Gründonnerstag, 2.4. 2015 »Ich bin der Weinstock« Johannes 15,1–13 Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater der Weingärtner. Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen; und eine jede, die Frucht bringt, wird er reinigen, dass sie mehr Frucht bringe. Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie müssen brennen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger. Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe! Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe. Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde. Solche Rebschenkel und Reiser sind das Brennholz Israels – zusammen mit Olivenbaumästen – schöne Kerle, diese Rebschenkel. Sie eignen sich auch wunderbar zum Dekorieren. Der Weinstock ist schön, ein Symbol des Lebens. Und der Wein ist ein Zeichen der Freude. Wein ist das Getränk, das am Sabbat, am Passafest getrunken wird. Wenn Jesus den Wein auf sich deutet, dann ist der Wein zuerst ein Zeichen des Festes. Bei meinen Großeltern im Schwarzwald wurde kaum Wein getrunken. Man hatte seinen Mooscht im Keller. Am Geburtstag gabs vllt ein Bier. Aber bei Festen, an Weihnachten, bei der Konfirmation, an Geburtstagen, da besorgte man sich einen Wein. So ähnlich war das auch in Israel zur Zeit Jesu. Guter Wein war nicht der Massenartikel. Wein war nicht Alltagsgetränk, wie es vllt bei uns im Unterland der Fall ist. Wein ist das Getränk des Festes. Und wie vor einem gelungenen Fest große Vorbereitungen, Mühen, manchmal auch Durcheinander und Chaos herrschen, so herrscht in diesem irdischen Leben - vor dem Himmel, den Gott uns schenkt – so oft Durcheinander, Druck, Mühe. Gott will uns diesen Druck abnehmen und stellt sich selbst als Weinrebe in die Kelterpresse. Wir feiern unser Leben auf seine Kosten. Das feiern wir an diesem Abend. Mit dem Volk Israel erinnern wir uns an das 1. Passah, den Auszug Israels aus der Sklaverei in Ägypten. Passah ist das Fest der großen Befreiung. Und so wird Gründonnerstag das Fest der Befreiung aus Liebe. In manchen Kirchen findet heute die Fußwaschung statt. Liebesgesten stehen im Zentrum des Gründonnerstags. Die von den Jüngern gescholtene Frau verschenkt mit ihrem Salböl Liebe an Jesus. Salböl im Wert eines Jahreslohnes eines Arbeiters. Jesus wäscht seinen Jüngern die Füße, schenkt ihnen Erholung, Reinigung, ein Zuhause. Jesus feiert das Mahl, trinkt mit ihnen aus einem Kelch, taucht das Brot in eine Schüssel mit ihnen. Befreiung durch Liebe ist das Thema des Gründonnerstags. Liebe und – Verrat. Da ist der Protest des Petrus. Nein, du sollst mir nicht die Füße waschen. Er wehrt sich gegen die Liebe. Später wird er Jesus verleugnen. Morgen, an Karfreitag, werden wir hören, wie sie alle davongelaufen sind und den Ärmsten allein ließen. Nein, es dauert nicht einmal so lange. Sie sind nicht einmal in der Lage, mit ihm zu wachen. Und am Tisch sitzt Judas. Er trinkt vom selben Wein, isst vom selben Brot. Dann schleicht er sich davon und verrät. Sooft wir von diesem Brot essen und von diesem Kelch trinken, erinnern wir uns des Herrn, bis dass er kommt. Wir erinnern uns der grenzenlosen Liebe Gottes. Und die beste Weise, wie wir uns an Gottes Liebe erinnern können, ist die, dass wir selbst lieben. Den Nächsten und den Nächstbesten. Den Fremden und den Ungebetenen. Jesus Christus lädt uns ein. Christus schenkt uns ein. Christus tischt uns auf. Christus ist nicht der Boss, sondern der Gastgeber. Christus ist Speise und Trank. Christus ist das Brot, Christus ist der Weinstock. Christus ist der Tisch, an dem wir sitzen oder stehen. Christus ist die Tür, durch die wir kommen, und der Weg, auf dem wir gehen, wenn wir auch getrennt kommen und, so Gott will, gemeinsam gehen. In früheren Zeiten gehörte es für viele evangelische Christen einfach dazu, dass sie am Gründonnerstag zum Abendmahl gingen. In manchen Ortschaften gingen da vor allem die Männer zum Abendmahl. So viele Männer wie an Gründonnerstag waren wohl nie im Gottes-dienst zu sehen. Die Wirtshäuser machten schlechte Geschäfte. Männer gingen und bekannten Schuld und ließen sich lieben. Es ist schon ein Wunder, wenn wir Männer, wenn wir alle beginnen, etwas von Liebe zu ahnen. Im Jahr 1945, also vor 70 Jahren fand in Nürnberg das Kriegsverbrechertribunal statt. Der amerikanische geistliche Henry Gerecke wurde Seelsorger