Dr. Havva Engin M.A. Schleswig-Holsteinischer Landtag Umdruck 15/4491 TU Berlin • Sekr. FR 4-3 • Franklinstraße 28/29, D-10587 Berlin FAKULTÄT I GEISTESWISSENSCHAFTEN An den Vorsitzenden des Bildungsausschusses im Landtag von Schleswig-Holstein Institut für Erziehungs Wissenschaft Ihr Zeichen Ihre Nachricht vom Unser Zeichen (030) 314-22576/-73524 Datum 30.04.2004 Stellungnahme zum „Kopftuch-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts auf der Grundlage des Fragenkatalogs des Bildungsausschusses des Landtages von Schleswig-Holstein 1) Nein, da das vom BverfG geforderte „Gebot der Gleichbehandlung aller Religionsgruppen“ missachtet wird. 2) Nein. Die Formulierungen orientieren sich nicht an tatsächlichen Tatbeständen, sondern unterstellen im Vorgriff eine Missachtung entscheidender GG-Artikel durch Kopftuchträgerinnen. 3) Nein. 4) Ein verbal eindeutiges und aktives Aufrufen zur Missachtung von GG-Artikeln sowie des Schulgesetzes und damit offensichtliche Verletzung von Dienstpflichten als Beamtin. Ebenso das Tragen und Zurschaustellung von politisch-ideologischen Abzeichen. 5) Nein. 6) Nein. Das BverfG verlangt die juristische Gleichbehandlung aller Glaubensgemeinschaften und keine einseitige Privilegierung. Sofern das Kopftuch ausschließlich als Kleidungsstück religiöser Bekenntnis getragen wird, ist es dem Kreuz und der Kipa gleichzustellen. Bei Einstellung in den Staatsdienst muss die Bewerberin dies glaubhaft versichern. 7) Der Verweis auf die christlich-jüdischen Wurzeln der deutschen Gesellschaft ist als Legitimation zum Tragen von jüdischer Religionskleidung zu interpretieren. 8) Wenn der Staat als alleiniger Ausbilder von Lehrkräften den Bewerberinnen einen Platz zur Absolvierung der zweiten schulpraktischen Ausbildungsphase anbietet, ihnen aber nach dem zweiten Staatsexamen verbietet, im öffentlichen Schuldienst tätig zu sein, dann ist dies verfassungsrechtlich nicht legitim. 9) Alle Gesetze missachten den Umstand, dass sich die Bundesrepublik seit nunmehr fünfzig Jahren zu einer kulturell, sprachlich und religiös pluralen Gesellschaft entwickelt hat, in der neben der christlichen Bevölkerung – auch viele andere Glaubensgemeinschaften existieren. Historisch liegen die Wurzeln der Gesellschaft in christlich-jüdischen Traditionslinien; die der neueren bundesrepublikanischen Gesellschaft sind jedoch auch islamisch, buddhistisch usw. geprägt. Telefax: (030) 314-73 223 e-mail: [email protected] Schleswig-Holstein sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass sich die gesellschaftliche Pluralität auch in den staatlichen Institutionen und bei seinen Bediensteten wiederspiegeln muss und diese auf der Grundlage des bundesrepublikanischen GG unterrichten. 10) Es existieren einige Stellen im Koran, welche die Frau auffordern ihr Haupt zu bedecken im Sinne sich züchtig zu kleiden. Dieses lesen viele Muslime als Aufforderung zur Bedeckung der weiblichen Haare. Allerdings existieren auch Richtungen (z.B. in der Türkei), die es im Sinne züchtiger Kleidung auslegen, so wie Frau Prof. Dr. Beyza Bilgin -Professorin für islamische Theologie, die als Gläubige nicht ihr Haar bedeckt, sondern ihren Oberkörper. 11) Nein. Alle angeblichen Vorschriften entstammen den feudal-patriarchalischen Ordnungsvorstellungen in den jeweiligen Gesellschaften. 12) Siehe Antwort 11. Im Islam gibt es keine Institution zwischen Gott und dem Individuum, so dass jeder für seine „Sünden“ selbst verantwortlich ist und nur gegenüber Gott Rechenschaft verpflichtet ist. 13) Siehe 11. 14) Es ist ein weiter gehendes religiöses Symbol, da es zum einen nur Frauen „betrifft“, zum anderen mehrere Bedeutungsebenen impliziert. Das Kopftuch ist nicht nur religiöses, sondern auch gesellschaftliches und kulturelles Kleidungsstück, was sich auch in der Vielfalt und im Aussehen der Kopftücher sowie in der Unterschiedlichkeit der Bindung erkennen lässt. 15) Das Kopftuch ist in seiner Bedeutung sehr vielfältig. Er kann auch als Zeichen des islamischen Fundamentalismus gesehen werden, sofern die Trägerin mit ihrem Habitus, ihrer Lebenseinstellung, ihrem Lebenswandel dies zum Ausdruck bringt und sagt. Zunächst einmal ist mit dem Tragen von Kopftüchern nichts über das existierende Frauen-/Männerbild gesagt. Wir haben an unserem Institut Kopftuch tragende Lehramtsanwärterinnen, die um einiges emanzipierter sind und sich geben, als viel Migrantinnen ohne Kopftuch. Die Frage ist, zu welchen Werten, Normen und Geschlechtervorstellungen bekennen sich die Trägerinnen. Das weiß man erst, in dem man sie verbindlich danach fragt. 