Mit Bewältigungsstrategien zur beruflichen Selbstverwirklichung

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Teilhabe / Rehabilitation
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Mit Bewältigungsstrategien zur
beruflichen Selbstverwirklichung
Eine Studie deckte die
wichtigen Schlüs­selfähigkeiten
hörbeeinträchtigter Menschen
für beruflichen Erfolg auf.
M
enschen mit einer Hörminde­
rung begegnen besonderen
beruflichen Erschwernissen, weil
sie anders hören als die Mehrheit
der „normal“* Hörenden und ihnen
oft aus Unwissenheit oder aufgrund
von Vorbehalten unterstellt wird,
weniger leistungsfähig zu sein als
diese. Dadurch werden Barrieren
konstruiert, die den Zugang zu und
die Entwicklung in einem Beruf
über die eigentlichen beruflichen
Anforderungen hinaus erschweren
oder gar behindern.
Auf die Hörminderung bezogene
berufliche Erschwernisse sind Er­
gebnisse von Diskriminierungs­
prozessen. So bekräftigte Frank:2
„Chancengerechtigkeit würde dann
bestehen, wenn Menschen mit und
ohne Behinderung bei gleichem
Aufwand, bei gleichem Engage­
ment, gleiche Möglichkeiten hät­
ten.“ Laut Kathrin müssen Hörge­
minderte für beruflichen Erfolg
Menschen mit einer Hörminderung können
ihren Beruf frei wählen, darin erfolgreich und
zufrieden sein! Als Schlüssel zu beruflicher
Selbstverwirklichung können Menschen mit
einer Hörminderung berufliche Bewältigungsstrategien entwickeln.1 Wie? Darüber hat
Silvester Popescu-Willigmann für eine Studie
mit zehn Frauen und Männern gesprochen, die mit
ihrer Hörminderung ein Studium abgeschlossen und anschließend Berufslaufbahnen eingeschlagen hatten, die
mit ihren Fähigkeiten und Wünschen überein­stimmten.
Als entscheidend erwies sich ihr Umgang mit den
vorgefundenen beruflichen Barrieren.
„immer besser sein und immer
härter arbeiten als andere“.
Diese Formen sozialer Ungerech­
tigkeit zu beseitigen sollte nicht in
der Verantwortung der diskrimi­
nierten Personen liegen, sondern
ein Anliegen aller Gesellschafts­
mitglieder sein. Solange jedoch die
Gesellschaft keinen „gerechten Zu­
stand“ erreicht hat, bedarf es indi­
vidueller Bewältigungsstrategien,
um die berufliche Teilhabe zu ver­
bessern.
Berufliche Bewältigungsstrategien
sind Einstellungen, Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltenswei-
* „normal“ hörend
= Der Begriff „normal“ steht anstelle von „gut“ hörend, damit nicht
der Anschein erweckt wird, als sei die Hörfähigkeit der Grund für
ungleiche Berufschancen. Der Autor geht von einer sozialen Herstellung von Behinderung aus, nämlich gegen Menschen, die von
einer gesellschaftlich konstruierten Norm abweichen. So verstanden
ist Behinderung eine Sanktionierung (Bestrafung) von Menschen,
die nicht dem Durchschnitt (dem „Normalen“) entsprechen. Das
„Normale“ (gut hören) wird auf-, das „Anormale“ (nicht so gut wie
die meisten hören) abwertend interpretiert, und zwar als Minderleis­
tungsfähigkeit. Diese Wertung „legitimiert“ soziale Exklusion und
stellt Behinderung her. Um diesen Zusammenhang aufzuzeigen, ist
im Text von „normal“ Hörenden die Rede. Eine Lösung bedarf nicht
nur der Kompensation der Hörminderung, sondern auch der Um­
deutung negativer Vorstellungen bei Entscheidungsträgern/innen.
1 Dieser Artikel beruht auf dem aktuellen Buch „Berufliche Bewältigungsstrategien und ‚Behinderung’“ (Springer VS) von Silvester PopescuWilligmann, das in „Spektrum Hören“ 2/2014 vorgestellt wurde. Die Ergebnisse können in diesem Artikel aus Platzgründen nur in Auszügen wiedergeben werden. Das Modell, alle Determinanten und die theoretischen Grundlagen sind ebenso wie die Lebensläufe der Interviewten im Buch dokumentiert.
