2 Dirac-Theorie des Elektrons und des Neutrinos Die im ersten Teil dieses Buchs behandelte Quantenmechanik ist nicht-relativistisch. Sie steht in Korrespondenz zur Newtonschen Mechanik und ist dementsprechend Galileiinvariant. Wir können nicht erwarten, daß sie auch im relativistischen Regime gültig bleibt. Schon bei der Dynamik eines Elektrons im Atom ergeben sich bei klassischer Rechnung so hohe Geschwindigkeiten, daß meßbare relativistische Korrekturen zu erwarten sind. Das gilt um so mehr z. B. für hochenergetische Stoßprozesse in Teilchenbeschleunigern. Dieses Kapitel ist einer relativistischen Quantenmechanik von Elektronen gewidmet. Es wird sich herausstellen, daß die bisherigen Konzepte der Quantenmechanik auch im relativistischen Regime brauchbar bleiben. Dennoch liefert eine relativistische Quantentheorie wesentlich mehr als nur relativistische Korrekturen zur bisherigen Theorie. So erklärt z. B. die von Dirac entwickelte Quantentheorie geladener Punktteilchen ganz von selbst den Spin 1/2 der Elektronen und Positronen. Nun besitzen aber beileibe nicht alle Teilchen den Spin 1/2. Dies deutet darauf hin, daß mit dem Einbringen relativistischer Konzepte in die Quantenmechanik auch eine stärkere Diversifizierung verbunden ist. Ein generelles Problem der relativistischen Quantenmechanik ist das Auftreten von Zuständen negativer Energie. Wie bereits in der Einleitung gesagt löste Dirac dieses, indem er forderte, daß alle negativen Energiezustände der Elektronen im allgemeinen von Elektronen besetzt sind. Wird eines von diesen durch Energiezufuhr in einen Zustand positiver Energie überführt, so hinterläßt es ein unbesetztes Loch, das Dirac als positiv geladenes Teilchen interpretierte. Mit Hilfe dieser Vorstellung kann nicht nur die Existenz des Positrons gefolgert, sondern auch noch eine Reihe weiterer, bei Elektronen und Positronen auftretender Phänomene gedeutet werden. Wir werden allerdings sehen, daß diese Interpretation nicht in allen Konsequenzen haltbar ist, und werden sie daher später im Rahmen der Quantenfeldtheorie ersetzen. 2.1 Ergebnisse der klassischen relativistischen Mechanik Wir beabsichtigen, eine relativistische Bewegungsgleichung quantenmechanischer Zustände für die Dynamik geladener Punktteilchen in einem elektromagnetischen Feld aufzustellen. Dabei möchten wir uns so eng wie möglich an das erprobte Vorgehen im nicht-relativistischen Fall anlehnen und benötigen die Bewegungsgleichung daher in Hamiltonscher Form. 2.1 Ergebnisse der klassischen relativistischen Mechanik 5 Die relativistische Bewegungsgleichung für die Bewegung eines Punktteilchens im elektromagnetischen Feld lautet in der Newtonschen Form d m dt m mit q E B (2.1) m0 . 1v 2 /c2 (2.2) Die Felder E und B lassen sich durch E Φ ∂∂tA , B A (2.3) auf die Potentiale A und Φ zurückführen. Die (2.1) äquivalente Hamiltonsche Form der Bewegungsgleichung ist nach der Speziellen Relativitätstheorie, Abschn. „Lagrange und Hamilton-Formulierung der Bewegungsgleichung“ ∂H ∂H , p ∂p ∂x 2 qΦ(x, t) c m 02 c2 p q A(x, t) . x mit H (2.4) (2.5) (Wir benutzen in der relativistischen Quantenmechanik für den Ortsvektor die Bezeichnung x.) Der Zusammenhang zwischen der Geschwindigkeit x und dem Impuls p folgt aus (2.4a) mit (2.5) und lautet