Reader Studienwoche "Christlich-Islamische Beziehungen im europäischen Kontext" Gliederung 1. Allgemeine Begriffsdefinitionen 1.1. Säkularisierung 1.2. Laizismus 1.3. Europa 2. Christentum 2.1. Christentum in Europa 2.2. Christentum in Deutschland 2.3. Christentum und Säkularisierung 2.4. Grundinformationen Christentum 2.5. Islam aus christlicher Sicht 3. Islam 3.1. Islam in Europa 3.2. Islam in Deutschland 3.3. Islam und Säkularisierung 3.4. Grundinformationen Islam 3.5. Christentum aus muslimischer Sicht 1 1. Allgemeine Begriffsdefinitionen 1.1. Säkularisierung Die Begriffe Säkularisierung Säkularisation und Säkularismus sind abgeleitet von lat. saeculum. Dieses Wort bedeutete ursprünglich "Zeitalter Jahrhundert" im Kirchenlatein dann "die zeitliche Welt" und meinte damit das Irdische im Gegensatz zum Ewigen. Säkularisierung wurde von daher zur Bezeichnung des Übergangs einer Sache aus dem Eigentum der Kirche (Bistümer und Klöster) in das von (nicht fürstbischöflich regierten) Staaten. Seit der Wende zum 19. Jahrhundert fächerten sich die Bedeutungen weiter auf. Folgende Unterscheidung zur Klärung der Begriffe wird vorgeschlagen: • Säkularisierung wird verstanden als der institutionelle und mentale Prozess der Trennung von Kirche und Staat (bzw. religiöse Organisationen und Staat). • Mit Säkularisierung wird auch der Übergang von Begriffen und Vorstellungen aus einem primär religiösen in einen allgemeineren Kontext von Philosophie und Zeitgeist bezeichnet (z.B. Paradies, Sünde, Erlösung, Heilsgeschichte, Apokalypse u.v.a.). • Säkularisation wird verstanden als der konkrete Prozess der Ablösung der weltlichen Macht von der Kirche, die Aufhebung von Klöstern und Hochstiften Anfang des 19. Jahrhunderts. • Säkularismus wird verstanden als eine aus der Säkularisierung erwachsene Weltanschauung die sich auf die Immanenz beschränkt und auf darüber hinausgehende Fragen verzichtet. Säkularisierung in der ersten Bedeutung ist die Abschaffung der Staatsreligion und hat einen erheblichen Machtverlust der religiösen Institutionen vor allem der Kirchen zugunsten des Staates zur Folge. In Europa begann die Säkularisierung mit der Aufklärung und erreichte in der Französischen Revolution und im Kommunismus mit der angestrebten völligen Abschaffung der Religion ihren Höhepunkt. Im Vorfeld der Aufklärung entzogen sich viele Menschen der Monarchie "von Gottes Gnaden" durch Auswanderung in die Neue Welt. Die USA sind seit ihrer Konstitution 1776 ein säkularer Staat. Im Gegensatz zu der Verbreitung des Atheismus in Europa behielt hier die Religiosität einen hohen Stellenwert und führte zur Gründung einer Vielzahl reformierter Kirchengemeinden. Weitgehender Konsens bestand und besteht in der gesellschaftlichen Bedeutung des Christentums. Durch die Zersplitterung in einzelne christliche Konfessionen und die allgemein anerkannte Toleranz gegenüber dieser Entwicklung konnte sich jedoch keine monolithische kirchliche Institution mit politischer Macht herausbilden wie sie bis dahin aus Europa bekannt war. Religiosität und Religionsfreiheit werden heute in den USA als gleichwertig betrachtet. Durch nachfolgende Einwanderungswellen gelangten weitere Religionsgruppen aus der arabischen und ostasiatischen Welt in die USA die sich durch die Tradition der religiösen Toleranz im neuen Umfeld etablieren konnten und selten vom weiterhin vorherrschenden Christentum assimiliert wurden. Einzige Ausnahmen sind die Naturreligionen der Indianer und Riten der afrikanischen Sklaven die durch die Christianisierung zurückgedrängt wurden. Heutzutage ist die Säkularisierung abgesehen insbesondere von Deutschland in der gesamten westlichen Welt weit fortgeschritten aber die Abschaffung der Religion ist nirgends dauerhaft erfolgt. So gibt es etwa in Deutschland noch die Kirchensteuer während in Ostdeutschland (außer im Eichsfeld) inzwischen die statistisch niedrigste Kirchenzugehörigkeit in Europa zu verzeichnen ist. In der westlichen Welt gilt die Säkularisierung allgemein als erstrebenswert und notwendige Voraussetzung für eine demokratische Gesellschaftsform, da der Aufstieg bürgerlicher Machtstrukturen wesentlich in der Tradition der Aufklärung steht. Das Christentum seinerseits hat sich auf seine Wurzeln in der Gewaltlosigkeit Jesu besonnen. Eine Übertragung der Säkularisierung nach europäischem Vorbild auf andere Kulturkreise insbesondere die islamische Welt wie häufig gefordert, ist problematisch, da die Grundhaltungen von (westlichem) Christentum und Islam zu Politik und Staat verschieden sind. Hatte sich im Abendland durch die Polarität von Kaiser und Papst nie eine Identität von Staat und Religionsgemeinschaft entwickeln können (obwohl beide Seiten dies anstrebten), zielte der Islam seinem Wesen nach auch bei eingeschränkter Toleranzgewährung gerade auf diese Identität. 2 Der Islam postuliert in der Theorie eine der Säkularisierung zuwiderlaufende Untrennbarkeit von religiöser und politischer Herrschaft (siehe auch Kalifat), verfolgte in der Praxis jedoch ein relativ tolerantes Glaubenskonzept, das lange keine religiös motivierten Pogrome wie die europäische Judenverfolgung kannte. Angehörige anderer monotheistischer Religionen, zu denen später auch Buddhisten Hindus und Zoroastrier gezählt wurden, hatten in islamischen Ländern den rechtlichen Status von Dhimmis einer geschützten Minderheit, denen gewisse Beschränkungen (u.a. die Zahlung einer speziellen Steuer Kleidungsvorschriften Ausschluss von staatlichen Ämtern) auferlegt waren die ansonsten jedoch religiöse Autonomie genossen und ihr eigenes Rechtssystem unterhielten. Bisher gab die Forderung westlicher Industrienationen nach einer Säkularisierung im Sinne einer Verwestlichung eher einer Entwicklung in Richtung Radikalisierung Auftrieb. http://www.uni-protokolle.de/Lexikon/S%E4kularisierung.html (21.05.2009) Säkularisierungsprozess: Auf die Vitalität und die Politisierung der Religion selbst sowie auf die Diskussionen über die Regulierung des Verhältnisses von Religion und Politik, religiösen Gemeinschaften und Staat ist die Politikwissenschaft insgesamt eher schlecht vorbereitet. Zu den Gründen zählt an erster Stelle der sozialwissenschaftliche Konsens über die unvermeidliche Säkularisierung moderner Gesellschaften. Dieses Säkularisierungstheorem prognostiziert mit Blick auf das Verhältnis von Politik und Religion in der Regel drei Entwicklungen: - auf struktureller und institutioneller Ebene eine Autonomisierung und Differenzierung von Politik und (christlicher) Religion. Die politische Handlungssphäre verselbstständigt sich und entwickelt eigenständige politische Funktions- und Handlungslogiken. In der Folge dieses Prozesses kommt es zur institutionellen und organisatorischen Trennung von Staat und (christlichen) Kirchen; - auf politisch-kultureller Ebene eine Erosion organisierter (christlicher) Religion sowie eine Abnahme (christlicher) religiöser Praktiken. Das hat nicht zuletzt den Verlust einer systematischen und relativ homogenen (christlich-)religiösen Sozialisation als Ressource politischer Vergemeinschaftung zur Folge; - auf der gesellschaftlichen Ebene den Rückzug verbliebener organisierter Religion sowie religiöser Symbole und Praktiken aus der Sphäre der Politik und der politischen Öffentlichkeit in den nichtpolitischen Bereich des Privaten. Wäre das Schicksal der Religion in dieser Weise vorgezeichnet, verdiente sie kaum die Aufmerksamkeit einer sich auf die "wirklichen" Kräfte und Bewegungen in Geschichte und Politik konzentrierenden Disziplin. Nachdem die europäischen Kirchen spätestens seit Mitte der sechziger Jahre ihre nach dem Krieg durchaus erfolgreich verfochtene Politik einer Rechristianisierung und Verankerung konservativchristlicher Werte aufgaben, sich mit dem gesellschaftlichen Pluralismus arrangieren und sich politisch auf Formen normaler Interessenpolitik mit begrenzten Zielen beschränken mussten, erlosch auch das Interesse der Politikwissenschaft an ihnen. Auch die asymmetrischen rechtlichen Regelungen des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften stellten seither kein drängendes Problem mehr dar, und so überließ man dieses Feld weitgehend den rechtswissenschaftlichen Spezialisten für diese Materie, den Staatskirchenrechtlern. Empirisch interessierten allenfalls noch die aus dem "Privaten" resultierenden Handlungsmotivationen, sofern sie – wie etwa im Wahlverhalten – ein politisch relevantes Faktum konstituierten. Dieser – zugegebenermaßen stilisierte – säkularisierungstheoretische Grundkonsens der Disziplin wird nicht nur durch die gewachsene Rolle der Religion in der Öffentlichkeit in Frage gestellt, sondern auch durch die Kritik am Säkularisierungsparadigma selbst. Zunächst einmal lassen sich verschiedene Versionen der Säkularisierungstheorie unterscheiden. Neben der wohl bekanntesten Fassung, die u. a von Max Weber geprägt wurde und einen Niedergang der Religion und religiöser Weltbilder in der Moderne behauptet, gingen oder gehen andere Versionen von dem völligen Verschwinden der Religion (A. Comte), von ihrer Privatisierung (T. Luckmann) oder ihrer Transformation, verstanden als institutioneller Niedergang der christlichen Kirchen bei gleichzeitiger Diffusion und Beharrlichkeit christlicher Werte in der westlichen Welt (P. Berger), aus. 3 In den vergangenen Jahren hat eine Gruppe amerikanischer Sozialwissenschaftler diese Ansätze jedoch radikal in Frage gestellt und eine von Adam Smith inspirierte angebotsorientierte Theorie religiöser Vitalität entwickelt. Dieser so genannte "economics of religion"-Ansatz unterstellt, dass die Kirchen und andere religiöse "Anbieter" wie weltliche Produzenten durch Eigeninteresse motiviert und daher wie säkulare Firmen auch durch Marktkräfte beeinflusst werden und dass es vor allem von der Qualität des Angebotes abhängt, wie stark die religiöse Nachfrage ist. Daraus wird die grundsätzliche These abgeleitet, dass erst die Moderne die Religiosität belebt habe, weil sie mit den Prinzipien der Religionsfreiheit und der Trennung von Staat und Kirche den Wettbewerb religiöser "Anbieter" möglich gemacht und damit das Interesse der Menschen an den Kirchen stimuliert habe. Auch die im Vergleich zu Europa deutlich höhere Vitalität des religiösen Lebens in den USA wird mit dem geringeren Regulierungsniveau und der größeren Konkurrenz auf dem religiösen "Markt" erklärt. In der Tat finden sich deutliche empirische Anzeichen, die einer generellen Säkularisierungstheorie widersprechen. Weltweite Analysen zu Modernisierung und kulturellem Wandel unterstreichen eine Beharrlichkeit religiöser Werte und Orientierungen gerade in Europa, auch wenn die Bindungskraft der traditionellen religiösen Institutionen nach dem Zweiten Weltkrieg dort zweifellos deutlich nachgelassen hat. Fraglich ist jedoch, ob sich dies mit einer ökonomischen Theorie der Religion erklären lässt. So weisen bei vergleichbarem Regulierungsniveau katholische Länder in der Regel deutlich höhere Raten religiöser Partizipation auf als protestantische Länder. Auch das katholische Frankreich fügt sich nicht der angebotsorientierten Argumentation, weil dort trotz eines niedrigen Grades staatlicher Regulierung die religiöse Vitalität gering ist. Resümiert man die jüngsten Debatten über die Säkularisierungstheorie, so ist eine Kernaussage – nämlich die Annahme einer kontinuierlichen Differenzierung religiöser und nichtreligiöser Werte und Institutionen – nicht grundsätzlich in Frage zu stellen. Damit stellt das Säkularisierungstheorem eine Variante von Theorien der Rationalisierung und Modernisierung dar, die eine stetige funktionale Differenzierung moderner Gesellschaften und eine wachsende Autonomie des Individuums (Individualisierung) postulieren. Aber in dieser Modernisierung drücken sich unterschiedliche "Momente der Säkularisierung" (Casanova) aus, die getrennt betrachtet werden müssen: Säkularisierung als institutionelle Differenzierung, Säkularisierung als Entzauberung im Sinne einer Lockerung der Bindungen des Individuums an religiöse Werte und Institutionen sowie Säkularisierung als Pluralisierung der Welt der organisierten Religion und religiöser und weltanschaulicher Positionen http://www.bpb.de/publikationen/KVIMDT,1,0,Neuere_Entwicklungen_im_Verh%E4ltnis_von_Politik_und_Religion_im_Spiegel_polit ikwissenschaftlicher_Debatten.html#art1 (29.05.2009) 1.2. Laizismus Der Laizismus (von Laie im Sinn von Nicht-Geistlicher) bezeichnet eine im 19. Jahrhundert entstandene Bewegung, um die Geistlichkeit von allen nicht unmittelbar kirchlichen Angelegenheiten auszuschließen. Laizismus sieht die Regierung in einer neutralen Position bezüglich der Religion ihrer Bürger, ohne deshalb Religion an und für sich abzulehnen oder einzuschränken. Die Übergänge zum de facto staatlich verordneten Atheismus sind jedoch fließend. Der Gegensatz zu Laizismus ist Klerikalismus die Bestrebung der Geistlichkeit einer Religion größeren staatlichen Einfluss zu verschaffen. Beispiele für laizistische Staaten sind – mehr oder weniger ausgeprägt – die westlichen Demokratien (deren politische Kultur dennoch auf den Ideen des Christentums basiert und deren politische Entscheidungen zum großen Teil christlich beeinflusst sind) oder die Türkei (in der die legalen Religionen jedoch faktisch massiv staatlich gelenkt werden und andere Religionen unterdrückt). Klerikalistische Staaten sind z.B. der Iran oder Saudiarabien. Laizismus ist eine Grundforderung von Liberalismus, Demokratie und Religionsfreiheit. Der Ausdruck wird oft auch in erweitertem Sinn verwendet für Säkularismus das Zurückdrängen von Religion und Kirche im öffentlichen Leben. http://www.uni-protokolle.de/Lexikon/Laizismus.html (22.05.2009) 4 1.3.Europa Europa ist ein Erdteil. Geographisch ist das nicht überzeugend, denn es wird definiert als der westliche Teil der eurasischen Landmasse. Und die östliche Grenze, der Ural, ist eher eine Konvention als ein erdteilendes Datum. Die Etymologie liegt im Dunkel. Wenn es aus dem Semitischen stammt, bedeutet es ursprünglich Westen oder Abendland (‘arab), die andere Deutung geht auf den Namen einer Göttin. Das kann aber auf sich beruhen. Jedenfalls stammt das Wort aus dem Osten des mediterranen Raums. Hekataios (6.Jh. v.Chr.) kennt in seiner Erdbeschreibung nur zwei Erdteile, Europa und Asien. Die Grenze ist das ägäische Meer, das Marmarameer, das Schwarze Meer, der Don. Aber mindestens seit Herodot ist Europa ein Kulturbegriff. Und so bleibt es. Wo Europa mehr ist als ein Name auf Landkarten, ist es ein Kulturbegriff. Er hat seinen Ort in der Selbstidentifikation und Selbstdefinition derer, die sich Europäer nennen. Zur Selbstdefinition gehört immer auch die Abgrenzung gegen anderes, und zwar tatsächlich immer, also unvermeidlich, weil niemand und auch kein Volk alles nur Mögliche zugleich oder nacheinander sein kann. Es macht allerdings einen Unterschied, ob die Abgrenzung der blinden Selbstüberhebung dient oder, noch schlimmer, die Selbstdefinition über einen Erbfeind vollzieht, oder ob sie das Anderssein anderer erträgt, lateinisch tolerare. Fünf Epochen europäischer Selbstidentifikation: 1. Für Herodot also sind Europa und Asien nicht nur zwei Erdteile, sondern zugleich zwei Welten. Asien, das ist das Perserreich, gigantisch in seiner Ausdehnung, seinen menschlichen und technischen Ressourcen und seinen Organisationspotentialen. Xerxes baut eine Schiffsbrücke über den Hellespont und lässt eine Menschenkette bis nach Susa auf Rufweite aufstellen, um seine Siege zu melden. Trotzdem nennen die Griechen sie Barbaren, weil sie nicht frei sind. Die Perser sind nicht Bürger (politai), sondern Untertanen. Und dass dieses kleine aber freie Volk den Angriff des asiatischen Riesen abgewehrt hat, hat sich ins europäische Gedächtnis eingeprägt. Die vorderasiatischen Sprachen haben kein Äquivalent für das griechische Wort eleutheria, Freiheit. Das zuerst bei Herodot auftretende Motiv: Europa kontra Asien durchzieht die Geschichte Europas, teils berechtigt, teils unberechtigt-missbräuchlich. Prägende Erfahrungen waren die über Nordafrika nach Spanien einfallenden Araber, der Hunnensturm, der Mongolensturm, die Türken vor Wien. Die Nazis haben die „asiatische Gefahr“ für ihren Überfall auf die Sowjetunion missbraucht. Auch im Kalten Krieg hat das Motiv eine Rolle gespielt hat. Als selbstdefinierender Kulturbegriff konnte Europa nur dann fungieren, wenn das geographische Moment auch zum kulturell-politischen Kontext passte. Das war schon mit Alexander dem Großen nicht mehr der Fall. Sein Reich umfaßte beide Erdteile. Auch im Selbstverständnis des Imperium Romanum konnte Europa keine Identifikationsrolle spielen, es erstreckte sich ja über alle drei Erdteile. 2. So taucht Europa als Identifikationsbegriff erst nach dem Ende des weströmischen Reichs wieder auf. In der Abwehr der Araber bei Tours und Poitiers 732 nennen sich Karl Martells Männer Europäer. Und Karl der Große wird Pater Europae genannt. Mit seiner Kaiserkrönung aber setzt er sich selbst in die Tradition des Imperium Romanum. Von translatio und renovatio imperii ist die Rede. Dadurch kommt es zu zwei wichtigen Verschiebungen. Politisch hat dieses Europa sein Zentrum im nordalpinen Raum. Aber sowohl die politische Legitimation als auch die kulturelle Prägung als auch die religiöse Autorität, der Papst, bleiben römisch. Und die andere Neuerung: Dieses Europa, genauer Westeuropa, grenzt sich nicht mehr primär von Asien ab, das ist allzu fern, sondern von Ostrom, Byzanz, allerdings nicht als die große Gefahr oder der Erbfeind, sondern mit dem Anspruch des westlichen Kaisers auf Ebenbürtigkeit mit dem oströmischen, die dann durch die Eheschließung Ottos III. mit Theophano besiegelt wird. Der Papst erhebt sogar den Anspruch eines Vorrangs vor den Patriarchen Ostroms. Und 772 benutzt zum letzten Mal eine Papsturkunde die Datierung nach Regierungsjahren des (oströmischen) Kaisers. Im Fortgang des Mittelalters verliert aber das Wort Europa wieder seine Identifikationsfunktion. Das romanisch-germanisch-westslawisch-ungarische Europa nennt sich Corpus Christianum, die Christenheit. 3. Erst in der Aufklärung wird Europa wieder Identifikationsbegriff, diesmal aber nicht in Abwehr einer Gefahr, sondern in neuem Selbstbewusstsein: auf allen Weltmeeren fahren Europas Schiffe. Und als Überbrückung der tiefen Gräben, die die verheerenden Konfessionskriege gerissen hatten. 