Position Österreichische Tageszeitung seit 1703 Wien, am 08.03.2016, 260x/Jahr, Seite: _ Druckauflage: 22 000, Größe: 72,8%, easyAPQ: _ Auftr.: 7023, Clip: 9630121, SB: FH Krems 18 WIEN WIENER ZEITUNG i www.observer.at Wiener Zeitung Dienstag, 8. März 2016 Der Schnitt Vom Notfallplan zur Routinemaßnahme: Die Kaiserschnittrate auf 10 bis 15 Prozent, in Wien liegt sie bei Von Ina Weber ken nach einem vorangegangenen Kaiserschnitt möglichst für eine vaginale Geburt und nicht für einen erneuten Kaiserschnitt entscheiden. So sieht das auch die WHO. Medizinisch notwendiger Kaiserschnitt, Spontan-Kaiserschnitt, empfohlener Kaiserschnitt, Wunsch-Kaiserschnitt: Mittlerweile gibt es alle Facetten. Auch wenn es nur wenige ausgesprochene Wunsch-Kaiserschnitte in Wien gibt, so sind dem Vernehmen nach rund die Hälfte der Kaiserschnitte medizinisch gesehen nicht notwendig. Warum es dennoch relativ viele Kaiserschnitte in Wien gibt, hat mehrere Gründe. Da wären zum einen die oft genannten Vor- und Nachteile rund um die Geburt. Als Vorteile des (Wunsch-)Kaiserschnitts werden das planbare Ereignis - sowohl für die Eltern als auch für den Arzt - und das Ausschalten möglicher Risiken bei einer natürlichen Geburt - Beckenendlage, zu großer Kopf des Kindes - genannt. Als Nachteile stehen mögliche Langzeitfolgen, wie erhöhtes Allergie- und Asthmarisiko im Raum und verstärkte Atem- bzw. Verdauungsprobleme des Babys gleich nach der Geburt. Kindes, der Mutter oder gar des Spitals? Ein Kaiserschnitt kostet doppelt so viel wie eine natürliche Geburt. Man hört, dass sich so manche Geburtsabteilung nur erhalten kann, wenn die Kaiserschnittrate bei 30 Prozent liegt. In England etwa setze man wieder auf die Hausgeburt - ob aus Kostengründen oder aus Oberzeugung, Tatsache ist, es kommt dem Land billiger. Andersherum wird oft ein Wunsch-Kaiserschnitt mit vorgeschobenen medizinischen Gründen gerechtfertigt. Sollte das die Krankenkasse übernehmen? Sollte sich die werdende Mutter einen Wunschkaiserschnitt selbst bezahlen müssen? „Wenn eine Frau zu mir kommt und einen Kaiserschnitt, auch nach entsprechender Beratung wünscht, dann ist dies zu akzeptieren", sagt Georg Braune, Gynä- tung von Caesones (Schnittlingen), d.h. durch Aufschneiden der Mutter geborene Kinder, ist ebenfalls möglich. Spätestens ab dem 6. Jahrhundert findet sich im Römischen Recht die Verpflichtung, an einer im Sterben hegenden oder soeben verstorbenen Schwangeren einen Kaiserschnitt vorzunehmen, um das Kind zu retten. Bis in die Neuzeit war der Kaiserschnitt fast immer mit dem Tod der Mutter verbunden. Der erste bekannte erfolgreiche Kaiserschnitt an einer Lebenden wurde 1500 in der Schweiz vom Schweinekastrierer Jacob Nufer vorgenommen. Seine Frau überlebte die Prozedur nicht nur, sondern brachte im nächsten Jahr auf natürlichem Wege Zwillinge zur Welt. 1881 wurde von Ferdinand Adolf Kehrer der erste klassische Kaiserschnitt durchgeführt. Diese Methode, bei der nicht von oben nach unten, sondern quer geschnitten wird, wird in der Modifikation nach Hermann Johannes Pfannenstiel, auch heute noch überall angewendet. Wien. Der Kaiserschnitt - Cesare Sectio - früher Notfallplan, heute Routine. In Wien liegt die Kaiserschnittrate derzeit bei rund 30 Prozent. Damit liegt Wien über dem EU-Durchschnitt, der 25 Prozent beträgt. Seit Jahren heißt es, dass der Trend zum Kaiserschnitt geht, seit Jahren weist die Weltgesundheitsorganisation (WHO) darauf hin, dass die hohe Rate gesenkt gehört. Die WHO empfiehlt dabei eine Rate von 10 bis 15 Prozent. Lediglich bis zu 15 Prozent sei ein Kaiserschnitt medizinisch zu empfehlen. Die Zahl medizinisch nicht notwendiger Kaiserschnitte steige aber weltweit. Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) will den Anteil der Kaiserschnittgeburten bis 2025 auf 25 Prozent senken. Denn der Kaiserschnitt könne „Langzeitfolgen für Mutter und Kind haben", sagte die Stadträtin bereits im Jahr 2014. Es liege nicht am Alter, der Zusatzversicherung oder am Büdungsstandard, sagte Wehsely, „die Frauen entscheiden sich vor allem für den Eingriff, weil sie sich vor der natürlichen Gehurt fürchten. Sie glauben, diese nicht durchzustehen, oder es sind Mütter, die bereits einen KaiserDoch unabhängig von den mögschnitt hinter sich haben." lichen Risiken sowohl beim Kaiserschnitt als auch bei einer naEinmal Kaiserschnitt, nicht türlichen Geburt, ist für eine Entimmer Kaiserschnitt scheidung oft die Umgebung ausBei beiden Gründen will die Stadt- schlaggebend. In welchem Spital politik ansetzen: Frauen soll'Mut bin ich, welcher Arzt mit welcher für eine natürliche Geburt ge- Einstellung betreut mich und wie macht werden und sie sollen sich machen es die Bekannten. Zählt unter Berücksichtigung aller Risi- der Kaiserschnitt zur Rettung des „Die jungen Kollegen ziehen dann den Kaiserschnitt vor." Georg Braune, Gynäkologe kologe in Wien. Braune war lange Zeit an der Semmelweisklinik tätig und hat die dortige Politik, die Kaiserschnittrate möglichst auf Null zu reduzieren, mitgetragen. Heute sieht der Arzt dies anders. „Zu sagen, ich vermeide um jeden Preis einen Kaiserschnitt, ist nicht richtig", sagt er. Wer treffe diese Entscheidung und wer trage die Verantwortung dafür? „Es ist leicht, Statements abzugeben, GESCHICHTE Ein Not Kaiserschnitt in c Wiener Spital. Fotos: abOmr Laut dem römischen Schriftsteller Plinius leitet sich der Name „Caesar" daraus her, dass der erste Träger dieses Namens aus dem Mutterleib geschnitten wurde „Sectio caesarea" heißt cäsarischer Schnitt. Da aus „Caesar" der Begriff Kaiser entstand, wurde analog aus der Sectio caesarea der Kaiserschnitt. Dass Julius Caesar selbst durch Kaiserschnitt entbunden worden sei, ist eine Legende, da seine Mutter die Geburt überlebte. Dies kam damals praktisch nicht vor. Die Herlei- Zum eigenen Gebrauch nach §42a UrhG.Digitale Nutzung gem PDN-Vertrag des VÖZ voez.at. Anfragen zum Inhalt und zu Nutzungsrechten bitte an den Verlag (Tel: 01/20699*0). Seite: 1/2 Position Österreichische Tageszeitung seit 1703 Wien, am 08.03.2016, 260x/Jahr, Seite: _ Druckauflage: 22 000, Größe: 74,11%, easyAPQ: _ Auftr.: 7023, Clip: 9630121, SB: FH Krems WIEN Dienstag, 8. März 2016 WIENER ZEITUNG • ins Leben Weltgesundheitsorganisation fordert eine Senkung der rund 30 Prozent - Gesundheitsstadträtin Wehsely will die Rate senken. wenn man die Folgen nicht ver- einer hochdramatischen Situation Alle haben Angst, nicht nur die antworten muss." fuhren kann". Zusammenfassend Ärzte auch die Frauen. Das überEs sei nicht sinnvoll, einfach ei- sagt der Arzt: „Wir haben mit Kai- trägt sich gegenseitig", so Hebamne Reduktion der Kaiserschnitte serschnittkindern nicht mehr Pro- me Fotouri. Rakos: „Wenn ich die zu fordern, vielmehr sieht Braune bleme als mit normalen Gebur- Frauen über alles, was es gibt, informiere, dann kann sie selbst ein gesellschaftliches Problem. ten." „Ein Kaiserschnitt ist eine OperaDie Stadt versucht nun werden- wählen." Allein das Wort Kaisertion und eine Operation würde de Mütter näher zu Hebammen schnitt klinge edel, Hausgeburt ich mir niemals wünschen", sagt zu bekommen. So wurde im lahr dagegen wenig. „Was wäre, wenn er. Warum es zu Kaiserschnitten 2014 im Rahmen der Mutter- wir Prinzessinnenschlossgeburt und Horrorschnitt sagen würden? kommt, habe viele Gründe und Ich glaube, dass ganz viele nicht müsste in den Spitälern genauer Die Kaiserschnittrate liegt in wissen, was ein Kaiserschnitt ist. untersucht werden. Das sei jedoch Das Wort Operation kommt nicht nicht der Fall. „Man hat sich nie Schweden bei vor. Unsere Sprache ist da natürwirklich damit auseinandergelich sehr programmierend." setzt", sagt Braune. Vielmehr gebe es von Spital zu Spital große Wenn ein Arzt eine EntscheiUnterschiede. dung treffen muss, für die er im Nachhinein geklagt werden kann, Geburtshilfliche