p q A m . (2.6) Für spätere Zwecke sei angemerkt, daß sich aus (2.5) mit (2.6) H qΦ mc2 (2.7) ergibt. Die Gleichungen (2.4) sind formal identisch mit den kanonischen Bewegungsgleichungen der nicht-relativistischen Mechanik. Daher gelten für sie alle Konsequenzen, die in der klassischen Mechanik aus ihrer kanonischen Form abgeleitet wurden. Insbesondere bedeutet dies, daß sie auch in die Form 2 ∂S ∂S ∂S ∂S H x, p , t qΦ c m 02 c2 qA 0 (2.8) ∂t ∂x ∂t ∂x von Hamilton und Jacobi gebracht werden können. Der Zusammenhang zwischen der Wirkungsfunktion S und den mechanischen Größen p bzw. x ist dabei wie in der klassischen Mechanik durch ∂S (2.9) p ∂x und (2.6) mit x gegeben. Im Fall ∂ H /∂t 0 gilt Energieerhaltung, H E const, und es folgt 6 2 Dirac-Theorie des Elektrons und des Neutrinos ∂S ∂t E. (2.10) Wir werden später bei der Quantisierung von Gleichung (2.8) zu deren Quadrat ∂S ∂t 2 qΦ m 02 c4 c2 ∂S ∂x 2 qA (2.11) übergehen. Man kann sich schon klassisch einen Teil der Konsequenzen überlegen, die dieses Vorgehen mit sich bringt: Für Φ 0 und A A(x) ist H nicht explizit zeitabhängig, es gilt der Energieerhaltungssatz, und (2.11) ist dann den zwei Gleichungen ∂S ∂t H E (2.12) äquivalent. Dies bedeutet, daß zu jeder Lösung positiver Energie (mit ∂ S/∂t E) auch eine Lösung negativer Energie (mit ∂ S/∂t E) existiert. Beim Aufstellen der Schrödinger-Gleichung in der nicht-relativistischen Quantenmechanik (Abschn. Q3.2.3) wurde neben der Hamilton-Jacobi-Gleichung auch eine Kontinuitätsgleichung benutzt. Wir wollen daher auch eine entsprechende relativistische Kontinuitätsgleichung bereitstellen. n 0 N/V0 sei die Dichte ruhender Teilchen. Mit dem Vierervektor der Geschwindigkeit 1 Uμ c, (2.13) 1 v 2 /c2 und der Summenkonvention ist ∂μ (n 0 U μ ) 0 bzw. ∂ n0 ∂t 1 v 2 /c2 div (2.14) n0 1 v 2 /c2 0 (2.15) eine Lorentz-invariante Erhaltungsgleichung, die im Limes v/c 0 in die klassische Kontinuitätsgleichung übergeht. Definieren wir noch durch n N/V (mit N Zahl der Teilchen und V V0 1 v 2 /c2 bewegtes Volumen) bzw. n n0 1 v 2 /c2 mit n0 N V0 (2.16) eine Dichte der bewegten Teilchen, so erhalten wir aus (2.15) schließlich die Kontinuitätsgleichung ∂n div(n ) 0 . (2.17) ∂t Dabei ist aus (2.4)–(2.6) zu entnehmen. 2.2 Aufstellung der Dirac-Gleichung 7 2.2 Aufstellung der Dirac-Gleichung In der nicht-relativistischen Quantenmechanik hatte sich als allgemeines Schema zur Aufstellung einer „Wellengleichung“ ergeben, daß man für diese ih ∂t ψ ψ H ansetzt und in ihr den Hamilton-Operator H aus der Hamilton-Funktion H (q, p, t) gemäß h H H q, p p , t i berechnet. Eine äquivalente Korrespondenzregel, die Ort und Zeit symmetrisch behandelt, wäre: In der klassischen Definitionsgleichung H H (q, p, t) der HamiltonFunktion, die auf der rechten Seite eine dem speziellen Problem angepaßte Funktion von q, p und t enthält, ersetzt man h (2.18) i und erhält dadurch eine Operatorgleichung. Wird diese von rechts mit ψ multipliziert, so daß die Operatoren auf die Wellenfunktion ψ einwirken, so erhält man die quantenmechanische Bewegungsgleichung. Wird nach diesem Schema auch der relativistische Fall behandelt, so ergibt sich aus (2.5) 2 h 2 2 ih ∂t ψ qΦ ψ c m 0 c q A ψ . (2.19) i H ih ∂t , p p Da der Operator unter der Wurzel erscheint, wäre