Schwerpunkt Herz & Sport

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KARDIOFORUM
1 09
Aus der Klinik für die Praxis
2. Jahrgang
Schwerpunkt
Herz & Sport
Aktuelle Bedeutung
minimalinvasiver Strategien
in der Herzchirurgie
Die dicke linksventrikuläre Wand
Nephroprotektion
50 Jahre implantierter Herzschrittmacher
Anatomie als Kunst
Meditext Dr. Antonic
www.kardioforum.com
Herausgeber:
Prof. Dr. Michael Block Klinik Augustinum München Prof. Dr. Johannes Brachmann Klinikum Coburg Prof. Dr. Thomas
Budde Alfried Krupp Krankenhaus, Essen Prof. Dr. Harald Darius Vivantes Klinikum Neukölln, Berlin Prof. Dr. Bernd-Dieter
Gonska St. Vincentius-Kliniken, Karlsruhe Prof. Dr. Dietrich Gulba Krankenhaus Düren Prof. Dr. Dieter Horstkotte Herz- und
Diabeteszentrum NRW, Bad Oeynhausen Prof. Dr. Matthias Leschke Klinikum Esslingen a. N. Prof. Dr. Wolfgang Motz Herzund Diabeteszentrum Mecklenburg-Vorpommern, Karlsburg Prof. Dr. Michael Oeff Städt. Klinikum Brandenburg,
Brandenburg Prof. Dr. Ernst Vester Evangelisches Krankenhaus, Düsseldorf
Editorial
Prof. Dr. med. Herbert Löllgen
Präsident der Deutschen Gesellschaft
für Sportmedizin und Prävention e. V.
Bermesgasse 32
42897 Remscheid
[email protected]
Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,
Die Funktion von Herz- und Kreislauf ist für jede körperliche Aktivität ein zentrales Geschehen. Seit vielen Jahren werden Bewegung, körperliche Aktivität und Sport bei Prävention, Therapie und Rehabilitation eingesetzt, hier liegen umfangreiche evidenz-basierte Daten vor. Dabei geht es nicht primär um eine Lebensverlängerung durch körperliche Aktivität, sondern auch um eine verbesserte Lebensqualität, und dies vor allem im Alter. Den positiven Auswirkungen
körperlicher Aktivität bei kardiovaskulären Erkrankungen, metabolischen und zerebralen Veränderung steht ein Risiko
im Breitensport und Leistungssport entgegen. Vor allem bei Wiedereinsteigern, Menschen mit mehreren Risikofaktoren und angeborenen oder familiär bedingten Krankheiten kann beim Sport ein Risiko auftreten. Die Forderung nach
einer Vorsorgeuntersuchung betrifft somit alle körperlich aktiven Personen, aber auch solche, denen eine regelmäßige
Aktivität vom Hausarzt angeraten wird. Die Vorsorgeuntersuchung erfolgt primär zur Gesundheitsvorsorge, also zur Erkennung möglicher Gefährdungen im Sport. Sie kann aber auch zur Leistungsdiagnostik und Trainingsberatung erweitert werden.
Obligat zur Vorsorgeuntersuchung gehören die Fremd- und Eigenanamnese. Diese kann durch eine Art Fragebogen
vereinfacht und für den Arzt zeitlich entlastend erfolgen. Die körperliche Untersuchung ist immer obligat, das Herz
muss im Liegen und Stehen abgehört werden. (Einzelheiten einer S1-Leitlinie zur Vorsorgeuntersuchung finden sich
unter www.dgsp.de). Strittig ist die Durchführung eines Ruhe-EKG. Dieses wird wegen möglicher falsch positiver Ergebnisse in den USA nicht, in Europa dennoch empfohlen, in Deutschland ist es obligater Teil der Vorsorgeuntersuchung. Probleme sind dabei die Spezialkenntnisse des EGK beim Sportler. Hier sind eine Zusatzausbildung oder Beratung durch die DGSP hilfreich ([email protected]), die enge Zusammenarbeit mit einem sportkardiologisch versierten Arzt
ist sinnvoll.
Ziel der Vorsorgeuntersuchung ist somit die Früherkennung einer Gefährdung durch strukturelle Herzerkrankungen
oder „elektrische“ Störungen wie Jonen-Kanal-Erkrankungen oder ähnliche Veränderungen. Bei über 35jährigen steht
aber die koronare Herzkrankheit als Gefährdung weit im Vordergrund. Die Durchführung eines Belastungs-EKG gehört
nicht zu den obligaten Verfahren, wird aber, auch bei beschwerdefreien Personen über 50 Jahren, vor Beginn eines intensiven körperlichen Trainings empfohlen. Liegt mehr als ein Risikofaktor vor, sollte ein Belastungs-EKG immer erfolgen. Die Leitlinien der DGK, und DGSP (www.dgsp.de) sind zu beachten, vor allem aber die aktuellen Empfehlungen
aus der Literatur und der amerikanischen Herzgesellschaft (2007).
Bei Leistungssportlern erfolgt die Vorsorgeuntersuchung in der Regel als Kaderuntersuchung zu Lasten der Sportorganisationen. Breitensportler müssen diese Untersuchung selber bezahlen, die Kosten liegen etwa im Bereich guter
Laufschuhe. Als Defizit in Deutschland sind fehlende prospektive Analysen kardialer Zwischenfälle im Sport, sei es bei
Fußballspielen oder Marathonläufen. Solche Register sind in USA vorhanden und erlauben eine wesentlich bessere Erfassung der Häufigkeit und Ursachen. Hier bestehen Bemühungen, ein solches Register in Deutschland aufzubauen,
jedoch fehlt es noch an Kooperationspartnern.
Herbert Löllgen
Inhalt
4
Herzklappenfehler und Sport: Wer darf was?
8
Sport und ICD
10
Stellenwert der Spiroergometrie in der Leistungsdiagnostik von Breiten- und Spitzensportlern
12
Leistungsentwicklung im Handball
13
„Sport mit Herz“ – Sportscreening in Ostwestfalen-Lippe (OWL)
15
Safety Arena: Medizinische Versorgung von Zuschauern bei sportlichen Großereignissen
16
Die EKG-Kolumne
18
Pulmonalvenenisolation als primärer Therapieschritt bei einem Sportler mit paroxysmalem
tachykarden Vorhofflimmern
20
Die Bedeutung körperlichen Trainings bei Patienten mit Herzinsuffizienz
22
Tradition, Innovation und Fortschritt – Gespräch mit Prof. Dr. Jan Gummert
24
Aktuelle Bedeutung minimalinvasiver Strategien in der Herzchirurgie
28
Die „dicke linksventrikuläre Wand“ – Trainingseffekt oder Kardiomyopathie?
32
Kardiologie in Düren: Dietrich C. Gulba – Leidenschaft für das Herz
36
Herz und Diabetes aus der Sicht der Rehabilitation
38
Hypertrophe Kardiomyopathie – könnte es Morbus Fabry sein?
40
Nephroprotektion
44
Somnologische Notizen
46
Praxishomepage richtig gestalten – Abmahngefahr bannen
48
Der implantierte Herzschrittmacher ist 50
52
Anatomie als Kunst
Impressum
Chefredaktion: Werner Waldmann MA, Marion Zerbst
Tel.: 07 11/7 65 64 94, Fax: 07 11/7 65 65 90;
diese Angaben genau dem Wissensstand bei Drucklegung der Zeitschrift entsprechen.
Herausgeber:
Redaktion: Dr. med. Mihovil Antonic, Dr. J. Roxanne Dossak,
ISDN (Leonardo): 07 11/7 67 89 15
Dennoch sollte jeder Benutzer die Beipackzettel der verwendeten Medikamente selbst
Prof. Dr. Michael Block (Klinik Augustinum, München)
Anne Greveling, Simone Harland, Dr. Werner Kafka, Andrew Leslie
Prof. Dr. Johannes Brachmann (Klinikum Coburg, Coburg)
Layout: Ursula Pieper
KARDIOFORUM erscheint viermal im Jahr. Das Magazin kann zum Preis von Euro 32
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Prof. Dr. Thomas Budde (Alfried Krupp Krankenhaus, Essen)
Herstellung: Elke Werner, Karolina Stuhec-Meglic
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Zeitschrift abweicht. Leser außerhalb der Bundesrepublik Deutschland müssen sich nach
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Verlagsleitung: Dr. Magda Antonic
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Zeitschrift eine Applikation oder Dosierung angegeben ist, darf der Leser zwar darauf
Prof. Dr. Ernst Vester (Evangelisches Krankenhaus, Düsseldorf)
E-Mail: [email protected]
vertrauen, dass Autor, Redaktion und Verlag größte Mühe darauf verwandt haben, dass
2
Kardioforum 1 | 2009
prüfen, um in eigener Verantwortung festzustellen, ob die dort gegebene Empfehlung für
ISSN: 1866-1408
Kardioforum 1 | 2009
3
Herzklappenfehler und Sport:
Wer darf was?
Dieter Horstkotte, Cornelia Piper, Klaus-Peter Mellwig
Korrespondenzadresse:
Univ.-Prof. Dr. med.
Dieter Horstkotte
[email protected]
PD Dr. med. Cornelia Piper
[email protected]
Dr. med. Klaus-Peter Mellwig
[email protected]
Kardiologische Klinik,
Herz- und Diabeteszentrum
Nordrhein-Westfalen
Universitätsklinik der
Ruhr-Universität Bochum
Georgstraße 11
32545 Bad Oeynhausen
4
Kardioforum 1 | 2009
eratungen über empfehlenswerte
körperliche Belastungen und zumutbare sportliche Aktivitäten bei Patienten
mit Herzklappenfehlern erfordern eine
individuelle Beurteilung der Art und
Schwere des Klappenfehlers, der myokardialen Adaptation an die chronische
Druck- und/oder Volumenbelastung und
eine kritische Beurteilung der Art der Belastung. Für den letzten Aspekt sind relevante körperliche Betätigungen/Sportarten nach dem Ausmaß ihres dynamischen (Klasse A, B oder C) bzw. statischen Anteils (Klasse I, II, III) kategorisiert worden, so dass sich neun Belastungsgruppen ergeben (Tabelle 1).
Die nachfolgenden Empfehlungen der
B
sportkardiologischen Abteilung des
Herz- und Diabeteszentrums NRW
haben Niederschlag in den Empfehlungen der Europäischen Kardiologischen
Gesellschaft gefunden (vgl. European
Journal of Cardiovascular Prevention and
Rehabilitation 2008;15:95–103).
Im Folgenden soll auf die drei für
Deutschland wichtigsten erworbenen
Herzklappenfehler, die Aortenstenose
(AS), die Aorteninsuffizienz und die Mitralinsuffizienz, fokussiert werden. Bei
der inzwischen sehr selten gewordenen
Mitralstenose ergibt sich die Limitierung
der körperlichen Leistungsfähigkeit in
aller Regel über die belastungsassoziierte Dyspnoe. Patienten mit Mitralstenose
ist unbedingt zu empfehlen, beim Auftreten von Luftnot
die Belastung zu beenden.
Aortenstenose
Die um den transaortalen Gradienten erhöhte linksventrikuläre Druckbelastung wird bei der AS durch die konzentrische Hypertrophie des linksventrikulären Myokards
kompensiert: Durch Zunahme der Muskelmasse und Abnahme des Radius des linken Ventrikels bleibt die Wandspannung trotz Anstiegs des intrakavitären Drucks konstant (myokardiale Adaptation). Das durch die Kavumverkleinerung abnehmende enddiastolische Volumen wird
durch Kontraktilitätssteigerung wettgemacht, sodass das
Schlagvolumen konstant bleibt. Die linksventrikuläre Hypertrophie mit konsekutiver Vermehrung auch des Kollagens resultiert aber früh in einer Störung der diastolischen LV-Funktion mit Anstieg des Pulmonalarteriendrucks und kann so zu Luftnot führen. Die myokardiale
Maladaptation an die Druckbelastung ist zunächst charakterisiert durch Verlust der linksventrikulären Kontraktilitätsreserve (kein Anstieg der Ejektionsfraktion [EF] unter
dynamischer Belastung), später durch Zunahme der linksventrikulären Diameter („exzentrische Hypertrophie“)
und schließlich durch reduzierte EF auch unter Ruhebedingungen. Die patientenseitige Angabe, asymptomatisch zu sein, ist vor der Beratung über zumutbare körperliche Belastungen in jedem Fall zu objektivieren. Dies
gelingt in Ergänzung zu EKG und Echokardiographie am
zuverlässigsten mittels Spiroergometrie.
Die Schwere der AS wird über die Klappenöffnungsfläche (KÖF), nicht über den schlagvolumenabhängigen
Druckverlust („Gradient“) erfasst. Eine KÖF >2,5 cm²
charakterisiert eine triviale, eine KÖF >1,5 cm² eine leichte, KÖF >1,0 cm² eine mittelgradige und KÖF <1,0 cm²
eine schwere AS.
Folgende Belastungen können empfohlen werden:
• Asymptomatische Patienten mit trivialer AS, normaler
Kontraktilitätsreserve und kardiopulmonaler Leistungsfähigkeit in der Spiroergometrie (Weber-Klasse A) entwickeln auch unter höhergradiger Belastung keine signifikanten Druckgradienten. Meist handelt es sich hier um
junge Patienten mit angeboren bikuspider Aortenklappe.
Auch Wettkampfsport muss diesen Patienten nicht verboten werden. Sportkardiologische Untersuchungen bei
Wettkampfsportlern sollten alle 6 Monate erfolgen, bei
Freizeitsportlern alle 12 Monate.
• Asymptomatische Patienten mit leichter AS, normaler
Kontraktilitätsreserve und Weber-A-Ergebnissen in der
Spiroergometrie (CPX) sollten nur dynamische sportliche
Aktivitäten der Klassen A und B bzw. statische Belastungen der Klassen I und II absolvieren.
• Asymptomatische Patienten mit mittelgradiger AS und
normaler Kontraktilitätsreserve/kardiopulmonaler Leistungsfähigkeit sollten ihre Belastungen auf dynamische
Belastungen der Klasse A und statische Belastungen der
Klasse I beschränken.
• Ohne sportkardiologische Abklärung ist folgenden Patienten keine sportliche Betätigung zu empfehlen: Patienten mit mittelgradiger Aortenstenose und Symptomen
(Synkopen, Schwindel, Palpitationen, Angina pectoris)
oder Kammerendteilveränderungen in den linkspräkordialen Brustwandableitungen, CPX-Ergebnissen mit einer
Weber-Klasse schlechter als A sowie Patienten mit erheblicher linksventrikulärer Hypertrophie (Wanddicken
>15 mm).
• Ein Sportverbot muss für Patienten mit hochgradiger
Aortenstenose und/oder mittelgradiger Aortenstenose,
aber erschöpfter Kontraktilitätsreserve bzw. schon in
Ruhe eingeschränkter Auswurfleistung ausgesprochen
werden. In diesen Fällen ist die Indikation zum Klappenersatz gegeben oder der optimale Interventionszeitpunkt
Kardioforum 1 | 2009
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Tabelle 1: Klassifikation sportlicher Belastungen
dynamisch
niedrig (A)
mittel (B)
hoch (C)
Bowling/Kegeln
Golf
Nordic Walking
Wandern
Tischtennis
Tennis (Doppel)
Volleyball
Badminton
Ski-Langlauf
Langstreckenlauf
mittel (II)
Auto-/Motorradrennen
Tauchen
Reiten
Segeln
Gymnastik
Karate/Judo
Hometrainer/Steppen
Leichtathletik
(Sprinten/Springen)
Fahrrad, Wandern
Lauf
(Mittel-/Langstrecke)
Schwimmen
Basketball
Fußball
Handball
Hockey
Tennis (Einzel)
hoch (III)
Wasserski
Windsurfen
Leichtathletik
(Wurfsportarten)
Bodybuilding
Ski-Abfahrt
Snowboard
Fahrradfahren
(Rennen)
Kanufahren
Rudern
statisch
niedrig (I)
bereits verpasst, sodass eine rasche fachkardiologische
Untersuchung zwingend ist.
Bei Patienten mit erfolgreichem Klappenersatz ist zu
berücksichtigen, dass durch rasche, meist in den ersten
sechs Kalendermonaten abgeschlossene Hypertrophieregressionen und sehr viel langsamer ablaufende Regression der intrakardialen Fibrose in aller Regel eine nicht unerhebliche Zunahme der myokardialen Steifigkeit und
damit der diastolischen Dysfunktion auftritt. Es kann deshalb durchaus sein, dass präoperativ asymptomatische
Patienten nach der Operation symptomatisch werden
oder symptomatische Patienten über eine Aggravierung
ihrer Symptome berichten. Vor der Beratung über zumutbare körperliche Belastungen ist deshalb in jedem individuellen Fall eine Reevaluation mit Durchführung eines
EKGs, eines Langzeit-EKGs und einer Echokardiographie,
ggf. auch einer Stress-Echokardiographie erforderlich.
Aorteninsuffizienz
Die Aorteninsuffizienz (AI) resultiert in einer Volumenbelastung des linken Ventrikels mit Zunahme des enddiastolischen Volumens und der linksventrikulären Muskelmasse. Die LV-Wandspannung ist erhöht. Ist die AI hämodynamisch kompensiert, sind effektives Schlagvolumen und Herzminutenvolumen in Ruhe normal und unter
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Kardioforum 1 | 2009
Belastung normal steigerbar (erhaltene Kontraktilitätsreserve). Das totale linksventrikuläre Schlagvolumen ist um
die Regurgitationsfraktion erhöht, sodass eine hohe Blutdruckamplitude (erhöhter systolischer, erniedrigter diastolischer Blutdruck) bei normalen mittleren Blutdruckwerten resultiert.
Folgende Empfehlungen können ausgesprochen werden:
• Patienten mit Aorteninsuffizienz und normalem enddiastolischem Durchmesser, erhaltener Kontraktilitätsreserve (Anstieg der linksventrikulären Ejektionsfraktion unter
Belastung um mindestens 5% des Ausgangswertes bei
einer Ruhe-EF von mindestens 60%) sollten nicht gehindert werden, sportliche Aktivitäten jedweder Art (vgl. Tabelle 1) zu betreiben, da in diesen Fällen das geringe Regurgitationsvolumen allein durch Steigerung der Ejektionsfraktion (Mobilisation des Reserveblutes) kompensiert
wird.
• Asymptomatischen Patienten mit mittelgradiger Aorteninsuffizienz, aber erhaltener Kontraktilitätsreserve und
normalen Leistungsparametern während Spiroergometrie
kann eine dynamische Belastung der Gruppe A und eine
statische Belastung der Gruppe I empfohlen werden.
• Für alle anderen Patientengruppen mit Aorteninsuffizienz sowie für Patienten mit leichter Aorteninsuffizienz
und unter Punkt 1 genannte Patienten, die eine Dilatation der
aszendierenden Aorta >50
mm aufweisen, ist Wettkampfsport nicht zu empfehlen
und gelegentlicher Freizeitsport
(bis 20 Minuten pro Tag) auf die Belastungsarten A/I zu beschränken.
Mitralinsuffizienz
Die Pathophysiologie der Mitralinsuffizienz ist gekennzeichnet
durch hohe Nachlast und niedrige
linksventrikuläre Impedanz. Die
niedrige linksventrikuläre Impedanz (Gesamtwiderstand, gegen
den der linke Ventrikel Volumen
fördert) ergibt sich aus der Regurgitation in den in aller Regel vergrößerten linken Vorhof gegen
sehr geringen Widerstand zu
einem Zeitpunkt, da die Aortenklappe noch geschlossen
ist (eigentliche isovolumetrische Kontraktionsphase). Dadurch kann sich der linke Ventrikel eines großen Teils seines erhöhten enddiastolischen Volumens praktisch
ohne Kraftaufwendung entledigen. Erst nach Öffnen der
Aortenklappe fördert der Ventrikel Volumen auch gegen
Systemwiderstand.
Das
um die Regurgitationsfraktion geminderte antegrade Auswurfvolumen
resultiert
in
einem relativen Volumenmangel mit reflektorischer Erhöhung des periphervaskulären Widerstands zur
Aufrechterhaltung eines normalen Blutdrucks. Aufgrund
der Impedanzverhältnisse und des hohen Regurgitationsvolumens in den linken Vorhof sind bildgebende Verfahren grundsätzlich ungeeignet, um die Kontraktilität des
linken Ventrikels zu beurteilen. Eine normale oder sogar
erhöhte linksventrikuläre Ejektionsfraktion ist bei der Mitralinsuffizienz nicht gleichzusetzen mit einer erhaltenen
linksventrikulären Kontraktilität! Es ist deshalb nicht nur
zur Beurteilung zumutbarer körperlicher Belastungen,
sondern auch zur Beurteilung der Interventionsindikation
unerlässlich, Belastungsuntersuchungen durchzuführen.
Dabei ist festzustellen, ob die Kontraktilitätsreserve normal ist. Kein Anstieg der linksventrikulären Kontraktilität
(gemessen an der Ejektionsfraktion) um wenigstens 10%
des Ausgangswertes zeigt eine Maladaptation des linksventrikulären Myokards an die chronische Volumenbelastung an. Folgende Empfehlungen können ausgesprochen
werden:
• Patienten mit leichter oder mittelgradiger Mitralinsuffizienz, erhaltenem Sinusrhythmus und erhaltener linksventrikulärer Kontraktilitätsreserve können jegliche sportliche Aktivitäten auch unter Wettkampfbedingungen betreiben, wenn die spiroergometrisch bestimmte kardiopulmonale Leistungsfähigkeit normale Befunde ergibt.
• Patienten mit leichtgradiger oder mittelgradiger Mitralinsuffizienz im Sinusrhythmus können sportliche Aktivitäten betreiben, solange der linke Ventrikel nur eine moderate Dilatation (LVEDD <60 mm) aufweist und die linksventrikuläre Kontraktilitätsreserve normal ist (Anstieg der
Ejektionsfraktion um 10% unter Belastung). Die Belastungsarten sollten auf dynamische Belastungen (Klasse A
und B) sowie statische Belastungen (Klasse I und II) beschränkt werden. Bei Patienten, die Leistungssport betreiben, ist eine Reevaluation alle 6 Monate, bei Hobbysportlern alle 12 Monate anzuraten.
• Für Patienten mit leichtgradiger oder mittelgradiger Mitralinsuffizienz, einem linksventrikulären enddiastolischen
Durchmesser >60 mm und erschöpfter kardialer Kontraktilitätsreserve sind körperliche Belastungen nicht zu empfehlen. Bei diesen Patienten ist prinzipiell die Operationsindikation gegeben oder der optimale Interventionszeitpunkt bereits verpasst, sodass eine fachkardiologische
Untersuchung dringlich angezeigt ist.
• Bei schwerer Mitralinsuffizienz (Regurgitationsvolumen
>50% des totalen linksventrikulären Schlagvolumens) ist
aus prognostischen Gründen ebenfalls die Operationsindikation gegeben, auch wenn die Patienten asymptomatisch sind und eine erhaltene Kontraktilitätsreserve aufweisen.
Patienten vor oder nach einer Klappenintervention, die
einer Behandlung mit Vitamin-K-Antagonisten bedürfen
(z. B. wegen konkomitierenden Vorhofflimmerns), sollten
Sportarten mit erhöhter Verletzungsgefahr meiden.
Kardioforum 1 | 2009
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oder Hautperforation vorzubeugen, sollten Sportarten mit Körperkontakt vermieden werden. Von Sportarten, die extreme Armbewegungen erfordern (Volleyball, Basketball, Tennis, Klettern, Golf),
ist abzuraten.
