Veränderungen der Persönlichkeit bei Morbus Alzheimer

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Geisteswissenschaft
Thomas Haschka
Veränderungen der Persönlichkeit bei
Morbus Alzheimer
Diplomarbeit
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Thomas Haschka
Veränderungen der Persönlichkeit bei Morbus Alzheimer
Diplom.de
Thomas Haschka
Veränderungen der Persönlichkeit
bei Morbus Alzheimer
Diplomarbeit
an der Universität Wien
Fachbereich Psychologie
September 2002 Abgabe
ID 6440
ID 6440
Haschka, Thomas: Veränderungen der Persönlichkeit bei Morbus Alzheimer
Hamburg: Diplomica GmbH, 2003
Zugl.: Wien, Universität, Diplomarbeit, 2002
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Diplomica GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2003
Printed in Germany
VERÄNDERUNGEN DER PERSÖNLICHKEIT
BEI MORBUS ALZHEIMER
Seite
1.
Entwurf der Problemstellung
1
2.
Darstellung der theoretischen Grundlage
2
2.1
2
2.2
Einleitung
Möglichkeiten der Frühdiagnostik
2.2.1 Probleme der Differentialdiagnostik
6
2.2.2 Möglichkeiten der Frühdiagnostik
8
2.2.2.1 Neuropsychologische Begutachtungsverfahren
2.2.2.2 ADL- und IADL-Skalen
2.2.2.3 Der Testing-the-Limits-Ansatz
2.3
2.4
6
10
10
11
2.2.3 Die altersassoziierten Gedächtnisbeeinträchtigungen
13
2.2.4 Differentialdiagnostik der depressiven Symptome
16
Altersassoziierte Veränderungen der Persönlichkeit
19
2.3.1 Psychologische Veränderungen im Alter
19
2.3.2 Physiologische Veränderungen des Gehirns
23
2.3.3 Faktoren für “gutes“ Altern
26
Postmorbide Veränderungen der Persönlichkeit
30
2.4.1 Abnahme der Extraversion
31
2.4.2 Weitere häufig beobachtbare
Persönlichkeitsveränderungen
32
2.4.3
Depressionen und depressive Verstimmungen
35
2.4.4
Weitere Veränderungen der Stimmungslage
42
2.5
2.6
3
Prämorbide, krankheitsfördernde Veränderungen
der Persönlichkeit
46
2.5.1 Physiologische Unterschiede zum „normalen“ Altern
46
2.5.2 Schädigungsmodelle
49
2.5.3 Stress als krankheitsförderndes Ereignis
54
2.5.4 Depressive Störungen und andere
psychische Krankheiten
57
2.5.5
Psychosoziale Einflüsse
61
2.5.6
Beschreibung der Studien von Bauer (1994, 1995)
69
Zusammenfassung der Literatur
75
Beschreibung der empirischen Methode
79
3.1
Versuchsplan – Die Methode des Fremdratings
79
3.1.1 Vorteile des Fremdratings
83
3.1.2 Versuchsdesign
85
3.1.3 Statistische Hypothesen
87
Die Stichprobe
89
3.2.1 Alter
90
3.2.2 Geschlecht
91
3.3
Untersuchungsmaterialien
92
3.4
Untersuchungsdurchführung
93
3.2
4
4.
Ergebnisse der Untersuchung
4.1
95
Zusammenhänge der Fremd-Fremd- und
Selbst-Fremd – Beurteilungen
95
4.2
Zusammenhänge der Doppelbeurteilungen
99
4.3
Faktorenanalyse der Fragebogenitems
102
4.4
Unterschiede zwischen
Versuchs- und Kontrollgruppe
110
4.4.1
4.4.2
4.4.3
4.5
4.7
4.8
110
Unterschiede zum Zeitpunkt der
Untersuchung
112
Unterschiede zwischen den
Lebenspartnern der Beurteilten
115
Veränderungen der Persönlichkeit zwischen den
Einschätzungszeitpunkten
4.5.1
4.6
Unterschiede 10 – 15 Jahre
vor der Untersuchung
Veränderungen der Persönlichkeit bei
Alzheimer – Patienten
116
116
4.5.2 Veränderungen der Persönlichkeit der Kontrollgruppe
118
Zusammenhänge der Persönlichkeitsmerkmale bei
Alzheimer-Kranken und Gesunden
120
Unterschiede zwischen den
Einschätzungszeitpunkten und den Versuchsgruppen
124
Sonstige Unterschiede
126
4.8.1 Unterschiede zwischen den erlebten Stressepisoden
127
4.8.2 Unterschiede zwischen den Hobbies der Beurteilten
128
4.8.3 Unterschiede zwischen den Hobbies der Lebenspartner
130
5
5.