16) In den letzten Jahren hat sich in einigen muslimischen Gemeinschaften die Tendenz verstärkt, dass Mädchen verstärkt das Kopftuch anlegen – sowohl freiwillig als auch unter Zwang der Väter und Brüder. Dies hat m.E. mit einer gesellschaftlichen Abschottungstendenz zu tun. Der beste Weg ist das klärende Gespräch, um die Motive zu erfahren. Besonders gravierend und gefährlich halte ich die Tendenz, die Kinder und besonders Mädchen aus dem regulären Schulunterricht (Sport-/Schwimmunterricht, Sexualkunde, Klassenfahrten) herauszunehmen. Dies ist die eigentlich gefährliche Entwicklung, der umgehend mit entsprechenden Schulgesetzen begegnet werden muss. 17) Nach Angaben der Bundesmigrationsbeauftragten liegt ihre Zahl bei ca. 700.000, also ca. einem Fünftel der türkisch stämmigen Migranten in Deutschland. Sofern kein Zwang zum Kopftuchtragen ausgeübt wird bzw. keine religiöse Überwältigung durch die Lehrkräfte vorhanden ist, existiert auch keine Befürchtung von religiös motivierter Diskriminierung. Dies muss der Arbeitgeber mit entsprechenden Eignungsprüfungen bei Dienstantritt vorab sicherstellen und bei Missachtung mit Suspendierung ahnden. 18) Nach Angaben der Bundesmigrationsbeauftragten sind lediglich 10% der in Deutschland lebenden Muslime in Moscheevereinen organisiert. 19) Fragen Sie den Bundesverfassungsschutz. 20) Siehe 19. 21) Keine Aussage möglich. 22) Ja, eine sehr aktive. Insbesondere innerhalb der türkischen Communities ist es ein Dauerthema. Es gibt Befürworterinnen und vehemente Gegnerinnen. Die Diskussionen werden hauptsächlich von den Frauen geführt. Insbesondere laizistisch demokratische Politikerinnen lehnen das Kopftuch als „Fahne des islamischen Fundamentalismus“ und „Zeichen der Frauenunterdrückung“ kategorisch ab. Vornehmlich Wissenschaftlerinnen mit muslimischen Hintergrund (z.B. meine Person) appellieren, die Diskussion differenzierter und auf der Grundlage der bundesrepublikanischen Rechtsordnung zu führen. 23) Migrantenkinder nehmen sehr wohl wahr, dass sie in einer christlich geprägten Gesellschaft mit einer Schule, die sich primär christlichen Traditionslinien verpflichtet fühlt, leben. Dies sieht man insbesondere bei der Begehung von religiösen Festen und Feiern; auf nicht christliche Feste wird in den wenigsten Schulen differenziert Bezug genommen. In Nordrhein-Westfalen unterrichten nach Angaben des Ministeriums 15 Lehrkräfte mit Kopftuch. Negative Erfahrungen liegen nicht vor. Telefax: (030) 314-73 223 e-mail: [email protected] Augrund von – auch religiös motivierten – Erziehungsvorstellungen wollen einige muslimische Eltern nicht, dass ihre Töchter und Söhne am Schwimm- sowie Sexualkundeunterricht teilnehmen. 24) Keine Angaben möglich. 25) Wichtig ist, dass sich die gesellschaftliche Pluralität in den Bildungseinrichtungen wiederspiegelt und Migrantenkinder positive Vorbilder sehen, an denen sie sich orientieren können – ob mit oder ohne Kopftuch. Es ist zu bedenken, dass die angehenden Pädagoginnen eine erfolgreiche Bildungskarriere aufweisen können und insofern ein gelungenes Integrationsbeispiel darstellen. Wichtiger als das Kopftuch ist die Verpflichtung auf die bundesrepublikanische Rechtsordnung und das Vor-Leben ihrer Werte und Inhalte durch die Lehrkräfte. Bei den meisten Lehrkräften handelt es sich darüber hinaus mittlerweile um deutsche BürgerInnen. 26) Im Prinzip ja. Es spricht m.E. nichts dagegen, einen entsprechenden Passus aufzunehmen, zu deren strikter Einhaltung sich alle Beamten und Lehrkräfte verpflichten. 27) Die Ausweitung ist nur mit einer radikalen Veränderung der deutschen Rechtsordnung möglich. Deutschland ist qua Verfassung kein laizistischer Staat, sondern hat eine säkulare Rechtsordnung, die jedem Bürger das freie Bekenntnis seines Glaubens zusichert. Doch können die Bundesländer durch entsprechende Veränderungen der Schulgesetze die Abmeldung/Nichtteilnahme von muslimischen Schülerinnen an schulischen Veranstaltungen verhindern, was effektiver ist. 28) Siehe meinen Aufsatz. 