Alle Daten zweifach registriert

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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.08.2016, Nr. 189, S. 21
Alle Daten zweifach registriert
Bürgschaftsbanken klagen: Sie sollen für das Kreditregister eine Menge Daten melden, die
ohnehin bekannt sind
sup. STUTTGART, 14. August. Ein kleiner Kredit kann manchmal Wunder wirken - den
Durchbruch für einen Existenzgründer, den Neustart für einen Mittelständler. Wenn
Chancen sichtbar sind, das Risiko aber auch, dann helfen Bürgschaftsbanken, indem sie
Sicherheiten für solche Kredite gewähren. In Zukunft könnte es aber deutlich schwieriger
sein, überhaupt noch auf diese Weise an Geld zu kommen. Das von der Europäischen
Zentralbank (EZB) geplante Kreditregister Ana Credit sieht nämlich vor, dass sehr viele
Daten über die Schuldner gesammelt werden - und die Bürgschaftsbanken müssen genau
diesen Aufwand noch einmal betreiben. Jedes einzelne Darlehen ab 25 000 Euro muss mit
zig Merkmalen sowohl von der kreditgebenden Bank als auch von der Bürgschaftsbank
erfasst werden. "Unterm Strich verursacht das Datensammeln so viel Bürokratie und Kosten,
dass das in keinem Verhältnis zu den gewonnenen Erkenntnissen steht", ärgert sich Guy
Selbherr.
"Ana Credit - das hört sich putzig an, ist aber ein Wolf im Schafspelz", bringt Selbherr seine
Meinung auf einen Punkt, die er auch in der Funktion als Vorsitzender des Verbands
Deutscher Bürgschaftsbanken ) und als Vizepräsident der Europäischen BürgschaftsbankenOrganisation äußert. Ana Credit ist die Abkürzung für Analytical Credit Dataset, ein
Kreditregister, das die EZB für geldpolitische Analysen und zur Risikosteuerung von
Kreditportfolien einrichtet und das derzeit von 2020 an auch eine Meldepflicht für
Bürgschaftsbanken vorsieht. "Finanzmarktstabilität ist ja eine gute Sache, aber es ist keine
Verhältnismäßigkeit erkennbar", sagt Selbherr. Es sei völlig unverständlich, warum ein schon
gemeldeter Kredit durch die Bürgschaftsbank noch einmal gemeldet werden soll: "Im Prinzip
müsste das Gegenteil der Fall sein." In Europa sind nach Selbherrs Angaben 2,5 Millionen
Unternehmen Kunden von Bürgschaftsbanken.
Es geht Selbherr nicht darum, dass Gewinnmargen dahinschwinden. "Unsere Arbeit fördert
die Innovation und treibt den Strukturwandel voran", gibt er zu bedenken. Jeder Euro, der
für Bürokratie aufgewendet wird, fehlt für diese Zwecke. Noch hat man in Stuttgart nicht
ausgerechnet, was die Datenbereitstellung für Ana Credit kosten würde. Doch er ist sich
sicher, dass es nicht nur um eine Anfangsinvestition geht, sondern dass fortlaufend Kosten
anfallen würden. Der regulatorische Aufwand, den die Bank jetzt schon betreiben muss,
beläuft sich auf rund 750 000 Euro. Zum Vergleich: unterm Strich blieben in den
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19.08.2016
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vergangenen Jahren rund 3 bis 4 Millionen Euro Gewinn. Die Bürgschaftsbanken sollten von
der Meldepflicht komplett ausgenommen werden, lautet Selbherrs Forderung. Die
Bundesbank hätte durchaus die Möglichkeit, dies bei der nationalen Umsetzung so zu regeln,
erklärt er: In der Ana-Credit-Verordnung seien Bürgschaftsbanken gar nicht explizit
genannt.
Das Problem reicht aber in Selbherrs Augen darüber hinaus. Er erwartet, dass viele Kredite
überhaupt nicht mehr gewährt werden, ganz unabhängig davon, ob die Bürgschaftsbank oder
eine andere Fördereinrichtung dafür geradestehen würde oder nicht - eben weil sich der
Aufwand für die Banken nicht mehr lohnt. Jeden Monat müssen Hausbanken eine Fülle von
Daten abliefern über Kreditnehmer. Abgesehen von Standarddaten, von Adresse bis
Kredithöhe, Laufzeit und Zinsvereinbarungen, geht es auch um das Zahlungsverhalten, das
jeweils aktualisiert monatlich gemeldet werden muss. Insgesamt sind es 89 Merkmale, die
eine Hausbank erfassen muss (außer, wenn es sich um eine der ganz kleinen Banken handelt,
die weniger Daten erheben müssen). Unglaublich, dieser Datenhunger, wie Selbherr sagt.
"Selbst wir untersuchen nur etwa 60 Merkmale, und wir verbürgen die Kredite ja sogar",
erklärt Selbherr: "Das heißt, die Hausbanken müssten viele, viele Daten beschaffen, die sie
selbst gar nicht brauchen."
Wohin aber gehen die Kunden, wenn sie von ihrer Hausbank keinen Kredit bekommen?
Manches werde wohl privat geregelt, mutmaßt Selbherr, hier und da werde vielleicht ein
Lieferant einspringen, manches Unternehmen aber werde nicht ausreichend finanziert sein.
"Das führt bis zum Scheitern", ist Selbherr überzeugt. Kreditplattformen außerhalb des
Banksektors, die saftige Zinsen verlangen, könnten davon profitieren. Manches könnte über
moderne Formen der Geldbeschaffung gelingen, etwa über Crowd-Funding - aber auch nicht
immer: "Da braucht man ja auch eine Story, um erfolgreich an Geld zu kommen", warnt
Selbherr, wohl wissend, dass es eben oft keine tolle Geschichte gibt, die einen Geldgeber zum
Investieren animiert, sondern dass oft einfach eine Maschine ersetzt oder die IT auf
Vordermann gebracht werden muss.
Genau deswegen fürchtet Selbherr auch, dass der Schuss mit Ana Credit nach hinten
losgehen könnte, dass das Register nicht der Stabilisierung hilft, sondern Krisen verstärkt:
"Wenn all die Daten zeigen, dass der Maschinenbau in eine Krise hineinfährt, werden die
Banken davor gewarnt, den Maschinenbauern Kredite zu geben", fürchtet Selbherr: "Das
trifft dann auch die Maschinenbauer, die dringend Geld brauchten, um die Krise zu
überstehen." Noch hofft der Vorstand der Bürgschaftsbank, dass die Politik das
Kreditregister weiter schrumpft, nachdem einige Erleichterungen schon beschlossen wurden.
"Wir werden nicht lockerlassen", kündigt er an. Als Ansprechpartner sieht er auch das
Bundeswirtschaftsministerium, das ja eigentlich um Bürokratieabbau und eine reibungslose
Förderpolitik bemüht sein müsste. Und bevor die EU-Kommission sich Mitte November mit
Ana Credit befasst, werden wohl auch noch einige Abgeordnete Post mit den Einschätzungen
der Bürgschaftsbanken bekommen.
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