Formale Methoden 2 Gaetano Geck Lehrstuhl I – Logik in der Informatik WS 2015/2016 Teil 5: Wahrscheinlichkeitstheorie 1 Grundlagen 2 Bedingte Wahrscheinlichkeiten Wahrscheinlichkeitstheorie / Grundlagen Motivation: Zwei Rätsel Annahmen im Folgenden: Kinder werden an jedem Wochentag mit gleicher Wahrscheinlichkeit geboren. Ein geborenes Kind ist • mit Wahrscheinlichkeit • mit Wahrscheinlichkeit 1 2 1 2 ein Mädchen ein Junge Erstes Rätsel Wir erfahren: Eine Familie hat zwei Kinder. Mindestens eines der Kinder ist ein Junge. Frage: Wie wahrscheinlich ist es, dass beide Kinder Jungen sind? Antwort: Die Wahrscheinlichkeit beträgt 31 ≈ 33, 3 %. Zweites Rätsel Wir erfahren: Eine Familie hat zwei Kinder. Mindestens eines der Kinder ist ein Junge, der dienstags geboren wurde. Frage: Wie wahrscheinlich ist es, dass beide Kinder Jungen sind? 13 Antwort: Die Wahrscheinlichkeit beträgt 27 ≈ 48, 1 % FM2 (WS 2015/16, Geck) 3 Wahrscheinlichkeitstheorie / Grundlagen Ereignisräume (1/2) Definition 1.1 Ein Ereignisraum Ω ist eine nichtleere Menge. Ein Ereignis ist eine Teilmenge A ⊆ Ω. Ein Elementarereignis ist ein einelementiges Ereignis. Modellierung: Wahl eines „passenden“ Ereignisraumes Hier: nur endliche Ereignisräume. Beobachtung Ereignisse sind Mengen, auf die Mengenoperationen angewendet werden können. Für einen gegebenen Ereignisraum Ω ist ∅ das unmögliche Ereignis; Ω das sichere Ereignis; Ω − A das Gegenereignis zu Ereignis A. Ferner beschreibt das Ereignis A1 ∪ A2 , dass Ereignis A1 eingetreten ist oder Ereignis A2 eingetreten ist. A1 ∩ A2 , dass Ereignis A1 eingetreten ist und Ereignis A2 eingetreten ist. A1 − A2 , dass Ereignis A1 eingetreten ist, aber nicht Ereignis A2 eingetreten ist. FM2 (WS 2015/16, Geck) 4 Wahrscheinlichkeitstheorie / Grundlagen Ereignisräume (2/2) Beispiel 1.2 Wir betrachten die 32 Karten eines Skatspiels. Ereignisraum Ωeinzel = {(♣, 7), (♣, 8), . . . , (♣, A), (♠, 7), . . . , (_, A)}: • Jedes Elementarereignis {(f , w)} beschreibt das Ziehen einer Karte mit Farbe f und Wert w. • Das Ereignis {(♣, A), (♠, A), (r, A), (_, A)} beschreibt das Ziehen eines Asses. Ereignisraum Ωtyp = {7, 8, 9, 10, B, D, K, A, ♣, ♠, r, _}: • Das Elementarereignis {A} beschreibt das Ziehen eines Asses. • Das Ereignis {7, 8, 9, 10} beschreibt das Ziehen einer Zahlenkarte. Frage Welches Ereignis beschreibt 1 das Ziehen einer Zahlenkarte in Ωeinzel ? 2 das Ziehen der Herzdame in Ωeinzel beziehungsweise in Ωtyp ? Aufgabe Gib einen Ereignisraum an, der das Ziehen dreier Karten mit Zurücklegen modelliert und dafür das Ereignis, dass zwei Asse gezogen wurden. FM2 (WS 2015/16, Geck) 5 Wahrscheinlichkeitstheorie / Grundlagen Wahrscheinlichkeitsräume Definition 1.3 Ein Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, P) besteht aus einem Ereignisraum Ω und einem Wahrscheinlichkeitsmaß P über Ω; das ist eine Abbildung P : P(Ω) → [0, 1], mit • P A1 ∪ · · · ∪ An = P[A1 ] + · · · + P[An ] für disjunkte Ereignisse A1 , . . . , An und • P[Ω] = 1. Notation: Wir verzichten auf die Mengenklammern bei Elementarereignissen. Beispiel 1.4 Wir betrachten das Ziehen einer Karte. Jede Karte wird mit Wahrscheinlichkeit 1 32 gezogen. W’keitsraum (Ωtyp , Ptyp ) mit Ωtyp = {7, 8, 9, 10, B, D, K, A, ♣, ♠, r, _}: Eine Sieben wird gezogen: Ptyp 7 = 4 1 32 = 8 8 Eine Karo-Karte wird gezogen: Ptyp _ = 32 = 14 Eine beliebige Farbe wird gezogen: Ptyp {♣, ♠, r, _} = Eine beliebige Karte wird gezogen: Ptyp Ω = 1. 