FACHJOURNALISMUS Über den hohen Anspruch der journalistischen Unabhängigkeit im Internet Was für eine Überschrift! Journalistische liegt daran, dass journalistische Internetangebote Unabhängigkeit? Im Internet? in den Augen der Politiker (noch) nicht die BedeuGeht es Ihnen auch so, dass Sie zunächst über tung der traditionellen, klassischen Medien erlangt diese Begriffe (und dann den Zusammenhang der haben. Aber wie ist es um die Einflussnahme seibeiden) stolpern? tens der (Werbe-)Wirtschaft bestellt? Die erste Frage lautet also: Gibt es journalistiDie Medienkrise hat den Druck auf Journasche Unabhängigkeit überhaupt? Können Medien listen verstärkt: Ohne Online-Ableger kommt und Journalisten autonom gegenüber den auf sie heute keine große Zeitung, kein Verlag aus. Doch einwirkenden Kräften agieren? die Internet-Töchter kosten derzeit mehr als sie Meine Antwort: Journalistische Unabhängigeinbringen. Deshalb werden jedem Chefredakteur keit gibt es nicht. Aber: Der Grad der Autonomie oder Redaktionsleiter immer wieder Fragen nach eines Mediums oder des Journalisten, der für dieder (Re)Finanzierbarkeit und dem „Breakeven“ ses Medium tätig ist, lässt sich hauptsächlich daran seiner journalistischen Unternehmung gestellt. messen, wie weit es (oder er) Diesem Druck Stand zu halvon Werbung oder Subventioten, ist schwer. Denn die Mar„Unterscheidet sich das nen (Verkauf, Gebühren) (un) keting-Abteilungen schlagen Medium Internet wesentabhängig ist. immer neue Werbeformen vor Die zweite Frage ist, ob sich lich von anderen Medien?“ und im WorldWideWeb ist das Internet als Medium in seidas journalistische Angebot nen Marktmechanismen wesentsowieso nur einen Mausklick lich von anderen Medien unterscheidet. Ich meine, von der Werbung entfernt. Die Gefahr wächst, dass die ökonomischen Zwänge die journalistische dass die Werbung immer häufiger dem redaktioUnabhängigkeit überall bedrohen – egal ob im nellen Inhalt angepasst, oder umgekehrt - redaktiInternet, in Zeitungen oder in Zeitschriften, im oneller Inhalt mit Werbung vermischt wird. Radio oder im Fernsehen. Am einfachsten scheint dies bei Ressorts wie Aber sehen wir uns doch etwas genauer um. Auto oder Reise zu funktionieren. Ob FAZ.net, Wie unabhängig sind journalistische InternetangeSueddeutsche.de oder Spiegel Online – alle haben bote? diese Sparten im Programm. Und das in einem „Die Redaktion versteht ihr Angebot als weitaus üppigeren Ausmaß als dies bei den Printjournalistisches Informationsangebot [...]. Sie Müttern der Fall ist. Neuwagen-Testberichte berichtet unabhängig, unbeeinflusst und frei von – allesamt positiv natürlich – sind in Hülle und politischen oder wirtschaftlichen Interessen des Fülle verfügbar. eigenen Verlagshauses oder Dritter. Ihr Ziel ist es, Aber es gibt Entwicklungen, die darüber hineinen möglichst hohen Lesernutzen zu stiften. Sie ausgehen. Spiegel Online klinkt eine Anzeige von sieht dazu als unabdingbare Voraussetzung ihre VW („Volkswagen News“) unmittelbar in die journalistische Unabhängigkeit, die wiederum ihre Rubriken-Navigation ein und „Sueddeutsche.de“ Glaubwürdigkeit begründet. Die Mitglieder der macht dieses Nebeneinander von redaktionellem Redaktion verpflichten sich, ihren Möglichkeiten Inhalt und Werbung mit „Audi“ nach. Natürlich entsprechend diese Unabhängigkeit zu wahren.“ distanziert sich die Redaktion von der Werbung (aus: FAZ.NET, Redaktioneller Kodex, Leitlinien – die Anzeige ist als solche gekennzeichnet und der Berichterstattung). „Spiegel Online ist weder für den Inhalt der Soweit die Theorie, der hehre Anspruch der Anzeige noch für ggf. angebotene Produkte verKollegen. Und wie sieht die Praxis aus? Unabantwortlich“, wie es am Fuß der Seite heißt. hängig, vielleicht auch unbeeinflusst und frei von Das mag ja alles stimmen, doch die Seite sieht politischen Interessen mögen die Online-Angeboin Aufmachung und Layout aus, als ob sie redaktite der journalistischen Leitmedien von FAZ über onell gestaltet worden wäre – und das soll auch so Süddeutsche bis hin zu Spiegel & Co. sein. Das vom Nutzer wahrgenommen werden. Denn sonst 9 