5 Die in dem Wort Aufklärung steckende Lichtmetapher: Sonnenaufgang wird kontrastiert mit der Finsternis nicht so sehr anderer Erdteile (dann würde ja zu Europa der Sonnenuntergang gehören: „Abendland“), sondern mit der Finsternis dunkler Zeiten des Aberglaubens, des „Mittelalters“. Das Vernunftrecht, die Vernunftmoral, die vernünftige Religion sollen die Zerstrittenen einen, vernünftig geordnete Verhältnisse den Wohlstand mehren. Dieses Europa der Vernunft ist endlich erwachsen, mündig geworden oder lateinisch emanzipiert. Es blickt sich um und sieht, so Schiller in seiner Jenaer Antrittsvorlesung, in den Völkerschaften anderer Kontinente die Stadien der eigenen Kindheit und Jugend, die es selbst hinter sich gelassen hat, anschaulich versammelt. Der Fortschrittsgedanke, dem die Geschichtsphilosophie Ausdruck verleiht, begründete einen kulturellen Vorrang Europas, der, wie wir wissen, der Nährboden wurde für einen imperialen Anspruch Europas. 4. Ein ganz anderes Europabewusstsein entwickelt die deutsche Romantik. Friedrich Novalis, Die Christenheit oder Europa (1799) bricht einerseits mit dem aufklärerischen Vorurteil, das Mittelalter sei vor allem die finstere Zeit gewesen, um dagegen eine Verherrlichung des Mittelalters zu setzen. Die Gegenwart, Reformation und Aufklärung, werden nun zur finsteren Zeit des „Stubenverstandes“ erklärt, der „Fantasie und Gefühl, Sittlichkeit und Kunstliebe, Zukunft und Vorzeit“ verketzert, „den Menschen in der Reihe der Naturwesen mit Noth oben an“ setzt und das Weltall als „eine sich selbst mahlende Mühle“ begreift, „eine Mühle an sich, ohne Baumeister und Müller“. Aber die Zeit dieses finsteren „Mittelalters“ ist abgelaufen. Novalis erwartet die Auferstehung Europas. „Nur die Religion kann Europa wieder aufwecken und die Völker sichern, und die Christenheit mit neuer Herrlichkeit sichtbar auf Erden in ihr altes friedenstiftendes Amt installieren.“ „Keiner wird dann mehr protestiren gegen christlichen und weltlichen Zwang, denn das Wesen der Kirche wird ächte Freiheit seyn, und alle nöthigen Reformen werden unter der Leitung derselben, als friedliche und förmliche Staatsprozesse, betrieben werden.“ „Die andern Welttheile warten auf Europas Versöhnung und Auferstehung, um sich anzuschließen und Mitbürger des Himmelreichs zu werden.“ Am Rande vermerke ich, wie ähnlich die romantische Zukunftserwartung des Novalis der Marxschen ist. Gemeinsam ist beiden die spiritualistische Anthropologie des eindeutig und allseitig werdenden Menschen in einem Himmelreich auf Erden. Joachim von Fiore lässt grüßen. Auf ähnliche Weise hat Friedrich Schlegel das „christliche Abendland“ beschworen. Beide beschreiben die Moderne als Verfallsgeschichte, Europa muß erst wieder werden, was es einmal war: christlich. Das verbindet sich mit dem Topos „christliches Abendland“. Der Ausdruck „Abendland“, der im 16.Jh in Analogie zu Luthers Wortschöpfung „Morgenland“ gebraucht wird, aber zumeist im Plural, wird erst im ersten Drittel des 19. Jh. geläufig, und zwar aus diesem Kontext heraus. Als Kampfbegriff hat er noch einmal Auftrieb erhalten in den Reaktionen auf Oswald Spenglers Buch „Der Untergang des Abendlands“ (1918/22). Dieser hatte in biologistischer Manier die Weltkulturen wie Organismen beschrieben, die die Stadien von Blüte, Reife und Verfall durchlaufen und dem Abendland den Untergang durch Dekadenz diagnostiziert. Besonders in der katholisch-konservativen Publizistik ist der Ausdruck zu Hause gewesen (vgl. die Zeitschrift „Neues Abendland“, erschienen bis 1958). 5. „Europa“ nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Zuge der westeuropäischen Einigung ist Europa noch einmal ein Kulturbegriff, mit dem Unterschied, dass die Selbstidentifikation nun eine Aufgabe ist, die einen realen Vereinigungsprozess begleiten soll. Was verband diese Europäer, die in Wahrheit bis 1989 die West- und Nordeuropäer waren? Bei den einen spielte das Herodotmotiv, Gefahr aus dem Osten, eine wichtige Rolle, bei anderen das romantische Motiv vom christlichen Abendland. In den politischen Gestaltungsprozessen selbst aber hat sich die Aufklärungstradition durchgesetzt. Die Staaten, die sich in den europäischen und atlantischen Vereinigungen zusammengeschlossen haben, verlangen von einander die Anerkennung der Menschenrechte, des Rechtsstaats, der Demokratie und der wettbewerbsorientierten, aber antimonopolistischen Marktwirtschaft. Seit 1989 hat sich die Situation noch einmal verändert. Es gibt keine „Gefahr aus dem Osten“ mehr. Die mittelost- und osteuropäischen Länder streben selbst in die atlantischen und europäischen Vereinigungen. Sie wollen ordnungspolitisch westlich sein. Was aber verbindet uns als Europäer? Darüber gehen die Vorstellungen offenbar weit auseinander. Manche dieser Länder, besonders Polen, hofften, in ein christliches Abendland zurückzukehren und stellen mit Erstaunen fest, dass der Westen so christlich gar nicht ist. Nach dem Ende des Kommunismus kommt in diesen Ländern die Geschichte verstärkt in Erinnerung, gelegentlich mit einem antimodernen Affekt verbunden. 6 Aber auch in den westlichen Ländern ist in einem tieferen Sinne unklar, was Europäer verbindet. Gibt es einen bleibend gültigen Bezug auf europäische Traditionen – und auf welche? Gemessen an Kirchenmitgliedschaft und christlich geprägter Lebenspraxis ist auch Westeuropa nicht „christlich“ im Sinne einer explizit christlich geprägten Kultur, wenn auch die Kirchen ein größeres öffentliches Gewicht besitzen als in vielen ehemals sozialistischen Ländern, allerdings mit dem Unterschied, dass in einigen der ehemals sozialistischen Ländern ein praktischer Atheismus dominiert, dem mit dem Christentum die Dimension der Religiosität im ganzen unendlich fern gerückt ist, während im Westen ein gewaltiger Esoterikmarkt zum unverbindlichen Experimentieren mit exotischer Religiosität einlädt. Ist das „Projekt der Moderne“ durch postmoderne Beliebigkeit gefährdet, wie Jürgen Habermas befürchtet? Was ist überhaupt das spezifisch Europäische? Prof. Dr. Richard Schröder, Humboldt-Universität zu Berlin, Sommersemester 2001 http://lkg.jalb.de/lkg/jsp/news.jsp?news_id=495&lang=de&side_id=2 (12.5.2009) 2. Christentum 2.1. Christentum in Europa Heute zeichnet sich das Christentum durch eine Vielzahl von Kirchen, Konfessionen, Denominationen und Gemeinschaften aus. Derzeit gibt es weltweit ca. 2,1 Milliarden Christen (ca. 1/3 der Weltbevölkerung). Zu den größten Konfessionen zählen die katholische (mit über 1 Milliarde Mitgliedern 56% der Gesamtchristen), die protestantische, die anglikanische Kirche sowie die orthodoxen Kirchen. Die Hauptverbreitungsgebiete des Christentums liegen heute in Europa, Afrika, Amerika, Australien sowie auf den Philippinen. 531 Mill. Christen leben in Europa, in Lateinamerika sind es 511 Mill., in Afrika 389 Mill., in Asien 344 Mill. und in Nordamerika 226 Mill. Während in Europa sowie den USA die Zahl der Christen abnimmt, steigt sie in den Ländern der beiden Kontinente Lateinamerika und Afrika sowie in Asien (ca. 2,36% p.a.) stetig an, so dass dort heute 60% aller Christen leben. In Deutschland sind 57 Millionen Bürger christlichen Glaubens, das sind 70% der Gesamtbevölkerung. Sie unterteilen sich in 25,9 Mill. Katholiken, 25,6 Mill. Portestanten und 1,2 Mill. orthodoxe Christen. Die Bundesrepublik ist ebenso wie beispielsweise England kein laizistischer Staat. Die beiden Großkirchen haben einen Kirchenvertrag (evangelische Kirche) bzw. ein Konkordat (katholische Kirche) mit dem Staat abgeschlossen. Anders sieht dies beispielsweise in den USA oder Frankreich aus, hier gibt es eine strikte Trennung zwischen Staat und Kirche(n). Die Bezeichnung „Christen“ stammt von Jesus von Nazareth, der als Ursprung des heutigen Christentums gesehen werden kann. Laut der Apostelgeschichte (11,26) geben die Bewohner der Stadt Antiochia den Christen ihren Namen. Da die Anhänger Jesu’ quasi eine Sekte innerhalb des Judentums bildeten, handelt es sich bei den ersten Christen um Juden. Jesus wird von seinen Anhängern als Sohn Gottes und Messias verehrt. Nach seinem Tod breitet sich das Christentum rasch aus. Da es nicht exklusiv ist, finden sich bald auch nichtjüdische Menschen unter den Anhängern der neuen Religion. Unter den damals herrschenden Römern wird das Christentum hart verfolgt. Dieser Teil der christlichen Geschichte endete mit Kaiser Konstantin im Jahre 313 (konstantinische Wende). Durch das erlassene Toleranzedikt (Zwei-Kaiser-Edikt) wird auch das Christentum zu einer erlaubten Religion im Römischen Reich und auch Konstantin selbst konvertiert. Damit ist die Karriere des Christentums unaufhaltsam. Nach 300 Jahren sind ca. 10-15% der Bevölkerung des Römischen Reiches Christen. Bereits Theodosius I. macht es 380 zur einzig zugelassenen Religion im Römischen Reich. Am Ende der Spätantike umfasst das Verbreitungsgebiet des Christentums das Römische Reich sowie Armenien und Äthiopien. Mit dem Zerbrechen des Römischen Reiches, beginnt eine unterschiedliche Entwicklung innerhalb des Christentums. 7 Während im Osten mehrere Patriarchen von gleichem Rang nebeneinander existierten, gibt es im Westen als höchste Instanz den Bischof von Rom (den Papst). Seine Autorität erhält der Bischof von Rom durch Petrus und ist somit der Stellvertreter Christi auf Erden. Zur endgültigen Aufspaltung der Kirche kommt es durch das „Morgenländische Schisma“. Ein Prozess, der sich nach heutigen Erkenntnissen über mehrere Jahrhunderte hinzieht und auf kirchenpolitische Faktoren zurückzuführen ist. Ein prägnantes Datum in diesem Zusammenhang ist das Jahr 1054, in dem Papst Leo IX. den Patriarchen von Konstantinopel exkommuniziert. Aufspaltungen innerhalb des Christentums Eine weitere Verbreitung erreicht das Christentum in Europa durch Wanderprediger, die das westliche Europa christianisieren, während der Balkan und das westliche Russland von Konstantinopel aus christianisiert werden. 1095 kommt es zur Ausrufung des ersten Kreuzzugs, der 1099 zur Eroberung Jerusalems führt. Ein Rückschlag ereignete sich im Spätmittelalter, als das Papsttum mit dem „abendländischen Schisma“ (1378-1417) zu kämpfen hat, Konstantinopel 1453 an die Osmanen fällt und der Humanismus in Europa immer mehr an Boden gewinnt. Im 16. Jh. folgt die Reformation, die zu einer weiteren Kirchenspaltung führt. Der weiteren Ausbreitung des Christentums indes tut dies keinen Abbruch. Mönchsorden folgten den europäischen Entdeckern und beginnen damit das Christentum in Lateinamerika, an den Küsten Afrikas und in Asien zu verbreiten. Im 18. Jh. beginnt die sich in Europa durchsetzende Aufklärung, am christlichen Monopol einer Weltanschauung, zu kratzen. Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 5., aktual. Aufl. Opladen: Leske+Budrich 2003. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2003. 2.2. Christentum in Deutschland Kirchen (K.) sind organisierte Gemeinschaften von Christen. Ihr gemeinsames Merkmal ist der Glaube an Jesus Christus und seine im Neuen Testament enthaltene Botschaft, die weltweite Verkündigung dieser Botschaft, die Feier der Liturgie und der Sakramente, insbesondere der Taufe und der Eucharistie bzw. des Abendmahls sowie die Diakonie, das Handeln gemäß dem Evangelium. Die Gemeinde der Jünger Jesu war noch keine K. Nach dem Selbstverständnis aller Christen ist die K. die Befreiung von Sünde vermittelnde und Erlösung verheißende Gemeinde Christi zwischen seiner Himmelfahrt und seiner Wiederkunft am Ende der Zeit. Sie lebt vom Hl. Geist. Sie unterscheidet sich von Parteien, Verbänden und Interessengruppen dadurch, dass sie nicht von Menschen gegründet, sondern auf Gottes Wort hörende Stiftung Christi ist. Sie erhebt einen öffentlichen Anspruch. Sie versteht ihren Auftrag als Dienst an der Einheit der Menschheit. 8 Die katholische K. in D. ist in 27 Bistümer gegliedert. Rund 26,8 Mio. Katholiken leben 2001 in rund 13.100 Pfarreien. Ihr Bevölkerungsanteil beträgt knapp 33%. Rund 16,5% nehmen regelmäßig am Gottesdienst teil. Ihr Kn.steueraufkommen belief sich 2001 auf 4,35 Mrd. In den Pfarreien und sonstigen Einrichtungen der K. leisteten 2000 17.129 Priester und Ordensgeistliche ihren pastoralen Dienst (davon ist ein Drittel allerdings als Pensionäre nur noch sehr eingeschränkt im Dienst). Der Deutschen Bischofskonferenz, die zweimal jährlich zur Vollversammlung zusammentritt, gehören 2002 69 Bischöfe und Weihbischöfe an. Das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz befindet sich in Bonn, das Kommissariat der deutschen Bischöfe, die Vertretung der katholischen Kirche bei der Bundesregierung (Katholisches Büro), ist 1999 mit Bundesregierung und Bundestag nach Berlin gezogen. Leiter ist seit 2000 Prälat Karl Jüsten. Die gesellschaftliche Präsenz der Katholiken umfasst einerseits ein vielgliedriges Verbands- und Vereinswesen, andererseits zahlreiche Institutionen und Aktivitäten im Bereich der Caritas, des Bildungssystems und der Medien. Die nach Berufen oder Ständen – z.B. von Arbeitnehmern, Unternehmern, Handwerkern, Landwirten, Lehrern, Professoren, Ärzten, Ingenieuren, Journalisten oder Soldaten, von Frauen, Männern, Jugendlichen oder Eltern – organisierten Verbände sind freie Initiativen von Katholiken. Sie werden also nicht im Auftrag kirchlicher Amtsträger, sondern aus eigenständiger christlicher Verantwortung von Laien gegründet. Die Mehrzahl dieser Verbände (etwa 100) ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der katholischen Verbände Ds. Insgesamt dürfte die Zahl der katholischen Verbände bei etwa 120 liegen. Zu den bedeutendsten gehören das Kolpingwerk, der Bund katholischer Unternehmer, die Katholische Arbeitnehmerbewegung, der Katholische Deutsche Frauenbund, der Familienbund der Deutschen Katholiken und der Bund der deutschen Katholischen Jugend. Erstes Ziel der Verbände ist die Förderung der Bereitschaft und der Fähigkeit der Mitglieder, den Glauben zu bezeugen und zu bilden, sich im öffentlichen Leben zu engagieren und untereinander Kontakt zu pflegen. Im Zentralkomitee der deutschen Katholiken haben sich die Verbände 1868 eine nationale Organisation gegeben. Es hat 220 Mitglieder aus Verbänden, geistlichen Bewegungen, Bistümern sowie hinzugewählte Einzelpersönlichkeiten. Durch die Verteidigung der nachweispflichtigen Schwangerschaftskonfliktberatung und die Gründung des diesem Zweck dienenden Vereins "Donum Vitae" hat sich das Zentralkomitee 1999 in einen Konfrontationskurs zu Papst Johannes Paul II und einem erheblichen Teil der deutschen Bischöfe begeben. Sein Ruf als Repräsentanz des deutschen Laienkatholizismus wird zunehmend in Frage gestellt. Im Bereich der sozialen Fürsorge unterhielt die katholische K. 2001 durch den deutschen Caritasverband 25.699 Einrichtungen, darunter 749 Krankenhäuser und Kurkliniken mit rund 133.000 Betten und 1.805 Altenheime mit 124.300 Plätzen. In diesen Einrichtungen waren rund 495.000 hauptamtliche Mitarbeiter (285.000 Vollzeit- und 210.000 Teilzeitbeschäftigte, darunter rund 15.000 Ordensangehörige und 26.000 Zivildienstleistende) tätig. Aufgrund des in der Verfassung und im politischen System D.s fest verankerten Subsidiaritätsprinzips und der Freiheit der K. erfreuen sich diese Einrichtungen nicht nur hoher gesellschaftlicher Wertschätzung, sondern auch starker staatlicher Subventionierung. Hinzu kommt rund eine halbe Million ehrenamtlich engagierter Katholiken in Gemeinden und Verbänden. Die zur Milderung der Not in der Dritten Welt und in den ehemals sozialistischen Ländern errichteten kirchlichen Hilfswerke "Misereor", "Adveniat", "Renovabis", "Missio" und "K. in Not" fördern Entwicklungs- und Seelsorgeprojekte in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa. So hat Misereor von 1959 bis 2001 mit rund 4,5 Mrd. über 85.000 Projekte unterstützt. 2001 wurden für 1.519 Projekte 267,1 Mio. DM bewilligt. Die Mittel stammen aus der jährlichen Kollekte und aus Spenden sowie aus kirchlichen Haushaltsmitteln, staatlichen Zuschüssen (rund 50%) und Zinsen. Im Bildungssystem unterhielt die katholische K. 2000 1.137 allgemein- und berufsbildende Schulen, die von rund 351.700 Schülern (ca. 3% aller Schüler, im Sekundarbereich ca. 10%) besucht wurden. Davon sind rund 10% (in den neuen Bundesländern rund 65%) nicht katholisch. Darüber hinaus unterhält die K. zahlreiche Erwachsenenbildungswerke, Heimvolkshochschulen, Akademien, sieben Fachhochschulen, die vor allem für soziale Berufe ausbilden, Theologische Hochschulen und die Katholische Universität Eichstätt. Im Medienbereich sind die Katholiken mit rund 130 verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften, Wochen- und Monatsblättern, Verbandsorganen und Bistumszeitungen mit einer Gesamtauflage von 6,3 Millionen präsent. Darüber hinaus besitzen sie ein geregeltes Mitspracherecht in den öffentlichrechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten und arbeiten mit privaten Sendern zusammen. 