Segmentierung von Industriegütermärkten - managerTool

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Marktsegmentierung in Business to Business Märkten
PAUL AMMANN
1
EINFÜHRUNG ............................................................................................................................................. 2
1.1
1.2
2
HERAUSFORDERUNGEN............................................................................................................................ 2
PROZESS DER MARKTSEGMENTIERUNG ................................................................................................... 3
PRODUKT-/MARKTSEGMENTE BILDEN ............................................................................................ 3
2.1
KUNDEN SEGMENTIEREN ......................................................................................................................... 3
2.1.5
Das Kaufverhalten industrieller Kunden......................................................................................... 3
2.1.6
Makro- und Mikrosegmentierung.................................................................................................... 6
2.1.1
Makrosegmente auf Ebene der Organisationen .............................................................................. 8
2.1.2
Mikrosegmente auf Ebene des Buying Centers ............................................................................. 10
2.2
PRODUKT-/MARKTMATRIX ERSTELLEN ................................................................................................. 12
3
PRODUKT-/MARKTSEGMENTE AUSWÄHLEN................................................................................ 14
3.1
ATTRAKTIVITÄT DER PRODUKT-/MARKTSEGMENTE UND WETTBEWERBSVORTEILE DES UNTERNEHMENS
BEWERTEN ......................................................................................................................................................... 14
3.1.1
Exkurs: Das Marktattraktivitäts-/ Wettbewerbsvorteileportfolio .................................................. 15
3.2
KOSTEN/ NUTZENÜBERLEGUNGEN ANSTELLEN ..................................................................................... 17
2.1.3
Marktnische als Chance und Gefahr: Ausbruch aus der Hochpreisnische................................... 19
4
PRODUKT-/MARKTSEGMENTE BEARBEITEN................................................................................ 22
4.1
DIFFERENZIERUNG IN DEN GEWÄHLTEN PRODUKT-/MARKTSEGMENTEN BESTIMMEN ........................... 22
4.2
MARKETING MIX FÜR DIE ZU BEARBEITENDEN PRODUKT-/MARKTSEGMENTE BESTIMMEN ................... 25
4.2.1
Distributionssystem in Funktion der Marktsegmentierung aufbauen............................................ 25
4.2.2
Kundenkontakte erhöhen bei gleichzeitiger Senkung der Marketingkommunikationskosten ........ 26
5
DIE SIEBEN „GOLDENEN REGELN“ DER MARKTSEGMENTIERUNG ..................................... 29
1
1 Einführung
1.1 Herausforderungen
„The identification and selection of market segments is the most important strategic decision facing the industrial and high-tech
firm.“ (HLAVECEK/AMES 1986, S. 40 ). Die Bedeutung der Marktsegmentierung leuchtet allen Marketingverant-
wortlichen ein. Trotzdem hapert es bei der Implementierung einer erfolgreichen Marktsegmentierung in vielen
Unternehmen. Mehrere Punkte lassen die Segmentierung für den Marketingmanager von Industriegütern zur
Herausforderung werden:
„Management often faces segmentation tension between the theoretically desirable and the managerially possible“ (BONOMA/SHAPIRO nach VERHALLEN ET AL. 1998, S. 306). Ziel der Marktsegmentierung ist das Bilden von Gruppen
von Kunden mit homogenen Bedürfnissen, um diese mit einem auf die speziellen Bedürfnissen zugeschnittenen
Marketing Mix ansprechen zu können. So können die verfügbaren Ressourcen so gewinnbringend wie möglich
eingesetzt werden. Dies ist leichter gesagt als getan. Da Industriegüter durch Unternehmen beschafft werden,
sind regelmäßig mehrere Organisationen und darin wiederum mehrere Personen am Kaufentscheid beteiligt.
Marktforschungsprogramme zur Bestimmung der Segmente müssen demnach neben den Bedürfnissen der Entscheidträger auch definieren , welche Entscheidträger ihre Bedürfnisse durchsetzen können. Dies ist nicht ohne
weiteres möglich. Zudem ist die Stabilität dieser oft nur mit hohen Kosten eruierbaren Segmente bei weitem
nicht sicher gestellt. Im folgenden wird deshalb ein pragmatischer Marktsegmentierungsansatz vorgestellt.
„Strategische Geschäfte lassen sich nicht primär durch Märkte bzw. Kundengruppen identifizieren, sondern werden in konkurrenzintensiven Branchen wesentlich durch die Wettbewerbsvorteile bestimmt.“ (REISS/BECK 1995, S. 30). Ein Marktseg-
ment besteht nicht nur aus der Definition einer Gruppe von Kunden mit ähnlicher Bedürfnislage. Ebenso wichtig
ist die Definition der für diese Kundengruppe bestimmten Produkte- und allfälliger Dienstleistungsbündel sowie
der zu realisierenden Differenzierungspotenziale. Dabei gilt es zu bedenken, dass die Spezifikationen für Industriegüter oft erst in der Angebotsphase mit einem Kunden entstehen. Der Nutzen von Marktsegmentierungsüberlegungen hängt also vom jeweiligen Geschäftstyp ab (siehe S. ).
„Die Marktsegmentierung dient einerseits der Marktidentifizierung sowie andererseits der besseren Befriedigung der Konsumentenbedürfnisse durch den differenzierten Einsatz der Marketinginstrumente.“ (MEFFERT 1998, S. 174). Marktsegmentie-
rung endet nicht mit der Analyse des Marktes und der Definition der Segmente. Gerade bei Industriegütern gehört es zu einer erfolgreichen Marktsegmentierung, nach der Definition der Marktsegmente auch den Marketing
Mix für eine erfolgreiche Marktbearbeitung der gewählten Segmente festzulegen. Die folgenden Ausführungen
folgen deshalb den drei Vorgehensschritten: Segmente bilden, Interessante Segmente auswählen und Segmente
bearbeiten.
„In der Regel steigt die Leistungsfähigkeit der Standardprodukte kontinuierlich an und neutralisiert dadurch allmählich den
Differenzierungsvorteil der qualitativ hochstehenden Nischenprodukte“ (BELZ ET AL. 1996b, S. 9). Viele Industriegüter-
hersteller haben sich in den letzten Jahren mit sehr hochstehenden Produkten und Lösungen im Hochpreissegment positioniert. Anbieter ständig besserer Standardprodukte setzen diese Hersteller immer stärker unter Druck.
Eine aktuelle Herausforderung vieler Industriegüteranbieter ist deshalb der Ausbruch aus der Hochpreisnische
(siehe dazu S. und S. ) und die Bearbeitung breiterer Märkte mit standardisierten Angeboten.
„Tiefere Kosten und intensivere Kommunikation werden durch eine Kommunikation erreicht, der auf die Kundenprozesse abgestimmt ist“ (LÜTHI/SUTER 1998, S. 65) Im Industriegütermarketing spielt der persönliche Verkauf eine herausra-
gende Rolle in der Marketingkommunikation. Kundenbetreuung über Außendienstmitarbeiter ist aber sehr kostenintensiv und bei vielen Unternehmen bei den heutigen tiefen Margen oft nur noch schwierig finanzierbar.
Deshalb sehen sich viele Unternehmen vor der doppelten Herausforderung einer verbesserten Kommunikation
mit der Kundschaft bei gleichzeitiger Senkung der Marketingkommunikationskosten. Dies kann durch eine sorgfältige Segmentierung zusammen mit einem intelligenten Einsatz aller Instrumente der Marketingkommunikation erreicht werden (siehe dazu S. ).
Obige Herausforderungen zeigen klar, dass die Überlegungen zur Marktsegmentierung eng mit den wichtigsten
Fragestellungen in Zusammenhang stehen, die heute vielen Industriegüterhersteller lösen müssen. Die Bedeutung der Marktsegmentierung für den Erfolg im Industriegütermarketing kann daher nicht überschätzt werden.
2
1.2 Prozess der Marktsegmentierung
Die Struktur dieses Kapitels folgt dem in Abb. 1 dargestellten bewährten Vorgehen für die Marktsegmentierung.
Zuerst werden die Kunden in Gruppen zusammengefasst, die einen möglichst effizienten Einsatz der Marketinginstrumente erlauben. Danach werden die Produkte für die interessanten Kundensegmente definiert und in einer
Produkt-/Marktmatrix dargestellt. Diese Produkt-/Marktmatrix stellt alle denkbaren Marktsegmente dar, die das
Unternehmen bearbeiten könnte. Durch die Bewertung dieser Marktsegmente entscheidet das Unternehmen im
zweiten Schritt der Marktsegmentierung, welche Segmente den Aufwand einer Marktbearbeitung lohnen. Bewertet werden alle Faktoren, die die Attraktivität von Segmenten bestimmen. Im dritten Segmentierungsschritt
bestimmt der Verantwortliche die Positionierung in den zur Bearbeitung gewählten Segmente und definiert danach den Marketing Mix, d.h. die Ausgestaltung der vier Faktoren „Produkt“, „Preis“, „Promotion“ und „Place“.
1. Produkt-/Marktsegmente
bilden
2. Produkt-/Marktsegmente
auswählen
3. Produkt-/Marktsegmente
bearbeiten
• Kunden segmentieren
• Attraktivität der Produkt/Marktsegmente und Wettbewerbsvorteile des Unternehmens bewerten
• Differenzierung in den Produkt-/Marktsegmenten bestimmen
• Produkt/ Markt Matrix erstellen
• Kosten-/Nutzenüberlegungen
und Segmentplanerfolgsrechnung ausarbeiten
(Abschnitt 2)
(Abschnitt 3)
• Marketing Mix für die Produkt-/Marktsegmente bestimmen
(Abschnitt 4)
Abb.1 Drei Schritte zur Segmentierung von Industriegütermärkten (KOTLER 1999, S. 345)
Es ist von Vorteil, wenn alle in Abb. 1 aufgeführten Tätigkeiten von einem Team aus verschiedenen Abteilungen
des Unternehmens durchgeführt werden. Arbeiten Leute aus Marketing, Technik, Fertigung, F&E, Einkauf,
Finanzen und Service zusammen, ist die Erfolgsaussicht für die Implementierung einer neuen Marktsegmentierung am größten. Die Marktsegmentierung sollte nicht als Analyseprojekt einem Assistenten des Leiters Marketing übertragen werden. Seine Ergebnisse werden nur schwerlich durch die entscheidenden Personen im Unternehmen akzeptiert.
2 Produkt-/Marktsegmente bilden
Um in den Prozess der Marktsegmentierung einsteigen zu können, benötigt der Marketingmanager eine strategische Aussage in Bezug auf die Produktkategorie, die er vermarkten soll. Er muss einfach wissen, ob er z.B. Produkte im Informationstechnologiebereich oder im Bereich Werkzeugmaschinen verkaufen wird. Durch den
Marktsegmentierungsprozess werden dann die einzelnen Kundengruppen und die konkreten Produkte bestimmt,
die durch das Unternehmen angeboten werden sollen.