29) Dies ist eine Frage der Interpretation. Sobald das Kopftuch ausschließlich als Instrument zur Unterdrückung und Benachteiligung der Frau durch den Mann definiert wird, tangiert es die Gleichberechtigung der Geschlechter. Was ist jedoch, wenn wie in vielen Fällen, die Frau das Kopftuch aus freiem Willen anlegt? gez. Dr. Havva Engin Telefax: (030) 314-73 223 e-mail: [email protected] Dr. Havva Engin Technische Universität Berlin Institut für Erziehungswissenschaft Pluralitätsrhetorik und Homogenitätsdenken Oder: Was uns die Kopftuchdebatte in Deutschland lehrt Die Debatte um die Frage, ob muslimischen Lehrerinnen in der öffentlichen deutschen Schule das Tragen von Kopftüchern per Gesetz erlaubt oder verboten werden soll, geht unvermindert weiter. Mittlerweile ist die Zahl an Diskutanten und Positionen so groß geworden, dass es schwer fällt, den Überblick zu bewahren. Ziel dieses Artikel ist es, die Positionen zu ordnen und die Hauptdiskussionsstränge herauszuarbeiten, um so die politische bzw. juristische Stoßrichtung der Argumente zu verdeutlichen. Die Thematik lässt keine einfachen Antworten zu. Das Kopftuch lässt sich nicht allein auf den Aspekt „religiöses Kleidungsstück“ reduzieren, sondern beinhaltet gleichzeitig migrationsgeschichtliche, gesellschaftliche und politische Aspekte, die im Folgenden kurz angeschnitten werden, um ihre Relevanz in der Debatte aufzuzeigen: a) Migrationsgeschichtlicher Hintergrund Nach dem zweiten Weltkrieg warb die Bundesrepublik, wie andere mitteleuropäische Industrienationen auch, aus südeuropäischen Ländern Arbeitskräfte an, die sich im Laufe der Jahrzehnte in Deutschland niedergelassen haben und von denen in der Zwischenzeit eine bedeutende Zahl die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hat. Gegenwärtig leben hier Menschen unterschiedlichster Sprache, Kultur und Religion; die größte Gruppe nach den Christen bilden die Muslime mit 3 Mio. Menschen. Aus Fremden mit zeitlich begrenztem Aufenthalt sind niedergelassene Migranten und Staatsbürger geworden, die in der vierten Generation in Deutschland leben. b) Gesellschaftlicher Bezug Deutschland ist durch seine Geschichte kulturell und religiös ein christlich geprägtes Land und speiste bis zum Ansetzen der Ende der 50er Jahre einsetzenden Migration seine Identität aus christlich-jüdischen Wurzeln. Die Anwesenheit anderer größerer Religionsgruppen wie den Muslimen hat in der bundesrepublikanischen Geschichte erst eine knapp vierzigjährige Geschichte. Und die hat im Bewusstsein der Mehrheitsgesellschaft hinsichtlich der Tragweite für zukünftige gesellschaftlichkulturelle, aber auch demografische Entwicklungen noch keinen Niederschlag gefunden. c) Politische Ebene Obwohl das erste Anwerbeabkommen 1951 unterschrieben wurde und in den Folgejahren Millionen von Arbeitsmigranten ins Land kamen, hat es die bundesrepublikanische Regierungspolitik bis in die späten 90er Jahre unterlassen, sich mit dem Thema „Migration und zunehmende gesellschaftliche Pluralität“ und mit den daran geknüpften sozialen, politischen und rechtlichen Fragen tiefgreifend und nachhaltig auseinander zu setzen. Sie redete sich jahrzehntelang ein, die Anwesenheit von Migranten und ihren Familien sei ein vorübergehendes Phänomen. So wurden ernsthafte politische Entscheidungen wie die Novellierungen des Ausländer- und Staatsbürgerschaftsgesetzes, die Formulierung eines Zuwanderungsgesetzes und die Formulierung eines Antidiskriminierungsgesetzes erst ab dem Jahr 2000 eingeleitet. Die Gesellschaft verfügt daher gegenwärtig immer noch nicht über geeignete Instrumentarien, um mit Fragen und Folgen von Telefax: (030) 314-73 223 e-mail: [email protected] gesellschaftlich-kultureller, sprachlicher und religiöser Pluralität politisch und juristisch angemessen umzugehen. d) Juristischer Hintergrund Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland schreibt keine strikte Trennung von Staat und Religion (Kirche) vor. Deutschland ist demnach kein laizistischer, sondern ein säkularer Staat, der keine Staatskirche hat, jedoch dem Neutralitätsgebot unterliegt. Das bedeutet, allen Religionsgemeinschaften im Land sind die gleichen Rechte und der gleiche Schutz zu gewähren. Im Zusammenhang mit der Kopftuchdebatte müssen das „Neutralitätsgebot“ und das „Gebot der Gleichbehandlung aller Religionsgruppen“ die beiden elementaren Grundpfeiler entsprechender Gesetzesentwürfe bilden, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom September 2003 hervorgehoben hat. e) Religiöse Grundlagen der Gesellschaft Die christlichen Kirchen sind mit der historischen Geschichte des Landes untrennbar verbunden und konnten demzufolge in Deutschland ein anderes Selbstverständnis als der Islam entwickeln. Und sie konnten in den vergangenen Jahrzehnten – anders als der Islam – für sich ein differenzierteres Verhältnis zur Demokratie und zu den Grundrechten