Prof. Dr. Harder: Unverzichtbare Behandlungsvoraussetzungen sind sie nicht. Sie machen die Behandlung aber für den Fall deutlich leichter, in dem der Patient sich nicht mehr selber äußern kann. Liegen dann eine Vorsorgevollmacht und eine Patientenverfügung vor, wissen wir an wen wir uns wenden können und kennen die Vorstellungen und den Willen des Patienten für diese Situation. Prof. Dr. Jan Harder Lebenswertes Leben will die Medizin erhalten Singen (li). Professor Dr. Jan Harder ist ein gebürtiger Singener und Chefarzt der Medizinischen Klinik II am HegauBodensee-Klinikum, er ist seit 2010 Leiter des Krebszentrums Hegau-Bodensee, seit 2013 Vorsitzender des Onkologischen Schwerpunkts Konstanz-Singen. Promotion und Habilitation erfolgten an der Universität Freiburg, dort ist er seit 2013 außerordentlicher Professor der Medizinischen Fakultät. Im Interview äußert er sich sehr differenziert zu aktuellen medizin-politischen Fragen: Frage: Sind Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung zu unverzichtbaren Behandlungsvoraussetzungen in unserem Gesundheitssystem geworden? Frage: Hinwendung zum Patienten und Apparate-Medizin sind in den vergangenen Jahren zu einem großen Widerspruch hochstilisiert worden. Ärgert Sie das im Hinblick auf Ihren Berufsethos? Prof. Dr. Harder: In der Tat sehe ich hier nicht die Frage von »entweder, oder«. Seit jeher gilt es in der Medizin beides zu vereinen. Gewisse Steuerungselemente haben in den letzten Jahren die Apparatemedizin jedoch zu sehr in den Vordergrund gerückt. Erst dadurch wurde eine Polarisierung geschaffen. Nun gilt es »High-tech« und »High-touch« wieder als eine Einheit in der Medizin zu etablieren. Frage: Sie wollen mit Ihrer ganzen Kraft Leben erhalten. Wie kommen Sie gleichzeitig damit zurecht, dass der Ruf nach Sterbehilfe in der Öffentlichkeit immer lauter wird? Prof. Dr. Harder: In der Medizin geht es nicht darum, Leben um jeden Preis zu erhalten. Wir wollen ein lebenswertes Leben erhalten oder wieder herstellen. Ist dies nicht möglich, ist auch für uns Palliativmedizin und Sterbehilfe ein Thema. Über den Begriff »Lebenswert« kann man jedoch viel diskutieren. Frage: Psycho-Onkologie ist in den letzten Jahren zum entscheidenden Stichwort geworden. Mit dem Krebszentrum Hegau-Bodensee bieten Sie den Patienten ein Netzwerk an, das ihn in einer schweren Zeit kompetent unterstützen und begleiten soll. Wie bemerken Sie - vielleicht auch nur emotionale Schwachstellen und sichern Sie dessen Haltbarkeit insgesamt? Prof. Dr. Harder: Wir müssen den Patienten aktiv ansprechen. Eine emotionale Belastung ist bei einem Patienten mit Krebs nicht abnormal. Wir evaluieren den Bedarf. Es stellt sich die Frage: Gelingt dem Patienten die Verarbeitung der Belastungssituation im familiären Rahmen oder mit Freunden oder ist eine Unterstützung durch unsere PsychoOnkologinnen, Kunst- oder Musiktherapeuten sinnvoll. Nicht für jeden ist Reden die richtige Antwort. Eine schöne Sonnenblume zu malen z. B., kann auch viel Angst und Trauer verarbeiten.