2.1 Kunden segmentieren
2.1.5
Das Kaufverhalten industrieller Kunden
3
Für die Segmentierung von Industriegütermärkten ist es wichtig zu verstehen, wie üblicherweise der Entscheid
für oder gegen das Angebot eines Herstellers gefällt wird. Industriegüter1 sind Produkte, die nicht für den Konsum von Privatpersonen hergestellt werden. Industriegüter werden von Unternehmen eingesetzt, um damit eigene Produkte herzustellen. Für den Marketingprozess aller Industriegüter gelten, wenn auch in unterschiedlicher
Ausprägung, die in Abb. 2 aufgelisteten wichtigen Gegebenheiten.
•
•
•
•
Abgeleitete Nachfrage: Zum Kauf von Industriegütern kommt es nur, wenn die Endkunden oder weiterverarbeitende Unternehmen Produkte der Kunden eines Herstellers von Industriegütern nachfragen.
Die Kunden der Hersteller von Industriegütern sind Organisationen (Unternehmen oder staatliche Körperschaften)
Innerhalb einer Kundenorganisation sind meist mehrere Personen an einem Kaufentscheid beteiligt.
Der Prozess bis zu einem Kaufentscheid wird in definierten Phasen abgehandelt und kann sehr lange dauern
Abb. 2 Charakteristiken des industriellen Kaufverhaltens
Die Geschäftstypen im Industriegütermarketing können entsprechend den Faktoren Einzeltransaktion/Kaufverbund und Ansprache von Einzelkunden/Ansprache des anonymen Marktes eingeteilt werden (Abb.
3). Weitgehende Marktsegmentierungsüberlegungen machen vor allem dann Sinn, wenn ein Unternehmen seine
Angebote an den anonymen Markt richtet. Wichtig ist es, dass bei den Überlegungen vom Geschäftstyp ausgegangen wird und nicht vom Produkt selber. So kann z.B. ein Personal Computer in verschiedenen Geschäftstypen vermarktet werden. „ Wird er als Einzelplatzrechner ohne Verbindung zu anderen Rechnern verwendet,
erfolgt die Transaktion im Rahmen eines Produktgeschäftes. Soll er mit anderen PCs in einem „local area network“ vernetzt werden, wird er ... im Systemgeschäft verkauft“ (Backhaus 1997, S. 297). Im Bereich Zuliefergeschäft erfolgt der Vertrieb meist über eine direkte und vernetzte Zusammenarbeit mit einem großen Einzelkunden. In diesem Fall machen Marktsegmentierungsüberlegungen meist wenig Sinn. Es gilt jedoch zu bedenken,
dass das eigentliche Zuliefergeschäft bei den meisten Unternehmen nur einen Teilbereich ausmacht und für weitere Geschäfte die Marktsegmentierungsansätze eingesetzt werden müssen.
Focus: Zuliefergeschäft
Kaufverbund
(Beispiel: Automobilteile und –
baugruppen)
Systemgeschäft
(Beispiel: Computer- und Telekommunikationssysteme)
Direkte und vernetzte Zusammenarbeit mit dem Einzelkunden
Auf langfristige Bindung ausgerichteter Vertrieb
Anlagengeschäft
Produktgeschäft
(Beispiel: Kraftwerksanlagen,
Werkzeugmaschinen)
(Beispiel: Vakuumpumpen, Kompressoren, Elektro- und Elektronikteile)
Qualifizierter Projektvertrieb
Schlanker, standardisierter Vertrieb
Focus:
Einzeltransaktion
Focus: Einzelkunde
Focus: anonymer Markt/
Marktsegment
Abb. 3 Geschäftstypen im Industriegütermarketing (in Anlehnung an BACKHAUS 1997, S. 295 und
BELZ/REINHOLD 1999, S. 33)
Der Lieferant von Industriegütern sieht sich einer abgeleiteten Nachfrage gegenüber, d.h. nur bei einer Nachfrage nach Produkten des Kunden bestellt dieser Produkte eines Anbieters von Industriegütern. So liefert z.B. die
Studer AG in Steffisburg Schleifmaschinen an Bosch. Bosch fertigt mit diesen Maschinen hochpräzise Einzelteile, wie z.B. Teile der Servolenkung für Automobilhersteller wie Mercedes. Nur wenn der Automobilhersteller
mehr oder eine neue Art Einzelteile bestellt, kann Studer mit dem Auftrag für neue Maschinen rechnen. Der
1
Unter „Industriegütern“ und „Produkten“ werden im folgenden die Sachleistungen und die damit verbundenen Zusatzleistungen verstanden
4
Bedarf der Endkunden und weiterverarbeitender Unternehmen spielt eine große Rolle für den Absatzerfolg eines
Industriegüterherstellers.
Ebene der
Organisationen
Hersteller
Kunde
Bsp.:Maschinenhersteller: Studer
Schleifmaschinen
Bsp.: Zulieferer:
Bosch
„Kunde des
Kunden“
Bsp.: Automobilhersteller:
Mercedes
Entscheider
Ebene der
Rollenträger
(Buying
Center)
Benutzer
Kauf-
Beeinflusser
Kentscheid
aufenth i
Informationsselektierer
Einkäufer
Demografische
Merkmale
•
Alter
•
Ausbildung
•
Einstellungen
•
Hierarchische
Position
Ebene der
Personen
Abb. 4 An einem industriellen Kaufentscheid beteiligte Organisationen und Personen (in Anlehnung an Backhaus et al. 1998, S. 188)
Ein Hauptunterschied im Marketing für Industriegüter gegenüber dem Marketing für Konsumgüter besteht darin,
dass der Anbieter nicht an Einzelpersonen, sondern an Organisationen liefert (Abb. 4). Innerhalb dieser Organisationen entscheidet wiederum selten eine Einzelperson, ob eine Marktleistung angeschafft wird. Der Entscheid
fällt in einem Prozess an dem verschiedene Personen des Kundenunternehmen beteiligt sind. Diese Personen
haben das gemeinsame Ziel, eine Aufgabe schneller, günstiger und/oder qualitativ besser zu erfüllen. Alle Personen , die innerhalb einer Organisation auf den Kaufentscheid einen Einfluss ausüben können werden mit „Buying Center“ bezeichnet. In Kaufprozessen können diesen Personen Rollen zugeordnet werden. Wenn z.B. ein
Autozulieferer eine neue Maschine einkaufen will, so kann der Leiter Fertigung die Rolle des Entscheiders übernehmen, d.h. er wird den endgültigen Entscheid über den Einkauf fällen. „Benutzer“ sind die Maschinenbetreuer,
die mit den Maschinen arbeiten werden. „Beeinflusser“ sind z.B. Mitarbeiter der technischen Abteilung, die über
die Definition von technischen Mindestanforderungen den Kaufentscheid beeinflussen können. Ein Assistent des
Fertigungsleiters kann die Rolle des „Informationsselektierers“ übernehmen und den Entscheidungsprozess vorbereiten und organisatorisch begleiten. „Einkäufer“ sind die Mitarbeiter der Einkaufsabteilung, die für den formalen Kaufentscheid und den Ablauf der Bestellung beim Kundenunternehmen verantwortlich sind.
Jede der am Entscheidprozess beteiligten Personen vertritt eine grundsätzliche Bedürfnislage aufgrund ihrer
Rolle (Abb.5). Doch Personen reagieren nicht nur in Funktion ihrer Rolle im Buying Center, sondern auch aufgrund ihrer spezifischen demografischen Situation (Alter, Ausbildung, Einstellungen, hierarchische Position im
Unternehmen, usw.).
Rollenträger im Buying Center
Hauptfragen
Entscheider (decider)
Verbessert sich das Geschäftsergebnis aufgrund der geplanten Investition?
5
Informationsselektierer (gatekeeper) Werden alle möglichen Anbieter berücksichtigt? Wird der Kaufprozess phasengerecht durchgeführt?
Benutzer (user)
Erleichtert die neue Anschaffung meine Arbeit?
Beeinflusser (influencer)
Werden die technischen und weitere Anforderungen des Unternehmens durch den Anbieter erfüllt?
Einkäufer (buyer)
Werden Preisvorstellungen erfüllt und Lieferfristen eingehalten?
Abb.5 Typische Hauptfragen der verschiedenen Rollenträger eines Buying Centers im Zusammenhang mit einem
geplanten Kaufentscheid
Der Kaufprozess im Industriegüterbereich erfolgt in definierten Phasen, wobei der Einfluss der Mitglieder eines
Buying Centers im Laufe des Prozesses unterschiedlich groß sein kann (Abb.6). Mit der „Problemerkennung“
wird beim Kunden ein Sachverhalt zu einem Problem. Steigt der Leidensdruck weiter, folgt die Suche nach einer
Lösung und ein Kaufprozess wird eingeleitet. In der Phase "Problemlösung bestimmen“ wird unternehmensintern, oft in Teams, die mögliche Lösung zum entsprechenden Problem definiert. Danach wird in der Phase „Anbieter suchen“ der Markt nach möglichen Anbietern der gewünschten Problemlösung abgesucht. Bei einer Anzahl der möglichen Anbieter wird ein „Angebot eingeholt“ und die eingegangenen Angebote werden anhand
einer Kriterienliste in der Phase „Entscheiden“ beurteilt. Zuletzt wird der Kauf durchgeführt.
Beim erstmaligen Kauf eines Produktes werden alle diese Prozessphasen durchlaufen. Bei einem Produkt, das
vom betreffenden Unternehmen schon mehrmals eingekauft wurde, wird ein verkürzter Einkaufsprozess angewendet (Abb. 11). Oft dauert es von der Problemerkennung bis zum Kaufentscheid beträchtlich lange.
Rollenträger im Buying
Center
Phasen des Kaufprozesses bei Industriegütern
Problemerkennung
Problemlösung
bestimmen
Anbieter
suchen
Angebote
einholen
Entscheiden
Kaufen
Entscheider
Informationsselektierer
Benutzer
Beeinflusser
Einkäufer
Abb. 6 Übersicht über den Kaufprozess (grau: das meist wichtigste Mitglied des Buying Centers in der entsprechenden Phase des Kaufprozesses)
2.1.6
Makro- und Mikrosegmentierung
“The message for industrial companies at the bottom of the segmentation slope is to not be afraid to use existing market
division as a starting point.” (DIBB/SIMKIN 1994, S. 62)
Wie immer bei Marketingentscheiden steht auch die Qualität der Marktsegmentierung in einem direktem Zusammenhang zur Qualität der dieser zugrunde liegenden Informationen. Eine Segmentierung der Kunden ohne
Marktforschung ist undenkbar. Die Erfassung der für eine Segmentierung auf Buying Center Ebene nötigen
Merkmale ist meist sehr aufwendig. “Eigentlich müssten komplexe kaufspezifische Merkmale verwendet werden, da sie am besten geeignet sind, dem Anspruch jeder Marktsegmentierung gerecht zu werden, einen Bezug
zum Kaufverhalten der Nachfrager auf dem relevanten Markt zu besitzen. Andererseits sind gerade solche Kriterien in aller Regel schwer zu erfassen, so dass sie sich einer konkreten praktischen Anwendung mehr oder weniger entziehen.“ (Kleinaltenkamp/Plinke 1995, S. 669). In der Praxis muss oft ein Mittelweg zwischen Wünschbarem und Machbarem genügen. Für die Segmentierung der Kunden ist deshalb der Ansatz der Makro- und
Mikrosegmentierung oft sehr nützlich (Abb. 7).