Zu berücksichtigen ist die Verletzungsgefahr des Patienten und die Gefährdung der Umgebung beim Auftreten
von Rhythmusstörungen verbunden mit
Bewusstlosigkeit. Insgesamt treten Verletzungen selten auf, sind aber nicht zu
vernachlässigen.
Wie verhält sich der ICD
bei maximaler körperlicher
Belastung?
Sport und ICD
Klaus-Peter Mellwig, Dieter Horstkotte, Hein Heidbuchel
ann ein ICD-Träger Sport treiben?
Um diese Frage zu beantworten,
muss primär geklärt werden, um welchen Sportler es sich handelt. Gelten die
Empfehlungen für einen Wettkampfsportler, sei es für einen Profi- oder Freizeitsportler (1)? Ist einem Patienten nach
ICD-Implantation in der Rehabilitationsphase angeraten, sich sportlich zu betätigen? Aktuelle Empfehlungen und entsprechende Einschränkungen beziehen
sich auf zugrunde liegende Herzerkrankungen bzw. so genannte Kanalerkrankungen (2). Schrittmacherträger können
alle Sportarten mit geringer bis moderater kardiovaskulärer Belastung ausüben.
ICD-Trägern wird empfohlen, nur Sportarten mit niedriger dynamischer und statischer Belastung (Golf, Billard, Bowling)
wettkampfmäßig zu betreiben. Freizeit-
K
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Klaus-Peter Mellwig
[email protected]
Univ.-Prof. Dr. med.
Dieter Horstkotte
[email protected]
Kardiologische Klinik,
Herz- und Diabeteszentrum
Nordrhein-Westfalen
Universitätsklinik der
Ruhr-Universität Bochum
Georgstraße 11
32545 Bad Oeynhausen
Hein Heidbüchel, MD, PhD
Department of Cardiology
University Hospital Gasthuisberg
University of Leuven
Herestraat 49
B-3000 Leuven
[email protected]
8
Kardioforum 1 | 2009
sportler können sich in Sportarten mit
niedriger bis moderater kardiovaskulärer
Belastung betätigen. Diese Empfehlungen basieren auf Expertenmeinungen.
Umfassende Daten für die empfohlene
Vorgehensweise existieren nicht.
Wie sieht die Realität aus?
55% der amerikanischen Elektrophysiologen erlauben die Teilnahme am Wettkampfsport. Ihre Entscheidung ist jedoch abhängig von der zugrunde liegenden Herzerkrankung und nicht von dem
Vorhandensein eines ICDs. Für den ICD
gibt es keine krankheitsspezifische Empfehlung (2).
Worauf müssen
ICD-Träger achten?
Um Elektrodenbruch, ICD-Dysfunktion
stufen, entwickeln begründete Angstzustände und Aversionen. Durch Triggerung von malignen Rhythmusstörungen
sind die Schocks als potenziell lebensbedrohlich zu werten.
2-Kammer-ICD
Das 2-Kammer-System beugt spontanen
oder induzierten Bradykardien vor. Bezüglich inadäquater ICD-Therapie bestehen zwischen DDD- und VVI-Modus
keine signifikanten Unterschiede. Zu berücksichtigen ist das erhöhte Risiko von
Komplikationen, die durch Schrittmacherkabel hervorgerufen werden. Dies
ist besonders bei jungen Athleten in Erwägung zu ziehen.
Blindes Vertrauen in den ICD ist nicht angesagt. Das System ist zwar sehr effektiv, aber nicht „idiotensicher“, da die Zuverlässigkeit unter intensiver körperlicher Belastung nicht bewiesen ist. Zu
berücksichtigen sind metabolische Veränderungen, das Auftreten von kardialen
Ischämien, Hydratationszustand und Katecholaminanstieg. Die Prognose bei erforderlicher Reanimation scheint eher
ungünstig zu sein.
Insgesamt ist zu beachten, dass bei
sportlichen Aktivitäten das relative Risiko des plötzlichen Herztodes um das
2,8-Fache erhöht ist.
Literatur
(1) Pelliccia A et al. Recommendations for competitive sports participation in athletes with cardiovascular disease: a consensus document
from the Study Group of Sports
Cardiology of the Working Group of
Cardiac Rehabilitation and Exercise
Physiology and the Working Group
of Myocardial and Pericardial
Diseases of the European Society
of Cardiology. Eur Heart J
2005;26:1422–45
(2) Heidbuchel H et al. Recommendations for participation in leisuretime physical activity and competitive sports of patients with arrhythmias and potentially arrhythmogenic conditions. Part II: ventricular
arrhythmias, channelopathies and
implantable defibrillators. Eur J
Cardiovasc Prev Rehabil
2006;13:676–86
Zweikammer-ICD
(implantierbarer Defibrillator)
Effekte des Sports
Nicht-wettkampfmäßiger Sport bewirkt
physisches und psychisches Wohlbefinden. ICD-Träger haben große Vorbehalte
gegenüber sportlichen Aktivitäten, obwohl gerade diese Patientengruppe körperlich durch den Anstieg der VO2max
profitieren kann.
Freizeitsportliche Aktivitäten sind 6
Wochen nach Implantation bzw. nach Intervention erlaubt (2).
Zu berücksichtigen sind jedoch inadäquate Schocks. Die Häufigkeit liegt
bei 욷10% (16–44%). Die Ursachen sind
häufig supraventrikuläre Arrhythmien,
extrinsische (Kabeldefekte, Geräteschrauben, magnetische Interferenzen)
oder intrinsische Ereignisse (T-WellenOversensing). Diese Schocks sind als
bedeutsame Schmerzereignisse einzu-
Zukunftsperspektiven
Aktuell ist die Datenlage unzureichend,
um sporttreibenden ICD-Trägern Empfehlungen zu geben, welche Sportarten
geeignet sind und mit welcher Intensität
Sport betrieben werden darf. Um dies zu
ändern, ist im Jahr 2008 ein Register initiiert worden (R. Lampert, H. Heidbuchel). Primär soll geklärt werden, ob die
Inzidenz von bedeutsamen Nebeneffekten der ICD-Therapie beim Sport (wie
tachyarrhythmogener Tod, Verletzung
durch arrhythmogene Synkope oder
Schockabgabe) unter 1% innerhalb von
2 Jahren liegt.
Derzeit wird den ICD-Trägern empfohlen, keinen Leistungssport zu treiben.
Kardioforum 1 | 2009
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Stellenwert der Spiroergometrie
in der Leistungsdiagnostik
von Breiten- und Spitzensportlern
Abb. 1: Die spiroergometrische
Leistungsdiagnostik im Herzund Diabeteszentrum NRW
Constanze Beller
as effektive Zusammenspiel zwischen Herz, Lunge
und Gefäßen für die Versorgung der Muskulatur mit
Sauerstoff ist für sportliche Aktivitäten eine entscheidende Voraussetzung. Die Spiroergometrie als klassische
sportmedizinische Untersuchung ermöglicht es, die Funktion von Herz, Kreislauf, Atmung und muskulärem Stoffwechsel in Ruhe und unter dosiert steigender körperlicher Belastung bis zur Ausbelastung qualitativ und quantitativ zu beurteilen. Die Bestimmung der maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2max) ermöglicht dabei die Beurteilung der aeroben Kapazität und der maximalen körperlichen Leistungsfähigkeit. Die Bestimmung der Sauerstoffaufnahme/Kohlenstoffdioxidabgabe ist durch die Messung des Atemminutenvolumens (oder der Atemzugtiefe) und die zeitgleiche Messung der Sauerstoff- und Kohlendioxidkonzentrationen in der Ein- und Ausatemluft
möglich.
D
Die Bedeutung der Spiroergometrie
in der sportmedizinischen Untersuchung
Sport im präventiven Sinne risikolos durchführen zu können, muss Grundanspruch des Breitensports sein. Die
notwendige Sportfähigkeit zu bescheinigen, ist in der
Regel schon durch die Anamnese, die körperliche Untersuchung und einfache apparative Untersuchungen (EKG,
Blutdruckmessung) möglich. Zeigen sich hier Auffälligkeiten, sollten ergänzende apparative Untersuchungen erfolgen, wobei eine objektive Einschätzung der körperlichen
Leistungsfähigkeit erst durch die Belastungsuntersuchung – optimalerweise durch die Spiroergometrie – ermöglicht wird. Diese wird im Rahmen sportmedizinischer
Vorsorgeuntersuchungen als fakultative Untersuchung
empfohlen. Bei subjektiv empfundener Leistungsminderung des Sportlers ist sie ein sinnvoller Baustein der Abklärung. Lässt sich eine krankhaft reduzierte Leistungsfähigkeit nachweisen, kann die Limitation kardialen, pulmonalen oder muskulären Ursprungs sein. Zur Klärung sollten dann weitere Diagnoseinstrumente einbezogen werden (z. B. radiologische Untersuchungen bei Atemwegserkrankungen, Echokardiographie bei strukturellen Herzerkrankungen etc.).
Neben diesem primär diagnostisch-präventiven Ansatz
ist ein Schwerpunkt der spiroergometrischen Diagnostik
die Leistungsdiagostik. Diese Methode ermöglicht die si-
10
Kardioforum 1 | 2009
chere Einschätzung der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit im Vergleich zur altersentsprechenden Norm, sodass
der Leistungsstand des Sportlers individuell und im Vergleich mit anderen, z. B. innerhalb von Altersgruppen oder
Mannschaften, eingeordnet werden kann. Unter Kenntnis
dieser individuellen Leistungsfähigkeit ist die Erstellung
differenzierter Trainingspläne für Einzel- oder Mannschaftssportler möglich.
Es scheint selbstverständlich, dass für einen leistungsorientierten Sport über das Talent hinaus eine optimale
Fitness entscheidend für den Erfolg ist. Die notwendige
Auseinandersetzung mit dem individuellen Trainings- und
Leistungsstand wird aber insbesondere von ambitionierten Breitensportlern häufig vernachlässigt. Trainingsratgeber sind häufig nicht auf die individuelle Leistungsfähigkeit des Sportlers abgestimmt, sodass Trainingsfehler
häufig zu beobachten sind. Leider zeigen sich vergleichbare Trainingsmängel auch im Leistungssport, so dass
durch kontrolliertes, professionell geführtes und intensives Fitnesstraining eine weitere Optimierung der individuellen und somit auch der Mannschaftsleistung erzielt
werden kann. Diese trainierbaren Leistungsressourcen
optimal zu nutzen, sollte Ziel des dopingfreien leistungsorientierten Spitzensports sein.
Die spiroergometrische Leistungsdiagnostik ist somit
sowohl für Breiten- als auch für Leistungssportler sinnvoll
anwendbar. Durch Messung der Sauerstoffaufnahme und
Kohlendioxidabgabe lässt sich für den Sportler individuell
die so genannte anaerobe Schwelle festlegen. Wird diese
Schwelle in Training oder Wettkampf überschritten, tritt
eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit und Abnahme
der Koordinationsfähigkeit ein. Über die Leistung an der
ventilatorischen Schwelle können individuelle Intensitätsbereiche für das Ausdauertraining ermittelt werden. Für
die Trainingsgestaltung im Ausdauerbereich kann unter
Berücksichtigung dieser Werte ein günstiger Trainingseffekt erzielt werden.
Durchführung
der spiroergometrischen Untersuchung
Die spiroergometrische Belastungsform und Intensität
kann je nach Fragestellung unterschiedlich sein (stufenoder rampenförmiger Belastungsanstieg auf dem Laufband- oder Fahrradergometer, Anfangsleistung und Stei-
gerungsschritte). Zu beachten ist dabei,
dass zwischen den einzelnen Belastungsformen beträchtliche Unterschiede
bestehen können; so wird bei der Fahrradergometrie regelhaft eine 10–15%
niedrigere Leistung als bei der Laufbandergometrie erbracht. Über eine Atemmaske, die mit einem Flowmeter versehen ist, werden die Atemvolumina bestimmt und Atemproben zur Messung
der O2- und CO2- Konzentrationen gewonnen. Des Weiteren werden die üblichen ergometrischen Parameter wie
Blutdruck, Herzfrequenz und das EKG
registriert.
Aussagekraft der Messwerte
Drei Messparameter der Ausatmungsluft
werden über die Atemmaske ermittelt:
die Sauerstofffraktion, die Kohlendioxidfraktion und das Volumen. Diese Messwerte erlauben in Kombination mit der
gemessenen Herzfrequenz die Berechnung vielfältiger Sekundärparameter;
an modernen Geräten erfolgt eine Online-Analyse von Atemzug zu Atemzug.
Die Standardmessgröße ist die Sauer-
stoffaufnahme bei Maximalbelastung
(VO2max), die eine Beurteilung der aeroben Kapazität der eingesetzten Muskelgruppen, der Funktionsreserve des
kardiopulmonalen Systems und somit
ganz generell auch der maximalen körperlichen Leistungsfähigkeit erlaubt.
Leistungslimitationen, die sich in einer
verminderten maximalen Sauerstoffaufnahme zeigen, sind über die eingehenden Variablen (Herzzeitvolumen und arteriovenöse Sauerstoffdifferenz) erklärbar
und beinhalten somit zentrale (Herzfrequenz, Füllungsdrücke, Schlagvolumen,
Vorlast, Nachlast, Kontraktilität) und periphere Einflussfaktoren (atmosphärischer
Sauerstoffpartialdruck, alveoläre Ventilation, Diffusionskapazität, Hämoglobingehalt des Blutes, peripherer vaskulärer Widerstand). Die Spiroergometrie ermöglicht über die Beurteilung der Ausdauerleistungsfähigkeit und die Untersuchung
der Leistungsfähigkeit des kardiopulmonalen Systems hinaus die Messung des
Energiestoffwechsels während körperlicher Belastung (indirekte Kalorimetrie).
Zusammenfassung
Literatur
Wonisch M, Fruhwald FM, Hödl R,
Hofmann P, Klein W, Kraxner W,
Maier R, Pokan R, Smekal G, Watzinger N. Spiroergometrie in der
Kardiologie – Grundlagen der Physiologie und Terminologie. Journal
für Kardiologie 2003;10(9):383–390
Dtsch Gesell Sport Präv. Leitlinien
zur Belastungsuntersuchung in der
Sportmedizin 2002; S-1 Leitlinien
Vorsorgeuntersuchungen im Sport
2007; www.dgsp.de
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Constanze Beller
[email protected]
Kardiologische Klinik,
Herz- und Diabeteszentrum
Nordrhein-Westfalen
Universitätsklinik der
Ruhr-Universität Bochum
Georgstraße 11
32545 Bad Oeynhausen
Mit der Spiroergometrie steht uns für sportmedizinische Fragestellungen somit ein
wertvolles Werkzeug zur differenzierten Leistungsdiagnostik zur Verfügung. Basierend auf individuellen Leistungsmerkmalen kann so zur Erstellung eines gefahrlosen
und im Sinne der Prävention sinnvollen Trainingsplans beigetragen werden. Darüber
hinaus können den Sportlern auf der Basis der Untersuchungsergebnisse Optionen
zur Leistungsoptimierung durch individuelle Trainingsempfehlungen aufgezeigt werden.
Kardioforum 1 | 2009
11
Leistungsentwicklung im Handball
Abb. 2: AT VO2 als Mittelwert
Klaus-Peter Mellwig, Frank van Buuren, Berthold Hallmaier1, Klaus Baum2
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Klaus-Peter Mellwig
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Dr. med. Frank van Buuren
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Herz- und Diabeteszentrum
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Georgstraße 11
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1) Dr. med. Berthold Hallmaier
Winghofer Medicum
Röntgenstr. 38
72108 Rottenburg
[email protected]
2) Prof. Dr. Klaus Baum
Trainingsinstitut Prof. Dr. K.
Baum GmbH
Wilhelm-Schlombs-Allee 1
50858 Köln
Abb. 1: VO2max als Mittelwert,
Platzierung bei den jährlich
stattfindenden Turnieren
12
Kardioforum 1 | 2009
ie physische Belastung im Spitzenhandball hat in den letzten Jahren
ständig zugenommen. Handballspiele
auf professionellem Niveau sind charakterisiert durch hohe körperliche Leistung
und hohe Bewegungsgeschwindigkeit,
um Spielabläufe und taktische Varianten
effektiv zu gestalten. Sowohl die körperliche Belastbarkeit der Handballspieler
als auch die Effizienz der Trainingsmethoden (1) kann durch die Bestimmung
der Ausdauerkapazität mittels Messung
der maximalen Sauerstoffaufnahme
(VO2max) auf dem Laufband ermittelt
werden. VO2max ist als wichtigster Parameter in der Bestimmung der aeroben
Leistung (2) und des physiologischen
Profils anzusehen (3).
Seit 2003 führten wir bei 95 Handballspieler der A-Handball Nationalmannschaft regelmäßig sowohl eine internistisch/kardiologische Gesundheitsuntersuchung als auch einen Leistungstest
durch.
Die Untersuchungen wurden auf
einem Laufband mit einer Ergospirometrie-Untersuchungseinheit durchgeführt.
Zur Beurteilung der Ausdauerkapazität wurden die gemessenen Daten der
VO2max, der Sauerstoffaufnahme an der
anaeroben Schwelle (AT-VO2), die Herzfrequenz in Ruhe, an der anaeroben
D
Schwelle und die maximale Herzfrequenz ausgewertet.
Ergebnisse
Seit 2003 ist ein kontinuierlicher Anstieg
der VO2max von 53,19 ± 5,77 auf
64,86±5,75 ml•kg-1•min-1 zu verzeichnen (Abb. 1). Dies entspricht einem Anstieg von 21,67 %. AT-VO2 stieg von
42,99 ± 5,06 auf 55,45 ± 6,13 ml•kg-1
•min-1 an (Abb. 2), entsprechend einer
Steigerung von 28,47 %. Diese Entwicklung ist um so höher einzustufen, da ATVO2 im Gegensatz zu VO2max subjektiv
nicht beeinflussbar ist.
Die Herzfrequenz in Ruhe (70 ±
11/min) als auch unter maximaler Belastung (181 ± 10/min) zeigten im Beobachtungszeitraum keinen signifikanten
Unterschied. Der mittlere Body-MassIndex schwankte im Beobachtungszeitraum zwischen 24,84 kg/m2 und 25,06
kg/m2.
Diskussion
Der Anstieg von VO2max im Beobachtungszeitraum ist unter anderem auf die
wechselnde Zusammensetzung der
Handball-Nationalmannschaft zurückzuführen. Andererseits ist der zunehmende höhere Leistungsstand der Spieler
auf die intensivere Trainingsarbeit zurückzuführen, um den gestiegenen Anforderungen der Handball-Bundesliga
gerecht zu werden.
Da sich im Beobachtungszeitraum die
Sauerstoffaufnahme an der anaeroben
Schwelle ähnlich entwickelt wie die maximale Sauerstoffaufnahme, kann dieses zusätzlich als objektives Kriterium
der festgestellten Leistungs entwickung
gewertet werden.
Hohe VO2max-Werte sind unbedingt
anzustreben, da Spieler mit hohen
VO2max Werten über hohe Glykogenreserven und eine erhöhte Erholungsrate
verfügen Dadurch ist eine höhere und
längere Leistungsintensität gewährleis-
Literatur
tet, so dass technische und taktische
Elemente effektiver umgesetzt werden
können. Weiterhin kann vermieden werden, dass Leistungseinbrüche im Spiel-
verlauf durch verminderte körperliche
Aktivität, höhere Fehlerquote und erhöhte Verletzungsgefahr den Spielerfolg in
Frage stellen.
Zusammenfassung
Insgesamt stellt Hallenhandball in der modernen Spielweise eine Sportart dar, die
neben technisch-taktischen Fähigkeiten ein hohes Maß an konditionellen Voraussetzungen benötigt. Am Beispiel der Handball-Nationalmannschaft der Männer kann anhand der Leistungsdaten die Auswirkung von Trainingsmethodik und Spielgestaltung
auf die Leistungsentwicklung dokumentiert und objektiviert werden, die sich letztendlich in den Erfolgen dieser Mannschaft widerspiegelt.
(1) Jensen, J., et al., Effect of
combined endurance, strength and
sprint training on maximal oxygen
uptake, isometric strength and
sprint performance in female elite
handball players during a season.
Int J Sports Med, 1997.
18(5): p. 354-8.
(2) Hoff, J., Training and testing
physical capacities for elite soccer
players. J Sports Sci, 2005.
23(6): p. 573-82.
(3) Rannou, F., et al., Physiological
profile of handball players. J Sports
Med Phys Fitness, 2001.
41(3): p. 349-53.
„Sport mit Herz“ – Sportscreening
in Ostwestfalen-Lippe (OWL)
port hat zwar vorwiegend gesundheitsfördernde Wirkungen. Bis an
die Grenzen der Belastbarkeit betrieben,
kann er aber schädliche, mitunter sogar
tödliche Folgen haben. In der öffentlichen Meinung fallen Sportler und Trainierte nicht in die Risikogruppe der zu erwartenden Todesfälle.
Geringere oder unter Umständen angeborene Anomalien des Herzens können die Gesundheit nach-haltig gefährden. Für Sportler mit angeborenem oder
erworbenem Herzdefekt kann extreme
körperliche Belastung verhängnisvoll
S
werden. Vor diesem Hintergrund wurde
das Projekt „Sport mit Herz“ initiiert, das
die Voraussetzungen für ein breit angelegtes Screening von Sportlern schaffen
soll.
Die European Society of Cardiology
(ESC) empfiehlt eine Screening-Maßnahme für Sportler in Anlehnung an die
Vorsorgeuntersuchungen in Italien (1).
Diese Screening-Maßnahmen werden
nun auch in OWL durchgeführt. Ziel ist
dabei die Identifikation von Herzerkrankungen unter Beachtung der kardio-vaskulären Risikofaktoren und der Familien-
Klaus-Peter Mellwig
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Klaus-Peter Mellwig
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Herz- und Diabeteszentrum
Nordrhein-Westfalen
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Kardioforum 1 | 2009
13
Literatur
(1) Corrado, D., et al., Cardiovascular pre-participation screening of
young competitive athletes for prevention of sudden death: proposal
for a common European protocol.
Consensus Statement of the Study
Group of Sport Cardiology of the
Working Group of Cardiac Rehabilitation and Exercise Physiology and
the Working Group of Myocar-dial
and Pericardial Diseases of the European Society of Cardiology. Eur
Heart J, 2005. 26(5): p. 516-24.
(2) Pelliccia, A., et al., Recommendations for competitive sports participation in athletes with cardiovascular disease: a consensus document from the Study Group of
Sports Cardiology of the Working
Group of Cardiac Rehabilitation and
Exercise Physiology and the Working Group of Myocardial and Pericardial Diseases of the European
So-ciety of Cardiology. Eur Heart J,
2005. 26(14): p. 1422-45.
anamnese. Diese Aktiven rekrutieren
sich aus den Bereichen Breitensport,
Freizeitsport und Betriebssport in der
Region Ostwestfalen-Lippe. Dabei sollen Personen zwischen 12 und 68 Jahren angesprochen werden, die mehr als
vier Stunden Sport in der Woche betreiben. Unter dem Namen „Sport mit
Herz“ ist im Regierungsbezirk Detmold
ein Netzwerk mit über dreißig Arztpraxen aufgebaut worden.
