„Islam und Verfassungsstaat: Perspektiven einer Beziehung“

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Protokollierung des Themenblock I:
„Islam und Verfassungsstaat:
Perspektiven einer Beziehung“
Institution: Bundeszentrale für politische Bildung
Datum: 7. Mai 2010, 20:00 Uhr – 8. Mai 2010, 13:15 Uhr
Ort: Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Brühl
Name des Protokollanten: Muhammad Sameer Murtaza
Gliederung des Protokolls:
I.Zur Trennung von Religion und Politik im säkularisierten
Verfassungsstaat, Prof. Dr. Stefan Muckel, Universität
Köln
II. Islam und Verfassungsstaat – Theologische
Versöhnung mit der politischen Moderne?, Dr. Lukas
Wick, Universität Bern
III. Islam und Verfassungsstaat: Islamwissenschaftliche
Perspektiven, Dr. Mouhanad Khorchide, Universität
Münster
I. Zur Trennung von Religion und Politik im säkularisierten Verfassungsstaat,
Prof. Dr. Stefan Muckel, Universität Köln
Prof. Dr. Muckel griff in seinem Vortrag die aktuelle Diskussion über die Äußerungen
der CDU-Politikerin Aygül Özkan auf, dass an staatlichen Schulen Unterrichtsräume
frei von religiösen Symbolen sein sollten. Demnach hätten Kruzifixe und Kopftücher
in Schulen nichts zu suchen. In der Folge wurde Özkan von ihrer eigenen Partei, wie
auch der CSU und dem Zentralrat der Muslime heftig kritisiert.
Prof. Dr. Muckel macht hier ein Spannungsverhältnis aus. Auf der einen Seite sei
Deutschland ein Staat mit christlicher Vorprägung, was sich insbesondere an weiten
Teilen der deutschen Rechtsordnung bemerkbar mache, zum anderen sei die
Bundesrepublik zugleich ein säkularer Staat, der nichtchristliche Religionen, wie den
Islam, nicht zugunsten des Christentums diskriminieren dürfe.
Das deutsche Religionsverfassungsrecht sieht vor, dass Staat und Kirche getrennt
sind und es folglich keine Staatskirche gibt. Jedoch handele es sich dabei nicht um
eine strikte Trennung wie beim Laizismus, da die Verfassung ebenso
Kooperationsfelder vorsehe wie z.B. Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den
Grundsätzen der Religionsgemeinschaften, Militärseelsorge, staatlich geschützte
religiöse Feiertage und Kirchensteuer. Allerdings dürfe der Staat sich mit keiner
Religion oder Religionsgemeinschaft identifizieren. Der religionsneutrale Staat
verlangt die religiöse Parität und fördere damit die rechtliche Gleichstellung aller
Staatsbürger, gleich welcher Religion sie angehören, und die Gleichberechtigung
anderen Religionsgemeinschaften mit der Kirche. Damit besitzen im säkularen Staat
alle Religionsgemeinschaften die gleichen Entfaltungsmöglichkeiten. Dies bedingt
auch das Recht der Religionsfreiheit, wie auch das Selbstbestimmungsrecht der
Religionsgemeinschaften hinsichtlich ihrer inneren Organisation, der theologischen
Lehre und der Kooperation mit staatlichen Einrichtungen. Prof. Dr. Muckel resümierte
über das deutsche Staatskirchenrecht, dass der säkulare Staat die Religion weder
verleugne, noch unterdrücke oder gar vereinnahme, sondern ihr einen geschützten
Platz zuweise. Religion läge außerhalb der innerweltlichen Kompetenz des Staates.
Er sei bloß Friedensstifter ohne eigenen Wahrheitsanspruch und beansprucht daher
keine Kompetenz in religiösen Fragen.