6
Meistens eher
einfach zu erhebende Segmentierungskriterien
Identifiziere Makrosegmente aufgrund wichtiger
Kriterien, wie:
•
geografischer Standort der Kundenunternehmen
•
Grösse der Kundenunternehmen
•
Branche der Kundenunternehmen
•
Stellung in der Wertschöpfungskette (Direktkunden, Absatzpartner, Endkunden)
•
Neu- oder Wiederholungskauf
Wähle Makrosegmente aus
Bewerte die einzelnen ausgewählten Makrosegmente
darauf hin, ob sie eine signifikante Reaktion auf die
geplante Marktbearbeitung zeigen werden
Erhebung dieser
Segmentierungskriterien ist mit
grossen Kosten
verbunden
(Marktforschung)
Wenn ja, : Stop
Verwende die Makrosegmente als Kundensegmente
Wenn nein: Identifiziere innerhalb der gewählten
Makrosegmente die relevanten Mikrosegmente aufgrund wichtiger Merkmale der Entscheidungsbeteiligten, z.B.:
•
Nutzeneinschätzung der Kaufbeteiligten (Buying
Center)
•
Stellung in der Hierarchie und im Kommunikationssystem des Unternehmens
•
Persönliche Charakteristika: demografische
Merkmale, Persönlichkeitsmerkmale
•
Einstellung gegenüber dem Lieferanten
•
Entscheidungsregeln der Kaufbeteiligten
•
Einkaufskriterien (Preis/Qualität/Services/ Lieferbereitschaft)
Wähle die Mikrosegmente aus unter Berücksichtigung
von Kosten und Nutzen
Abb. 7 Ablauf der Kundensegmentierung (in Anlehnung an WIND/CARDOZO 1974, S. 156, zitiert nach BACKHAUS,
1997, S. 186)
Makrosegmente gruppieren die Kundschaft aufgrund wichtiger Kriterien im Zusammenhang mit der Organisation ihres Unternehmens. Falls diese Segmentierung für die effiziente Betreuung der Kundschaft nicht fein genug
ist, werden die Makrosegmente weiter in Mikrosegmente geteilt, die sich auf Merkmale der Entscheidträger im
Kundenunternehmen beziehen.
Vorerst werden Makrosegmente aufgrund einfach zu eruierender Elemente, wie geografische Lage, Grösse und
Branche der Kundenunternehmen gebildet. Makrosegmente können aufgrund von Sekundärdatenforschung relativ kostengünstig erhoben werden. In einem weiteren Arbeitsschritt wird abgeklärt, ob es sich dabei um „wirkliche“ Segmente handelt, d.h. Gruppen, die ähnlich auf Marketingaktionen reagieren werden.
Meistens genügt die Makrosegmentierung den Anforderungen an eine echte Segmentbildung nicht. Es ist nämlich überhaupt nicht sicher, dass Unternehmen aus dem gleichen geografischen Gebiet, mit derselben Anzahl
Mitarbeiter oder aus derselben Branche auch ähnliche Bedürfnislagen aufweisen. Trotzdem wird die Makrosegmentierung oft angewandt, da sie relativ günstig durchgeführt werden kann (Abb. 8).
Ist die Makrosegmentierung zu wenig schlüssig für eine differenzierte Marktbearbeitung, werden Mikrosegmente gebildet. Dafür müssen Marktforschungsdaten erfasst, aufgearbeitet und in Hinblick auf die Segmentierung
ausgewertet werden. Mikrosegmente werden in Funktion der Bedürfnisse der am Entscheid beteiligten Personen
bestimmt.
7
Makrosegmentierung
•
•
•
theoretisch „falsch“, da nicht aufgrund bestätigtem unterschiedlichem
Kaufverhalten erstellt
Kriterien einfach zu erheben
In der Praxis oft angewendet
Mikrosegmentierung
•
•
•
theoretisch „richtig“, da aufgrund
bestätigtem unterschiedlichem Kaufverhalten erstellt
Kriterien aufwendig zu erheben
In der Praxis eher selten angewendet
Abb.8 Makro- oder Mikrosegmentierung
Ob die Makro- oder Mikrosegmentierung ausreicht, hängt oft auch davon ab, welche Art Industriegut verkauft
wird. Ein stark standardisiertes Industriegut mit einer anonymen Kundschaft, wie Komponenten eignet sich eher
für eine Makrosegmentierung. Je komplexer und je einzigartiger ein Auftrag ist, desto eher ist eine Mikrosegmentierung angesagt.
Vor der Einführung einer sehr innovativen Segmentierung sollte auch bedacht werden, dass „recognized industry
structures, whether based on product and customer type sectors or allied more closely to segments of differing
customer needs, are often very powerful. Distributors, dealers, and even customers know where they stand so
that management’s ability to bring about change can be limited at the start” (DIBB/SIMKIN 1994, S. 61).
2.1.1
Makrosegmente auf Ebene der Organisationen
Ausgangspunkt und oft in Unternehmen schon umgesetzte Segmentierung ist die nach Aspekten der Kundenunternehmen . Denkbar ist eine Segmentierung nach geografischen Gesichtspunkten, in Funktion der Grösse sowie
der Branche der Kundenunternehmen. Eine Segmentierung aufgrund dieser Kriterien ist meist aufgrund relativ
günstig zu erhebenden Daten möglich. Mögliche Informationsquellen sind in Abb. 9 aufgeführt.
Interne Quelle
•
Datenbank mit den Adressen aktueller und potentieller Kunden
Öffentliche Quellen
•
Statistiken der Industrie- und Handelskammern
•
Statistiken der Aussenhandelskammern
•
Statistiken nationaler und internationaler Körperschaften
•
Nationale und internationale Brancheneinteilungen
•
Statistiken der Branchenverbände
•
Geschäftsberichte der Konkurrenz und der Kunden
Kommerzielle Quellen
•
Adressdatenanbieter wie Schober (www.schober.de)
•
Kompass (www.kompass.com/)
•
Angebote der Zeitungsverlage
•
Datenbankanbieter (www.dialog.com)
•
Dun&Bradstreet (www.dbgermany.com/)
Abb.9 Beispiele von Informationsquellen für die Makrosegmentierung
8
Abb.10 Makrosegmentierung mit Hilfe einer Adressdatenbank (www.schober.ch)
Ein Beispiel einer Informationsquellen für die Makrosegmentierung ist die Adressdatenbank von Schober (Abb.
10). Die Adressen können online nach verschiedenen Kriterien ausgewählt werden: Adresslisten in Funktion der
Branche, der Region, der Firmengrösse, des Firmensitzes und der Rechtsform können betrachtet und zur aktiven
Marktbearbeitung beschafft werden. Die Rubrik „Kontaktpersonen“ erlaubt eine Adressselektion auf Ebene der
Ansprechpartner (z.B. Geschäftsleiter oder Leiter Marketing).
Interessant für eine optimale Marktbetreuung kann die Segmentierung nach Kunden aufgrund des Kriteriums
Neu- und Wiederholungskauf sein (Abb.11) . Neukunden brauchen eine andere, oft weitgehende Betreuung als
Kunden, die ein Industriegut schon einmal bei einem Anbieter bezogen haben. So segmentiert ein Unternehmen
der Computerbranche in „bestehende Kunden“ und in solche mit Konkurrenzprodukten. Kunden mit Konkurrenzprodukten werden anders bearbeitet als „bestehende“ Kunden. Die Informationsbasis für diese Kundensegmentierung bilden die Kundenliste des Unternehmens und die Befragung der Kunden durch Außendienstmitarbeiter. Kunden vor einem Neukauf - sei es einer Technologie oder des Produktes eines Anbieters - müssen in
vielen Branchen persönlicher und über eine längere Zeitperiode betreut werden als Kunden, die einen reinen
Wiederholungskauf tätigen wollen
Phasen des Kaufprozesses bei Industriegütern
Problemerkennung
Neukauf
Modifizierter
Wiederholungskauf
Reiner
Wiederholungskauf
Problemlösung
bestimmen
Anbieter
suchen
Angebote
einholen
Entscheiden
Start
Kaufen
Stop
Start
Stop
Start
Stop
Abb.11 Systematischer Einkaufsprozess bei industriellen Kunden: Neukauf- und Wiederholungskauf (in Anlehnung an: BONOMA/SHAPIRO 1983, S. 48)
9
2.1.2
Mikrosegmente auf Ebene des Buying Centers
Falls die Segmentierung aufgrund von Makrosegmenten zu wenig erfolgversprechend erscheint und keinen optimalen Einsatz der Marketinginstrumente erwarten lässt, gilt es, diese feiner in sogenannte Mikrosegmente zu
unterteilen. Eine Segmentierung in Mikrosegmente ist oft nur aufgrund aufwendiger Marktforschungsprogamme
möglich.
Die Mikrosegmentierung kann sich auf das Buying Center, wie in Abb. 4 vorgestellt, beziehen. So ist es denkbar, dass sich ein Unternehmen verschiedenen Kundengruppen gegenüber sieht, die sich aufgrund unterschiedlich starker Einflüsse der Mitglieder des Buying Centers unterscheiden. Die Einflussnahme der Rollenträger des
Buying Centers kann je nach Phase des Kaufprozesses verschieden stark sein (Abb.6). Deshalb kann es Sinn
machen, Unternehmen, in denen z.B. die Produktionsabteilung einen hohen Einfluss ausübt, mit einem anderen
Marketing Mix zu betreuen als Kunden, in denen vor allem die Entwicklungsabteilung das Sagen hat. Ein Beispiel der zweistufigen Segmentierung in Makro- und Mikrosegmente zeigt Abb.12.