Fachjournalist Nr. 11 - 2004 FACHJOURNALISMUS machen derartige Werbeformen keinen Sinn. möglich, sagen sie beim ZDF und tatsächlich habe Ein anderes Beispiel, bei dem meiner Meinung ich bisher keinen Anlass gefunden, daran zu zweinach die Grenze überschritten wurde – ebenfalls feln. Aber wird nicht jeder zugeben, dass im Hingefunden bei Spiegel Online: Ich habe meine terkopf immer der Gedanke, „wes Brot ich ess‘, Zweifel, ob das Dossier über Winterreifen („Profil des Lied ich sing‘“, mitschwingt? zeigen – alles über Winterreifen“), das vom ReiFür die genannten Beispiele lassen sich in andefenhersteller Continental „präsentiert“ wird, die ren Medien – insbesondere im Fernsehen – sicher journalistische Unabhängigkeit dokumentiert. Es eine Menge Entsprechungen finden. Das Internet handelt sich eben nicht um den Energieversorger, unterscheidet sich da nicht sehr von den „alten“ der den Wetterbericht im Anschluss an die „Tages- Medien. Die Trennung von Werbung oder Sponthemen“ sponsert, sondern der Werbetreibende soring von redaktionellem Inhalt ist immer wenihat hier ein unmittelbares Interesse an der Art ger ausgeprägt. der Berichterstattung. Und dass diesen Interessen Eine Entwicklung, die die journalistische Rechnung getragen wird, merkt man den Artikeln Unabhängigkeit bedroht, ist (bisher) jedoch nur an. im Internet zu finden: die Tendenz, dass InternetAber auch die öffentlich-rechtlichen Kollegen Provider (Netzbetreiber) redaktionell gestaltete des ZDF zeichnen sich bei der Trennung von Wer- Angebote anbieten und verantworten. Das heißt, bung und Inhalt nicht gerade dass fachfremde, aber für „Kann ein Journalist wirk- die Vermittlung der Inhalte durch Sensibilität aus: Da wird die ZDF-Webseite zum wichtige und verantwortliche lich frei und vollkommen Promi- und Klatschmagazin Unternehmen entscheiden, unbeeinflusst berichten?“ „Leute heute“ mit einem von welche (journalistischen) der Parfümeriekette Douglas Inhalte angeboten werden. betriebenen Online-Auftritt in einer Art und WeiOb T-Online, MSN oder AOL – keines dieser se verlinkt, dass der Eindruck entsteht, die RedakOnline-Unternehmen zeichnete sich bisher durch tion empfehle Douglas-Parfümerieprodukte. journalistische Kompetenz aus. Dennoch zählen Darauf angesprochen, verteidigt sich das ZDF die Internet-Seiten dieser Anbieter zu den erfolgmit dem Hinweis, dass die „Verwertungserlöse“ reichsten und am häufigsten abgerufenen. derartiger Webauftritte dazu führten, dass die Ein redaktioneller Kodex wie bei FAZ.NET Rundfunkgebühren einigermaßen erträglich gehal- oder journalistische Leitlinien? Fehlanzeige! ten würden. Die Online-Angebote von ZDF und dpa und andere Agentur-Feeds werden durchDouglas seien klar getrennt. Das sind sie – jetzt geschleust. Oder „Kooperationspartner“ von – auch, denn das ZDF beendete die Kooperation „Bild“ über „Bunte“ bis „ZDF heute“ bieten auf und nahm die Seiten vom Netz. Ob die Runddiesen Plattformen ihre Stories an. Na und? – Die funkgebühr deshalb erhöht wird? Gefahr dabei besteht darin, dass bei einer stärEbenso bedenklich finde ich die seit Mitte 2001 keren Medienkonzentration diese Anbieter über bestehende Kooperation zwischen dem ZDF und die journalistischen Inhalte entscheiden, dass die T-Online. Die Kollegen betonen immer wieder, journalistische Unabhängigkeit – die ohnehin nur dass die Telekom-Tochter keinen Einfluss auf die ein erstrebenswertes Ideal ist – noch mehr eingeGestaltung oder den Inhalt des heute-t-onlineschränkt wird. Angebots nimmt. Das glaube ich auch – dennoch, ein Beigeschmack bleibt. T-Online zahlt schließlich mehrere Millionen Euro, damit in der „heute“-Sendung auf die Website verwiesen wird. Für Autor: Jörg Sadrozinski, T-Online ein gewaltiger Werbeeffekt und ImageRedaktionsleiter tagesschau.de gewinn. Auf der Strecke bleibt dabei die Glaubwürdigkeit des journalistischen Produkts. Denn: Kann sich ein Journalist wirklich frei machen und vollkommen unbeeinflusst oder unbeeindruckt von einer derartigen Zusammenarbeit beispielsweise über den Kurs der T-Aktie berichten? Ja, das sei Fachjournalist Nr. 11 - 2004 10