Hinsichtlich der Diskussion über den Islam in Deutschland stellte Prof. Dr. Muckel
fest, dass der säkulare Charakter des Staates häufig vergessen werde und
Deutschland als christlicher Staat wahrgenommen wird. Bedenklich sei auch, dass
der Staat in die Situation gerät, seine religiöse Neutralität zu ignorieren. So sei
beispielsweise die Deutsche Islamkonferenz verfassungsrechtlich bedenklich, da der
Staat ihre Themen festlege und ihre Teilnehmer bestimme. Dies sei aber nicht mit
der Neutralität und der religiösen Parität vereinbar. Ebenso verwunderlich sei die
wiederholte Forderung seitens der Politik nach einer einzigen islamischen
Religionsgemeinschaft als Ansprechpartner für den Staat, da nach dem
Bundesverwaltungsgericht Dachverbände ebenso Religionsgemeinschaften seien
und es daher keine Notwendigkeit für eine übergeordnete Struktur gäbe. Auch die
Forderung des Wissenschaftsrates, dass künftig an deutschen Hochschulen Imame
ausgebildet werden sollen, sei insofern bedenklich, da muslimischen Organisationen
als Mitglieder von Beiräten ein Mitsprache- und Vetorecht bei der Besetzung der
Professuren und der inhaltlichen Lehre zugesprochen wird. Auch hier sei die Frage
offen, welche Organisationen in diesen Beiräten sitze würden und wer ihre
Zusammensetzung bestimmt. Erneut würde der Staat mit dem Neutralitätsgebot in
Konflikt geraten.
Bei der anschließenden Diskussion stand insbesondere die Repräsentanz der
Muslime in Deutschland im Vordergrund. So kritisierte ein Teilnehmer, dass der
Zentralrat der Muslime trotz seiner geringen Größe als Vertreter der Muslime in
Deutschland auftrete und wahrgenommen werde. Prof. Dr. Muckel teilte die Ansicht,
dass der Zentralrat nicht so zentral sei, wie dieser es gerne vorgibt. Allerdings sei bei
einer katholischen Religionsgemeinschaft das Bistum der Ansprechpartner, bei einer
evangelischen Religionsgemeinschaft die Landeskirche. Da der Islam über solche
Strukturen nicht verfüge, sei der muslimische Ansprechpartner nun einmal der
Vorstand einer Organisation, so dass der Zentralrat durchaus Muslime vertrete.
Auf eine zunächst gemischte Reaktion stieß Prof. Dr. Muckels Kritik an der
Einrichtung von Beiräten für Islamische Studien. Jedoch erläuterte er nochmals, dass
Beiräte, wenn sie denn funktionsfähig sein sollen, klein sein müssten. Dies führe
automatisch zu der Frage, wer in diesen Beiräten vertreten sein dürfe und wer nicht.
Dies sei eine Verletzung der staatlichen Neutralität. Auch verwies er auf den
Widerspruch, dass die Politik jahrelang eine islamische Religionsgemeinschaft
gefordert habe und sich nun mit Organisationen, die in Beiräten vertreten seien,
zufrieden gäbe. Notwendig seien Religionsgemeinschaften, die Vertragspartner des
Staates sind, andernfalls würde dem bewährten System von Trennung und
Kooperationsfeldern der Boden entzogen und der Staat geriete in die Position, sich
den Islam zu formen, der ihm gefalle.
In diesem Zusammenhang stellte ein Teilnehmer die Frage, ob denn das
Neutralitätsgebot lediglich für den deutschen Staat gelte oder auch Staaten wie die
Türkei, die über DITIB Einfluss auf die hier lebenden Muslime nimmt, betreffe. Prof.
Dr. Muckel entgegnete, dass das Grundgesetz lediglich den deutschen Staat
adressiere und daher das Neutralitätsgebot nur für diesen gelte. Hinsichtlich des
Einflusses der Türkei auf die DITIB stelle er eine Analogie zwischen dem
Vatikanstaat und der katholischen Kirche an.
II. Islam und Verfassungsstaat – Theologische Versöhnung mit der politischen
Moderne?, Dr. Lukas Wick, Universität Bern
Dr. Lukas Wick stellte seine Disseration Islam und Verfassungsstaat. Theologische
Versöhnung mit der politischen Moderne? vor, in der er der Frage nachging, ob Islam
und Verfassungsstaat miteinander vereinbar seien. Hierzu nahm er die Meinung der
muslimischen Rechtsgelehrten der Al-Azhar-Universität in Augenschein, da diese
aus seiner Sicht den größten Einfluss auf die muslimischen Massen hätten.
Intellektuelle besäßen dazu im Vergleich geringe bis gar keine Wirkung auf die
Muslime und zog hierzu den Vergleich zu Hans Küng, der zwar medienwirksam sei,
aber keinen Einfluss auf die katholische Kirche besäße.