Relevanter Markt
Makrosegmente
Mikrosegmente
Fördermittelindustrie
Produktionsdominierte
Unternehmen
mit grossen
Buying Centern
Produktionsdominierte
Unternehmen
mit kleinen
Buying Centern
Automobilzulieferindustrie
Entwicklungsdominierte
Unternehmen
mit grossen
Buying Centern
Werkzeugmaschinenindustrie
Entwicklungsdominierte
Unternehmen
mit kleinen
Buying Centern
Eigenümerdominierte
Unternehmen
mit kleinen
Buying Centern
Abb.12 Beispiel einer Segmentierung in Makro- und Mikrosegmente (KLEINALTENKAMP/PLINKE 1995, S. 679)
Praxisbeispiel Hilti: Bauingenieure als wichtige Beeinflussergruppe im Dübelmarkt
Eine Business Unit des Hilti Konzerns fertigt und vertreibt ein umfassendes Dübel- und Ankerprogramm für alle
Befestigungsaufgaben im Hoch- und Tiefbau. Im Rahmen von Marktsegmentierungsüberlegungen wurde vor
einigen Jahren der im Dübelmarkt relevante Entscheidfindungsprozess untersucht. Das Buying Center des Entscheidprozesses für den Einsatz einer Dübelmarke umfasst als wichtigste Rollenträger den Bauingenieur als
„Beeinflusser und den Bauunternehmer als „Entscheider“. Der Bauingenieur erstellt die statischen Berechnungen eines neuen Bauwerkes und bestimmt die dafür einzusetzenden Baumaterialien. Der Bauunternehmer erstellt
das Gebäude aufgrund der Berechnungen des Bauingenieurs. Die Marktumfrage hat die wichtige Rolle des
Bauingenieurs in der Spezifikation der Dübelmarke aufgezeigt, die bei einem Bauprojekt eingesetzt wird. Kein
Bauingenieur wird zwar jemals einen Dübel selber bestellen! Trotzdem ist die Bearbeitung dieser Beeinflussergruppe für den Absatz der Dübel von hoher Bedeutung. Über 80% der befragten Bauunternehmer folgen
nämlich der Dübelspezifikation des planenden Bauingenieurs ohne diese zu hinterfragen (Abb.13).
10
20%
spezifizieren lediglich
technische Details der
Dübel
80%
folgen dem Vorschlag
der Bauingenieure
80%
folgen dem Vorschlag
nach Rücksprache mit
dem Bauingenieur
20%
folgen dem Vorschlag
des Bauingenieurs
vorerst nicht
20%
entscheiden ohne
Rücksprache mit dem
Bauingenieur
60%
spezifizieren verschiedene mögliche
Dübelmarken
20%
spezifizieren Marke,
z.B. Hilti Dübel
Dübel Spezifikation der
Bauingenieure in der
Planungsphase
Reaktion der Bauunternehmer auf die Vorschläge der Bauingenieure
Abb.13 Entscheidprozess Dübel Spezifikation: Bauingenieure üben einen grossen Einfluss auf den Entscheid aus
Hilti hat aufgrund der Erkenntnisse aus dieser Marktumfrage die Betreuung der Bauingenieure stark ausgebaut.
Eine Beratungsgruppe wurde aufgebaut, die die Bauingenieure in vielen Bereichen mit einer weitgehenden Beratung unterstützt. Die Beratungsleistungen umfassen Schulungsprogramme, themenspezifische Handbücher und
Software für verschiedene Berechnungsprogramme im Bereich der Baustatik. Neben der grundlegenden Dübeltechnik werden die Bauingenieuren auch über spezielle Fragen informiert, wie z.B. das Korrosionsverhalten, die
Reaktion der Dübel bei Feuer und Erdbeben und der Dübeleinsatz bei speziellen Bauwerken wie Tunnels und
Brücken. Die Bauingenieure zeigen sich sehr interessiert an diesen erweiterten Dienstleistungen von Hilti.
Eine weitere Mikrosegmentierung kann sich auf die hauptsächlichen Einkaufskriterien (Preis/Qualität/ Services/ Lieferbereitschaft) beziehen. Die Bestimmung von Segmenten auf dieser Ebene erfolgt mit der Methode der
Clusterbildung (Kapitel 4). Mit Hilfe von Umfragen wird bei den Kunden erfragt, welche Einkaufskriterien vor
allem eine Rolle, wenn sie bestimmte Industriegüter beschaffen. Anhand der Resultate werden die Unternehmen
zu Gruppen zusammengefasst, die bei ihren Entscheiden nach gleichen Kriterien vorgehen. Von grosser Bedeutung ist die Segmentierung in Funktion der Einkaufskriterien bei Produkten in gesättigten Märkten. Diese Märkte
zeichnen sich aus durch grossen Konkurrenzdruck, gedrückte Preise und informierte Kunden, die Produkte nur
kaufen, wenn diese ihre Bedürfnissen sehr weitgehend entsprechen.
Eine grosse Herausforderung für die Marketingverantwortlichen mit Produkten in gesättigten Märkten ist, die
Commodity Falle zu vermeiden (Abb.14) . Als Commodity werden Produkte bezeichnet, die die Kundschaft als
gleichwertig mit den Angeboten der Konkurrenz einstuft. Deshalb prüft sie die verschiedenen Produkte kaum
mehr im Detail. Statt dessen entscheidet vor allem der Preis. Diese Gefahr droht immer wieder, da immer häufiger Produkte in ebenbürtiger Qualität angeboten werden. In vielen Branchen behindern zudem Standardisierungsbemühungen den Aufbau von Konkurrenzvorteilen aufgrund unterschiedlicher Produkte.
11
hoch
Segment 1
Kunde kauft erweitertes Produkt
Preis
Segment 2
Kunde kauft
Kernprodukt
„Commodity
Falle“
tief
wenige
viele
Zusatzleistungen
Abb.14 Segmentierungsvarianten in Funktion der Zusatzleistungen und des Preises als Ausweg aus der „Commodity Falle“ (AMMANN 1999, S. 117)
Was tun, wenn der Konkurrenzdruck und damit der Preisdruck zunehmen, die Kundschaft immer widerwilliger
für spezielle Dienstleistungen zahlen will, und sie alle Anbieter eines bestimmten Produktes als gleichwertig
einstuft? Der Commodity Falle lässt sich durch eine klare Marktsegmentierung ausweichen. Durch Umfragen
und Marktbeobachtung erhält das Unternehmen die Informationen, um die Kundschaft in mindestens zwei
Gruppen einteilen zu können. Wer wirklich an Serviceleistungen interessiert ist und dafür auch etwas bezahlen
will, erhält ein entsprechendes Bündel an Produkt und Nebenleistungen angeboten. Für alle, die Zusatzleistungen
nicht honorieren wollen, wird ein zweites Angebot ohne den nicht gewünschten Service vorbereitet. Dafür kostet
es auch weniger.
Diese Strategie bringt zum Beispiel Unternehmen Erfolg, die Personal Computer via Internet und Postversand
verkaufen. Da heute viele das Produkt Personal Computer und seine Anwendungsmöglichkeiten verstehen, sind
immer weniger Leute bereit, für Pre-Sales Services zu zahlen. Der Verkauf via Postversand kommt ihnen dabei
entgegen. Das Unternehmen, das PC auf diese Weise verkauft, muss aber einen sehr guten After-Sales Service,
wie zum Beispiel Hotlines anbieten, damit sich die Kundschaft bei allfälligen Fragen beim Gebrauch des Personal Computers nicht allein gelassen fühlt.
2.2 Produkt-/Marktmatrix erstellen
Nun geht es darum, die Bedürfnisse der gewählten Kundensegmente optimal abzudecken. Die Hauptfrage ist
dabei, welche Produkte an welche Kundensegmente vor allem verkauft werden sollen. Zur Darstellung dieser
Beziehung eignet sich die Produkt-/Marktmatrix. Ein Segment im Industriegüterbereich besteht immer aus einer
Definition der angezielten Kundengruppen zusammen mit dem für sie bestimmten Produktangebot. Die Betrachtung lediglich der Kundensegmente greift für weite Bereiche des Industriegütermarketings zu kurz: Die angebotene Leistung muss auf die damit angesprochenen Kundensegmente ausgerichtet werden.
Kundensegmente
Kernprodukt ohne
Zusatzleistungen
Produkte
Kernprodukt: Router.
Kernprodukt mit gewissen
Zusatzleistungen
Produkt mit weitgehenden
Zusatzleistungen
Schweiz
Absatzpartner
Netzwerkinstallateure
Endabnehmer
Banken, Versicherungen
12
Behörden
Handelsfirmen
Deutschland
Absatzpartner
Netzwerkinstallateure
Endabnehmer
Banken, Versicherungen
Behörden
Handelsfirmen
Produkt-/Marktsegmente, welche für die Marktbearbeitung gewählt werden können
Abb.15 Produkt-/Marktmatrix mit dreidimensionaler Kundensegmentierung (in Funktion der geografischen
Lage, der Stellung in der Wertschöpfungskette und der Branche)
Ein Hersteller von Routern (Netzwerkhardware) hat eine dreistufige Kundensegmentierung vorgenommen, die
die Kunden nach geografischen Gesichtspunkten, nach der Stellung in der Wertschöpfungskette und nach branchenbezogenen Kriterien gruppiert (Abb.15). Diese Kundensegmente werden mit den von ihm angebotenen
Produkten in Beziehung gesetzt. Aufgrund weiterer Analyseschritte (siehe dazu Abschnitt 3, Produkt/Marktsegmente auswählen) entscheidet sich ein Unternehmen für die zu bearbeitenden Produkt/Marktsegmente.
Ein Anbieter von Schiffen hat eine Kundensegmentierung gewählt (Abb.16), bei der wichtige geografische Gebiete pragmatisch weiter unterteilt werden. Auch hier wurden die Kundensegmente den angebotenen Produkten
gegenüber gestellt. Wird wie in diesem Beispiel einer Produkt-/Marktmatrix die Höhe des Totalumsatzes der
Produkt/Marktsegment bestimmt, ergibt sich ein erster Hinweis auf deren Attraktivität.
Kundensegmente (Markt)
Flüssiggasschiffe
Kleiner Bulkcarrier
Grosser
Bulkcarrier
Niedrigwertige Fracht
Mittelwertige
Fracht
Hochwertige
Fracht
Ro-Ro Schiff
Containerschiff
Produktefrachter
Kleiner Tanker
Mittlerer
Tanker
Grosser Tanker
Produkte
Erstklassige Europäer
Zweitklassige Europäer
Erstklassige Griechen
Kleine griechische Firmen
Hong Kong
Ölfirmen
Entwicklungsländer
Jährlicher Wert des Weltmarktes:
40 – 400 Millionen Dollar
Über 400 Millionen Dollar
Abb.16 Produkt-/Marktmatrix eines Schiffbauunternehmens (in Anlehnung an OHMAE 1986, S. 35)
Die Produkt-/Marktmatrix dient als Grundlage für die nächste Phase des Marktsegmentierungsprozesses. Die
nun definierten Produkt-/Marktsegmente werden beurteilt und bewertet. Damit kann das Unternehmen diejenigen auswählen, die das grösste Erfolgspotenial aufweisen. Diese sollen daraufhin mit einem speziell auf sie
ausgerichteten Marketing Mix bearbeitet werden.
13
3 Produkt-/Marktsegmente auswählen
Selten ist es sinnvoll, alle denkbaren Produkt-/Marktsegmente zu bearbeiten. Die theoretisch denkbaren Marktsegmente gemäß der Produkt-/Marktmatrix (Abb. 15 und 16), sind deshalb aufgrund wichtiger Faktoren zu beurteilen. Aufgrund der Beurteilung werden die Produkt-/Marktsegmente ausgewählt. Mit der Wahl eines Produkt/Marktsegmentes soll der Unternehmenserfolg erhöht werden. Grundsätzlich ist anzustreben, dass der Mehrertrag durch eine differenzierte Marktbearbeitung die dafür benötigten Kosten übersteigt (Abb.17).
