Sexueller Missbrauch

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Dieser Vortrag wurde auf dem Kongress für AllgemeinmedizinerInnen in Graz 2004
gehalten:
Sonja Wohlatz
Sexueller Missbrauch
In allen Gesellschaften und zu allen Zeiten gab es das Inzesttabu, das Tabu, keine
sexuellen Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern zu leben, im
besonderen zwischen Eltern und Kindern.„Sexueller Missbrauch“ an Kindern und
sexuelle Beziehungen unter den Geschwistern sind tabu.
Dennoch ist dieses Tabu immer wieder gebrochen worden. Und gerade weil es ein
Tabu war, wurde dann das „darüber sprechen“ zum Tabu. Sexueller Missbrauch war
in allen wissenschaftlichen Bereichen tabuisiert, so auch in der Medizin und der
Psychologie.
Erst durch Veröffentlichungen sexueller Gewalterfahrungen einzelner Frauen, vor
dem Hintergrund der Frauenbewegung – aber auch der Bürgerrechtsbewegung in
den USA, wurde diesem gesellschaftlichen Problem Bedeutung zu gemessen. Mit
dem zunehmenden Echo in der Öffentlichkeit entwickelten parallel unterschiedliche
Disziplinen Definitionen, Konzepte, Umgangsweisen und Arbeitsaufgaben.
Im Verlauf dieser Entwicklung wurde deutlich, wie viele unterschiedliche Aspekte
und Sichtweisen dieses Thema hat. An der Bezeichnung konnte man meist den
professionellen Hintergrund oder auch den ideellen Background erkennen
Sexueller Missbrauch, sexueller Missbruch an Mädchen, sexuelle
Kindesmisshandlung, sexuelle Ausbeutung von Kindern, sexuelle Gewalt, Gewalt
gegen Kinder, familiäre Sexualdelinquenz, Inzest, realer Inzest; Seelenmord,
Beziehungsschande, inzestuöse Übergriffe…
Ich bin Psychologin und Gruppenanalytikerin, und arbeite in freier Praxis und seit 12
Jahren in der Beratungsstelle TAMAR in Wien. Wir betreuen Kinder, Mädchen und
Buben, Jugendliche und erwachsene Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben. Die
Altersspanne meiner KlientInnen in der Beratungsstelle liegt zwischen 5 und 73
Jahren.
Und wir machen Fortbildungen für unterschiedliche Berufsgruppen,
SozialarbeiterInnen, Kriminalpolizei, Kindergärtnerinnen, Psychotherapeutinnen und
Beraterinnen und Richterinnen und Staatsanwälte zu diesem Thema. Ein
Schwerpunkt unserer Arbeit liegt in der psychologischen und juristischen
Prozessbegleitung von Kindern und Jugendlichen, der Begleitung bei den Folgen
einer polizeilichen Anzeige.
Für meinen Vortrag werde ich den Terminus sexueller Missbrauch verwenden und
meine damit sexuelle Handlungen, die an bzw. mit Mädchen oder Buben gesetzt
werden, bzw. Handlungen, zu denen sie gebracht werden.
Und versuche einige mögliche Auswirkungen zu beschreiben.
Zur Begriffsklärung
Um den Begriff inhaltlich zu füllen, will ich die Handlungen aufzählen, die wir unter
„sexuellen Missbrauch“ subsumieren. Es sind dies:
o
o
o
o
Zeigen pornographischer Fotos und Filme
Herstellen pornographischer Fotos und Filme
sexuell motivierte Schläge
Zungenküsse
o Betasten des Körpers von Mädchen oder Buben, besonders der erogenen
Zonen
o Sich Reiben am Körper des Mädchens oder Buben
o Orale Penetration
o Anale und/oder vaginale Penetration eines Mädchens mit dem Finger, dem
Penis oder Gegenständen
o Anale Penetration eines Buben
o Sexuelle Stimulierung und Benützung eines Buben zur eigenen Befriedigung
o Zwang zur oralen Befriedigung
Opfer sexuellen Missbrauchs können Mädchen und Buben sein, Täter sind Männer
und Frauen.
Eine mögliche weitere Bestimmung könnte sein, dass der Altersunterschied zwischen
Opfer und Täter mindestens fünf Jahre beträgt.
Sexuelle Beziehungen zwischen Gleichaltrigen, zwischen Geschwistern können
ähnlichen Dynamiken unterliegen, wie sexueller Missbrauch von Erwachsenen an
Kindern.
