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Musik und Widerstand (Musikstunde 7. 5. 2012 – 11. 5. 2012)
Folge 3 (9. 5. 2012)
Zunächst komponierte Karl Amadeus Hartmann, Jahrgang 1905, das, was man um das Jahr 1930 eben
so komponierte, wenn man einigermaßen auf der Höhe der Zeit war: eine „Burleske Musik“, eine
„Jazz Toccata und Fuge“ oder eine „Tanzsuite für Bläserquartett“ – Arbeiten eines talentierten
NachwuchsKomponisten ohne große politische Ambitionen. „Dann kam das Jahr 1933“, wie Hartmann selbst in
seiner Autobiographischen Skizze schreibt, „mit seinem Elend und seiner Hoffnungslosigkeit, mit ihm
dasjenige, was sich folgerichtig aus der Idee der Gewaltherrschaft entwickeln musste, das
furchtbarste aller Verbrechen – der Krieg. In diesem Jahr erkannte ich, dass es notwendig sei, ein
Bekenntnis abzulegen, nicht aus Verzweiflung und Angst vor jener Macht, sondern als Gegenaktion.“
Zu diesen kompositorischen Gegenaktionen, die Hartmann in den folgenden Jahren startete, zählt
das 1939 entstandene Violinkonzert, das einzige, das Hartmann schrieb und das er zunächst als
Trauermusik oder Musik der Trauer bezeichnete. 20 Jahre später überarbeitete er das Werk und gab
ihm den Titel, unter dem es heute bekannt ist: Concerto funebre. „Mein Concerto funebre entstand
im Herbst 1939.“ schrieb Hartmann, „diese Zeit deutet den Grundcharakter und Anlass meines
Stückes an. Die vier Sätze Choral – Adagio – Allegro – Choral gehen pausenlos ineinander über. Der
damaligen Aussichtslosigkeit für das Geistige sollte in den beiden Chorälen am Anfang und am Ende
ein Ausdruck der Zuversicht entgegen gestellt werden.“
------------Musik 1: Karl Amadeus Hartmann, Concerto funebre. Vladimir Spivakov, Violine; Gürzenich-Orchester
Kölner Philharmoniker, Dir: James Conlon.
Capriccio 10893. Tr.4. Dauer: 4’02“
------------Vladimir Spivakov war der Solist im vierten Satz, einem Choral, von Karl Amadeus Hartmanns
Concerto funebre. Es begleitete das Gürzenich-Orchester Kölner Philharmoniker unter James Conlon.
Hartmann ist das wohl prominenteste Beispiel für innere Emigration; er hat seine Heimatstadt
München auch während der Nazi-Diktatur nur selten und immer nur für kurze Zeit verlassen. Genau
darin liegt auch das Problem dieser inneren Emigration, was ja nur ein anderes Wort ist für inneren
Widerstand: Hartmann verstand sich zumindest in dieser Zeit als politischer Komponist, doch seine
Werke konnten in Deutschland natürlich nicht aufgeführt werden – es gab nur eine einzige
Ausnahme: Seine Musik zu „Macbeth“, die 1942/43 in München gespielt wurde. Aufführungen im
Ausland gab es zwar gelegentlich, hier aber war die politische Wirkung nur minimal. Vielleicht wird
man Hartmanns Werken auch gerechter, wenn man sie weniger als Musik begreift, die auf eine
politische Funktion hin komponiert wurde, und eher als eine Musik, die Humanität gegen das
Verbrechen setzt. So ist zweifellos auch seine Klaviersonate mit dem Titel „27. April 1945“ zu
verstehen. Hartmann erläuterte das Datum: „Am 27. und 28. April 1945 schleppte sich ein
Menschenstrom von Dachauer ‚Schutzhäftlingen’ an uns vorüber – unendlich war der Strom –
unendlich war das Elend – unendlich war das Leid...In den zwölf Jahren der Nazi habe ich nichts
schrecklicheres gesehen wie dies...Dies Bild des Schreckens, dies Bild des Grauens ist nicht zu
schildern.“
------------Musik 2: Karl Amadeus Hartmann: Sonate „27. April 1945“. 4. Satz (1. Fassung): Allegro furioso.