Diskussion
132
5.1
Zusammenfassung
132
5.2
Evaluation der Hypothesen
136
5.2.1 Zusammenhänge der Fremd-Fremd- und
Selbst-Fremd- Beurteilungen
136
5.2.2 Zusammenhänge der Doppelbeurteilungen
137
5.2.3 Faktorenanalyse der Fragebogenitems
139
5.2.4 Unterschiede zwischen Versuchs- und Kontrollgruppe
139
5.2.5 Unterschiede zwischen den Zeitpunkten
141
5.2.6
Zusammenhänge der Persönlichkeitsmerkmale
bei Alzheimer- Kranken und Gesunden
Unterschiede in den Veränderungen der Persönlichkeit
zwischen Versuchs- und Kontrollgruppe
5.2.8 Sonstige Unterschiede zwischen VersuchsUnd Kontrollgruppe
142
5.2.7
5.3
144
144
Integration der Ergebnisse mit der Forschungsliteratur
145
5.3.1 Altersassoziierte Veränderungen der Persönlichkeit
145
5.3.2 Ergebnisse zum „guten“ Altern
146
5.3.3
5.3.4
Postmorbide Veränderungen der Persönlichkeit
durch Morbus Alzheimer
146
Prämorbide, krankheitsfördernde Veränderungen
der Persönlichkeit
147
5.3.5 Die Methode des Fremdratings
148
5.4
Grenzen der vorliegenden Studie
149
5.5
Empfehlungen für zukünftige Forschungen und Konklusion
150
6.
Literaturverzeichnis
7.
Anhang
151
Der Fragebogen mit den Deckblattversionen
6
1. Entwurf der Problemstellung
Im Zusammenhang mit der Suche nach Literatur über die Art der Veränderungen des
Gedächtnisses – im Besonderen des semantischen Gedächtnisses – bei Patienten mit
Morbus Alzheimer, stieß ich auf einen Beitrag von Joachim Bauer (1994), in dem die
Vermutung geäußert wurde, dass die Persönlichkeit möglicherweise eine bedeutende Rolle
bei der Entwicklung der Alzheimer-Krankheit spielen könnte. Einerseits wurde in diesem
Beitrag darauf hingewiesen, dass es grundsätzlich möglich sei, dass gewisse
Persönlichkeitseigenschaften bzw. -veränderungen, die sich über einen langen Zeitraum
entwickeln, an der Entstehung der Krankheit mit-verursachend wirken, oder andererseits
diese Veränderungen der Persönlichkeit bereits erste frühe Zeichen einer beginnenden
kognitiven Einschränkung sein könnten. Diese ersten kognitiven Einschränkungen würden
der Ansicht von Bauer (1994) demnach in diesem Falle anfänglich nicht bemerkt oder
mithilfe von Copingmechanismen gut vor der Umwelt versteckt werden und sich mit
zunehmender Schwere der kognitiven Einbußen schließlich in einem späten Stadium
krankheitswertig äußern.
Auf der Suche nach weiter vorhandener Literatur zu diesem Themengebiet konnte ich
einige Artikel zusammentragen, die diesen Ansatz plausibel erscheinen lassen und so
begann ich mich für die Rolle der Persönlichkeit bei dieser relativ häufigen Erkrankung zu
interessieren, wobei es prinzipiell aber nicht von Bedeutung zu sein scheint, welches der
oben genannten Erklärungsmodelle tatsächlich zutrifft, da es sich einerseits bei den
beobachteten Veränderungen wahrscheinlich um einen schleichender Übergang in ein
krankheitswertiges Stadium handelt, diese Frage andererseits mit den heute zur Verfügung
stehenden neurologisch-diagnostischen Mitteln nicht geklärt werden kann.