etablieren. Ein entsprechendes, der Position der Kirchen ähnelndes Selbstverständnis des Islam muss sich in Deutschland erst noch herausbilden. Ein Blick in die deutschen Geschichtsbücher zeigt, dass das historische Islambild weiterhin größtenteils über die Kreuzzüge und die Osmanischen Kriege in Europa transportiert wird; in den letzten zwei Jahrzehnten wurde das Bild in Europa/Deutschland durch den religiöspolitischen Islam geprägt. Aktuell sind es die Terrorakte der Taliban und anderer Extremisten, die seitens der (christlichen) Mehrheitsgesellschaft als Ausdruck des islamischen Fundamentalismus verstanden werden. Welches Islambild zukünftig in Deutschland bestimmend sein wird, hängt zum einen von der Fortführung islamistischer Terrorakte in der Welt ab, zum anderen von der Berichterstattung und Darstellung des Islam in den öffentlichen Medien. Eine ebenso bedeutende Rolle spielen die Entwicklungen in muslimischen Bevölkerungsgruppen und Migrantenorganisationen. Es bleibt abzuwarten, ob es ihnen gelingt, ein demokratisches und aufgeklärtes Islamverständnis zu vermitteln, zu festigen und weiter zu geben. Das Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts vom September 2003 Das Bundesverfassungsgericht hat im September 2003 kein eindeutiges Urteil für oder gegen das Tragen von Kopftüchern durch Lehrerinnen im Unterricht ausgesprochen. Veilmehr hat es festgestellt, dass für ein Verbot entsprechende Landesgesetze notwendig sind. Es hat den Bundesländern jedoch zwei Optionen genannt, wie sie mit der zunehmenden religiösen Pluralität der Gesellschaft umgehen können, ausgehend vom Grundsatz der rechtlichen Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften: a) Die religiös plurale Schule: Religionen und religiöse Symbole sind Teil der Gesellschaft und lassen sich in der öffentlichen Schule wiederfinden. In dieser ist das Tragen von religiösen Symbolen durch Lehrkräfte erlaubt. Grundlage ist die Grundgesetzkonformität der getragenen religiösen Symbole. b) Die religiös neutrale Schule: Auf Grund der zunehmenden religiösen Pluralität und Ausdifferenzierung der Gesellschaft spricht sich der Gesetzgeber für eine strikte Trennung zwischen Staat und Kirche/Religionen aus, was in der Konsequenz die Einstellung von staatlichem Religionsunterricht und die Entfernung von jeglichen religiösen Symbolen aus der Schulöffentlichkeit bedeutet und somit Lehrkräften das Zurschaustellen ihres Glaubens durch entsprechende religiöse Symbole verbietet. Telefax: (030) 314-73 223 e-mail: [email protected] Die Entscheidung für Option a) würde bedeuten, dass neben den Symbolen des christlichen und jüdischen Glaubens auch die Aufnahme von religiösen Symbolen anderer Religionsgemeinschaften in die öffentliche Schule erlaubt werden, sofern sie der freiheitlichdemokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht widersprechen. Die Umsetzung von Option b) hätte zur Folge, dass alle Religionen und religiösen Symbole aus der öffentlichen Schule entfernt und diese damit zu „religionsfreien“ Räumen werden. Die eingeforderte Neutralität bedeutete eine Neuausrichtung und Justierung von gesellschaftlich-juristischen Parametern. Religiös plurale Schule mit Kopftuch tragenden Lehrerinnen Die Vertreter dieser Position sehen im Kopftuch ein mehrdeutiges religiöses Symbol, was nicht allein auf seine Bedeutung als Zeichen für die Unterdrückung und Ungleichbehandlung der muslimischen Frau durch die Männer und auf seine Bedeutung als „Flagge der islamischen Fundamentalisten“ reduziert werden dürfe. Die Reduzierung auf diese Bedeutungsebene könne zur „Dämonisierung [und] dem Aufbau von Feindbildern“ führen, merkte Rita Süssmuth an, neben Marieluise Beck und Barbara John die dritte Initiatorin des Aufrufs gegen ein „Lex Kopftuch“. Die unterzeichnenden Frauen betonen in ihrem Aufruf, dass es sehr wohl Muslima gebe, die das Kopftuch aus religiösen und/oder traditionellen Gründen und aus einer individuellen Entscheidung heraus anlegten. Besonders wichtig ist den Vertreterinnen und Vertretern dieser Position, zu denen neben den 70 Unterzeichnerinnen des Aufrufs auch die hessischen Grünen gehören, zu betonen, dass ein Kopftuchverbot die Frauen einseitig treffen würde und mit dem Verbot keineswegs geklärt wäre, wie mit islamisch-fundamentalistisch gesinnten männlichen Lehrern umzugehen ist, da sie sich ja durch kein Symbol, das ihnen eindeutig zugeordnet werden kann, zu erkennen geben. Dringender und notwendiger sei es daher, in Deutschland