die rechte Seite zunächst nicht definiert. Hier könnte man sich damit behelfen, die rechte Seite durch eine geeignete Potenzreihenentwicklung zu erklären. Dann treten auf dieser aber sämtliche Ortsableitungen von ψ auf, die symmetrische Behandlung von Raum und Zeit in der Korrespondenzregel schlagen sich also im relativistischen Fall nicht in der mit dieser abgeleiteten Bewegungsgleichung nieder. Physikalisch würde die Abhängigkeit der Zeitableitung ∂t ψ von allen Ortsableitungen (also von sämtlichen Koeffizienten einer Taylor-Entwicklung von ψ) bedeuten, daß wir es mit einer nicht-lokalen Theorie zu tun haben, weil die zeitliche Veränderung von ψ an einem Raumpunkt durch alle räumlichen Werte, die ψ zum selben Zeitpunkt annimmt, beeinflußt würde. Ein derartiges Verhalten ist nicht, was wir von einer relativistischen Theorie erwarten. Wir müssen uns daher nach anderen Wegen umsehen, zu einer relativistischen quantenmechanischen Bewegungsgleichung zu gelangen.1 Wie im nicht-relativistischen Fall suchen wir nach einer Bewegungsgleichung, die eine Reihe physikalisch motivierter Forderungen erfüllt. Dabei können die meisten Forderungen des nicht-relativistischen Falls mit unveränderter Begründung direkt übernommen werden. (Es empfiehlt sich also, noch einmal einen Blick auf Abschn. Q3.2.3 1 Schon hier sei darauf hingewiesen, daß wir im Rahmen der Theorie der im folgenden aufgestellten DiracGleichung bei einer speziellen Fragestellung dennoch auf Gleichung (2.19) zurückgeführt werden (siehe Abschn. 3.2.1). 8 2 Dirac-Theorie des Elektrons und des Neutrinos der Quantenmechanik zu werfen.) Wo unsere Forderungen von dem früher betrachteten Fall abweichen müssen, ist unmittelbar evident, so daß sie hier ohne weitere Begründung aufgeführt werden können. 1. Die Gleichung ist linear und homogen im Zustand ψ. Zur besseren Vergleichbarkeit mit der klassischen relativistischen Mechanik wird für diesen die Ortsdarstellung benutzt. 2. Die Gleichung enthält nur Zeitableitungen erster Ordnung. Wegen der Gleichberechtigung von Raum und Zeit in der Relativitätstheorie wird zusätzlich gefordert, daß sie auch nur Ortsableitungen erster Ordnung enthält. 3. Die im quasiklassischen Grenzfall in die Teilchendichte übergehende Wahrscheinlichkeitsdichte n ist eine quadratische Funktion der Wellenamplitude. 4. Die Forderungen des Korrespondenzprinzips sollen erfüllt sein, d. h. die Bewegungsgleichung soll im quasiklassischen Grenzfall zu Gleichung (2.8) bzw. (2.11) und der zugehörigen Kontinuitätsgleichung (2.17) führen. 5. Die Bewegungsgleichung soll die einfachste aller möglichen Gleichungen sein, welche die Forderungen 1–4 erfüllen. Forderung 2 ist im Grunde sogar überflüssig, denn die Bewegungsgleichung wird sicher am einfachsten (Forderung 5), wenn sie nur Ableitungen erster Ordnung enthält, und es stellt sich heraus, daß damit alle anderen Forderungen erfüllt werden können. Der einfachste Ansatz für eine mit den gestellten Forderungen verträgliche Bewegungsgleichung ist ∂t ψ aψ al ∂l ψ (2.20) mit komplexen Koeffizienten a und al . Dabei wird die Summenkonvention in der Form benutzt, daß bei doppeltem Auftreten lateinischer Indizes nur über die räumlichen Komponenten 1, 2 und 3 summiert wird. Daß der Zeitableitungsterm