Untersuchungsprotokoll
Eine ausführliche Eigen- und Familienanamnese bezüglich plötzlicher Herztod,
Herzrhythmusstörungen, angeborenen
Herzerkrankungen, Fett- und Glukosestoffwechselerkrankungen dienen zur
Beurteilung des kardiovaskulären Risikoprofils. In der Auskultation wird nach pathologischen Herztönen und -geräuschen geforscht. Es wird der Blutdruck
in Ruhe gemessen. Bei erhöhten Werten erfolgt eine zweite Messung nach
einer 15-minütigen Ruhephase. Ein
Ruhe-EKG wird nach einer speziell entwickelten Auswertesoftware unter Berücksichtigung zu erwartender Herzerkrankungen und EKG-Veränderungen
durchgeführt (1).
Alle Daten werden zentral erfasst und
ausgewertet.
Hypertone Blutdruckwerte (RR>140/90
mmHg) wurden bei 57 % der Untersuchten gemessen. Bei nur 12 % der Untersuchten war der Hypertonus bekannt.
Weiterführende Untersuchungen aufgrund einer auffälligen Auskultation,
EKG-Veränderungen und Symptomen
waren bei 13 % der Untersuchten erforderlich.
Bei zwei Sportlern wurden bei der kardiologischen Untersuchung leichtgradige Herzklappenfehler diagnostiziert, die
keine Einschränkung der sportlichen Aktivitäten erforderte. Die Nachuntersuchung eines weiteren Sportlers erbrachte den Nachweis eines Aortenaneurysmas. In diesem Fall wurde empfohlen,
die bisher intensiven sportlichen Aktivitäten deutlich zu reduzieren und statische Belastungen zu vermeiden.
Ab 2009 überregional
Nach einer erfolgreichen Pilotphase werden die Aktivitäten in 2009 überregional
(Niedersachsen, Bayern, RheinlandPfalz, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen) ausgeweitet.
Aussichten
Durchführung
Die Arztpraxen (Allgemeinmediziner, Internisten, Kardiologen) des Netzwerkes
sind mit den speziellen EKG-Geräten
ausgestattet worden, so dass das Untersuchungsprotokoll einheitlich durchgeführt wer-den kann. Werden pathologische Befunde erhoben, wird der Sportler
umgehend einem Kardiologen vorgestellt. Durch eine umfassende kardiologische Untersuchung ist zu klären, ob entsprechend den Empfehlungen die sportlichen Aktivitäten fortgesetzt werden
können (2).
Ergebnisse
Nach acht Monaten können die Daten
von 834 Untersuchungen analysiert werden. Das Durchschnittsalter betrug 37
Jahre bei einem Frauenanteil von 38 %.
14
Kardioforum 1 | 2009
Safety Arena:
Medizinische Versorgung von Zuschauern
bei sportlichen Großereignissen
Ein breit angelegtes sportkardiologisches Screening für den Breitensport
bietet die Möglichkeit, einerseits das Risiko für fatale kardiovaskulärer Ereignisse bei Sportlern zu reduzieren, andererseits kardiovaskuläre Risikofaktoren zu
erfassen. Bei adaequater Behandlung
sind gezielte sportliche Aktivitäten unbedingt fortzusetzen, so dass die präventive Wirkung des Sports zum tragen
kommt.
Wünschenswert ist eine gesetzliche
Regelung in Anlehnung an die italienischen Verhältnisse, die eine ScreeningUntersuchung bei allen in Vereinen organisierten Sportlern vorsehen. Ein weiteres Ziel wird es sein, die Krankenkassen
davon zu überzeugen, diese ScreeningUntersuchungen in ihren Leistungskatalog mit aufzunehmen.
Frank van Buuren
n den letzten Jahren stand die Sicherheit für Athleten im Rahmen von Großveranstaltungen im Sport häufig im
Fokus der Presse. Als Reaktion darauf
wurden große Anstrengungen unternommen, um eine adäquate medizinische Versorgung zur Vermeidung eines
plötzlichen Herztodes der Athleten zu
gewährleisten. Aufgrund der erheblichen emotionalen Belastung sind allerdings auch die Zuschauer einem relevanten Risiko in Form einer lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörung, dem
so genannten plötzlichen Herztod, ausgesetzt. Die meisten Notfälle im Rahmen von Sportevents ereignen sich Untersuchungen zufolge in den Stunden
rund um den Anpfiff. Männer sind deutlich gefährdeter als Frauen – bei ihnen
steigt das Risiko auf das 3,2-Fache.
Um die Versorgungssituation für die
Zuschauer in den Stadien zu verbessern,
hat die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) eine Arbeitsgruppe ins
I
Leben gerufen, die entsprechende Maßnahmen zur Optimierung der Versorgungslage einleiten soll. Diese Arbeitsgruppe wird unter anderem federführend von Ärzten der Kardiologischen Klinik im Herz- und Diabeteszentrum NRW
geleitet.
Ursachen
für einen plötzlichen Herztod
Jedes Jahr sterben allein in Deutschland
rund 100 000 Menschen am plötzlichen
Herztod. Verursacht wird der plötzliche
Herztod durch ein unregelmäßiges Herzrasen. Die körpereigenen Impulse, die
für eine regelmäßige Schlagfolge des
Herzens zuständig sind, geraten vollkommen aus dem Takt und verursachen
eine sehr schnelle, unregelmäßige Herzfrequenz. Das Herz schlägt so schnell,
dass es nicht mehr ausreichend Blut in
den Körper pumpen kann. Hält dieser
Zustand auch nur wenige Minuten an,
führt er unweigerlich zum Tod. Aller-
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Frank van Buuren
[email protected]
Kardiologische Klinik,
Herz- und Diabeteszentrum
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Kardioforum 1 | 2009
15
dings lässt sich in vielen Fällen das Herz
auch wieder zum effektiven Schlagen
bringen. Dazu ist ein Defibrillator notwendig, der genau dosierte Stromschläge abgibt, die das Herz wieder zum koordinierten Arbeiten bringen.
Neben der technischen Ausstattung
mit einem Defibrillator ist allerdings auch
eine adäquate Anwendung durch den
„Ersthelfer“ von entscheidender Bedeutung.
Die medizinische Versorgung
in europäischen Fußballstadien
In der Saison 2005/2006 wurde durch
die Sektion Sportkardiologie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie eine
europaweite Umfrage in Erstliga-Fußballstadien durchgeführt, um einen Überblick über die aktuelle Situation zu gewinnen. Es wurden Informationen von
fast 200 Stadien aus zehn europäischen
Ländern gesammelt. Hierbei fand sich in
der Versorgung ein Nord-Süd-Gefälle.
Die Situationen in den einzelnen Ländern zeigen einen deutlichen Unterschied sowohl in der technischen Ausstattung als auch in der Ausbildung des
zuständigen Notfallpersonals. Zudem
wurden Daten zur räumlichen Situation
(Anzahl der Notfallräume in den Stadien, Kommunikationsstruktur zwischen den am Notfallmanagement Beteiligten etc.) erhoben. Auch die Logis-
Die EKG-Kolumne
tik zur Weiterversorgung der Patienten
in den Kliniken wurde beleuchtet. Die
Daten werden in Kürze publiziert werden.
Nach Empfehlungen der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie sollte es europaweit ein standardisiertes
Notfallmanagement geben, das Abläufe, Schulungen des Personals und die
technische Ausrüstung der Stadien
genau festschreibt.
Abb. 2
von Dieter Gonska
Ein 37-jähriger Mann erleidet während eines fieberhaften
Infektes mit Temperaturen bis zu 39 Grad eine Synkope.
Anamnestisch sind keine Erkrankungen bekannt. Erwähnenswert ist ein plötzlicher Herztod eines Bruders des Vaters im mittleren Lebensalter.
Bei der körperlichen Untersuchung, echokardiographisch und radiologisch fanden sich keine Auffälligkeiten.
Das EKG, das in der Notaufnahme registriert wurde,
zeigte das in Abb. 1 dargestellte Bild.
Es findet sich eine ST-„Elevation“ in den rechtspräkorAbb. 1
16
Kardioforum 1 | 2009
dialen Ableitungen wie ein R-en-dôme. Die Diagnose war
damit gestellt. Es handelt sich um ein Brugada-Syndrom.
Das Brugada-Syndrom ist eine primär elektrische Herzerkrankung, eine Natrium-Kanalopathie. Ihr liegt ein autosomal-dominanter Erbgang zugrunde. Die Mutation liegt
im Gen SCN5A auf Chromosom 3p21-24. Darüber hinaus
sind unterschiedliche Mutationen bekannt, die Verbindungen zum Long-QT-Syndrom aufweisen. Die Häufigkeit
liegt in den westlichen Ländern bei 1–5 pro 10 000 Einwohnern, in fernöstlichen Ländern wie z. B. Thailand bei
1:2 500 (in Thailand SUNDS =
sudden nocturnal death syndrome).
Pathophysiologisch liegt ein
Ungleichgewicht des ITO-Kanals gegenüber dem Natriumkanal vor. Der Natriumkanal ist
reduziert. Aus diesem Ungleichgewicht am einzelnen
Potenzial der Herzmuskelzelle
entsteht
elektrokardiographisch die sog. J-Wave, die die
ST-Elevationen in den rechtspräkordialen Ableitungen bewirkt.
Die Ungleichgewichtigkeit
der
Natrium/Kalium-Kanäle
(ITO) bedingt eine epikardiale
Dispersion der Repolarisation.
Hieraus können sich polymorphe ventrikuläre Tachykardien und Kammerflimmern entwickeln.
Pharmaka wie Betasympathikolytika, Klasse-I-Antiarrhythmika (NatriumAntagonisten) oder vegetative Symptome wie Fieber können das Ungleichgewicht in den Kalium- und Natriumkanälen verursachen und die Rhythmusstörung auslösen.
Elektrokardiographisch werden zwei
Formen des Brugada-Syndroms unterschieden: der so genannte Coved type
(ST-Hebungen in V1 bis V3) und der so
genannte Saddle-back type, bei dem in
den Ableitungen V1 bis V2 (V) eine RMorphologie mit Einkerbung vor der TWelle existiert (Abb. 2). Beide Formen
des Brugada-Syndroms sind ineinander
überführbar.
Ein normales EKG schließt ein Brugada-Syndrom nicht aus. Bei allen unklaren Synkopen, insbesondere bei
Männern im mittleren Lebensalter und
unauffälligem EKG, sollte ein BrugadaSyndrom ausgeschlossen werden.
Dies ist einfach durch den so genannten Ajmalin-Test möglich. Unter Gabe
von Klasse-I-Antiarrhythmika (z. B.
Ajmalin, Flecainid) können die typischen EKG-Veränderungen provoziert
werden.
Die Therapie der Wahl bei symptomatischen Brugada-Syndromen ist die
Implantation eines Kardioverter/Defibrillators. Dies wurde auch nach ausführlicher Diskussion der Problematik
mit dem betroffenen Patienten durchgeführt.
Pulmonalvenenisolation als primärer
Therapieschritt bei einem Sportler mit
paroxysmalem tachykarden Vorhofflimmern
Abb. 4: Kombinierte Intervention
mit PulmonalvenenisolationAblation (links) und Ablation des
Isthmus zwischen Tricuspidalklappe
und unterer Hohlvene (rechts).
Carsten Kopf, Jürgen Brömsen, Michael Block
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. med. Michael Block
[email protected]
Klinik Augustinum
Abteilung für Kardiologie
Wolkerweg 16
81375 München
Hintergrund
Die Ablation von Vorhofflimmern steht in
den Leitlinien der kardiologischen Fachgesellschaften (ACC/AHA/ESC 2006) als
Therapieoption nach erfolgloser medikamentöser Therapie (1, 2). Dies ist auf die
Komplexität des Eingriffes und seltene
schwerwiegende Komplikationen zurückzuführen sowie auf nur mäßiggradige Erfolgsraten und begrenzte Langzeitergebnisse. Gerade beim paroxysmalem
Vorhofflimmern ist jedoch angesichts
von Erfolgsraten in Metaanalysen von
80 %, relativ kurzen Eingriffszeiten und
deutlich geringeren Komplikationsraten,
wie in diesem Fall eine primäre Vorhofflimmerablation zu diskutieren (3, 4, 5).
Abb. 5: Vorhofflimmer-Rezidive
nach drei Wochen Ablation
Kasuistik
Anamnese und Diagnose
Ein 47-jähriger Marathonläufer stellte
sich mit rezidivierenden Palpitationen,
insbesondere unter körperlicher Belastung vor. Im bereits ambulant aufge-
Abb. 1: Herzrasen beim Sport. Im
Langzeit-EKG Tachykardien bis
270/min.
Abb. 6: Stabiler Sinusrhythmus in 6-Tage-Langzeit-EKG
vier Monate nach zweiter
Pulmonalvenen-Isolation
Literaturverzeichnis
Abb. 2: Regelmäßige BreitkomplexTachykardie aus Langzeit-EKG,
Herzfrequenz 270/min.
(1) T. Lewalter et al; Kommentar zu
„ACC/AHA/ESC 2006 Guidelines
for the management of patients
with atrial fibrillation“; Der Kardiologe 2008, 2, 181-205
(2) ACC/AHA/ESC 2006 Guidlines
for the management of patients
with atrial fibrillation; Europace
2006, 8, 651-745
Abb. 3: Demaskiertes Vorhofflattern, Vorhoffrequenz 270/min
mit Übergang in Sinusrhythmus.
(3) A. Verma, A. Natale; Why atrial
fibrillation should be considered
first-line therapy for some patients;
Circulation 2005, 112, 1214-1222
(4) R. Cappato et al; Insights on the
second AFib Survey worldwide;
7th AFib-Symposium 2008 Paris /
ESC 2008 Munich
(5) T. Neumann et al; Circumferential PVI with the Cryoballoon Technic: Results from a prospective 3Center-Study; J Am Coll Cardiol
2008; 52:273-278
18
Kardioforum 1 | 2009
Kardioforum 1 | 2009
19
zeichneten Langzeit-EKG zeigten sich
unter Laufbedingungen symptomatische
Spitzenfrequenzen von 270/min durch
Vorhofflattern mit 1:1-Überleitung (Abb.
1 bis 3), die bei breiten QRS-Komplexen
eine ventrikuläre Tachykardie vortäuschten (Abb. 2). Darüber hinaus fanden sich
mehrfach täglich kurze Phasen von tachykardem Vorhofflimmern sowie Sinusbradykardien bis 31/min.
Abwägen der Therapieoptionen
Eine medikamentöse Therapie mit Klasse 1c-Antiarrhythmika und/oder Betablockern wurde wegen der Tendenz zur Vagotonie problematisch gesehen. Eine
Amiodarontherapie erschien bei einem
47-jährigen Patienten wegen der häufigen Langzeitnebenwirkungen nicht
wünschenswert.
Therapie und Behandlungserfolg
Es erfolgte daher eine kombinierte Inter-
vention mit Pulmonalvenen-Isolation und
Ablation des rechtsatrialen Isthmus zwischen Trikuspidalklappenring und unterer Hohlvene (Abb. 4).
Anschließend bestand Sinusrhythmus
und der Patient konnte ohne Symptome
Langstreckenläufe vornehmen. Nach
drei Wochen kam es zu einem Rezidiv
von Vorhofflimmern (Abb. 5).
Nach Schließen zweier Isolationslücken im Bereich der beiden unteren Pulmonalvenen besteht seit fünf Monaten
unverändert Sinusrhythmus (Abb. 6).
Zusammenfassung
Anhand des Beispieles eines sportlichen
Patienten mit tachykard übergeleitetem
Vorhofflimmern wurde aufgezeigt, dass
im Einzelfall die Pulmonalvenen-Isolation
als primäre Therapiemaßnahme bei paroxysmalem Vorhofflimmern zu diskutieren ist.
Die Bedeutung körperlichen Trainings
bei Patienten mit Herzinsuffizienz
Olaf Oldenburg, Andreas Fründ1, Dieter Horstkotte
ie Erkenntnisse und Therapieempfehlungen zur körperlichen Aktivität
bei symptomatischer aber stabiler Herzinsuffizienz haben sich in den letzten
Jahrzehnten grundsätzlich geändert.
Wurde früher noch eine weitgehende
körperliche Schonung bei chronischer
Herzinsuffizienz empfohlen, so ist heute
klar, dass körperliche Inaktivität zu einer
Progression der Herzinsuffizienz und zu
einer Verschlechterung der Prognose
führt (1). Im Gegensatz dazu konnte gezeigt werden, dass ein individuell angepasstes Training bei herzinsuffizienten
Patienten kosteneffektiv (2) ist und zu
einer signifikanten Reduktion von Gesamtmortalität und Re-Hospitalisierungsrate führt (3). Die positiven Effekte
des körperlichen Trainings sind dabei
D
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Olaf Oldenburg
[email protected]
1) Andreas Fründ
[email protected]
Abeilung für Physiotherapie
Univ.-Prof. Dr. med.
Dieter Horstkotte
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Nordrhein-Westfalen
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20
Kardioforum 1 | 2009
vornehmlich auf Veränderungen in der
peripheren Zirkulation zurückzuführen.
Die derzeitige pathophysiologische
Theorie geht davon aus, dass die periphere Hypoperfusion nicht nur auf eine
kardiale Pumpschwäche zurückzuführen
ist, sondern auch auf morphologische,
metabolische und funktionelle Veränderungen der Skelettmuskulatur beruht. So
führt beispielsweise eine gestörte endothelabhängige Vasodilatation zum Anstieg des systemarteriellen Widerstandes mit Erhöhung der kardialen Nachlast. Körperliches Training auf der anderen Seite kann die basale NO-Produktion
steigern und die neurohumorale Aktivität
reduzieren (4–6). Die Folge ist eine Reduktion des systemischen Widerstands,
eine kardiale Entlastung und die Verbes-
serung der peripheren Durchblutung.
Auch
direkte
„Anti-Remodeling“Effekte können hinzukommen und so
gemeinsam zu einer Verringerung des
linksventrikulären Volumens und zu
einer Verbesserung der linksventrikulären Ejektionfraktion führen (7).
In den neuen Leitlinien der European
Society of Cardiology wird daher körperliches Training für alle Patienten mit
chronischer Herzinsuffizienz unabhängig
von der Ätiologie, NYHA-Klasse, Ejektionsfraktion oder der Medikation empfohlen (Class of recommendation I, level
of evidence A) (8).
Praktische
Trainingsempfehlungen
gehen dahin, dass herzinsuffiziente Patienten über einen Zeitraum von mindestens zwei Monaten stabil und auf eine
Leitlinien-gerechte Herzinsuffizienz-Therapie eingestellt sein sollten. Die ersten
ein bis zwei Wochen des Trainingsprogramms sollten bevorzugt unter stationärer Überwachung durchgeführt werden (9). Das Belastungsniveau liegt
dabei zunächst bei etwa 50 % der maximalen Sauerstoffaufnahme über einen
Zeitraum von 5–10 Minuten. Im zweiten
Schritt wird dann die Trainingsfrequenz
auf 2–3 Einheiten pro Tag erhöht, bevor
die Trainingsintensität auf bis zu 70 %
der maximalen Sauerstoffaufnahme gesteigert werden kann. Regelmäßige kardiologische Kontrollen sind dabei essentiell (9).
Im Herz- und Diabeteszentrum NRW
wurden bereits im Jahr 2000 Gruppentrainingsprogramme etabliert, in dem
Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz unterschiedlichen Alters zweimal
wöchentlich trainieren (Abbildung). Eine
Trainingseinheit besteht aus einem 40minütigen intensiven Intervalltraining
mit einer Belastungsdauer von 30 Minuten und einer Pausendauer von 60 Minuten. Weitere Inhalte sind Elemente
zur Koordination und Körperwahrnehmung, verschiedene Entspannungstechniken sowie kurze theoretisch-kognitive
Einschübe zum Umgang mit der Erkrankung. Zusätzliche Übungen orientieren
sich an Alltagsaktivitäten, dazu gehören
Treppe steigen, Ausweichbewegungen
beim Einkaufen, Spazierengehen, Kleidung anziehen etc. Zweimal jährlich finden standardisierte Überprüfungen der
Leistungsfähigkeit statt, hierzu gehören
die Spiroergometrie, der 6-MinutenGehtest und der Timed-up-and-go-Test.
Dabei zeigen sich signifikante Verbesserungen in allen Disziplinen, beispielsweise konnte die maximale Sauerstoffaufnahme an der individuellen anaeroben
Schwelle von 12,7 ml/kg/min auf 13,6
ml/kg/min und die maximale Sauerstoffaufnahme von 14,5 ml/kg/min auf 16,7
ml/kg/min gesteigert werden (10).
Zusammenfassung
Individualisierte und kontrollierte Trainingsprogramme sind essentielle Bestandteile der Therapie von Patienten
mit stabiler Herzinsuffizienz. Sie sind
kosteneffektiv und sicher und führen zur
Verbesserung der Lebensqualität, der
körperlichen Leistungsfähigkeit sowie
von Mortalität und Letalität.
Literatur:
(1) Forth Joint Task Force of the European Society of Cardiology. European guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice: executive
summary. Eur Heart J 28, 2375-2414.
2007.
(2) Georgiou D, Chen Y, Appadoo S et al.
Cost-effectiveness analysis of long-term
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heart failure. Am J Cardiol 87, 984-988.
2001.
(3) Piepoli M, Davos C, Francis D, Coats
A, ExTraMATCH Collaborative. Exercise
training meta-analysis of trails in patients
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Kardioforum 1 | 2009
21
Deutschland. Wird dies ein Schwerpunkt Ihrer klinischen Tätigkeit werden?
Prof. Gummert: Das gilt ja nicht nur für Transplantationen.
In sämtlichen herzchirurgischen Operationsverfahren, in
der Bypass- und Herzklappenchirurgie ebenso wie dem
Einsatz mechanischer Kreislaufunterstützungssysteme
und Kunstherzen, ist die Bad Oeynhausener Herzchirurgie nachweislich führend – sowohl hinsichtlich der Zahlen
als auch in Bezug auf die Qualität des Eingriffs und der anschließenden Versorgung. Selbstverständlich werden
meine Mannschaft und ich diese klinischen Schwerpunkte fortsetzen.
Die Nachfrage nach minimalinvasiven Operationen
steigt. Werden sich diese Methoden in der Herzchirurgie durchsetzen?
Prof. Gummert: Besonders mit der minimalinvasiven
Herzklappenchirurgie lassen sich beachtliche Ergebnisse
erzielen, die dem Patienten erhebliche Vorteile bringen.
Ähnliche Entwicklungen gibt es in der Bypasschirurgie
am schlagenden Herzen ohne Verwendung der Herz-Lungen-Maschine. Wir werden diese Bereiche in Bad Oeynhausen deutlich erweitern. Grundsätzlich gilt: Für jeden
Patienten wird entsprechend seiner Erkrankung die bestmögliche Operationsmethode angeboten.
Tradition, Innovation und Fortschritt
Die bewährte Patientenversorgung fortführen und zugleich zukunftsweisende Impulse in der
Herzchirurgie setzen, die das Herz- und Diabeteszentrum (HDZ) NRW, Bad Oeynhausen, weltweit
bekannt gemacht haben: So lauten die Ziele, die Prof. Dr. Jan Gummert, Direktor der Klinik für
Thorax- und Kardiovaskularchirurgie, zu seiner Amtseinführung am 1. Februar 2009 formulierte.
ie Medizinische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum hatte den Direktor der Klinik für Herz- und Thoraxchirurgie am Universitätsklinikum Jena als Nachfolger
für Prof. Dr. Reiner Körfer empfohlen. Der Aufsichtsrat
des HDZ folgte diesem Vorschlag für die Besetzung der
Stelle. Im Interview stellte sich Prof. Gummert den wichtigsten Fragen zu seinen neuen Aufgaben.
