Stellungnahme der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e. V. Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V. Bundesgeschäftsstelle Leipziger Platz 15 10117 Berlin Telefon: 0 30 20 64 11-0, Telefax: 0 30 20 64 11-2 04 [email protected] Internet: http://www.Lebenshilfe.de 03.08.2011 Eckpunkte für die Rechtsverordnung zum Präimplantationsgesetz Das am 7. Juli im Bundestag beschlossene Präimplantationsgesetz (PräimpG) sieht einen neuen § 3 a ESchG vor, der in Abs. 3 S. 3 eine Verordnungsermächtigung vorsieht. Hiermit formuliert die Bundesvereinigung Eckpunkte zur Umsetzung dieser Rechtsverordnung. Das Gesetz sieht als Voraussetzung für die Bewilligung von Anträgen für eine Anwendung der PID im Einzelfall unter anderem die positive Entscheidung eines für die PID geschulten Arztes sowie das positive Votum einer interdisziplinär besetzten Ethikkommission vor. Dabei zieht das Gesetz enge Grenzen für die nur in Ausnahmefällen zulässige PID. Im Vorfeld der PID soll – so die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/5451, S. 3 zu B.) – eine sorgfältige Diagnostik nach strengen Kriterien erfolgen, die zur Gewährleistung eines hohen medizinischen Standards lediglich an zugelassenen Zentren stattfindet. Vordringlich erscheint aus unserer Sicht eine Begrenzung der mit der Entscheidung über die Anträge zur PID befassten Zentren. Wir verweisen dabei auf den Vorschlag des Präsidenten der Bundesärztekammer, Dr. Frank Ulrich Montgomery, der sich für eine Begrenzung auf drei Zentren ausgesprochen hat, halten es aber auch für möglich, maximal ein Zentrum pro Bundesland zu zertifizieren. Notwendig erscheint eine Begrenzung der Zentren deshalb, weil nur dann, wenn die Zentren mit einer größeren Fallzahl befasst werden (Ausgangspunkt für die Überlegungen zum PräimpG war die Zahl von etwa 150 bis 200 Paaren pro Jahr, die sich dann auf die Zentren verteilen würde) sichergestellt ist, dass die Zentren über die notwendige Erfahrung im Umgang mit der PID verfügen und damit der gesetzlich geforderte hohe Standard gewährleistet werden kann. Die ärztliche Qualifikation der an den Zentren tätigen Mediziner für die Vornahme der PID muss nachgewiesen sein. Die Entscheidung, ob im vorliegenden Einzelfall eine PID empfohlen werden soll, sollte dabei nicht nur von Reproduktionsmedizinern, sondern unter Einbeziehung von Medizinern, die mit diesen erblich bedingten Krankheitsbildern und Behinderungen bei geborenen Kindern Erfahrung haben, getroffen werden. Vergleichbar den Vorgaben des Schwangerschaftskonfliktgesetzes sollten an den Zentren nicht nur Mediziner, sondern auch Psychologen, Sozialpädagogen und Sozialarbeiter tätig sein, um zudem die nach dem PräimpG vorgesehene medizinische und psycho-soziale Beratung dort zu erbringen, wo auch die PID vorgenommen wird. Bei der Besetzung der Ethikkommissionen halten wir, wie vielfach schon gefordert, eine interdisziplinäre Besetzung für unumgänglich, damit verschiedene Sichtweisen eingebracht werden können. Beteiligt werden sollten neben Medizinern auch Juristen und Ethiker. Dabei regen wir auch die Berücksichtigung von Interessenvertretern behinderter Menschen bei der Besetzung der entsprechenden Kommissionen an. Behindertenverbände wie die Lebenshilfe wären dafür geeignet. Vergleichbar der aufgrund von §§ 12 Abs. 1b Nr.2 und 42 Abs. 3 AMG erlassenen GCPVerordnung sollte die Verfahrensweise der Ethikkommissionen durch die Verordnung eindeutig reguliert werden, um das Ziel des Gesetzes umzusetzen. Dabei hat die Ethikkommission insbesondere die Aufgabe zu entscheiden, ob das gesetzlich geforderte „hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit“bei dem Paar, das eine PID für sich in Anspruch nehmen will, tatsächlich vorliegt. Das zu fordernde hohe Risiko wurde in der ursprünglichen Gesetzesbegründung mit einer Wahrscheinlichkeit