2 Zur Veranschaulichung sind einige Interviewaussagen im Text eingearbeitet. Die Namen sind anonymisiert.
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Silvester Popescu-Willigmann ist DiplomWirtschaftspädagoge, Diplom-Verwal­
tungswirt (FH) und Finanzfachwirt (FH).
Er wurde zum Geschäftsführer einer
so­zialen Einrichtung in Hamburg
berufen. Außerdem forscht er zu Sozial­
wirtschaft, Sozialmanagement und zu
sozialer Ungleichheit, ist Hochschul­
lehr­­beauftragter und freiberuflicher
Dozent. Im Fach­aus­schuss Arbeits­
markt­politik der Deutschen Gesellschaft
der Hörgeschädigten-Selbsthilfe und
Fachverbände e. V. engagiert er sich für
die berufliche Emanzipation von Men­
schen mit einer Hörminderung. Sein
Profil im Internet: www.dozent-spw.de,
Kontakt per E-Mail: [email protected]
sen, die berufliche Erschwernisse
in sozialen Interaktionen lösen las­
sen. Sie geben Betroffenen Hand­
lungsmacht und erweitern ihre
Möglichkeiten.
Typische Erfahrungen
Hörgeminderter im
beruflichen Alltag
Schon bei der Bewerbung um eine
Stelle können Benachteiligungen
auftreten. Würden Arbeitgeber, so
Gunthers Erfahrung, bereits in den
Bewerbungsunterlagen sehen, dass
jemand hörgemindert ist, „dann
gehe ich davon aus, dass man in
80 Prozent der Fälle aussortiert
wird“. Julius bestätigte: „Bei wirk­
lich gleichen fachlichen Vorausset­
zungen zieht der Behinderte den
Kürzeren.“
Eine barrierefreie Infrastruktur
findet sich trotz staatlicher Bezu­
schussung an vielen Arbeitsplätzen
nicht. „Die muss ich mir erst er­
kämpfen“, berichtete Claus. Arbeit­
geber scheinen organisatorischen
und finanziellen Mehraufwand zu
scheuen, den beeinträchtigte Ar­
beitnehmer aus ihrer Sicht verur­
sachen. So bleibt es Hörgeminder­
ten häufig selbst überlassen, sich
ideale Arbeitsvoraussetzungen zu
schaffen, wie die Ausstattung mit
Hilfsmitteln.
maßen immer im Mittelpunkt steht:
Das Kompensieren von Hördefizi­
ten und das Aufrechthalten einer
permanent hohen Aufmerksamkeit
sind anstrengend. Weiterer Stress
wird durch das Ausgeschlossensein
vor allem von informellen, aber be­
reichernden „Klatschgesprächen“
und durch im Beruf erfahrene „Un­
gerechtigkeiten“ verursacht; eben­
so durch das Risiko sozialer Isola­
tion am Arbeitsplatz.
Soziale Barrieren
behindern die
berufliche Entfaltung
Auch ein beruflicher Aufstieg ist für
Hörgeminderte schwerer zu errei­
chen, selbst wenn sie – wie Thomas
– eine exzellente Fachkompetenz
haben: „Was mir nicht gelungen ist:
Karriere, jetzt mal vom beruflichen
Aufstieg her. (…) Denn man konnte
sich in der Firma nicht vorstellen,
dass ein Mehrfachbehinderter eine
Führungsposition ausüben könnte.“
Dabei müsste das Arbeiten für Men­
schen mit Hörminderung gar nicht
so problematisch sein. Das Allge­
meine Gleichbehandlungsgesetz
verbietet Diskriminierung im Be­
ruf, und Sozialgesetze wie das
SGB IX begründen Ansprüche auf
finanzielle Unterstützung für tech­
nische Hilfsmittel sowie Assistenz­
leistungen, mit denen Hördefizite
teilweise kompensiert und kommu­
nikationsförderliche Arbeitsbedin­
gungen finanziert werden könnten.