D
Herr Professor Gummert, nach einigen Monaten Vorbereitungszeit treten Sie nun die Nachfolge in der Leitung der größten herzchirurgischen Klinik Europas an.
Mit welcher Stimmung beginnen Sie Ihre Arbeit, wie
wurden Sie empfangen?
Prof. Gummert: Ich freue mich sehr auf die Arbeit mit
einem hochmotivierten Mitarbeiterteam aus Spezialisten,
22
Kardioforum 1 | 2009
die über große Erfahrung in der Herzchirurgie und den angrenzenden Fächern verfügen. Im Herz- und Diabeteszentrum NRW hat die Patientenversorgung immer an
oberster Stelle gestanden, dies ist auch mein erklärtes
Ziel. Wichtigste Aufgabe ist es, den uns anvertrauten Patienten mit höchster medizinischer Kompetenz und Zuwendung zu helfen. Zudem bieten sich hier in Bad Oeynhausen in Bezug auf Ausstattung und Größe der Klinik
beste Möglichkeiten, um das Fach Herzchirurgie zukunftsweisend zu gestalten – bessere Voraussetzungen
kann man sich als Arzt eigentlich nicht wünschen. Für
den freundlichen Empfang bin ich natürlich sehr dankbar.
In Bad Oeynhausen werden mehr Herztransplantationen durchgeführt als an jeder anderen Klinik in
Ihr Vorgänger hat vor der bedenklichen Entwicklung
gewarnt, dass Krankenhäuser immer mehr nach ökonomischen Gesichtspunkten geführt werden. Wie ist
Ihre Meinung dazu?
Prof. Gummert: Die Behandlung von Patienten in Krankenhäusern muss von der Solidargemeinschaft bezahlbar
bleiben, damit allen Patienten weiterhin auf höchstem Niveau geholfen werden kann.
Ich würde das Wort „Ökonomie“ auch nicht verteufeln
wollen. Eine ökonomische Führung von Krankenhäusern
ist wichtig, damit auch weiterhin in zukunftsweisende
Technologien investiert werden kann. Gerade im HDZ
konnte ja durch sinnvolles Wirtschaften vieles für das Patientenwohl getan werden. Ich bin davon überzeugt, dass
dies auch zukünftig so bleiben wird.
Neben der klinischen Tätigkeit hat ein Klinikdirektor
natürlich noch viele andere Aufgaben. Wo sehen Sie
hier Ihre Schwerpunkte?
Prof. Gummert: Grundsätzlich sind die Anforderungen an
einen Chefarzt auch aufgrund veränderter politischer und
gesetzlicher Rahmenbedingungen in den letzten Jahren
enorm gestiegen. Für Bad Oeynhausen gilt es nicht nur,
eine einzelne Klinik erfolgreich zu leiten, sondern in enger
Zusammenarbeit mit der Verwaltung, den anderen Kliniken des Hauses und dem Pflegedienst vermehrt Wissen
zur Qualitätssicherung, zu kollegialer Kooperation, Perso-
Prof. Dr. med. Jan Gummert
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geb. 1963 in Essen
1982–1988 Medizinstudium (Univ. Tübingen und Bonn)
1988–1990 AiP (Chir. Uniklinik, Bonn)
1989 Promotion: „Rezidivhäufigkeit und Entartung
villöser und tubulovillöser Adenome“
1990–1994 Ass.-Arzt Klinik für Herz-, Thorax- und
Gefäßchirurgie Univ. Göttingen
1994–1996 Ass.-Arzt Klinik für Herzchirurgie,
Herzzentrum Leipzig
1996 Facharzt für Herzchirurgie
1997–1998 PostDoc Fellow Stanford University
1998–2001 Oberarzt Klinik für Herzchirurgie,
Herzzentrum Leipzig
2002 C3-Professur Herzchirurgie, Schwerpunkt
thorakale Organtransplantation
2002–2005 Studiendekan der Med. Fakultät Univ.
Leipzig
2006 Berufung auf die W3-Professur für Herz- und
Thoraxchirurgie der FSU Jena, Direktor der Klinik für
Herz- und Thoraxchirurgie
2009 Direktor der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie am Herz- und Diabeteszentrum NRW,
Bad Oeynhausen
Forschungsprojekte (Auswahl)
• Pharmakodynamik der Immunsuppressiva
• Passive Kardiomyoplastie (Acorn – Multicenter-Studie)
• Anastomosegeräte in der Koronarchirurgie (Cardica Pasport, C-Port)
• Off-Pump-Chirurgie
• Langzeitkonservierung von Spenderorganen
• Qualitätssicherung in der Herzchirurgie
Mitgliedschaften/Funktionen
• Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, Vorsitzender der AG EDV/QS in der Herzchirurgie
• International Society for Heart and Lung Transplantation
• Deutsche Transplantationsgesellschaft
• International Society of Minimal Invasive Cardiac Surgery
• Fachgruppe Herz bei der Bundesgeschäftsstelle für
Qualitätssicherung
Kardioforum 1 | 2009
23
Herzchirurgie in Bad Oeynhausen
In der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie im Herz- und Diabeteszentrum NRW, Bad Oeynhausen, werden seit 1984 sämtliche
herzchirurgischen Operationsverfahren einschließlich aller Operationen angeborener und komplexer Herzfehler durchgeführt, darunter
jährlich bis zu 4 500 Eingriffe am offenen Herzen sowie rund 1 500
Operationen ohne Herz-Lungen-Maschine. Sechs Operationssäle mit
modernster Ausstattung bilden das Herzstück der Klinik. Mehr als
1 600 Herz- und Herz-Lungen-Transplantationen wurden hier durchgeführt. Neben der Intensiv- und Transplantationsstation stehen vier bettenführende Pflegestationen, darunter die Komfort-Pflegestation Toskana, sowie eine VAD-Station für Patienten mit mechanischer Kreislaufunterstützung (Kunstherzen) zur Verfügung. Mit über 1 600 Herzund Herz-Lungen-Transplantationen und über 1 500 Kunstherzoperationen nimmt die Klinik eine internationale Spitzenposition ein. Zur
Ausstattung zählen eine eigene Herzklappen- und Gewebebank, ein
angeschlossenes Institut für angewandte Telemedizin (IFAT) sowie
ein Zentrum für klinische Forschung und Entwicklung.
nalführung, Aus- und Weiterbildung einzubringen und sich den daraus resultierenden Aufgaben zu stellen. Dies alles
im Sinne eines Gesamtkonzeptes, das
eine stetig hohe Qualität bietet. Für das
Herz- und Diabeteszentrum NRW bin ich
da sehr zuversichtlich, zumal man hier
der Prämisse „Medizinische Qualität
und menschliche Nähe“ nicht nur immer
treu geblieben ist, sondern auch stets
dazu bereit gewesen ist, entsprechend
zu investieren.
Welche Zeichen werden Sie zum
Thema „menschliche Nähe“ setzen?
Prof. Gummert: Wir wissen, dass psychische Faktoren einen großen Einfluss
auf die Gesundheit haben. Nicht nur Patienten, die auf eine Herztransplantation
warten, sind einer hohen Belastung aus-
Aktuelle Bedeutung minimalinvasiver
Strategien in der Herzchirurgie
gesetzt, die den Transplantationserfolg
ernsthaft gefährden kann. Auch Patienten, die auf eine „normale“ Herzoperation warten, sind seelischem Druck ausgesetzt. Für unsere Klinik wird daher ein
speziell für diesen Bereich geschultes
Team zur psychologischen Beratung und
Betreuung zur Verfügung stehen.
Sie haben betont, dass Sie die Herausforderung, die hohe medizinische
Qualität des Hauses fortzusetzen,
gerne annehmen. Welche Aspekte
wollen Sie dabei stärker als bisher betonen?
Prof. Gummert: Die bestehenden guten
Kontakte zur Ruhr-Universität Bochum
sollen auf jeden Fall weiter ausgebaut,
neue geknüpft, Innovationsbereiche in
gemeinsamen Forschungsteams gebün-
delt werden. Wir möchten auch deshalb
die Bereiche Forschung und Lehre intensivieren, um den Charakter unserer Universitätsklinik noch mehr als bisher zu
betonen.
Eine Fülle von Aufgaben wird in der
nächsten Zeit auf Sie zukommen.
Könnten Sie sich jemals vorstellen,
sich einem anderen Gebiet als der
Herzchirurgie zu widmen?
Prof. Gummert: Diese Frage hat sich für
mich niemals gestellt. Kein anderes
Fach ist so vielseitig, bietet Kontakt mit
Patienten, denen wir helfen können, und
fordert gleichzeitig den wissenschaftlichen Forschungsdrang heraus.
Vielen Dank für das Gespräch und viel
Erfolg für die Zukunft!
Halter
für Vorhofhaken
Endoskop
Jan Gummert
nter minimalinvasiven Strategien in
der Herzchirurgie werden sowohl
Eingriffe am Herzen ohne den Einsatz
der Herz-Lungen-Maschine als auch Eingriffe mit Herz-Lungen-Maschine, aber
mit alternativem Zugangsweg zum Herzen verstanden. Da herzchirurgische Verfahren per se invasive Verfahren darstellen und das Trauma durch diese so genannten minimalinvasiven Verfahren in
unterschiedlichem Maße nur reduziert
wird, sollte besser der Begriff „weniger
invasive Verfahren“ verwendet werden.
Im Folgenden werden die drei derzeit
wichtigsten Verfahren vorgestellt.
U
Korrespondenzadresse:
Univ.-Prof. Dr. med. Jan Gummert
[email protected]
Klinik für Thorax- und
Kardiovaskularchirurgie
Herz- und Diabeteszentrum
Nordrhein-Westfalen
Universitätsklinik der
Ruhr-Universität Bochum
Georgstraße 11
32545 Bad Oeynhausen
Mitralklappenchirurgie/
Trikuspidalklappenchirurgie
Bei der heutzutage am häufigsten durchgeführten Form der minimalinvasiven
Mitralklappenchirurgie wird die HerzLungen-Maschine über die Leistengefäße angeschlossen. Die Mitralklappe wird
über eine seitliche rechtsseitige Minitho-
24
Kardioforum 1 | 2009
rakotomie („Schlüsselloch“) mit einer
Schnittlänge von ca. 5–7 cm erreicht
(Abb. 1).
Über diesen Zugang können sämtliche Klappen erhaltenden Rekonstruktionsverfahren der Mitralklappe durchgeführt werden. Selbstverständlich kann
über den gleichen Zugang die Klappe
auch durch eine biologische oder mechanische Prothese ersetzt werden.
Abb. 2 zeigt das Operationsfeld, wie es
sich dem Chirurgen darstellt.
Auch Eingriffe an der Trikuspidalklappe können über diesen Zugang durchgeführt werden. Bei diesen Patienten
muss sowohl das Blut aus der unteren
Hohlvene als auch aus der oberen
Hohlvene direkt in die Herz-LungenMaschine geleitet werden. Letzteres
geschieht durch Einbringen einer zusätzlichen Kanüle in eine große rechtsseitige
Halsvene (V. jugularis interna). Hiernach
kann der rechte Vorhof, also das Operationsfeld, aus dem Blutfluss ausgeschal-
Aortenklemme
Anschluss der Herz-Lungen-Maschine
tet werden. Die gleiche Technik wird
auch bei einem Verschluss der Vorhofscheidewand angewendet.
Kontraindikationen für diese Technik
sind die periphere arterielle Verschlusskrankheit sowie die erhebliche Verkalkung der Hauptschlagader. Auch bei Voroperationen an der rechten Lunge muss
in der Regel konventionell operiert werden, da Verwachsungen der Lunge mit
der Brustwand den Weg zum Herzen
versperren können.
In Deutschland findet dieses Verfahren zunehmend Verbreitung. 2007 wur-
Abb. 1 (links): Lagerung des Patienten im OP-Saal bei einem minimalinvasiven Klappeneingriff. Die HerzLungen-Maschine wird an den Leistengefäßen angeschlossen. Zu
sehen sind auch die Aortenklemme
und das Endoskop.
Abb. 2 (unten): Sicht des Chirurgen
nach Eröffnung des linken Vorhofes. Das Foto zeigt den direkten
Blick auf die Mitralklappe mit dem
Endoskop.
Kardioplegiekanüle
Blick auf die
Mitralklappe
Aortenklemme
rechter Vorhof
Vorhofohr
venöse Kanüle
Pulmonalvenen
Kardioforum 1 | 2009
25
hervorragenden kosmetischen Ergebnis
(Abb. 3) als auch mit einer schnelleren
Mobilisation nach der Operation verbunden. Das Risiko von Wundheilungsstörungen ist reduziert, insbesondere können keine sternalen Wundheilungsstörungen auftreten.
Abb. 5 (links): Octopus-Stabilisator
in Aktion. Ein Herzkranzgefäß im
Bereich der Hinterwand wird durch
den Saugarm stabilisiert.
Saugnäpfe
Aortenklappenchirurgie
Unter minimalinvasiver Aortenklappenchirurgie wird in den meisten Zentren
der Zugang zur Aortenklappe über eine
nur teilweise Durchtrennung des Brustbeines verstanden. Dabei wird das
Brustbein durch eine L-förmige Schnittführung von oben her nur bis zum oberen Drittel durchtrennt. Vorteil auch die-
Abb. 3 (oben und rechts): Operationsnarbe nach minimalinvasiver
Mitralklappenrekonstruktion
Saugglocke
Abb. 6 (links): Mithilfe von Perikardzugnähten luxiertes Herz
Abb. 4 (rechts): Operationsnarbe
nach minimalinvasivem Aortenklappenersatz
Perikardzugnähte
den bereits 857 (17,3% aller Eingriffe in
Deutschland) isolierte Mitralklappeneingriffe ohne Sternotomie durchgeführt,
im Jahr 2006 waren es noch 594 Eingriffe (13,1% aller Eingriffe in Deutschland).
Die Zahl der Kliniken, in denen minimalinvasive Mitralklappenchirurgie angeboten wird, hat sich von 21 Kliniken im
Jahr 2006 auf 31 Kliniken im Jahr 2007
weiter erhöht. Allerdings wird bisher nur
in 5 der 31 Kliniken bei mehr als 50% der
Mitralklappeneingriffe ein minimalinvasives Verfahren gewählt.
Vorteil dieses Verfahrens für den Operateur ist die direkte Sicht auf die zu operierende Herzklappe, was u. a. die Beurteilung der Klappenfunktion vereinfacht.
Für den Patienten ist die Vermeidung
einer Sternotomie sowohl mit einem
26
Kardioforum 1 | 2009
ses Verfahrens ist neben den kosmetischen Aspekten (Abb. 4) eine bessere
Mobilisierbarkeit der Patienten durch die
erhaltene Integrität des Schultergürtels.
Koronarchirurgie
Auch heute noch ist die isolierte Koronarchirurgie („Bypasschirurgie“) der am
häufigsten durchgeführte Eingriff in der
Herzchirurgie (knapp 50 000 Eingriffe in
2007). Derzeit werden in Deutschland
Bypassoperationen am häufigsten im
kardioplegischen Herzstillstand durchgeführt (ca. 89%). Etwa 5 000 Eingriffe
werden am schlagenden Herzen ohne
Verwendung der Herz-Lungen-Maschine
(„off pump“) durchgeführt.
Die Koronarchirurgie am schlagenden
Herzen ohne Zuhilfenahme der Herz-
Lungen-Maschine ist kein Verfahren der
jüngeren Zeit. Bereits Kolessov hat 1964
in Stalingrad die Brustwandarterie am
schlagenden Herzen mit der Vorderwandarterie des Herzens verbunden. Allerdings reichten die damals verfügbaren
technischen Hilfsmittel nicht aus, um
alle Herzkranzgefäße am schlagenden
Herzen zu erreichen. So musste für eine
vollständige Versorgung aller Herzkranzgefäße weiter die Herz-Lungen-Maschine eingesetzt werden.
Mitte der 90er-Jahre wurde mit dem
so genannten Octopus-Stabilisator (Abb.
5) ein technisches Hilfsmittel eingeführt,
mit dem die vollständige Versorgung
aller Gefäße auch am schlagenden Herzen möglich wurde. Dabei handelt es
sich um einen Fuß mit Saugnäpfen, der
an einem frei beweglichen Arm montiert
ist – angelehnt an den Arm eines Tintenfisches. Mit dieser Hilfe lässt sich bei
den meisten Patienten jede Region des
Herzens so stabilisieren, dass die Verbindungsstellen zwischen Herzkranzgefäß
und Bypass in der gleichen Qualität wie
am stillgelegten Herzen genäht werden
können. Weitere Hilfsmittel sind die Perikardzugnähte (Abb. 6) sowie eine Saugglocke (Abb. 5), mit deren Hilfe das Herz
in die gewünschte Position gebracht
wird, ohne den Kreislauf des Patienten
zu gefährden. Insbesondere Hochrisikopatienten profitieren von dieser Methode, was in einer deutlich erniedrigten
Komplikationsrate abgebildet wird.
Kardioforum 1 | 2009
27
Die „dicke linksventrikuläre Wand“ –
Trainingseffekt oder Kardiomyopathie?
Lothar Faber, Frank van Buuren, Klaus-Peter Mellwig
yokarderkrankungen, in erster
Linie die hypertrophe Kardiomyopathie (HCM), sind in einem hohen Prozentsatz für den plötzlichen Tod scheinbar gesunder junger Sportler verantwortlich. Unter Einsatz neuerer echokardiographischer Methoden (Sammelbegriff:
„parametric imaging“), welche neben
der Morphologie auch die Funktion des
Myokards analysieren, erscheint eine
Trennung dieser pathologischen von der
sportadaptiven Hypertrophie des linken
Ventrikels möglich. Schwieriger, wenn
auch in typischen Fällen diagnostisch, ist
die echokardiographische Erfassung der
arrhythmogenen
rechtsventrikulären
Kardiomyopathie und der Myokarditis als
weiteren in diesem Zusammenhang bedeutungsvollen Myokarderkrankungen.
Ein obligates Screening aller Kader-Athleten führte in Italien zur weitgehenden
Elimination der HCM als Todesursache
bei jungen Sportlern.
M
Risiken körperlicher Belastung
Korrespondenzadresse:
PD Dr. Lothar Faber
[email protected]
Kardiologische Klinik
Herz- und Diabeteszentrum
Nordrhein-Westfalen
Universitätsklinik der
Ruhr-Universität Bochum
Georgstr. 11
32545 Bad Oeynhausen
28
Kardioforum 1 | 2009
„Sport hält (kreislauf)gesund“ – diese
These hat trotz mancher Exzesse im Bereich des Profi- und Leistungssports
nach wie vor Gültigkeit (1). Voraussetzung aufseiten des Sporttreibenden ist
allerdings ein gesundes bzw. durch die
sportbedingten Belastungen nicht überfordertes Herz-Kreislauf-System. Die mit
gewisser Regelmäßigkeit durch die Medien gehenden Berichte über den (in der
Regel arrhythmogen bedingten) plötzlichen Tod junger, scheinbar völlig gesunder Athleten (2, 3) auf der einen Seite,
Mitteilungen bezüglich überhöhter Infarktsterblichkeit im Zusammenhang mit
körperlicher Aktivität (z. B. Schneeräumen bei plötzlichem Wintereinbruch; 4)
auf der anderen Seite machen aber deutlich, dass jede starke körperliche Belastung ein Risiko beinhaltet, wenn eine
bislang okkulte oder neu erworbene kardiale Schädigung vorliegt. Dabei besteht
zwischen professionell betriebenem
Leistungssport und intensivem Training
in der Freizeit wahrscheinlich nur ein gradueller Unterschied.
Der folgende Beitrag soll, soweit in
der gebotenen Kürze möglich,
1) die wesentlichen sportadaptiven
kardialen Veränderungen beleuchten,
2) das Spektrum der bei plötzlich verstorbenen Sportlern gefundenen
kardialen Erkrankungen aufzeigen
sowie
3) die Bedeutung der Echokardiographie zur Differenzialdiagnose zwischen sportadaptiven und pathologischen myokardialen Veränderungen beleuchten.
Kardiale Adaptation
an sportliche Betätigung
Dilatation und Wandverdickung sind die
wesentlichen morphologischen Veränderungen des Herzens, in erster Linie
des linken Ventrikels, im Gefolge intensiven körperlichen Trainings. Dabei stellen
die meisten Sportarten eine Mischung
aus isometrischen, d. h. kraftbetonten
und tendenziell eher zu einer Druckbelastung des Herzens führenden Anteilen, sowie isotonischen, eher zu einer
kardialen Volumenbelastung führenden
Übungsanteilen dar. Das Konzept einer
unterschiedlichen kardialen Antwort auf
diese beiden verschiedenen Belastungsformen wird zwar kontrovers diskutiert,
scheint aber nach einer größeren Metaanalyse in den Grundzügen validiert (5).
Wanddicken- und Kammerdiameterzunahmen von 15–20% können daher
durchaus Folge intensiven sportlichen
Trainings sein. Auf der anderen Seite
sind Wandstärken von >13 mm (5, 6)
oder LV-Diameter von >60 mm (5, 6)
selbst unter hochtrainierten Elite-Athleten selten. Im Einzelfall können derartige
Messwerte jedoch die Differenzialdiagnose zu hypertrophen (HCM) oder dilatativen Kardiomyopathieformen (DCM: dilatative Kardiomyopathie, ARVCM: arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie) aufwerfen. In diesen Fällen
ist aus der Tatsache der Dilatation oder
Wandverdickung selbst nicht unbedingt
auf den pathologischen Prozess zu
schließen.
Spektrum der bei plötzlich verstorbenen Sportlern gefundenen
kardialen Erkrankungen und Bedeutung der Echokardiographie
Die Bedeutung der rechtzeitigen Erkennung kardiomyopathischer Prozesse
wird aus der Verteilung der postmortal/autoptisch gewonnenen Diagnosen
deutlich: In einer entsprechenden Untersuchung (Abb. 1) an plötzlich verstorbenen US-amerikanischen Sportlern (2)
unter 35 Jahren fand sich bei mehr als
1/3 der Opfer eine HCM, bei weiteren
10% eine kardiale Hypertrophie, die jedoch nicht die Diagnose einer HCM erlaubt hätte. Dilatative myokardiale Schädigungen (DCM, Myokarditis, ARVCM)
fanden sich in insgesamt 10% der Fälle.
Gut 50% dieser im Nachhinein als Patienten zu klassifizierenden jungen
Sportler wiesen somit eine myokardiale
Erkrankung als Substrat der zum Tode
führenden Arrhythmie auf.
Zählt man hierzu die kleine Gruppe
der Vitien (Aortenstenose, Mitralklappenprolaps-Syndrom), so lässt sich erkennen, dass knapp 2/3 der in dieser Untersuchung gestellten Diagnosen zumindest theoretisch auch intravital, in erster
Linie mittels einer echokardiographischen Diagnostik, zu stellen gewesen
wären.
Es muss an dieser Stelle jedoch darauf hingewiesen werden, dass in höherem Lebensalter (>35 Jahre) koronare
Läsionen die eindeutig führende Rolle
unter den zum sportassoziierten Tod führenden strukturellen Herzerkrankungen
spielen.