für die als Kriegsverbrecher angeklagten Nazigrößen: Göring, Ribbentropp, Keitel und wie sie alle hießen. Pastor Gerecke berichtet: Im Gefängnis wurde eine kleinen Kapelle eingerichtet, wo die Gottesdienste gehalten werden konnten. Ein früherer Obersleutnant der SS war unser Organist. Sauckel war der erste, der sein Herz dem Evangelium öffnete. Er war Vater von 10 Kindern und hatte eine gläubige Frau. Nach einigen Besuchen knieten wir an seinem Bett und er sprach das Gebet des Zöllners: „O Gott, sei mir Sünder gnädig“. Dann baten Fritsche, von Schirach und Speer um Zulassung zum Abendmahl. Raeder, das Haupt der deutschen Seemacht, war ein eifriger Bibelleser geworden, der stets mit unklaren Bibelstellen zu mir kam, und auch er nahm bald mit uns beim Abendmahl teil. Dann kam die Verkündigung der Urteile. In den Nürnberger Annalen verzeichnet als das „Jüngste Gericht“. 10 Gefangene wurden zum Tod verurteilt, andere zu teils lebenslangem Gefängnis. Der Seelsorger berichtet, wie die Gefangenen auf sehr unterschiedliche Weise Abschied nahmen: von ihren Frauen, vom Leben und auch von ihrem verbrecherischen Taten. Frick versicherte mir kurz vor seinem Tode, dass er auch an das reinigende Blut Glaube und dass er während unserer eigenen Gottesdienste Jesus Christus begegnet sei. Streicher blieb eiskalt bis zuletzt und ging mit einem trotzigen „Heil Hitler“ in die Ewigkeit hinüber. „Tag und Nacht blieben wir nun bei denen, deren Seelen uns Gott anvertraut hatte. Bei einigen wiederholten wir unseren Besuch 4- oder 5mal am Tag. Ribbentrop und Keitel lasen den ganzen Tag in der Bibel. Sauckel betete stets in seiner Zelle sein Lieblingsgebet „O Gott, sei mir Sünder gnädig“. Diese drei feierten zum letzten Mal in ihrer Zelle das Abendmahl. Gott hat ihre Herzen verändert. Und jetzt, angesichts des nahen Todes, beim Verlust aller materiellen Dinge und auch ihres unwürdigen Lebens durften sie die Verheißung Gottes für einen armen Sünder erfassen. Möge Gott auch ihre mit Sünden beladenen Seelen angenommen haben. Ja, liebe Gemeinde, die Liebe Gottes in Jesus Christus ist stark, unglaublich stark. Gott sei Dank ist sie so stark. Denn wir alle alle sind auf diese Liebe angewiesen. Niemand von uns ist ohne Schuld. Eines jedes von uns macht sich täglich schuldig, mit Taten, Worten und Gedanken. Hand aufs Herz, wer von uns ist davon frei? Am letzten Freitag titelt meine Tageszeitung: „Copilot ließ Airbus absichtlich abstürzen“. So oder ähnlich taten es fast alle Zeitungen und Medien. Ohne dass zweifelsfrei erwiesen ist, dass diese Version, die die ganze Welt übernommen hat, tatsächlich stimmt. „Es kann ja sein, dass es so war. Doch oft sehen die Dinge am Ende anders aus, als es zunächst den Anschein hat“. So sagt ein erfahrener Pilot in der ZEIT. „Was ist mit der Unschuldsvermutung? Warum wartet man nicht, bis die Untersuchungen abgeschlossen sind? Hier wird binnen drei Tagen ein Schuldiger dem Volk vorgeführt. Dabei gibt es kaum Beweise. Versetzen Sie sich in die Lage der Eltern des Copiloten: die Meute und die Medien verurteilen Ihr Kind für etwas, für das es noch keine Beweise gibt. Was ist, wenn Ihr Kind es am Ende doch nicht war?“ Diese Sätze haben uns zuhause sehr nach-denklich gemacht. Was bringt uns dazu, jemanden als Schuldigen hinzustellen – nur aufgrund einiger Geräusche des Stimmen-Rekorders. Und wie oft passiert uns das im Alltag, dass wir urteilen, den Stab über andere brechen. Dass wir über andere reden, statt mit ihnen? „Herr, wenn du Sünden anrechnen willst, Herr wer wird bestehen?“ Das Abendmahl ist unglaublich stark. Auch heute Abend, wenn wir dieses göttliche Geschenk empfangen dürfen. Heilger Kelch, sei mir gesegnet, weil mir der mit dir begegnet, dessen Blut mich lässet finden die Vergebung aller Sünden. Dass ich einen Heiland habe, der die matte Seele labe, muss dies nicht mein Dürsten stillen und mein Herz mit Wonne füllen? Amen Gott, ich danke dir für Reben und Wein. Ich danke dir für alles, was ich ernten darf. Ich danke dir, dass ich beschenkt werde mit überraschender Liebe. Ich danke dir, dass ich schenken darf und andere sich freuen an mir. Halte mir einen Platz frei an deinem Tisch, eine Rebe an deinem Weinstock, ein wenig Heimat unter dem Lebensbaum. Mache ein Ende mit meinen Bedenken. Nimm weg meine Sünde. Fülle mich bis zum Rand mit Liebe.