•
•
Kosten der Segmentierung
Informationskosten
•
•
Kosten der segmentspezifischen Marktbearbeitung
Nutzen der Segmentierung
Informationsvorsprung
Erfolg durch segmentspezifische Marktbearbeitung
Abb.17 Kosten und Nutzen der Segmentierung
Um zu entscheiden, welche Produkt-/Marktsegmente bearbeitet werden sollen, werden verschiedene wichtige
Faktoren beurteilt. Vorerst wird bestimmt, wie attraktiv ein Produkt-/Marktsegment ist und wie die Wettbewerbsstärke des Unternehmens in Bezug auf die Konkurrenten in diesem Segment ist. Danach werden verschiedene Faktoren im Zusammenhang mit den Kosten-/Nutzenüberlegungen beurteilt.
Die abschließende Entscheid für oder gegen die Bearbeitung eines Produkt-/Marktsegmentes erfolgt aufgrund
der Segmentplanerfolgsrechnung (Abb. 24).
3.1 Attraktivität der Produkt-/Marktsegmente und Wettbewerbsvorteile des Unternehmens bewerten
Das Unternehmen muss vor der differenzierten Bearbeitung eines Produkt-/Marktsegmentes abklären, ob dieses
attraktiv ist und ob es über die dafür notwendigen Stärken verfügt. Es handelt sich dabei um eine Analyse interner und externer Faktoren. Abb.18 zeigt die wichtigsten Variablen, die gemäß Michael E. Porter die Attraktivität
eines Segmentes beeinflussen können:
Potentielle neue Konkurrenten
Lieferantenmacht
Rivalität innerhalb des Produkt-/ Marktsegmentes
Käufermacht
Substitutionsprodukte
Abb.18 Attraktivität der Produkt-/Marktsegmente 1
14
Ein Produkt-/Marktsegment ist demnach um so attraktiver, je
•
kleiner die Rivalität der Konkurrenen innerhalb des Segments ist
•
kleiner die Macht der Lieferanten wichtiger Rohstoffe oder Einzelteile für das gefertigte Produkt ist
•
kleiner die Macht der Abnehmer ist, die Preise und weitere Teile des Angebotes beeinflussen können
•
kleiner die Gefahr ist, dass das angebotene Produkt durch neue Angebote ersetzt wird
•
kleiner die Gefahr ist, dass neue Konkurrenten in das Produkt-/Marktsegment eindringen werden
Abb.19 Attraktivität der Produkt-/Marktsegmente 2
Vor allem vor dem Entscheid zur Bearbeitung neuer Produkt-/Marktsegmenten geben die fünf Punkte in Abb. 19
wichtige Hinweise für oder gegen den Eintritt in dieses Segment.
Die Gefahr neuer Konkurrenten hat in vielen Märkten eine hohe Aktualität erhalten. Wichtig ist es bei den heute
so ungemein dynamischen Märkten, dass nicht nur die direkte Konkurrenz in die Analyse einbezogen wird. Es
kommt öfters vor, dass Produkte durch Angebote konkurrenziert werden, die die Bedürfnisse der Kunden auf
eine ganz neue, innovative Weise befriedigen können. Die Anbieter klassischer Lösungen können dadurch
schnell unter großen Druck geraten. So sehen sich zum Beispiel Werkzeugmaschinenhersteller einer neuen unerwarteten Konkurrenz gegenüber. Schleif- und Fräsmaschinenhersteller waren bis anhin die Lieferanten für
Automobilzulieferer, die Einzelteile von höchster Genauigkeit fertigen. In der letzten Zeit konnte sich eine neue
Technologie etablieren, das Sintern, bei der diese Einzelteile aus Metallpulver gegossen und danach durch eine
Art „Backprozess“ gefestigt werden. Obwohl diese Technologie heute nur bei sehr hohen Stückzahlen rentabel
ist, müssen sich die Werkzeugmaschinenhersteller darauf einstellen, dass sie von einer ganz unerwarteten Ecke,
nämlich der Chemieindustrie, Konkurrenz erhalten werden.
Ein weiteres Beispiel für Unternehmen, die sich völlig neuen Konkurrenten gegenüber sehen, sind die Hersteller
von Telefonanlagen (Teilnehmervermittlungsanlagen) für Unternehmen. Bis heute wird dafür proprietäre Hardund Software eines Herstellers gekauft und eingesetzt. Neu kann eine Teilnehmervermittlungsanlage durch eine
Software auf einem Personal Computer simuliert werden. Solche Softwarelösungen werden durch bisher nicht
im Bereich der Teilnehmervermittlungsanlagen tätige Unternehmen angeboten. Die traditionellen Lieferanten
von „Hardware“- Telefonanlagen sehen sich in ihren Märkten somit einer ganz neuen Situation gegenüber. Die
Umwälzungen gehen aber noch weiter. Während bis anhin der Lieferant der Telefonanlage zugleich die passenden Telefonapparate zu seiner Anlage liefern konnte, ist heute das Inhouse-telefonieren über das Intranet eine
realistische Alternative. Die Daten- und die Sprachnetze können im lokalen Bereich zusammengelegt werden.
Bei der Wahl neuer Produkt-/Marktsegmente müssen neben den traditionellen Anbietern auch mögliche Lieferanten neuer Technologien in die Konkurrenzanalyse einbezogen werden.
3.1.1
Exkurs: Das Marktattraktivitäts-/ Wettbewerbsvorteileportfolio
Zur Beurteilung der Attraktivität einzelner Produkt-/Marktsegmente sowie der Stärken des Anbieters gegenüber
den darin tätigen Konkurrenten bietet sich die Portfoliotechnik gemäß McKinsey/General Electric an (Abb. 23).
Als entscheidend für das Maß der Attraktivität eines Produkt-/Marktsegmentes gelten oft folgende Faktoren:
Marktgröße, Marktwachstum, Gefahr von Substitutionsprodukten, Konkurrenzintensität, Lieferantenmacht,
Preissituation, technische Entwicklung, allgemeine wirtschaftliche und politische Entwicklung. Die Attraktivität
eines Produkt-/Marktsegmentes allein ist aber nicht ausschlaggebend dafür, ob es durch einen Anbieter bearbeitet werden soll. Ebenso wichtig ist es, die Stärken des Anbieters abzuschätzen, die er gegenüber der in diesem
Produkt-/Marktsegment tätigen Konkurrenz aufweisen kann. Die Stärken eines Unternehmens werden oft mit
Hilfe der Faktoren wie Produkt (Qualität, Zusatzleistungen,...), Preise und Konditionen, Marketingkommunikation, Vertrieb, Know-how (Stand der Forschung und Entwicklung) bewertet. Für jedes Produkt-/Marktsegment
müssen die Faktoren, die für die Marktattraktivität sowie die Wettbewerbsvorteileanalyse eingesetzt werden
sollen, individuell zusammengestellt und bewertet werden.
Mit Hilfe der Punktbewertungsmethode werden die einzelnen Faktoren gewichtet und bewertet. Die Gewichtung
sagt aus, wie wichtig der entsprechende analysierte Faktor im Vergleich zu den anderen Faktoren eingeschätzt
wird. Die Bewertung sagt aus, wie positiv oder negativ ein bestimmter Faktor beurteilt wird. Der abschließende
Wert eines Faktors ist das Resultat der Multiplikation der Gewichtung mit der Bewertung.
15
Punktbewertungsverfahren helfen, den Entscheid für oder gegen die Wahl eines Produkt-/Marktsegmentes für
die aktive Bearbeitung vorzubereiten. Punktzahlen bei Gewichtung und Bewertung werden jedoch immer aufgrund subjektiver Einschätzungen vergeben. Die Resultate der Punktbewertungsmethode sind deshalb mit der
dementsprechenden Vorsicht zu interpretieren.
Der Hersteller sieht sich im dargestellten Beispiel in Abb. 20 einem interessanten Markt gegenüber und er nimmt
im Vergleich zur Konkurrenz eine mittlere Position ein. Produkt-/Marktsegmente, die in den Feldern links oben
des Portfolio angesiedelt werden können, versprechen eine erfolgreiche Marktbearbeitung. Produkt/Marktsegmente in den Feldern unten rechts sind dagegen eher uninteressant. Vor dem abschließenden Entscheid
über die Bearbeitung eines Produkt-/Marktsegmentes sind zusätzlich Kosten/Nutzenüberlegungen sowie die
Segmentplanerfolgsrechnung (Abb.24) zu erstellen.
Gewichtung
Bewertung
Wert
Gewichtung
Bewertung
Wert
20
9
180
• Preise
20
4
80
• Marketingkom-
10
9
90
40
Attraktivität des
Wettbewerbsvor-
Produkt-/ Markt-
teile gegenüber der
segmentes
Konkurrenz
• Marktgröße
20
7
140
• Produkte: (Quali-
• Marktwachstum
30
8
240
tät, Zusatzleistun-
• Subsitutionspro-
10
8
80
dukte
• Konkurrenzinten-
10
7
70
sität
gen,...)
munikation
• Lieferantenmacht
10
8
80
• Vertrieb
20
2
• Preissituation
20
8
160
• Marktstellung
10
5
50
• Know-how
20
8
160
• ....
• .....
Total
100
770
100
600
Bewertung:
1: dieser Faktor wird sehr negativ
bewertet
10: der entsprechende Faktor wird sehr
positiv bewertet
Gewichtung: Sagt aus, wie wichtig ein
Faktor im Vergleich zu den anderen
betrachteten Faktoren ist. (Die Summe
der Gewichtung ergibt immer 100)
Hoch
Tief
Mittel
1000
++
0
Attraktivität des Produkt-/Marktsegmentes
Wettbewerbsvorteile des Unternehmens
1000
0
Stark
Mittel
Schwach
Investieren / Wachsen
Selektiv handeln /Gewinnmitnahmen
Ernten / Aufgeben
Abb.20 Beispiel der Einordnung eines Produkt-/Marktsegmentes im MarktattraktivitätsWettbewerbsvorteileportfolio (YIP 1984, S . 7 und Kotler 1999, S. 107)
16
3.2 Kosten/ Nutzenüberlegungen anstellen
Neben der im Abschnitt 3.1 bestimmten Attraktivität des Produkt-/Marktsegments sowie der Wettbewerbsvorteile des Unternehmens beeinflussen im weiteren Kosten/Nutzenüberlegungen den Entscheid, ob ein Produkt/Marktsegment differenziert bearbeitet werden soll (Abb.21).