Über diese beispielhaften Erschwer­
nisse hinaus ist für das Arbeiten
mit einer Hörminderung charakte­
ristisch, dass das Hören gewisser­
Die Gesprächspartner/innen erleb­
ten allerdings eine zuweilen rest­
riktive Zuteilungspraxis von Behör­
den wie Versorgungsämtern und
Grafik: Silvester Popescu-Willigmann; modifiziert nach: Berufliche Bewältigungsstrategien und ‚Behinderung‘ (Springer VS, 2014: S. 145)
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Krankenkassen. Ein rechtlicher An­
spruch garantiert demnach noch
nicht, diesen auch erfüllt zu bekom­
men. So stellte Julius, der beruflich
mit öffentlichen Stellen zusammen­
arbeitete, fest: „Deutsche Behör­
den sind so getrimmt, dass alles,
was sie theoretisch ablehnen kön­
nen, erst mal abgelehnt wird. Nur
das, was absolut nicht mehr abge­
lehnt werden kann, kriegst du. Und
dieser Kampf mit den Behörden,
das ist das, was ich als größtes Hin­
dernis sehe, weil die spekulieren ja
quasi darauf, dass einer (…) auf sei­
ne Rechte verzichtet.“ Christiane
bestätigte: „Wenn ich die ganze
Zeit, die ich verbracht habe, um für
das Geld zu kämpfen, dafür hätte
einbringen können, meinen Job zu
machen, ist das auch nicht unbe­
dingt Chancengleichheit.“
Die unzureichende Barrierefrei­
heit am Arbeitsplatz und die er­
schwerte berufliche Teilhabe las­
sen sich auf soziale Umstände
zurückführen; in Form von Hand­
lungen durch Personen oder als
Folge von durch Menschen ge­
schaffenen Regeln, die Entschei­
dungen motivieren und ungleiche
Chancen „rechtfertigen“.
Interpretationen. So neigen sie da­
zu, fälschlicherweise dort antiso­
ziale Verhaltensweisen oder man­
gelnde Kompetenz zu unterstellen,
wo ein für sie nicht nachvollziehba­
res Verhalten durch die hörgemin­
derte Person gezeigt wird.
(2) Des Weiteren bestehen offenbar
allgemeine Vorbehalte gegenüber
der Beschäftigung von Menschen
mit „Behinderung“. Diese resultie­
ren aus der Befürchtung eines or­
ganisatorischen und finanziellen
Mehraufwands sowie einer unter­
stellten Minderleistungsfähigkeit.
(3) Darüber hinaus machten einige
Interviewte das „Stigma Hörschä­
digung“ als Ursache für Benachtei­
ligungen aus, da noch häufig die
Gleichsetzung „taub = doof“ bei Ar­
beitgebern vorzuherrschen scheint.
Die erreichte berufliche Position
drückt nämlich aus, welche Fähig­
keiten und Talente einer Person in
einem sozialen Raum wie einem
Unternehmen anerkannt und wert­
geschätzt werden. In einer moder­
nen, arbeitsteiligen Gesellschaft ist
es gerecht, wenn jemand leistungs­
adäquat arbeiten kann und berufli­
che Positionen nicht aufgrund leis­
tungsirrelevanter Sachverhalte (wie
der Hörminderung) vorenthalten
werden.
Berufliche Barrieren sind also Ergebnisse sozialer Prozesse – und
als solche veränderbar. Erfolgsför­
derliche berufliche Bewältigungs­
strategien sind daher Einstellun­
gen, Persönlichkeitsmerkmale und
Verhaltensweisen, die in sozialen
Interaktionen – im Beruf oder mit
Behörden – wirksam sind, neue so­
ziale Realitäten und (berufliche)
Chancen zu schaffen.