Epidemiologie
Ich will einige epidemiologischen Daten und Schlaglichter an Zahlen nennen, um Sie
einzuladen, sich in unterschiedlicher Weise Gedanken über das Thema zu machen.
In den letzten 10 Jahren hat sich die Forschungssituation gebessert, wenn sie auch
immer noch viel zu wünschen übrig lässt.
Die Zahlen und Fakten sind davon abhängig, wie sie (methodisch) erhoben werden,
welche Definitionen und Vorraussetzungen angenommen werden und wer sie wann
und wo erhebt.
Deswegen gebe ich Ihnen jetzt einige Daten, Fakten und Zahlen aus Studien zur
Prävalenz, Daten, die z.B. im Zusammenhang mit Polizeianzeigen entstanden sind,
Daten aus klinischen Studien aus Deutschland und Österreich und Daten, die wir im
Rahmen der Prozessbegleitung selbst erhoben haben:
Seit Beginn der Forschungen wird werden zwei Zahlen kontinuierlich genannt: von
sexuellem Missbrauch betroffen ist ca. jedes vierte bis fünfte Mädchen und jeder
achte bis zehnte Bub. Die Schwankungsbreite ergibt sich auch daraus, wie hoch das
Alter der Kinder und Jugendlichen gesetzt wird. In einer Untersuchung von 1993 in
Essen (mit dem Alter bis 14 Jahren) worden 520 Frauen und 412 Männer befragt.
25% der Frauen und 6% der Männer hatten danach schweren oder mittelschweren
Missbauch erlebt. Wenn die Definition sehr eng gefasst wird und das Schutzalter auf
12 gesetzt wird, kommen die Forschungen zu niedrigeren Zahlen: 10-15% der
Frauen und 5-10% der Männer mindestens einmal einen sexuellen Kontakt erlebt,
der unerwünscht war oder durch die „moralische“ Übermacht einer deutlich älteren
Person oder durch Gewalt erzwungen wurde. (Bange, 2002)
In der österreichweiten Untersuchung zu Prozessbegleitung von Kindern und
Jugendlichen aus 2003 waren die Beschuldigten zu 22% in der Kernfamilie, zu 20 %
in der erweiterten Familie (vaterähnliche Position), zu 14% im Angehörigenkreis,
Freunde und Bekannte waren 34%. Es gab 10% Fremdtäter.
97% der angezeigten Beschuldigten waren Männer, 3% Frauen.
Im Rahmen des Modellprojektes Prozessbegleitung wurden in Wien 1998 -2000 56
Kinder begleitet, bei 44,6% der Kinder kam es zu Penetration mit Penis, Finger oder
sonstigen Gegenständen.
Bei 19,6 % dauerte der Missbrauch mehr als 2 Jahre.
In 16% d Fälle handelte es sch um einmalige Übergriffe.
Bei ca. 15% der missbrauchten Kinder und Jugendliche gibt es körperliche
Auffälligkeiten. Im deutschsprachigen Raum hat die körperliche Untersuchung nur
eine geringe Bedeutung. (vor allen da es keine generelle Meldepflicht gibt)
Doch aus Kindern werden Erwachsene.
Zwei Drittel der Frauen und die Hälfte der Männer, die sexuellen Missbrauch
erlebt haben, geben an, unter den Langzeitfolgen zu leiden. Es gibt einen
Zusammenhang zwischen der Schwere des sexuellen Missbrauchs und den
Folgen. (Moggi und Hirsbrunner, 1999)
Die Auswirkungen und Folgewirkungen hängen ab:
- vom Alter der Kinder bei Misshandlungsbeginn
- von der Dauer
- vom Grad der Gewaltanwendung
- vom Grad der (verwandtschaftlichen) Nähe zwischen Opfer und Täter
- vom Altersunterschied
- von der Anwesendheit von beschützenden Bezugspersonen
In der wissenschaftlichen Literatur wird sexueller Missbrauch als Kindheitstrauma
bezeichnet. (Ferenczi, Judith Hermann, Ursula Wirtz)
Ein Trauma ist ganz allgemein eine tiefe seelische Verletzung, eine Erschütterung,
die mit den erworbenen Fähigkeiten nicht verarbeitet werden kann. Traumatisierend
wirken Ereignisse, wie Sie wissen, die plötzlich und unerwartet und in einer
ungeheuren Intensität in den Organismus eindringen, ihn überfluten und es keine
Möglichkeit mehr gibt, diese Ereignisse kognitiv zu erfassen.
