Wenz, Prof. Dr. Gunther Samstag, 16.00 Uhr Pressezentrum Sperrfrist: 15.05.2010; 16.00 Uhr Programmbereich: Themenbereich 4: Glauben leben Veranstaltung: Podienreihe Ökumenische Brennpunkte: Im Dienst des EINEN Herrn Referent/in: Prof. Dr. Gunther Wenz, München Ort: Halle C1, Messegelände Programm Seite: 235 Dokument: BRP_003_1189 Kirche im eigentlichen Sinn Ekklesiologische und amtstheologische Perspektiven Zur Jahrtausendwende wurde den reformatorischen Kirchen von offizieller vatikanischer Seite attestiert, dass sie nach römisch-katholischer Lehre keine Kirchen im eigentlichen Sinne seien; sie könnten daher auch nicht als Schwesterkirchen anerkannt werden. Dieses schroffe Urteil hat die römische Kongregation für die Glaubenslehre später mit Zustimmung von Papst Benedikt XVI. in dürren Worten wiederholt. Über den Anlass des erneuten Verdikts kann man rätseln; an seiner Begründung hat sich nichts geändert: den aus der Reformation hervorgegangenen kirchlichen Gemeinschaften – von Kirchen ist bewusst nicht die Rede – fehle ein hierarchisch geordnetes Weihepriestertum mit rechtmäßigen Bischöfen, die in der Nachfolge der Apostel gemeinsam mit dem Papst als Nachfolger Petri ihres Amtes walten. Wegen dieses Mangels sei im Protestantismus die ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums nicht bewahrt worden. Die Weigerung Roms, evangelischen Christen abgesehen von ganz wenigen Ausnahmefällen die Teilnahme an der Messe zu gewähren, folgt daraus ebenso wie das lehramtliche Verbot für Katholiken, das evangelische Abendmahl zu empfangen. Die harte Haltung Roms hat zu ökumenischen Verstimmungen geführt. Doch sollte man es evangelischerseits nicht beim Ärger belassen, sondern ökumenisch aufgeschlossen und argumentativ das eigene Kirchenverständnis verdeutlichen. Was ist Kirche? Das Grundbekenntnis der Reformation, die Confessio Augustana von 1530, gibt auf diese Frage eine bündige Antwort: „Die Kirche ist die Versammlung aller Gläubigen, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die Sakramente stiftungsgemäß dargereicht werden.“ Kirche ist Gottesdienstgemeinschaft. Wo Menschen zum Hören des in der Hl. Schrift beurkundeten Wortes und zur sakramentalen Feier zusammenkommen, um im Glauben Anteil zu gewinnen an dem Heil, das Gott uns durch Jesus Christus bereitet hat, da verwirklicht sich Kirche im eigentlichen Sinn. Sie ist, wie Luther sagt, kein steinernes Haus, nicht eine nach Art eines Staates verfasste Institution, sondern das versammelte Volk Gottes, das sein Dasein im Glauben an das Evangelium hat, wie es der Hl. Geist durch Wort und Sakrament als Kennzeichen der Kirche verbürgt. Kirche im eigentlichen Sinn verwirklicht sich überall und immer, wo und wann der Hl. Geist durch das Evangelium Jesu Christi Glauben wirkt. Konkrete Gegenwartsgestalt nimmt die Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers. −2− Kirche in der lokalen Gottesdienstgemeinde an. Doch ist jede Ortsgemeinde ihrem Wesen nach mit einem universalkirchlichen Bezug versehen und über die Grenzen von Raum und Zeit hinweg im gemeinsamen Bekenntnis des Glaubens unveräußerlich mit der ganzen Christenheit auf Erden zu allumfassender Einheit verbunden. Das Wort „katholisch“ stammt aus dem Griechischen und heißt übersetzt „allgemein, das Ganze betreffend, universal“. So verstanden bekennt sich evangelischer Glaube genauso entschieden zur Katholizität wie zur Einheit, Heiligkeit und Apostolizität der Kirche. Ihrem Selbstverständnis gemäß hat die evangelische Kirche keineswegs erst im 16. Jahrhundert ihren Anfang genommen; sie weiß sich vielmehr mit dem apostolischen Ursprung und Grund der ungeteilten Christenheit kontinuierlich verbunden. Auch in räumlicher Hinsicht anerkennt sie keine äußeren Schranken ihrer Realisation. Es gibt evangelische Landeskirchen und eine Evangelische Kirche in Deutschland, aber keine evangelische Kirche, für deren Wesen Deutschsein oder ethnische Zugehörigkeit von Bedeutung wäre. Evangelisches Christentum ist auf Ökumene, d.h. auf den ganzen Weltkreis ausgerichtet, Katholizität kein Alleinstellungsmerkmal des römischen Katholizismus. Fehlt den Reformationskirchen ein ordnungsgemäßes Amt? Auf diese Frage ist zunächst mit dem Hinweis zu antworten, dass das kirchliche Amt öffentlicher Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung nach evangelischer Lehre wesentlich zum Kirchesein der Kirche gehört. Zu seiner Wahrnehmung bedarf es einer ordnungsgemäßen Berufung unter Gebet und Handauflegung durch Repräsentanten der Gesamtkirche. Als geordneter Dienst an Wort und Sakrament ist das besondere Amt, zu dem die Kirche in göttlichem Auftrag beruft, allein dem schriftgemäßen Evangelium