Bewältigungsstrategien
für eine berufliche
Selbstverwirklichung
In Unternehmen bestehen oft (Vor-)
Urteile über Menschen mit „Behin­
derung“ beziehungsweise über Men­
schen mit Hörminderung. Diese
Anschauungen drücken sich in
Form zu hoher oder zu niedriger
Leistungserwartungen von Perso­
nalverantwortlichen, Managern oder
Führungskräften aus und beein­
flussen, ob ein Unternehmen es für
lohnend erachtet, sich inklusions­
förderlich zu verhalten, eine bar­
rierefreie Infrastruktur zu unter­
halten und den gleichberechtigten
Zu­gang zu beruflichen Positionen
zu öffnen.
Berufliche Selbstverwirklichung ist
ein Konzept, das aus Sicht Berufs­
tätiger mehr beinhaltet als Karrie­
re zu machen. Karriere bezieht
sich darauf, Positionen mit immer
mehr (Führungs-, Fach- oder Fi­
nanz-)Verantwortung innerhalb
eines Unternehmens oder über
mehrere Unternehmen hinweg zu
erreichen. Nicht alle Menschen
streben aber eine solche berufliche
Entwicklung an.
In der Studie konnten drei Ursa­
chen für negative Urteile über Men­
schen mit Hörminderung rekon­
struiert werden:
(1) Schlüsselpersonen in Firmen
wissen wenig über Schwerhörig­
keit, und ihre Entscheidungen fu­
ßen daher auf Vermutungen und
Berufliche Selbstverwirklichung
indes bedeutet, eine berufliche Tä­
tigkeit auszuüben, die den eigenen
Fähigkeiten entspricht und mit der
man sich identifizieren kann. Sie ist
daher sowohl ein subjektives berufliches Erfolgsmerkmal als auch ein
Indikator für soziale Gerechtigkeit:
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Selbstverwirklichung als
berufliches Erfolgsmerkmal
Obwohl allen Interviewten beruf­
liche Barrieren begegnet waren,
gelang es ihnen, berufliche Selbst­
verwirklichung zu erlangen. Der
Schlüssel dazu waren ihre Bewäl­
tigungsstrategien.
Bewältigungsstrategien wirken in
sozialen Interaktionen als bewusst
oder unbewusst ausgefochtener
„Kampf um (berufliche) Anerkennung“ – mit Entscheidungsträ­
gern/innen aus Unternehmen und
Behörden. Im Erfolgsfall werden
Negativurteile über Menschen mit
Hörminderung positiv umgedeutet,
wodurch Raum für faire(re) beruf­
liche Bedingungen entsteht. Dann
treten bei Personalentscheidungen
andere Eigenschaften als die Sin­
nesbeeinträchtigung in den Vorder­
grund, etwa die Leistungsfähigkeit
und der Leistungswille.
Folgende, bei jeder Person indivi­
duell ausgeprägte Strategieberei­
che deckte die Studie auf:
(1) die eigenen Umgangsweisen
mit der Hörminderung,
(2) persönliche Kompetenzen und
(3) soziale Interaktionen.
Das Zusammenspiel ihrer Bewäl­
tigungsstrategien bildete bei allen
Interviewten eine „starke“, das heißt
eine selbstbewusste und handlungskompetente, Persönlichkeit aus –
mit einem Denk- und Verhaltensre­
pertoire, das sie befähigte, sich über
Barrieren hinwegzusetzen und be­
rufliche Möglichkeiten zu schaffen,
Teilhabe / Rehabilitation
wortung und empfahlen sich durch
viel Einsatz und Engagement für
Beförderungen.
Was auch für „normal“ Hörende
gilt, hatten die Interviewten beson­
ders verinnerlicht: Sie interessier­
ten sich beruflich sehr für Neues
und waren örtlich flexibel. Sie zeig­
ten eine hohe Bereitschaft, für eine
berufliche Option gewohntes Ter­
rain zu verlassen. Viele der Inter­
viewten waren sehr wissbegierig,
hatten mehrere Qualifikationen und
nutzten viele Möglichkeiten der
Weiterbildung. Sie erprobten neu­
este Hilfsmittel und fanden durch
ihre Unvoreingenommenheit (auch
sich selbst gegenüber!) so manche
berufliche Nische.