32 32 = 1. Frage: Warum gilt in Definition 1.3 stets P[∅] = 0? FM2 (WS 2015/16, Geck) 6 Wahrscheinlichkeitstheorie / Grundlagen Laplace’sche Wahrscheinlichkeitsräume Definition 1.5 Ein Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, P) heißt Laplace’scher Wahrscheinlichkeitsraum, falls P[A] = |A| |Ω| für jedes Ereignis A ⊆ Ω gilt. Beobachtung: Insbesondere gilt dann P[ωi ] = 1 n für jedes ωi ∈ Ω = {ω1 , . . . , ωn }. Beispiel 1.6 W’keitsraum (Ωtyp , Ptyp ) mit Ωtyp = {7, 8, 9, 10, B, D, K, A, ♣, ♠, r, _} ist nicht laplace’sch: 1 1 |{7}| , = 8 12 |Ωtyp | Ptyp [7] = Beispiel 1.7 W’keitsraum (Ωeinzel , Peinzel ) mit Ωeinzel = (♣, 7), (♣, 8), . . . , (♣, A), (♠, 7), . . . , (_, A) mit Peinzel (f , w) = 1 32 für jedes Elementarereignis (f , w) ∈ Ωeinzel ist laplace’sch. FM2 (WS 2015/16, Geck) 7 Wahrscheinlichkeitstheorie / Grundlagen Stochastische Unabhängigkeit Definition 1.8 Ereignisse A1 , . . . , An ⊆ Ω heißen (stochastisch) unabhängig in (Ω, P), falls P A1 ∩ · · · ∩ An = P[A1 ] · . . . · P[An ]. Beispiel 1.9 Wir vergleichen zwei Abschlussjahrgänge: Informatik Jura Summe eingestellt suchend Summe 60 20 80 40 30 70 100 50 150 Wir wählen zufällig und gleichverteilt einen Absolventen aus Ω = {a1 , . . . , a150 }. Wir betrachten folgende Ereignisse: Aeing und Asuch : eingestellte bzw. arbeitssuchende Absolventen AInf und AJura : Informatik- bzw. Jura-Absolventen (Annahme: AInf ∩ AJura = ∅) Frage Sind die Ereignisse Aeing und AInf unabhängig? FM2 (WS 2015/16, Geck) 8 1 Grundlagen 2 Bedingte Wahrscheinlichkeiten Wahrscheinlichkeitstheorie / Bedingte Wahrscheinlichkeiten Bedingte Wahrscheinlichkeiten Gerade beobachtet: Wenn zwei Ereignisse A und B voneinander abhängig sind, dann beeinflusst das Eintreten von Ereignis B die W’keit des Eintretens von Ereignis A. Definition 2.1 Sei (Ω, P) ein W’keitsraum und B ⊆ Ω ein mögliches Ereignis (P[B] > 0). Ferner sei A ⊆ Ω ein beliebiges Ereignis. Die bedingte Wahrscheinlichkeit von A unter B ist P[A | B] = P[A ∩ B] . P[B] Beispiel 2.2 Die Wahrscheinlichkeit, einen eingestellten Absolventen zu wählen, unter der Bedingung, dass es sich um einen Informatik-Absolventen handelt, ist: P Aeing ∩ AInf = P AInf P Aeing | AInf = 60 150 100 150 = 60 = 60 %. 100 Aufgabe Zeige, dass die in den Rätseln angegebenen Wahrscheinlichkeiten korrekt sind. FM2 (WS 2015/16, Geck) 10 Wahrscheinlichkeitstheorie / Bedingte Wahrscheinlichkeiten Zufallsvariablen Definition 2.3 Sei Ω ein Ereignisraum. Eine (reellwertige) Zufallsvariable ist eine Abbildung X : Ω → R. Beispiel 2.4 Bei einem Würfelspiel zahlt ein Spieler 2 Euro Einsatz. Er gewinnt: nichts, falls er 1, 2 oder 3 würfelt; 1 Euro, falls er 4 würfelt; 2 Euro, falls er 5 würfelt; 5 Euro, falls er 6 würfelt. Die Zufallsvariable Xabs beschreibt den absoluten Gewinn: −2 −1 Xabs (a) = +0 +3 FM2 (WS 2015/16, Geck) falls a ∈ {1, 2, 3} falls a = 4 falls a = 5 falls a = 6 11 Wahrscheinlichkeitstheorie / Bedingte Wahrscheinlichkeiten Erwartungswerte (1/3) Definition 2.5 Sei (Ω, P) ein Wahrscheinlichkeitsraum und X : Ω → R eine Zufallsvariable. Der Erwartungswert von X ist E[X] = X P[ω] · X(ω). ω∈Ω Aufgabe Bestimme den Erwartungswert von Xabs für den Laplace’schen Wahrscheinlichkeitsraum über Ω = {1, 2, 3, 4, 5, 6}. Fakt Seien X : Ω → R und Y : Ω → R Zufallsvariablen und a ∈ R. Es gilt E[a · X + Y] = a · E[X] + E[Y]. Der Erwartungswert ist also linear. FM2 (WS 2015/16, Geck) 12 Wahrscheinlichkeitstheorie / Bedingte