eine Lösung zu finden, die als ein Zeichen zu verstehen sei, dass nicht der Islam als Religion abgelehnt werde, sondern nur politisch motivierter religiöser Fundamentalismus und antidemokratische Einstellungen, damit der Islam nicht unter Generalverdacht von Demokratiefeindlichkeit und Menschenrechtsverletzungen gestellt werde. Die Auseinandersetzung mit dem politisch fundamentalistischen Islam sei nur mit der muslimischen Bevölkerung gemeinsam zu führen. Die hessischen Grünen schlagen vor, statt über Kopftuchträgerinnen als „potenzielle Fundamentalistinnen“ zu sprechen und in der Folge demokratisch höchst bedenkliche Verbote zu beschließen, „das Wachsen eines europäischen, aufgeklärten und liberalen Islam“ zu unterstützen, „der die Trennung von Staat und Religion, Gleichberechtigung der Frau, Meinungsfreiheit und eine friedliche Streitkultur“ akzeptiere. Keine Gefahr für die deutsche Rechtsordnung und für den schulischen Frieden sieht Nordrhein-Westfalen in Kopftuch tragenden Lehrerinnen, von denen sich gegenwärtig Telefax: (030) 314-73 223 e-mail: [email protected] fünfzehn im aktiven Schuldienst befinden. Der Justizminister dieses Bundeslandes bewertet Kopftücher nicht automatisch als ein Zeichen für Zwang und Unterdrückung muslimischer Frauen. Er ist der Ansicht, dass in der bundesrepublikanischen Diskussion pauschal geurteilt und das Kopftuch „von vornherein nur in eine Richtung“ gedeutet werde. Somit würden die Frauen „zum Objekt unserer eigenen Ängste und Befürchtungen“ gemacht. Sein Bundesland plane kein Kopftuchverbot oder die Entfernung religiöser Symbole aus der öffentlichen Schule, weil diese kein religionsfreier Raum sei, wie das Bundesverfassungsgericht nochmals festgestellt habe. Missionierende und damit die Dienstpflicht verletzende Lehrkräfte müssten dagegen mit Disziplinarmaßnahmen oder mit der Entfernung aus dem Schuldienst rechnen. Auch einige Juristen und Verfassungsrechtler sehen im Kopftuch ein religiöses Symbol mit mehrschichtiger Bedeutung. Es ist für sie kein objektives Symbol mit nur einem einzigen Bedeutungsinhalt. In diesem Sinne äußern sie Bedenken gegen das in Bundesländern wie Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen angekündigte einseitige Verbot von Kopftüchern bei gleichzeitiger Erlaubnis von christlichen und jüdischen Symbolen. So schreibt Ex-Verfassungsrechtler Mahrenholz an die baden-württembergischen Kultusministerin Schavan bezüglich des von ihr eingebrachten Gesetzesentwurfs: „Ein solcher gesetzgewordener Verdacht gegen ein bestimmte Personengruppe, ohne jeden Anhaltspunkt in dieser Gruppe, ist eine politische Diskriminierung dieser Gruppe, für die ich in der deutschen Gesetzgebung eine Parallele nicht sehe.“ Nach Auffassung anderer Juristen wie dem sächsischen Justizminister de Maiziere und dem Münchener Staatsanwalt Zitzman werden mit einem Verbot des Kopftuchs langfristig „auch das Kreuz und die Kleidung von Ordensschwestern in den Schulen in Frage gestellt werden“. Ähnlich sieht es Bundespräsident Rau, der zum Jahreswechsel anmerkte, dass vor dem Hintergrund der Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einer rechtlichen Gleichbehandlung aller Religionsgruppen in der Schule bei einem Kopftuchverbot dieses auch das Verbot von christlichen und jüdischen religiösen Symbolen bedeuten könnte. Dieser Haltung widersprachen umgehend eine Reihe von Politikern sowie Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche in Deutschland, die sich gegen eine Entfernung von christlichen und jüdischen Symbolen positionieren. Unterstützung bekommt der Bundespräsident dagegen vom Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, der Raus Argumentation und Haltung in dieser Frage als konsequent bezeichnete. Religiös plurale Schule mit Kopftuchverbot für Lehrerinnen Diese Position konzentriert sich auf die Feststellung, beim Kopftuch handle es sich um ein Zeichen, das primär a) für den politisch-fundamentalistischen Islam stehe und b) als Zeichen der Unterdrückung und Ungleichbehandlung der Frau zu verstehen sei. Beide Bedeutungsinhalte widersprächen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Deshalb müsse das Kopftuchtragen von Lehrerinnen, die sich mit diesem Kleidungsstück und damit den genannten Bedeutungsebenen identifizierten, verboten werden. Zu den Vorreitern in Sachen Kopftuchverbot für Lehrerinnen bei gleichzeitiger Beibehaltung von christlich-jüdischen Symbolen in der Schule erklärten sich die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und