Predigt zu Römer 9,1-8.14-16 (31.7.2016 – 10. So n. Tr. - Laurentius N’au) Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus! - Predigttext lesen Liebe Gemeinde! Wie haben Sie von dem Anschlag in Ansbach erfahren? Aus dem Internet, dem Fernsehen, dem Radio, aus der Zeitung? Nur wenige Tage ist es her, dass sich ein junger Mann am Eingang der Reitbahn in die Luft gesprengt hat. Es scheint ein islamistischer Terroranschlag gewesen zu sein, zudem die Tat eines psychisch kranken jungen Mannes. Wir alle sind betroffen und schockiert und denken an die Verletzten und ihre Angehörigen. Und vielleicht haben wir die vielen anderen Orte im Gedächtnis, an denen in jüngster Zeit Schreckliches geschehen ist – München, Würzburg, Nizza und, und, und... Das ist das, was uns beschäftigt in diesen Tagen – und das haben wir im Hinterkopf, wenn wir die eben gelesenen Verse aus dem Römerbrief hören. Haben die Worte des Paulus etwas mit unserem Alltag zu tun? Wie weit reichen die fast 2000 Jahre alten Worte in unsere Gegenwart hinein? Paulus denkt über das Verhältnis von Christentum und Judentum nach, so würden wir das Thema unseres heutigen Predigttextes vielleicht formulieren. Allerdings gab es so etwas wie das Christentum zur Zeit des Paulus erst in Ansätzen. Und Paulus hat das Thema Verhältnis von Christen und Juden viel existentieller berührt. Schließlich war Paulus selbst Jude, hatte sich dem Glauben an Jesus Christus geöffnet und versuchte nun so viele Menschen wie möglich - ob Juden oder Heiden - von Jesus zu überzeugen. Leider musste Paulus aber feststellen, dass viele Juden nicht zum Glauben an Jesus kamen. Ja, eigentlich waren es vor allem Nichtjuden, die den christlichen Glauben für sich entdeckten. Das war der Kontext seines Nachdenkens über das Verhältnis von Christentum und Judentum. Und dieser Kontext, das müssen wir leider feststellen, ist sehr weit von unseren heutigen Problemstellungen entfernt. Wenn es heute um das Verhältnis von Religionen geht, dann denken wir doch eher an das Verhältnis zum Islam, den es zur Zeit des Paulus bekanntlich noch gar nicht gab – und den wir zur Zeit vor allem durch die grausame Verzerrung von Terroristen wahrnehmen. Auch über die anderen der heute so genannten Weltreligionen - den Hinduismus oder den Buddhismus wusste Paulus wohl noch nichts. Doch wir leben heute in einer Zeit, in der Angehörige der verschiedenen Weltreligionen mit- oder nebeneinander leben. Können uns die Gedanken des Paulus zum Verhältnis von Judentum und Christentum etwas zum Umgang mit den Weltreligionen sagen? Hat er vielleicht trotz seiner etwas anderen Sichtweise auf das Thema Religionen Hinweise für uns für das Zusammenleben in einer globalen, multireligiösen Gesellschaft? Ja, interessanterweise schon. Ich möchte aus der Argumentation des Paulus zwei Gedanken herausgreifen, die ich für unseren heutigen Umgang mit den Religionen immer noch von Bedeutung finde. Der erste Gedanke: 1. Es lohnt sich die geistige Verwandtschaft der Religionen zu erkennen Paulus macht bei seinem Nachdenken über das Volk Israel eine wichtige Entdeckung: Er selbst wurde als Jude geboren und ist als Angehöriger des Volkes Israel mit allen anderen Angehörigen seines Volkes über den Stammvater Abraham verbunden. Er nennt sie, seine „Stammverwandten nach dem Fleisch“. Und nun sagt Paulus: Gottes Kinder sind nicht diejenigen, die von Abraham abstammen, Gottes Kinder sind diejenigen, die Kinder seiner Verheißung sind. Das bedeutet doch: Nicht die Zugehörigkeit zu einem Volk oder einer Religion ist entscheidend für einen Menschen, sondern das Verhältnis, das er zu Gott hat. Für Paulus ist Abraham nicht allein der biologische Stammvater des Volkes der Verheißung sondern er ist der Stammvater des Glaubens. Das ist eine wichtige theologische Erkenntnis. Paulus öffnet damit die Grenze zwischen den beiden Religionen Judentum