9 Die Evangelische K. in D. besteht nach der am 24.2.1991 beschlossenen Wiedervereinigung mit dem Bund der evangelischen Kn. der ehemaligen DDR aus 24 Landeskn. Sie zählen 2001 26,6 Mio. Mitglieder – knapp 33% der deutschen Bevölkerung – in 17.600 Kn.gemeinden. Die Quote der Gottesdienstteilnehmer beträgt ca. 4,0%. Das Kn.steueraufkommen betrug 2001 4,04 Mrd. 23.921 Theologen standen 1999 im aktiven Dienst der K. Der Anteil der evangelischen Christen an der Bevölkerung der neuen Bundesländer, der vor der Wiedervereinigung noch auf 46% geschätzt wurde, beträgt nach jüngsten Umfragen nur knapp 21%, jener der Katholiken nur knapp 5%. Die ehemalige DDR ist unter allen ehemals sozialistischen Staaten zusammen mit der Tschechischen Republik das Land mit dem höchsten Grad der Entchristlichung. Die zentralen Leitungsorgane der EKD sind der alle sechs Jahre von der Synode und der Kn.konferenz zu wählende Rat der EKD, aus dessen Mitte die Synode den Ratsvorsitzenden wählt, und die meist einmal jährlich tagende Synode. Der Rat besteht seit seiner 1997 beginnenden 10. Amtsperiode wieder aus 12 und die Synode aus 120 Mitgliedern. Ratsvorsitzender ist z.Zt. der Präses der rheinischen Kirche Manfred Kock. Die Synode ist das Gesetzgebungs- und Haushaltsorgan der EKD. Zu ihr gehören eine Reihe von Kammern und Ausschüssen, die alle nach außen gerichteten Gemeinschaftsaufgaben der EKD wahrnehmen und in zahlreichen Denkschriften die Positionen der EKD zu Fragen der Politik, des Staates, der Gesellschaft, der Wirtschaft, der Kultur, der Bildung und der Wissenschaft artikulieren. In der Kn.konferenz ist jede Landes-K. mit einer Stimme vertreten. Sekretariat des Rates, der Synode und der Kammern ist das Kn.amt in Hannover. In Berlin unterhält die EKD die Einrichtung eines Bevollmächtigten am Sitz der Bundesregierung (z.Zt. Stephan Reimers). Die gesellschaftliche Präsenz der evangelischen Christen kommt zum einen in zahlreichen kirchlichen Einrichtungen, zum anderen im Evangelischen Kn.tag zum Ausdruck. Ein dem Katholizismus vergleichbares Verbandswesen existiert nicht. Unter den kirchlichen Einrichtungen ragt das 1957 gegründete Diakonische Werk (DW) hervor. Es leistet Hilfe für Behinderte, Alte, Kranke, Obdachlose, Straffällige, sittlich Gefährdete sowie im Bereich der frühkindlichen Erziehung, der Jugend- und Familienfürsorge. Es bietet aber auch seelsorgerische und missionarische Dienste sowie Hilfen zur Bewusstseinsbildung an, die zum Glaubenszeugnis und zur Wahrnehmung der christlichen Weltverantwortung befähigen sollen. Die Basis des DW, dem die EKD, die diakonischen Werke der Landes- und Freikn. sowie über 90 Fachverbände angehören, sind über 26.000 selbständige Rechtsträger – Krankenhäuser, Heime, Anstalten, Kindergärten, Beratungsstellen -, in denen 2000 400.480 Mitarbeiter beschäftigt waren (227.288 Vollzeit- und 173.192 Teilzeitmitarbeiter). Darüber hinaus sind in den Pfarrgemeinden und Einrichtungen des DW rund 300.000 bis 400.000 ehrenamtliche Mitarbeiter tätig. Auch die 1958 gegründete Hilfsaktion "Brot für die Welt", die Entwicklungsprojekte in der Dritten Welt fördert, gehört zum DW. Sie bewilligte 2000 105,2 Mio. DM. Daneben bewilligte der Kirchliche Entwicklungsdienst der Landeskirchen noch einmal 101,4 Mio. DM und die Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe aus öffentlichen Mitteln 150,2 Mio. DM. Im Bildungsbereich unterhalten die Landeskn. rund 120 allgemein- und berufsbildende Schulen sowie eine Reihe von Erwachsenenbildungswerken, Fachhochschulen, Akademien, Predigerseminaren und Theologischen Hochschulen. Der Deutsche Evangelische Kn.tag wurde 1949 gegründet. Er ist eine aus der Laienbewegung hervorgegangene freie evangelische Institution ohne organisatorische Bindung an die EKD und ihre Gliedkn. Er will, so die Präambel seiner Ordnung, "die evangelischen Christen in Deutschland sammeln, sie im Glauben stärken, sie für die Verantwortung in ihrer K. rüsten, sie zum Zeugnis in der Welt ermutigen und mit ihnen in der Gemeinschaft weltweiter Christenheit bleiben." Er findet alle zwei Jahre im Wechsel mit dem Deutschen Katholikentag statt. Der letzte Kirchentag fand 2001 in Frankfurt statt. Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 5., aktual. Aufl. Opladen: Leske+Budrich 2003. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2003. 10 2.3. Christentum und Säkularisierung Der Staat, wie er sich in der europäischen Neuzeit herausgebildet hat, versteht sich als weltlich. Nach dem Zerbrechen der christlichen Glaubenseinheit in der Reformation und den Konfessionskriegen war der Staat nicht mehr aus gemeinsamem Glauben legitimierbar. Neue Staatstheorien begründeten ihn in der Idee eines Gesellschaftsvertrags. Seine Zuständigkeit bezog sich nicht mehr auf den Glauben und das ewige Heil seiner Bürger; seine Hauptaufgabe wurde die Wahrung des gesellschaftlichen Friedens durch die Mittel weltlichen Rechts. Dieses erhob nicht mehr den Anspruch auf Wahrheit, sondern auf Verbindlichkeit. Die Theorie ist klassisch zusammengefasst bei Thomas Hobbes: Auctoritas, non veritas facit legem – Autorität, nicht Wahrheit schafft Recht. Der Rückzug des Staates aus dem Streit um religiöse Wahrheit geschah schrittweise, er ermöglichte aber zugleich Religionsfreiheit und Religionsfrieden. Religion und Kirchen müssen deshalb auch um ihrer selbst willen Weltlichkeit und religiöse Neutralität des modernen Staates anerkennen. Das war für die Kirchen ein langer, schwieriger Weg. Die ältere Vorstellung vom christlichen Gemeinwesen kannte zwar die zwei Gewalten, die geistliche und die weltliche. Aber letztlich sollte die Christenheit gemäß dem gemeinsamen Glauben regiert werden. Diese Vorstellung blieb bis weit ins 19. Jahrhundert in den Kirchen mächtig. In den evangelischen Landeskirchen Deutschlands verstanden sich die Landesherren als christliche Obrigkeit. Für die katholische Staatslehre formulierte Papst Leo XIII. (1878 – 1903) zwar einerseits, Heilssorge sei nicht Aufgabe des Staates, sondern der Kirche, und diese sei neutral gegenüber den Staatsformen; er hielt aber andererseits am Ideal des christlichen Staates fest, der im Einvernehmen mit der Kirche und deren Lehren seine weltlichen Aufgaben wahrnehmen sollte. Heute sieht die christliche Theologie und Sozialethik in Übereinstimmung mit der politischen Philosophie klarer als früher, dass die Säkularisierung auch eine geschichtliche Folge christlichen Glaubens ist. Dieser relativiert als Glaube an einen transzendenten Gott alle irdischen Mächte und macht ihren Absolutheitsanspruch unmöglich. Er unterscheidet "zwei Reiche" ("Mein Reich ist nicht von dieser Welt", Johannes-Evangelium 18,36); er stellt die Gewissensüberzeugung des Einzelnen über den Gehorsam gegenüber dem Gesetz ("Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen", Apostelgeschichte 5,29); er leitete ein Auseinandertreten von Religion und Politik, von Staat und Kirche ein und wurde im Laufe der abendländischen Geschichte zum Element fortschreitender Gewaltenteilung. Der frühere Widerstand der Kirchen gegen den säkularen Staat wird historisch bis zu einem gewissen Grad verständlich, weil sich mit diesem, vor allem in der Französischen Revolution, massive Religionsund Kirchenfeindlichkeit, aber zugleich auch der Versuch, Glauben und Kirche dem neuen Staat dienstbar zu machen, verband. Allgemein gilt in den westlich-demokratischen Staaten heute das Prinzip: freie Kirche im freien Staat. http://www.bpb.de/publikationen/CF6JC8,1,0,Christliche_Ethik_im_s%E4kularen_Staat_freiheitlicher_Verfassung.html#art1 (22.05.2009) 2.4. Grundinformationen Christentum Christentum ist die von Jesus Christus abgeleitete Bezeichnung für die größte der Weltreligionen, der mit rund zwei Milliarden Menschen ein Drittel der Weltbevölkerung anhängt. Vor knapp 2 000 Jahren in der römischen Provinz Palästina entstanden, breitete sie sich zunächst über die Städte des Imperium Romanum aus, fasste aber auch im Perserreich Fuß und gelangte bis nach Indien. Im 4. Jahrhundert wurde sie zur Staatsreligion des römischen Reiches. Im 7. Jahrhundert und im weiteren Verlauf der Ausbreitung des Islam gingen die Kernländer verloren; aus dem Patriarchat Rom entstand das christliche Abendland, die Christenheit des Mittelalters. Infolge der weltweiten Kolonisation durch die christlichen Länder, der die Mission folgte, wurde das Christentum dann zu der Weltreligion mit den meisten Anhängern. Im Lauf seiner Geschichte hat sich das Christentum in zahlreiche Kirchen, Konfessionen, Denominationen und Gemeinschaften aufgefächert. 11 Die größte Kirche ist die römisch-katholische Kirche mit über einer Milliarde Mitgliedern, der damit mehr als die Hälfte der Christen (etwa 56 %) angehören. Protestanten und Anglikaner bilden zusammen etwa 25 Prozent; knapp über 9% gehören einer der orthodoxen Kirche an. Geographisch ist das Christentum in allen Erdteilen verbreitet, schwerpunktmäßig aber in Europa, Amerika, Afrika, Australien und auf den Philippinen. In der Bundesrepublik Deutschland gehörten vor 1989, also noch vor der Wiedervereinigung, 88% der Bevölkerung einer der beiden großen christlichen Kirchen an; 2000 waren es in Gesamtdeutschland etwa 70%. Jesus von Nazareth: Im Zentrum des Christentums steht die geschichtliche Person des Jesus von Nazareth. Neben den relativ knappen Berichten über Kindheit und Jugend im Matthäus- bzw. Lukasevangelium existieren legendarische Überlieferungen, die über die Aufnahme in die Bildthematik der christlichen Kunst Eingang in die Volksfrömmigkeit fanden. Das älteste Evangelium, das Markusevangelium (geschrieben um 70 n. Chr., also eine Generation nach den berichteten Ereignissen), setzt mit der Taufe Jesu durch den Bußprediger Johannes am Jordan ein. Das sich anschließende öffentliche Wirken Jesu dauerte etwa zwei Jahre; die Hinrichtung durch Tod am Kreuz erfolgte mit großer Wahrscheinlichkeit im Jahr 30. Die Kindheitserzählungen der Evangelien berichten von der Geburt in Bethlehem; der Heimatort Jesu ist jedoch Nazareth in Galiläa. In der Nähe von Nazareth lag mit Sepphoris eine hellenistisch-jüdisch geprägte Stadt, die der junge Jesus gekannt haben muss. Er trat als Wanderprediger auf; das Zentrum seines öffentlichen Wirkens war Kapernaum am Nordufer des Sees Genezareth, das auch Wohnort des Petrus war. Die Verhältnisse in Galiläa (Spannungen zwischen Heiden und Juden, Stadt und Land, Arm und Reich, römischer Besatzungsmacht und Widerständlern) sind für das Verständnis seiner Verkündigung bedeutsam. Im Zentrum der Predigten Jesu steht die Gottesherrschaft oder Königsherrschaft Gottes (Reich Gottes), die als nahe bzw. auch schon als gegenwärtig verkündet wird. Die Predigt ist zugleich Gerichts- und Heilspredigt. Steht die Gottesherrschaft im Zentrum der Verkündigung Jesu, so bilden Heilungen und Exorzismen ein Zentrum seines Wirkens; charakteristisch sind jedoch symbolische Handlungen: die Erwählung der Zwölf (die in der Tradition zu den zwölf Aposteln werden), die Aussendung der Jünger, die Tischgemeinschaft mit Zöllnern und Sündern, der Einzug in Jerusalem, die Tempelreinigung und das letzte Abendmahl. Als Jesus mit seinen Anhängern zum Passahfest nach Jerusalem zog und seine Verkündigung mit der prophetischen Symbolhandlung der Tempelreinigung unterstrich, musste ihm klar sein, dass das den Tod bedeuten konnte. In den Passionsgeschichten der Evangelien werden drei Gruppen genannt, die bei Prozess und Hinrichtung Jesu eine Rolle spielen: die Römer mit Pilatus; die jüdische Tempelaristokratie mit dem Synedrium und den Hohepriestern Hannas und Kaiphas sowie das Volk, das ihm zunächst zujubelt, dann aber seine Verurteilung fordert. Auffällig ist, dass bei der Gefangennahme Jesu alle seine Anhänger fliehen; nur einige Frauen, heißt es im Evangelium nach Markus (Markus 15, 40), die ihm gefolgt waren, sahen von weitem zu, als Jesus mit einem Aufschrei am Kreuz starb. Auf den Tod Jesu folgt mit der Auferstehung, was die christliche Theologie abstrakt das Ostergeschehen nennt: auf diesem Ereignis gründet der Glaube der ersten Christen und das Christentum insgesamt. In den Quellen wird es einerseits in Form von Erzählungen über Erscheinungen des von den Toten auferstandenen oder auferweckten Jesus vor seinen Anhängern sowie über die Auffindung des leeren Grabes dargestellt. Andererseits gibt es sehr frühe Formulierungen von Bekenntnissen, dass der hingerichtete Jesus der Christus Gottes ist, der unmöglich vom Tod festgehalten werden könne. Den ältesten Text dieser Art, der in den Jahren um 35 bis 40 entstanden sein muss, zitiert Paulus in seinem 1. Korintherbrief (15, 3-5). Vor allem finden sich derartige prägnante Bekenntnisformeln aber in den Predigten des Petrus, die in der Apostelgeschichte des Lukas überliefert sind, so an prominenter Stelle in der so genannten Pfingstpredigt des Petrus (Apostelgeschichte 2, 14-36): Gott hat den Gekreuzigten zum Kyrios und Christos, d. h. zum Herrn und Messias, gemacht. Damit ist schon die Bezeichnung „Jesus Christus” ein Bekenntnis: Der historische Jesus von Nazareth ist der Christus (griechisch: der Gesalbte), also der Messias des Glaubens. Entfaltet wird die Bedeutung dieser Bezeichnung dann in der theologischen Disziplin der Christologie. 12 Quellen: Die Hauptquelle für die Lehre des Christentums ist die Bibel. Diese besteht aus dem Alten oder Ersten Testament, der jüdischen Bibel, an die eine Auswahl von Schriften aus der Frühzeit des Christentums des 1. Jahrhunderts als Neues Testament angefügt wurde. Im Lauf der Zeit wurde diese Auswahl zum Kanon, zur Richtschnur des Glaubens; Schriften aus der frühen Zeit, die nicht Aufnahme in das Neue Testament fanden, werden Apokryphen genannt. Neben die Bibel, die allerdings oft als die einzige Quelle bezeichnet wird, treten die Bekenntnisse; im frühen Christentum ist dies die so genannte Glaubensregel. Um diese Bekenntnisse und ihre Formulierung bis zum Buchstaben wird während der ganzen Geschichte des Christentums gerungen und gestritten. Die christliche Lehre ist die theologische Auslegung dieser Bekenntnisse, die wiederum die Lehrentwicklung vorantreiben. Wo zusätzliche Offenbarungsquellen die Bibel ergänzen oder in den Hintergrund treten lassen, wie z. B. bei den Mormonen, spricht man von einer neuen religiösen Bewegung oder Religion. Neben Bibel und Bekenntnis tritt als dritte Quelle der so genannte Glaubenssinn. Damit sind das Glaubensbewusstsein der Glaubenden, im weiteren Sinn der gelebte Glaube sowie die vielfältigen Formen der Frömmigkeit gemeint. Sowohl die wechselseitige Kritik christlicher Gruppen aneinander als auch die Religionskritik am Christentum von außen beziehen sich oft mehr auf diese dritte Quelle als auf theologische Auslegungen der Bibel oder des Bekenntnisses. Während die Bibel allen christlichen Gruppierungen gemeinsam ist, unterscheiden sie sich durch die Bekenntnisse bzw. Bekenntnisschriften, die auch Sondertraditionen sein können, und in den Frömmigkeitsstilen. Gotteslehre: Das Christentum übernimmt in der Gotteslehre den jüdischen Monotheismus und verbindet ihn in der Auseinandersetzung mit dem Denken der griechisch-römischen Umwelt mit der Gotteslehre der antiken Philosophie. Da die Christen zu dem einen Gott im Namen Jesu und im Heiligen Geist beten, stellte sich schon früh die Frage, wie das Verhältnis von Gott, Jesus Christus und dem Geist Gottes zu denken sei. Nach einer langen und heftig geführten Auseinandersetzung wurde schließlich die Lehre von der Trinität, der Dreifaltigkeit oder Dreieinigkeit, formuliert: Der eine Gott begegnet in drei Personen, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist, er ist ein dreifaltiger und dreieiniger Gott. Kein anderer Lehrsatz setzt das Christentum so sehr von den anderen Religionen ab. Die Trinitätslehre setzt das Christentum in einen scharfen Gegensatz zum Judentum und auch zum Islam, die darin die Ersetzung des Monotheismus durch eine Dreigötterlehre sehen. Eine Wahrheit, die die Theologen selbst als übernatürliche Offenbarung klassifizieren, hat es schwer, sich gegenüber der natürlichen Vernunft zu behaupten; entsprechend hat die Theologie im Zeitalter der Vernunft und der Aufklärung die Trinitätslehre weitgehend an den Rand des Interesses gerückt. Religionsgeschichte und Religionspsychologie haben dann jedoch gezeigt, dass Trinitätsspekulationen offenbar doch eine Begründung in der religiösen Erfahrung haben. Christologie: In der Trinitätslehre wurde das Verhältnis der drei göttlichen Personen zueinander geklärt; in der Christologie geht es um die nähere Bestimmung des Verhältnisses von göttlicher und menschlicher Natur in Jesus Christus. Nach einem Jahrhunderte dauernden Streit, in dem sich Theologie, Politik und kirchenpolitisches Vormachtstreben unentwirrbar vermischten, wurde auf dem Konzil von Chalkedon 451 die Zweinaturenlehre als Glaubenssatz festgelegt: Jesus Christus ist wahrer Gott und wahrer Mensch. Damit wurden sowohl der Nestorianismus wie der Monophysitismus zurückgewiesen. Eine Vorentscheidung war zuvor auf dem Konzil von Ephesus 431 gefallen, wo festgelegt worden war, dass Maria Gottesgebärerin genannt werden dürfe – was Nestorius, der Bischof von Konstantinopel, abgelehnt hatte: Man könne nur sagen, dass von Maria der Mensch Jesus, nicht aber, dass Gott von ihr geboren worden sei. Während Nestorius in der Tradition der antiochenischen Theologie stand, war sein schärfster Gegner Kyrill, Bischof von Alexandrien, der Hochburg des Monophysitismus, der dazu tendierte, die göttliche Natur in Jesus zu verabsolutieren. Allerdings führte, was in Chalkedon als dogmatische Einigungsformel intendiert war, zur Abspaltung großer Teile der damaligen Christenheit von der Reichskirche. Die Kirche im Persien der Sassaniden bekannte sich zur Zweinaturenlehre des Nestorius und markierte auch so Distanz zur Reichskirche, während sich die äthiopische, koptische und jakobitische Kirche als Monophysiten aus ihr lösten. 13 Pneumatologie: Die Lehre vom Heiligen Geist (griechisch hagion pneuma; lateinisch spiritus sanctus) ist ein eher sperriger Traktat der Theologie. Der Geist Gottes schwebte bei der Schöpfung über der Urflut; von ihm hat Maria Jesus empfangen, er kam bei der Taufe Jesu in Gestalt einer Taube auf ihn herab, und an Pfingsten ließ er sich in Gestalt von Feuerzungen auf den versammelten Jüngern nieder. Er ist die dritte göttliche Person, wird aber nur selten als Person, sondern meistens in Symbolgestalt, eben als Taube oder Feuerzunge, dargestellt. Er leitet die Kirche und hält sie in der Wahrheit, noch mehr beunruhigt er sie aber in Gestalt der Spiritualen und Spiritualisten, die sich wie Joachim von Fiore um 1200 als Vorboten eines „Geistzeitalters” verstehen, das auf die Zeit der Kirche als Reich des Sohnes folgen soll. Spiritualisten begleiteten bereits die Reformation und wollen sie zu Ende führen; sie wurden von Martin Luther aber als Schwärmer und Schwarmgeister verdammt. Siehe auch Montanismus; Quäker; Pfingstbewegung; charismatische Bewegung Kirche und Sakramente: Gemäß der paulinischen Lehre hat Christus die endgültige Versöhnung mit Gott bewirkt: Die Gläubigen sind in Christus ein für allemal geheiligt und sind Glieder seines Leibes, der in der Geschichte durch die globale Gemeinde sichtbar wird. Während in den Evangelien das Wort „Gemeinde” nur selten erwähnt wird und in der Apostelgeschichte eher praktische Aspekte des Gemeindelebens geschildert werden, entwickelt Paulus in seinen Briefen die Lehre von der Gemeinde bzw. Kirche (Ekklesiologie). Als Selbstvergewisserung der Heilsanstalt Kirche geriet die Ekklesiologie nur zu oft zu einer Herrschaftslehre und zu einem Triumphalismus der Hierarchie, der heiligen Herrschaft. Auf die weiteste Überdehnung des Anspruchs im Papsttum des Hochmittelalters folgte allerdings unmittelbar der Niedergang und Machtverfall. In der Theologie der großen christlichen Kirchen werden die Sakramente als Heilsmittel verstanden. Sie gelten als die sichtbare Form der unsichtbaren Gnade. Die Zahl der Sakramente schwankt, bis sich im Hochmittelalter die Siebenzahl von Taufe, Firmung, Eucharistie, Buße, Krankensalbung, Weihe und Ehe durchzusetzen begann. Taufe, Firmung und Weihe können nicht wiederholt werden. Diese sieben Sakramente gelten in der katholischen Kirche und in den Ostkirchen, während die protestantischen Kirchen meist nur die Sakramente Taufe und Abendmahl (Eucharistie) kennen. Der Ablass, eine zum Sakrament der Buße gehörige Praxis, die die römische Kurie in ihr Fiskalsystem eingebunden hatte, wurde zum Auslöser der Reformation. Der Dissens zwischen Luther und Zwingli in der Abendmahlsfrage im Marburger Religionsgespräch 1529 verhinderte die Einheit der deutschen Reformation. Ein weiter Bereich weiterer heiliger Handlungen wird