Bei seiner Untersuchung sei ihm aufgefallen, dass die muslimischen Gelehrten
alle
verfassungsrechtlichen
Errungenschaften
(Wahlen,
Demokratie,
Religionsfreiheit) anachronistisch in die islamische Frühzeit projizieren, um sie auf
diese Weise zu legitimieren. Diese Verklärung und Fixierung auf die islamische
Frühzeit ließe ein Nachdenken über Säkularität nicht zu, da diese lediglich als eine
christliche Lösung für ein spezifisch christliches Problem betrachtet wird und als ein
trojanisches Pferd neokolonialen westlichen Bestrebens, um den Islam zu
schwächen. Eine solche Haltung werde auch durch den Export der wahhabitischen
Interpretation des Islam mit seiner literalistischen Lesart des Korans begünstigt.
Ebenso würden sich die muslimischen Gelehrten der rechtlichen
Gleichberechtigung von Muslimen und Nichtmuslimen verschließen und dabei auf die
theologische Vorstellung von der islamischen Urnatur des Menschen zurückgreifen.
Demnach sei jeder Mensch als Muslim geboren. Ein Abweichen von dieser Urnatur
werde als ein Abweichen vom ursprünglichen Menschsein aufgefasst. In einigen
Kreisen ginge dies soweit, dass dieses als Pervertierung der ursprünglichen Natur
des Menschen verstanden wird, was folglich eine rechtliche Gleichberechtigung
ausschließen würde.
Dr. Wick beklagte, dass es augenblicklich keine ernsthaften theologischen
Reflexionen hinsichtlich des veränderten politischen Kontexts gebe, so dass man
gegenwärtig sagen müsse, dass Islam und Verfassungsstaat nicht miteinander
vereinbar seien. Jedoch könnte ein neuer Impuls von den Muslimen im Westen
ausgehen, die eine positive Erfahrung mit dem säkularen Verfassungsstaat gemacht
hätten.
In der Diskussion wurde Dr. Wicks Fokussierung auf die Rechtsgelehrten der AlAzhar-Universität kritisiert, da diese – nach Ansicht eines Teilnehmers – nicht frei in
ihrer theologischen Meinung seien, sondern Staatsbeamte. Fraglich schien auch, ob
die Meinung von Laientheologen und Intellektuellen wirklich ignoriert werden könne,
da gerade diese im 20. Jahrhundert oftmals einen größeren Einfluss auf die Muslime
gehabt hätten, als die Rechtsgelehrten. Ein weiterer Teilnehmer vermisste die
Differenzierung zwischen Scharia und Fiqh. Letzteres sei Interpretation und
Erweiterung des islamischen Rechts durch die Rechtsgelehrten, jedoch nicht
identisch mit der Scharia, so dass man nicht aufgrund von Auslegungen durch
Rechtsgelehrte schließen könne, dass der Islam per se unvereinbar mit dem
Verfassungsstaat sei.
Auch Dr. Wicks Kritik an dem muslimischen Theologen Muhammad Abduh, der
als ein bedeutender Reformer des Islam gilt, wurde hinterfragt. Dr. Wick hatte im
Verlauf seines Vortrages die Verklärung des Islam und die Rückprojizierung
verfassungsrechtlicher Elemente Abduh angelastet. Ein Teilnehmer erwiderte, dass
es gerade Abduh gewesen sei, der durch eine tiefgehende theologische Reflexion
eine im Ansatz historisch-kritische Hinterfragung der islamischen Frühzeit angestellt
habe, indem er nach Absicht der juristischen Regelungen im Koran fragte und somit
nach ihrem Ethos. Weiter habe Abduh durch seine theologischen Ansichten
überhaupt erst ermöglicht, dass Muslime sich mit dem Verfassungsstaat
auseinandersetzten.
Schließlich wurde Dr. Wick auch gefragt, unter welchen Voraussetzungen sich
muslimische Gelehrte ernsthaft mit dem Verfassungsstaat auseinandersetzen
könnten. Woraufhin Dr. Wick erklärte, dass die literalistische-wahhabitische Lesart
des Korans und die Verklärung der Frühzeit das größte Hindernis hierzu darstellen,
da sie einen theologischen Tunnelblick verliehen, der neue Sichtweisen verhindere.
III. Islam und Verfassungsstaat: Islamwissenschaftliche Perspektiven, Dr.
Mouhanad Khorchide, Universität Münster
Dr. Khorchide zeigte in seinem Beitrag theologische Perspektiven auf, dass Islam
und Verfassungsstaat kein Widerspruch sein müssen. Allgemein gingen Muslime und
Nichtmuslime von folgenden Annahmen aus: (1) in der Demokratie ist das Volk der
Souverän, (2) im Islam sei Gott der Souverän und die islamische
Gesellschaftsordnung basiere auf der Scharia. Folglich müssten Muslime die
Demokratie ablehnen, da sie unvereinbar mit ihrem Glauben sei.