Nach Maron 1996
Differenzierung:
kardiomyopathischer Prozess
versus „Sportlerherz“
Abb. 1
Für die echokardiographische Diagnostik
von Vitien gelten bei Sportlern die gleichen Kriterien wie in der sonstigen Erwachsenen-Kardiologie. Ein differenzierteres Vorgehen erfordert jedoch der
Ausschluss kardiomyopathischer Veränderungen, da die bloße Messung einer
Wandverdickung oder Kammerdilatation
keine sichere Differenzialdiagnose erlaubt, von ausgeprägten Fällen (Wanddicke >15–16 mm; enddiastolischer LVDiameter >70 mm) abgesehen. Bei
einem „Sportlerherz“ sollten die LV-Geometrie ungestört, die globale und regionale systolische Pumpfunktion unauffällig und der transmitrale Fluss als Marker
einer normalen diastolischen linksventrikulären Funktion (7) sicher normal sein.
Eine in entspanntem, normal hydriertem
Zustand bestimmte E/A-Ratio des transmitralen Flusses von <1,0 wäre somit in
der Regel im Sinne einer gestörten Relaxation, z. B. im Rahmen einer phänotypisch noch nicht deutlichen HCM, zu interpretieren.
Das notorische Problem der so genannten „Pseudo-Normalisierung“ des
Mitralfluss-Profils, d. h. der betonten
frühdiastolischen Füllungswelle E infol-
Kardioforum 1 | 2009
29
ge hoher linksatrialer Drücke und trotz
gestörter LV-Relaxation, kann bei den in
der Regel ja recht gut beschallbaren Probanden durch zusätzliche Ableitung des
Pulmonalvenen-Flussmusters (7) und
der Fluss-Propagation gelöst werden.
Die Bestimmung der Bewegungsgeschwindigkeiten von Mitralring oder basalen LV-Segmenten mittels GewebeDoppler-Technik (TDE) ist jedoch unser
bevorzugter Ansatz bei dieser Problemstellung (8, 10). Auch die Bestimmung
segmentaler
Deformationsparameter
wie „strain“ (= Gesamtverkürzung in der
Systole) bzw. „strain rate“ (= Verkürzungsgeschwindigkeit) können herangezogen werden. Referenzwerte für Normalpersonen liegen dabei vor, die Erarbeitung von Referenzwerten für Sportler
steht noch am Anfang. Wir gehen davon
aus, dass die frühdiastolische Rückstellbewegung des Mitralanulus bei lateraler
Messung mittels spektralen GewebeDopplers schneller als 10–12 cm/s sein
sollte, um von einer sportadaptiven Hypertrophie sprechen zu können, und finden nicht selten „supernormale“ diastolische Funktionsparameter.
Die Abb. 2 zeigt das Beispiel eines
Liga-Fußballers (linke Bildleiste; a: 4Kammer-Blick), der anhand pathologischer diastolischer Parameter (b: transmitraler Fluss mit betonter spätdiastoli-
Abb. 2
30
Kardioforum 1 | 2009
scher Füllungswelle, c: Flusspropagation
von 40 cm/s und d: TDE-Analyse der
diastolischen Mitralring-Geschwindigkeit
von 5–6 cm/s) bei normalen Diametern
und nur grenzwertig verdickten LV-Wänden als HCM-Patient identifiziert wurde
(im Vergleich zu einem Probanden mit
„Sportherz“, rechte Bildleiste e–h).
Sehr viel schwieriger bzw. nur in fortgeschrittenen Fällen möglich ist die
echokardiographische Diagnose einer
ARVCM. Sämtliche systolischen wie diastolischen Funktionsparameter des linken Ventrikels können normal sein. In klinischen (Synkopen) oder elektrokardiographischen (so genannte Epsilon-Welle,
rechtsventrikuläre
Repolarisationsstörungen) Verdachtsfällen ist, auch in atypischen Schallebenen, auf teilweise subtile, regionale Aussackungen, Wandverdünnungen und Bewegungsstörungen
des rechten Ventrikels zu achten, insbesondere subtrikuspidal, im Apexbereich
sowie im Bereich des RV-Ausflusstrakts.
Bei der Diagnostik dilatativer LV-Schädigungen ist die teilweise große Körperoberfläche v. a. männlicher Athleten zu
berücksichtigen (6, 9, 12). In einer eigenen Untersuchung (noch unveröffentlicht) sowie bei Sharma und Mitarbeitern
fand sich ein zwar ein LVEDD von >55
mm bei ca. 40% der Probanden; bezogen auf die Körperoberfläche jedoch nur
noch in <10% ein LVDiameter-Index
von
>30 mm/m2. Angesichts der sonst jedoch
sämtlich
physiologischen systolischen und
diastolischen
Funktionsparameter war in
keinem dieser Fälle die
Diagnose einer DCM
oder Myokarditis zu
stellen. Dabei kann
eine akute wie chronische Myokarditis echokardiographisch
sehr
schwer bzw. nur im klinischen Kontext diagnostizierbar sein. Die
akute Erkrankung ist
echokardiographisch
am ehesten durch eine globale, häufig
nur milde systolische und diastolische
Funktionseinschränkung gekennzeichnet, dazu findet sich oft ein schmaler perikardialer Flüssigkeitssaum. Chronische
Formen zeigen gelegentlich atypische,
nicht den Koronarterritorien zuzuordnende regionale Asynergien. Die Diagnose
einer typischen DCM (globale systolische und diastolische Dysfunktion, LVDilatation) dürfte kein Problem darstellen. Additiv zur echokardiographischen
Diagnostik sollte in diesem Zusammenhang auch auf das Potenzial der kardialen MRT-Diagnostik hingewiesen werden, mit der bei allen Kardiomyopathieformen eine Fibrosebildung intravital
nachgewiesen werden kann (13).
Auf die Effektivität eines (bei Leistungssportlern) obligaten, echokardiographische Untersuchungen einbeziehenden Screeningprogramms lassen die
italienischen Erfahrungen schließen. Im
Gegensatz zur o. g. US-amerikanischen
Studie fand eine ähnlich angelegte Untersuchung (3) eine HCM nur bei 2% der
plötzlich verstorbenen italienischen Athleten. Die häufigsten postmortalen Diagnosen waren hier die ARVCM (22%)
bzw. koronare Veränderungen (31%) –
Erkrankungen also, deren echokardiographische Diagnose schwierig bzw. unmöglich ist. Probanden mit einer HCM
wurden durch das Screening offenbar
mit hoher Treffsicherheit erfasst und
konnten vor den kardialen Risiken des
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(8) Nagueh SF, Bachinski LL et al. Tissue
Doppler imaging consistently detects
myocardial abnormalities in patients with
hypertrophic cardiomyopathy and provides a novel means for an early diagnosis before and independently of hypertrophy. Circulation 2001;104:128–30
(9) Abraham TP, Dimaano VL, Liang HY.
Role of Tissue Doppler and Strain Echocardiography in Current Clinical practice.
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(10) Hildick-Smith DJR, Shapiro LM.
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pathological and physiological LV hypertrophy. Heart 2001;85:615–19
(11) Faber L, van Buuren F. Athlete
screening for occult heart disease: No
risk, no fun? J Am Coll Cardiol 2008;51:
1040–1
(12) Sharma S, Maron BJ, Whyte G, Firoozi S, Elliott PM, McKenna WJ. Physiologic limits of left ventricular hypertrophy
in elite junior athletes: relevance to differential diagnosis of athlete’s heart and
hypertrophic cardiomyopathy. J Am Coll
Cardiol 2002;40:1431–6.
(13) Adabag AS, Maron BJ et al. Occurrence and frequency of arrhythmias in
HCM in relation to delayed enhancement
on cardiovascular MR imaging. J Am Coll
Cardiol 2008;51:1369–74
(14) Pelliccia A, Fagard R, Bjørnstad HH
et al. Recommendations for competitive
sports participation in athletes with cardiovascular disease. Eur Heart J
2005;14:1422–45
Leistungssports geschützt werden. Die
eigenen Bemühungen sowie die einer
europäischen Arbeitsgruppe weisen in
die gleiche Richtung (11, 14).
Zusammenfassung
Vor Aufnahme (sowie in regelmäßigen Intervallen während) intensiver sportlicher Betätigung sollte das Vorliegen einer strukturellen Herzerkrankung ausgeschlossen
werden. Die Mehrzahl der in diesem Zusammenhang bei jüngeren Sportlern (<35
Jahre) relevanten Erkrankungen lässt sich durch echokardiographische Bildgebung
(eingebettet in ein vergleichsweise wenig aufwendiges Screeningprogramm, bestehend aus: Anamnese, körperlicher Untersuchung und EKG) erkennen. Zur Abgrenzung einer pathologischen von einer sportadaptiven LV-Hypertrophie sind diastolische Parameter sowie eine Funktionsanalyse evtl. verdickt gefundener Wandabschnitte von entscheidender Bedeutung. Das bloße Vorliegen einer Wandverdickung
oder einer Dilatation erlaubt bei Sportlern keine hinreichend sichere Trennung. Die
neuen Methoden der echokardiographischen Funktionsanalyse hingegen verbessern
die Treffsicherheit und sollten somit in diesem Kontext zum Einsatz kommen.
Kardioforum 1 | 2009
31
Kardiologie in Düren
Dietrich C. Gulba: Leidenschaft für das Herz
Werner Waldmann
üren in der Eifel: Die Stadt fühlt sich
im Herzen Europas gelegen, und
wenn man sie auf der Landkarte sucht,
trifft das genau zu. Düren ist eine freundliche Stadt; die Hektik mancher Großstadt vermisst man nicht. Und denselben
Eindruck vermittelt auch das zentrale
Krankenhaus der Stadt. Die Klinik hat Tradition. Bis ins 15. Jahrhundert reicht ihre
Historie zurück. In der Gestaltung der Klinik merkt man die Absicht, Besuchern
und Patienten kein Krankenhaus zu präsentieren, sondern ein modernes Gesundheitszentrum. Sich wohl zu fühlen,
das gehört hier mit zur Therapie.
Nähern wir uns der Klinik aus der Totalen. Als Haus der Schwerpunktversorgung hat es 492 Betten, die im Krankenhausplan Nordrhein-Westfalens ausgewiesen sind. Entsprechend komplett ist
das Spektrum der medizinischen Fachbereiche. Drei chirurgische Kliniken teilen sich das Unfall- und orthopädische
Ressort, die Allgemein- und Viszeralchirurgie und die Gefäßchirurgie. Dann die
Gynäkologie und zusätzlich eine eigene
Urologie, Augen- und HNO-Klinik, die
Kinderklinik. Weiter die zentralen Dienste wie Pathologie, Radiologie und Anästhesie. Die Innere Medizin ist dreigeteilt
in Onkologie, Gastroenterologie mit Endokrinologie und dann die Königsdisziplin
der Inneren: die Kardiologie mit Angiologie, Pneumologie und Schlaflabor. Und
dieses klinische Ressort wollen wir vorstellen.
D
Der Chef bestimmt das Klima
Chefarzt Prof. Dietrich C. Gulba ist die
menschliche Verkörperung der heiteren
Landschaft und des warmen Ambientes
des Klinikums. Gulba hat nichts von der
Strenge oder gar Unnahbarkeit mancher
Chefärzte. Seine natürliche Herzlichkeit
und Fröhlichkeit steckt an und macht
manche Patientenängste klein. Wenn
Gulba im Herzkatheterlabor die Leiste
32
Kardioforum 1 | 2009
auch das gehört zum therapeutischen
Spektrum. Und selbstverständlich hat
sich Gulba auch der Schlafmedizin aus
kardiologischer Perspektive angenommen.
punktiert, den Führungsdraht hochschiebt, den Stent platziert – er lässt
dabei seinen Patienten auf dem Tisch
keine Minute allein mit seinen Fantasien
und Befürchtungen. Gulba plaudert mit
ihm, erzählt, findet eine witzige Pointe –
und für den Menschen auf dem Tisch
vergeht so die Behandlungszeit wie im
Flug. So wünscht man sich seinen Arzt!
Gulbas Frohsinn strahlt auch auf sein
Team aus. Dieselbe Wärme und Freundlichkeit legen auch seine fünf Oberärzte
an den Tag, das Pflegepersonal, die Sekretärinnen. Wie gesagt, die Einrichtung
der Klinik und der Umgangston von Ärzten und Pflegepersonal überspielen die
Ernsthaftigkeit eines Krankenhauses, in
dessen Kardiologie immerhin meistens
schwere Fälle behandelt werden.
Ein hochqualifiziertes
Leistungsangebot
Das Durchschnittsalter der Patienten
liegt um die sechzig Jahre. Herzinfarktpatienten werden an sieben Tagen rund
um die Uhr versorgt. Im Zug der Zeit hat
sich die Dürener Kardiologie auch mit
dem neuen, hochkomplexen Feld der
Elektrophysiologie vertraut gemacht, um
gravierende Herzrhythmusstörungen zu
diagnostizieren und mittels Hochfrequenzablation zu behandeln. Lungenhochdruck, COPD, hypertroph-obstruktive Herzerkrankungen, Infektionen –
ten als Intensivbetten und 13 auf der Coronary Care Unit.
An diagnostischen Möglichkeiten steht
die Kardiologie im Dürener Krankenhaus
anderen Zentren in nichts nach: modernste Ultraschalldiagnostik des Herzens und der Gefäße, Ergometrie, Langzeit-EKG und Langzeit-Blutdruckmessung, Kipptischuntersuchungen, Bodyplethysmographie,
Spiroergometrie,
Bronchoskopie, Pleurapunktion und
Pleuradrainage. Die Ärzte setzen Schrittmacher und Defis ein, beraten und kontrollieren. Für Herzfunktionsuntersuchung steht das Feinste, was es augenblicklich gibt, zur Verfügung: MRT und
64-Zeilen-Computertomographie.
Gulba hat 110 Betten auf fünf Stationen unter seiner Ägide, davon neun Bet-
Medizinstudium
nicht in die Wiege gelegt
Mütterlicherseits gingen, so erzählt
Gulba, in seiner Familie seit Generationen ein Drittel der Männer dem Beruf
des Pfarrers nach und ein Drittel dem
des Arztes. Allerdings wuchs Gulba in
der nüchternen Welt des Handels auf.
Sein Vater betrieb ein erfolgreiches Han-
delshaus, und es galt als ausgemacht,
dass der Sohn später in den väterlichen
Betrieb eintreten würde.
Mit der Medizin kam er durch einen
Onkel in Berührung. Das war eine eindrucksvolle Persönlichkeit, schon vom
Äußeren her, schlohweißes Haar, ein
richtiger Charakterkopf. Und der Onkel
war Arzt, Unfallchirurg. Er betrieb eine
Privatklinik am Rhein. Dieser Mann, sein
ärztliches Charisma, das faszinierte
Gulba. Zumindest stand für ihn fest,
dass er niemals den Beruf des Kaufmanns ergreifen würde.
Nach dem Abitur gab es Ärger. Der
Sohn sollte ganz selbstverständlich Betriebswirtschaft studieren, um dann später in Vaters Fußstapfen zu treten. Gulba
lehnte ab. Medizin oder Chemie war sein
Ziel. Der Vater sagte klipp und klar, dass
er ein betriebswirtschaftliches Studium
großzügig unterstützen wolle. Für Medizin gäbe es keinen Pfennig. Basta. Gulba
ließ sich nicht beeindrucken. Wahrscheinlich bestärkte ihn die väterliche
Dickköpfigkeit nur noch mehr in seinem
Plan. Er begann das Studium der Chemie.
Mit einem Prädikatsdiplom schloss er
das Studium im November 1977 in Tübingen ab. Geld verdiente er nebenher
mit dem Aufbau des wissenschaftlichen
Hämostaselabors der Abteilung Herz-,
Thorax- und Gefäßchirurgie der Universität Tübingen unter den Professoren
Hoffmeister und Heller. Diese Phase
dauerte von 1979 bis 1981. Parallel dazu
begann Gulba Medizin zu studieren. Im
Kardioforum 1 | 2009
33
April 1983 legte er sein Ärztliches Staatsexamen ab, im Januar des Folgejahres
promovierte er, ebenfalls in Tübingen.
Sein Thema: „Zur Pathophysiologie des
extrakorporalen Kreislaufs“.
Dabei untersuchte er das Gerinnungsund Fibrinolysesystem, die zweiwertigen Elektrolyte und Lactat während des
kardiopulmonalen Bypasses in der Herz-
chirurgie. Damit hatte Gulba auch seine
fachliche Richtung gefunden: das Herz,
den Kreislauf.
Die Herzchirurgie hätte ihn sehr gereizt, doch ein eher banales Problem hinderte ihn daran. „Es ist eher unwahrscheinlich”, erklärt er verschmitzt, „bei
meiner Körpergröße einen ebenso großen Chef zu finden. Und dann hätte ich
Dietrich C. Gulba bei einer Intervention in einem der beiden
Herzkatheterlabore
ständig in gebückter Haltung am Tisch
arbeiten müssen. Das wollte ich meinem Rücken nicht antun.“ Also wandte
er sich der Kardiologie zu.
Im Mai 1983 wechselte er an die Medizinische Hochschule Hannover zum
Kardiologen Prof. Lichtlen. Die Thrombolysetherapie beim Myokardinfarkt und
bei der Lungenembolie und Themen der
kardiovaskulären Hämostase interessierten ihn, ebenso Arbeiten zur quantitativen Koronarangiographie. Ende April
1992 habilitierte er in Hannover.
Ab Januar 1993 stand wieder ein
Wechsel an, wieder eine neue Herausforderung: die Überführung eines altehrwürdigen Institutes der Spitzenmedizin
der ehemaligen DDR in die westliche
Gesundheitsmedizin mit ihren Standards
sowie der Aufbau der Intensiv- und Notfallmedizin an der Franz-Volhard-Klinik
am Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin in Berlin-Buch. Zum Jahres-
34
Kardioforum 1 | 2009
beginn 1994 erhielt Gulba die C-3Professur für Kardiologie an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Seit dem 1. Dezember 2000 leitet er
die Kardiologie mit Angiologie und Pulmologie am Krankenhaus Düren.
Ist es ein Vorteil für die Arbeit als Mediziner, ein Chemiestudium hinter sich
zu haben? Gulba: „Insofern schon, als
dass ich eher analytisch und nicht eklektisch vorgehe. Ich brauche ein System.”
Und die Entscheidung für die Kardiologie
war eher kein Zufall? „Die Kardiologie ist
ein systematisches Fach”, erklärt Gulba.
„Man hat es zu tun mit zwei Kammern,
zwei Vorhöfen, und der Rest ist Hämodynamik, also ein sehr einfaches, sehr
strukturiertes System.”
Gulba ist ein Meister der Intervention.
1985 begannen er zu kathetern. Es
waren damals diagnostische Eingriffe.
Das Material war verglichen mit den
heutigen Materialien sperrig und würde
heutzutage wohl als mangelhaft empfunden, aber man kam auch damit zurecht. „Man wuchs in die Methode hinein”, erklärt er, „man gewann Sicherheit. Ich erinnere mich noch, wie mein
Chef zu mir sagte, dass über einer
Hauptstammstenose die Sonne nicht
untergehen dürfe, bevor der Herzchirurg
am Werk gewesen sei. Das hat sich
gründlich geändert. Heute behandeln
wir Hauptstammstenosen routinemäßig
mit Stents und schaffen häufig auch
Dreigefäßerkrankungen in einer Sitzung.”
Die Überwachungseinheit liegt
zentral zwischen den beiden Herzkatheterlaboren.
Die Krankenhaus Düren
gem. GmbH ist ein Haus der
Schwerpunktversorgung mit 492
im Krankenhausplan des Landes
Nordrhein-Westfalen ausgewiesenen Planbetten.
Kardioforum 1 | 2009
35
Herz und Diabetes
aus der Sicht der Rehabilitation
Barbara Lamp
er Diabetes mellitus ist einer der
wichtigen Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen. Des Weiteren
sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen, trotz
erheblicher Fortschritte in der medikamentösen, interventionellen und chirurgischen Therapie, nach wie vor Volkserkrankungen mit erheblich eingeschränkter Prognose.
Beide Erkrankungen haben gemeinsam, dass die Prävalenz und Inzidenz
deutlich steigen, insbesondere in den
westlichen Industrieländern und den
sich
industrialisierenden
Ländern
Asiens. In Deutschland gibt es als einem
von wenigen Ländern in der Welt die
durch die Kostenträger finanzierte Möglichkeit der stationären oder ambulanten
Rehabilitation, sowohl nach schweren
klinischen Ereignissen wie z. B. einer
Herzoperation oder einem Herzinfarkt
D
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Barbara Lamp
Chefärztin Park-Klinik
Bad Hermannsborn
Innere Medizin – Kardiologie
Internistische Intensivmedizin
Park-Klinik Bad Hermannsborn
GmbH & Co. KG
Hermannsborn 1
33014 Bad Driburg
Tel.: 0 52 53/40 70 00
Fax: 0 52 53/40 78 70
als auch im Sinne der Sekundärprävention eine Form der stationären Rehabilitationsmaßnahme.
Die Park-Klinik Bad Hermannsborn ist
eine Fachklinik für Kardiologie und Diabetologie, die sich genau diesen genannten Problemen in einem multimodalen
Rehabilitationskonzept widmet.
Die Klinik umfasst 216 Zimmer und
kann maximal 247 Patienten, z. T. mit Begleitpersonen, aufnehmen. Neben Anschlussheilbehandlungen nach kardiologischen oder kardiochirurgischen Eingriffen werden stationäre Rehabilitationen und Diabetesschulungen entsprechend den Vorgaben der Deutschen Diabetes Gesellschaft sowohl für Typ-1- als
auch für Typ-2-Diabetiker durchgeführt.
Das Konzept der Klinik besteht aus
einem multimodalen Ansatz, der letztendlich den Patienten ermöglichen soll,
„Experte“ in eigener Sache zu werden.
Hierzu werden neben einer umfassenden Diagnostik individuell abgestimmte
Physio- und Sporttherapien sowie physikalische Therapiemodalitäten angeboten. Ergänzend dazu gibt es Einzel- und
Gruppenangebote aus dem psychologischen Bereich sowie ein auf die vorherrschenden Krankheitsbilder abgestimmtes Ernährungsprogramm.
In der Klinik werden pro Jahr ca. 3900
Patienten behandelt, davon etwa 1500
Patienten im Anschlussheilverfahren
und etwa 780 Patienten im Rahmen von
Diabetesrehabilitationen und/oder Schulungsmaßnahmen. Die restlichen Patienten unterziehen sich stationären Rehabilitationsmaßnahmen aus oben genannten. Indikationen. In der kardiologischen Diagnostik werden EKG, Belastungs-EKG, Spiroergometrie, Echokardiographie inkl. TEE und Stressechokardiographie, Lungenfunktionsprüfung
und Schrittmacherkontrolle inkl. Einstellung komplexer Systeme vorgehalten.
Zusätzlich ist die Durchführung von
Gefäß-, Abdomen- und Schilddrüsensonographien zu diagnostischen Zwecken
möglich.
Systematische psychologische Evaluationen erfolgen bereits im Rahmen
der Aufnahme mittels des standardisierten und validierten HADS-Fragebogens.
Ziel der Rehabilitation ist es, den Patienten in einem mehrwöchigen strukturierten Programm zum Manager seiner
Erkrankung zu machen und ihn durch die
Herausnahme aus dem alltäglichen Umfeld zu einer Anpassung des Lebensstils
an die Erkrankung zu motivieren. Hierzu
gehören insbesondere strukturierte Bewegungsprogramme, den wissenschaftlichen Erkenntnissen folgend, dass letztlich körperliche Bewegung sowohl beim
Diabetes mellitus den Insulinbedarf senken kann als auch die übrigen kardiovaskulären Risikofaktoren (Bluthochdruck,
Hypercholesterinämie, Adipositas) positiv beeinflusst. Diese Erkenntnisse sind
bereits seit einigen Jahrzehnten bekannt
und werden in unserer Klinik konsequent umgesetzt.