nicht mit einem Koeffizienten behaftet ist, bedeutet keine Einschränkung, denn man kann sich vorstellen, daß ein etwaiger Koeffizient herausgekürzt wurde. (Diese Möglichkeit besteht auch für den sich später als notwendig herausstellenden Fall, daß ψ ein Spaltenvektor ist und a sowie al dementsprechend Matrizen repräsentieren. Man müßte in diesem Fall einfach mit einer inversen Matrix multiplizieren.) Jetzt zerlegen wir ψ mit dem Ansatz ψ A eiS/h (2.21) in einen Amplitudenfaktor A und einen (skalaren) Phasenfaktor eiS/h mit reellem S. Im nicht-relativistischen Fall hatten wir verlangt, daß auch A ein reeller Skalar ist. Da wir mit dieser Forderung im relativistischen Fall nicht durchkommen werden, lassen wir sie fallen. Im nicht-relativistischen Fall hatten wir außerdem den Phasenfaktor in der Form eiG angesetzt und für den quasiklassischen Grenzfall nur G S/h verlangt, der Proportionalitätsfaktor ergab sich im Nachhinein aus den de Broglie-Relationen zu eins. Wir ersparen uns diesmal das Mitschleppen eines Proportionalitätsfaktors, indem wir mit dem Ansatz (2.21) gleich dessen richtigen Wert einführen. Allerdings werden wir das der Ordnung halber nachträglich überprüfen. 2.2 Aufstellung der Dirac-Gleichung 9 ψ Abb. 2.1: Lokalisiertes Wellenpaket im quasiklassischen Grenzfall. d Mit dem Ansatz (2.21) ergibt sich aus (2.20) nach Herauskürzen des Phasenfaktors i i (2.22) ∂t A A ∂t S a A al ∂l A A ∂l S . h h Nun wenden wir uns dem quasiklassischen Grenzfall dieser Gleichung zu. In diesem wird sich das das Teilchen repräsentierende Wellenpaket auf eine kleine Umgebung des klassischen Teilchenorts konzentrieren (Abb. 2.1), während S direkt mit der klassischen Wirkungsfunktion übereinstimmen muß. Größenordnungsmäßig gilt ∂t A A/t, wobei t d/v die Zeit ist, die das Wellenpaket zum Durchlaufen eines Gebietes der Ausdehnung d benötigt. Mit (2.10) ergibt sich dann ∂t i h A A ∂t S h . Et (2.23) Analog ist ∂l A A/d, und mit (2.9) ergibt sich ∂l A i h A ∂l S h pl d . (2.24) Es wird sich herausstellen, daß A ein Spaltenvektor sein muß. Die Abschätzungen (2.23)–(2.24) sind dann so zu verstehen, daß sie für dessen Komponenten gelten. Etwas vage ausgedrückt steht zu erwarten, daß die Quantenmechanik für große Energien und Impulse in die klassische Mechanik übergeht. Präziser definieren wir als quasiklassischen Grenzfall, daß die Bedingungen Et h, pl d h (2.25) erfüllt sind. Aufgrund der Abschätzungen (2.23)–(2.24) können wir dann in Gleichung (2.22) zwei Terme, ∂t A und al ∂l A, vernachlässigen und erhalten als deren quasiklassischen Grenzfall h (2.26) ∂t S a al ∂l S . i Offensichtlich läßt sich durch keine Wahl der Koeffizienten a und al erreichen, daß (2.26) die Form von Gleichung (2.8) annimmt, ja das wäre selbst dann nicht möglich, wenn wir in den Ansatz (2.22) Terme mit höheren Ableitungen von S aufgenommen hätten. Das unser Vorhaben störende Element ist die in (2.8) auftretende Wurzel. Diese 10 2 Dirac-Theorie des Elektrons und des Neutrinos können wir beseitigen, indem wir Gleichung (2.8) quadrieren. Die entstehende Gleichung (2.11) vergleichen wir mit dem Quadrat von Gleichung (2.26) in der symmetrisierten Form2 h 1 a al al a ∂l S al am am al (∂l S)∂m S . (∂t S)2 h 2 a 2 (2.27) i 2 Es wurde schon darauf