von 25-50 % angegeben (Gesetzesbegründung zu Art. 1 Nr. 1 Abs. 2, BT-Drs. 17/5451, S. 8). Dagegen senkt die Begründung zum Änderungsantrag zu § Art. 1 Nr. 1 PräimpG (BT-Drs. 17/6400, S. 16) die Anforderungen an das hohe Risiko für bestimmte genetische Fallkonstellationen wie zum Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V. Seite 2 Beispiel balancierte Translokationen ab, wenn sie ausführt, diese seien prozentual nur schwer erfassbar. Da der Begriff des hohen Risikos in der medizinischen Terminologie ein feststehender ist und eine Wahrscheinlichkeit von 25 bis 50 % beschreibt, sollte hiervon bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer PID nicht abgewichen werden. Weiterhin hat die Ethikkommission zu beurteilen, ob eine schwerwiegende Erbkrankheit vorliegt. Dabei muss die Ethikkommission entsprechend der Zielsetzung des PräimpG, die PID grundsätzlich zu verbieten und nur in Ausnahmefällen zuzulassen, bei der Beurteilung des Einzelfalls insbesondere die erhebliche Schwere des Krankheitsbildes, eine frühzeitige Manifestation, die voraussichtlich geringe Lebenserwartung und die unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten berücksichtigen. Insbesondere bei spätmanifestierenden Krankheiten sollte die PID zwingend auf äußerst schwerwiegende Krankheiten begrenzt werden. Wir weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Gendiagnostikgesetz in § 15 Abs. 2 eine vorgeburtliche Diagnostik hinsichtlich spätmanifestierender Erkrankungen gänzlich untersagt und der ohnehin bestehende Wertungswiderspruch an dieser Stelle entsprechend den gesetzlichen Vorgaben des PräimpG gering zu halten ist. Eine PID ist entsprechend der gesetzlichen Vorgabe des PräimpG weiterhin dann zulässig, wenn die PID zur Feststellung einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen wird, erfolgen soll. Entscheidend für die Zulässigkeit einer PID muss ein – etwa durch vorausgegangene Fehl- oder Totgeburten erwiesenes – konkretes Risiko für die schwerwiegende Störung, die zur Fehl- oder Totgeburt führen wird, sein. Der gesetzgeberischen Intention entsprechend, welche ein Verbot mit Ausnahmeregelung formuliert, kann dagegen ein abstraktes Risiko nicht genügen. Ein Screening mittels PID bei künstlichen Befruchtungen von Frauen ab einer bestimmten Altersgrenze, ab der vermehrt mit genetischen Fehlbildungen zu rechnen ist, oder bei Frauen, bei denen mehrere Zyklen mit Embryotransfer erfolglos geblieben sind, ist mit dem Gesetzeszweck nicht vereinbar. Die PID als Instrument des Aneuploidiescreenings verträgt sich nicht mit der Vorgabe, dass die PID grundsätzlich verboten und nur in Ausnahmefällen erlaubt sein soll. Das PräimpG sieht in seinem Art. 1 Nr. 1 außerdem vor, dass die durchgeführten Maßnahmen der PID einschließlich der Fälle, die von den Ethikkommissionen abgelehnt wurden, in anonymisierter Form an eine Zentralstelle zu melden und dort zu dokumentieren sind. Die hierzu zu erlassene Rechtsverordnung sollte vorrangig das Statistische Bundesamt als die Stelle, die auch die Schwangerschaftskonfliktstatistik erfasst, mit der Aufgabe der Dokumentation der PIDMaßnahmen betrauen. Die Meldung, die der zu bestimmenden Zentralstelle zu übermitteln ist, sollte jeden Zyklus mit PID erfassen und jeweils die genetische Disposition des Elternpaares, die Anzahl der befruchteten Eizellen, die Anzahl der übertragenen Embryonen sowie den genetischen Status aller Embryonen enthalten. Diese Form der Dokumentation ermöglicht die nach jeweils vier Jahren vorgesehene Beurteilung, ob die Vorgaben des Gesetzes die PID als Ausnahmeregelung bei einem hohen Risiko schwerwiegender Erkrankungen zuzulassen, angemessen umgesetzt werden. Berlin, den 3. August 2011 gez. Prof. Dr. med. Jeanne Nicklas-Faust Bundesgeschäftsführerin Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V. Seite 3