und Christentum und macht damit deutlich, dass das gemeinsame dieser beiden Religionen für ihn wichtig ist. Judentum und Christentum sind verwandt und Christen und Juden können als Erben der Verheißung an Abraham gesehen werden – ohne dass sie auf die gleiche Weise glauben. Das ist ein geradezu revolutionärer Gedanke! In der Geschichte des Christentums wurden die Ausführungen des Paulus im Römerbrief aber auch gänzlich anders interpretiert. Man hat sie so verstanden, dass es nur noch die Christen sind, denen die Verheißungen gelten und hat damit die Juden aus der Verheißung ausgeschlossen. Und dadurch hat zugleich eine tödliche Spirale begonnen. Zuerst hat man die Juden ausgegrenzt, dann hat man sie benachteiligt und schließlich getötet. Der Antisemitismus durchzieht die ganze Kirchengeschichte bis hin zum Holocaust. Es ist eine Geschichte, bei der Christen viel Schuld auf sich geladen haben. Dabei trifft das die Intention des Paulus an dieser Stelle sicher nicht. Er macht dagegen deutlich, dass Christentum und Judentum geistig miteinander verwandt sind. Gilt das aus unserer heutigen Perspektive auch für andere Religionen? Gilt das für den Islam, den Hinduismus, den Buddhismus? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Erst einmal gilt, dass auch aus unserer heutigen Sicht Christentum und Judentum eine besondere Beziehung haben – zumindest aus christlicher Perspektive. Jesus war Jude und die Heilige Schrift der Juden, die hebräische Bibel ist auch für uns ein wesentlicher Teil unserer Heiligen Schrift, nämlich das Alte Testament der christlichen Bibel. Viele jüdische Traditionen sind von den christlichen Kirchen aufgenommen worden – zum Beispiel das Singen der Psalmen, der aaronitische Segen, der in jedem Gottesdienst gesprochen wird, oder die Zehn Gebote. Diese enge Beziehung und Verwandtschaft hat das Christentum zu keiner anderen Religion. Und doch gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen, die es möglich machen von einer geistigen Verwandtschaft zu sprechen. In Bezug auf Judentum, Christentum und Islam spricht man von den monotheistischen oder abrahamitischen Religionen, da Angehörige dieser Religionen an einen personalen Gott glauben, der als allwissend, allmächtig und barmherzig gesehen wird. Der Mensch wird als Geschöpf Gottes gesehen, dem dieser seinen Geist eingehaucht und damit eine Seele verliehen hat. Abraham spielt in allen drei Religionen eine wichtige Rolle. Mit dem Hinduismus oder dem Buddhismus verbindet diese drei Religionen auf den ersten Blick sehr viel weniger. Inzwischen wird aber zum Beispiel der ethische Überbau als eine wichtige Gemeinsamkeit gesehen. Alle Religionen sind um ethisches Verhalten bemüht. Tugenden wie Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit, Gewaltlosigkeit, Friedfertigkeit, Mitgefühl, Hingabe und viele mehr sind in allen Religionen in unterschiedlicher Gewichtung bekannt und ihre Verwirklichung wird den Gläubigen empfohlen. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass es radikale und fanatische Angehörige in vielen Religionen gibt, die religiöse Lehren für ihre gewalttätigen Ziele missinterpretieren und missbrauchen. Dies entspricht aber nicht dem eigentlichen Wesen der Religionen sondern ist ein bewusster Missbrauch. Dementsprechend ist ein islamistischer Terroranschlag kein religiös motivierter Akt sondern eine besonders grausame Art Macht auszuüben und ein perfider Versuch politisch anders geartete Systeme zu destabilisieren. Wir dürfen uns davon nicht verleiten lassen, den Islam als Religion oder gar gläubige Muslime dafür verantwortlich zu machen. Auch der Islam ist eine Religion des Friedens. Die geistige Verwandtschaft der Religionen besonders in ethischer Hinsicht hat den Theologen Hans Küng zur Formulierung des Weltethos inspiriert. Küng macht deutlich, dass es in allen Religionen die so genannte „Goldene Regel“ gibt. Im Neuen Testament lautet sie: „Alles was Euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch.“ In den anderen Religionen mag der Wortlaut unterschiedlich sein, der Sinn ist immer derselbe. Auf dieser gemeinsamen Basis macht Küng deutlich, dass es sich lohnt, wenn sich Angehörige aller Religionen zu einem gemeinsamen Ziel auf den Weg machen: für den Frieden auf der Welt zu arbeiten. Und er lädt nun schon seit vielen Jahren dazu ein. Der Nürnberger Theologe und Religionspädagoge Johannes Lähnemann arbeitet ebenfalls seit vielen Jahren in der Organisation „Religions for Peace“/Religionen für den Frieden mit. Auf dem diesjährigen Pfarrkonvent der Pfarrerinnen und Pfarrer in der Diakonie Neuendettelsau haben wir vor kurzem einen Vortrag von ihm gehört zum Dialog der Religionen. In der nachfolgenden Diskussion haben wir beschlossen, dass wir in Zukunft in der Diakonie Neuendettelsau aktiv den Dialog mit Menschen aus anderen Religionen führen wollen und auch interreligiöse Gastfreundschaft üben wollen. Wir hoffen, dass dies in unsere Umgebung und in unsere Gesellschaft ausstrahlt und zu mehr Frieden und Toleranz führen wird. Es ist eine große Chance, wenn wir heute wie Paulus damals die geistige Verwandtschaft zwischen den Religionen erkennen – für uns persönlich und für unsere Welt. Und nun noch der zweite Gedanke, den ich aus den Ausführungen des Paulus herausgreifen möchte. 2. Es kommt allein auf Gottes Gnade an Paulus hat in der seiner damaligen Situation viel darüber nachgedacht, was mit den Juden passiert, die nicht zum Glauben an Jesus Christus kommen. Gelten die Verheißungen Gottes auch für sie? Oder sind sie ewig von Gott getrennt? Paulus kommt in seinen Ausführungen schließlich zu der Erkenntnis, dass es nicht auf den einzelnen Menschen ankommt – sondern nur auf die Gnade Gottes. „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig. Und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.“, zitiert Paulus Worte Gottes, die er zu Mose gesprochen hat. Die Gnade Gottes ist die Antwort auf alle Unterschiede zwischen den Juden und den Christen damals. Paulus verzichtet darauf, bereits jetzt Klarheit über die Perspektive des Volkes Israel zu bekommen. Er vertraut auf die Gnade Gottes. In unserer heutigen Situation höre ich Christen angesichts der Weltreligionen fragen: Aber welche Religion hat denn nun recht? Es gibt ja doch gravierende Unterschiede in der Lehre. Was passiert denn nun mit den Angehörigen anderer Religionen am Jüngsten Tag? Es kann doch nicht sein, dass alle Religionen Recht haben. Die Antwort des Paulus gilt aus meiner Sicht auch für unsere heutigen Fragen. Wir dürfen auch heute auf die Gnade Gottes vertrauen. Wir dürfen selbstverständlich überzeugt von unserem christlichen Glauben sein und ihn auch vor den Angehörigen anderer Religionen bezeugen und vertreten. Doch wir können mit Offenheit und Toleranz gemeinsam mit Angehörigen anderer Weltreligionen für den Frieden in der Welt arbeiten, ohne dass wir streiten, wer von uns denn nun Recht hat. Und dürfen gemeinsam auf die Gnade Gottes hoffen, mit der er uns alle beschenken kann. Ich will das zum Abschluss noch einmal ganz persönlich formulieren: Ich habe in meiner Zeit als Studentenpfarrer in Bamberg Kontakte geknüpft zu Muslimen und Juden, die mir als sehr intensiv und bereichernd im Gedächtnis geblieben sind. Ich habe einen jüdischen Rabbi und einen Islamwissenschaftler kennen und schätzen gelehrt und von ihnen viel über ihren Glauben gelernt. Und ich hoffe, dass die Gemeinschaft, die ich mit ihnen in dieser Zeit erfahren habe, unsere Zeit und unsere Welt überdauert. Und ich hoffe mit ihnen gemeinsam auf eine Zeit und eine Welt, in der Frieden herrscht – in Ansbach, München, Würzburg, Nizza und überall. Amen. Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen Rektor Dr. Mathias Hartmann