im Katholizismus als Sakramentalien bezeichnet. Glaube und Werke: Grundlage für Ethik und Moral des Christentums ist die Bibel, vor allem der Ethos der Bergpredigt. Auch hier formulierte schon Paulus die entscheidenden Fragen. In persönlicher Gewissensnot las Martin Luther 1500 Jahre später die Paulusbriefe und fand dort die befreiende Einsicht, dass allein die Gnade allein durch den Glauben den Menschen mit Gott versöhnt und die Rechtfertigung des Menschen wirkt. Die Frage, ob man sich das Heil mit Werken der Frömmigkeit im wörtlichen Sinn erkaufen könne, war im 16. Jahrhundert eine drängende Frage. Erst 1999 stellten lutherische und katholische Kirche fest, dass die von Luther und vom Konzil von Trient formulierten Antworten nicht kirchentrennend wirken müsste. So schwer diese Rechtfertigungslehre auch zu verstehen ist – Luther selbst war der Meinung, sie sei eine Angelegenheit für Spezialisten –, so deutlich macht die ständige Erfahrung der Selbstgerechtigkeit, dass damit tatsächlich eine Grundfrage des religiösen Lebens zur Debatte steht. Konfessionskunde: Geschichtlich erscheint das Christentum als kirchlich bzw. gemeindlich verfasstes Christentum, das sich in Raum und Zeit in einer Vielfalt von Kirchen, Konfessionen, Denominationen und Gemeinschaften darstellt. Von Anfang an kam es zu Parteiungen, Spaltungen und Häresien: Von Streit und Eifersucht wusste schon Paulus in Korinth zu berichten. Aufs Ganze gesehen, lassen sich konfessionskundlich drei große Gruppen unterscheiden: die katholischen Kirchen, die orthodoxen Kirchen und die aus der Reformation des 16. Jahrhunderts hervorgegangenen evangelischen Kirchen, wobei die Selbstbezeichnungen jeweils 14 ein Chrakteristikum hervorheben, das aber nicht exklusiv verstanden werden darf: Katholisch (allumfassend), orthodox (rechtgläubig) und evangelisch (am Evangelium orientiert) muss jede Kirche sein. Die katholischen Kirchen: Zu den katholischen Kirchen zählen die aus dem altkirchlichen römischen Patriarchat des Westens hervorgegangene lateinische, römisch-katholische Kirche und die mit ihr verbundenen unierten Ostkirchen. Die römisch-katholische Kirche ist mit über einer Milliarde Mitgliedern die größte christliche Kirche, ihr gehören mehr als die Hälfte aller Christen an; den unierten Kirchen gehören etwa 18 Millionen an. Die katholische Kirche ist von imponierender Geschlossenheit, sie hat im päpstlichen Rom ihren Mittelpunkt und im Papst nicht nur ihr Oberhaupt, sondern auch den weltweit anerkannten Repräsentanten. Gegenüber den evangelischen Kirchen betont die katholische Kirche die Kontinuität einer zweitausendjährigen Geschichte, wobei nicht nur in der Selbstwahrnehmung, sondern auch von Außenstehenden leicht übersehen wird, dass mit der Reformation in der westlichen Christenheit ein epochaler Umbruch stattgefunden hat und sich die römisch-katholische Kirche als Konfession erst in der Folge dieses Umbruchs herausgebildet hat. Zu dem Kontinuitätsanspruch gehört, dass sich die katholische Kirche auch alle Verfehlungen der Kirchengeschichte zurechnen lassen muss, was Papst Johannes Paul II. mit dem Schuldbekenntnis vom 12. März 2000 angenommen hat. Die katholische Kirche ist auch als Weltkirche immer noch eine westliche Kirche, die Kirche des Abendlandes, mit dem Schwerpunkt in Mitteleuropa und Südeuropa. In Europa leben allerdings nur mehr knapp mehr als ein Viertel aller Katholiken, die Mehrzahl lebt inzwischen in der südlichen Hemisphäre. Eine große Mehrheit der Bevölkerung bilden die Katholiken in den meisten Ländern Südamerikas und auf den Philippinen. Aggiornamento – Das Zweite Vatikanische Konzil: Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) verordnete der Kirche das »Heutig-werden« (»Aggiornamento«). Die »Schleifung der Bastionen« war angesagt. Das Verhältnis zur Welt sollte neu bestimmt werden. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es reichlich Impulse zu einer geistlichen Erneuerung. Theologie und kirchliches Leben waren in – wenn auch verhaltene – Bewegung geraten. Das Bewusstsein für Umdenken und Reformen schien vorhanden. Doch die Zentrale in Rom steuerte unbeirrt den Kurs innerer und äußerer Befestigung. Als Papst Johannes XXIII. 1959 ein Konzil ankündigte, sorgte er für allgemeine Überraschung und löste in der Kirche eine Aufbruchstimmung aus. Nach dreijähriger Vorbereitung eröffnete er am 11. Oktober 1962 das Konzil. Er versammelte 2540 Konzilsväter aus allen Teilen der Weltkirche. Hinzu kamen über 200 Theologen als Berater und fast 100 Beobachter aus nicht katholischen christlichen Kirchen. In vier mehrwöchigen Sitzungsperioden diskutierten die Konzilsväter die von Sachkommissionen vorbereiteten Texte; viele davon waren heftig umstritten und mussten überarbeitet werden. Eine Minderheit befürchtete Einbußen in traditionellen Lehraussagen und bisher gültigen kirchlichen Bestimmungen. Doch in sechzehn nach Funktion wie Thema verschiedenen Beschlüssen des Konzils fanden die mehrheitlich vertretenen Reformanliegen ihren Niederschlag; sie zielten auf zeitgemäße Erneuerung der Kirche, Einheit der Christen und Dialog mit der heutigen Welt. Die mehrjährige intensive und höchst produktive Konzilsarbeit bildete einen kirchengeschichtlichen Höhepunkt. Paul VI. schloss am 8. Dezember 1965 die Konzilsversammlung. […] Die vom Konzil angestrebte Öffnung zu den »Anderen« und zur Welt dokumentieren vor allem die Dogmatische Konstitution »Über die Kirche« (lat. Lumen Gentium) und die Pastoralkonstitution »Über die Kirche in der Welt von heute« (lat. Gaudium et Spes). Demnach will die Kirche »Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit sein«. Sie beharrte zwar bei ihrer Überzeugung, als Institution in der Welt sei sie die konkrete Existenzform der einzigen Kirche Christi, aber ihr exklusiver Anspruch wurde abgeschwächt: Es sei nicht auszuschließen, dass es auch außerhalb ihrer Grenzen vielfältige Elemente der Wahrheit und göttliche Gaben gebe. Diese Einsicht ermöglichte den Dialog mit anderen christlichen Gemeinschaften und Religionen. Die erwünschte ökumenische Zusammenarbeit diente dem Ziel, die verlorene Einheit der Christen wiederherzustellen. Mit solchen programmatischen Erklärungen wie mit den theologischen und rechtlichen Grundaussagen in anderen Konzilstexten wurde dem pilgernden Gottesvolk der Weg in die »Welt von morgen« gewiesen. Allerdings ist das Konzil mit dem »Heutig-werden« auf halbem Weg stehen geblieben: 15 In vielen Konzilstexten stehen unterschiedliche Ansichten und Überlegungen nebeneinander; die überlieferte dogmatische Basis ließ sich mit den Reformansätzen oft nicht vermitteln. Deshalb können die Texte verschieden interpretiert werden. Auch nachkonziliare Entscheidungen und Bestimmungen zeigen die unausgetragenen Spannungen. Die Verwirklichung der Konzilsbeschlüsse ist noch nicht abgeschlossen. Beharrende und vorwärtsdrängende Kräfte konkurrieren. Inzwischen hat die Präsenz der modernen Welt innerhalb der römisch-katholischen Kirche zugenommen. In der Theologie wie in der kirchlichen Lebenswirklichkeit mehren sich die Anzeichen des zeitgenössischen Pluralismus’. Dogmatische Vorgaben werden in der Glaubensverkündigung und den Verhaltensweisen des Kirchenvolkes vernachlässigt. Die Regionalisierung der Weltkirche birgt eine große Entwicklungsdynamik in sich und verleiht der Vielfalt neue und schärfere Konturen. Die stetigen Demonstrationen des päpstlichen Zentralismus begleiten die wachsende Pluralität. Die Papstreisen Johannes Pauls II. durch die Kontinente und die Sachentscheidungen vatikanischer Behörden zeugen von einer »latenten Restauration«. Ob mit hierarchisch gedachten Konzepten der Wandel des Glaubensklimas an der »Peripherie« zu kanalisieren und zu bewältigen ist, bleibt vorerst eine offene Frage. Für die römisch-katholische wie für jede andere christliche Kirche gilt: »Ecclesia semper reformanda« – »die Kirche muss ständig reformiert werden«. Prof. Dr. Dr. Erwin Fahlbusch (c) Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, 2008 Orthodoxe Kirchen des Ostens: Den gleichen Anspruch auf Kontinuität mit der Kirche des Altertums wie die katholische Kirche erheben die orthodoxen Kirchen, die sich in der Nachfolge der vier Patriarchate im Osten des römischen Reiches sehen. Das Verhältnis der fünf Patriarchate der alten Kirche war immer auch von Rivalitäten bestimmt; es gab unterschiedliche Konstellationen und Koalitionen, doch zeichnete sich ab der Mitte des 1. Jahrtausends bereits die Bruchlinie zwischen Ost und West ab. Durch das Vordringen des Islam gerieten die Patriarchate von Alexandria, Jerusalem und Antiochia unter Fremdherrschaft; 1453 wurde schließlich auch Konstantinopel von den Osmanen erobert und der Patriarch von Konstantinopel zum Schutzherrn der Christen unter muslimischer Herrschaft, während die neue russische Kirche den Anspruch erhob, nun das Zentrum der östlichen Christenheit zu sein. Die Einheit zwischen Ost- und Westkirche war nach mehreren Schismen und Unionen 1054 endgültig zerbrochen. Noch folgenreicher war allerdings die Eroberung Konstantinopels durch die lateinischen Kreuzfahrer im Jahr 1204. Unter der Herrschaft des Osmanischen Reiches verstärkte sich im Osten das Bewusstsein der Koinzidenz von Nation und Konfession – in der Neuzeit wurde dies zu einem Hauptcharakteristikum der Orthodoxie, so dass sich die Ostkirchen heute als Nationalkirchen darstellen. Zur Gemeinschaft der orthodoxen Kirchen zählen sich heute 14 autokephale (völlig autonome) und sieben autonome (in Personalfragen an übergeordnete Kirche gebundene) Nationalkirchen mit circa 150 Millionen Gläubigen. Die orthodoxen Kirchen, die sich auf die Ostkirche des Jahres 1054 zurückführen lassen, erkennen gemeinsam mit der Westkirche die ersten sieben ökumenischen Konzile als verbindlich an. Es gab allerdings Teile der Reichskirche, die die Beschlüsse des dritten (Ephesus 431) und vierten ökumenischen Konzils (Chalkedon 451) nicht anerkannten; sie werden oft altorientalische Nationalkirchen genannt. Dazu gehörte die Kirche auf dem Boden des Perserreiches, oft auch als Nestorianerkirche bezeichnet, sowie die monophysitischen Kirchen, die die Zweinaturenlehre des Konzils von Chalkedon ablehnten und deshalb auch als vor- oder nichtchalkedonische Kirchen bezeichnet werden, so die syrisch-orthodoxe Kirche oder jakobitische Kirche. Zahlenangaben sind schwierig, aber insgesamt dürften knapp 10% der Christen, also etwa 190 Millionen Gläubige, orthodoxe Christen sein. Die orthodoxen Kirchen stehen heute durch den Zusammenbruch des Kommunismus, unter dessen Herrschaft sie verfolgt, zum Teil auch korrumpiert wurden, vor einer völlig neuen Herausforderung. Anglikanische Kirchen: Fasst man den Begriff Reformation weit, gehört auch die anglikanische Kirche zu den aus der Reformation hervorgegangenen und von ihr geprägten Kirchen. Genauer muss man von anglikanischen Kirchen oder anglikanischer Kirchengemeinschaft sprechen, die sich vorwiegend durch die Mission im ehemaligen britischen Commonwealth verbreitete und vor allem für die Kirchen in Nordamerika große Bedeutung gewann. Zur anglikanischen Kirchengemeinschaft zählen circa 80 Millionen Gläubige (4% der Christen); die Mehrheit lebt in Übersee. 16 Evangelische Kirchen und Gemeinschaften: Die evangelischen Kirchen oder Gemeinschaften werden auch als Protestanten bezeichnet. Die Zahl der Protestanten dürfte knapp 400 Millionen betragen, das sind etwa 20% der Christenheit. Die Kirchen in der Tradition Martin Luthers werden lutherische Kirchen genannt, die Kirchen in der Tradition der Schweizer Reformatoren Zwingli und Calvin reformierte Kirchen. Der Schwerpunkt des Luthertums liegt in Deutschland und in den skandinavischen Ländern, die reformierten Kirchen haben in Europa in den Niederlanden, in der Schweiz, in Schottland, Ungarn und Frankreich Schwerpunkte und sind in Nordamerika stark vertreten. Freikirchen: Der Begriff der Freikirche besagt, dass ihre Mitglieder ihr aus freier Entscheidung angehören, ohne ihr durch Geburt oder Säuglingstaufe verbunden zu sein. Vor allem die Tradition Calvins mit der Betonung der Einzelgemeinden hat im Kongregationalismus zu einer Vielzahl von unabhängigen Gemeinden geführt. Diese Kirchen betonen die Eigenständigkeit der einzelnen Ortsgemeinde, so dass es (mit Ausnahme der Verpflichtung auf die Bibel) kaum für alle verbindliche Gemeinsamkeiten gibt. Als Freikirchen organisierten sich auch die meisten Gemeinschaften, die aus der dritten großen Strömung der Reformation des 16. Jahrhunderts, dem Spiritualismus (Religion des Geistes) hervorgegangen sind. Dazu gehören vor allem die Gruppen, die Luther als Schwärmer und Schwarmgeister verdammt hat und die auch als „linker Flügel” der Reformation bezeichnet werden. Ein weiterer Typus von Freikirchen entstand durch den Widerspruch gegen das Staats- oder Landeskirchentum bzw. durch das Aufkommen neuer religiöser Erfahrungen und geistiger Strömungen, die in den Großkirchen keinen Platz fanden. http://de.encarta.msn.com/encyclopedia_761576315_5/Christentum.html (02.05.2009) 2.5. Islam aus christlicher Sicht Ein Beitrag über den Islam aus christlicher Perspektive entsteht in der Spannung mehrfacher Nahfremde. Im Blick auf ihre Entstehungs- und Wirkungsgeschichte, angesichts der Inhalte der Basisschriften und schließlich in ihren theologischen Kategorien stehen sich Islam und Christentum nahe, rufen aber doch in ihren spezifischen Ausprägungen die gegenseitigen Befremdung der Gläubigen hervor. Um die Grundzüge der islamischen Religion in ihren elementaren und existentiellen Realitäten des gelebten Glaubens als Islamwissenschaftler zu erkennen, bedarf es der intellektuellen Distanzierung. Der Religionswissenschaftler nimmt gegenüber seiner wissenschaftlichen Methoden Distanz ein. Der Theologe einer anderen Religion steht darüber hinaus in Distanz zur gelebten, ihm bekenntnisfernen Religion ausgehend von der normativen Sicht seiner eigenen Religion. Der Missionar nutzt die Distanz zur Klassifizierung und erstrebten Veränderung des Glaubens seines Gegenübers. Christliche Theologen und offizielle Positionen sind unter diesen Aspekten zu divergierenden Perspektiven des Islams gelangt. Der Islam – eine eigenständige Religion? „Islam“ bedeutet aus dem Arabischen übersetzt „Unterwerfung“ und meint die vollkommene Hingabe an Gott, den Einen (erster Satz des islamischen Glaubensbekenntnisses: „Ich bekenne: Es gibt keinen Gott außer Gott.“). Mit diesem Wort bezeichnen Muslime ihre Religion und religiöse Haltung. In der Selbsteinschätzung der Betroffenen liegt der Hauptgrund, das islamische System als eine eigenständige Religion zu erachten (Waardenburg 1993, 175). Der Koran (arab. für Rezitation), die Basisurkunde und den Muslimen unantastbare Offenbarungsschrift, verwendet die Vokabel islâm in den frühen Kapiteln (Suren) mit der Bedeutung der inneren Einstellung, später wie ein Äquivalent für „institutionelle Religion“. In der Bedeutung der persönlichen Devotion wirft Islam, d.h. im ausdifferenzierten koranischen Schriftgebrauch imân (Sure 49:14), dem christlichen Beobachter kein Problem auf. Steht doch der Christ in der Nachfolge dessen, der sich im Leiden der Todesnot ganz auf das Wirken Gottes angewiesen weiß, sich seinem Willen unterwirft und selbst hingibt. „Islam“ als Hingabe und Gehorsam und verbunden mit vertrauensvoller Bindung an Gott (imân) korrespondiert mit christlichen Tugenden. Auf diesem Hintergrund konnte das II. Vatikanische Konzil in der Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra Aetate davon sprechen, dass sich der „islamische Glaube“ auf Abraham berufe und dass sie, die 17 Muslime, Wert legten „auf eine sittliche Lebenshaltung“. Der Konzilstext vermeidet es, vom Islam als religiösem System und institutionalisierter Gemeinschaft zu sprechen. Mit der Bedeutung von Islam als eigenständiger institutioneller Religion verbindet sich ein mit dme Christentum konkurrierender Anspruch. Islam und Christentum erheben als monotheistische Offenbarungsreligionen universalen Geltungsanspruch. Beide Religionen erwarten, dass durch den Aufruf des Propheten und den Einsatz missionarischer Kräfte vernünftige und gutwillige Menschen zu je ihrer eigenen Religions- und Glaubensgemeinschaft finden (vgl. Sure 34:28). In der Anfangsphase von Muhammads Predigt erweckte der Koran den Eindruck, als verstünde er sich als Fortsetzung der jüdisch-christlichen Tradition, als predige er denselben Gott und beziehe sich auf die gleichen Personen, wie Adam, Abraham, Mose, Johannes, Jesus und Maria. Der Koran gab in dieser Phase zu erkennen, dass er die Vorausgegangenen Bücher (vgl. Artikel des Glaubensbekenntnisses: der Glaube an die heiligen Bücher) bestätige: „Wenn du über das, was wir (als Offenbarung) zu dir hinab gesandt haben, im Zweifel bist, dann frag diejenigen, die die Schrift (bereits) lesen (nachdem sie sie) vor dir (erhalten haben)“ (Sure 10:94). Verschiedene Legenden über Muhammad unterstreichen diese Meinung, indem sie zeitgenössische Christen zitieren, die die Vervollkommnung ihrer Religion durch die Predigt Muhammads erkannt hätten. Da ist die Legende, die über den Mönch Bahira, der an Muhammad das Zeichen des Propheten erkannt haben soll, erzählt wird, oder jene über Waraqa ibn Naufal, den Verwandten der Ehefrau Muhammads, der in der koranischen Predigt die Bestätigung der mosaischen Gesetze fand. Die erwartete Reaktion der Christen, die Wahrheit und abschließende Botschaft Muhammads und des Islam zu erkennen, blieb jedoch aus, sie verweigerten teilweise im Gegenteil der Gemeinschaft die Anerkennung als eigenständige Religion und stuften sie als christliche Häresie ein. Am deutlichsten bringt diese christliche Haltung zum Islam der Kirchenlehrer Johannes von Damaskus (675–753) zum Ausdruck. Er behandelt in seiner Schrift „De haeresibus“ auch den Islam, jedoch unter der Vorgabe, die Überlegenheit der trinitarischen Gotteslehre darzustellen. Islam in Konkurrenz zum Christentum Nach den Konflikten mit Juden und Christen in der Entwicklung des Bewusstseins, Muhammads Predigt und Gemeinde bildeten eine neue Etappe in der Religionsgeschichte, trat die Konkurrenzsituation zwischen Christentum und Islam deutlich zutage. Sie wirkte sich in zweifacher Hinsicht aus. Erstens expandierte die islamische Gemeinschaft erfolgreich schon zu Lebzeiten ihres Gründers Muhammad, der im Glaubensbekenntnis der Gemeinschaft auch als Prophet bezeugt wird. Zweitens negiert die von Muslimen anerkannte Offenbarungsschrift wichtige Glaubenssätze des Christentums. 