Was ist nun das traumatisierende Ereignis bei sexuellem Kindesmissbrauch? Stellen
wir uns die Situation einmal genauer vor: Eine väterliche Person spielt mit der
Tochter. Der Vater arrangiert das Spiel so, dass er die Aufmerksamkeit auf seinen
entblößten Penis lenkt. Das Kind folgt dem „Spiel“, arglos und sogar mit einigem
Interesse. Damit steigert sich die sexuelle Erregung des Mannes. Der eben noch
vertraute Mann wird dem Kind durch seine sexuelle Erregung ganz fremd: er
bekommt einen roten Kopf, ein bedrohliches, furcht erregendes Gesicht, große
Augen, er atmet laut und heftig und zittert. Der eben noch vertraute Vater ist ihr
vollkommen fremd und Fremdes hat sie in dieser Situation nicht erwartet. Die
Veränderung der Situation kommt für das Kind plötzlich und unerwartet – wie ein
Überfall und sie ist mit dem Fremden plötzlich vollkommen allein. Sie wird vor Angst
gelähmt. Der Mann nimmt entweder die angsterfüllten Augen des Kindes war – aber
unterbricht sein Tun nicht – oder aber er nimmt sie gar nicht wahr, jedenfalls löst er
die Angst erregende Situation nicht auf, wie es ein nicht missbrauchender Vater tun
würde – sondern ganz im Gegenteil, er führt sie durch bis zu seiner sexuellen
Entspannung. Das Kind spürt den Hass und die Aggression, die ihn leiten, begreift
folglich seinen heftigen Atem in der sexuellen Erregung als Wut und Hass des
Mannes auf sich. In dieser Situation muss es zu einer Spaltung als Folge der
traumatischen Reaktion kommen. Frauen beschreiben dann auch in einer
therapeutischen Situation: „Das war nicht mehr mein Vater – das war ein anderer
Mann“ Nach Beendigung des sexuellen Geschehens erhält das Kind keine
Erklärung, keine Unterstützung bei der Beschreibung dessen, was passiert ist.
Vielmehr wissen wir, dass Drohungen ausgesprochen werden, die eine
Veröffentlichung verhindern: „ das ist unser Geheimnis, das darfst du niemanden
sagen, wenn du es sagst, dann glauben sie Dir nicht, dann kommst Du ins Heim –
ich bringe mich um“ etc.
Die bedrohlich, angstvolle Situation bleibt unbesprochen, es ist als habe es sie nicht
gegeben –und sie muss abgespalten werden.
Eine nicht unbedeutende Zahl von erwachsenen Frauen haben sexuelle
Mißbrauchserfahrungen erlebt und erinnern diese nicht mehr. Oft erinnern sie sich
generell nur sehr ungenau an ihre Kindheit. Teile, ganze Jahre fehlen und es ist nur
ein unangenehmes Gefühl des „Nichterinnerns“ da. Gerüche, Berichte, Filme können
die Erinnerungen beleben und es fühlt sich für manche Frauen so an, als wären sie
wieder dieser angstvollen, aggressiven Situation ausgesetzt.
Sich zu erinnern und das Geschehene zu benennen, löst fast immer einen
Schock aus, und kann der Anfang einer krisenhaften Zeit sein. In dieser Zeit sind
Stresssymptome besonders hoch und destabilisieren die gesamte Person. Es kann
sein, dass die Personen wegen der Stressfolgewirkungen zu Ihnen kommen.
79% der Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, geben eine hohe psychische
Belastung an, die in hohem Maße von Niedergeschlagenheit und Depression,
Schuld- und Schamgefühlen, dauerndem Grübeln und Schlafstörungen geprägt
ist und sich häufig auf die zwischenmenschlichen Beziehungen der Befragten
auswirkt.
Es gibt im Erwachsenenalter keine Auffälligkeiten, die sich unmittelbar auf sexuelle
Gewalterfahrungen beziehen lassen. Doch manchmal erscheinen manche
Krankheiten und Symptome einen Sinnzusammenhang zu haben. (z.B. waren für
eine Frau, die ich beraten habe, sehr schmerzhafte Entzündungen im Schambereich
Zeichen dafür, wie der erlebte sexuelle Missbrauch sie weiter quälte.)