Benedikt Koehlen, Klavier.
Col legno 0647 301. Tr. 4. Dauer: 6’22”
------------Benedikt Koehlen spielte die erste Fassung „Allegro furioso“ des Finalsatzes von Karl Amadeus
Hartmanns Klaviersonate „27. April 1945“.
Der musikalische oder genauer: der musikpolitische Widerstand gegen die Diktaturen des 20.
Jahrhunderts hatte viele Gesichter und findet sich manchmal auch bei Persönlichkeiten, denen man
ansonsten ein eher wohlwollendes Verhältnis – vielleicht aus Opportunismus oder warum auch
immer – zu den jeweiligen diktatorischen Regimes unterstellen darf. Zum Beispiel der Dirigent
Wilhelm Furtwängler, der sich einerseits zwar propagandistisch von den Nazis vereinnahmen ließ,
der in einigen Fällen aber auch die direkte Konfrontation mit den Machthabern wagte; am
spektakulärsten sicher bei seinem Einsatz für Paul Hindemith. Seit 1933 arbeitete Hindemith an
seiner Oper „Mathis der Maler“. Als Extrakt der Oper und vor deren Vollendung hatte Hindemith eine
dreisätzige Sinfonie geschrieben, gleichfalls mit dem Titel „Mathis der Maler“. Die Uraufführung
dieser Sinfonie „Mathis der Maler“ fand im März 1934 in Berlin statt und war ein großer Erfolg.
Furtwängler sollte deshalb auch die geplante Uraufführung der Oper dirigieren, doch Hitler selbst
hatte diese Uraufführung untersagt. Da tat Furtwängler etwas, was damals großen Mut erforderte: Er
schrieb einen Artikel in der Deutschen Allgemeinen Zeitung, in dem der bemerkenswerte Satz steht:
„Hindemith hat sich niemals politisch betätigt; wo kämen wir überhaupt hin, wenn politisches
Denunziantentum in weitestem Maße auf die Kunst angewendet werden sollte?“ Die Zeitung wurde
den Verkäufern aus den Händen gerissen, eine offene Brüskierung Goebbels’ und Hitlers drohte. Die
NS-Führung reagierte zweifach: Goebbels zog gegen Hindemith zu Felde und bezichtigte ihn
„misstönender Dissonanzen eines musikalischen Nichtskönnens“, der angebotene Rücktritt
Furtwänglers wurde angenommen – jedenfalls bis 1935, denn um ganz auf Furtwängler zu
verzichten, dazu war der Dirigent dann doch zu wichtig. Hier der Stein des Anstoßes, der Beginn des
ersten Satzes von Paul Hindemiths Mathis-Sinfonie.
--------------Musik 3: Paul Hindemith, Sinfonie Mathis der Maler. Israel Philharmonic Orchestra, Dir: Leonard
Bernstein.
DG 429 404-2. Tr. 1, nach 4’54“ rasch ausblenden. Dauer: 4’54“
-------------Leonard Bernstein dirigierte das Israel Philharmonic Orchestra mit dem ersten Teil des Kopfsatzes
von Paul Hindemiths Sinfonie „Mathis der Maler“.
Inzwischen sind wir in einem Bereich angekommen, in dem Widerstand gegen die politischen
Verhältnisse erwartbar ist: im Bereich der Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Je stärker die Gängelung,
desto stärker der Widerstand. Wobei es noch einmal ein Unterschied ist, ob sich dieser Widerstand wie etwa bei Furtwängler - in der direkten Konfrontation mit den Diktatoren zeigt, was allerdings in
der Nazi-Zeit kaum noch möglich war, oder ob dieser Widerstand von außerhalb kam, zum Beispiel
aus England, wo die BBC deutschsprachige Programme ausstrahlte mit dem Ziel, den deutschen
Widerstand gegen die Nazis zu stärken - auch mithilfe des wohl beliebtesten Soldatenliedes des
ganzen Krieges. Hier ein Ausschnitt aus einer BBC-Sendung vom April 1943.