1. DIE AUSBREITUNG DES ISLAM. Unter Muhammads Führung übernimmt die umma (Gemeinschaft aller Muslime) zwar Funktionen des Staates, bleibt aber doch auch religiöse Institution mit der Obliegenheit, Gottesdienst, Rechtsprechung, soziale Gerechtigkeit und Ausbreitung des Glaubens zu verwalten. Der doppelte Führungsanspruch Muhammads, den er in der Gründung des Staatswesens von Medina manifestieren konnte, wurde im Laufe der Geschichte immer wieder mit Argwohn zur Kenntnis genommen – auch nach der Migrationsphase von Muslimen nach Europa. Der Ausbreitung des islamischen Reiches/Staates folgte nicht aufgrund der rechtlichen und fiskalischen Stellung der Nichtmuslime nicht selten deren Übertritt zum Islam, da Juden und Christen im Allgemeinen zwar ihre Religion ausüben, aber in öffentlichen Ämtern keine Aufstiegsmöglichkeiten wahrnehmen konnten und zudem mit einer zusätzlichen Steuer belastet wurden. Das Ziel, den weltlichen Staat so zu organisieren, dass darin Lebensweise, Kultur, Wissenschaften und Ökonomie zum Wohl der Gemeinschaft der Muslime Entfaltung finden, bleibt eine sich unablässig erneuernde Utopie zur Stärkung der Gläubigen im Bekenntnis an den einen Gott (vgl. dazu Sure 3:104). Dem Bemühen der Kirchen um das fruchtbare Gespräch mit Muslimen, dem sog. Dialogismus, wirft die Kritik vor, die vermeintlich übergeordnete Rolle der Auswanderung von Mekka nach Medina als entscheidenden Wendepunkt islamischer Identität zu negieren. Sei doch hier die mekkanische Urgemeinde aus dem Schattender Schwäche und Unterdrückung in das Licht der medinensischen Kampfgemeinschaft getreten. Weniger staatsgefährdend, aber doch als Signal der Abwendung deuten auch katholische Theologen die Gemeinde von Medina, wo Muhammad dem Islam einen national arabischen Charakter gab und dem koranischen Abrahamismus den ismaelitischen Stempel aufdrückte (Lammens, zit. nach Troll 1999). 18 Medina war die Entscheidung für die eigenen Gemeinschaft, für Widerstand, für äußeren Sieg, für Unterwerfung und Herrschaft. Die Entscheidung des Kreuzes war die entgegengesetzte Entscheidung (Cragg, zit. nach Kerr 1986, 95). 2. DER WIDERSPRUCH ZUM CHRISTLICHEN GLAUBENSBEKENNTNIS. Obwohl sich Muhammad zwar als deren Siegel, d.h. Abschluss, aber in der Abfolge der jüdischchristlichen Prophetenreihe wusste, stehen Aussagen des Korans im Widerspruch zu Aussagen des christlichen Glaubensbekenntnisses. Die Meinung von der Verfälschung der Vorgängerschriften, ja deren wissentlicher Entstellung (Sure 2: 75) soll den Bruch mit der Tradition erklären. So widerspricht der Radikalmonotheismus (Mooren 1991) des Islam den christlichen Vorstellungen vom trinitarischen Monotheismus, von Inkarnation und von Erlösung, und zwar sowohl im Koran (Sure 112:1–5 u.a.) als auch in der Apologetik (z.B. klagt Ibn Taymiyya, 1263–1328 n. Chr., „den begrenzten Polytheismus“ an). Angesichts des islamischen Zeugnisses für die Transzendenz Gottes wirken alle Versuche hilflos, die Kritik des Korans an der Trinität, insbesondere die Nennung Mariens als dritte göttliche Person, mit Abwehr und Missverständnissen zu deuten und zu entschuldigen (vgl. Journet, zit. nach Troll 1999). Christliche Theologen und lehramtliche Texte wissen um die Gemeinsamkeit im Glauben an den einen Gott (NA 3, Arbeitshilfe der Deutschen Bischofskonferenz 106, Handreichung der EKD). Doch die Beantwortung der aufgrund der Widersprüche gestellten Fragen bleibt kontrovers. 3. KONTROVERSTHEMEN. a. Ist der eine Gott der gleiche und der selbe Gott? Keine monotheistische Religion kann leugnen, es handle sich bei dem einen Gott um den gleichen Gott, es sei denn, dass sie die Verehrung Gottes durch die andere monotheistische Religion und durch ihre Glaubenden des Götzendienstes bezichtigen. Dies wiederum würde der Anerkennung von Religionsfreiheit und dem Respekt vor dem Glauben des anderen widersprechen. Dennoch bleibt unbestritten, dass die Gotteserkenntnis (Handreichung der EKD) und die Gottesbeziehung (Borrmans 1985) in Lehre und Kult verschiedene Merkmale aufweisen. Insbesondere die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus verdeutlicht dem Christen die Immanenz des immer auch gänzlich transzendenten Gottes in der Schöpfung. Im Kult der Feste drücken sich die Unterschiede der Erkenntnis und Erfahrung von Gott aus, wenn christliche Feste anlässlich des Christusereignisses begangen werden, islamische Feste dagegen die Erfüllung einer Pflicht gegenüber Gott abschließen. Alle aktuellen Diskussionen um die Möglichkeit gemeinsamen Betens von Muslimen und Christen kreisen um das Bewusstsein, in der Betonung der Gemeinsamkeit Unterschiede zu leugnen und dadurch der Vereinnahmung und des Proselytismus schuldig zu werden. b. Ist Muhammad ein Prophet? Diese uralte Frage, die auf den zweiten Satz des islamischen Glaubensbekenntnisses („Ich bekennen, Muhammad ist Sein Prophet“) anspielt und einen der sechs Glaubensartikel (der Glaube an die Propheten) des Islam zugrunde legt, wird nicht nur in der Apologetik verneinend beantwortet. Die Zurückweisung wirkt aber bis heute verletzend auf Muslime. Der Standpunkt der meisten Theologen und lehramtlichen Aussagen ist mit der Definition des Prophetenbegriffs verbunden, in dem die göttliche Autorität und die Korrelation zur Offenbarung als Kennzeichen für den wahren Propheten enthalten sind. Da daraus folgend das Bekenntnis zum Prophetentum Muhammads in Widerspruch zum christlichen Glauben versetzt, kann ein Christ, der der obigen Definition zustimmt, Muhammad nicht als Propheten anerkennen. Deshalb suchen christliche Islamwissenschaftler im dialogischen Geschehen nach neuen theologischen Kategorien, um Persönlichkeiten zu würdigen und zu qualifizieren, die zutiefst religiös und spirituell begabt einen Heilsweg außerhalb der Kirchen predigen (Jomier, zit. nach Troll 1999). In unmittelbarer Nähe zu den islamischen Vorgaben steht dabei der Vorschlag, Muhammad als außerordentlichen Propheten zu qualifizieren (Küng, Kuschel 1994). Dagegen stellen Christen den Anspruch, in ihrer Glaubensrealität ebenfalls adäquat von Muslimen wahrgenommen zu werden. In besonderem Kontrast stehen die islamische und christliche Lehre über Jesus einander gegenüber. Jesus ist nach dem Koran nicht gekreuzigt worden und nicht auferstanden. Eine Kreuzigung wäre eine schmachvolle Niederlage für Gott und seinen Gesandten gewesen. Jesus hätte mit seinem Tod auch keine Erlösung erwirken können. Über Jesu irdisches Ende macht der Koran keine klaren Angaben. Verbreitet ist die Deutung, dass Gott ihn vor seinem Tod vor seinen Feinden entrückt habe und einen anderen – genannt wird meist Judas – an seiner Stelle kreuzigen ließ (Sure 4:157-158). Jesus bleibt für Muslime ein Prophet mit eschatologischen Aufgaben, aber nicht mehr. Sie empfinden die christliche Lehre als Übertreibung und lehnen sie ab. 19 c. Ist der Koran eine Offenbarungsschrift? Mit dieser Frage konfrontiert, führte Anawati die Unterscheidung der Grundströmungen unter den Theologen in ihrer Einstellung zum Dialog zwischen Maximalisten und Minimalisten ein (Anawati 1987, 206-210). Die Maximalisten erkennen den Offenbarungscharakter des Korans an, bis zum Ausschluss der ausdrücklichen Verneinung christlicher Glaubenssätze im Koran, die sie mit Unkenntnis oder sachlicher Ungenauigkeit umdeuten. Für Anawati führte diese Sichtweise in eine Sackgasse des Dialogs. Dagegen können die Minimalisten trotz der Aufforderung des Konzils den im Islam und seiner Kultur enthaltenen Wahrheiten und inneren Reichtümern nicht gerecht werden. Mit Massignon, Anawati und Caspar wird ein Mittelweg beschritten, der dem Islam seinen Anteil am Heilsplan Gottes zuspricht und den Koran anerkennt als Träger der Inspiration des mit prophetischem Charisma begabten Muhammad. Dabei halten die Theologen des Mittelwegs fest, dass dem Christen das Wort Gottes in Jesus Christus die unüberbietbare Offenbarung ist und sie stellen heraus (Borrmans 1985), dass bei aller Achtung vor der frommen Meditation des Korans in der islamischen Frömmigkeit die Unterscheidung zwischen Buchwerdung und Menschwerdung des Wortes Gottes von qualitativer Bedeutung bleibt. Die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus gibt für den Christen die schlüssige Antwort auf die Frage jeder Theologie, die von Gott behauptet, er spreche zu den Menschen, während die Übermittlung des Korans durch einen Engel (Glaubensartikel des Islams) als Signal der Inspiration gegenüber dem christlichen Offenbarungsverständnis in der Eigenperspektive des Christen defizitär bleibt. Der Islam als Heilsangebot Mit der Entwicklung der islamischen Gemeinschaft und dem Entstehen der konstitutionellen umma bildeten die muslimischen Rechtsgelehrten den Rechtsislam aus. Zur Auslegung des Korans zogen sie die Spruchweisheiten Muhammads heran und bildeten mittels festgelegter Methoden ihre Rechtsmeinung, um deren Relevanz an die Aussagen der authentischen Botschaft zu binden. Sie klassifizieren die menschlichen Handlungen in fünf Kategorien als verpflichtend, empfohlen, erlaubt, tadelnswert und verboten. In diesem aus christlicher Sicht moralisierenden Gesetzesbewusstsein kommt es besonders dann zu Übertreibungen, wenn Menschen – unter Druck oder aus Furcht – in der Erfüllung der Gesetze einen Selbstzweck erkennen. Dagegen tendiert die richtig verstandene Gesetzesfrömmigkeit dahin, in der Erfüllung der Pflichten einen Ausdruck des Gehorsams zu sehen. 1. BARMHERZIGKEIT GOTTES. In der christlichen Theologie wird Barmherzigkeit als freiwillige Zuwendung, als Gnade Gottes beschrieben. Christen deuten sie als die Liebe des Vaters zu seinen Kindern, die alles vergibt. Diese Liebe hebt die Gerechtigkeit nicht auf, sondern erhebt den Sünder zum Kind Gottes, so dass Gott ihm gerecht werden kann. Die Elemente göttlicher Barmherzigkeit, wie sie die islamische Tradition beschreiben, konzentrieren sich dagegen auf die Bekanntgabe des Gesetzes im Koran, das die Grundlage für Belohnung und Bestrafung beim Jüngsten Gericht bildet. Damit tritt das Konzept von der Barmherzigkeit Gottes in Relation zum Glaubensartikel von der Vorherbestimmung dessen, was vor Gott als richtig beurteilt und daher belohnt bzw. als falsch verurteilt und bestraft wird. Und gleichzeitig tritt die Barmherzigkeit Gottes in Relation zu seiner Gerechtigkeit (einem der sog. 99 Schönen Namen Gottes). 2. SÜNDE UND VERGEBUNG. In den juristischen Kategorien von „Richtig“ und „Falsch“ haben Begriffe wie Sünde und Vergebung keinen Platz. Deshalb berichtet der Koran von Adam und dessen Frau zwar, dass sie Gottes Gebot übertreten und deshalb das Paradies verloren hätten, aber in ihrem Verhältnis zu Gott habe sich grundsätzlich weder für das erste Menschenpaar noch für die Menschheit insgesamt etwas geändert (Sure 2:35-39). Der Islam kennt das Phänomen des „Sündenfalls“ nicht und lehnt eine „Erbsünde“ ab. Die Endlichkeit alles Geschaffenen, der Tod, sei nicht die Folge der Sünde, sondern im Willen Gottes begründet. Der Tod wird daher auch nicht als das absolute Ende des irdischen Lebens betrachtet, aus dem die Toten auferweckt werden, sondern als ein Schlaf, aus dem die die Posaunen des Jüngsten Gerichts (Glaubensartikel) auferwecken werden. Muslime glauben, dass der vernunftbegabte Mensch stets in der Lage sei, sich zwischen dem Guten und dem Bösen zu entscheiden. Er könne das Gute tun und im Beachten der Gebote Gottes Gunst und Belohnung erhoffen. Wenn er jedoch gegen Gottes Gebote verstoße, schade er in erster Linie sich selbst (Sure 7:23). Die Strafe Gottes im Gericht könne also davon abhängen, wie viele „gute und schlechte Taten“ der Mensch begangen habe. Über den Ausgang von Gottes Gericht könne es dennoch keine Gewissheit geben, weil Gott im Vergeben und Strafen letztlich frei, gerecht und barmherzig sei. 20 Der seine Gesetzesübertretung bereuende Muslim (Sure 25:71) hofft auf Gottes Vergebung und Barmherzigkeit, wie sie der Koran rühmt (z.B. Sure 3:31). Wenngleich vor dem Jüngsten Gericht ein Fürsprecher oder gar Erlöser (muchallis – Erlöser wird ausschließlich im christlich gebrauchten Arabisch verwendet) Beistand gewährt, lässt der Koran die Möglichkeit des Loskaufs von religiöser Verschuldung offen. Ersatz (fidya) für versäumte Pflichten, z.B. während des Fastenmonats Ramadan, in Form von finanziellen und rituellen Leistungen erwähnen Sure 2:184 und 2:196. Nur die im Kampf für die Sache Gottes gefallenen Muslime (Märtyrer) können des Paradieses gewiss sein (Sure 2: 154). Die Bibel dagegen macht deutlich, dass der Mensch seit dem Sündenfall von Gott getrennt ist. Im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) wird erkennbar, was Sünde für Jesus ist: Absage an den Vater. Sünden richten sich nicht nur gegen die Mitmenschen, sondern verletzen die Beziehung, die Gott, der Vater, dem Menschen angeboten hat. Der Mensch kann deshalb nach christlicher Auffassung den Sündenfall selbst nicht wieder durch ein Sühneopfer gut machen. Jedes eigenmächtige Bemühen würde nach dieser Konzeption zum Hochmut vor Gott führen (Eph 2,9). Christentum und Islam teilen die Vorstellung von Gottes freier Gewähr seines Erbarmens. Er ist der Ermöglichungsgrund für die Reue und die Umkehr. Ein Unterschied ist in der Notwendigkeit der Erlösungsgeschichte zu sehen, die im Christentum eine kollektive Erfüllung findet, im Islam individuell beeinflusst werden kann. Aus der Perspektive des Islam, in der die Menschheitsgeschichte mehr Schöpfungsgeschichte als Erlösungsgeschichte ist, sind Tod am Kreuz und Auferstehung Jesu Christi weder heilsnotwendig noch im System akzeptabel. 3. ISLAMISCHE ETHIK. Der Konzilstext Nostra Aetate 3 betont das moralische Leben der Muslime, allerdings in genereller Form. Dies u.a., weil die islamischen Lehren bezüglich der Ehe (Polygamie und Scheidung) wesentlich von der christlichen abweichen. Auch die mehrheitlich islamische Lehre von der wesentlichen Einheit des geistlichen und des weltlichen Lebensbereiches, der besonders den Muslimen in nichtislamischen Staaten Integrationsschwierigkeiten bereitet, wollten die Konzilsväter nicht als Unterschied darstellen oder gar bewerten. a. Positives göttliches Recht. Die sog. fünf Säulen stellen einen Bereich des islamischen Rechts, d.i. die scharîa, dar, der dem Einzelnen und der Gemeinschaft mit seinem moralischen Gebotsanspruch uneingeschränkt bekannt ist. Das erste Gebot verpflichtet zum Glaubensbekenntnis (schahâda): „Ich bezeuge, das es keinen Gott gibt außer Gott, und ich bezeuge, dass Muhammad der Gesandte Gottes ist.“ Der radikale Eingottglaube im Islam dient auch zur Begründung für die Tatsache eines Gesetzes – statt zweier, für die weltlichen und religiösen Belange – und einer Ethik, einer einzigen Gemeinschaft, verbunden in einer Weltanschauung. In den Riten des Pflichtgebetes, d.i. die zweite Säule, kommt nicht nur die Vertikale, die Hinwendung zu Gott, sondern auch die Horizontale, die Hinwendung zum Mitmenschen und Mitbeter im abschließenden Gruße (al-salâmu ´alikum) zum Ausdruck. Konkrete Unterstützung für andere bedeutet die Pflicht zu der – oft so genannten – Almosensteuer (zakât). Sie soll nach modernen Auslegungen den Bedürftigen zugute kommen: Schuldnern, die ohne eigenes Verschulden in Geldschwierigkeiten geraten sind, Reisenden, Studierenden, freiwilligen Kämpfern für den Glauben oder die Heimat usw. Mit dem Einsatz dieser Art Quellensteuer sollen Besitz und soziale Verpflichtung entsprechend der islamischen Lehre vom Eigentum, das Gott vorbehalten ist, miteinander verknüpft werden. Daraus ergibt sich wie von selbst das Zins- bzw. Wucherverbot für den Menschen, dem nur das Nutzungsrecht der göttlichen Güter zusteht. Das Fasten (saum) im Monat Ramadan, die vierte Säule, beinhaltet den Verzicht von Essen und Trinken von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Als geistliche Übung ist die Lektüre des Korans üblich. Abgesehen von der Erfüllung des Gehorsams gegenüber dem koranischen Gebot ist der Verzicht dazu geeignet, den Wert der Güter zu relativieren und am eigenen Leib die Not Bedürftiger zu erfahren, um so die eigene Spendenbereitschaft zu erhöhen. Die Pilgerfahrt nach Mekka (hajj), die jeder Muslim einmal in seinem Leben unternehmen soll, sofern es seine persönlichen Lebensumstände erlauben, drückt in den äußeren Zeichen der Kleidung die Gleichheit der Muslime vor Gott aus und stärkt das Solidaritätsgefühl in der umma. In der Erfüllung der Pflichten gegenüber Gott, die den Menschen die Gerechtigkeit Gottes erfahren lassen, geben Muslime diese an ihre Mitmenschen weiter. Sie sind dazu aufgerufen, den Frieden zu fördern, Solidarität mit den Armen zu üben und einander in Gleichheit vor Gott anzunehmen. In ihren Auswirkungen stimmt die islamische Ethik offenbar graduell mit den Konsequenzen der christlichen überein. Nach dem christlichen Erlösungsverständnis ist die Erfüllung der Gerechtigkeit noch nicht die Erlösung. Diese wird durch die Eingliederung in das Sterben und in die Auferstehung Jesu Christi zugeeignet. 