Die Park-Klinik Bad Hermannsborn
liegt zwischen Eggegebirge und Weser
am Südhang des Teutoburger Waldes in
Ostwestfalen-Lippe mitten in einem 18
Hektar großen Park, auf dessen Gelände
sich eine Heilquelle befindet. Bereits
Das prachtvolle Hauptgebäude der
Park-Klinik Bad Hermannsborn steht
im reizvollen Kontrast zum Grün der
Parkanlage.
1896 wurde hier ein Badekurort gegründet; seit 1925
wird ein Kurerholungsheim der Barmer Ersatzkasse betrieben. Die Veränderung der medizinpolitischen Landschaft in den 90er-Jahren hatte die Restrukturierung der
Klinik für die Zielgruppe der schwerkranken Anschlussheilrehabilitanten zur Folge.
Das Ärzteteam besteht aus 13 Kollegen, vorwiegend
mit Facharztbezeichnungen. Die Therapieabteilung besteht aus fünf Physiotherapeuten/-innen, fünf Sporttherapeuten/-innen sowie neun Mitarbeitern/-innen in der Bäderabteilung (vier Masseure, vier Badehilfen, eine Praktikantin).
Das Diagnostikteam besteht aus vier Mitarbeiterinnen,
und die Abteilung Diabetes/Ernährung wird von fünf Mitarbeiterinnen (Diabetes- und Ernährungsberaterinnen/-assistentinnen) geführt.
Zusätzlich stehen 26 Pflegekräfte sowie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus anderen Bereichen täglich
zur Verfügung.
Ein weiterer wichtiger Baustein zur Intensivierung der
sekundärpräventiven Maßnahmen einer stationären Rehabilitation ist ein umfangreiches Fortbildungsprogramm
in Form von Vortrags- veranstaltungen zu verschiedenen
Themen sowie Kleingruppenschulungen (Diabetes-, Insu-
Hypertrophe Kardiomyopathie –
könnte es Morbus Fabry sein?
lin-, Medikamenten-, Marcumar-Schulung sowie Lehrküchenveranstaltungen).
Traditionell wurden die Rehabilitationsmaßnahmen in
der Park-Klinik Bad Hermannsborn wissenschaftlich begleitet und Studien zum Thema Bewegungstherapie bei
Herzinsuffizienz, KHK und Diabetes durchgeführt. Bereits
sehr früh wurden Wasseranwendungen (Bewegungsbad
u. Ä.) bei kardiologischen Patienten komplikationsfrei angewandt. Für die Zukunft ist eine noch engere Verzahnung zwischen akutstationärer und ambulanter Behandlung der immer schwerer kranken Patienten zu fordern.
Die Park-Klinik Bad Hermannsborn hat es sich als statio-
näre Rehabilitationseinrichtung zum Ziel gesetzt, einen
Brückenschlag zwischen dem akutstationären und dem
ambulanten Sektor zu versuchen. Hierzu dient einerseits
eine enge Verzahnung mit dem Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen als akutkardiologischer und
kardiochirurgischer Einrichtung sowie andererseits eine
intensive Kontaktpflege mit den Hausärzten der Patienten
– sowohl schriftlich (die Arztbriefe werden dem Patienten
am Tag der Entlassung mitgegeben) als auch in speziellen
Situationen telefonisch. Zukünftig wird sicherlich auch
über ambulante und telemedizinische Angebote nachgedacht werden müssen.
Alpha-Galaktosidase A beginnen. Diese
seit dem Jahr 2001 zur Verfügung stehende therapeutische Option, eine hypertrophe Kardiomyopathie kausal zu
therapieren, rechtfertigt die fortlaufende
Untersuchung selektionierter HCM-Patienten auf Morbus Fabry.
Literatur
(1) Desnick R, Ioannou Y, Eng C. Alpha-Galactosidase A Deficiency: Fabry Disease. 8th edition. New York, NY: McGraw-Hill, 2001.
(3) Sachdev B, Takenaka T, Teraguchi H, Tei C,
Lee P, McKenna WJ, Elliott PM. Prevalence of
Anderson-Fabry disease in male patients with
late onset hypertrophic cardiomyopathy. Circulation 2002 Mar 26;105(12):1407–11.
(2) Nakao S, Takenaka T, Maeda M, Kodama C,
Tanaka A, Tahara M, Yoshida A, Kuriyama M,
Hayashibe H, Sakuraba H, et al. An atypical variant of Fabry's disease in men with left ven-tricular hypertrophy. N Engl J Med 1995, Aug
3;333(5):288–93.
(4) Chimenti C, Pieroni M, Morgante E, Antuzzi
D, Russo A, Russo MA, Maseri A, Frustaci A.
Prevalence of Fabry disease in female patients
with late-onset hypertrophic cardiomyopathy.
Circulation 2004 Aug 31;110(9):1047–53. Epub
2004 Aug 16
Martin Farr, Lothar Faber, Roland M. Schaefer, Dieter Horstkotte
Korrespondenzadresse:
Univ.-Prof. Dr. med.
Dieter Horstkotte
[email protected]
PD Dr. med. Lothar Faber
[email protected]
Dr. rer. nat. Martin Farr
[email protected]
Kardiologische Klinik,
Herz- und Diabeteszentrum
Nordrhein-Westfalen
Universitätsklinik der
Ruhr-Universität Bochum
Georgstraße 11
32545 Bad Oeynhausen
Prof. Dr. med. Roland M. Schaefer
Fabry-Zentrum
Universitätsklinikum Münster
Innere Medizin D
Albert-Schweitzer-Str. 33
48149 Münster
[email protected]
38
Kardioforum 1 | 2009
er Morbus Fabry ist eine X-chromosomal vererbte lysosomale Speichererkrankung, bei der es durch Mutation des Gens der Alpha-Galaktosidase A
zu einem Enzymmangel mit Akkumulation von so genannten Sphingolipiden in
praktisch allen Körperzellen kommt (1).
Am Herzen finden sich diese Ablagerungen in den Kardiomyozyten, was zu
einer Hypertrophie dieser Zellen führt
und letztlich im Phänotyp einer hypertrophen Kardiomyopathie (HCM) resultiert
(2).
Während die Prävalenz des Morbus
Fabry in der Normalbevölkerung bei rund
1:40 000 liegt, wird sie je nach untersuchtem Patientenkollektiv bei männlichen Patienten mit „idiopathischer“
HCM auf bis zu 6% geschätzt (2, 3). Obschon bei Morbus Fabry ein X-chromosomaler Erbgang vorliegt, kommt es bei
vielen Frauen, wenn auch erst in späteren Lebensjahren, zu einer klinisch manifesten Erkrankung. Aufgrund der oftmals späten und milderen Manifestation
bleibt hier die Erkrankung vielfach undiagnostiziert oder wird eher zufällig im
Rahmen einer „Late-onset“-Symptomatik entdeckt. So gibt es Hinweise darauf, dass bei mehr als 10% der Frauen
D
mit einer „Late-onset“-HCM kausal eine
Fabry-Erkrankung vorliegt (4).
Aus diesem Grunde haben wir in den
letzten beiden Jahren über 200 Patienten
mit hypertropher Kardiomyopathie und
klarer Genese konsekutiv auf eine reduzierte Enzymaktivität getestet. In diesem
Kollektiv wurde bei zwei Patientinnen
(siehe Abb. 1) ein Morbus Fabry identifiziert und durch eine molekulargenetische
Untersuchung bestätigt – die Untersuchung von Blutsverwandten schließt sich
an. Interessanterweise wurden von beiden Patientinnen erst im Rahmen der
eingehenden Morbus-Fabry-Diagnostik
typische Beschwerden berichtet, wie
zum Beispiel Schmerzen in Händen und
Füßen (Akroparästhesien) oder die verminderte Fähigkeit zu schwitzen (Hypohidrose). Die charakteristischen Hautveränderungen (Angiokeratome), die Trübung
der Hornhaut (Cornea verticillata) und
eine chronische Niereninsuffizienz waren
zuvor nicht berichtet beziehungsweise
nicht im Zusammenhang mit einem Morbus Fabry erkannt worden.
Somit konnten wir bei rund einem Prozent der „idiopathischen“ HCM-Patienten eine Fabry-Erkrankung nachweisen
und die Therapie mit rekombinanter
Abb. 1: Echokardiographie bei einer
Patientin mit M. Fabry und deutlicher Wandverdickung (Strichmarkierung: 1 cm) bzw. dem echo-morphologischen Bild einer nicht-obstruktiven HCM in der parasternalen Längsachse (A), im Querschnitt
(B), im 4-Kammer-Blick (C) sowie in
apikaler Längsachsenprojektion mit
Farbkodierung (blau) des normalen
LV-Ausstroms (D). LA/RA:
linker/rechter Vorhof, LV/RV: linker/rechter Ventrikel
Kardioforum 1 | 2009
39
Nephroprotektion
Literatur
Martin Schmidt, Harald Rittger, Johannes Brachmann
Tabelle 2: Risikofaktoren der Kontrastmittel-induzierten
Nephropathie
Vorbestehendes Nierenversagen
ardiovaskuläre Erkrankungen und die
chronische Niereninsuffizienz weisen steigende Inzidenzen auf. Die Koinzidenz beider Erkrankungen geht mit
einer besonders ungünstigen Prognose
einher. Die enge Verbindung der Organdysfunktionen von Herz und Niere führte
zur Prägung des kardiorenalen Syndroms (1). Über die pathophysiologischen Zusammenhänge von Herzzeitvolumen, extrazellulärem Blutvolumen und
Blutdruck führt die Dysfunktion eines Organs unmittelbar zur schädlichen Beeinflussung des anderen, sodass die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität bei
niereninsuffizienten Patienten signifikant
höher als bei Nierengesunden ist (2, 3).
Für das akute Koronarsyndrom ist die
eingeschränkte Nierenfunktion als eigenständiger Risikomarker mit hoher
Prädiktion einer erhöhten Mortalität anerkannt (4). In den aktuellen ESC-Guidelines zum akuten Koronarsyndrom (ACS)
wurde dem Rechnung getragen. Aufgrund der Abhängigkeit des Serumkreatinins von Patientenalter, Körpergewicht
und Muskelmasse wird die Bestimmung
der Kreatinin-Clearance (CrCl) bzw. der
K
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. med.
Johannes Brachmann
Klinikum Coburg
Ketschendorfer Str. 33
96450 Coburg
Tel.: 0 95 61/22 63 48
Fax: 0 95 61/22 63 49
www.klinikum-coburg.de
[email protected]
glomerulären Filtrationsrate (GFR) bei
jedem Patienten mit ACS gefordert.
Ganz entscheidend wird empfohlen,
dass Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion die gleiche Erstbehandlung
wie Patienten ohne Nierenfunktionseinschränkung erhalten müssen. Aufgrund
des erhöhten kardiovaskulären Risikos
sind alle Patienten mit einer CrCl <
60ml/min als Risikopatienten zu betrachten und einer raschen invasiven Abklärung und Revaskularisation zuzuführen
(5). Aus der pathophysiologischen Interaktion des kardiorenalen Systems wird
deutlich, dass eine Protektion der Nierenfunktion bei der zunehmend häufiger
notwendigen invasiven Koronardiagnostik und -therapie von niereninsuffizienten
Patienten von zentraler Bedeutung ist.
Die Kontrastmittel-induzierte Nephropathie (CIN) ist allgemein als temporärer
Anstieg des Serumkreatinins innerhalb
der ersten 24 h im Anschluss an eine
Kontrastmittelapplikation mit einem Gipfel bis zu 5 Tage danach definiert. Sie ist
Stadium
Kardioforum 1 | 2009
Höheres Alter
Kongestive Herzinsuffizienz
GFR (ml/min/1,73 m2)
1
Nierenfunktionsstörung mit normaler
oder erhöhter GFR
>
_90
2
Nierenfunktionsstörung mit geringer
Abnahme der GFR
60–89
3
Moderate Abnahme der GFR
30–59
4
Schwere Abnahme der GFR
15–29
5
Nierenversagen
<15
(oder Dialyse)
(2) Suwaidi J, Reddan DN, Williams
K et al. Prognostic implications of
abnormalities in renal function in
patients with acute coronary
syndromes. Circulation
2002;106:974–980
Bluthochdruck
Intraaortale Gegenpulsation
Hypalbuminämie
patientenbezogen
Periphere arterielle Verschlusskrankheit
Periprozeduraler Schock
Akuter Herzinfarkt
Notfallprozedur
Anämie
Diabetes mellitus
nicht
patientenbezogen
Kontrastmittel-assoziiert:
hohe Osmolarität, Ionizität, Viskosität
Kontrastmittelmenge
für etwa 10% aller im Rahmen eines
Krankenhausaufenthalts
erworbenen
Nierenversagen verantwortlich. Auch
ohne Nierenversagen verschlechtert
sich die Prognose eines Patienten mit
CIN und trägt zu einem längeren Krankenhausaufenthalt und zusätzlichen Kosten bei (6). Die Nierenfunktion wird auf
Basis der glomerulären Filtrationsrate
(GFR) nach der National Kidney Foundation Kidney Disease Outcomes Quality
Initiative (NKF KDOQI) in 5 Stadien eingeteilt (Tabelle 1). Maßnahmen zur Prävention einer CIN sind v. a. bei Patienten
mit eingeschränkter Nierenfunktion ab
KDOQI-Stadium >
_III erforderlich. In Tabelle 2 sind die relevanten Risikofaktoren einer CIN aufgeführt. Das in den gängigen Lehrbüchern immer als Risikofak-
(3) Best PJ, Lennon R, Ting HH et
al. The impact of renal insufficiency
on clinical outcomes in patients undergoing percutaneous coronary interventions. J Am Coll Cardiol 2002;
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Magid DJ, Sales A, Rumsfield JS.
Renal insufficiency and mortality
from acute coronary syndromes.
Am Heart J 2004;147:623–629
(5) Bassand JP, Hamm CW, Ardissino D, Boersma E, Budai A, Fernandez-Aviles F, Fox KAA, Hasdai D,
Ohman EM, Wallentin L, Wijns W.
Guidelines for the diagnosis and
treatment of non-ST-segment elevation acute coronary syndromes.
Eur Heart J 2007;28:1598–1660
Hypotension
Bei welchen Patienten muss eine
Nephroprotektion erfolgen?
Tabelle 1: Stadien der chronischen Niereninsuffizienz
(NKF KDOQI)
40
Diabetes mellitus
(1) Bongartz LG, Maarten MJ, Doevendans PA, Joles JA, Braam B.
The severe cardiorenal syndrome:
„Guyton revisited“. Eur Heart J
2005;26:11–17
tor beschriebene multiple Myelom kann
als solcher nicht mehr aufrechterhalten
werden, wenn keine weiteren Risikofaktoren vorliegen (7). Aus der Sicht des Kardiologen müssen insbesondere bei allen
Patienten mit akutem Koronarsyndrom
und einer GFR <60 ml/min präventive
Maßnahmen zur Stabilisierung der Nierenfunktion ergriffen werden.
Nephroprotektion – Hydratation
Eine ausreichende Hydrierung trägt entscheidend zur Prävention einer CIN bei;
dies ist schon lange bekannt (8). Lange
galt die Gabe von Natriumchlorid 0,45%
als Standard, eine vergleichende Studie
konnte jedoch sogar einen Vorteil für die
in Europa verbreitete 0,9%ige Kochsalzlösung aufzeigen (9). Natriumbikarbonat-
(6) McCullough PA, Adam A, Becker CR et al. Epidemiology and
prognostic implications of contrastinduced nephropathy. Am J Cardiol
2006;98:5K–13K
(7) McCarthy CS, Becker JA. Multiple myeloma and contrast media.
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(8) Eisenberg RL, Bank WO, Hedgock MW. Renal failure after major
angiography can be avoided with
hydration. Am J Radiol 1981;
136:859–861
(9) Mueller C, Buerkle G, Büttner
HJ et al. Prevention of contrast
media-associated nephropathy: randomized comparison of 2 hydration
regimens in 1620 patients undergoing coronary angioplasty. Arch
Intern Med 2002;162:329–36
(10) Merten GJ, Burgess WP, Gray
LV et al. Prevention of contrast-induced nephropathy with sodium bicarbonate: a randomized controlled
trial. JAMA 2004;291:2328–2334
Kardioforum 1 | 2009
41
(11) Recio-Mayoral A, Chaparro M,
Prado B et al. The reno-protective
effect of hydration with sodium bicarbonate plus N-acetylcysteine in
patients undergoing emergency
percutaneous coronary intervention: the RENO Study. J Am Coll
Cardiol 2007;49:1283–1288
(12) Briguori C, Airoldi F, D’Andrea
D et al. Renal Insufficiency Following Contrast Media Administration
Trial (REMEDIAL): a randomized
comparison of 3 preventive strategies. Circulation 2007;
115:1211–1217
(13) Solomon R, Werner C, Mann
D et al. Effects of saline, mannitol,
and furosemide on acute decreases in renal function induced by radiocontrast agents. N Engl J Med
1994;331:1416–1420
(14) Krasuski RA, Beard BM, Geoghagan JD et al. Optimal timing of
hydration to erase contrast-associated nephropathy: the OTHER CAN
study. J Invasive Cardiol 2003;
15:699–702
(15) Tepel M, van der Giet M,
Schwarzfeld C et al. Prevention of
radiographic-contrast-agent-induced
reductions in renal function by acetylcysteine. N Engl J Med 2000;
343:180–184
(16) Pannu N, Wiebe N, Tonelli M.
Prophylaxis strategies for contrastinduced nephropathy. JAMA
2006;295:2765–2779
(17) Marenzi G, Assanelli E, Marana I et al. N-acetylcysteine and
contrast-induced nephropathy in
primary angioplasty. N Engl J Med
2006;354:2773–2782
(18) Hoffmann U, Fischereder M,
Kruger B et al. The value of N-acetylcysteine in the prevention of radiocontrast agent-induced nephropathy seems questionable. J Am
Soc Nephrol 2004;15:407–410
(19) Ix JH, McCulloch CE, Chertow
GM. Theophylline for the prevention of radiocontrast nephropathy:
a meta-analysis. Nephrol Dial Transplant 2004;19:2747–2753
haltige Lösungen könnten durch Minderung der Alkalisierung der tubulären
Flüssigkeit und damit geringere Produktion freier Sauerstoffradikale Vorteile gegenüber den Kochsalzlösungen aufweisen. Eine entsprechende erste Studie
zeigte eine verminderte Inzidenz der CIN
unter Bikarbonat gegenüber einer Kochsalzlösung (10). Das in dieser Studie eingesetzte Hydratationsprotokoll war allerdings so aufwendig, dass es nicht ohne
weiteres in den normalen klinischen Alltag umgesetzt werden kann. Zwei kürzlich publizierte Studien an kardialen Patienten nach Angiographie konnten
ebenfalls die Überlegenheit der Bikarbonatinfusion gegenüber der Gabe von
Kochsalzinfusion (jeweils in Kombination
mit N-Acetylcystein) bestätigen (11,12).
Eine forcierte Diurese mit Furosemid
oder Mannitol ist der reinen Hydratation
bei Patienten mit schwerer vorbestehender Niereninsuffizienz unterlegen
und sollte nicht mehr erfolgen (13).
Orale Protokolle für eine Flüssigkeitsapplikation direkt vor der KontrastmittelGabe zeigten widersprüchliche Resultate, insbesondere älteren Patienten fällt
es darüber hinaus oft schwer, größere
Mengen Flüssigkeit zu trinken. Die
Hydrierung sollte idealerweise am
Vorabend der Untersuchung beginnen
(14).
Zusammenfassend wird derzeit
noch die Gabe von NaCl 0,9%
1 ml/kgKG/h i. v. 12 h vor bis 12 h nach
KM-Applikation empfohlen. Inwieweit
der vielversprechende Einsatz von Bikarbonat für einzelne Patienten sinnvoll
sein kann, müssen weitere Untersuchungen zeigen. Diuretika sollten nicht
zur forcierten Diurese eingesetzt werden, es sei denn, es besteht eine Hyperhydratation vor einer notwendigen KMExposition wie bei akutem Koronarsyndrom. Hyperhydrierte Patienten erhalten
keine Infusion.
Nephroprotektion –
Pharmakologische Substanzen
Pathophysiologisch vielversprechende
Ansätze konnten sich bei mehreren Substanzen in klinischen Studien mit Manni-
42
Kardioforum 1 | 2009
tol, Furosemid, Fenoldopam, Dopamin,
atrialem natriuretischem Peptid, Kalziumkanalblocker, Captopril und einem
Endothelinantagonisten nicht bestätigen. Es konnte kein klinisch relevanter
nephroprotektiver Effekt nachgewiesen
werden.
Klinisch etablieren konnte sich hingegen das Acetylcystein (ACC). ACC wirkt
antioxidativ und gefäßerweiternd und
soll so die CIN verhindern. Für den potenziellen therapeutischen Effekt werden v. a. sekundäre Effekte wie z. B. die
Induktion der Glutathionsynthese verantwortlich gemacht. Seit der ersten Beschreibung durch Tepel et al. (15) wurde
dieser Ansatz sehr kontrovers diskutiert.
Trotz einer Vielzahl von Folgestudien und
Metaanalysen liegt bisher keine generell
gültige Empfehlung vor (16). Derzeit
wird geprüft, ob ACC in vielen Studien
unterdosiert war. In einer kürzlich veröffentlichten Studie an herzinsuffizienten
Patienten waren, wenn ACC i. v. appliziert wurde (150 mg/kgKG über 30 min),
die Inzidenz der CIN und die Krankenhausmortalität in der Interventionsgruppe hochsignifikant niedriger als in der
Kontrollgruppe, was für einen dosisabhängigen Effekt des ACC spricht (17).
Zu bedenken ist, dass der i.v.-Gebrauch
von ACC auch eine anaphylaktoide Reaktion hervorrufen kann und dass die
Messung der GFR mittels Serumkreatinin durch ACC beeinflusst zu werden
scheint (18).
Basierend auf dem pathophysiologischen Konzept einer Adenosin-vermittelten Vasokonstriktion im Rahmen der CIN
wurde der Adenosin-Antagonist Theophyllin in mehreren Studien getestet. 2
Metaanalysen auf dem Boden von 9 Primärstudien zeigten, dass unter Theophyllin ein durch KM-Gabe ausgelöster
Kreatininanstieg geringer ausfällt als
ohne Theophyllin (19).
Die Ergebnisse waren besonders gut
bei Patienten, bei denen eine prophylaktische Hydratation nicht erfolgte oder
nicht erfolgen konnte. Folglich könnte
Theophyllin ein guter Kandidat für die
Prävention der CIN bei hyperhydrierten
Patienten oder Patienten auf einer Inten-
sivstation sein. Die bisher einzige hierzu
erschienene Studie, die Theophyllin und
ACC bei diesem Patientenkollektiv verglich, zeigte, dass die prophylaktische Infusion von 200 mg Theophyllin 30 min
vor der KM-Gabe der Applikation von
ACC bei Patienten auf einer Intensivstation überlegen war (20).