-------------Musik 4: Lili Marleen mit Lucie Mannheim
Auf: „Entartete Musik“ (Tondokumente zur Ausstellung „Entartete Musik“ Düsseldorf 1988. CD 4
(Widerstand).
POOL Musikproduktion, Berlin (LC 6339) 65023 AV. CD 4, Tr. 16. Dauer : 3’45“
-------------Lili Marleen in einer Widerstands-Umdichtung, die von der BBC ausgestrahlt wurde; diesmal
gesungen von Lucie Mannheim. Lale Andersen, die Sängerin des Original-Liedes, war zwar wohl nicht
im KZ, hatte aber ab Oktober 1942 ein Auftrittsverbot wegen ihrer Kontakte zu Schweizer Juden.
Die deutschsprachigen Sendungen der englischen BBC waren ein zentraler Bestandteil des
musikalischen Widerstandes gegen das Nazi-Regime. Die BBC bot auch deutschen Komponisten eine
Plattform, die wegen ihrer jüdischen Religion oder aus weltanschaulichen Gründen aus Deutschland
hatten emigrieren müssen – wie zum Beispiel der hochbegabte Kabarettist und Operetten-Komponist
Mischa Spoliansky. Hier ein Ausschnitt aus der Sendung vom ersten Januar 1944.
-------------Musik 5: Mischa Spoliansky, „Wir fahren immer hin und her“ und „Lied vom Weib des Nazisoldaten“
Quelle: BBC
Auf: „Entartete Musik“ (Tondokumente zur Ausstellung „Entartete Musik“ Düsseldorf 1988. CD 4
(Widerstand).
POOL Musikproduktion, Berlin (LC 6339) 65023 AV. CD 4, Tr. 19. Dauer : 3’45“
-------------Zwei Widerstands-Lieder, ausgestrahlt an Neujahr 1944 von der BBC. Die Unvollständigkeit des
Tondokuments bitte ich zu entschuldigen. Es gibt eine recht umfangreiche Gruppe politisch
motivierter und eindeutig antifaschistischer musikalischer Werke, die nicht während der Nazi-Zeit
und in Deutschland entstanden, sondern entweder nach 1945 oder, wie die eben gehörten BBCBeiträge, außerhalb des Nazi-Einflussbereichs. Trotzdem sind sie eng mit dem Widerstand gegen die
Nazis verbunden oder doch mit dem Widerstand gegen das Vergessen von deren Verbrechen. Arnold
Schönbergs „Ein Überlebender aus Warschau“ von 1947 gehört dazu, genau wie Luigi Nonos „Ricorda
cosi ti hanno fatto in Auschwitz“ von 1965 – Gedenke dessen, was sie dir in Auschwitz angetan
haben, oder Bohuslav Martinůs „Mahnmal für Lidice“, das 1943 in den USA entstand und an die
Vernichtung des tschechischen Dorfes Lidice erinnert. 1942 war Reinhard Heydrich, der
stellvertretende Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, bei einem Anschlag ums Leben
gekommen. Die Nazis behaupteten, Bewohner von Lidice hätten dem oder den Attentätern Hilfe
geleistet, fast alle Bewohner wurden ermordet, die Häuser der Ortschaft wurden in Brand gesteckt,
gesprengt und schließlich eingeebnet – der Ort sollte vollkommen von der Landkarte verschwinden.
-----------Musik 6: Bohuslav Martinu, Mahnmal für Lidice. Bamberger Sinfoniker, Dir: Ingo Metzmacher.
