Beth Hart Interview

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Beth Hart
”Fire On The Floor”
Als die US-Sängerin Beth Hart ”I’d Rather Go Blind” der Soul-Legende Etta James zum
ersten Mal sang, wurde unüberhörbar klar, dass in der Kalifornierin mehr als ihr bisheriger gradliniger Bluesrock steckt. In ihrem exklusiven Interview mit JAZZ’N’MORE spricht
sie nicht nur über ihre musikalischen Einflüsse und ihr neues, stilistisch breiteres Album,
sondern auch ganz offen über ihren Respekt vor Musiklegenden, ihre Unsicherheiten
und ihre persönlichen Krisen. Text und Foto: Schwe Schweizer
JAZZ’N’MORE: Beth, du bist seit Februar
ununterbrochen auf Welttournee. Danke,
dass du uns zu einem exklusiven persönlichen Interview empfängst.
Beth Hart: Gern geschehen! Allerdings als
klare Ausnahme: Auf der Tour erlaube ich Label und Management normalerweise nicht,
meine Auszeiten zu stören. Ich brauche meine
Ruhe, sonst bleibe ich nicht gesund.
JNM: Du präsentierst live dein neustes Album ”Fire on the Floor” und früheres Material. Wann und wie entscheidest du, welche
Songs ins Programm kommen?
BH: Ich entscheide dies immer erst auf der
Venue, wenn ich spüre, welche Schwingungen sie ausströmt, wie sich die Umgebung
anfühlt, welches Wetter gerade herrscht. Eigentlich ist es ganz einfach: Ich wähle die Stücke aus, für die ich am Konzertabend jeweils
in Stimmung bin. Auch die Band bringt Ideen
ein. Die Sets sind immer wieder anders, wir
wiederholen unsere Shows nicht.
JNM: Sind auf dieser Tour auch bisher unveröffentlichte Titel dabei?
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BH: Als es noch kein YouTube gab und die
Leute noch nicht mit ihren Smartphones filmten, da habe ich oft neue Songs live ausprobiert, die ich gerade geschrieben hatte. Das
kann ich leider heute nicht mehr tun: Sie würden aufgenommen, online verbreitet und unkontrolliert weiterverwendet.
JNM: In deinen jüngeren Jahren gab es neben deiner Ausbildung in Gesang und auf
dem Piano auch Cellounterricht und klassische Musik.
BH: Cello und das Spielen mit dem Bogen
müsste man täglich üben, das ist nicht wie Fahrradfahren! Als junges Mädchen liebte ich die
klassische Musik mit ihrer Dramatik, ihrem
Schmerz, ihrer Kraft und ihrer Leichtigkeit. Es
gab damals keine Musikstile, die ich nicht gemocht hätte. In meinem Auto läuft heute noch
regelmässig ein mexikanischer Radiosender
mit traditioneller Mariachi-Musik. Sie fasziniert mich, obwohl ich selber nie ein Stück in
diesem Stil gesungen habe.
JNM: Wie kamst du zu Jazz, Blues, Soul und
Rock?
BH: Meine Mutter spielte oft Platten mit altem Jazz und Swing. Als Kind hörte ich oft Big
Joe Turner und seinen Boogie, Blues und
Rock’n’Roll. Mein Bruder brachte mich dann
auf Rock, Reggae und Punk. Meine Mitschüler standen auf die Musik der 80er-Jahre,
während ich mehr auf den dunkleren Underground-Stuff von The Cure oder The Smiths
oder auch Ska abfuhr. Bis ich über einen
Freund bei Otis Redding, Donny Hathaway,
Aretha Franklin und Etta James landete.
JNM: Waren sie es, die dich schliesslich am
meisten beeinflussten?
BH: Im Prinzip schon, nur habe ich in den früheren Jahren meiner Karriere nie Musik in ihrem Stil geschrieben. Ich fühlte mich einfach
nicht sicher und gut genug, um diese Art von
Musik zu machen. Aber ich war damals ”angry
and edgy enough”, um harte Rockmusik zu
singen. Auch meine softeren Nummern ”L.A.
Song” und ”Leave the Light on”.
JNM: Dein erstes gemeinsames Album mit
dem Gitarristen Joe Bonamassa beinhaltet
Covers von Billie Holiday, Etta James und
Ray Charles. Hast du auf ”Don’t Explain”
2011 deinen Respekt vor den grossen Namen etwas ablegen können?
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Foto: PD/ Z VG/Mona NordØy
Coverstory
Coverstory
BH: Was war ich da ”fucking nervous”, als wir
deren Songs aufnahmen – ”I was terrified”!
Ich dachte, ich würde mich zur grössten Idiotin machen, die Songs dieser Musiklegenden
zu singen. Erst als ich mir vorzustellen versuchte, von wem etwa Songs wie ”I’d Rather
Go Blind” von Etta James inhaltlich handeln
würden, hätte ich – Beth Hart – sie selber geschrieben, da fühlte ich plötzlich, dass ich sie
auf meine mir eigene Art singen konnte. Vielleicht nicht so grossartig wie das Original,
aber auf jeden Fall ehrlich, nicht als ”Fake”.