Grafik: Silvester Popescu-Willigmann; modifiziert nach: Berufliche Bewältigungsstrategien und ‚Behinderung‘ (Springer VS, 2014: S. 161)
die ihren Eignungen und Neigun­
gen entsprachen; also: berufliche
Selbstverwirklichung zu erlangen.
(1) Umgangsweisen mit der
Hörminderung
Die Interviewten hatten eine bewusste und konstruktive Haltung
gegenüber ihrer Hörminderung,
die ihren Umgang mit derselben
und ihr Verhalten in der „Hörenden­
welt“ prägte. Eine Anerkenntnis
der Hörminderung als Teil der Per­
son und das Begreifen, ein auditi­
ves Problem zu haben, ebnen den
Weg für Lösungen. Der Einsatz von
Hilfsmitteln und die Schaffung ei­
ner hörförderlichen Arbeitssituati­
on werden erleichtert, wenn offen
mit der Hörminderung umgegan­
gen und auch das (berufliche) Um­
feld dafür sensibilisiert wird; darin
waren sich fast alle Interviewten
einig. Es braucht ein gesundes
Selbstbewusstsein, sich als hörge­
mindert zu „outen“; doch liegt hier
die Chance, sein Leben offen zu
führen, ohne den Stress, sich ver­
stecken zu müssen und mit der
Gelegenheit, dass Kommunikation
mit Hörhilfen gelingt.
Darüber hinaus verfügten die Inter­
viewten über eine hörminderungsbezogene Handlungskompetenz.
Das ist ein fundiertes Wissen über
die Beeinträchtigung und ihre Aus­
wirkungen auf die Bewältigung von
Alltags- und Berufsanforderungen
sowie über den technischen und
rechtlichen Stand der Hilfsmittelund Assistenzversorgung. Sie wa­
ren imstande, ihre Fähigkeiten und
Leistungsgrenzen einzuschätzen,
sich Hilfen zu beschaffen und Ver­
haltensweisen anzuwenden, die ih­
nen die Aufnahme gesprochener
Information erleichterten, etwa
durch Sitzordnungen in Bespre­
chungen, Nachfragen können und
es sich trauen.
(2) Persönliche Kompetenzen
Die Interviewten waren sehr selbstständige Menschen. Sie hatten eine
positive, lösungsorientierte Ein­stel­
lung, glaubten eher an Chancen
und fürchteten sich weniger vor
Problemen oder einem möglichen
Versagen, waren ausdauernd und
beharrlich – und sehr durch­set­
zungs­stark.
Charakteristisch für alle Interview­
ten war, dass sie im Beruf sehr aktiv
waren und ihre beruflichen Positi­
onen mit Eigeninitiative erlang­
ten. So schlugen sie zum Beispiel
unorthodoxe Wege bei Bewerbun­
gen ein oder schufen sich zum Teil
ihre Stellen selbst. Sie scheuten
sich nicht vor beruflicher Verant­
Soziale Interaktion geschieht we­
sentlich über akustische Kommu­
nikation. Die Kommunikationsfähigkeit kann durch den Ausgleich
auditiver Defizite mit Hilfsmitteln,
durch das Aneignen optischer Ver­
ständnishilfen wie Lippenabsehen
sowie durch Verbesserung der
Sprachkompetenz optimiert wer­
den. Doch das Sich-einlassen auf
den kommunikativen Austausch in
Lautsprache bedarf zuvorderst ei­
nes Willens zur Kommunikation,
der von der Persönlichkeit abhängt,
und der die Überwindung von Kom­
munikationsangst ebenso fordert
wie den Mut, sich potenzieller Dis­
kreditierung durch „normal“ Hö­
rende auszusetzen. Der Sprung ins
kalte Wasser der Kommunikation
wird mit der Zeit belohnt: die Kom­
munikationskompetenz reift, die
Hemmschwelle sinkt, das Selbstbe­
wusstsein erstarkt. Der Kommuni­
kationswille lässt die Bewältigungs­
strategien überhaupt erst öffentlich
in Erscheinung treten. Gelingt es,
die Kommunikationshürde zu neh­
men, erweitern sich die beruflichen
Möglichkeiten zusehends.