21 Deshalb kann das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe (Mt 22,40) nach dem Vorbild Jesu Christi (Joh 15,13) alle anderen Weisen menschlicher Beziehungen überhöhen: Liebe bis zur Selbstlosigkeit und Feindesliebe. Alle islamische Diskussion um Gewalt und Krieg im Islam wird aus christlicher Perspektive an diesem Gebot gemessen. In der Verhältnisbestimmung von Handeln aus Glauben, von ethischen Verpflichtungen und rechtlichen Normen gewichtet die christliche Lehre den Anspruch an das Gewissen deutlicher gegenüber positiven Rechtsvorschriften. Insofern kann die Beobachtung, die arabische Sprache verfüge nicht über eine angemessene Begrifflichkeit für das Phänomen des Gewissens durch sozialethische Beobachtung ergänzt werden, wonach die islamische Ethik im System ihrer positiven Normativität Gewissensentscheidungen überflüssig macht. b. Die Natur des Menschen als Maßstab der Menschenrechte. Menschenrechte werden nicht erworben und nicht von der Gesellschaft gewährt, sondern der Mensch besitzt sie, sie sind unveräußerlich und unantastbar. Jedoch hängen sie vom Menschenbild der sie diskutierenden Instanzen ab. Muslimische Menschenrechtler führen die Rechte des Menschen auf dessen Würde als ein von Gott geschaffenes Wesen zurück und außerdem auf die von Gott gesetzte scharîa. Zur vollständigen Erlangung der Würde habe sich der Mensch demgemäß zu seiner von Gott erwählten Religion, zum Islam, zu bekennen. Zielund Lebensbestimmung des Menschen liegen nach Einschätzung der Ausleger des Korans und der Rechtsgelehrten in seiner Einsetzung zum Nachfolger oder Stellvertreter Gottes auf Erden. In dieser Funktion hat der Mensch die Aufgabe, der scharîa als der Schöpfungsordnung zur allgemeinen Anerkennung zu verhelfen. Menschenrechtserklärungen islamischen Ursprungs weisen deshalb darauf hin, dass alle diese Rechte innerhalb des Rahmens der scharîa zuzugestehen seien. Dabei unterliegen die Menschenrechte im Islam, besonders die Rechte der Nichtmuslime, im islamischen Rechtsbereich beträchtlichen Einschränkungen.. Sklaven, Frauen und Nichtmuslime kommen nur bedingt in den Genuss von Bürgerrechten. Gegen die Sklaverei (Sure 90:13) haben sich muslimische Autoritäten bis heute nicht deutlich gewandt. Frauen genießen vor Gott zwar die gleichen Rechte – und Pflichten – wie Männer, sind nach Gesichtspunkten der sozialpolitischen/-ethischen Gerechtigkeit jedoch benachteiligt. Das bedeutet einerseits, dass die göttlichen Pflichten, wie die Almosensteuer, auch die Frauen betreffen, die Frauen andererseits jedoch nur die Hälfte des Erbes erhalten, das Männern im gleichen Verwandtschaftsverhältnis zukommen würde. Nichtmuslime in der privilegierten Form der Schriftbesitzer, d.h. Juden und Christen, nehmen im islamischen Staat den Dhimmî-Status ein. Sie sind nicht berechtigt, sich zu bewaffnen, können dadurch nicht an der eigenen Verteidigung und der des Staates teilnehmen, weshalb sie als Ersatz zu einer besonderen Steuerzahlung (jizya) verpflichtet sind. Dhimmî sind nicht berechtigt, in Positionen aufzusteigen, die sie in die Lage versetzen könnten, Macht über Muslime auszuüben. Die Religionsfreiheit ist um die Verkündigungsfreiheit beschnitten, die Entfaltung der Persönlichkeitsrechte um die freie Partnerwahl gekürzt. Christlichen und jüdischen Männern ist es nicht gestattet, ohne vorherige Konversion eine Muslima zu ehelichen, eine Muslima darf keinen Partner unter Nichtmuslimen wählen. Diese Einschränkungen der Menschenrechte durch die scharîa folgen dem koranischen Grundsatz, dass der Glaube den Unterschied zwischen den Menschen mache (Sure 49:13). Die Widersprüche zwischen der christlichen Begründung und der islamischen Konzeption fußen – insbesondere was die Religionsfreiheit betrifft – auf der unterschiedlichen Gewichtung des sittlichen Naturgesetzes, wie es die Vernunft erkennt, und des offenbarten göttlichen Gesetzes. Christlicher Konsens ist, dass die Gnade und das Gesetz Gottes das sittliche Naturgesetz voraussetzt, während Sittlichkeit und Natur des Menschen nach islamischer Lehre die scharîa voraussetzt und sich ihr zu beugen hat. c. Gegenseitigkeit und geistliche Gemeinschaft. Nach islamischer Ethik und der von ihr eingeschränkten Verwirklichung der Menschenrechte für alle Menschen ohne Unterschied bezüglich ihres Glaubens bleibt die Forderung nach Realisierung der Gegenseitigkeit, nach Anerkennung der Rechte christlicher Minderheiten in islamischen Ländern so unrealistisch wie eine geistliche Gemeinschaft von Christen und Muslimen. In Respekt vor der Ausübung ihres Glaubens und ihrer religiösen Pflichten ist es Muslimen in Ländern mit christlich geprägter Bevölkerung gestattet, ihre Moscheen zu errichten, im Arbeitsalltag die Gebets- und Festzeiten einzuhalten, Speise- und Bekleidungsvorschriften zu genügen und sich politisch zu betätigen. Dass der konsensfähige Islam – und noch mehr der islamistische Islam – diese Rechte den Nichtmuslimen nur mit Einschränkungen zugesteht, bleibt ständige Herausforderung für die christlichen Gesprächspartner der Muslime. Quelle: Neues Handbuch der Grundbegriffe der Theologie, Bd. 2, Art. Islam von Barbara Huber-Rudolf 22 3. Islam 3.1. Islam in Europa Der Islam in Europa ist nicht erst ein Phänomen des 20. Jahrhunderts. In Bosnien und Albanien, die bis 1877 bzw. 1913 Teil des Osmanischen Reiches waren, gibt es bereits seit Jahrhunderten muslimische Gemeinschaften. Besonders der bosnische Islam hat eigene Formen entwickelt, die so im Nahen Osten nicht zu finden sind. So war es zumindest bis zum Bürgerkrieg in den neunziger Jahren üblich, dass auch christliche Männer muslimische Frauen heiraten konnten, ohne zum Islam konvertieren zu müssen, obwohl dies nach klassischem islamischem Recht nicht möglich ist. Laut dessen Vorschrift können nichtmuslimische Frauen zwar Muslime heiraten und ihre Religion behalten, umgekehrt aber nicht. Die bosnischen Muslime bezogen sich dabei auf eine Stelle im Koran, in der es eindeutig heißt: „Es gibt keinen Zwang in der Religion.“ (Sure 2, Vers 256) Doch mittlerweile stammt die Mehrheit der Muslime in Europa aus dem Nahen Osten, Nordafrika und Asien. Sie zogen in den vergangenen 50 Jahren auf der Suche nach Arbeit nach Europa und sind mittlerweile zu einem festen Bestandteil europäischer Gesellschaften geworden. Doch die Integration verlangt sowohl von den Einwanderern wie von der Mehrheitsgesellschaft Kompromisse. http://www.bpb.de/publikationen/YSU9YN,0,0,Auspr%E4gungen_des_Islam_in_Europa.html (29.04.2009) Die wachsende Präsenz des Islams und der Muslime in E. ist durch zwei zeitlich versetzte, dabei jedoch eng miteinander verknüpfte Entwicklungen bestimmt. Zunächst ließen die wirtschaftliche und imperiale Expansion des 19. und frühen 20. Jh. viele Muslime teils zu Untertanen, teils zu Verbündeten und Partnern europäischer Staaten werden und fixierten den Nahen Osten und viele andere islam. geprägte Regionen polit., wirtschaftlich und kulturell nachhaltig auf die europäischen Metropolen. Die Beziehungen und Orientierungen, die dadurch geschaffen wurden, blieben grundlegend auch für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Die europäischen polit. Imperien lösten sich auf; zugleich aber setzten großen Ströme der Bildungs- und Arbeitsmigration von Muslimen ein, die nach und nach in unterschiedlichem Maße praktisch alle europäischen Staaten erreichte. Neben die altansässigen muslim. Volksgruppen und Minderheiten im europäischen Teil der UdSSR (bes. Tataren, Baschkiren, Tschetschenen, Daghestaner) sowie in den Balkan-Staaten (Bulgarien, Albanien, Jugoslawien, Griechenland) traten seit dem Zweiten Weltkrieg neue muslim. Migranten-Gemeinschaften in den Staaten Nord-, Mittel- und Westeuropas und im Mittelmeerraum. Bildungs-Migranten kamen teils auf persönliche oder familiäre Initiative, teils im Rahmen staatlicher und internationaler Programme, die dem Aufbau der Bildungs- und Verwaltungsinstitutionen des Heimatlandes dienen sollten. Viele von ihnen etablierten sich auf Dauer, freilich mit unterschiedlichem Erfolg, in den Gastländern. Von ihrer nationalen und ethnischen Herkunft stellten sie meist eine äußerst heterogene, vorwiegend allerdings urban geprägte Gruppe dar. Sie heirateten häufig in die einheim. Gesellschaft ein und engagierten sich nicht selten in polit. und sozialen Organisationen des Ziellandes. Die Arbeitsmigration war zahlenmäßig von ungleich größerem Gewicht. In verschiedenen europäischen Ländern führte der wirtschaftliche Aufstieg seit den 1960er Jahren zu einem großen Bedarf an Arbeitskräften, der nicht zuletzt auch große Zahlen muslim. Migranten anzog. Ausschlaggebend für die Wahl des Ziellandes waren meist die histor., polit. und rechtlichen Beziehungen, die das Heimatland mit der ehemaligen Hegemonialmacht oder mit einem ehemaligen Alliierten verbanden. So etablierte sich in jedem Land eine klare mehrheitliche Dominanz einzelner ethnisch-nationaler Herkunftsstaaten. In Großbritannien waren dies Pakistan und Indien, in Frankreich die Staaten des Maghreb, in den Niederlanden Indonesien, in der Bundesrepublik die Türkei. Trotz der Unterschiede in der ethnisch-nationalen Zusammensetzung vollzog sich der Aufbau der Gemeinschaften in den verschiedenen Ländern auffällig parallel. Die Arbeitsmigranten kamen vorwiegend aus ländlichen Gebieten des Heimatlandes, besaßen selten mehr als eine elementare Schulbildung und waren in starkem Maße durch die heimischen religiösen und familiären Strukturen geprägt. In den meisten Fällen kamen zunächst nur männliche Arbeitskräfte, die nach mehrjährigem Aufenthalt ihre Familien nachholten. In dieser Phase begann der Aufbau religiöser und ethnisch-nationaler Vereine und Organisationen, der vielfach der religiös-polit. Landschaft des Heimatlandes entsprach, aber später auch auf diese zurückwirkte. 23 Die Versuche der europäischen Länder, den Zuzug der Migranten durch Gesetzesänderungen zu stoppen, hatten oft zunächst den gegenteiligen Effekt einer verstärkten Zuwanderung. Bis zu Beginn der 1990er Jahre konsolidierten sich die Migrantengemeinschaften dann in ihrem heutigen Umfang, der in manchen europäischen Staaten wie Frankreich und Deutschland eine Bevölkerungsgruppe von mehreren Mio. Muslimen etablierte. Die Alters- und Beschäftigungsstruktur der muslim. Gemeinschaften hat sich allerdings wesentlich verändert: Da der Nachzug jüngerer Erwachsener weitgehend ausbleibt, steht einer stark expandierenden Zahl muslim. Jugendlicher eine wachsende Überalterung der Erwachsenen gegenüber. Ferner hat die Zahl der Selbständigen gegenüber den abhängig beschäftigten Arbeitern stark zugenommen. Dies verschiebt allmählich auch das Image der Muslime im lokalen Umfeld. Generell hat sich mit der Konsolidierung und partiellen Einbürgerung großer muslim. Migrantengruppen auch die Bedeutung des Islams in E. verändert. Während die Religion für die muslim. Bildungsmigranten in ihrem Bemühen um soziale Integration im Zielland nicht selten in den Hintergrund trat, rückte sie für die Arbeitsmigranten geradezu ins Zentrum ihrer Bemühungen um die Konsolidierung ihrer Gemeinschaften und ihrer sozio-kulturellen Identität. Mit dem Nachholen der Familien begannen daher auch die Gründung eigener Moscheen, zumeist durch Anmietung von Wohnungen oder leerstehenden Fabrikgebäuden, und der Aufbau islam. Vereine, Organisationen und Verbände. Manche islam. Gruppen gewannen durch die neuen Organisationsstrukturen und die finanzielle Unterstützung ihrer Anhänger in E. auch in ihrer Heimat erheblich an Gewicht. Die Beziehungen der Muslime zu den kommunalen Institutionen und zur einheim. Bevölkerung erzwangen dabei nicht selten eine Zusammenarbeit von islam. Gruppen, die sich in der Heimat heftig bekämpften. Aber auch die Beziehungen zwischen den Gemeinschaften der Arbeitsmigranten und den Angehörigen der muslim. Bildungsschicht waren alles andere als einfach, und sowohl die polit. als auch die religiösen Orientierungen gehen bei ihnen zuweilen weit auseinander, wie nicht zuletzt die Rushdie-Affäre deutlich werden ließ. Andererseits führte die wachsende Zahl der Ehen zwischen Muslimen und Einheimischen aber auch zu einem Anwachsen der Konversionen zum Islam, insbesondere bei Frauen. Die kommunale Integration der verschiedenen muslim. Gemeinschaften bietet bis heute viele Reibungsflächen und Konflikte, die von der Genehmigung von Moscheebau und Gebetsruf bis zu Schulunterricht und Schulspeisen und zur Kleidung der Frauen und Mädchen reichen. Fragen der rechtlichen Anerkennung des Islams und des islam. Religionsunterrichtes sowie der Zulässigkeit des Kopftuches für Musliminnen in Schule und öffentlichen Institutionen werden in fast allen europäischen Ländern sehr kontrovers diskutiert, da sie vielfach die grundsätzlichen Einstellungen zum Verhältnis von Religion und Staat berühren. Einheim. Konvertiten und Vertreter der muslim. Migrantengruppen finden hierbei offenbar zunehmend zu gemeinsamen Positionen. Während grundsätzliche Klärungen polit. und jurist. Fragen bisher weitgehend ausgeblieben sind, verstärkt sich trotz aller Spannungen vielerorts die pragmat. Suche nach tragfähigen Kompromissen, die geeignet sind, ein dauerhaftes Zusammenleben mit muslim. Gemeinschaften und schließlich auch die Integration des Islams in das öffentliche Leben in E. zu fördern. Stefan Reichmuth, Prof. Dr., Universität Bochum, Islamwissenschaft Quelle: Elger, Ralf/Friederike Stolleis (Hg.): Kleines Islam-Lexikon. Geschichte - Alltag - Kultur. München: Beck 2001. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2002. 3.2. Islam in Deutschland Nach gegenwärtigen Schätzungen leben in D. derzeit bis zu 3 Mio. Muslime. Die weitaus größte Gruppe (über 2 Mio.) ist türk. Herkunft, gefolgt von Muslimen aus dem Balkan, den arab. Ländern, Iran, Afghanistan und Pakistan sowie kleineren Gruppen aus anderen islam. geprägten Regionen. Dazu kommt eine wachsende Gruppe deutschstämmiger und eingebürgerter Muslime, die mittlerweile die Zahl von 100 000 erreicht haben dürfte, damit jedoch nach wie vor nur einen geringen Anteil der Muslime in D. ausmacht. Die große Mehrheit gehört zu den Sunniten, von denen sich unter den türkischsprachigen Muslimen die Gruppe der Aleviten zunehmend abgrenzt und als eigene Religionsgemeinschaft organisiert. Schiiten iran. Herkunft bilden ebenfalls eine größere Gruppe. Eine aktive Rolle, auch unter den deutschsprachigen Muslimen, spielen die beiden Zweige der Ahmadîya-Bewegung indo-pakistan. Herkunft, die von den übrigen Muslimen meist als nicht-islam. angesehen werden. Insgesamt lässt sich feststellen, dass wohl keine 24 andere Religionsgruppe in D. sprachlich, kulturell und religiös eine mit den Muslimen vergleichbare Vielfalt aufweist. Wie in anderen Ländern Europas geht die Präsenz großer muslim. Gruppen auf die Arbeitsmigration seit den 1960er Jahren zurück, auch wenn eine kleine islam. Diaspora von Migranten, Flüchtlingen und Konvertiten bereits seit längerem bestand. Mit der Familienzusammenführung, die seit den 1970er Jahren in großem Stil erfolgte, bildeten sich große muslim. Gemeinschaften, deren Lebensschwerpunkt sich zunehmend nach D. verlagerte, auch wenn sie die Nationalität des Heimatlandes und die sozialen Bindungen an die Heimat nach Kräften aufrechterhielten. In vielen deutschen Städten entwickelten sich kommunale Schwerpunktgebiete türk. Bevölkerung mit einer eigenen Infrastruktur an Geschäften, Unternehmen und Vereinen. Hierzu gehörten bereits sehr früh die Einrichtung von Moscheen und die Gründung religiöser Vereinigungen. Wie bei Migranten allgemein verstärkte sich das religiöse Leben in der Diaspora, und auch bei denjenigen, die ihre Religion nicht oder kaum praktizierten, blieb der Islam meist ein wichtiger Bestandteil ihrer sozialen und kulturellen Identität. Für viele Muslime und Musliminnen in D. ließ sich seit den 1980er Jahren eine wachsende Orientierung an den religiösen Normen von Gebet, Kleidung und Alltagsleben feststellen, was mit erheblichen Spannungen und Konflikten innerhalb der muslim. Gemeinschaften einherging. Bei der Migration hatten etwaige religiöse Bedenken, etwa gegen einen dauerhaften Aufenthalt in nichtislam. Staaten, noch keine erkennbare Rolle gespielt. In D. selbst gewann gerade die religiöse Gemeindebildung für die Muslime zunehmend an Bedeutung. Neben der Rückwirkung der religiös-polit. Entwicklungen im Nahen Osten (Iran, Türkei, arab. Länder) waren es die Bedürfnisse der sozialen Selbstbehauptung, Anerkennung und zugleich Abgrenzung, die zur verstärkten Betonung religiöser Normen bei Älteren wie Jüngeren, Männern wie Frauen beitrugen. Gerade die muslim. Frauen und Mädchen wurden seitdem häufig als Träger und Symbole einer eigenständigen islam. Existenz herausgestellt, die islam. Normen der Bekleidung und des Verhaltens speziell für Frauen besonders betont. Dies wurde von der übrigen Bevölkerung wie von den deutschen Behörden vielfach als Herausforderung empfunden und unterwarf die muslim. Frauen und Mädchen besonderen Spannungen im öffentlichen wie im privaten Leben. Die verbreiteten Einstellungen zum Islam und zu den Muslimen sind in D. immer noch zum guten Teil von älteren Stereotypen geprägt, in denen der Islam als exot. Chiffre für Mystik, Macht und Leidenschaft, aber auch als Bedrohung für Religion und Gesellschaft in Erscheinung tritt. Zwischen den doch sehr unterschiedlichen islam. Staaten und Gesellschaften wird dabei kaum unterschieden. Die polit. Konflikte mit den Ländern des Nahen Ostens haben diese Stereotypen überlagert und immer wieder aktualisiert. Nicht zu unterschätzen ist allerdings die gewandelte Einstellung zum Islam, die sich in den christlichen Kirchen in D. seit den 1960er Jahren entwickelte und die über den interreligiösen Dialog die institutionelle Integration der Muslime ins öffentliche Leben stark gefördert hat. Mit dem Anwachsen esoter. Strömungen fand auch die islam. Mystik wachsende Beachtung, und nicht wenige deutsche Konvertiten sind mit SûfîBewegungen verbunden. Der öffentliche intellektuelle Diskurs über den Islam wird jedoch seit der Iran. Revolution und der Rushdie-Affäre weithin von Diskussionen um Meinungsfreiheit, Menschenrechte und wiederum besonders um die Stellung der Frau bestimmt. Der Islam wird in aktuellen polit. Debatten nicht selten zum negativen Kontrastbild für die eigenen polit. und kulturellen Wertvorstellungen. Erst allmählich tritt daneben das Faktum einer wachsenden islam. Gemeinschaft in D. selbst ins Bewußtsein. Muslim. Vertretungen und Organisationen: Deutschland ist ein säkularer Staat und erkennt deshalb die Religionen an, mit denen Konkordate und Kirchenverträge abgeschlossen werden, solange sie den Status von Körperschaften des öffentlichen Rechtes besitzen. Der Islam hat diesen Status nicht und kann daher auch nicht die entsprechenden Vorteile – wie z.B. Kirchensteuer, Religionsunterricht und Medienaufsicht – genießen. Das Grundgesetz kann von allen Religionen beansprucht werden. Die Muslime wenden jedoch ein, dass dieses einer christlichen Tradition entsprungen sei, deren Befolgung einer "Verkirchlichung" des Islam gleichkäme. http://www.bpb.de/publikationen/K4PW7Y,3,0,Reaktionen_auf_muslimische_Zuwanderung_in_Europa.html#art3 Die Bemühungen der Muslime zielen insbesondere auf die rechtliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft. Die Anerkennung des Status einer Körperschaft des Öffentlichen Rechtes, den die christlichen Kirchen und die jüd. Gemeinden in D. genießen, scheiterte für den Islam bisher an der Vielzahl der islam. Organisationen und Verbände und an offiziellen Vorbehalten gegenüber ihrer Verfassungstreue. 25 Diese Bedenken wurden insbesondere durch die militante Bewegung des türk. Hoca Cemalettin Kaplan (gest. 1995) genährt, der seit Anfang der 1980er Jahre offen die Errichtung eines islam. Staates in der Türkei anstrebte und sich schließlich 1992 zum Kalifen ausrief. Sein Sohn und Nachfolger wurde 1999 verhaftet und angeklagt, die Ermordung eines Dissidenten angestiftet zu haben. 