und nicht etwa dazu verpflichtet, den jeweiligen gemeindlichen Mehrheitswillen zu vertreten. Es verdankt sich keiner Delegation der Gemeinde und steht als Institution nicht in deren Verfügungsgewalt. Die evangelische Ordnung des kirchlichen Amtes beinhaltet aber ebenso, dass kirchenamtliche Autorität in keiner ihrer Gestalten ununterscheidbar mit der Vollmacht des Evangeliums gleichgesetzt werden darf. Das kirchliche Amt hat seinen Dienst stets inhaltlich zu legitimieren und kann ihn sachgemäß niemals auf bloß formalautoritative Weise verrichten. Infolgedessen haben die Gemeindeglieder nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, kirchliche Amtsvollzüge auf der Basis der Hl. Schrift und des gemeinsamen Glaubensbekenntnisses auf ihre Sachgemäßheit hin zu überprüfen. Amtskritik ist möglich und gegebenenfalls geboten. Ein Exklusivanspruch auf die christliche Wahrheit und ihre Gewährleistung kommt dem kirchlichen Amt nach evangelischem Verständnis nicht zu. Dagegen steht die geistliche Gleichheit aller getauften Glaubenden und ihre Teilhabe am allgemeinen Priestertum. Seine Allgemeinheit im Sinne der Katholizität der Kirche zu fördern und zu wahren, ist eine Aufgabe, die dem kirchlichen Amt in besonderer Weise aufgetragen ist. Es ist seinem Wesen nach Dienst an der Einheit der Vielen durch öffentliche Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung nach Maßgabe der Hl. Schrift. Zentrale Aufgabe des kirchlichen Amtes, zu dem Männer und Frauen bei gegebener Eignung gleichermaßen berufen werden können, ist die Leitung des Gottesdienstes der versammelten Gemeinde. Unbeschadet möglicher Sonderformen ist daher das Ortspfarramt die evangelische Grundgestalt kirchlichen Amtes. Weil aber jede Ortsgemeinde wesentlich mit einem universalkirchlichen Bezug verbunden ist, muss es auch nach evangelischer Auffassung Ämter überörtlicher Aufsicht und Kirchenleitung geben. Diejenigen, die diesen episkopalen Dienst ausüben, werden traditionell Bischöfe genannt, obwohl es auf den Begriff als solchen nicht ankommt. Worauf es ankommt ist die institutionelle Wahrnehmung universalkirchlicher Bezüge. Gemeindevisitationen gehören daher ebenso zu den bischöflichen Grundaufgaben wie die Mitwirkung bei Ordinationen kirchlicher Amtsträger und Amtsträgerinnen. Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers. −3− Kennt sonach auch die evangelische Kirche unterschiedliche Gliederungsformen des kirchlichen Amtes und unterschiedliche Reichweiten der jeweiligen Dienstaufträge, so wird dadurch dennoch die wesentliche Einheit von Ortspfarramt und überörtlichem Leitungsamt nicht aufgehoben. Beide sind einander nicht nach Weise einer geistlichen Hierarchie und nach Art abgestufter Weihegrade zugeordnet. Generell gilt, dass sich die Struktur evangelischer Kirche nicht in Form einer Pyramide abbilden lässt. Ihre Verfassung strebt denn auch auf kein monarchisches Spitzenamt zu, dem unter Umständen Unfehlbarkeit in kirchlichen Glaubens- und Sittenfragen oder der Primat universalkirchlicher Jurisdiktion zuzuerkennen wäre. Dies wird unter anderem daran deutlich, dass evangelische Kirchenverfassungen gemeindliche Mitwirkungsrechte synodaler Art auf allen Ebenen kirchlicher Leitung vorsehen. Kirchliche Einheit gewährleistet kein einzelner Christ allein und auch keine gesonderte Gruppe von Christen. Sie nimmt verfasste Gestalt in Form einer Verantwortungsgemeinschaft Verschiedener an, deren individuelle Verschiedenheit, ohne aufzuhören, in Christus ihren trennenden Charakter verloren hat. Ihr Kriterium findet die Einheit der Kirche am Gehalt des in der Hl. Schrift beurkundeten Evangeliums Jesu Christi, dem alle Gestalten kirchlichen Amtes dienend zugeordnet sind. Daran hat sich auch die Vorstellung apostolischer Sukzession zu bemessen. Sie zielt auf die inhaltliche Übereinstimmung mit dem Evangelium, dessen berufene Erstzeugen die Apostel waren. Das kirchliche Amt in der Nachfolge der Apostel ist öffentlicher Dienst am apostolischen Evangelium. Das Zeichen, unter dem die Berufung zu diesem Dienst erfolgt, ist bedeutsam und prägend, auch wenn die Vorstellung einer bis zu den Aposteln zurückreichenden ununterbrochenen Kette bischöflicher Handauflegungen historisch ebenso unhaltbar ist wie die Annahme, Benedikt XVI. sei der 265. Nachfolger des Apostels Petrus. Nicht auf historische Fiktionen, sondern auf die zeichenhaft wirksame Berufung zum Dienst der öffentlichen Verkündigung des apostolischen Evangeliums in Wort und Sakrament und darauf kommt es an, dass das kirchliche Amt in allen seinen Gestalten durch den Gehalt des Evangeliums begründet und begrenzt ist. Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.