Entscheidfaktoren
Beziehung zum Einkaufsverhalten
Spricht gegen die Wahl eines
Spricht für die Wahl eines
Produkt-/Marktsegmentes
Produkt-/Marktsegmentes
tief
hoch
Bearbeitbarkeit
schwierig
einfach
Messbarkeit
unmöglich
einfach
Stabilität
tief
hoch
Akzeptanz beim Außendienst
tief
hoch
hohe
geringe
negativ
positiv
Kosten der segmentspezifischen Marktbearbeitung
Resultat der Segmentplanerfolgsrechnung
Abb.21 Entscheidfaktoren für oder gegen die Wahl eines Produkt-/Marktsegmentes für die differenzierte Marktbearbeitung
Der Faktor „Beziehung zum Einkaufsverhalten“ erfasst, wie ähnlich die Kunden eines gewählten Segments
den Einkaufsprozess gestalten. Die oft eingesetzten Makrosegmente (Branche, Größe, geografische Lage,...)
gruppieren die Kunden ohne ihrem Einkaufsverhalten genügend Rechnung zu tragen. Das bringt erst die Segmentierung auf der Ebene von Mikrosegmenten (siehe Abschnitt 2.1: Kunden segmentieren)
Die Bearbeitbarkeit und Messbarkeit bezeichnen die Möglichkeit, die Ansprechpartner einer gewählten Segmentierung auf effiziente Weise ansprechen und messen zu können. Es kann zum Beispiel sehr aufwendig sein,
die Ansprechpartner in den Kundenunternehmen herauszufinden, die genau einer gewählten Mikrosegmentierung entsprechen.
Die Stabilität der gewählten Produkt-/Marktsegmente ist gerade in der Marktsegmentierung für Industriegüter
von entscheidender Bedeutung (Abb. 22). So ändern sich die Zuteilung der Funktionen und die personellen Besetzungen in Unternehmen mittelfristig stark. Eine Segmentierung aufgrund der Funktionen des Buying Centers
muss gegebenenfalls regelmäßig durch aktuelle Adressinformationen aktualisiert werden.
Segmentierungskriterien
Änderungpotenzial der entsprechenden Segmente
Branche
niedrig
Unternehmensgröße
niedrig
Produktanforderungen
hoch
Größe des Buying Centers
Funktionen im Unternehmen
eher niedrig
mittelfristig hoch
Informationsstand
Informationsverhalten
hoch
eher niedrig
Abb.22 Änderungpotenzial der Kundensegmente (BACKHAUS 1997, S. 195)
17
Die Akzeptanz beim Außendienst ist von entscheidender Bedeutung bei der Definition von Produkt/Marktsegmenten für Industriegüter, da der persönliche Verkauf meistens eine sehr wichtige Rolle im Kommunikationsmix der Hersteller dieser Produkte spielt. „Eine innovative Segmentierung ist erstens davon abhängig,
ob sie der Außendienst akzeptiert, zweitens, ob er neue Segmente in seinem Zeitbudget berücksichtigt und drittens, ob er fähig ist, diese Segmente auch wirksam anzusprechen.“ (BELZ ET AL. 1996a, S. 97). Es ist deshalb
sehr wichtig, den Außendienst in die Segmentierungsüberlegungen einzubeziehen.
Die Kosten der differenzierten Marktbearbeitung hängen davon ab, wie stark differenziert ein Unternehmen
unterschiedliche Produkt/ Marktsegmente ansprechen will (Abb.23). Am aufwendigsten ist es, unterschiedliche
Produkte für verschiedene Produkt-/Marktsegmente zu entwickeln und zu fertigen. Weniger aufwendig ist eine
differenzierte Ansprache mit einem identischen Kernprodukt und unterschiedlichen Zusatzdienstleistungen sowie Preisen. Eine nur auf der Marketingkommunikation beruhende Differenzierung ist noch günstiger. Am wenigsten Aufwand ist für den Entscheid einzusetzen, ob ein bestimmtes Produkt-/Marktsegment bearbeitet werden
soll. Hier fallen nur die Informationskosten an.
Kosten
Unterschiedliche
Produkte für die
Produkt/Marktsegmente
Wahl/Nichtwahl
eines Produkt/Marktsegmentes
(Informationskosten)
Unterschiedlicher
Einsatz der Instrumente der
Marketingkommunikation für
die Produkt/Marktsegmente
Unterschiedliche
Service /Preis
Konfigurationen
für die Produkt-/
Marktsegmente
bei gleichem
Kernprodukt
Abb.23 Kosten unterschiedlicher Arten der differenzierten Bearbeitung von Produkt-/Marktsegmenten (in Anlehnung an BONOMA/SHAPIRO 1983, S. 95)
18
Produkt-/Marktsegmente
2
Mögliches neues Produkt/Marktsegment
Grenzkosten
3
Mögliches neues Produkt/Marktsegment
Grenzkosten
30
9'000
10
3'000
20
6'000
40
1
Angestammtes Produkt/Marktsegment
Vollkosten
Absatz (Stück)
Geplante Umsatzerlöse
Kosten
Informationsbeschaffung
Entwicklung
Herstellung
Logistik und Lager
Schulung (Außendienst/Absatzpartner)
Marketingkommunikation
Auftragsbearbeitung
Vertrieb
Total Kosten
40
3'000
3'000
300
50
1'000
100
50
40
3'000
2'000
200
50
200
90
900
7'580
200
30
300
1'720
200
60
600
6'150
Geplanter Deckungsbeitrag
1'420
1'280
-150
in € 000
Abb.24 Segmentplanerfolgsrechnung für den Entscheid für oder gegen die Bearbeitung neuer Produkt/Marktsegmente
Aufgrund der möglichen Umsatzerlöse und der zu erwartenden Kosten der Marktbearbeitung lässt sich eine
Segmentplanerfolgsrechnung erstellen. Damit kann abgeschätzt werden, ob sich die Bearbeitung eines möglichen neuen Produkt-/Marktsegmentes lohnen wird (Abb. 24). Im dargestellten Beispiel stehen bei einem Unternehmen zwei neue Produkt-/Marktsegmente zur Diskussion. Für die Bearbeitung des Segmentes 2 kann das
gleiche Produkt eingesetzt werden wie für das angestammte Produkt-/Marktsegment 1. Bei der Bearbeitung
dieses Produkt-/Marktsegmentes fallen deshalb keine zusätzlichen Entwicklungskosten an. Denkbar ist dieser
Fall bei der Ausweitung der Marktbearbeitung auf ein neues geografisches Gebiet mit bestehenden Produkten.
Das Produkt-/Marktsegment 3 hingegen ist ein Segment, für dessen Bearbeitung ein neues Produkt entwickelt
oder das bestehende grundsätzlich geändert werden muss. Dazu fallen hohe Entwicklungs- und Kommunikationskosten an. Obwohl das Segment 2 wegen der zu erwartenden Umsatzerlöse eigentlich weniger attraktiv ist als
das Segment 3, lohnt es sich schlussendlich aufgrund der Mehrkosten eher, das Segment 2 zu bearbeiten.
Es ist daher von hoher Bedeutung, neben den möglichen Umsatzerlösen, auch die durch die Bearbeitung eines
Produkt-/Marktsegmentes ausgelösten höheren Kosten in das Entscheidkalkül einzubeziehen.
2.1.3
Marktnische als Chance und Gefahr: Ausbruch aus der Hochpreisnische
Die Marktgröße, gemessen am erzielbaren Umsatz, ist ein wichtiger Entscheidfaktor für die Wahl eines Produkt/Marktsegmentes. Gerade Hersteller von Industriegütern bearbeiten jedoch oft sogenannte Nischen. Eine Marktnische ist ein Produkt-/Marktsegment, dessen Umsatzpotenzial für große Konkurrenten zu unbedeutend für eine
Marktbearbeitung ist. Für kleinere Unternehmen kann ein solches Produkt-/Marksegment trotzdem interessant
sein, da oft speziell auf die Nische ausgerichtete Angebote einen höherer Preis erzielen.
Viele traditionell in Marktnischen tätige Industriegüterhersteller stehen heute vor der Herausforderung des Ausbruchs aus der Hochpreisnische. Viele Maschinenhersteller zeichnen sich durch sehr hochwertige Produkte aus,
die durch ständige Verbesserungen noch weiter in der Leistungsfähigkeit und oft im Preis gehoben werden.
Gleichzeitig steigt aber auch die Leistungsfähigkeit der Standardprodukte bei gewöhnlich weit tieferen Preisen.
Um nicht gänzlich aus dem Markt gedrängt zu werden, wollen Unternehmen in dieser Situation durch die Entwicklung von einfacheren Standardprodukten aus der Hochpreisnische ausbrechen und breitere Märkte anvisieren (Abb.25). Gelingt dies nicht, droht diesen Unternehmen mittelfristig die Gefahr, durch die Anbieter günstiger
Standardprodukte aus dem Markt gedrängt zu werden.
19
Hochpreisnische
Hochpreisnische
Standardprodukte
Funktionalität der
Standardprodukte ist
stark gestiegen
Standardprodukte
Früher
Heute
Abb.25 Ausbruch aus der Hochpreisnische (in Anlehnung an BELZ ET AL. 1996b, S. 9)
Praxisbeispiel Rieter: Ausbruch aus der Hochpreisnische
Der bedeutende Schweizer Spinnereimaschinenhersteller Rieter setzt seit der Übernahme eines Unternehmens
auf eine Zweimarkenstrategie (Abb.26). Neben den hochpreisigen Rietermaschinen kann das Unternehmen nun
je nach Kundensegment eine angepasste Maschinen im mittleren Preissegment anbieten. Die Marke „Rieter“
wird als hochstehendes Produkt für Spinnereiunternehmer mit höchsten Qualitätsanforderungen positioniert.
Die Marke „BASEtex“ ist auf das Segment der lokal orientierten Spinnereien im Mid-range Segment ausgerichtet.
Positionierungskriterium
BASEtex
Rieter
Attribut der Marke
„Low price, low risk“
Führender Systemanbieter
Wettbewerbsvorteil für den Kunden
Tiefe Investitionskosten und Gutmütigkeit im
Betrieb der Anlage
Ökonomischer Langzeitnutzen durch Leistungsvorteile
Werthaltung
„Best Buy“
„Comfort thanks to Rieter“, Kundenzufriedenheit
im Focus
Kultur
Unkonventionell, „Take it or leave it“
Schweiz/Deutschland mit Tradition im internationalen Marketing
Persönlichkeit der Marke
Newcomer
Tradition, Seriosität, Zuverlässigkeit, „good value
for money“, (gutes Preis-/ Leistungsverhältnis)
Anwender/Kunde
Economyspinner, d.h. lokal orientierte Spinner
im Mid-range Segment
Qualitätsspinner mit Langzeithorizont im High-end
des Marktes
Abb.26 Profile der zwei Marken des Spinnereimaschinenherstellers Rieter (EBERLI IN BELZ REINHOLD 1999, S.
273)
Der Marketingmix für die beiden Marken unterscheidet sich in wichtigen Punkten (Abb.27). Wesentlich ist der
unterschiedliche Einsatz der Instrumente der Marketingkommunikation. Während für das High-end Produkt vor
allem der persönliche Verkauf zum Zuge kommt, wird das Mid-range Produkt auch mit den Instrumenten des
Direktmarketing (Telefon, Internet, Mailings) verkauft.