2000 wurde er schließlich zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Die Bewegung zog zeitweilig viele türk. Jugendliche an, die bereits in D. aufgewachsen waren, isolierte sich jedoch durch ihre rigiden Ansprüche und ihren zunehmend exklusiven Charakter. Gerade bei den religiös Engagierten markierte sie damit eine wichtige Wasserscheide zwischen islamist. Abgrenzung und dem Streben nach einer wirksamen Organisation muslim. Interessen innerhalb der deutschen Strukturen. Mittlerweile bestehen zwei größere Dachverbände, der Zentralrat der Muslime in D. (gegründet 1986, unter dem angegebenen Namen seit 1994) und der Islamrat der Bundesrepublik D. (gegründet 1986), in denen jeweils eine Vielzahl von islam. Vereinigungen unterschiedlicher Herkunft zusammengeschlossen sind und die neuerdings über ein gemeinsames Komitee in Fragen der religiösen Bildung und Erziehung eng miteinander kooperieren. Aktuelles Ziel ist dabei die Einführung eines islam. Religionsunterrichtes an staatlichen Schulen, der aber auch eine jurist. Anerkennung als Religionsgemeinschaft voraussetzt. Als Reaktion auf die Kaplan-Bewegung gründete die türk. Regierung 1984 eine eigene Organisation für die Angelegenheiten der türk. islam. Gemeinden in D. (DITIB, Diyanet Ischleri Türk-Islam Birlii - dt.:TürkischIslamische Union), die mittlerweile die Mehrzahl der türk. Moscheen in D. kontrolliert und mit eigenen, in der Türkei ausgebildeten Imamen versieht. Engere Beziehungen zu den deutschen Muslimen unterhält die zweitgrößte türk. islam. Organisation, die Islam. Gemeinschaft Milli Görüsch (IGMG, gegr. 1975), die im Umfeld des türk. Politikers Necmettin Erbakan beheimatet ist und die auf der Grundlage einer islam. polit. Orientierung den Dialog mit staatlichen und kirchlichen Institutionen sucht. Von seiner Bildungsarbeit am weitesten auf die deutschen Verhältnisse eingestellt erschien längere Zeit der Verband der Islam. Kulturzentren (VIKZ, in D. bereits seit den 1960er Jahren aktiv). Als erste türk. islam. Organisation gründete er 1998 eine eigene Akademie für die Erwachsenenbildung (Villa Hahneburg, Köln) mit einem umfangreichen deutschsprachigen Programm, das stark auf den interreligiösen Dialog ausgerichtet war. Diese wurde allerdings 2000 nach einem internen Richtungswechsel innerhalb der VIKZ wieder geschlossen, und der Verband verließ den Zentralrat, dessen Position dadurch empfindlich geschwächt wurde. Außerhalb dieser u. a. türk. Organisationen bestehen bedeutende islam. Zentren in Aachen und München, begründet von syrischen bzw. ägypt. Exilanten der Muslimbruderschaft, sowie ein angesehenes schiit. Zentrum in Hamburg, das seit seiner Gründung von einigen der prominentesten Gelehrten des Iran (u. a. dem derzeitigen Staatspräsidenten Khatami) geleitet wurde. Auch deutsche Konvertiten spielen in der Öffentlichkeit eine wachsende Rolle als Vermittler und Sprecher für die Interessen der Muslime. Nicht zu unterschätzen ist jedoch nicht nur im Fall der Türkei das Gewicht der Botschaften und Konsulate islam. Länder, die intensiv darum bemüht sind, ihren Einfluß auf die religiösen Angelegenheiten ihrer Landsleute in D. zu erhalten. Angesichts der nationalen und kulturellen Vielfalt der Muslime bleibt nach wie vor offen, inwieweit der Islam in D. innerhalb bestimmter nationaler Minderheitengruppen organisiert bleiben wird und inwieweit sich daneben eine eigenständige deutsch-muslim. Gemeinschaft herausbilden kann. Elger, Ralf/Friederike Stolleis (Hg.): Kleines Islam-Lexikon. Geschichte – Alltag – Kultur. München: Beck 2001. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2002. 3.3. Islam und Säkularisierung Die These, wonach der Islam eine zutiefst politische Religion sei, die eine Säkularisierung nach europäischem Muster bislang nicht zulasse, ist in der Öffentlichkeit zwar weit verbreitet, in der Wissenschaft ist sie jedoch umstritten. Die klassische Islamwissenschaft, die ihre Forschung überwiegend auf das Studium mittelalterlicher Quellen beschränkte, unterstützte die These von der Besonderheit der islamischen Welt. Weil Mohammed gleichermaßen als Prophet und als Staatsmann gewirkt habe, sei die Theokratie, also die Gottesherrschaft, von Beginn an die ideale islamische Staatsform gewesen. An diesem Ideal hätten sich die nachfolgenden Generationen messen lassen müssen. Und weil sie diesem Anspruch nie genügen konnten, sei das islamische Reich irgendwann in sich selbst zusammengefallen. Doch in den vergangenen Jahrzehnten hat in der Forschung zur politischen Natur des Islam ein Paradigmenwechsel 26 stattgefunden. Vor allem Sozialwissenschaftler gehen von einer neuen Fragestellung aus. Sie versuchen nicht nachzuweisen, wie das ideale islamische Gemeinwesen wohl auszusehen habe, sondern untersuchen, wie sich die politischen Verhältnisse in der Realität entwickelten. Sie betrachten nicht das Ideal, sondern die Wirklichkeit und analysieren den Zustand der islamischen Gesellschaften in ihrer jeweiligen Ausprägung, ohne zu urteilen, ob diese sich nun „islamisch“ verhalten oder nicht. „Nicht die Religion ist der Schlüssel zum Verständnis der Gesellschaft, sondern die Gesellschaft ist der Schlüssel zum Verständnis der Religion“, wie es der libanesische Soziologe Halim Barakat ausdrückte. Dass die islamische Herrschaft zwangsläufig auf eine Theokratie hinauslaufe, ist demnach ein von Menschen formulierter Anspruch, der mithin keine universelle Gültigkeit beanspruchen könne. Die beiden unterschiedlichen Ansätze wirken sich auch auf die Beurteilung der gegenwärtigen Lage in der islamischen Welt aus. Die Anhängerschaft der klassischen Variante sieht den Westen und den Islam zwangsläufig auf Konfrontationskurs, da ihre Wertesysteme nicht zusammenpassten und beide Seiten den Rest der Welt von ihrer jeweiligen Überlegenheit überzeugen wollten. Der „Krieg gegen den Terrorismus“, den die USA nach den Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center und auf das Pentagon in Washington am 11. September 2001 ausriefen, wird von den Vertretern der klassischen Variante als Teil dieses globalen Konflikts eingeordnet. Der bekannteste Vertreter der klassischen Variante auf westlicher Seite ist heute der amerikanische Politologe Samuel Huntington von der Harvard Universität. Sein Buch vom „Clash of Civilizations“ („Kampf der Kulturen“) avancierte 1996 zum Weltbestseller und füllte nach dem 11. September erneut die Regale der Buchläden. Laut Huntington sind Islam und Demokratie unvereinbar, weil Muslime eine Trennung von Religion und Politik nicht akzeptieren könnten. Außerdem seien Muslime nicht in der Lage, anderen Religionen Toleranz entgegenzubringen; die Grundlagen des islamischen Glaubens verlangten von seinen Angehörigen, Andersgläubige notfalls mit Gewalt unter die Herrschaft des Islam zu zwingen. Damit vertreten Wissenschaftler wie Huntington den gleichen Standpunkt wie diejenigen, die sie als die Feinde des Westens bezeichnen: die Islamisten, die Vertreter eines puristischen, konsequent politischen Verständnisses des Islam. Auch sie glauben genau definieren zu können, was islamisch ist und was nicht; auch sie halten den Islam für ein allumfassendes System, das unabhängig von Zeit und Raum Gültigkeit hat. Der zum Dogma erhobene Grundsatz, Religion und Politik gehörten im Islam zwangsläufig zusammen, stammt ebenfalls von ihnen. Die Islamisten haben es geschafft, im Westen als die eigentlichen Vertreter des Islam angesehen zu werden – obwohl sie nur eine bestimmte politische Ideologie vertreten, die zudem weniger als ein Jahrhundert alt ist. Wie aber ist dann „der Islam“ zu verstehen, wenn nicht so, wie ihn die Islamisten oder Wissenschaftler wie Huntington definieren? Bei einem Blick auf die konkrete Lebenswelt von Muslimen lässt sich feststellen, dass es den einheitlichen Islam, wie ihn die Islamisten propagieren, in der Realität nicht gibt. Vielmehr passen sich Muslime bislang meist den jeweiligen Bedingungen an, die sie vorfinden. So leben in Europa mehrere Millionen Muslime. Sie sind gegenüber den Nichtmuslimen deutlich in der Minderheit, und die staatlichen Systeme, in denen sie leben, sind keine islamischen Staaten. Muslime als Minderheit sind im klassischen islamischen Recht aber gar nicht vorgesehen. Sie sollten in einem solchen Fall entweder auf die Islamisierung der Mehrheitsgesellschaft hinarbeiten, oder, wenn sie daran scheitern, in das Dar al-Islam, das Haus des Islam, zurückkehren. Die überwiegende Mehrheit der europäischen Muslime arrangiert sich aber mit ihrer Minderheitensituation. Viele von ihnen nehmen sogar aktiv am demokratischen Leben der jeweiligen Länder teil und fühlen sich dennoch als ebenso gute Muslime wie ihre Glaubensbrüder und -schwestern in einem islamischen Land. Zwar gibt es in Europa extremistische Organisationen, die von der Weltherrschaft des Islam träumen mögen. Ihre Anhängerschaft ist aber vergleichsweise gering. Laut einer Umfrage des Zentrums für Türkeistudien in Essen fühlen sich jedenfalls 70 Prozent der türkischen Muslime in Deutschland zuhause. Der Islam ist, so die Berliner Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer, „überspitzt ausgedrückt, weitgehend das, was Muslime an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit als islamisch definieren und praktizieren“. Es gibt aber dennoch im Islam allgemeingültige Regelungen, die die Muslime weltweit verbinden. Doch diese beziehen sich meist auf grundlegende kultische Handlungen wie das Fasten, Beten oder die Pilgerfahrt nach Mekka. Dass der Islam dennoch als eine zutiefst politische Religion betrachtet wird, in der es keine Trennung zwischen Weltlichem und Religiösem geben könne, hat etwas mit der Entstehungsgeschichte dieser Religion zu tun. http://www.bpb.de/publikationen/0SF8X0,0,0,Einleitung.html (12.05.2009) 27 3.4. Grundinformationen Islam Grundlagen und Hauptquellen Der Islam, der vom Propheten Muhammad verkündet wurde, ist eine monotheistische Offenbarungsreligion und versteht sich als die jüngste der drei abrahamitischen Religionen (Judentum, Christentum und Islam). Die Wörter Islam und Muslim, wie auch der Gruß Salâm (wörtl. „Friede“) gehen auf dieselbe arabische Wortwurzel slm zurück, die etwa „unversehrt sein und sicher“ bedeutet. In der islamischen Terminologie bedeutet das Wort „Islam“ Hingabe zu Gott, Unterwerfung unter seinen Willen, und das Wort Muslim bezeichnet denjenigen, der sich Gott hingibt und sich im Frieden mit Ihm und Seinen Geschöpfen befindet. Im Unterschied zum Christentum kennt der Islam keine Taufe, kein Priestertum und keine kirchenähnliche Institution. Es gibt keinen Vermittler zwischen Gott und dem Menschen. Der Prophet Muhammad wird von den Muslimen als ein normaler Mensch und Verkünder der göttlichen Botschaft betrachtet. Der Islam hat einen ganzheitlichen Charakter und umfasst alle Lebensbereiche eines Muslims – vom gesellschaftlichen Alltag bis zum Privatleben. Eine strikte Trennung zwischen Geistlichem und Weltlichem ist ihm fremd. Diese Glaubensstruktur beeinflusst die Präferenzen und Entscheidungsfindungen eines Muslims. Der Koran und die Sunna, d.h. die authentische Überlieferung dessen, was der Prophet Muhammad gesagt, getan und gebilligt hat, sind zwei zentrale Grundquellen des Islam, die nun hier näher erörtert werden sollen. Der Koran: Der Koran (wörtl. Vortrag), die wichtigste Quelle des Islam und das Wort Gottes in arabischer Sprache, spielt im Leben der Muslime eine zentrale Rolle. Er wurde dem Propheten Muhammad in den Jahren ca. 610 bis 632 n. Chr. von Gott mittels dem Erzengel Gabriel offenbart. Der Prophet trug die Offenbarung, die er erhielt, mündlich vor und ließ sie zudem durch seine Offenbarungssekretäre aufschreiben. Seine Gefährten lernten ferner die einzelnen Offenbarungen auswendig. Der Koran versteht sich selbst als ein Buch, das den Menschen den rechten Weg weist und sie ermahnt. Zudem ist er herabgesandt worden, um die früheren Offenbarungen (Thora, Evangelium, u. a.) zu bestätigen bzw. sie zu modifizieren. Leben und Lehre des Propheten Muhammad (Sunna): Der Prophet Muhammad (570-632) verkündete – wie die früheren Propheten – den Menschen die Botschaft Gottes, nämlich den Islam durch den Koran. Der Islam versteht sich als eine universelle Religion, die den Glauben an den Einen Gott lehrt und dessen Grundprinzipien in allen Offenbarungsreligionen zu finden sind. Diese Grundprinzipien wurden von allen Propheten, von Adam bis Muhammad, verkündet. Der Koran, also die Offenbarungen, die Muhammad erhielt, wurden von ihm durch Wort und Tat erklärt und ausgelegt. Somit ist er die primäre Autoritätsperson und ein Vorbild für die Muslime in allen Lebensbereichen. Weitere Quellen bzw. Urteilsmethoden: Idschmâ’ und Qiyâs Liegt eine neue Entscheidungssituation vor, die weder im Koran noch in der Sunna behandelt worden ist, so wird sie mit Hilfe der in der islamischen Geistesgeschichte entwickelten Urteilsmethoden der Rechtsfindung gelöst. Dazu zählen: Der Meinungskonsens (Idschmâ’) und der Analogieschluß (Qiyâs) der islamischen Religionsgelehrten. Sunniten und Schiiten: Die Sunniten (ca. 90%) und Schiiten (ca. 10%) bilden die zwei größten Gruppen in der islamischen Welt (ca. 1 Milliarde). Innerhalb der sunnitischen Welt gibt es vier anerkannte Rechtsschulen: Hanafiten, Malikiten, Schafiiten und Hanbaliten. Diese Schulen erkennen sich gegenseitig an, unterscheiden sich vor allem durch unterschiedliche Interpretationen der gemeinsamen Hauptquellen. Die Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime sind Sunniten (ca. 80%). 28 Die islamischen Grundpflichten („Die fünf Säulen des Islam“): Das Befolgen der islamischen Grundpflichten pflegt und stärkt die innere Beziehung des Muslims zu seinem Schöpfer und ist für ihn ein konkretes Zeichen seiner Zugehörigkeit zum Islam und der muslimischen Gemeinschaft. Das Glaubensbekenntnis: Das freiwillige und aufrichtige Aussprechen des Glaubensbekenntnisses (Schahâda): „Ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer dem Einen Gott gibt und dass Muhammad Sein Diener und Gesandter ist“, macht einen Menschen zu einem Muslim, wobei er gleichzeitig die islamischen Pflichten, Wertvorstellungen und Handlungsnormen anerkennt. Das Pflichtgebet (arab. salât, türk. namaz): Das fünfmalige rituelle Gebet ist den Muslimen durch den Koran vorgeschrieben (vgl. Sure 4/103). Durch das Gebet dankt der Mensch Seinem Schöpfer und ergibt sich Seinem Willen. Das Pflichtgebet wird fünf Mal am Tag verrichtet: vor Sonnenaufgang, am Mittag, am Nachmittag, nach Sonnenuntergang und in der Nacht. Vor dem Gebet findet eine rituelle Reinigung der Körperglieder statt, die unter fließendem Wasser geschieht. Dies dient der innerlichen Vorbereitung auf die Begegnung mit dem Schöpfer. Gebetet wird auf reinem Boden oder einer entsprechenden Unterlage (z. B. Gebetsteppich). Das Gesicht ist beim Gebet nach Mekka (in Deutschland Richtung Südosten) auszurichten. Dies symbolisiert die Einheit aller Muslime auf der Welt. Ein Gebet besteht aus mehreren Gebetsabschnitten und Körperhaltungen. Dabei werden bestimmte Gebetstexte und Koranverse auswendig rezitiert. Außer diesem rituellen Pflichtgebet hat auch das freie Bittgebet (duâ), das unabhängig von Zeit und Ort verrichtet werden kann, eine wichtige Bedeutung. Denn beide Gebetsformen gewinnen in Notsituationen oder im Krankheitszustand eine besondere Bedeutung. Das Fasten (arab. saum, türk. oruç): Das Fasten im islamischen Monat Ramadan hat einen besonderen Stellenwert unter den islamischen Grundpflichten, weil die Intensität des religiösen Lebens in diesem Monat ihren Höhepunkt erreicht. Der Koran unterstreicht die Tradition des Fastens innerhalb der monotheistischen Religionen (vgl. Sure 2/183). Das Fasten beinhaltet den Verzicht auf jegliche flüssige und feste Nahrung sowie auf Rauchen und Geschlechtsverkehr in der Zeit zwischen Morgendämmerung und Sonnenuntergang. Erwachsene und mündige Muslime sind zum Fasten verpflichtet. Reisende, Stillende, Menstruierende, Schwangere und nicht zuletzt Kranke sind von der Fastenpflicht ausgenommen, weil das Fasten ihren Körper zusätzlich belasten könnte. Geist und Körper fasten in diesem Monat. Das heißt, durch die Zügelung des Körpers und der Triebseele (nafs) werden auch die Leidenschaften und Begierden gezügelt. Am eigenen Leibe wird erfahren, wie es hungernden Menschen geht, was zur Aneignung einer gewissen Sensibilität beiträgt. Schließlich wird durch das Fasten die Gottesfurcht (taqwâ) gestärkt. Die Wallfahrt nach Mekka (hadsch): Jeder erwachsene und mündige Muslim, der körperlich gesund und finanziell in der Lage ist, ist verpflichtet, einmal in seinem Leben zur heiligen Stätte (Masjid al-Harâm) in Mekka im letzten Monat des islamischen Mondjahres zu pilgern (vgl. Sure 3/97). Das weiße Pilgerkleid, das jeder Muslim bei den Ritualen zu tragen hat, erinnert an ein muslimisches Leichentuch, damit der Gläubige einen Eindruck vom Jüngsten Gericht vermittelt bekommt. Durch die Einheitlichkeit der Kleidung wird die Gleichrangigkeit der Gläubigen vor Gott betont, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe und sozialer Stellung. Die Armensteuer (zakât): Nach islamischem Glauben ist der Mensch nicht der wahre Besitzer seines Eigentums, sondern Treuhänder Gottes. Durch die Armensteuer gibt er den Anteil der Armen an seinem Hab und Gut zurück. Dadurch wird die Solidarität in der Gemeinschaft gestärkt und der Neid der Armen gegenüber den Reichen wird abgebaut. 29 Die islamischen Glaubensprinzipien: Glaube an Gott: Der Glaube an den Einen Gott (tauhîd) bildet die Grundlage des Islam. Aus diesem Grunde lautet der fundamentale Glaubenssatz: Es gibt keinen Gott außer dem Einen Gott (Lâ ilâha illâ ’llâh). Im Koran heißt es dazu: „Sprich: Er ist Gott, ein Einziger; Gott, der Souveräne. Er hat nicht gezeugt, und Er ist nicht gezeugt worden, und niemand ist Ihm ebenbürtig.