Viel wesentlicher aber scheint die Frage zu sein, ob - wenn die Hypothese zutrifft, und
wenn ja für welche Gruppen - diese Veränderungen der Persönlichkeit nicht für die
Frühdiagnose oder frühestmögliche Differentialdiagnose zu anderen dementiellen
Erkrankungen verwendet werden könnten beziehungsweise ob therapeutische oder auch
generell präventive Interventionen im Bereich der Persönlichkeit und der sozialen
Beziehungen nutzbringend wären.
1
2. Darstellung der theoretischen Grundlage
2.1 Einleitung
Dementielle Syndrome, und hier im Besonderen die senile Demenz vom Alzheimertyp
(SDAT), stellen aufgrund mehrerer Faktoren einen immer bedeutenderen Themenbereich
dar. Die WHO (in Zaudig M., 1994) bezeichnete die Alzheimer-Demenz übrigens bereits
1981 als eines der größten Probleme der heutigen Welt.
Zum Einen wird diese Problematik in der Zukunft aufgrund der steigenden
Lebenserwartung – nach Angaben des Österreichischen Statistischen Zentralamtes (1992,
in Fischer, Danielczyk, Jellinger, Simanyi, Gatterer & Marterer, 1992) wird die mittlere
Lebensdauer bis 2015 um 4 Jahre (bei Männern auf 75, bei Frauen auf 81 Jahre) ansteigen
und die Zahl der über 80-jährigen wird sich um 30% erhöhen - noch häufiger auftreten.
Bedenkt man, dass nach Angaben von Mortimer, Schumann und French (1981, nach
Fischer et al., 1992) das Risiko eines Menschen der westlichen Welt je an einer Demenz zu
erkranken bereits heute mit über 20% angegeben wird und sich dieser Anteil eben
aufgrund der allgemein steigenden Lebenserwartung ständig leicht erhöht, so lässt sich die
Bedeutung der dementiellen Krankheitsbilder für die Zukunft deutlich erkennen, wobei es
sich nach Angaben von Fischer und Mitarbeitern (1992) bei über 60% der
Demenzsyndrome bei Älteren aber ausschließlich um eine Alzheimer´sche Erkrankung
und nur bei 16 bzw. 8% um Multi-Infarkt–Demenzen bzw. sogenannte Mischdemenzen,
einer Kombination aus Alzheimer´scher – und Multi–Infarkt–Demenz, handelt.
Ein anderer wesentlicher Aspekt betrifft besonders die klinische Psychologie: Da, wie
Hagnell, Franck, Gräsbeck, Öhman, Otterbeck und Rorsman (1992) anführen, das Wissen
um die Wurzeln der Alzheimer-Demenz noch sehr gering ist, die Risikofaktoren,
abgesehen von einigen möglicherweise genetisch verursachten Fällen, noch nicht klar
herausgearbeitet worden sind und diese Faktoren darüber hinaus möglicherweise zahlreich
sowie untereinander verbunden sein könnten, würde die psychologische Frühdiagnostik
mittels gesicherter Verfahren eine zentrale Rolle in diesem Bereich einnehmen können.
2
Eine frühe Diagnosestellung wäre zudem nach Zaudig (1994) deswegen wünschenswert,
da gerade in der Frühphase einer Demenz noch viele Chancen für die Erfassung reversibler
bzw. behandelbarer Demenzen und der dafür notwendigen bzw. möglichen therapeutischen
Intervention bestehen würden.
Im weitesten Sinn könnte man auch die Pseudodemenzen zu diesen reversiblen Formen der
Demenz zählen und auch hier scheint eine frühzeitige Differentialdiagnostik gegenüber der
Gruppe der Demenzen für eine adäquate Behandlung von großer Bedeutung zu sein,
insbesondere deshalb, weil es möglich scheint, dass solche Pseudodemenzen den
Grundstein für eine spätere Demenz mitbegründen können und eine geeignete Behandlung
der durch Depressionen verursachten Pseudodemenz dieses Risiko minimieren könnte.