Dr. Khorchide plädierte jedoch für mehr Differenzierung. Nicht der Islam, sondern
das jeweilige Verständnis von Islam bestimme die Vereinbarkeit von Islam und
Demokratie. Ein ahistorisches Verständnis der Religion und ihrer gesellschaftlich
juristischen Aspekte sei in der Tat unvereinbar mit der Demokratie. Zugleich gebe es
aber auch ein historisches Verständnis des Islam und der Scharia. Diese Richtung
würde einer theologischen Reflexion Raum bieten und folgende Unterscheidungen
treffen: (1) Die Unterscheidung zwischen der Funktion Muhammads als Prophet und
jener als Staatsoberhaupt und (2) die Unterscheidung der Scharia bzgl. ihrer
allgemeinen ethischen Prinzipien und der historisch bedingten juristischen
Einzelregelungen dieser Prinzipien. Zu diesen Prinzipien zählte Dr. Khorchide
Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit und Soziale Verantwortlichkeit. Dass diese
Sichtweise des Propheten und der Scharia theologisch legitim sei, unterstrich er mit
dem Verweis auf die Prophetengefährten, insbesondere mit dem zweiten Kalifen
Umar ibn Al-Khattab. So hätten die Prophetengefährten juristische Regelungen
geändert, weil diese ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr in die Zeit gepasst
hätten, da sie den oben genannten Prinzipien zuwider liefen. Unglücklicherweise
seien die Rechtsgelehrten diesem historischen Verständnis der Einzelregelungen der
Scharia nicht weiter nachgegangen, sondern hätten diese Maßnahmen der
Prophetengefährten als Ausnahmen missverstanden.
In der Fagerunde wurde die Frage aufgeworfen, wie es möglich sein solle,
zwischen Muhammad als Prophet und Muhammad als Staatsmann zu
unterscheiden, wenn sich bereits juristische Regelungen im Koran befänden und
damit die Ausübung der Staatsgeschäfte zugleich Teil der Prophetschaft war. Dr.
Khorchide musste hier einräumen, dass diese Unterscheidung sicherlich schwierig
sei und nicht in allen Fällen durchführbar.
Ein anderer Fragesteller erkundigte sich, was mit dem Begriff „Maqasid AlScharia“ und „Hikma“ gemeint sei. Dr. Khorchide erläuterte, dass bei einer
historischen Sichtweise der Scharia nach der Absicht bzw. Weisheit Gottes bei den
einzelnen juristischen Regelungen gefragt werde. So ginge es bei der Strafe für
Diebstahl nicht um die Strafe des Handabhackens, sondern darum, dass Diebstahl
für alle Zeiten ein verwerfliches Verbrechen sei, das geahndet werden müsse.
Juristische Regelungen müssten stets dem Allgemeinwohl (Maslaha) dienen, da sie
für die Menschen gedacht seien. Mit Maslaha griff Dr. Khorchide einen Begriff auf,
der insbesondere zentral für die malikitische Rechtsschule ist.
Ein anderer Teilnehmer fragte, wie man bei einem historischen Verständnis des
Korans die Weisungskompetenz der Offenbarungsschrift bewahrt. Schließlich
bestünde die Gefahr der Relativierung jeder koranischen Aussage hinsichtlich
Speisegebote, gottesdienstlichen Handlungen und dem Alkoholverbot. Dr. Khorchide
entgegnete, dass diese Gefahr tatsächlich bestünde. Für seine eigenen
theologischen Reflexionen sei all das, was kontextuell nicht erklärbar sei, ewig. So
könne er sich das Schweinefleischverbot kontextuell nicht erklären, was diesem
Gebot einen Ewigkeitscharakter verleihe.
In der weiteren Diskussion wurde über die theologische Dimension diskutiert, die
eine historische Lesart des Korans in sich birgt. Schließlich sei ein solcher Versuch
durch die theologische Schule der Mu’tazila unternommen worden, die jedoch mittels
Gewalt versuchte dieses Verständnis zu verbreiten. Der Widerstand Ahmad bin
Hanbal hätte schließlich die Mu’tazila diskreditiert und den theologischen Dogma des
Ewigkeitscharakter des Koran zum Siegeszug verholfen. Dr. Khorchide erklärte, dass
die Menschheitsentwicklung eine progressive sei und der Mensch mit dem Abschluss
des Prophetentums aufgefordert sei, die Vernunft zu benutzen, dies betreffe auch die
Auslegung des Korans.
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