“ (Sure 112/1-4). Laut dem islamischen Glauben gehören Gott die schönsten Namen und Attribute (al-asmâ’ al-husnâ), denn Er ist allmächtig, allwissend, barmherzig und vollkommen. Alles, was existiert, ist von Ihm geschaffen, auch der Mensch, der eine besondere Stellung bei Gott genießt (vgl. Sure 50/16; Sure 95/4; Sure 17/70). Glaube an die Engel: Engel sind nach islamischem Glauben metaphysische, geschlechtsneutrale Wesen. Als Diener Gottes loben und preisen sie Gott und befolgen unmittelbar seine Befehle. Die Vermittlung der göttlichen Offenbarung an die Propheten, der Schutz und die Bewachung der Menschen, die Unterstützung der Gläubigen sowie das Abberufen der menschlichen Seele vom Körper beim Sterbeprozess sind wichtige Aufgaben der Engel. Siehe zu den Erzengeln: Dschabrâîl (Gabriel), Isrâfîl, Azrâîl, Mîkâîl. Glaube an die Offenbarungsschriften: Der Psalter (Zabûr) Davids, die Thora (Taurât), das Evangelium (Indschîl) und der Koran sind nach islamischem Glauben verschiedene Offenbarungsschriften, die der gleichen Tradition angehören. Der Koran versteht sich als eine Bestätigung der früheren Offenbarungen und betont seine inhaltliche Übereinstimmung mit diesen Schriften (vgl. Sure 5/44-48). Glaube an die Propheten: Der Koran berichtet von mehreren Propheten, unter anderem auch von den biblischen Propheten, die von Gott zu den Menschen geschickt wurden, um sie auf den rechten Weg zu leiten, zu ermahnen und die frohe Botschaft Gottes zu verkünden (vgl. Sure 4/165). Jedes Volk bekam einen Propheten in seiner Sprache. Der Auftrag der Propheten bestand darin, den Glauben an den Einen Gott zu verkünden, ohne Ihm Götzen beizugesellen. Der Prophet Muhammad gilt, dem islamischen Glauben nach, als der letzte Prophet in dieser Tradition und wird als „Siegel der Propheten“ bezeichnet. Glaube an das Jenseits: Der Glaube an den Jüngsten Tag, an das Gericht und an ein Leben nach dem Tod gehört zu den wesentlichen Glaubensartikeln des Islam. Der Tod ist nicht das absolute Ende eines Menschen, sondern nur ein Übergang vom Diesseits zum Jenseits, wo die guten Taten des Erdenlebens mit dem Paradies belohnt und die schlechten Taten mit der Hölle bestraft werden (vgl. Sure 99/7-8). Glaube an die Vorherbestimmung (qadar): Der Glaube an die Vorherbestimmung beinhaltet das ewige Wissen Gottes über alle Ereignisse bezüglich der Schöpfung und die Festlegung ihrer Ursachen und Bedingungen. Im Koran begegnen wir den beiden für sich schlüssigen Gegenpolen, einerseits der völligen menschlichen Willens- und Handlungsfreiheit und andererseits der vorherigen Festlegung und Wissen aller Ereignisse als ein Resultat der göttlichen Attribute. Daraus resultierend kann weder die Ablehnung einer Vorherbestimmung noch die Identifizierung des islamischen Glaubens mit Fatalismus vertreten werden. Heute gehen die Muslime von folgendem Konzept aus: Der Mensch ist Urheber seiner Handlungen, wobei sich jedoch diese Art des Schaffens von der Gottes unterscheidet. Während Gottes Schöpfung sich aus dem Nichts vollzieht, erschafft der Mensch nur etwas aus bereits Geschaffenem. Der Mensch trägt Verantwortung für die durch seinen Willen entstandenen Handlungen. Es widerspricht der Gerechtigkeit Gottes, dem Menschen keinen Entscheidungsraum zu ermöglichen und ihn dennoch zu belohnen oder zu bestrafen. http://www.gesundheit-kultur.de/gesundheit_krankheit_und_muslimische_patienten/islam (12.5.2009) 30 3.5. Christentum aus muslimischer Sicht Vorbemerkung: Wenn es im Koran viele Stellen über Konflikte bzw. Ausgrenzungen gegen Christen und andere gibt, ist dies nicht als Ausdruck des absoluten göttlichen Willens anzusehen, sondern vielmehr als Stellungnahmen zu geschichtlichen Zuständen, wofür alle Akteure der Epoche, die den politischgesellschaftlichen Hintergrund dieser Passagen bilden, mit ihrem ethischen Niveau gemeinsam verantwortlich sind. Aufgrund dieser Besonderheit der koranischen Rhetorik ist es nur mittels einer Ausdrucksanalyse möglich, das zu bestimmen, was genau der Koran in diesen Passagen damals sagen wollte und was daraus für heute entnommen werden könnte. 1. Zum allgemeinen Bild von Schriftbesitzern im Koran Bekanntlich wird die Offenbarungsperiode traditionell in zwei große Hauptepochen eingeteilt, die mekkanische und die medinensische. Ihr grundlegendes Unterscheidungsmerkmal ist die unterschiedliche politische und gesellschaftliche Situation, die die Muslime in den beiden Epochen umgab, und damit hängt die unterschiedliche Wahrnehmung des ›Anderen‹ zusammen. Dieser Unterschied schlägt sich auch im unterschiedlichen Aufbau mekkanischer und medinensischer Verse des Korantextes nieder. Politisch und gesellschaftlich betrachtet waren die Muslime in Mekka eine Minderheit in ihrem eigenen Land. So wurde die mekkanische Situation zum Schauplatz für eine Unterdrückung seitens der eigenen Gesellschaft. In Medina hingegen hatten sie politische Unabhängigkeit erlangt und von Anfang an mit den Leuten der Schrift (vor allem den Juden) zusammen dasselbe politische Gemeinwesen aufgebaut. Aber die medinensische Situation wurde dann in wenigen Jahren zum Schauplatz für eine Ausgrenzung, sogar für Kriege und daher für die Erlangung und Ausweitung der politischen Vormacht. Daher sind die Wahrnehmung des ›Anderen‹ im Koran und seine Haltung, die man den Schriftbesitzern gegenüber einnehmen sollte, nicht einheitlich, so dass die diesbezüglichen Passagen größtenteils am schwierigsten zu interpretieren sind. Sehen wir uns (...) Verse an, in denen es sich nicht ausdrücklich um »Christen« oder »Juden«, sondern um die so genannten »Leute der Schrift« bzw. »Schriftbesitzer« (ahl al-kitab) handelt, so kristallisiert sich im Allgemeinen folgendes Bild deutlich heraus: Der Koran sagt unter anderem, dass die meisten der Schriftbesitzer Frevler sind (3,110); dass sie, obwohl ihnen die Wahrheit offenbart wurde, aus schierem Neid versuchen, die Muslime zur Ablehnung zurückzubringen (2,109); (...); dass sie Freundschaft mit den Heiden schließen (5,80); (...); dass sie Personen wie Ezra und Jesus zu ihren Göttern und ihre Rabbiner und Priester zu ihren Herren machen (9,30–31); (...); dass sie Gottes Religion nicht ernst nehmen, sie vielmehr zum weltlichen Nutzen verkaufen (3,187); dass sie es mit ihrer Religion übertreiben (5,77); dass sie angeben, Gottes Söhne und Lieblingsdiener zu sein (5,18) und deshalb behaupten, als Einzige ins Paradies zu kommen (2,211); (...). Zwar zeichnet der Koran von den Schriftbesitzern ein schlechtes Bild als Hintergrund des politischgesellschaftlichen Lebens in Medina, aber er ordnet nicht alle Gruppierungen pauschal in dieselbe Kategorie ein. Vielmehr gibt er in verschiedenen Versen zu verstehen, dass die Schriftbesitzer nicht alle gleich sind, sondern dass es unter ihnen wahrhaft gläubige Menschen gibt (3,110); dass sie sowohl an den Koran glauben, der für die Muslime herabgesandt wurde, als auch an die ihnen selbst übermittelten göttlichen Botschaften (3,199; 4,162); dass sie an Gott und den Jüngsten Tag glauben, dass diese Gläubigen auch rechtschaffene Menschen sind, das Gute gebieten und das Schlechte verbieten, eifrig in guten Werken sind, nachts Gottes Verse rezitieren und Niederwerfungen vollziehen (3,113 f.); dass sie sittlich reif sind, wie der Koran mit dem Beispiel erläutert, dass sie ihnen anvertrautes Gut sicher nicht veruntreuen (3,75). Es ist nicht immer leicht festzustellen, in welchen Passagen, in denen nur die Bezeichnung ahl al-kitab vorkommt, Christen gemeint sind. Man kann an dieser Stelle mit einer gewissen Sicherheit nur sagen, dass mit der Bezeichnung »Schriftbesitzer« im Koran oft die Juden bzw. verschiedene jüdische Gruppen der damaligen Zeit gemeint waren. Von daher ist es weder wissenschaftlich noch theologisch zu begründen, ausgehend von dieser gemeinsamen Bezeichnung darauf zu schließen, dass der Koran hiermit jedes Mal die beiden Religionsgemeinschaften meine oder sie generell gleichsetze. 31 2. Zu den Beziehungen mit Christen in den Offenbarungsjahren Anhand historischer Angaben ist uns bekannt, dass der Prophet schon vor der Offenbarung durch seine Kontakte zu Christen in seiner Umgebung einigermaßen Kenntnisse über das Christentum und die Christen hatte. Außerdem erfahren wir aus den historischen Quellen, dass er in den frühen Jahren der Offenbarung gute Kontakte zu den Sklaven christlicher Herkunft um Mekka pflegte – es gibt Passagen, die in diesem Rahmen verstanden werden (16,103; 25,4). Der Prophet muss gute Eindrücke von Christen gehabt haben, als er die Muslime anleitete, nach Abessinien auszuwandern, »wo ein gerechter christlicher König regiert, bei dem niemand unterdrückt wird«. Wir wissen auch, dass er Vertreter christlicher Gemeinden außerhalb von Mekka (vor allem aus NaºrÁn) empfing und sie beriet (Sure 3,59 ff. bezieht sich auf ein Gespräch mit den Christen aus Nagran). (...) Ebenfalls spiegelt sich im Koran wider, dass sich die Muslime über den Sieg der christlichen Byzantiner deshalb freuten, weil sie Schriftbesitzer waren (30,1–5). In der mekkanischen Periode kommen Koranpassagen, in denen die Christen kritisiert werden, selten vor und wenn, dann nur in Bezug auf ihre Vorstellungen von Jesus (z. B. Sure 19 und 43). In der medinensischen Periode standen die Muslime eher mit Juden in Kontakt, da sie in Medina viel mehr vertreten waren. Daher setzen sich viele Verse aus medinensischer Zeit mit ihnen auseinander und kritisieren sie sogar ziemlich heftig. Hingegen erhielten sich die positiven Eindrücke von Christen in Mekka weithin auch in der medinensischen Periode. Die erste Konfrontation mit den Christen war der Krieg von Muta (8 H./629 n. Chr.), zu dem die Tötung der muslimischen Botschafter durch Christen führte. Im Feldzug von Tabuk (9 H./630 n. Chr.), der in Sure 9 ausführlich behandelt wird, kam es jedoch nicht dazu, dass sie sich bekriegten.(...) 3. Zu den ausgrenzenden Aussagen des Korans gegenüber Christen Von der Entstehungsgeschichte des Islams ausgehend ist Folgendes festzustellen: Der Koran hat die Christen und Juden weder in der mekkanischen noch medinensischen Periode gezwungen, Muslime zu werden, während er dies mit den heidnischen Arabern von Beginn an tat. Der Koran sah die Juden und Christen in Mekka mehr oder weniger als Gemeinden desselben Glaubens an und erwartete von ihnen positive Annäherung an die neue Botschaft – in Sure 85 erreicht diese positive Wahrnehmung von Christen überhaupt ihren Höhepunkt. Nachdem es jedoch klar wurde, dass diese Erwartung nicht realistisch war, wurden sie als ›Andere‹ betrachtet, so dass sie je als eine unabhängige religiöse Gemeinde anerkannt wurden. Das hieß aber nicht, dass der Koran mit seinen Erwartungen an die Leute der Schrift völlig aufhörte, sondern diese beschränkten sich nun darauf, dass sie ihre eigene religiöse Lehre von den Missverständnissen und den späteren Veränderungen und Entfremdungen reinigen und eine entsprechende Haltung zeigen sollten (5,46 f.65 f.). In diesem Sinne könnte man von einem »islamischen Christentum« und einem »islamischen Judentum« sprechen, die der Koran schätzen würde, da sie keine von der monotheistisch-abrahamitischen Lehre entfremdenden Elemente mehr enthielten. Das Attribut »islamisch« heißt hier nicht »der im Koran ›Islam‹ genannten, von Muhammad verkündeten Tradition gehörig«, sondern »sich Gott ergebend«. Im Koran wird ja Abraham als ein »Muslim« in der letzteren Bedeutung betrachtet (3,19 f.67.83–85). In diesem Zusammenhang kann man sogar von der Existenz eines »nicht-islamischen Islams« bzw. »nicht-islamischer Islame« in der Vergangenheit und Gegenwart sprechen (vgl. 57,16). Bei einer näheren Untersuchung der ausgrenzenden Passagen gegenüber Christen ergibt sich die Tatsache, dass sie eher aus theologischer Sicht kritisiert werden, während die Ausgrenzungen gegenüber Juden und Heiden nicht nur theologisch, sondern auch politisch und ethisch geprägt sind. In diesem Zusammenhang soll auch darauf hingewiesen werden, dass die Ausgrenzung gegenüber Christen den Vorwurf, eigene heilige Schriften verfälscht zu haben, ausschloss, während dies den Juden sehr oft unterstellt wurde (2,79; 3,78; 4,46; 5,13.41). Schließlich lassen sich die wichtigsten Gründe der koranischen Ausgrenzung Christen gegenüber wie folgt aufzählen: 32 SEPARATISMUS: Eines der wichtigsten Probleme, mit denen sich die koranische Offenbarung vom Anfang bis zum Ende auseinander setzte, war die Tatsache der Uneinigkeit der Menschen. Der Lösungsvorschlag des Korans hierfür spiegelt sich in den mekkanischen Passagen, in denen die Hoffnung auf eine mögliche Einigung mit den Schriftbesitzern noch zu fühlen ist, als gemeinsame Rückbesinnung auf die einzige monotheistische Religion, die Religion der menschlichen Natur, die Religion Abrahams, des Vaters der drei Gemeinschaften. So sind die frühesten ausgrenzenden Aussagen gegenüber Christen – mit Juden zusammen – in die mekkanische Periode, in der der Koran sie offensichtlich noch nicht als eigene Religionsgemeinschaften anerkannte, zurückzuführen und bestehen aus dem Vorwurf, die einzig wahre Religion gespalten zu haben (...). MONOPOLISMUS: Schon gegen Ende der mekkanischen Periode nahm die koranische Offenbarung zur Kenntnis, dass die anderen abrahamitischen Traditionen sich je als eigene Religionen verstanden. Darüber hinaus ergab es sich in den ersten Jahren in Medina, dass die Leute der Schrift die Hoffnung auf eine richtige Einigung nicht zu erfüllen vermochten. Das war eine Art Resignation und verursachte gleichzeitig, den Islam zu einer eigenen Religion und die Muslime zu einer unabhängigen Religionsgemeinschaft zu erklären (5,3; 3,110; 22,78). Die Veränderung der Gebetsrichtung von Jerusalem nach Mekka symbolisiert diese tragische, aber entschiedene Trennung, die sich in Sure 2,142–157 verfolgen lässt. Die Kritik an die Schriftbesitzer wegen ihrer Absolutheitsansprüche gehört in die medinensischen Jahre (...). In diesem Zusammenhang wird im Koran die Vorstellung, von Gott auserwählt zu sein, stark abgelehnt (2,124; 2,134.141). Dadurch unterscheidet sich der islamische Wahrheits- und Heilsanspruch von deren Absolutheitsansprüchen ganz ausdrücklich (...). TRINITÄT UND CHRISTOLOGIE: Die koranischen Aussagen über die Trinität gehören zu den Teilen, die religionsgeschichtlich immer noch zu erörtern sind. Denn sie scheinen schwer miteinander in Einklang zu bringen zu sein, abgesehen davon, dass Korankommentatoren in sie Trinitätsbilder hineingelesen haben, die weder aus christlicher Sicht noch geschichtswissenschaftlich zu rechtfertigen sind. Es besteht jedoch kein Zweifel darüber, dass der Koran die christliche Vorstellung der göttlichen Natur Christi abgelehnt hat. In manchen der jeweiligen Passagen wird sie als eine Form der übertriebenen Frömmigkeit im negativen Sinne angesehen und kritisiert (4,171 f.; 5,77), während sie in anderen als ›Undankbarkeit‹ (kufr) – vielen Kommentaren und Übersetzungen zufolge aber als ›Unglaube‹ – bezeichnet wird (...). 4. Zur Bezeichnung kufr: Unglaube oder Undankbarkeit? Im Koran gibt es keinen speziellen Begriff, der das Wort ›Unglaube‹ ausdrückt. Alle Wörter, die in den Koranübersetzungen gewöhnlich mit ›Ungläubiger‹, ›Unglaube‹ u. a. wiedergegeben werden, sind aus der Wurzel des Verbs kafara entlehnt. Diese Wurzel beinhaltet ursprünglich Bedeutungen wie etwa »vertuschen, verbergen, verdecken, (eine gute Tat) nicht beachten, undankbar sein« und sie wird im Koran verwendet, um jene zu definieren, die dem Aufruf des Propheten verneinend geantwortet haben. Historisch betrachtet wissen wir, dass damit Religionsgemeinschaften gemeint waren, welche im Grunde die Existenz Gottes akzeptierten (Polytheisten, Juden und Christen u. a.). Aus diesem Grund entspricht es nicht den historischen Tatsachen, wenn man das Wort kufr als ›Unglaube‹ versteht. Dass der Koran diese Gruppierungen als kafirun bzw. kuffar bezeichnete, rührt daher, dass sie sich trotz ihres Glaubens an Gott den von ihm gesandten Boten und seiner Botschaft widersetzten. Durch die Bezeichnung kafirun bzw. kuffar charakterisiert der Koran nicht nur ihre religiöse Einstellung, sondern kennzeichnet auch ihre ethische Einstellung als Undankbarkeit. Da sich unter den Adressaten des Korans keine Gruppe befand, die im Sinne eines völlig Ungläubigen die Existenz Gottes ablehnte, begegnet man darin auch keinen Argumenten, die gegen den Unglauben entwickelt wurden. Wenn Muslime in den modernen Polemiken mit Atheisten vom Koran ausgehend argumentieren, ignorieren sie die Tatsache, dass der Koran sich mit dieser Problematik gar nicht beschäftigte, und wenden dabei koranische Ausdrücke über religiöse Gruppierungen an, die eigentlich an die Existenz Gottes glaubten, aber die Bedingungen dieses Glaubens nicht erfüllten und die Eigenschaften Gottes verzerrten, indem sie andere Wesen (Götzen oder Menschen) anbeteten. Damit haben die Muslime den Bedeutungsrahmen der Wurzel kafara so weit ausgedehnt, dass er nicht nur jede Art von Ablehnung oder anti-islamischer Haltung beinhaltet, sondern auch ›Unglaube‹ bedeutet. 33 5. Schluss Es ist nicht zu leugnen, dass neben Juden und Polytheisten auch Christen im Koran in gewisser Hinsicht ausgegrenzt werden. Diese ausgrenzende Haltung ihnen gegenüber wurde dennoch in Folge späterer oft unfriedlicher Verhältnisse zwischen den beiden Religionsgemeinschaften sowohl von Muslimen als auch von Christen aus ihrem historischen Kontext gerissen und überinterpretiert, wodurch eine offensichtlich eingeschränkte und bedingte Ausgrenzung allmählich zu einer absoluten stilisiert wurde. Neben jenen anachronistischen Überinterpretationen liegen dieser Ausdehnung der koranischen Ausgrenzung auch Bedeutungen zugrunde, die dem Begriffspaar kufr und islam im Nachhinein beigemessen worden sind. Es wäre ein wichtiger Schritt für die Muslime auf dem Wege des koranischen Ideals von der Einigkeit der Menschen in Bezug auf gemeinsame universale Werte, wenn sowohl bei der künftigen Koranforschung als auch in den Dialogbemühungen in Betracht gezogen würde, dass kufr nicht »Unglaube«, sondern »Undankbarkeit« – eine religiös-ethische Einstellung, die manche Muslime auch einschließen könnte – und islam nicht nur »Muslim-Sein«, sondern auch »Ergebenheit Gott gegenüber« – eine religiös-ethische Einstellung, die manche Nichtmuslime auch einschließen könnte – bedeuten. Meine letzten Worte möchte ich in diesem Zusammenhang dem Aufruf des Korans zu den Schriftbesitzern widmen, der vor 15 Jahrhunderten folgendermaßen lautete: »Sag: ›O Leute der Schrift! Kommt herbei! Einigen wir uns darauf, dass wir Gott allein dienen und nichts neben Ihn stellen und dass die einen von uns die anderen nicht zu Herren neben Gott annehmen.‹ Und wenn sie den Rücken kehren, dann sag: ›Bezeugt, dass wir Gottergebene (Muslime) sind‹.« (3,65) Dieser Vers ist nicht herabgesandt, damit man sich an ihn bei den modernen christlich-muslimischen Dialogversammlungen erinnert, sondern als eine Orientierung für die Muslime in der Geschichte, damit sie ihre Haltung gegenüber anderen Religionsgemeinschaften bestimmen, und als ein Aufruf an Schriftbesitzer, damit sie ihn wahrnehmen. Als ein Muslim, der sich dem koranischen Ideal »der Einheit der Menschen« von Herzen hingegeben hat, möchte ich am Ende meine Hoffnung ausdrücken, dass die Muslime ihre Meinungen und Haltungen gegenüber Christen im Lichte dieses Aufrufs und der Tatsache, dass die katholische Kirche, auch wenn erst nach Jahrhunderten, im Zweiten Vatikanischen Konzil gegenüber diesem Aufruf einen positiven Schritt getan hat, überprüfen und neu formulieren, und dass die katholische Kirche davon nicht wieder abgeht und die christlichen Kirchen gemeinsam ihren Weg des Dialogs und der Neubestimmung des Verhältnisses zum Islam fortsetzen. Gekürzter und bearbeiteter Artikel von Ömer Özsoy, „Leute der Schrift« oder Ungläubige?“ Ausgrenzungen gegenüber Christen im Koran. In: Theologisches Forum Christentum – Islam, Identität durch Differenz? Wechselseitige Abgrenzungen in Christentum und Islam, Hrsg.: Hansjörg Schmid/Andreas Renz/Jutta Sperber/Duran Terzi, Verlag Friedrich Pustet Regensburg, 2007, 107-118. 34