Der segnende Christus Predigt zu Lukas 24, 50-53 von Pfarrer Hans-Jürgen Kopkow am 14. Mai 2015 50 Darauf führte Jesus sie aus der Stadt hinaus nach Betanien. Dort erhob er die Hände, um sie zu segnen. 51 Und während er sie segnete, entfernte er sich von ihnen und wurde zum Himmel emporgehoben. 52 Sie aber warfen sich vor ihm nieder. Dann kehrten sie voller Freude nach Jerusalem zurück. 53 Sie verbrachten ihre ganze Zeit im Tempel und priesen Gott. Wir könnten die Geschichte so verstehen, wie sie dasteht. Wir würden sie dann wie die Kinder im Kindergottesdienst wörtlich nehmen. Wir würden uns vorstellen, wie Jesus vor den Jüngern hergeht, wie er sie aus der Stadt nach Bethanien führt. Da angekommen würde er die Hände erheben und sie alle ein letztes Mal segnen. Und dann würde er von einer unsichtbaren Kraft zum Himmel emporgehoben. Und schließlich würde unsichtbar werden. Das wäre natürlich grandios. Kein Wunder, dass es die Jünger umhaut. „Da legst di‘ nieder“, würde man in Bayern sagen. Und weil das so toll gewesen wäre, würden die Jünger voller Freude nach Jerusalem zurückgehen, um es allen anderen zu erzählen. So haben es in den letzten 2000 Jahren unzählige Generationen von Christen verstanden, nacherzählt, sich vorgestellt, gemalt … Und vermutlich hat sich daran bis heute für viele wenig geändert. Aber jetzt muss ich Dich mal fragen: Stellst Du Dir das so vor? Wirklich? Oder kommen Dir gelegentlich Zweifel? Fragst Du Dich dann: Wo ist er eigentlich hin? Ist der Himmel denn wirklich oben? Ich belasse es mal dabei. Unabhängig wie Du oder Sie darüber ganz persönlich denken, hat sich seit der Abfassung der Himmelfahrtsgeschichte eine Menge geändert, vor allem unser Weltbild. Die Welt ist eben keine Scheibe und weder ist der Himmel oben noch die Hölle unten. Bleiben wir für heute, weil heute Himmelfahrt ist, mal beim Himmel. Was ist das eigentlich, der Himmel, von dem hier die Rede ist, um den es an Himmelfahrt geht? Wer diesen Fragen nicht ausweicht, könnte zu dem Schluss kommen: Ich versteh das nicht. Das ist mir zu kompliziert. Natürlich kann man, wenn man mit Himmelfahrt nichts anzufangen weiß, Bierkästen in Bollerwagen durch die Gegend ziehen, Vatertag oder Männertag feiern, Bratwürste grillen, die Sonne genießen. Aber ist das nicht eine geistliche Bankrotterklärung. Und wäre es nicht konsequent, wenn man dann auch diesen Tag als Feiertag abschaffen würde wie den Buß- und Bettag, mit dem ja zuletzt kaum noch einer etwas anzufangen wusste? Nun gut. Sie und ich, wir sind hier, weil uns dieser Tag nicht egal ist und weil wir immer wieder neu versuchen, dem Geheimnis dessen, was es mit dem Himmel und der Himmelfahrt auf sich hat, auf die Spur zu kommen. Bei meinem Versuch, den biblischen Bericht mit meiner Vorstellung des Himmels zusammen zu bekommen, kam mir folgende Idee: Klingt Himmelfahrt nicht ein bisschen wie „Schifffahrt“ und Ausflug. Dann wäre Jesus der, die die Reisegruppe führt. Für einen Moment hatte ich vor, Ihnen tolle Bilder von fernen Sternenwelten zu zeigen. Aber dann wurde mir klar. Damit würde ich Sie in die Irre führen – nicht was die Sterne angeht, sondern was das Verständnis des Himmels angeht. Man darf das Ganze weder so noch so wörtlich nehmen. Man muss das Ganze im übertragenen Sinne verstehen. Dann führt Jesus die Seinen auch, aus der Enge in die Weite, aus dem Vordergründigen in die Tiefe, aus der sichtbaren Welt in eine Wirklichkeit, die uns Menschen unsichtbar umgibt. Er führt sie. Er leitet sie. Er leitet sie an, etwas von dem wahrzunehmen, was uns unsichtbar umgibt: der Himmel. Es dürfte klar sein, dass ich damit nicht den Wolkenhimmel und auch nicht den Sternenhimmel meine, sondern den göttlichen Himmel. Hätten wir doch wie die Engländer