Im Routinegebrauch kann Theophyllin
gegenüber ACC aufgrund seiner potenziellen Nebenwirkungen (tachykarde
Rhythmusstörungen) nicht generell
empfohlen werden, ein selektiver Adenosin-A2-Antagonist befindet sich jedoch in der klinischen Erprobung.
Zusammenfassend kann die Gabe
von ACC und Theophyllin aufgrund der
widersprüchlichen Datenlage nicht generell zur Prävention einer CIN empfohlen werden. Bei Patienten mit Herzinsuffizienz und Zeichen der Hyperhydratation, bei denen eine weitere Hydratation
kontraindiziert ist, können ACC, wenn
möglich in oraler Form vor und nach KMExposition oder Theophyllin 200 mg intravenös 30 min vor KM-Exposition, derzeit empfohlen werden.
zen von Metformin während der Behandlung fehlen. Da die Plasmahalbwertszeit von Metformin etwa 1,5–5 h
beträgt, kann Metformin bis zur Nacht
vor der Behandlung verabreicht werden
(21). Metformin sollte am Tag der Behandlung ausgesetzt werden und wenn
klar ist, dass keine CIN eingetreten ist,
wieder fortgeführt werden. Eine alternative Diabetesbehandlung kann notwendig sein.
Ein prophylaktischer Einsatz eines
Nierenersatzverfahrens kann nicht empfohlen werden. Kontrastmittel sind zwar
grundsätzlich dialysabel, jedoch konnte
auch eine kürzlich veröffentlichte Metaanalyse verschiedener randomisierter
Studien erneut keine Prävention des CIN
durch maschinelle KM-Entfernung nachweisen (22).
Die Durchführung einer prophylaktischen Hämofiltration ergab zwar einen
günstigen Effekt, bleibt aber bei sehr
aufwendigem Design umstritten und
kann, bis überzeugende Daten existieren, nicht generell empfohlen werden
(23).
Weitere Maßnahmen
zur Nephroprotektion
Generelles Vorgehen bei
Patienten mit Niereninsuffizienz
Der gleichzeitige Gebrauch von nichtsteroidalen entzündungshemmenden Medikamenten wie auch selektiven Cox-2Inhibitoren und KM kann das Risiko einer
CIN erhöhen. Beide Substanzgruppen
sollten daher vor KM-Exposition abgesetzt werden. Antihypertensiva sollten
bei den meisten Patienten unter der KMExposition weiter gegeben werden, da
prophylaktische Hydratationsschemata
sowohl potenziell den Blutdruck erhöhen als auch hypertensive Lungenödeme bei Patienten mit reduzierter linksventrikulärer Funktion verursachen können. Bei Patienten ohne Herzinsuffizienz
sollten Diuretika jedoch vor der KMGabe pausiert werden.
Metformin kann bei Nierenversagen
eine Laktazidose induzieren. Auf der anderen Seite kann unkontrollierter Diabetes einen Volumenmangel bewirken und
somit das Risiko für eine CIN erhöhen.
Randomisierte Studien über das Abset-
Bei allen Patienten vor Durchführung
einer Koronarangiographie/-intervention
muss die aktuelle Nierenfunktion (CrCl)
bekannt sein. Grundsätzlich gilt die
strenge Indikationsstellung für eine KMGabe. Es sollten niederosmolare KM in
der geringstmöglichen Menge zur Anwendung kommen. Nephrotoxische Medikamente sind abzusetzen.
Für einen optimalen Volumenstatus
sollte die Gabe von Kochsalz 0,9% 12 h
vor bis 12 h nach KM-Gabe mit
1 ml/kgKG erfolgen. 2-malig ACC 600 mg
per os am Tag vor und nach KM-Exposition bei Hochrisikopatienten mit Herzinsuffizienz und Hyperhydratation, bei Intensivpatienten ggf. zusätzlich Theophyllin 200 mg intravenös 30 min vor der Untersuchung.
Die Kontrolle der Nierenfunktion
muss frühestens nach 24 h, spätestens
nach 72 h erfolgen.
(20) Huber W, Eckel F, Hennig M et
al. Prophylaxis of contrast materialinduced nephropathy in patients in
intensive care: acetylcysteine,
theophylline, or both? A randomized study. Radiology 2006;239:
793–804
(21) Bailey CJ, Turner RC. Metformin. N Engl J Med 1996;
334:574–579
(22) Cruz DN, Perazella MA, Bellomo R et al. Extracorporeal blood
purification therapies for prevention
of radiocontrast-induced nephropathy: a systematic review. Am J Kidney Dis 2006;48:361–371
(23) Marenzi G, Lauri G, Campodonico J et al. Comparison of two hemofiltration protocols for prevention of contrast-induced nephropathy in high-risk patients. Am J Med
2006;119:155–162
Kardioforum 1 | 2009
43
Somnologische Notizen
Ein Jahr SERVE-HF Studie
Investigator Meeting in Hamburg – 30. bis 31. Januar 2009
Vor gut einem Jahr ging die SERVEHF Studie mit einem Kick-offMeeting in Deutschland an den Start.
Jetzt haben sich rund 170 Teilnehmer
verschiedener deutscher Studienzentren Ende Januar zu einem zweitägigen Erfahrungsaustausch getroffen.
Ziel der SERVE-HF Studie ist, herauszufinden, welche langfristigen
Auswirkungen eine Behandlung mit
adaptiver Servoventilation bei Patienten mit stabiler chronischer Herzinsuffizienz und vorwiegend zentraler
Schlafapnoe auf Mortalität und Morbidität hat und ob diese kosteneffektiv ist.
Mittlerweile zählt die Herzinsuffizienz zu den häufigsten internistischen Erkrankungen in Europa. Laut
den erst vor kurzem veröffentlichten
Pocket-Leitlinien für 2009 der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie
liegt die Prävalenz der Herzinsuffizienz bei 2–3 % der Bevölkerung
weltweit. Bei den 70- bis 80-Jährigen
sind sogar 10–20 % betroffen. Die
chronische Herzinsuffizienz geht
nicht nur mit einer hohen Sterblichkeit, sondern auch mit gravierenden
Einschränkungen der Lebensqualität
einher.
Das Programm des Investigator
Meetings der SERVE-HF Studie bot
interessante
Diskussionspunkte.
Neben Vorträgen zum bisherigen Verlauf und Stand der Studie standen
Fragen rund um die Organisation, die
Logistik und das Studienmanagement im Vordergrund. Jedoch kamen
auch weitere Themen zur Sprache.
Professor Erland Erdmann, Ärztlicher
Direktor des Herzzentrums der Universitätsklinik Köln, hielt einen Vortrag über die „Therapie der Herzinsuffizienz 2009“. Neues zum Thema
Schlafapnoe bei Herzinsuffizienz und
44
Kardioforum 1 | 2009
einen Ausblick in die Zukunft vermittelte Professor Helmut Teschler,
Ruhrlandklinik Essen.
Das Thoraxzentrum Bochum/
Herne, das Krankenhaus Reinbek/ St.
Adolf Stift sowie das Universitätsklinikum Würzburg gaben einen Einblick in die Praxis der Studie. Diese
drei Studienzentren stellten mit einer
Präsentation exemplarisch die praktische Durchführung der SERVE-HF
Studie in ihren Häusern vor.
Dem Veranstalter war es wichtig,
den Erfahrungsaustausch unter den
Zentren zu fördern. Das Investigator
Meeting bot die Gelegenheit, die Zusammenarbeit zu vertiefen und
somit auch wertvolle Erfahrungsberichte für die Weiterentwicklung und
gute Durchführung der Studie zu nutzen.
Bislang nehmen Deutschland, Dänemark, Frankreich, Großbritannien,
Norwegen und Schweden an der von
ResMed initiierten Studie teil. Gleich
zu Beginn der Studie zeigte sich einmal mehr, welche unterschiedlichen
Anforderungen innerhalb Europas gestellt werden. So wurde das Studienprotokoll bei der Prüfung durch die jeweiligen Ethikkommissionen der einzelnen Länder unterschiedlich bewertet. „In Deutschland ging es glatt
durch. Großbritannien und Frankreich
mussten Modifizierungen vornehmen, was zu Verzögerungen von bis
zu neun Monaten in diesen Ländern
führte“, so Holger Woehrle, Studienleiter der SERVE-HF Studie.
Die Rekrutierung der Patienten
stellt sich als aufwendig heraus. Aufgrund der strikten Einschlusskriterien
ist die Auswahl der Patienten
schwierig. Um die geplanten 1260
Patienten zeitnah zu erreichen, sind
Anstrengungen nötig. Die Einschlusszahlen für diese Studie weiter
auszubauen, bleibt die Herausforderung für die Zukunft. Erste Ergebnisse der Studie werden voraussichtlich
2012 vorliegen.
Näheres zur und über die Studie:
www.servehf.com
Im Rahmen des Investigator Meetings wurden die jeweils ersten drei
Zentren für die meisten eingeschlossenen Patienten in die Studie und
das SchlafHF Register mit einer Urkunde ausgezeichnet. Die Urkunde
für den ersten Platz bei der Studie
bekam Dr. Martina Neddermann,
Thoraxzentrum Bochum/Herne, überreicht. Aufgrund gleicher Anzahl an
eingeschlossenen Patienten ging der
zweite Platz an das Krankenhaus
Reinbek und die Uni Lübeck. Für den
dritten Platz wurden die Diakonie
Düsseldorf-Kaiserswerth, die Ruhrlandklinik Essen und die Uni Köln
ausgezeichnet wie auch die Uni
Würzburg.
Beim SchlafHF Register wurden
die Uni Lübeck (1. Platz), das Klinikum Augustinum München (2. Platz)
sowie das Krankenhaus Reinbek (3.
Platz) ausgezeichnet.
Neue Rahmenbedingungen
in der schlafmedizinischen
Versorgung
Zum 1. April 2009 trat eine neue gesetzliche Regelung in Kraft: der § 128
SGB (Sozialgesetzbuch) V mit der
Überschrift „Unzulässige Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und Vertragsärzten“. Nach diesem Paragraphen ist es Vertragsärzten, Krankenhäusern und anderen
medizinischen Einrichtungen künftig
nicht mehr gestattet, Hilfsmittel über
Depots an Patienten abzugeben. Auf
den Bereich der Schlafmedizin bezogen, bedeutet dies, dass Schlaflabore in Zukunft nicht mehr wie bisher
eine Palette von Beatmungsgeräten,
Masken und sonstigem Zubehör verschiedener Hersteller vorhalten dürfen, um ihre Patienten damit zu versorgen.
Den Krankenkassen kommt bei
dieser neuen Regelung eine aktive
Überwachungsfunktion zu: Sie sollen
sicherstellen, dass Nichteinhaltungen des Verbots durch Verwarnungen und Vertragsstrafen geahndet
werden. Für den Fall schwerwiegender, wiederholter Verstöße ist vorzusehen, dass Leistungserbringer für
die Dauer von bis zu zwei Jahren von
der Versorgung der Versicherten ausgeschlossen werden können.
Der Hintergrund dieser Bestimmung: Das Bundesgesundheitsministerium möchte eine mögliche Korruption bzw. ungerechtfertigte Vorteilsnahme unterbinden. „Es gibt
Hinweise auf deutliche Fehlentwicklungen in der Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und Vertragsärzten, denen mit dem neu eingefügten § 128 SGB V entgegengewirkt werden soll“, heißt es in der
Gesetzesbegründung. Depots böten
einen besonderen Anreiz dazu, sich
gegen unzulässige Zuwendungen
ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Ferner werde
das Wahlrecht der Patienten durch
solche
Hilfsmitteldepots
eingeschränkt. Berufsrecht, Strafrecht und
Wettbewerbsrecht haben aus Sicht
des Gesetzgebers bisher offenbar
nicht ausgereicht, um fragwürdige
Formen der Zusammenarbeit wirksam zu verhindern.
Natürlich ist es grundsätzlich sinnvoll, dass der Gesetzgeber gegen
mögliche Korruption im Gesundheitswesen vorgeht. Der neue Paragraph
ist allerdings aus zwei Gründen problematisch: Erstens wird dadurch
quasi eine ganze Gruppe medizinischer Leistungen (nämlich die Hilfsmittelverordnungen) unter Generalverdacht gestellt. Zweitens wird mit
dem Depothaltungsverbot eine bestehende, in aller Regel durchaus gut
funktionierende Struktur beseitigt,
was die Versorgung der Patienten logistisch schwieriger macht. Denn der
Paragraph sieht zwar eine Notfallregelung vor, nach der Patienten in
Notfällen sofort mit einem Hilfsmittel
versorgt werden können und sollen.
Im schlafmedizinischen Bereich wird
es jedoch in der Regel schwierig
sein, einen solchen Notfall zu begründen.
Um dieser logistischen Herausforderung angemessen zu begegnen
und sicherzustellen, dass die Versorgung der Patienten und der tägliche
Arbeitsablauf der Ärzte darunter
nicht leiden, hat die Firma ResMed,
so deren Geschäftsführer Frank Rebbert, ein Team von 15 Mitarbeitern
für die Entwicklung neuer, den Bestimmungen des Paragraphen entsprechender Versorgungsprozesse
abgestellt. Hierzu gibt es verschiedene Möglichkeiten:
• Vorsorgliche Bereitstellung (Lieferung zum definierten Patiententermin): Der Arzt bzw. das Schlaflabor
sendet die Anforderung der benötigten Hilfsmittel mit vollständigen Patienteninformationen an ResMed. Ist
der benötigte Maskentyp bereits bekannt, kann auch die Maske in die
Lieferung mit einbezogen werden.
ResMed liefert die angeforderten
Hilfsmittel dann zum Wunschtermin
direkt auf die Station. Auf der Verpackung ist der Name des Patienten
vermerkt, sodass es sich klar erkennbar um eine patientenbezogene Lieferung und nicht um eine Depothaltung handelt.
• Lieferung am nächsten Tag: Die
Lieferung ist bereits bis 10.30 Uhr
des Folgetages nach der Titrationsnacht möglich, sodass eine zeitnahe
Versorgung und Einweisung des Patienten in die Verwendung der Hilfsmittel gewährleistet ist und er dann
auch rasch entlassen werden kann.
• Patientenversorgung zu Hause
bzw. im Treffpunkt ResMed: Nach
der Titrationsnacht wird der Patienten ggf. durch das Schlaflabor/den
Verordner in die Verwendung von
CPAP-Gerät und Maske eingewiesen. Dann sendet der Arzt bzw. das
Schlaflabor die Verordnung mit detaillierten Patienteninformationen und
Geräteeinstellparametern an ResMed, und es erfolgt eine zeitnahe
Geräteauslieferung beim Patienten
bzw. eine Geräteausgabe im Treffpunkt ResMed.
Bleibt nur noch die Frage nach gewissen Details der praktischen Umsetzung des neuen Paragraphen, beispielsweise im Hinblick auf die Masken. Der Industrieverband Spectaris
hat Gespräche über solche offenen
Fragen mit dem Bundesgesundheitsministerium geführt und u.a. empfohlen, die Masken aus Gründen der
Praktikabilität fortan nicht mehr als
Hilfsmittel zu betrachten, sondern als
Hygieneartikel. Bis auf Weiteres gilt
die Maske jedoch als Hilfsmittel und
fällt somit ebenfalls unter das Depothaltungsverbot. Der GKV-Spitzenverband wird bis Ende Juni eine Durchführungsrichtlinie für die Krankenkassen ausarbeiten, die die Umsetzung
des Depothaltungsverbots in die Praxis vorsieht. Außerdem wird im April
voraussichtlich noch ein weiteres
Gespräch mit Spectaris, den Fachgesellschaften Deutsche Gesellschaft
für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) und Deutsche Gesellschaft für Pneumologie (DGP) im Gesundheitsministerium stattfinden.
Kardioforum 1 | 2009
45
Praxishomepage richtig gestalten –
Abmahngefahr bannen
Maximilian G. Broglie und Lorenz Maximilian Rasch
Die zunehmende Bedeutung des Mediums Internet in allen Wirtschaftsbereichen macht auch vor den Türen der Arztpraxis nicht halt. Auch die Unternehmen der Gesundheitsberufe, wie die Arztpraxen, müssen sich deshalb bei schwieriger werdenden Wettbewerbsbedingungen mit dem Thema Werbung im Internet befassen.
bwohl viele Praxen das Internet als
Darstellungsplattform bereits erfolgreich nutzen, wird die Regelungsdichte des Rechtsverkehrs im Internet
immer noch unterschätzt. Ein Grund für
diese Fehleinschätzung könnte die
scheinbare Anonymität bei der eigenen
Nutzung des Internets sein. Zudem
scheint die Wahrnehmung der virtuellen
Welt mit der Unterstellung der mangelhaften Kontrollierbarkeit einherzugehen.
Im Gegensatz zu dieser Vorstellung
gelten auch im Internet die berufsrechtlichen und wettbewerbsrechtlichen
Schranken der Werbung, wie sie bereits
für andere Bereiche der Kommunikation
gefestigt sind. Flankierend hierzu hat der
Gesetzgeber Vorschriften erlassen, die
die Verantwortlichkeit für Inhalte im Internet transparent machen soll. Aus diesem Grunde sind bei der Gestaltung
eines Internetauftritts rechtliche Rahmenbedingungen zu beachten, um teure
Abmahnungen durch Konkurrenten,
Wettbewerbszentralen oder hierauf spezialisierte Anwälte zu vermeiden.
Grundsätzlich darf der Arzt werben,
was sich u. a. unmittelbar aus dem
Recht auf freie Berufsausübung nach
Art. 12 GG herleiten lässt. Sowohl das
Berufsrecht als auch das Wettbewerbsund Heilmittelwerberecht setzen dieser
Freiheit jedoch zum Teil enge Grenzen.
In berufsrechtlicher Hinsicht ist dem
Arzt die sachliche und berufsbezogene
Information erlaubt. Spiegelbildlich ist
dem Arzt damit jede anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung
untersagt. Ausdrücklich zulässig sind
nach der Berufsordnung jedoch die Ankündigung von nach den Weiterbildungsordnungen erworbenen Bezeich-
O
46
Kardioforum 1 | 2009
nungen, anderen nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften erworbenen Qualifikationen und Tätigkeitsschwerpunkten.
Hierzu gehören unproblematisch die
Angabe von Fachgebietsbezeichnungen,
Schwerpunktbezeichnungen oder Zusatzbezeichnungen nach der Weiterbildungsordnung. Weiter ist die Angabe
von Abrechnungsgenehmigungen der
Kassenärztlichen Vereinigungen ebenso
zulässig wie Informationen über Zertifikate der Ärztekammern. Professorenoder Doktoren- und andere ärztliche Titel
können dann angegeben werden, wenn
sie aufgrund landesrechtlicher Vorschriften rechtmäßig erworben wurden.
Die Angabe von Tätigkeitsschwerpunkten kann sinnvoll sein, um die Tätigkeit des Arztes auf einem bestimmten
Gebiet näher zu beschreiben, und dient
insofern dem Informationsinteresse der
Patienten. Zu beachten ist jedoch, dass
die Tätigkeit des Arztes tatsächlich diesen Schwerpunkt haben muss. Vorsicht
ist jedoch dann geboten, wenn die Bezeichnung des Tätigkeitsschwerpunktes
einer Qualifikation der Weiterbildungsordnung ähnelt. In diesem Fall ist die Angabe als Tätigkeitsschwerpunkt unzulässig, da insoweit Verwechslungsgefahr
und somit die Irreführung des Patienten
droht.
Die Bezeichnung als Spezialist sollte
nur dann gewählt werden, wenn der
Arzt im Gegensatz zu den Kollegen im
betreffenden Gebiet über weit überdurchschnittliche Erfahrungen, Kenntnisse und Fertigkeiten verfügt. Vor dem
Hintergrund der mit der Verwendung
verbundenen Alleinstellung ist hier jedoch Zurückhaltung geboten, um teure
Auseinandersetzungen zu vermeiden.
Ähnliches gilt für die Bezeichnung
einer ärztlichen Einrichtung als Zentrum.
Die Rechtsprechung verbindet mit diesem Begriff regelmäßig eine gewisse
Größe und Bedeutung der Einrichtung.
Anhand dieser Kriterien muss sich die
als Zentrum bezeichnete Einrichtung
deutlich von den übrigen Einrichtungen
im räumlichen Gebiet abheben.
Der Arzt darf sich selbst und auch
sein Personal auf der Homepage mit Lebenslauf und Photo vorstellen. Auch Bilder der Praxis dürfen grundsätzlich gezeigt werden. Wichtig ist dabei, dass
keine heilkundliche Tätigkeit abgebildet
werden darf. Bei der Verwendung von
fremden Photos, Bildern oder Kartenausschnitten ist zu beachten, dass diese
in aller Regel dem Urheberrecht unterliegen und somit nicht ohne Zustimmung
verwendet werden dürfen. Auch von der
Einrichtung eines Gästebuchs, Weblogs
oder eines Forums sollte der Arzt absehen, da derartigen Inhalten in der Regel
der Charakter der sachlichen Information
fehlt. Neben dem eigentlichen Inhalt der
Internetseite des Arztes muss auch der
Domainname mit Bedacht gewählt werden. Schon die Verknüpfung der Fachgebietsbezeichnung mit einem Ortsnamen
kann wettbewerbswidrig und irreführend sein. Demnach wäre beispielsweise die Angabe Kardiologie-Wiesbaden.de unzulässig, da der falsche Eindruck entstehen könnte, dass es sich
um die einzige Kardiologiepraxis in Wiesbaden handelt. Es liegt dann insoweit
eine unzulässige Alleinstellung bzw.
Spitzenstellungsbehauptung vor. Zudem
sollte geprüft werden, ob der gewählte
Name mit einer anderen Markenbezeichnung verwechselt werden könnte.
Schließlich sind die Vorschriften des
Telemediengesetzes zu beachten. Diese
Regeln die Kennzeichnung der Anbieter
und werden regelmäßig im so genannten „Impressum“ umgesetzt. Dieses
muss für den Besucher der Internetseite
ständig und von jeder Seite leicht erreichbar sein. Neben dem Namen und
der Anschrift des Arztes muss zwingend
eine E-Mail-Adresse angegeben werden. Außerdem müssen die Rechtsform
der Praxis, die jeweilige Landesärztekammer und die Kassenärtliche Vereinigung angegeben werden. Wichtig ist
auch die Angabe der Berufsbezeichnung
Arzt. Dabei ist zu beachten, dass zusätzlich auch der Staat anzugeben ist, in welchem diese Berufsbezeichnung erworben wurde. Dies gilt auch dann, wenn es
um die Bundesrepublik Deutschland
handelt. Schließlich müssen die berufsrechtlichen Regelungen angegeben werden und mit einem Verweis auf die jeweilige Quelle im Internet versehen werden. Zudem muss eine Datenschutzerklärung in das Impressum aufgenommen werden, da schon beim Aufruf der
Internetseite durch einen Nutzer Daten
beim Provider zumindest temporär gespeichert werden.
Auf einen Haftungsausschluss oder
„Disclaimer“ sollte jedoch verzichtet
werden. Einerseits kann die Haftung für
das eigene Verhalten des Betreibers der
Webseite nicht ausgeschlossen werden.
Andererseits könnten die Ermittlungsbehörden aufgrund des Haftungsausschlusses den Verdacht hegen, dass die
Unrechtmäßigkeit der Inhalte sogar positiv bekannt war und deshalb zur Aufnahme des Haftungsausschlusses führte.
Die Probleme, die im Zusammenhang
mit der notwendigen Darstellung der
Praxis im Internet einhergehen, sind vielfältig und nur schwer übersehbar. Im
Zweifel sollte der Arzt den Internetauftritt vor der Veröffentlichung rechtlich
prüfen lassen, um die Abmahngefahr zu
bannen.