hingewiesen, daß (2.11) eine größere Lösungsmannigfaltigkeit als (2.8) besitzt. Dementsprechend steht zu erwarten, daß auch die Bewegungsgleichung für ψ eine größere Lösungsmannigfaltigkeit aufweisen wird, als ursprünglich beabsichtigt wurde: Wir müssen darauf gefaßt sein, auch quantenmechanische Lösungen mit negativer Energie zu erhalten. Da die Bewegungsgleichung (2.26) alle Lösungen generieren wird, die mit den Lösungen von (2.8) in Korrespondenz stehen, bedeutet unser Verfahren jedenfalls keine Einschränkung. Es erhebt sich nur die Frage, wie die zusätzlichen Lösungen zu deuten sind. Diesem Problem werden wir uns später ausführlich zuwenden. 2.2.1 Dirac-Gleichung im kräftefreien Fall Jetzt wenden wir uns der Bestimmung der Koeffizienten a und al zu. Der besseren Übersichtlichkeit halber behandeln wir zunächst den einfachen Fall, in dem die Felder Φ und A verschwinden. Gleichung (2.11) reduziert sich in diesem auf ∂S ∂t 2 m 02 c4 c2 ∂S ∂x 2 . (2.28) Der Koeffizientenvergleich zwischen (2.27) und (2.28) liefert die Bedingungen a2 m 0 c2 h 2 , a al al a 0, al am am al 2δlm c2 . (2.29) Wieder geht es nicht so glatt wie im nicht-relativistischen Fall, denn wir müssen feststellen, daß die Gleichungen (2.29) nicht mit skalaren Koeffizienten a und al befriedigt werden können: Aus der ersten Gleichung folgt a 0, die zweite ist dann nur mit al 0 erfüllbar, und das steht im Widerspruch zur dritten Gleichung. Die Situation ist jedoch nicht so gravierend, wie es zunächst erscheint: Das Feld ψ(x, t) muß nicht notwendig 2 Es gilt (∂t S)2 h a al ∂l S i h a al ∂l S i h 2 a2 hi a al al a ∂l S (al ∂l S)2 . Die Symmetrisierung des Terms (al ∂l S)2 ergibt sich gemäß (al ∂l S)2 al (∂l S) am (∂m S) am (∂m S) al (∂l S) 1 al (∂l S) am (∂m S) am (∂m S) al (∂l S) 2 1 (al am 2 am al ) (∂l S)(∂m S) . Sie ist nur von Belang, wenn das Produkt al am nicht vertauschbar ist, was der Fall ist, wenn es sich bei den al um Matrizen handelt. 2.2 Aufstellung der Dirac-Gleichung 11 ein Skalarfeld wie das Schrödinger-Feld sein. Wir kennen anderes aus der Elektrodynamik, und im Rahmen der Quantenmechanik hat uns schon die Pauli-Gleichung mit Alternativen vertraut gemacht. Setzen wir ψ als mehrkomponentige Wellenfunktion ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ψ1 A1 . ψ ⎝ ... ⎠ ⎝ .. ⎠ eiS/h (2.30) An ψn an, so müssen die Koeffizienten a und al in Gleichung (2.20) n n–Matrizen sein, damit diese einen Sinn ergibt. Die linke Seite von Gleichung (2.26) ist entsprechend so zu interpretieren, daß ∂t S mit der n n–Einheitsmatrix multipliziert ist, ∂t S E ∂t S .3 Die Größe S bleibt dabei wie vorausgesetzt ein reeller Skalar. Man prüft leicht nach, daß alle zwischen (2.20) und (2.29) ausgeführten Schritte mit unserer jetzigen Interpretation der Größen ψ, a und al verträglich sind. Auch der Übergang von der Matrixgleichung (2.27) zu der skalaren Gleichung (2.28) bereitet keine weiteren Interpretationsschwierigkeiten: Unter den Bedingungen (2.29) enthält jeder Term in (2.27) die Einheitsmatrix; kürzt man diese heraus, so ergibt sich für die quantenmechanische Phase S die skalare Gleichung (2.28). Wir haben noch eine weitere Forderung des Korrespondenzprinzips zu erfüllen: Die quantenmechanische Wahrscheinlichkeitsdichte n muß im quasiklassischen