Foto: PD/ Z VG/Mona NordØy
JNM: Im Broadway-Musical ”Love, Janis”
hast du 1999 die schwierige Rolle der Janis
Joplin gespielt und gesungen. Welche Bedeutung hat die Sängerin für dich?
BH: Natürlich liebe ich ihre grossartigen
Songs wie ”Try” und ”Cry Baby”. Janis hatte
aber sängerisch keinen Einfluss auf mich. Ich
habe mir mehr Bette Midler angehört, ihre
Broadway-Shows besucht und mir den Film
”The Rose” angesehen, der ja an Janis erinnert. Als ich mit 27 die Gelegenheit erhielt, im
Janis-Musical mitzuwirken, packte ich die
Chance trotzdem. Für einige Zeit war das sogar grossartig.
JNM: Nur für eine bestimmte Zeit?
BH: Ja, wegen meiner Drogen- und Alkoholsucht, um ehrlich zu sein! Ich war nahe dran,
zu sterben. Als ich zur Show zurückkam, realiBe t h H a r t
S änger in, P ianis t in, Gi t ar r is t in und K omponis t in. A m
24 . Januar 1972 in L os A ngele s gebor en, s t udier t e
C ello und Ge s ang an der Hochs chule. Wur de 1999 mi t
dem ” L . A . Song” und 2003 mi t ”L e ave t he L igh t on”
in den USA br ei t er bek ann t . In 20 Jahr en sind el f S t u dio - und z wei L i ve alben er s chienen. A r bei t e t u. a. mi t
den bek ann t en Gi t ar r is t en Je f f Beck und Joe Bona mas s a z us ammen. Is t der zei t au f Wel t t our nee.
sierte ich, wie nahe mir Janis als Person mit
meinen Suchtproblemen gekommen war. Da
auch eine meiner Schwestern an Drogen verstorben war, wurde das Ganze sehr real. Also
machte ich Schluss mit der Show. Ich anerkenne bis heute aber, was für ein ”Powerhouse” Janis Joplin war. Sie war sehr mutig
mit dem, was sie in den 60er-Jahren verkörperte. Den wenigsten ist bewusst, wie auf sie
regelrecht gespuckt wurde. Da war kein Respekt! Nur jene Menschen, die ihr zuhörten,
begriffen damals, dass sie weissen Frauen in
der Musik einen neuen Weg bereitete. Und
wurde von der Musikindustrie gleichzeitig so
übel behandelt. Deshalb starb sie so jung –
”she couldn’t take it”.
JNM: Auch die Soul-Legende Otis Redding
ist sehr jung tödlich verunfallt. Hast du dir
seine Musik angehört?
BH: Ich hatte alle Aufnahmen. Natürlich auch
”I’ve Been Loving You Too Long”. Ist dir aufgefallen, dass er rund 40 weitere Stücke schrieb
und aufnahm, die sehr ähnlich klingen? Vielleicht musst du immer wieder dieselbe Art
Songs schreiben, um am Schluss irgendwann den ”fucking killer” zu haben! Erstaunlich, wie viele Klassiker wie etwa ”Respect”
er schrieb. Und ”Satisfaction”. Oder waren das
die Stones? Ja, stimmt, ihren Hit hat er bloss
gecovert!
JNM: Als du am Tribute für die Blues-Legende Buddy Guy 2012 vor dem US-Präsidentenpaar Obama und illustren Gästen mit ”I’ d
Rather Go Blind” von Etta James brilliert
hast, war der ebenfalls legendäre Jeff Beck
an der Gitarre.
BH: Jeff Beck ist mit niemandem zu vergleichen. Er hat das Gitarrespielen komplett neu
erfunden. Ich würde sogar sagen, dass er gar
kein Gitarrenspieler ist – ”Jeff Beck plays Jeff
Beck”.
JNM: Ebenfalls herausragend auf seinen
sechs Saiten ist Joe Bonamassa. Mit ihm
bist du – neben der bereits erwähnten Studioarbeit – schon öfters aufgetreten. Was
verbindet dich mit ihm?
BH: Joe Bonamassa ist extrem talentiert. Sein
musikalisches Vokabular ist immens, er arbeitet sehr professionell. Er ist auch immer sehr
generös, respektvoll und sensibel mir gegenüber. Und er hat meine Karriere, mich persönlich als Songwriter verändert. Wir schrieben
bisher keine Songs zusammen, aber bei den
Covers grosser Künstler, die wir auf ”Don’t
Explain” einspielten, merkte ich plötzlich, dass
ich neue Wege gehen konnte mit meinem
Songwriting. Meine frühere Angst legte sich
und ich fand den Mut, zu neuen Ufern aufzubrechen.
JNM: Wie schreibst du denn deine Songs?
Wie kommen Musik und Lyrics zusammen?