Ich möchte noch eine Studie erwähnen, die jetzt, aktuell 2004, zur Lebenssituation,
Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland publiziert wurde.
Es handelt sich um eine repräsentative Stichprobe. Demnach haben 25% der in
Deutschland lebenden Frauen Formen körperlicher oder sexueller Gewalt (oder
beides) durch aktuelle oder frühere Beziehungspartnerinnen oder -partner erlebt.
Wichtig zu wissen ist, dass die von Gewalt in Partnerschaften betroffenen Frauen an
erster Stelle Ärztinnen und Ärzte als erste Ansprechpersonen nennen. Damit kommt
den Ärzten/ Ärztinnen eine besondere Rolle zu.
Wie kann sexuelle Gewalt angesprochen werden:
ausgehend von der Arbeitshypothese dass sexueller Missbrauch ein Syndrom aus
Geheimhaltung und Abhängigkeit ist, (Tilmann Fürniss, Kinderpsychiater aus Münster)
haben alle Gefühle, die im Zusammenhang mit „sexuellem Missbrauch“ auftauchen,
mit Geheimhaltung und Abhängigkeit zu tun. Das bedeutet für das Ansprechen, das
die Personen, die sexuelle Gewalt an und aussprechen immer mit unangenehmen
Gefühlen konfrontiert werden. Und sich fragen: darf ich es ansprechen, trete ich der
Frau nicht zu nahe? Verletzte ich eine Intimsphäre? Es sind ähnliche Gefühle, die
auftreten, wenn wir um ein Geheimnis wissen, aber die Person, die es betrifft, es
noch nicht weiß, oder auch nicht wissen will.
Die unangenehmen Gefühle könnten z.B. in Ihnen in der Praxis sein
o -Ich will nicht (darüber reden,)
o Ich bin die falsche Person,
o Ich habe das falsche Geschlecht, ich bin nicht zuständig
o -Ich beschäme mein Gegenüber
o -Ich bin hilflos
o -Ich biete zuwenig
o -Ich habe die Verantwortung (allein) und kann viel falsch machen
Diese Gefühle verstehen wir als Übertragungsgefühle, und sie lösen Abwehr aus,
sind uns also sehr unangenehm. Diese Gefühle werden weg geschoben, z.B. durch
lachen, bagatellisieren, vergessen, Hilflosigkeit
Was ich Ihnen in diesem Referat vermitteln möchte,
Verlieren Sie die Scheu nachzufragen, ob Gewalt, sexuelle Gewalt vorliegt oder
vorgelegen hat, und Ihr Bewusstsein darüber zu schärfen, dass manche Krankheiten
und körperlichen Beschwerden Ausdruck von Spätfolgen sein können. Die Frage in
der Anamnese, bzw. auch später bietet die Möglichkeit, darüber zu reden, Sie
vermitteln mit der Frage, dass Sie um die Bedeutung der Spätfolgen von sexueller
Gewalt wissen, die in jedem Altersabschnitt anders aussehen können und dass Sie
denken, es kann helfen, darüber zu sprechen.
Diese Einstellung ist vielleicht die wichtigste, und ich bin häufig erstaunt, wie
erleichtert Frauen und Männer sind, wenn ihnen zugehört wird, sie ernst genommen
werden, Ihnen keine Zukunftsaussichten gemacht werden, sondern sie unterstützt
werden, ihren eigenen Weg zu gehen.
Wie wichtig eine Frage sein kann, können sie an Parzival sehen. Er erlaubt sie sich
beim 1. Besuch seines Onkels Anfortas nicht zu stellen. Und verliert dadurch den
Gral. Er muss ein zweites Mal die Burg finden und die Aufgabe heißt: den Onkel
fragen: Was ist dir geschehen, was tut dir weh? Es ist diese Frage, die den Onkel
von Schmerzen erlöst – und damit auch Parzival.
Die Frauen, die Betroffenen entscheiden, ob sie mit Ihnen in diesem Moment darüber
sprechen wollen. Die gegebene Antwort muss nicht in diesem Moment die richtige
sein, vielleicht ist sie erst später möglich, doch die Frage ist wichtig.
Die Frauen und Männer, die nicht betroffen sind, werden das verneinen und wissen,
dass Sie schwierige Themen ansprechen können.