Maximilian Guido Broglie,
Fachanwalt für Medizin- und Sozialrecht
Korrespondenzadresse:
Broglie, Schade & Partner GBR
Rechtsanwälte
Sonnenberger Straße 16
65193 Wiesbaden
Tel.: 06 11/1 80 94 14
Fax: 06 11/1 80 95 18
[email protected]
www.arztrecht.de
Kardioforum 1 | 2009
47
Kardiale Resynchronisationstherapie:
Der implantierte Herzschrittmacher ist 50
Roland Dreyer
or 50 Jahren rettete der erste implantierte Herzschrittmacher ein
Menschenleben. Die Geschichte dieser
Erfindung ist ein Paradebeispiel für die
Zusammenarbeit von Ingenieuren und
Medizinern.
Die historischen Wurzeln der kardialen Resynchronisationstherapie (CRT)
reichen bis ins 16. Jahrhundert. Der italienische Arzt Geronimo Mercuriale
(1530–1606) beschrieb 1580 das Wesen
einer Synkope: „Ubi pulsus sit rarus
semper expectanda est syncope“ – wo
der Puls langsam ist, da ist immer ein
V
48
Kardioforum 1 | 2009
Kollaps zu erwarten. Er unterscheidet
bereits zwischen kardial und neurologisch bedingten Synkopen. Bereits 1640
erschienen die ersten Publikationen, die
über die bioelektrischen Zusammenhänge im Herzmuskel spekulierten.
Der Slowene Marcus Gerbezius
(1658–1718) beschreibt 1691 erstmals
die Symptome eines kompletten AVBlocks, heute als Adams-StokesSyndrom bekannt. Auch Giovanni Battista Morgagni (1682–1771) stellt 1761
exakt das klinische Bild der kreislaufbedingten Synkope vor. Und schon 1774
findet sich in den Registern der Royal
Human Society of London der erste Hinweis auf die Reanimation eines jungen
Mädchens mittels Elektroschock durch
einen Mr. Squires. Dann eilt die Geschichte über den dänischen Pferdeund Vieharzt Peter Christian Abildgaard
(1740–1801) bis zum Italiener Luigi Galvani (1737–1798), der mit seiner Schrift
„De viribus electricitatis in motu musculari commentarius“ (Über die elektrischen Kräfte bei der Muskelbewegung)
einen entscheidenden Beitrag für die
Grundlagen der Elektrostimulation lieferte, wenngleich er nur mit Fröschen experimentierte.
Während es bis dahin etwas mühsam
gewesen war, elektrische Energie zu
verwenden – die Leidener Flasche, eine
Art Kondensator, diente als recht
schwachbrüstige Stromquelle –, schaffte Alessandro Volta durch die Entdeckung der elektrochemischen Spannungsreihe den Durchbruch für die chemischen Energiespeicher. Seine um
1800 konstruierte Volta’sche Säule war
die erste funktionierende Batterie: Sie
bestand aus übereinandergeschichteten
Elementen aus einer Kupfer- und einer
Zinkplatte, dazwischen lagen mit Salzlake getränkte Stofffetzen.
Nysten, die Leichen
und die Revolution
Etwas gruselig wird es um 1800, als die
Franzosen Marie François Xavier Bichat
(1771–1802) und 1802 Pierre-Hubert
Nysten von Experimenten an Enthaupteten berichten, bei denen sie durch
Stromimpulse das Herz wieder zum
Schlagen bringen konnten. Nebenbei:
Jenem Nysten verdanken wir auch die
jedem Pathologen geläufige Formel zur
Todeszeitbestimmung aufgrund der Leichenstarre. An Leichen herrschte seinerzeit ja kein Mangel: Die Franzosen machten gerade Revolution.
Von nun an ging es – im Wortsinne –
Schlag auf Schlag. William Stokes
(1804–1878)
und
Robert
Adams
(1791–1875) mutmaßten, dass eine Bradykardie, also ein Puls unter 60/min, nicht
vom Hirn ausgelöst wird, sondern auf
eine gestörte Erregungsbildung oder Erregungsleitung im Herzen selbst zurückzuführen ist. Bei einem atrioventrikulären
oder AV-Block wird das primäre Erregungssignal des Sinusknotens im Vorhof
nicht mehr zu den sekundären Schrittmacherzellen des AV-Knotens in der Herzkammer geleitet. Duchenne de Boulogne
(1806–1875) erfindet kurz danach die antitachykarde Stimulation bei zu hoher
Herzfrequenz: Er reizt das Areal über der
Herzspitze und erreicht so wieder einen
ruhigeren und regelmäßigen Puls.
Abb. links: Erster implantierbarer
Herzschrittmacher von 1958
Von Ziemssen
und das Loch in der Serafin
Als 1882 dem Arzt Hugo von Ziemssen
(1829–1902) eine Tagelöhnerin, die Oberschlesierin Catharina Serafin (46), nach
der operativen Entfernung eines RippenEkchondroms (gutartiger Knochentumor) und Resektion der linken vorderen
Thoraxwand mit ohnehin schon freiliegendem Herzen auf seinem Tisch liegt,
kann er nicht widerstehen: Mit Stromimpulsen unterschiedlicher Pulsrate gelingt
es ihm, die Herzfrequenz der Patientin in
einem weiten Bereich zu steuern. Damals ein grandioser Durchbruch für die
Wissenschaft, heute vermutlich ein Fall
für die Ethikkommission.
Mehr Klarheit ins elektrokardiale Geschehen brachte der Arzt Augustus Desiré Waller. Ihm gelang 1887 die erste
EKG-Darstellung im klinischen Umfeld,
nachdem der Ingenieur Alexander Muirhead schon 1870 das erste humane EKG
aufgezeichnet haben soll. Dritter im
EKG-Ruhmesbunde ist der Arzt Willem
Einthoven (1860–1927), dem wir die
Aufgrund der operativen Entfernung eines Ekchondroms der Rippen und nach Resektion der linken
vorderen Thoraxwand war das Herz
der Patientin Catharina Serafin nur
von einer dünnen Hautschicht
bedeckt.
Der Herzschrittmacher von
Albert S. Hyman von 1933.
Das Gerät wird mit einem Federmotor angetrieben, hat einen Generator, einen Unterbrecher für 30, 60
und 120 Impulse pro Minute und
eine nadelförmige Elektrode, die
in den Herzmuskel eingestochen
wird. Bei dem hier gezeigten Gerät
handelt es sich um einen Nachbau
von 1999, da keines der HymanGeräte mehr existiert.
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Rune Elmqvist
Buchstaben P bis U für die EKG-Impulsphasen verdanken.
Machen wir, auch kriegsbedingt,
einen Zeitsprung: Im Jahr 1932 beschreibt der Kardiologe Albert S. Hyman
die erste erfolgreiche Anwendung eines
externen Schrittmachers am Menschen,
dessen Impulse über eine Nadel transkutan appliziert wurden. Unabhängig von
ihm berichtete 1929 auf dem 3. Kongress der Australian Medical Society
auch der australische Anästhesist Mark
Lidwell über seine Pacing Machine.
Während Hymans Gerät äußerlich wie
eine komplizierte und fragile Kurbelmaschine aussieht, war Lidwells Schrittmacher praktischerweise in einem Kasten
mit Klappdeckel untergebracht. Trotzdem war die Zeit offenbar noch nicht reif
für die kardiale Elektrostimulation: „Teufelswerk“ war wohl nicht die schlimmste Schmähung für den Hymanator.
Noch einmal Krieg. In den Fünfzigern
werden die Fotos medizintechnischer
Geräte nicht nur farbig, sondern die Geräte sehen auch so aus, als ob sie noch
heute funktionieren könnten. Die Defibrillation, das Schocken bei Kammerflimmern, wurde erstmals 1952 von dem
Bostoner Kardiologen Paul Zoll beschrieben; für unser Thema ist das insofern
wesentlich, als moderne Schrittmacher
auch diese Schockfunktion für den Notfall besitzen. Heute allerdings ohne das
seinerzeit gegebene Risiko einer fatalen
R- über T-Triggerung.
blocks eingesetzt. Lillehei gilt bis heute
als „Vater der Operationen am offenen
Herzen“: Bis 1957 hat er bereits 300 solcher OPs an Kindern und Jugendlichen
mit kongenitalen Herzschäden ausgeführt. Lillehei war es auch, der mit seinem Team die Herzelektrode erfand: mit
Teflon isolierte Drähte, die direkt ins
Myokard führten. Jetzt waren anstelle
der schmerzhaften 150 Volt wie bei Zolls
externer Stimulation über die Haut nur
noch 1,5 Volt nötig, um den Herzmuskel
anzuregen. Die erste Myokardelektrode
wurde am 30. Januar 1957 einem dreijährigen Mädchen implantiert, das eine
Herzblockade nach der OP einer FallotTetralogie hatte. Natürlich machten die
transkutan eingeführten Elektroden auf
Dauer Probleme. So wurde im Juli 1958
erstmals eine Elektrode über die Vena
basilica zum Herzen geführt. Kurz danach entwickelte Wilson Greatbatch
einen langlebigen Schrittmacher mit
sehr geringem Energieverbrauch, der
Patienten mit komplettem Herzblock zu
einem neuen Leben verhalf. Arne Larsson (42), selbst Wissenschaftler mit
Goldene Jahre
am offenen Herzen
Dr. Åke Senning
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In den Fünfzigern lernen die Chirurgen
immer mehr, am offenen Herzen zu operieren. Im Jahr 1957 arbeiteten Dr. C.
Walton Lillehei, ehemaliger medizinischer Leiter von St. Jude Medical, und
Earl Bakken, Elektroingenieur und Mitbegründer von Medtronic, gemeinsam an
der Entwicklung des ersten tragbaren
Herzschrittmachers. Dieses batteriebetriebene Gerät, von Bakken in einer Garage in Minneapolis gebaut, wurde an
der University of Minnesota nach den
ersten Operationen am offenen Herzen
erfolgreich zur Behandlung eines Herz-
1957 erfindet Earl Bakken den ersten batteriebetriebenen externen Herzschrittmacher als
Alternative zu den allerersten, wenige Jahre
zuvor entwickelten Herzschrittmachern, die
aufgrund ihrer Größe noch auf eine externe
Stromversorgung angewiesen waren.
Abb. oben: Der erste in Deutschland
implantierte Schrittmacher von 1961.
Adams-Stokes-Syndrom, feierte am 8.
Oktober 1958 seinen zweiten Geburtstag. Der Herzchirurg Dr. Rune Elmqvist
und der Medizingeräteingenieur Dr. Åke
Senning setzen ihm im Karolinska Institut
den weltweit ersten implantierbaren
Herzschrittmacher ein. Entwickelt wurde
das Miniaturgerät von der schwedischen
Firma Elema Schönander, die ab 1974 zu
Siemens-Elema und 1994 zu St. Jude
Medical wurde. Der Schrittmacher bestand nur aus zwei Siliziumtransistoren in
einer selbstschwingenden Kippschaltung, ein paar passiven Bauteilen, einer
Nickel-Cadmium-Batterie
und
einer
Spule zum externen Aufladen der Energiequelle. Alle Bauteile wurden in einer
Kiwi-Schuhcremedose als Form mit Epoxidharz vergossen: daher die Maße von
55 mm Durchmesser und 16 mm Höhe.
All 24 Stunden musste die Zelle induktiv
neu geladen werden. Der erste Schrittmacher versagte bereits nach drei Stunden, das zweite baugleiche Implantat
hielt zwei Tage durch.
In den folgenden Jahren gelingt in der
Schrittmachertechnologie ein Durchbruch nach dem anderen: Am 6. Oktober
1961 wurde erstmals in Deutschland ein
Herzschrittmacher implantiert – vom damals 35 Jahre alten Arzt Heinz-Joachim
Sykosch. Das implantierte Gerät mit
dem Namen CHARDACK-GREATBATCH
5850 von der Firma Medtronic war faust-
Abb. oben: Prof. Heinz-Jochen
Sykosch mit dem Medtronic-CTRSchrittmacher Consulta. In der
Vitrine sieht man Schrittmacher
aus früheren Jahren.
Abb. links: Das neueste MedtronicModell – der erste Schrittmacher
weltweit, der MRT-tauglich ist.
groß und 300 g schwer. 1963 entsteht
der erste programmierbare Schrittmacher „Medtronic 5870“. Mieczyslaw Mirowski (1924–1990) implantiert 1980
den ersten Kardioverter/Defibrillator, der
den Herzschlag überwacht und erst bei
einer Störung Impulse abgibt. Drei Jahre
später gibt es die ersten frequenzadaptiven Schrittmacher, die eine weitgehend
physiologische Stimulation erlauben.
Heute kommuniziert der Schrittmacher selbständig via Internet mit dem
Arzt. Eine Implantation ist eine RoutineOP. Wie problemlos man sie überstehen
kann, bewies schon Arne Larsson:
Ganze 26 Schrittmacher fanden seit
1958 im Laufe seines Lebens den Weg
in seine Brust, ehe er im Dezember
2001 mit 86 Jahren verstarb.
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ANATOMIE ALS KUNST
ihre anatomische Exaktheit geprüft und
stellten in der Endfertigung eine hochqualifizierte Zusammenarbeit von Anatomen und Wachsbildnern dar. Zur Fertigung insbesondere der Ganzkörpermodelle wurden zahlreiche Leichen verwendet, ging es doch darum, alle Teile
möglichst naturgetreu, also frisch verwenden zu können und außerdem weg
von der Individualität zu einem idealtypischen Modell zu gelangen. Zur Körperhaltung der Ganzkörpermodelle wurden
auch Vorbilder aus der klassischen Plastik gewählt, von den Modellen Zeichnungen angefertigt und koloriert.
Die Wiener Sammlung der anatomischen Wachsmodelle, die zur Eröffnung
der Medizinisch-chirurgischen Josephs-
Helmut Gröger
Abb. links: Oberflächliche und tiefe
Lymphgefäße (Ganzkörpermodell,
Teilansicht)
Ganzkörpermodelle zur Darstellung
der Muskulatur in verschiedenen
Schichten
icht nur die Abbildung, sondern vor
allem die Darstellung des menschlichen Körpers und seiner Anatomie in naturgetreuen Modellen entsprach dem
Geist der Aufklärung. Die dazu am besten geeignete Wachsbildnerei lief in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in
Florenz zur Hochform auf. Die dort heute
noch bestehende Sammlung anatomischer Wachsmodelle war das Kernstück
des naturwissenschaftlichen Kabinetts,
das Peter Leopold (1747–1792), Groß-
N
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Helmut Gröger
Institut für Geschichte der Medizin
der Medizinischen Universität
Wien
Währinger Str. 25
A-1090 Wien
[email protected]
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herzog der Toskana, einrichten ließ.
Peter Leopold, ein Förderer insbesondere der Naturwissenschaften, hatte 1766
den Anatomen und Naturforscher Felice
Fontana (1730–1805) mit der Einrichtung
dieses naturwissenschaftlichen Kabinetts beauftragt, das 1775 als „Imperiale Reale Museo di Fisica e Storia Naturale“ eröffnet wurde.
Die anatomischen Wachsmodelle, für
die Fontana eine eigene Werkstätte einrichten ließ, wurden in aller Exaktheit
und Detailtreue durch Gipsabdrücke von
der Leiche, die mehrfach verwendet
werden konnten und als Gussformen für
die Wachsmodelle dienten, erstellt.
Dabei wurde der jeweilige Körperteil aus
entsprechend gefärbtem Wachs gegossen, also die Muskulatur beispielsweise
rotbraun sowie aus didaktischen Gründen die Arterien rot und die Venen blau.
Nach dem Guss der einzelnen Teile,
dem Zusammenbau und der Nachbearbeitung wurden die Wachsmodelle auf
Akademie 1785 bereits von Florenz nach
Wien transportiert und aufgestellt worden war, ist im Wesentlichen aus den
dort vorhandenen Gussformen entstanden, ohne jedoch eine identische Kopie
zu sein, denn neue Erkenntnisse und Ansprüche fanden in der Zwischenzeit
ihren Niederschlag, insbesondere was
die Darstellung der Lymphgefäße und
die geburtshilflichen Modelle betrifft. In
Wien war die Sammlung als Lehrsammlung für die von Kaiser Joseph II. als In-
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Abb. links oben: Herz-, Blut- und
Lymphgefäße (Ganzkörpermodell,
Teilansicht)
Abb. rechts oben: Brustraum,
Aortenbogen und obere Hohlvene
durchschnitten
Mehr zum Thema können Sie
lesen und sehen im Buch von
Manfred Skopec und
Helmut Gröger, mit
Fotografien von
Alexander Koller:
„Anatomie als Kunst“
Verlag Christian Brandstätter
2002, Wien
ISBN: 3-85447-846-1
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stitution für Militärchirurgen zur Hebung
des Ausbildungsniveaus errichtete Akademie angeschafft worden.
Die Aufstellung der Sammlung erfolgte in Wien wie in Florenz nach einem didaktischen Konzept, einem Ordnungsprinzip, das der systematischen Einteilung, also den Kapiteln der damals verbindlichen anatomischen Lehrbücher
entsprach, wie Knochen-, Bänder-, Muskel-, Eingeweide-, Gefäß- und Nervenlehre, einschließlich des Gehirns.
Über die Form der Aufstellung hinaus
war auch die Kombination jedes Modells
mit einer deckungsgleichen, kolorierten
Zeichnung und einem verdeckten, jederzeit abrufbaren Text (in einem Schiebefach unter der Vitrine des Modells) von
hoher didaktischer Qualität. Sämtliche
Regionen des menschlichen Körpers
sind in den zahlreichen Modellen veranschaulicht, meist in mehreren Varianten,
wobei zum Beispiel bei den Organen zuerst die topographische Situation gezeigt wird, dann eine andere Ansicht
nach der Entnahme einzelner Organe
oder ihrer Verlagerung. Es gibt auch zerlegbare Modelle wie das Ganzkörpermodell einer liegenden schwangeren Frau,
bei der sämtliche Brust- und Bauchorgane einzeln entnommen werden konnten
und die beginnende Frucht im Uterus zu
sehen war. Oder ein zerlegbares Modell
eines Herzens, an dem die Herzhöhlen
und der Klappenapparat gezeigt wurden.
Die vor allem bei den Ganzkörpermodellen gewählten Körperhaltungen dienten
nicht nur der Ästhetisierung, sondern
auch dazu, von der Anatomie mehr zu
zeigen, als es in der Grundhaltung möglich ist. Sei es, um bei der Darstellung
des Lymphgefäßsystems die Lymphknoten in der Achselhöhle oder beim über
den Kopf erhobenen Arm die Verletzlichkeit der Oberarmgefäße zu demonstrieren. Auch bot das Wachsmodell die
Möglichkeit, die Farben der Natur entsprechend zu vermitteln, was bei der
anatomischen Präparation ja nicht möglich ist. Außerdem konnten – und das ist
auch nicht nur eine Ästhetisierung –
nicht die Leiche, sondern der Mensch
und seine Anatomie im Modell gezeigt
werden.
Die Wachsmodelle, an denen die
Lymphgefäße zur Darstellung kommen,
sind besonders bemerkenswert. Vor
allem deshalb, weil die Erkenntnis über
die Lymphgefäße im ausgehenden
18. Jahrhundert neu war und auf den
Anatomen Paolo Mascagni (1755–1815)
zurückgeht, der namhaft an der Fertigung der Wiener anatomischen Wachsmodelle mitgewirkt hat. Er war seit 1780
leitender Anatom der Werkstätte in Florenz.
Entsprachen die anatomischen Modelle der idealtypischen Anatomie, so
waren die geburtshilflichen Modelle eine
Sammlung all dessen, was auf den
Geburtshelfer zukommen konnte, von
ihrer Konzeption her also von grundsätzlich anderem Anspruch. Bei den geburtshilflichen Modellen gab es in aller Vollständigkeit Darstellungen von Varianten
der Schwangerschaft, verschiedenster
Abb. links oben: Modell des
Herzens in zwei Positionen
Abb. rechts oben: Hals-BrustRegion zur Darstellung der
Nervenverläufe
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Herz und große arterielle Gefäße
(Ganzkörpermodell, Teilansicht)
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Lagen des Kindes, eine Zwillingsdarstellung, Missbildungen, absolute Geburtsunmöglichkeiten, den Phasenablauf
einer Zangengeburt oder die Darstellung
einer Kaiserschnittgeburt. Das Wachsmodell konnte die anatomische Sektion
und die anatomische Präparation aber
nicht ersetzen, und für die praktische
Ausbildung insbesondere der Chirurgen
war das Handanlegen unentbehrlich.
Deshalb war die Sammlung als Lehrsammlung für die Medizinisch-chirurgische Josephs-Akademie auch von Anfang an umstritten.
Dass aber das Modell des menschlichen Körpers als Lehrmittel vom didaktischen Standpunkt aus jeder Abbildung
überlegen war und ist, bleibt unbestritten, umso mehr, wenn das Modell
höchste Qualität aufweist, was bei den
anatomischen Wachsmodellen auch aus
heutiger Sicht mit nur geringfügiger Aus-
nahme zutrifft. Man kann aber auch mit
Sicherheit davon ausgehen, dass die
Wachsmodelle nicht nur in den Sommermonaten oder in Ermangelung eines bestimmten anatomischen Präparates als
Ersatz gedient haben, sondern durch
ständige Verfügbarkeit sicher als Lehrmittel Verwendung gefunden haben, sei
es zur Rekapitulation des an der Leiche
Demonstrierten oder zu allgemeinem
Wissenserwerb.
Bei aller Kritik, der die Sammlung der
anatomischen Wachsmodelle von Anfang an auch ausgesetzt war, stellte sie
dennoch in ihrer Fülle den unschätzbaren
Wert eines geradezu enzyklopädischen
Inventars der menschlichen Anatomie
dar. Die Wiener Sammlung, in gutem Erhaltungszustand und am historischen
Ort, ist aus heutiger Sicht ein Kulturgut
von hohem medizinhistorischem wie
kunstgeschichtlichem Wert.
Herausgeber
Prof. Dr. med. Michael Block
Klinik Augustinum München
Wolkerweg 16, 81375 München
Prof. Dr. med. Dieter Horstkotte
Herz- und Diabeteszentrum NRW,
Bad Oeynhausen
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Prof. Dr. med. Thomas Budde
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Alfried-Krupp-Str. 21, 45131 Essen-Rüttenscheid
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Prof. Dr. Wolfgang Motz
Herz- und Diabeteszentrum
Mecklenburg-Vorpommern,
Karlsburg
Greifswalder Str. 11, 17495 Karlsburg
Tel.: 03 83 55/70 12 83, Fax: 03 83 55/70 16 55
www.drguth.de
Prof. Dr. med. Harald Darius
Vivantes Klinikum Neukölln, Berlin
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Rudower Str. 48, 12351 Berlin
www.vivantes.de
Prof. Dr. med. Michael Oeff
Städt. Klinikum Brandenburg
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Hochstr. 29, 14770 Brandenburg an der Havel
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www.klinikum-brandenburg.de,
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Prof. Dr. med. Bernd-Dieter Gonska
St. Vincentius-Kliniken, Karlsruhe
Südendstraße 32, 76137 Karlsruhe
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Prof. Dr. med. Ernst G. Vester
Evangelisches Krankenhaus,
Düsseldorf
Kirchfeldstr. 40, 40217 Düsseldorf
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