BH: In der Regel kommt die Musik zuerst. Selten vertone ich mal einen Text. Meist übe ich
auf Akkordwechseln herum. Manchmal inspiriert mich auch ein falscher Akkord. Meine
Melodien entstehen aus Akkorden. Zuweilen
ist es auch umgekehrt. Die Musik definiert
also, wie die Lyrics ausfallen werden. Die Texte zu schreiben, gelingt mir nur selten rasch,
es ist der schwierigste Teil meines Songwritings.
JNM: Hast du nach deinem vorletzten Album ”Better Than Home” mit den sehr persönlichen Balladen bewusst etwas rocki­
gere und auch jazzige Songs für das neue
”Fire on the Floor” geschrieben?
BH: Ich verrate dir ganz offen und ehrlich: Ich
habe noch nie konkret geplant, ein Album mit
diesen oder jenen Songs einzuspielen. Ich
schreibe all meine Musik und gebe sie den
Produzenten. Sie entscheiden dann, mit welchen Songs sie ein tolles Album machen können. Ich diskutiere mit ihnen nicht darüber.
Und sollte mir das Ganze einmal nicht passen,
suche ich mir einfach einen anderen Produzenten. Als ich ”Better Than Home” aufnahm,
hatte ich mehr als 50 Songs. Einige davon
sind nun auf ”Fire on the Floor”. So auch der
Titelsong: Er hat es nicht aufs vorherige Album geschafft.
JNM: Über 50 Songs, das ist eine Menge.
Schreibst du denn permanent?
BH: Wenn ich im Schreibmodus bin, dann ist
es wie eine Sucht. Anschliessend gehen die
Schleusen zu und ich schreibe vielleicht ein
bis zwei Jahre überhaupt nichts. Bei der Produktion von ”Better Than Home” blieb allerdings alles im Fluss. Ich fühlte mich äusserst
unsicher, einer der beiden Produzenten verstarb an Krebs und ich landete zweimal in der
Psychiatrie. Ich war so schlecht drauf, dass
ich wieder zu trinken begann. Dennoch bin ich
dankbar für die Erfahrungen, die ich mit ”Better Than Home” gemacht habe: Sie führten
direkt zu den Aufnahmen von ”Fire on the
Floor”.
JNM: Du bist umgehend wieder ins Studio
gegangen?
BH: Ich rief meinen Manager David Wolff an
und bat ihn, mit dem Plattenlabel ein neues
Album zu vereinbaren. Ich war so ”freaked
out”, dass ich befürchtete, ohne eine gute Recording-Erfahrung kaum jemals wieder in ein
Studio gehen zu können. Produzent Oliver Leiber leistete schliesslich einen grossartigen
Job. Er kommt zwar aus der Pop-Richtung,
was man aber auf dem Album nicht hört.
­Zusammen mit grossartigen Musikern haben
wir ”Fire on the Floor” in nur drei Tagen aufgenommen, geplant waren fünf. Plötzlich war
alles wieder so leicht und ”a lot of fun”.
JNM: Die Basis für ein künftiges Album
wäre also gegeben?
BH: Mit Joe Bonamassa ist etwas in Vorbe­
reitung, aber da gibt es noch einiges zu tun,
bis das steht. Für ein eigenes Album brauche
ich noch mehr Songs. Erst wenn ich genügend Songs abliefern kann, fühle ich mich
wirklich sicher genug.
JNM: Du äusserst dich sehr offen und persönlich, obschon wir uns bei diesem Interview erstmals begegnet sind.
BH: Ich bin in einem Therapie-Umfeld aufgewachsen. Deshalb bin ich es gewohnt, offen
über mich zu sprechen. Musik selbst kann einen öffnen und verändern. Ich hatte mit meiner Schwester Susan einst einen derart heftigen Streit, dass ich jahrelang nicht mehr mit
ihr sprach. Daran änderte auch der Drogentod
meiner anderen Schwester nichts. Ich wartete
stur auf eine Entschuldigung. Bis ich eines
Tages am Piano in einem neuen Song die Eingebung hatte, sie zu bitten, mir zu vergeben.
Statt dem ”kiss my ass” ihr gegenüber, hat mir
das Songwriting die Wahrheit gezeigt, für die
ich zu blind war, um sie zu sehen. Vielleicht ist
auch etwas Göttliches in solchen Eingebungen, wer weiss?! ■
Ausge wä hlt e Di skogr a p hie
➤ F ir e On T he F loor, 2016 (P r ovogue)
➤ Be t t er T han Home, 2015 ( P r ovogue)
➤Li ve in A ms t er dam (mi t Joe Bonamas s a),
2014 (J& R)
➤ Don’t E x plain (mi t Joe Bonamas s a), 2011 (J& R)
Kon z er t e
28.10.2017: Blue s F e s t i v al, K ais er slau t er n, D
08.11.2917: S t ad t halle, W ien, A
15.11.2017: Volk shaus, Z ür ich, CH, b y A llBlue s
<
w w w.be t hhar t .com
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