(3) Soziale Interaktionen
Laut den Interviewten empfiehlt
sich ein privater Bekanntenkreis
aus Hörgeminderten und „normal“
Hörenden. So kann das eigene Le­
ben mit Impulsen bereichert wer­
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den, die sowohl die Identität und
Handlungskompetenz als Mensch
mit Hörminderung stärken als auch
Sicherheit in der „Hörendenwelt“
vermitteln. Die Akzeptanz und der
Respekt beider Gruppen erweitern
die Wahrnehmung und verhelfen zu
einer positiven Lebenseinstellung.
Von gar nicht zu unterschätzender
Bedeutung für Privat- und Berufs­
leben sind Netzwerke. Selbsthilfevereine bieten Beratung an und
sind ein Forum für den Austausch
mit anderen Betroffenen. So lässt
sich hörminderungsspezifisches
Fachwissen generieren. Zugleich
kann dieser Austausch mit Ande­
ren psychisch entlasten und die
Persönlichkeitsentwicklung fördern.
Berufliche Netzwerke unterstüt­
zen beim beruflichen Fortkommen.
So eröffnete intensives Networking
manch Interviewtem konkrete be­
rufliche Optionen.
Kommunikativer Mut und ein ho­
her Aktionsgrad brachten einige
Interviewte mit Schlüsselpersonen
in Kontakt, die ihnen im Studium
oder im Beruf entscheidende Hilfe
boten. Eine gewisse Extrovertiert­
heit erhöht also die Wahrschein­
lichkeit, wegweisende Menschen
zu treffen und davon beruflich zu
profitieren.
Fazit
Berufstätigkeit sollte auf berufliche
Selbstverwirklichung zielen. Für
eine langfristig zufriedenstellende
Berufslaufbahn sollten die eigenen
Fähigkeiten und Wünsche immer
wieder selbstkritisch und selbstbewusst reflektiert und mit Mut für
Neues mit dem Arbeitsmarkt abge­
glichen werden.
Berufliche Bewältigungsstrate­gien
in den Bereichen (1) Umgangswei­
sen mit der Hörminderung, (2) per­
sönliche Kompetenzen und (3) so­
ziale Interaktionen schaffen Ge­
staltungshoheit für die eigene
Berufslaufbahn; zugleich begrün­
den sie Verantwortung für den ei­
genen beruflichen Werdegang. Be­
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Grafik: Silvester Popescu-Willigmann; modifiziert nach: Berufliche Bewältigungsstrategien und ‚Behinderung‘ (Springer VS, 2014: S. 194)
wältigungsstrategien verbessern
im Idealfall über soziale Prozesse
die beruflichen Chancen, helfen
Stress abzubauen und steigern das
persönliche Wohlbefinden ebenso
wie die Leistungsfähigkeit.
Die Studie lieferte keinen Hinweis
darauf, dass berufliche Bewälti­
gungsstrategien zwangsläufig mit
einer bestimmten Qualifikation zu­
sammenhängen. Vielmehr beruhen
sie auf einer mentalen Disposition,
auf einer Form psychischer „Stärke“, und sind nicht nur Menschen
mit Hochschulabschluss vorbehal­
ten. Gelegenheiten der persönlichen Weiterentwicklung wie das
Engagement in Verbänden und in
Netzwerken sowie Beratungs- und
Bildungsangebote sollten daher
rege genutzt werden. Dann ist die
berufliche Selbstverwirklichung
trotz vieler Barrieren für Men­
schen mit einer Hörminderung
realistisch und erreichbar!
Die ausführlichen Studienergeb­
nisse können Sie im Buch „Beruf­
liche Bewältigungsstrategien und
‚Behinderung’“ von Silvester Pope­
scu-Willigmann nachlesen. Weitere
Informationen und Leseproben
finden Sie auf der Internetseite
www.bewaeltigungsstrategien.de
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spektrum-hoeren.de.
Unter allen Einsendungen verlosen wir ein
Buch „Berufliche Bewältigungsstrategien
und ‚Behinderung’“
von Silvester PopescuWilligmann.
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