20
Segment
Produkt
High-end
Maschinen
(Rieter)
•
•
•
•
•
•
Mid-range
Maschinen
(BASEtex)
•
•
•
•
•
•
Preis
High-tech (Innovati- 100%
on
Höchste Produktivität
Automatische Bedienung
Hohe Garnqualität
Störungsfreier Lauf
Wenig Unterhalt
Me-too Produkte
Durchschnittliche
Produktivität
Mittlere Garnqualität
Einfache Bedienung
Arbeitsintensiver
Lauf
Manuelle Qualitätsüberwachung
60%
Verkaufsorganisaton und
Kommunikation
•
Globaler Set-up
•
Persönlicher Verkauf
•
Erklärungsbedürftige
Produkte
•
Engineering
•
Verkaufskosten 812%
Service und Gewährleistung
•
Hightech Service
•
Qualitätsmarke
•
>1.5% Gewährleistungskosten
•
•
•
•
•
Lokaler Set-up
Direktmarketing
Lowtech Verkauf
Verkaufskosten 610%
•
•
•
Lokale Serviceorganisation
Low-cost Service
Low-demanding
Service
>0.5% Gewährleisungskosten
Abb.27 Marketing Mix für die zwei Marken Spinnereimaschinen von Rieter (in Anlehnung an EBERLI IN BELZ /
REINHOLD 1999, S. 273)
Eine Gefahr beim Angebot zweier Produkte mit verschiedenen Preis/Angebotskonfigurationen kann in einer
Kannibalisierung der High-end Marke durch die Produkte der Mid-range Marke liegen. Auch Kunden denen die
Highend Marke angeboten wird, können sich mit der Mid-Range Marke zufrieden geben. Bei Rieter wird dieser
Gefahr ausgewichen, indem der Außendienst für beide Marken durch die gleiche Person geleitet wird. Der Entscheid, welche Marke einem Kunden angeboten werden soll, kann so zentral gesteuert werden.
21
4 Produkt-/Marktsegmente bearbeiten
Für die Bearbeitung der Produkt-/Marktsegmente definiert das Unternehmen vorerst die Differenzierung seines
Produktes gegenüber den Konkurrenzprodukten und bestimmt dann den Marketing Mix, der für die Bearbeitung
des betreffenden Marktsegmentes eingesetzt werden soll. Ziel ist es, durch den Einsatz aller Marketinginstrumente einen unverwechselbares Nutzen der Kundschaft anzubieten.
4.1 Differenzierung in den gewählten Produkt-/Marktsegmenten
bestimmen
Die gewählte Differenzierungsstrategie hängt von drei Gegebenheiten ab (Abb.28). Vorerst muss die gewählte
Differenzierung den Kundenbedürfnissen entsprechen. Im weiteren ist abzuklären, wo und wie stark die Konkurrenz Differenzierungspotenzial aufgebaut hat. Die Bestimmung dieser beiden Faktoren beruht auf den Ergebnissen von speziellen Marktforschungsprogrammen. Drittens muss die gewählte Differenzierung auch durch die
eigenen Mitarbeiter realisiert werden können. Meist geht es dabei darum, ob die Mitarbeiter um das nötige
Know-how verfügen. Dies ist gerade bei Industriegütern, bei denen eine Differenzierung oft auf der Ebene der
Dienstleistungen realisiert werden sollte, von hoher Bedeutung. Die Bedingungen, die ein möglicher Konkurrenzvorteil erfüllen muss, damit sich dessen Realisierung lohnt, sind in Abb. 29 aufgelistet.
Bedürfnisse (Probleme)
der Nachfrager
Problemlösungs-Know-how
des Anbieters
Problemlösungs-Know-how
der Konkurrenten
Abb.28 Bestimmungsfaktoren eines Konkurrenzvorteils (BACKHAUS 1997, S. 23)
•
•
•
•
Der Konkurrenzvorteil ist kommunizierbar und für die Kunden erkennbar
Der Konkurrenzvorteil bringt einer genügend grossen Anzahl Kunden einen Zusatznutzen
Die Kunden sind bereit sein, wegen des Konkurrenzvorteils einen höheren Preis für die Produkte zu zahlen oder eine
grössere Anzahl davon abzunehmen
Der Konkurrenzvorteil sollte durch die Konkurrenten nicht leicht kopierbar sein
Abb.29 Bedingungen für einen erfolgreichen Konkurrenzvorteil
Praxisbeispiel Mikron: Neue Produkt-/Marktsegmente bedingen das Zufriedenstellen anderer Kundenbedürfnisse
Mikron AG in Nidau fertigt und vertreibt weltweit Fräsbearbeitungszentren wie in Abb. 31 abgebildet. Traditionell liefert Mikron ihre Produkte an Werkzeug- und Formenbauhersteller. So werden unter anderem die Spritzwerkzeuge für die Legosteine und für verschiedene Petflaschenanbieter auf Mikronmaschinen gefertigt. Im Rahmen einer strategischen Neuausrichtung mit dem Ziel des Ausbruchs aus der Hochpreisnische , wurde das Kundensegment der Job Shops (Lohnfertiger) für die Bearbeitung bestimmt. Job Shops sind Unternehmen, die von
22
Drittunternehmen Aufträge für das Bearbeiten kleiner und mittlerer Serien von Werkstücken übernehmen
(Abb.30). Kunden der Job Shops sind beispielsweise Maschinenhersteller, die gewisse Teile auswärts fertigen
lassen.
Hauptbedürfnisse:
1.
Technische Features
2.
Einfache Bedienung
3.
Flexibilität
4.
Ausbaubarkeit
Werkstücke mit
hoher Wertschöpfung
Traditionelles
Segment
Werkzeug- und
Formenbau
Neues Segment
Job Shops (Lohnfertiger)
Werkstücke mit
kleiner Wertschöpfung
Einzelstücke
Kleine und
Mittlere Serien
Grossserie
Hauptbedürfnisse:
1.
Preis
2.
Lieferbarkeit
3.
Markenqualität
4.
Service
Abb. 30 Mikron Fräsbearbeitungszentren: neue Segmente erfordern das Erfüllen neuer Kundenbedürfnisse
Die Angebote der Mikron waren auf die Bedürfnisse der Kunden im traditionellen Segment der Werkzeug- und
Formenbauer ausgerichtet. Dieses Kundensegment legt vor allem großen Wert auf die technischen Features der
Maschinen sowie auf deren einfache Bedienung und Flexibilität. Die Werkzeug- und Formenbauer sind darauf
erpicht, immer an der Front der technischen Entwicklung zu sein und ihren Kunden stets Stücke mit den jeweils
höchstmöglichen Genauigkeiten liefern zu können. Ganz anders das Segment der Lohnfertiger. Diese Kundengruppe fertigt kleine und mittlere Serien für ihre Auftraggeber. Meist handelt sich dabei um eher einfach zu
bearbeitende Werkstücke. Die Job Shops sind vor allem interessiert, diese Werkstücke zu möglichst tiefen Kosten
fertigen zu können. Sie wollen ebenfalls sicher sein, dass sie mit der Bestellung einer Maschine warten können,
bis sie entsprechende Aufträge erhalten haben. Sie erwarten danach eine sehr schnelle Lieferung der bestellten
Maschine. Die Bearbeitung des neuen Segments erforderte aufgrund der unterschiedlichen Kundenbedürfnisse
den Aufbau von grundsätzlich anderen Konkurrenzvorteilen im Vergleich zum traditionellen Segment.
Für das neue Segment wurde eine kostengünstige Maschinenreihe konzipiert, die die Hauptbedürfnisse der angesprochenen Kunden erfüllt. Zusätzlich wurde der Marketing- und Verkaufsprozess für die neue Produktereihe
von Grund auf neu gestaltet. Die Maschinen im traditionellen Segment werden durch den hochqualifizierten
Außendienst der Mikron verkauft. Dieser Marketing- und Verkaufsapproach konnte für das neue Segment nicht
mehr genügen. Aufgrund der um einiges höheren Anzahl potentieller Kunden und der knappen Marge auf den
Produkten der neuen Maschinenreihe, musste der Einsatz der Instrumente der Marketingkommunikation überdacht werden. Neu werden deshalb vermehrt auch die Instrumente des Direktmarketing, wie Mailings und Telefonmarketing eingesetzt, um Kaufinteressenten ausfindig zu machen (Abb.32). Die Produkte werden in den Mailings, fast wie Konsumgüter, mit Fixpreis und Gratisoptionen angepriesen. Der eigentliche Verkauf wird wiederum durch die Verkaufscrew von Mikron durchgeführt. Es hat sich gezeigt, dass der Verkauf einer Maschine
der neuen Produktereihe ebenso aufwendig ist, wie der Verkauf einer Maschine im traditionellen Segment.
Durch die neu eingesetzten Instrumente Direktmarketing können jedoch die Verkäufer vom Auffinden der interessierten potentiellen Kunden entlastet werden. Sie können sich somit auf ihre Spezialität, den eigentlichen
23
Verkaufsabschluss, konzentrieren. Für den Außendienst bedeutet der Verkauf von Standardmaschinen eine Herausforderung. Der Verkäufer soll im neuen Kundensegment nicht mehr wie bis anhin kundenspezifische Lösungen verkaufen sondern Standardprodukte, die sich vor allem durch den Set an Optionen von den Angeboten der
Konkurrenten unterscheiden.
Abb. 31 Mailing für Fräsbearbeitungszentren: Verkauf über Fixpreis und Gratisoptionen
24
4.2 Marketing Mix für die zu bearbeitenden Produkt/Marktsegmente bestimmen
Von den vier Elementen des Marketing Mix „Produkt“, „Preis“, „Place“ und „Promotion“ werden in den nächsten zwei Abschnitten die beiden Faktoren Place (Distribution) und Promotion (Marketingkommunikation) behandelt.
Die unterschiedliche Ausgestaltung der beiden Elemente Produkt und Preis für verschiedene Produkt/Marktsegmente wurde bereits weiter oben behandelt (Seite 11: Segmentierung in Funktion der Einkaufskriterien).
4.2.1
Distributionssystem in Funktion der Marktsegmentierung aufbauen
Eine oft eingesetzte Art der Marktsegmentierung beruht auf geografischen Gesichtspunkten. Meist sollen die
Gebiete mit hohem Potenzial enger von der Zentrale aus bearbeitet werden. Oft wird dies mit einer ABC Analyse in Funktion des Marktpotentials der einzelnen Gebiete dargestellt (Abb.32). Diese Segmentierung hat oft
einen direkten Einfluss auf die Ausgestaltung des Distributionssystem. Abb.33 zeigt das Distributionssystem
eines mittelständischen Schweizer Maschinenproduzenten. Länder mit großem Potenzial werden durch Tochtergesellschaften direkt vom Hersteller aus bearbeitet. Länder mit mittlerem Potential werden durch Agenten betreut, die auf Kommissionsbasis für den Hersteller tätig werden. In Ländern mit tiefem Potential unterhält das
Unternehmen lose Kooperationen zu branchennahen Agenten, ohne mit diesen langfristige Verträge einzugehen.