zwei Worte in unserer Sprache für unser deutsches Wort „Himmel“. Dann bräuchte man nicht jedes Mal daran erinnern, dass hier mit Himmel nicht „sky“, sondern „heaven“, nicht der atmosphärische, blaue Wolkenhimmel, sondern der göttliche, der transzendente, güldene Himmel gemeint ist. In früheren Zeiten hat man das auch hierzulande noch gewusst und besser auszudrücken gewusst als heute. Die Maler stellten den Wolkenhimmel blau dar, malten aber über dem blauen Himmel noch einen goldenen Himmel für den Himmel Gottes. Sie haben das sicher schon gesehen oder vom güldenen Himmel gehört. Im Grunde ist schon lange bekannt, dass das Wort „Himmel“ nicht einen Ort irgendwo da oben bezeichnet, sondern ein Sein in der Gegenwart Gottes. Jesus redete nun nicht nur von diesem unsichtbaren göttlichen Himmel. Nein: Er zeigte denen, die mit ihm waren, diesen Himmel auch. Wie? Ganz einfach. Indem er vor ihren Augen in diesen Himmel, in diese unsichtbare Wirklichkeit, in diese andere Dimension verschwand. Wenn es heißt, Jesus sei in den Himmel aufgefahren bzw. er sei in den Himmel aufgenommen worden, dann war damit natürlich der güldene Himmel, die göttliche Sphäre gemeint. Und dieser güldene Himmel Gottes ist eben nicht irgendwo da oben und weit weg, sondern da, wo Gott ist, bei uns, nahe bei uns Menschen. Wenn Sie mich nun fragen, wo das denn sein soll, muss ich eine kleine Anleihe in der Wissenschaft machen. Die meint nämlich: Wir können nur 10% von dem wahrnehmen, was ist. Die restlichen 90% sind für uns unsichtbar. Wie beim Eisberg. Da sieht man auch nur die 10%, die aus dem Wasser ragen. 90% der Wirklichkeit sind unsichtbar. Und nur 10% unserer Wirklichkeit sind sichtbar. Es gibt eine unsichtbare Wirklichkeit, die so wirklich ist, wie unsere sichtbare Wirklichkeit. Offensichtlich durchdringen sich diese Wirklichkeiten, diese Welten. Fragen Sie bitte nicht, wie das geht. Aber es geht. Und in diesem Sinne ist es wissenschaftlich durchaus denkbar, dass Jesus aus der uns sichtbaren Wirklichkeit in jene uns unsichtbare Wirklichkeit gegangen ist. Das so miterleben zu dürfen, hat die Jünger im wahrsten Sinne des Wortes umgehauen. Und es hat ihnen einen Blick für das eröffnet, was immer ist und uns unsichtbar umgibt. Für einen Moment wurde für sie die unsichtbare Wirklichkeit, die wir Himmel nennen, sichtbar. Und in diese Unsichtbarkeit entschwand Jesus, aber nicht etwa, um weg zu sein, sondern in neuer Weise, eben unsichtbar, da und bei ihnen zu sein. So betrachtet handelt es sich bei der sogenannten „Himmelfahrt“ nicht um einen Ortswechsel, sondern um eine Veränderung des Seins Jesu. Er war noch da, nur eben anders als vorher. Es ist nun nicht zufällig, dass all das in dem Moment geschah, wo er sie segnete. So segnend sahen sie ihn das letzte Mal. So segnend sollten sie ihn sich vorstellen, wenn sie an ihn dachten. Und so kommt es, dass er zwar immer wieder als der Gekreuzigte am Kreuz dargestellt wird, aber die Arme meistens wie ganz lebendig zum Segen über die Seinen ausgebreitet hat. Ist das nicht ein wunderbares Bild, eine wunderbare Erinnerung, sich Christus so zu vergegenwärtigen, als den, der uns segnet. Als sie Segnender ging er. Als uns Segnender begleitet er uns. Jeder von uns darf wissen, dass er da ist, dass er uns ganz nah ist, Dir und Ihnen, wie mir und uns allen. So betrachtet ist es nicht verwunderlich, dass die Jünger, die das alles miterlebt haben, voller Freude ihres Weges gingen. Sie hatten verstanden, dass der, der nicht mehr so da war, wie er zu Lebzeiten bei ihnen war, auf unerklärliche und unsichtbare Weise doch noch da war – und zwar bei ihnen und für sie, als Segnender eben. Und so fühlten sie sich nicht mehr verlassen und traurig, sondern gesegnet und umfangen vom Himmel.