem Wahrnehmen und Glauben
ausgestaltet“217. Anders als bei Luther dominiert bei Zwingli der Glaube als „Ausdruck der gegenwärtigen Teilhabe an der Allmacht Gottes“ 218, aus dem heraus das
Wort und die Sakramente als Hilfen für den Glauben erwachsen. Dementsprechend
lehnt er eine heilsvermittelnde Dimension sinnenhafter Zeichen, so auch der Kirche,
ab: Da der Mensch durch den Geist in unmittelbarer Gemeinschaft mit Gott steht,
bedarf es keiner institutionellen sowie sakramentalen Vermittlung des Heils.219 Unter
der „ecclesia invisibilis“ versteht er eine rein geistige Größe, nämlich die Gemeinschaft der im einen Glauben durch Gottes Geist geeinten „Auserwählten“; als die
„ecclesia visibilis“ bezeichnet er jede Ortsgemeinde, d.h. jede konkrete Versammlung
der weltweit den Glauben an Christus bekennenden Gläubigen.
Da jede Ortsgemeinde unvermittelt, d.h. direkt von Christus her im Heiligen
Geist Ekklesialität besitzt, bedarf es zum vollen Kirchesein der baptistischen Gemeinden weder übergemeindlicher Strukturen im Sinne der Universalkirche noch
sakramentaler Garanten der Kirchlichkeit in Form von ordinierten Bischöfen.220 Ob
unbeschadet dieser grundsätzlichen Feststellung den charakteristischen baptistischen
Gemeindebünden kirchliche Realität zukommt, wird derzeit innerbaptistisch konrovers diskutiert.221 Damit steht auch die Frage im Raum, ob Katholizität nur der wahren (unsichtbaren) Kirche und ihren ortsgemeindlichen Verwirklichungsformen zukommt oder ob letzteren gerade die Katholizität abzusprechen ist, da sie diese streng
an die Ortsgemeinde binden.222 Miroslav Volf spricht diesbezüglich von einem „freikirchliche[n] Katholizitätsdilemma“, das er darin begründet sieht, „dass die Freikir216
217
218
219
220
221
222
BUND EVANGELISCH-FREIKIRCHLICHER GEMEINDEN (Hg.), Rechenschaft.
BOSSHARD, Eucharistie: 165; vgl. GESTRICH, Zwingli: 13–17 mit Literaturangaben zur
Zwingliforschung in Anmerkung 1.
GESTRICH, Zwingli: 146.
Vgl. DIEZ, Ecclesia: 135ff. Vgl. auch: ISERLOH, Kirchenspaltung: 231f.
Vgl. ROTHKEGEL, Katholizität: 81.
Vgl. u.a. SWARAT, Gemeindebund: 3–32; DERS., Autonomie.
„Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität kommen […] der Kirche zunächst
nur in ihrer wesenhaft verborgenen Gestalt zu. Darin eingeschlossen ist jedoch die
Aufgabe, auch die institutionell-sichtbare Gestalt der Kirche zu einem Zeugnis für
diese verborgene eine, heilige, katholische und apostolische Kirche werden zu lassen,
d.h. für die wahre Kirche Jesu Christi“ (SWARAT, Kennzeichen: 19).
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