Ebenfalls häufig mit der Alzheimer´schen Erkrankung verwechselte Arten der
Gedächtnisbeeinträchtigung, die nach Kessler und Kalbe (1997) bisher nur durch
verhaltensorientierte Diagnostik von den leichten Formen der Alzheimer-Erkrankung
unterschieden werden können, bilden die Formengruppe der leichten kognitiven
Beeinträchtigungen, da bis heute „auch mit hochauflösenden bildgebenden Verfahren, wie
Kernspintomographie und PET, Personen mit Gedächtnisbeeinträchtigungen im Alter, sehr
frühe Formen der Alzheimer-Erkrankung und kognitiv unbeeinträchtigte ältere Menschen
nicht valide separiert werden konnten“ (S. 873).
Aber nicht nur im Bereich der Frühdiagnostik erscheint die Miteinbeziehung der
Psychologie dienlich zu sein, auch bei der Behandlung fortgeschrittener Demenzen ist
diese Disziplin zukünftig gefordert, bessere und wirksamere Behandlungsmöglichkeiten zu
entwickeln, um den malignen Verlauf dieser Krankheiten zu verlangsamen, zu stoppen
oder vielleicht sogar teilweise rückgängig zu machen, da medizinische Vorhaben in dieser
Richtung zumindest im Bereich der Alzheimer-Krankheit uns hier insbesondere in Bezug
auf frühdiagnostische Methoden und früh greifende Therapiemöglichkeiten noch keine
wesentlichen Fortschritte erbracht haben.
3
Die Bedeutung der Alzheimer´schen Krankheit liegt also einerseits in einem für die
Zukunft zu erwartenden Anstieg der Erkrankungsfälle begründet, die eine Entwicklung
adäquater psychologischer beziehungsweise therapeutischer Behandlungsverfahren notwendig machen, andererseits wird gerade von der klinischen Psychologie erwartet,
geeignete Methoden zur frühestmöglichen Diagnostik, sowie zur Differentialdiagnostik zu
in ihrer Frühsymptomatik der Alzheimer-Krankheit sehr ähnlichen Krankheiten zu
schaffen, um jeweils geeignete therapeutische Interventionen so bald als möglich einsetzen
lassen zu können.
Ein im Rahmen der Alzheimer-Krankheit ebenfalls als krankheitsbedingt angesehenes
Symptom, das zwar in den diagnostischen Kriterien für eine Demenz vom Alzheimertyp
im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM III, revised, 1987; nach
Chatterjee, Strauss, Smyth & Whitehouse, 1992) erwähnt wird, bis heute aber nicht sehr
viel Bedeutung erlangt hat, betrifft die veränderte Persönlichkeit der Erkrankten.
Die vorliegende Arbeit soll daher mithelfen die Ursachen und die Ausprägungen dieser
Persönlichkeitsveränderungen aufzeigen, um erste, frühdiagnostisch verwertbare Anzeichen der Erkrankung erkennen zu können, sowie eventuell frühzeitige therapeutische
Interventionen setzen zu können.
Chatterjee, Strauss, Smyth und Whitehouse (1992) führen jedenfalls drei mögliche
Erklärungen für die beobachtbaren Persönlichkeitsveränderungen an:
•
Die weitverbreitetste Meinung besteht sicherlich darin, dass die individuellen
Persönlichkeitszüge durch die fortschreitende Krankheit akzentuiert und im Sinne einer
Übertreibung und Verschärfung der Charakterzüge verändert werden.
•
Eine zweite mögliche Erklärung könnte in einer interindividuell sehr ähnlichen,
systematischen Veränderung der Persönlichkeit durch Alzheimer begründet sein, das
würde bedeuten, dass Patienten im Laufe dieser Erkrankung Veränderungen im
gleichen Ausmaß erfahren und die jeweilige Ausprägung durch die prämorbiden
Eigenschaften bestimmt werden.
•
Eine andere Annahme geht davon aus, dass es lediglich spezielle Patientensubtypen
gibt, die sich im Gegensatz zum “normalen“ Symptombild durch spezielle
Persönlichkeitsveränderungen manifestieren.