das Saarland. Sie begründen dieses Vorgehen damit, dass sie das Kopftuch als ein eindeutig „politisches Symbol“ (Stoiber) definieren, das „im Zusammenhang mit der Unterdrückung der Frau stehe oder als solche angesehen werde“ (Ministerpräsident Müller). Die Beibehaltung von christlich-jüdischen Symbolen wird mit der Feststellung legitimiert, dass „die Beachtung der Grund- und Menschenrechte Teil des christlichen und humanistischen Erbes Europas“ sei (Ministerpräsident Müller). Den wichtigsten Grund für die Beibehaltung sehen die Politiker jedoch in den Schulgesetzen der jeweiligen Bundesländer. Telefax: (030) 314-73 223 e-mail: [email protected] Nach Ansicht von Ministerin Schavan lässt sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts kein Verbot christlich-jüdischer Symbole ableiten, denn es erlaube, dass im Gesetzesentwurf „Schultraditionen, die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung und ihre religiöse Verwurzelung berücksichtigt werden dürfen“. Die badenwürttembergische Gemeinschaftsschule sei eindeutig eine christliche, deshalb hätten „christliche und abendländische Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen“ einen Vorrang vor anderen. Für die baden-württembergische Justizministerin Werwigk-Hertneck ist es wichtig, „dass die Kinder die Wurzeln der christlichen Religion und der abendländischen Kultur kennen lernen“. In diesem Sinne gehe der Gesetzesentwurf konform mit dem Erziehungsauftrag der Landesverfassung. Analog der baden-württembergischen Haltung hat auch Bayern einen Gesetzesentwurf vorgelegt. Für Ministerin Hohlmeier verstößt das Kopftuch gegen die Bayerische Verfassung, da es „zunehmend als politisches Symbol des islamischen Fundamentalismus gesehen“ werde. Der Verbot christlicher Symbole käme nicht in Frage, da „die Kirchen sich zur grundrechtlichen Wertordnung bekannt hätten“. Niedersachsen legitimiert sein Vorhaben für ein Kopftuchverbot bei Lehrerinnen mit der Verletzung der Neutralitätspflicht und der Störung des Schulfriedens durch „Bekleidung oder Zeigen und Tragen von Symbolen, politisch-religiöse oder weltanschauliche Einstellungen“. Für das Bildungsministerium sind christlichjüdische Symbole von dieser Regelung ausgenommen, da „Christentum und abendländische Werte Grundlage des Bildungsauftrages seien“. Im September 2003 hatte sich der niedersächsische FDP-Justizminister Röster kurz nach der Urteilsverkündigung des Bundesverfassungsgerichts – entsprechend des Gleichbehandlungsgrundsatzes – noch für ein Verbot aller religiöser Symbole ausgesprochen. Er revidierte aber bereits einen Monat später seine Position, mit der Begründung, dass der Preis zu hoch wäre und man „abendländische Symbole nicht verbieten könne“. Er verweist auf das niedersächsische Schulgesetz, das einen klaren Bezug zum Christentum habe und stellt fest, dass „man schließlich nicht ein einem laizistischen Staatsmodell [lebe]“. Ein Verbot des Kopftuchtragens für Lehrerinnen fordert auch Bundestagspräsident Thierse, der im Kopftuch nicht nur ein religiöses Symbol sieht, sondern „auch ein kulturelles und politisches Symbol, in dem die Unterdrückung der Frau enthalten ist.“ Das christliche Kreuz sei kein Symbol von Unterdrückung, „das Kopftuch für muslimische Frauen schon“. Dieses vertrage sich nicht mit dem Gleichheitsgebot der Geschlechter im Grundgesetz. Deshalb müsse man beim Aussprechen von Verboten für religiöse Symbole eine Differenzierung vornehmen. Die beiden großen Kirchen in Deutschland nehmen in der Kopftuchdebatte unterschiedliche Positionen ein. So sprechen sich der Ratspräsident der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Huber und die evangelische Bischöfin Käßmann für ein Kopftuchverbot bei Lehrerinnen aus, da es „als politisches Zeichen die Gleichstellung von Frau und Mann in Frage [stelle]“. Huber verlangt, dass Lehrerinnen „als Vertreterinnen der Grundrechte auftreten, nicht als deren Kritikerin“. Für ihn kollidiere die Kopftuch tragende Lehrerin mit dem ihr als Beamtin und damit Vertreterin des Staates auferlegten „Mäßigungsgebot“. Die Vertreter der katholischen Kirche halten es für den falschen Weg, die öffentliche deutsche Schule „zum religionsfreien Raum“ zu erklären. Nach Ansicht von Kardinal Meisner ist das Kopftuch von Lehrerinnen „als politisches Symbol an den Schulen Telefax: (030) 314-73 223 e-mail: [email protected] nicht hinnehmbar“. Jedoch müsse das Kopftuch „als Ausdruck einer religiösen Überzeugung akzeptiert