EMI 555 424-2. Tr. 1, Dauer: 7’47“
-----------Die Bamberger Sinfoniker unter Ingon Metzmacher mit Bohuslav Martinus „Mahnmal für Lidice“.
Eine ganz andere Form des Widerstands wählte der glühende Anti-Faschist Arturo Toscanini. Der
hatte als Dirigent in den 1930er Jahren die Salzburger Festspiele entscheidend mitgeprägt und sollte
auch im Sommer 1938 wieder dort dirigieren. Nun hatten die Nazis aber im März 1938 den
„Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland verkündet – Toscanini sagte aus Protest gegen die Nazis
seine Salzburger Auftritte umgehend ab und wich in die Schweiz aus, nach Luzern, genauer: nach
Tribschen bei Luzern. Dort gab er in der Villa, in der Richard Wagner zusammen mit Cosima von 1866
bis 1872 gelebt hatte, ein spektakuläres Gala-Konzert. Die Schweizer wussten den prominenten
Besuch zu schätzen. Mit Rücksicht auf den extrem lärmempfindlichen Toscanini musste der
Fußballplatz Tribschen seinen Spielbetrieb einstellen, die Fabriken der Gegend waren angewiesen,
jeden Industrielärm zu vermeiden, die Hunde der landwirtschaftlichen Betriebe wurden
eingesammelt und lärmsicher verwahrt. Die Eintrittspreise waren mit 22 bis 55 Franken exorbitant
hoch, aber dafür gab es neben Rossini, Mozart und Beethoven jenes Siegfried-Idyll zu hören, das in
Tribschen anlässlich der Geburt von Wagners Sohn Siegfried komponiert und uraufgeführt worden
war. Ausgerechnet Wagner, der erklärte Lieblingskomponist Hitlers!
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Musik 7: Richard Wagner, Siegfried-Idyll, Anfang. Orpheus Chamber Orchestra.
DG 431 680. Tr. 1, nach 6’25” ausblenden. Dauer: 6’25“
---------------Das Orpheus Chamber Orchestra spielte den Beginn von Richard Wagners Siegfried-Idyll, das auch
Arturo Toscanini 1938 in Tribschen bei Luzern dirigierte – der Startschuss für das heutige LuzernFestival.
Nun war die Nazi-Zeit in Deutschland vielleicht die furchtbarste, aber nicht die einzige Diktatur im 20.
Jahrhundert. Auch die Militärdiktatur Augusto Pinochets in Chile hat musikalischen Widerstand
hervorgerufen. Frederic Rzewskis Variationszyklus „El Pueblo Unido Jamás Será Vencido“ (Das
vereinigte Volk wird immer siegreich sein) basiert auf dem Lied eines Straßensängers, das der
chilenische Komponist und Pianist Sergio Ortega hörte und aufschrieb und das in kürzester Zeit zur
Hymne des chilenischen Widerstands gegen Pinochet wurde. Soweit Teil eins der
Entstehungsgeschichte. Um dieselbe Zeit suchte die Pianistin Ursula Oppens für einen Klavierabend
eine Ergänzung zu Beethovens Diabelli-Variationen und beauftragte Rzewski mit einem passenden
Stück. Der erinnerte sich an das Lied des Straßensängers und schrieb im September und Oktober
1975, also zwei Jahre nach dem Putsch Pinochets, über dieses Lied einen Zyklus von 36 Variationen –
drei mehr als Beethoven in den Diabelli-Variationen. Rzewski verband in seinem Werk den
politischen Widerstand mit einer äußerst strengen Struktur: Das Thema umfasst 36 Takte, gefolgt
von 36 Variationen. Die 36 Variationen sind in sechs Gruppen zu je sechs Variationen angeordnet.
------------Musik 8: Frederic Rzewski, The people united will never be defeated. Thema plus Variationen 1-3.
Marc-André Hamelin, Klavier.
Archiv-Nr. 336-9084, Tr. 1-4. Dauer gesamt: 4’11“ (notfalls Variation 3 weglassen!)
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