4
Einen Überblick über mögliche funktionelle Erklärungsansätze für die festgestellten
Unterschiede zum prämorbiden Niveau geben Siegler, Welsh, Dawson, Fillenbaum, Earl,
Kaplan und Clark (1991): Die Persönlichkeitsveränderungen könnten
•
Copingadaptionen darstellen, die infolge des zunehmenden Gedächtnisverlustes
entwickelt werden, um mit der Umwelt zurechtzukommen, oder
•
Folgen des Verlustes spezieller integrativer Funktionen durch die Krankheit sein, oder
auch
•
wie Mortimer (1988; nach Siegler et al., 1991) vermutet, ein frühes und prädiktives
Zeichen der späteren morbiden Entwicklung sein.
Im Zusammenhang mit der letztgenannten Vermutung scheint zumindest der Versuch
angebracht zu sein, eventuelle frühzeitige Veränderungen der Persönlichkeit zu erfassen,
um eine neue Möglichkeit für die Frühdiagnostik, vielleicht aber auch für die frühe
Therapie nutzen zu können, bzw. wie Costa und McCrae (1993) meinen, die Möglichkeit
zu schaffen, aus gesicherten Erkenntnissen über die jeweiligen Veränderungen
Vorhersagen für zukünftige kognitive Behinderungen zu ermöglichen, die wiederum durch
frühzeitiges Training zumindest gemindert werden könnten.
In der vorliegenden Arbeit soll daher nach einem kurzen Überblick über die aktuellen
Forschungsansätze in der Frühdiagnostik, ihre Bedeutung für Intervention und
Differentialdiagnostik
der
Alzheimerkrankheit
und
einer
Zusammenfassung
der
Forschungsergebnisse zur “normalen“ Veränderung der Persönlichkeit im Alter versucht
werden, die Rolle der Persönlichkeitsveränderungen im Krankheitsprozess für Früherkennung, Diagnostik, Verlaufsbestimmung, Behandlung und mögliche Therapie darzustellen, um anschließend daran die Ergebnisse der empirischen Prüfung der sich aus dem
theoretischen Teil ergebenden Fragen zu präsentieren.
5
2.2 Möglichkeiten der Frühdiagnostik bei Morbus Alzheimer
Im nun folgenden Abschnitt soll vor allem auf aktuelle Forschungsansätze in der
Frühdiagnostik und ihre Bedeutung für die Differentialdiagnostik beispielsweise zu den
leichten kognitiven Störungen oder zu Depressionen bzw. Pseudodemenzen, sowie auf die
Bedeutung dieser Methoden für die gezielte Frühintervention eingegangen werden.
2.2.1 Probleme der Differentialdiagnostik
Zaudig (1994) beschreibt die Schwierigkeiten der Früherkennung bezüglich der
existierenden diagnostischen Methoden folgendermaßen:
Leider stellt die Früherkennung und damit auch die Diagnostik dementieller
Syndrome, insbesondere der Alzheimer´schen Erkrankung, immer noch ein
erhebliches Problem dar. Das hängt überwiegend damit zusammen, dass
beginnende und damit leichte kognitive Defizite älterer Menschen meist
nicht erkannt werden, zum größten Teil wegen des derzeit immer noch
bestehenden Mangels an eindeutigen Kriterien zur Diagnose ‚leichte
kognitive Störung’ bzw. dem Beginn einer Demenz. ... . Gerade die
Früherkennung und verbesserte Diagnostik dementieller Syndrome ist ein
sehr wichtiger Punkt für die weitere Therapieplanung, für die Prophylaxe,
für die künftige Gesundheitsplanung auch der Bevölkerung. Die
Früherkennung der Demenz wirft noch weitere große Probleme auf, z.B. die
Abgrenzung zum gesunden Altern oder die Abgrenzung zur sogenannten
gutartigen Altersvergeßlichkeit. ... Tatsächlich sind bis heute die Meinungen
sehr kontrovers, ob es z.B. nun eine gutartige Altersvergeßlichkeit gibt, ob
Gedächtnisstörungen zum physiologischen Altern dazugehören usw. (S. 2324).