werden“. Es könne nicht hingenommen werden, aus den Schulen religiöse Symbole zu entfernen. Nach seiner Ansicht ist Deutschland „von seiner ganzen Kultur her ein christlich geprägtes Volk“, daher sei mit christlichen Symbolen „sehr sensibel“ umzugehen. Auch Kardinal Ratzinger lehnt die Entfernung religiöser Symbole ab. Er konstatiert, dass er „keiner muslimischen Frau das Kopftuch verbieten [würde] und fügt hinzu: „(...) aber noch weniger lassen wir uns das Kreuz als öffentliches Zeichen einer Kultur der Versöhnung verbieten“. Es bestünde die Gefahr, dass sich mit dem Entfernen von religiösen Symbolen Politik und Gesellschaft „eines ihrer wesentlichen Quellen für ein friedliches Zusammenleben“ beraubten. Religiös neutrale Schule Den Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts nahm Berlin als erstes Bundesland zum Anlass zu verkünden, dass es künftig in der öffentlichen Berliner Schule verboten sein werde, religiöse Kleidung und religiöse Symbole zu tragen, unabhängig ob es sich um das Kopftuch oder um christlich-jüdische Symbole handle. Der Berliner Innensenator teilte mit, dass er nicht einsehe, „dass das Kopftuch als solches diskriminiert wird“, sondern verlangt, dass „alle Religionen gleich behandelt werden.“ Dies schließe das Trageverbot von Ordenstrachten mit ein. Ein Verbot religiöser Kleidung und religiöser Symbole in der öffentlichen Schule verlangen auch türkische Migrantenverbände wie die Türkische Gemeinde in Deutschland und der Türkische Bund in Berlin-Brandenburg. Die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) plädiert für ein Verbot von Kopftüchern bei Lehrerinnen, da diese „ein Kampfmittel von Islamisten und Fundamentalisten“ seien. In der Presseerklärung wird mitgeteilt, dass die TGD „jegliche religiöse Symbole in der Schule und im öffentlichen Dienst ablehne“. Auch der Türkische Bund in Berlin (TBB) spricht sich dafür aus, „im gesamten öffentlichen Dienst gesetzlich das Tragen von allen politischen/religiösen Symbolen zu unterbinden“, d.h. neben dem Kopftuch auch die christlich-jüdischen Symbole zu verbieten. Neben diesen Organisationen äußern sich im Dezember 2003 auch drei türkischstämmige Abgeordnete des Berliner Landesparlamentes zugunsten eines Kopftuchverbots für Lehrerinnen. Zwar befürworteten sie eigentlich „ein generelles Verbot religiöser Symbole an Schulen“, doch sähen sie kaum Chancen auf Realisierung einer neutralen Schule, da „Staat und Kirche in Deutschland nicht strikt zu trennen“ seien. Wie geht es weiter? Telefax: (030) 314-73 223 e-mail: [email protected] Es ist anzunehmen, dass Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen ihre Gesetzesentwürfe in der gegenwärtigen Form – d. h. Verbot des Kopftuchtragens für Lehrerinnen bei gleichzeitiger Erlaubnis für christlich-jüdische religiöse Kleidung und Symbole – verabschieden werden. Es wird abzuwarten sein, in wieweit diese Landesgesetze vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben werden, da eine Klage gegen diese wegen juristischer Ungleichbehandlung unterschiedlicher Religionsgemeinschaften anzunehmen ist. Sollte das Bundesverfassungsgericht eine Missachtung des „Gleichbehandlungsgebots“ feststellen, ist damit zu rechnen, dass diese Bundesländer das Kopftuchtragen von Lehrerinnen entweder über eine individuelle Eignungsprüfung der Kandidatinnen auf der Grundlage des Grundgesetzes regeln oder sich aber dem Berliner Modell nach Verbot jeglicher religiöser Kleidung und Symbolik Folge anschließen werden, was eher die unwahrscheinlichere Alternative darstellt. Warum die hohe Emotionalität in der Kopftuchdebatte? In die aktuelle Kopftuchdebatte in Deutschland fließen mehrere Konfliktpotenziale ein. Zunächst ist diese hoch emotional geführte und von einigen Politikern unübersehbar auf die Ängste der christlichen Mehrheitsgesellschaft ausgerichtete Debatte als Ausdruck der Frage nach der künftigen kulturellen Identität der bundesrepublikanischen Gesellschaft zu verstehen. So wird von den Gegnern das Lehrerinnen-Kopftuch als „trojanisches Pferd“ zur Unterwanderung des christlich-abendländisch geprägten deutschen Bildungssystems interpretiert. Sie sehen in ihm „eine Fahne des politisch-fundamentalistischen Islam“, von dem ungeahnte Gefahr für die demokratisch-freiheitliche Rechtsordnung der Bundesrepublik ausgeht. Der Verweis auf die muslimische Türkei und auf Frankreich, wo das Kopftuch sowohl für Lehrerinnen als auch für Schülerinnen verboten ist, zielt auf eine gesellschaftliche und politische