Der Heimmarkt wird aus pragmatischen Gründen direkt von der Zentrale aus betreut.
Segmente der Absatzgebiete und Absatzpartner
Länder
A-Segment der Absatzgebiete: gegenwärtiges und/oder
zukünftig hohes Marktpotential
Deutschland, Frankreich, Großbritannien, USA, Südostasien
B-Segment: Mittleres Marktpotential
Australien, China, Japan, Brasilien, Argentinien
C-Segment: Tiefes Marktpotential
Südafrika, Nordafrikanische Länder
Abb. 32 Beispiel einer ABC-Analyse der Absatzgebiete in Funktion des Marktpotentials
Maschinen AG
Aussendienstmitarbeiter
Schweiz
Heimmarkt
Filialen
Deutschland, Frankreich, Grossbritannien,
USA, Südostasien
Agenten
Australien, China,
Japan, Brasilien,
Argentinien
Wichtige Märkte
Lose
Kooperation
Südafrika, Nordafrikanische Länder
Nebenmärkte
Weitere Märkte
Kunden
Abb.33 Distributionssystem in Funktion des Potenzials einzelner Absatzgebiete
Eine weitere Art der Segmentierung, die oft direkt einen Einfluss auf den Aufbau eines Distributionssystems
ausübt, ist diejenige nach der Grösse der Kundenunternehmen. So unterhält die Personal Computer Unit der IBM
Schweiz für drei Kundensegmente verschiedene Absatzwege (Abb. 34). Die großen Unternehmen mit dem höchsten Bedarf an Beratung und an Pre- und After-Sales Services werden direkt von IBM Aussendienstmitarbeitern
betreut. IBM stellt so sicher, daß die Kundennähe zu dieser interessanten Kundengruppe erhalten bleibt. Die
25
mittelständischen Unternehmen werden durch Agenten betreut. Für IBM ein Vorteil, da somit relativ günstig ein
großes Marktsegment abgedeckt werden kann, ohne eigene Außendienstmitarbeiter dafür anstellen zu müssen.
Die Kundennähe in diesem Segment wird durch die Beziehung zum Kunden bei Auslieferung und Service aufrechterhalten, die direkt durch Beschäftigte von IBM durchgeführt werden. Kleine Unternehmen und Privatkunden kaufen bei Distributoren (Eigenhändler), die für den ganzen Distributionsprozess vom Verkauf bis zum
After-Sales Service verantwortlich sind. Zusätzlich zu den Distributoren hat die IBM einen direkten Absatzkanal
zu dieser Kundengruppe eröffnet: Mit „IBM Direkt“ verkauft das Unternehmen die Personal Computer über
Telefonmarketing.
IBM Schweiz (PC Unit)
Aussendienstmitarbeiter
Grossunternehmen
Agenten
Mittelständische
Unternehmen
Distributoren
PC-Händler
„IBM Direkt“
Telefonmarketing
Small Office and Home User
Abb.34 Mehrkanalsystem der Personal Computer (PC) Unit der IBM Schweiz (in Anlehnung an Schögel 1997, S.
280)
Um eine möglichst hohe Marktabdeckung zu erreichen, kann es sinnvoll sein, Absatzpartner zu segmentieren
und unterschiedlich eng zu betreuen. So kann ein Unternehmen die unterschiedlichen Aufgaben im Distributionsprozess (Abb.35) durch verschiedene Partnertypen durchführen lassen. Der Entscheid für einen Partnertyp
fällt in Abwägung der Bedürfnisse des Herstellers und der Fähigkeiten des potenziellen Absatzpartners. Dieser
Entscheid beeinflusst ebenfalls die Betreuungsintensität, die ein Hersteller einem Absatzpartner zukommen lässt.
Je mehr Aufgaben ein Absatzpartner im Distributionsprozess übernehmen soll, desto größer ist sein Informationsbedarf, der durch entsprechende Know-how Transferprogramme des Herstellers befriedigt werden muss .
Akquisitorische Aufgaben
Werbung, Verkaufsförderung
Logistische Aufgaben
Angebote spezifizieren, Produkte lagern, anpasVerkauf
sen, ausliefern
After-Sales Service
erbringen
Absatzpartnertyp 1
Absatzpartnertyp 2
Absatzpartnertyp 3
Absatzpartnertyp 4
Abb.35 Verschiedene Partnertypen übernehmen unterschiedliche Aufgaben im Distributionsprozess
4.2.2
Kundenkontakte erhöhen bei gleichzeitiger Senkung der Marketingkommunikationskosten
Viele Industriegüterhersteller stehen vor der Herausforderung, die Kundenkontakte qualitativ und quantitativ
auszubauen und gleichzeitig die Marketingkommunikationskosten zu senken. Die Lösung wird oft mit einer
Verschiebung der Schnittstelle zwischen Marketingabteilung und Verkaufsabteilung gesucht (Abb.36). Während
heute noch sehr oft der Aussendienst den Kunden über den ganzen Produktlebenszyklus betreut, soll künftig die
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Marketingabteilung durch segmentiertes Marketing dem Außendienst qualifizierte Informationen über interessierte potentielle Kundenunternehmen liefern.
Generelles Marketing
Imagewerbung
Public Relation
Segmentiertes Marketing
Direktmarketing:
•
Mailing
•
Telefonmarketing
•
Kundenanlässe
Individuelles Marketing
Evaluationsgespräche
Beratungsgespräche
Offertpräsentationen
Verkaufsabschluss
Einzelkunde
Marktsegment
Ganzer Markt
Abb.36 Stufen der Individualisierung des Marketing (BELZ ET AL. 1996a, S. 96)
Der segmentierte Einsatz der Marketing- und Verkaufsinstrumente führt zu Kontaktplänen, die festlegen, wie
Kunden über Jahre hinweg betreut werden sollen. Ein Beispiel dafür ist Mettler Toledo, ein Hersteller professioneller Waagesysteme (Abb.37). Mettler Toledo geht so weit, dass „die angestrebte Kundenbindung so weit führen soll, dass der Kunde aus eigenem Antrieb – so wie er seine Hausbank, seinen Anwalt oder seinen Hausarzt
kontaktiert regelmäßig mit dem Unternehmen in Kontakt tritt, um seinen aktuellen, aber auch zukünftigen Lösungsbedarf zu besprechen“ (LÜTHI/SUTER 1998, S. 63). Industriegüter stehen bei Kunden oft mehrere Jahre im
Einsatz. Es ist eine besondere Herausforderung im Marketing von Industriegütern, die Beziehung zu den Kunden, die möglicherweise erst in mehreren Jahren wieder ein Produkt kaufen werden, aufrecht zu erhalten und im
richtigen Moment die Kaufsignale des Kunden zu erkennen.
Kontaktintensität
Abschliessen
Abschliessen
Beraten
Beraten
Auftrag erfüllen
Überprüfen
Kaufsignale
erkennen
Interesse
wecken
Kompetenz
darstellen
Auftrag erfüllen
Zufriedenheit
überprüfen
Fachkontakte,
Soziale Kontakte,
Servicekontakte
herstellen
Überprüfen
Zufriedenheit
überprüfen
Kaufsignale
erkennen
Qualifizieren
Zeit
Monate bis mehrere Jahre
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Abb.37 Unterschiedliche Kontaktintensität in Funktion der Phasen des Kaufprozesses (grau: intensive persönliche Verkaufsphase (LÜTHI/SUTER 1998, S. 65)
Im Idealfall ist der Außendienst nur noch für die grau unterlegten Aufgaben gemäß Abb. 37 zuständig. Weniger
kontaktintensive Phasen des Marketing- und Verkaufsprozesses sollen durch günstigere Instrumente der Marketingkommunikation, wie die Instrumente des Direktmarketing abgedeckt werden. Eine segmentierte Vertriebsstrategie, die neben dem Außendienst auch die Instrumente des Direktmarketing einbezieht, verspricht eine konkrete Kostensenkung, wie das Beispiel in Abb. 38 zeigt.
Außendienstorientierte
Vertriebsstrategie
Maßnahmen
Kosten
(pro Jahr)
A – Kunden (heute und / oder in Zukunft
hohes Verkaufspotential)
6 Besuche
B – Kunden (heute und / oder in Zukunft
mittleres Verkaufspotential
2 Besuche
C – Kunden (heute und /oder in Zukunft
tiefes Verkaufspotential)
1 Besuch
1'800.--
600.-
300.-
Integrierte Vertriebsstrategie
Maßnahmen
(pro Jahr)
4 Besuche
8 Anrufe
8 Mailings
1 Besuch
4 Anrufe
8 Mailings
4 Anrufe
4 Mailings
Besuch nach
Bedarf
Kosten
1'200.200.40.1‘400
300.100.—
40.—
440.100.20.?
> 120.-
Abb.38 Kostenvergleich einer außendienstorientierten und einer integrierten Vertriebsstrategie (SCHNAPPAUF
1995, S. 160)
28
5 Die sieben „goldenen Regeln“ der Marktsegmentierung
Die wichtigsten Grundsätze für die Segmentierung von Industriegütermärkten können mit den sieben in Abb. 40
aufgeführten Regeln zusammengefasst werden.
Regel 1: Die Marktsegmentierung erfolgt in drei Schritten: Segmente bilden, Segmente auswählen und Segmente bearbeiten.
Regel 2: Die Segmentierung der Kunden erfolgt vorerst auf der Ebene der Makrosegmente, die meist günstig zu erheben sind. Falls diese
Segmentierung für eine erfolgversprechende Marktbearbeitung ungenügend ist, werden Mikrosegmente gebildet.
Regel 3: Ein Segment ist nie allein eine bestimmte Gruppen von Kunden. Zur Definition eines Produkt-/Marktsegmentes gehört ebenfalls die
Ausgestaltung des auf die Kundenbedürfnisse hin abgestimmten Industriegutes.
Regel 4: Ein Produkt-/Marktsegment soll nur für die aktive Bearbeitung gewählt werden, wenn der Zielmarkt attraktiv ist und das Unternehmen über die für eine erfolgreiche Bearbeitung nötigen Stärken gegenüber der Konkurrenz verfügt oder aufbauen kann.
Regel 5: Ziel jeder Marktsegmentierung ist die Verbesserung des Einsatzes der knappen Marketingressourcen. Segmentierungsansätze, die
mehr Aufwand erfordern als Mehrertrag versprechen, sollen nicht umgesetzt werden.
Regel 6: Grundlage für die Bearbeitung der ausgewählten Produkt-/Marktsegmente ist eine präzise Differenzierung des angebotenen Industriegutes gegenüber den Konkurrenzprodukten.
Regel 7: Ein segmentierter Einsatz der Instrumente der Marketingkommunikation erfordert oft ein Überdenken der Aufgabenteilung zwischen der Marketingabteilung und dem Außendienst.
Abb. 40 Die sieben „goldenen Regeln“ der erfolgreichen Segmentierung von Industriegütermärkten
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