Wahrscheinlichkeiten Erwartungswerte (2/3) Du bist auf dem Heimweg . . . und nutzt Park’n’Ride. Die Bahn benötigt mit Verspätung 55 Minuten, ohne nur 40 Minuten. • Verspätungen kommen in 30 % der Fälle vor; • Pünktlich ist die Bahn in 70 % der Fälle. Mit dem Auto brauchst du • 20 Minuten auf Freier Straße (in 90 % der Fälle), jedoch • 30 Minuten bei Stau (in 9 % der Fälle) und • 70 Minuten bei Unfall auf der Strecke (in 1 % der Fälle). Modellierung: Ereignisraum Ω = {P, V} × {F, S, U} Zufallsvariable DAuto : Ω → R (analog: DBahn ) mit (P, F), (P, S), (P, U), (V, F) (V, S) (V, U) 7→ 7→ 7→ 20 30 70 Erwartungswert für die Fahrtdauer mit dem Auto: E[DAuto ] = = P (P, F) · DAuto (P, F) P (P, S) · DAuto (P, S) U) · DAuto (P, U) P (P, P (P, F) + P (V, F) · 20 + + + + P (V, F) · DAuto (V, F) P (V, S) · DAuto (V, S) U) · DAuto (V, U) P (V, P (P, S) + P (V, S) · 30 P (P, U) + P (V, U) · 70 Also: E[DAuto ] = 0, 90 · 20 + 0, 09 · 30 + 0, 01 · 70 = 21, 4 FM2 (WS 2015/16, Geck) 13 Wahrscheinlichkeitstheorie / Bedingte Wahrscheinlichkeiten Erwartungswerte (3/3) Aufgabe Bestimme 1 den Erwartungswert für die Fahrtdauer mit der Bahn 2 den Erwartungswert der Gesamtfahrdauer Zu Ferienbeginn verdoppelt sich die Fahr- und Wartezeit mit dem Auto: DFerien Auto (ω) = 2 · DAuto (ω) für jedes Ereignis ω ∈ Ω. Aufgabe Bestimme die erwartete Gesamtfahrtdauer zu Ferienbeginn. FM2 (WS 2015/16, Geck) 14 Wahrscheinlichkeitstheorie / Bedingte Wahrscheinlichkeiten Gesetz der totalen Wahrscheinlichkeit (1/2) Semesterabschlussparty: 100 Studenten (du bist einer von ihnen) 100 Studentinnen (Ω = {1, . . . , 100}), davon • 30 Biologinnen • 50 Germanistinnen • 20 Theologinnen außerdem bekannt: • 20 % der Biologinnen sind single: P[S | B] = 0, 2 • 50 % der Germanistinnen sind single: P[S | G] = 0, 5 • 90 % der Theologinnen sind single: P[S | T] = 0, 9 Frage Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass deine (zufällig gewählte) Tanzpartnerin single ist? Antwort: P[S] FM2 (WS 2015/16, Geck) = + + = P[S | B] · P[B] P[S | G] · P[G] P[S | T] · P[T] 2 10 · 3 10 + 5 10 · 5 10 + 9 10 · 2 10 = 49 100 15 Wahrscheinlichkeitstheorie / Bedingte Wahrscheinlichkeiten Gesetz der totalen Wahrscheinlichkeit (2/2) Dieses Ergebnis ergibt sich durch Anwendung des folgenden Satzes: Satz 2.6 (Gesetz der totalen Wahrscheinlichkeit) Sei (Ω, P) ein Wahrscheinlichkeitsraum. Sei B eine Partition von Ω, die nur mögliche Ereignisse enthält. Für jedes Ereignis A ⊆ Ω gilt das Gesetz der totalen Wahrscheinlichkeit: P[A] = X P[A | B] · P[B]. B∈B Beweis: Die Partition B induziert eine Partition A = {A ∩ B | B ∈ B}. P[A] = = = X P[A∗ ] ∗ ∈A A X B∈B X (Def. Wahrscheinlichkeitsmaß) P[A ∩ B] (Definition von A) P[A | B] · P[B]. (Def. bedingte Wahrscheinlichkeit) B∈B FM2 (WS 2015/16, Geck) 16 Wahrscheinlichkeitstheorie / Bedingte Wahrscheinlichkeiten Satz von Bayes Du bist inzwischen überzeugt, dass deine Tanzpartnerin single ist. Sonntagmorgens wollen Theologinnen zum Gottesdienst; du willst ausschlafen. Frage Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihr harmoniert (also P[Ω − T | S])? Hier kann folgender Satz helfen: Satz 2.7 (Satz von Bayes) Sei (Ω, P) ein Wahrscheinlichkeitsraum. Sei B eine Partition von Ω, die nur mögliche Ereignisse enthält. Für jedes Ereignis A ⊆ Ω und jedes Ereignis B∗ ∈ B gilt: P[B∗ | A] = P P[A | B∗ ] · P[B∗ ] . B∈B P[A | B] · P[B] Aufgabe Bestimme 1 zunächst P[T | S], 2 dann P[Ω − T | S]. FM2 (WS 2015/16, Geck) 17