Legitimation für das eingeforderte Verbot in Deutschland. Allerdings wird oft verschwiegen, dass es sich in beiden Fällen um Länder mit einer laizistischen Verfassung handelt, die auf eine strikte Trennung von Staat und Religion (Kirche) achten. In der Kopftuchdebatte kristallisiert sich darüber hinaus die Frage nach der künftigen religiösen Ausrichtung der deutschen Gesellschaft heraus, und welche Rolle und Funktion Religionsgemeinschaften und ihre religiösen Symbole in der Öffentlichkeit einnehmen sollen. Auch geht es um die Frage des politischen Verhältnisses von Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten, also darum, welche Rechte Minderheiten zuerkannt werden. Für die hessischen Grünen kann die Integration von Minderheiten nur gemeinsam mit ihnen stattfinden und dadurch, dass beide Seiten – Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten – sich aufeinander zu bewegen. Dabei müssten die Minderheiten den größten Beitrag leisten, aber nicht den ganzen. Ansonsten handele es sich schlicht um eine Assimilation, die nichts mit Integration zu tun habe und gesellschaftspolitisch abzulehnen sei. Was ist mit den muslimischen Schülerinnen? In den letzten Jahren ist die Zahl muslimischer Schülerinnen sprunghaft angestiegen, die aus religiösen Gründen auf Antrag der Eltern vom Sport- und Schwimmunterricht, von Klassenfahrten und vom Sexualkundeunterricht befreit werden. Diese Entwicklung ist m. E. gesellschaftlich, integrationspolitisch und bildungspolitisch viel brisanter und gewichtiger als die Frage nach Kopftuch tragenden Lehrerinnen, die das deutsche Bildungssystem durchlaufen haben und eine durchaus erfolgreiche Bildungskarriere vorweisen können. Die dringendere und brennendere Frage, die seit Jahren vergeblich auf eine eindeutige juristische Klärung wartet, ist deshalb die nach dem schulischen Umgang mit der Teilnahmeverweigerung muslimischer Schülerinnen am regulären Schulunterricht, welche mit dem Einverständnis der Schulaufsicht erfolgt. Telefax: (030) 314-73 223 e-mail: [email protected] In der Bundesrepublik herrscht die allgemeine Schulpflicht. Und der Staat hat die Aufgabe, alle Schüler an der Bildung teilhaben zu lassen und ihre Gleichbehandlung im Sinne der schulischen Chancengleichheit sicherzustellen. Wie mit muslimischen Schülerinnen umzugehen ist, die durch ihre Eltern von den genannten schulischen Veranstaltungen fern gehalten werden und dies mit ihrer Religiösität begründen, ist eine bisher unbeantwortete Frage. Warum unternehmen die Bundesländer an diesem Punkt keinen juristischen Vorstoß, um dieser integrationsgefährdenden Entwicklung Einhalt zu gebieten? Niemand in Deutschland darf wegen seines Glaubens benachteiligt und verfolgt werden Das ist wichtig und richtig. Doch darf die religiöse Orientierung/Praxis der Familien nicht von ihnen „zweckentfremdet“ und instrumentalisiert werden, um ihre Töchter vom regulären Schulunterricht abzuhalten und damit ihre Bildungschancen zu verringern und sie zu isolieren. Mit der „Brechstange“ ist hier sicher keine Lösung zu finden. Unabdingbar ist jedoch, dass alle Schüler zur Teilnahme an allen schulischen Veranstaltungen schulrechtlich verpflichtet werden müssen. In diesem Zusammenhang sollte mit den Schülerinnen und ihren Eltern das Gespräch gesucht und ein Konsens gefunden werden, in der Form, dass islamische Glaubensgrundsätze und Erziehungsgepflogenheiten geachtet werden. So sollten Mädchen mit einem Ganzkörperbadeanzug und Badekappe am Schwimmunterricht teilnehmen, im Sportunterricht eine Sportkappe aufsetzen, im Sexualkundeunterricht mit Schemata arbeiten dürfen. Den Eltern ist zuzusichern, dass bei Klassenfahrten immer eine Lehrerin mitfährt, die bei der Unterbringung auf die strikte Trennung der Geschlechter achtet, damit elterliche Erziehungs- und Moralkodexe nicht verletzt werden bzw. ihnen respektvoll begegnet wird. Das Ziel des deutschen Bildungssystems muss weiterhin die Chancengerechtigkeit, die Erziehung und Bildung der Bürgerinnen und Bürgern sein – unabhängig von ihrer kulturellen, ethnischen und religiösen Herkunft. Maßstab sind die demokratischen Grundrechte. Integration in die und Teilhabe an der Gesellschaft kann nur durch die gesellschaftliche und politische Akzeptanz und die Aufwertung der Migrantenkulturen, -sprachen und -religionen erfolgen. Jeder muss sich vom Staat und von der Gesellschaft angenommen, akzeptiert und gleichwertig behandelt wissen. Telefax: (030) 314-73 223 e-mail: [email protected]