Eine relativ häufige Verwechslung mit dem Krankheitsbild Alzheimer wird dabei in Zusammenhang mit der Multi-Infarkt-Demenz (MID) beobachtet. Nach Fischer und
Mitarbeitern (1992) wird die MID nämlich in der klinischen Praxis aufgrund des
Verdachtes oder auch des Nachweises eines erlittenen Schlaganfalls zu häufig
diagnostiziert, obwohl nicht unbedingt ein ursächlicher Zusammenhang dieser beiden
Erkrankungen bestehen muss.
6
Er verweist auf die Ergebnisse mehrerer Studien (vgl. Fisher, 1965; Wildi, Linder &
Costoulas, 1964; nach Fischer et al., 1992 ), die zeigen, dass Lakunen, die als Zeichen
eines erlittenen Infarktes gelten, bei 10% der über 65-jährigen und bei 80% der über 100jährigen vorgefunden werden können, ohne dass besondere Auffälligkeiten der
intellektuellen Fähigkeiten bemerkt werden, wobei es natürlich in Hinblick auf die
Erkenntnisse hinsichtlich der Theorien zur kognitiven Plastizität nach Kruse und Lehr
(1988, in Zaudig, 1995) auch möglich erscheint, dass durch Infarkte verursachte Schäden
ausgeglichen werden können.
Die Ergebnisse einer Untersuchung von Tuszynski, Petito und Levy (1989) an mehr als
2.800 Autopsiefällen zeigen ebenso, dass Lakunen bei sehr verschiedenen Erkrankungen
auftreten können, – in dieser Untersuchung wurden bei 64% der Gehirne früherer
Bluthochdruck, bei 34% Diabetes und bei 46% Rauchen als Risikofaktoren bestimmt - die
meisten dieser Lakunen (bei 81% der Untersuchten) zudem asymptomatisch auftreten und
die Mehrheit der Patienten mit einer Multi-Infarkt-Demenz eben keine solchen Anzeichen
einer kognitiven Einschränkung aufweisen.
Eine Studie
von Wetterling, Vieregge und Borgis (1992) zur klinischen Früh-
differenzierung von Demenzen mittels neurologischer bzw. neuropsychologischer und
Laboruntersuchungen, sowie CT und EEG weist zwar darauf hin, dass eine
Unterscheidung zwischen Multi-Infarkt-Demenz einerseits und einer Alzheimer-Demenz
bzw. einer Mischdemenz andererseits sowohl durch den neurologischen Befund als auch
mittels der Ischämie-Skalen von Hachinski möglich ist, wobei aber, wie bereits angemerkt,
neurologische Auffälligkeiten durchaus auch bei gesunden älteren Menschen zu finden
sein können.
Betreffend der Hachinski-Skalen muss zusätzlich nach einer Untersuchung von Fischer
und seinen Mitarbeitern (1992) bemerkt werden, dass auch mit diesem Instrument bei einer
unkritischen Anwendung die Diagnose MID häufig bei vorliegender Alzheimer-Krankheit
gestellt wird. Nach Gatterer (1997) wird durch diese Skalen darüber hinaus nicht bestimmt,
ob eine Alzheimer-Demenz vorliegt, „sondern aufgrund verschiedenster, teilweise auch
uncharakteristischer Merkmale die Diagnose einer Multi-Infarkt-Demenz ausgeschlossen“
(S. 666).
7
Der Ansicht, mittels neurologischer Auffälligkeiten Demenzen diagnostizieren zu können,
widersprechen auch die Ergebnisse einer älteren Studie von Jacoby und Levy (1980), die
zwar erhöhte cerebrale Atrophien bei Demenzpatienten feststellten, die Übergänge
zwischen Gesunden und Dementen hinsichtlich der Atrophieausprägung aber als fließend
bezeichnen. Zusätzlich fanden Jacoby und Levy (1980) bei ihrer Studie trotz sorgfältigem
Ausschluss von Personen, die Anzeichen für eine Multi-Infarkt-Demenz zeigten, häufiger
cerebrale Infarkte bei der Versuchsgruppe der Dementen im Vergleich zu einer gesunden
Kontrollgruppe, besonders häufig dann, wenn die Patienten einen erhöhten diastolischen
Blutdruck aufwiesen. Die ebenfalls bereits angeführte Studie von Wetterling, Vieregge und
Borgis (1992) konnte weiters auch keine signifikanten Unterschiede zwischen Personen
mit einer reinen Demenz vom Alzheimertyp und Personen mit einer Mischdemenz
feststellen, Labor-, EEG- und CT-Befunde konnten zu dieser Unterscheidung ebenfalls nur
wenig beitragen.
Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die Abgrenzung der Demenzen von
anderen mnestischen Störungen beziehungsweise die frühe Differentialdiagnostik der
Demenzen mittels neurologischer Methoden jedenfalls bisher nicht ausreichend möglich zu
sein scheint.
2.2.2 Möglichkeiten der Frühdiagnostik
Im Bereich der psychodiagnostischen Verfahren existieren nur wenige zur Früherkennung
geeignete Methoden. Der folgende Abschnitt soll einen kurzen Überblick über die
bestehenden Testverfahren sowie über die Grenzen und Probleme der Einsetzbarkeit der
jeweiligen Tests geben:
Der Demenz-Test von Kessler und Mitarbeitern (1988; nach Gatterer, 1997), ein
multimodaler Untersuchungsansatz, ermöglicht nach Angaben der Verfasser unter anderem
eine Diagnosefestigung für Hirnleistungsstörungen im Frühstadium, kann über die Art der
Störung zu diesem Zeitpunkt alleine nichts aussagen.
8
Ähnliches gilt für das DCS – das Diagnostikum für Cerebralschädigung (Weidlich &
Lamberti, 1993; nach Gatterer, 1997), welches das Ausmaß einer eventuell vorliegenden
mnestischen Funktionsstörung messen und für den Bereich der Frühdemenzdiagnostik
geeignet sein soll, allerdings über die Ursache der Störungen ebenfalls keinen Aufschluss
geben kann.
Dieselben Probleme ergeben sich auch beim Berliner Amnesietest (Metzler et al., 1992;
nach Gatterer, 1997), der ebenfalls nur mnestische Defizite diagnostizieren kann, es fehlen
allerdings auch hier noch gesicherte Erfahrungen mit dementen Personen.
Ergebnisse des Rivermead Behavioral Memory Tests (RBMT, Wilson et al., 1989; nach
Gatterer, 1997), eines weiteren Verfahrens zur Diagnostik von Gedächtnisstörungen,
dürften nach Ansicht mehrerer Autoren (Beardsell et al., 1991; Goldstein et al., 1992; in
Gatterer, 1997) auch für die Verwendung in der Frühdiagnostik einer Demenz sprechen, es
existieren bis jetzt allerdings ebenfalls nur wenige klinische Erfahrungen zur Evaluierung.
Der Aachener Aphasie Test (AAT, Huber et al., 1983; nach Gatterer, 1997) dürfte insofern
nur bedingt einsetzbar sein, da er lediglich sprachliche Beeinträchtigungen bei Probanden
misst, die in einem für die Früherkennung doch schon recht späten Stadium
der
Alzheimer-Demenz auftreten.
Zaudig (1994) verweist auf eine weitere Testmöglichkeit, auf das SIDAM, “das
Strukturierte Interview zur Diagnose der Demenz vom Alzheimer-Typ, der MultiinfarktDemenz und anderer Ätiologie nach DSM-III-R und ICD-10“ von Zaudig und Hiller
(1995). Es soll nach Angaben der Autoren sowohl die Unterscheidung dementer von nichtdementen Personen, sowie mit Hilfe des SIDAM-Scores (SISCO) eine genaue Einschätzung des Schweregrades auch leichtester kognitiver Beeinträchtigungen erlauben,
eine differentialdiagnostische Abklärung der Demenzart ist aber auch hier nicht möglich.
Abgesehen von den jeweils spezifischen Mängeln der aufgeführten Testmethoden weist
Jolles (1987) zusammenfassend darauf hin, dass eigentlich noch kein zuverlässiges und
sensitives Verfahren zur Frühdiagnostik bezüglich des dementen Formenkreises besteht, da
nie klar erkennbar sein kann, welche kognitiven Defizite als Ursache für schlechte
Testwerte angesehen werden dürfen, psychometrische Tests also nur kognitive Leistung
und nicht kognitive Funktion messen und daher weder für Früh- noch für
Differentialdiagnostik geeignet sein können.
9
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