Es ist sicher hilfreich, wenn Sie sich mit den Beratungseinrichtungen,
Therapieangeboten und Interventionsstellen in Ihrer (Praxis-) Umgebung vertraut
machen. Mittlerweile gibt es vielfältig vernetzte Einrichtungen, die spezialisierte Hilfe
anbieten: für erwachsene Frauen, für Kinder, für von häuslicher Gewalt Betroffene,
für Täter und TäterInnen
Auffallend in der Arbeit gegen sexuellen Missbrauch ist es, dass nicht nur das
Wissen um die Existenz von Beratungseinrichtungen e.c. hilfreich ist, sondern der
persönliche Kontakt zu anderen Berufgruppen die Arbeit erleichtern z.Bsp. das
persönliche Kennen, die Überweisung und die Zusammenarbeit, erhöht die Zahl der
gelungenen Weitervermittlungen.
Vielleicht weil die Verletzung durch sexuellen Missbrauch zu persönlich erscheint, ist
eine persönliche Vermittlung so hilfreich und so bedeutend.
Rechtliche Aspekte für Allgemeinmediziner
Anzeigepflicht
Ich beziehe mich in meinen Ausführungen auf das österreichische Recht:
Im § 84 StPO wurde die Anzeigepflicht eingeschränkt.
(1) Wird einer Behörde oder öffentlichen Dienststelle der Verdacht einer von Amts
wegen zu verfolgenden strafbaren Handlung bekannt, die ihren
gesetzmäßigen Wirkungsbereich betrifft, so ist sie zur Anzeige an eine
Staatsanwaltschaft oder Sicherheitsbehörde verpflichtet.
(2) (2) Keine Pflicht zur Anzeige nach Abs. 1 besteht,
1. wenn die Anzeige einen amtliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren
Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf, oder
2. wenn und solange hinreichende Gründe für die Annahme vorliegen, die
Strafbarkeit der Tat werden binnen kurzem durch Schadens bereinigende
Maßnahmen entfallen.
2001 wurde das Ärztegesetz geändert und diese allgemeine Einschränkung der
Anzeigepflicht für Ärzte aufgehoben. Bei erwachsenen Frauen besteht nach wie vor
keine Anzeigepflicht, die nachstehenden Paragrafen beziehen sich auf Kinder und
Jugendliche und machen effektive Zusammenarbeit sehr schnell erforderlich:
§ 54, Abs. (5) Ergibt sich für den Arzt in Ausübung seines Berufes der
Verdacht, dass ein Minderjähriger misshandelt, gequält, vernachlässigt oder
sexuell missbraucht worden ist, so hat der Arzt Anzeige an die
Sicherheitsbehörde zu erstatten. Richtet sich der Verdacht an einen nahen
Angehörigen (§166StGB), so kann die Anzeige solange unterbleiben, als
diese das Wohl des Minderjährigen erfordert und eine Zusammenarbeit mit
dem Jugendwohlfahrtsträger und gegebenenfalls eine Einbeziehung einer
Kinderschutzeinrichtung an einer Krankenanstalt erfolgt.
Ich führe diesen Artikel hier auf, weil wir in den Beratungsstellen und
Kinderschutzeinrichtungen auch Schwierigkeiten damit haben. Bei uns trifft das
besonders auf jugendliche Mädchen zu, die vergewaltigt worden sind. Aufgrund
dieses Gesetzes gibt es einerseits häufig eine Angst, sich ärztlich versorgen zu
lassen, weil einen Anzeige droht, andererseits kann es passieren, dass eine Anzeige
ohne Einwilligung der Betroffenen, der Opfer gemacht wird. Unsere Erfahrung ist,
dass die Anzeige dann mehr schadet als nützt, weil die Opfer wieder das Gefühl
haben, dass etwas ohne ihren Einfluss passiert. Beratung und Begleitung ist
erforderlich
Literaturhinweise:
Mittlerweile gibt es ein reichhaltiges Informationsangebot über sexuelle Gewalt und
sexuellen Missbrauch: die Kombination zwischen allgemeiner und spezifischer
Information bieten meines Erachtens zwei Kompendien gut:
Gabriele Amann und Rudolf Wipplinger (Hrsg.)
Sexueller Missbrauch
Überblick zu Forschung, Beratung und Therapie
DGVT – Verlag, Tübingen 1997
Dirk Bange/ Wilhelm Körner
Handwörterbuch
Sexueller Missbrauch
Hogrefe-Göttingen 2002
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