Methoden wird er sich wohl für den sichersin Österreich bei werden oft nicht mehr gelehrt ten Weg entscheiden. Denn kommt es bei natürlichen GeburHeute ersetzt der Kaiserschnitt ten zu einem Zwischenfall heißt auch oft geburtshilfliche Methoes in den Gutachten: „durch einen den wie, spontane Geburt bei BeKaiserschnitt hätte diese Komplickenendlagen, Zangengeburt oder kation vermieden werden könSaugglocke - oft werden diese und in Brasilien bei nen". Andersherum hat man noch Methoden gar nicht mehr gelehrt. nie einen Kaiserschnitt verklagt. In besonderen Fällen wären diese )/ aber anzuwenden. „Die Jungen Gesundheitsstadträtin Wehsely Kollegen ziehen dann den Kaiserhat die Kaiserschnittquote „auf schnitt vor", so Braune. Dabei dem Radar", heißt es aus ihrem müsste etwa nur der Kopf gedreht Büro. Sie will mehr Transparenz werden. Dazu komme, dass Erst- Kind-Pass-Untersuchungen ein und Bewusstsein sowohl bei den gebärende immer älter werden Treffen mit einer Hebamme ein- Frauen als auch bei den Ärzten und daher die geburtshilflichen gefühlt. Die Kosten übernimmt schaffen. Die Stadt hat Jüngst eine Komplikationen steigen, etwa die Gebietskrankenkasse. Für vie- Broschüre herausgebracht, wo die durch das älter werden der müt- le Hebammen ist die heutige Ent- Liste der Risiken hei einem Kaiterlichen Gefäße. wicklung unverständlich. „Es gibt serschnitt länger ist als jene geRund 400 Geburten mit Be- auch Leute die fragen: ,Was, die genüber einer natürlichen Geburt. ckenendlage hat Braune in sei- gibt's noch?', die gedacht haben, Auch eine Kaiserschnitt-Studie nem Leben schon gemacht. Heute dass es uns nicht mehr gibt", sagt hat die Stadt durchgeführt. 60 würde er das nicht mehr tun. Das Hebamme Yasmin Fotouri. Es ist Prozent der Frauen gaben darin Risiko ist ihm zu hoch. Wenn et- zwar gesetzlich geregelt, dass ei- an, dass sie sich aufgrund der was schieflaufe, dann würde man ne Hebamme bei einer Geburt da- Empfehlung ihres Arztes dazu geklagt und es gebe viele Klagen bei sein muss, doch in den meis- entschlossen haben. auf Schadenersatz nach einer Ge- ten Fällen würden sich die Frauen burt. Einmal Kaiserschnitt heiße zuerst an einen Arzt wenden. nicht, dass zwingend noch einer „Die erste Assoziation zu Schwan- WISSEN folgen müsse. Allerdings gilt es gerschaft ist Arzt", sagt Lisa Ra- Die Kaiserschnittrate ist im Norzu schauen, warum die Frau beim kos, Studiengangsleiterin am den gering, im Süden oft sehr ersten Mal einen Kaiserschnitt Hebammen-Studiengang an der hoch. In einigen Privatkliniken in hatte. „War z.B die mütterliche In- FH KTems. „Aber in dem Moment, Brasilien beispielsweise hegt die dikation enges Becken, würde ich wo klar wäre, dass man sich zu- Kaiserschnittquote bei rund 70 wieder eine Sectio empfehlen, erst an die Hebamme wendet und Prozent. Unter den für das Jahr war eine kindliche Indikation der erst, wenn etwas verdächtig ist, 2013 vorliegenden KaiserschnittGrund - etwa Abfall der kindli- an den Arzt, dann würde sich das quoten der OECD rangiert die chen Herztöne -, dann kann man ganze System komplett umorien- Türkei mit 50,4 Prozent an obersdie zweite Geburt spontan versu- tieren", so Rakos. ter Stelle, gefolgt von Italien (36,1 chen", so Braune. Allerdings müsDie sogenannten Wunschkai- Prozent), Polen (34,6 Prozent) se man die Mutter genau über das serschnitte sind für die Hebam- und Österreich mit 28,8 Prozent. Risiko einer Ruptur der Kaiser- men „Angstkaiserschnitte". „Es An unterster Stelle liegt Schweschnittnarbe an der Gebärmutter gibt generell ein erhöhtes Sicher- den mit 16,4 Prozent, Finnland unter Wehen aufklären, „was zu heitsdenken bei allen Menschen. mit 15,8 und Israel (15,4). 16,4%, 28,8 °/cÖ Zum eigenen Gebrauch nach §42a UrhG.Digitale Nutzung gem PDN-Vertrag des VÖZ voez.at. Anfragen zum Inhalt und zu Nutzungsrechten bitte an den Verlag (Tel: 01/20699*0). Seite: 2/2 www.observer.at Wiener Zeitung 19