Grenzfall der Kontinuitätsgleichung (2.17) genügen. Für die Zustände (2.30) ist die sinnvollste Definition einer mit der Forderung 3 des letzten Abschnitts verträglichen Wahrscheinlichkeitsdichte n ψi ψi . Definieren wir als zu ψ adjungierten Zustand den Zeilenvektor bzw. die Zeilenmatrix (2.31) ψ ψ1 , . . . , ψn , n so läßt sich dafür n ψψ ψi ψi (2.32) i 1 schreiben. (Wir werden später zu einer etwas anderen Dichte ψψ mit einer noch zu definierenden Größe ψ übergehen.) n ist positiv definit, wie zu fordern ist, wenn n als Wahrscheinlichkeitsdichte interpretiert werden soll. Die Zeitableitung von n erhalten wir mit Hilfe der auch bei Anwesenheit von Feldern Φ und A gültigen Bewegungsgleichung (2.20) und der zu dieser adjungierten Gleichung (∂t ψ) ψ a (∂l ψ) al , (2.33) indem wir (2.20) von links mit ψ , (2.33) von rechts mit ψ multiplizieren und die erhaltenen Gleichungen addieren. Mit (∂t ψ) ∂t ψ und (∂l ψ) ∂l ψ erhalten wir auf diese Weise ∂t n ψ (a a ) ψ ψ al ∂l ψ (∂l ψ ) al ψ . (2.34) Für den quasiklassischen Grenzfall ergibt sich keine Vereinfachung der Struktur dieser Gleichung. Wenn sie also im quasiklassischen Grenzfall die Form einer Kontinuitätsgleichung annehmen soll, muß das ganz allgemein gelten. Dazu muß der erste Term der 3 Man beachte den Unterschied zwischen der Einheitsmatrix E und der Energie E. 12 2 Dirac-Theorie des Elektrons und des Neutrinos rechten Seite verschwinden und die beiden letzten müssen zusammen eine Divergenz ergeben, d. h. wir erhalten die Forderungen a a 0, al al , (2.35) die aufgrund der Allgemeingültigkeit des Ansatzes (2.26) auch für Φ 0 und A0 gelten. Mit (2.35) vereinfacht sich (2.34) zu ∂t n ∂l (ψ al ψ) 0 . (2.36) Wir werden sehen, daß diese Gleichung im quasiklassischen Grenzfall (2.17) liefert, ohne daß weitere Forderungen gestellt werden müssen. Im nächsten Abschnitt wird sich herausstellen, daß die Matrizen a und al mindestens 4 4–Matrizen sein müssen, damit alle Gleichungen (2.29) und (2.35) erfüllt werden können. Sie werden bis auf eine unitäre Transformation eindeutig festgelegt (siehe nächster Abschnitt), wenn es sich um 4 4–Matrizen handelt, bei höherer Dimension der Matrizen geht diese Art der Eindeutigkeit verloren. Im Sinne unserer Forderung nach maximaler Einfachheit der Bewegungsgleichung werden wir uns für 4 4–Matrizen entscheiden. Die Wellenfunktion wird damit zu einem vierkomponen⎛ ⎞ tigen Spaltenvektor ψ1 ψ ⎜ ⎟ ψ ⎝ 2⎠ , (2.37) ψ3 ψ4 für den sich aus später ersichtlichen Gründen (siehe Exkurs 2.1) der Name Spinor oder Dirac-Spinor eingebürgert hat. Der zu ψ adjungierte Spinor ist nach (2.31) ψ (ψ1 , ψ2 , ψ3 , ψ4 ) , (2.38) es handelt sich bei ihm um eine Zeilenmatrix. Nach den Regeln der Matrizenmultiplikation, Multiplikation der Zeilen der linken mit den Spalten der rechten Matrix, gibt es zwischen zwei Rechtecksmatrizen ψ und ϕ mit einer Zeile bzw. einer Spalte zum einen das Produkt ⎛ ⎞ ϕ1 ⎜ ϕ2 ⎟ (2.39) ψ ϕ (ψ1 , ψ2 , ψ3 , ψ4 ) ⎝ ⎠ ψ1 ϕ1 ψ2 ϕ2 ψ3 ϕ3 ψ4 ϕ4 , ϕ3 ϕ4 das zu einer 1 1-Matrix mit dem Element 4i 1 ψi ϕi Produkt ⎛ ⎞ ⎛ ϕ1 ϕ1 ψ1 ϕ1 ψ2 ⎜ϕ ⎟ ⎜ ϕ ψ ϕ2 ψ2 ϕψ ⎝ 2 ⎠ (ψ1 , ψ2 , ψ3 , ψ4 ) ⎝ 2 1 ϕ3 ϕ3 ψ1 ϕ3 ψ2 ϕ4 ϕ4 ψ1 ϕ4 ψ2 das zu einer 4 4-Matrix mit den Elementen ϕi ψk führt. führt, und zum anderen das ϕ1 ψ3 ϕ2 ψ3 ϕ3 ψ3 ϕ4 ψ3 ⎞ ϕ1 ψ4 ϕ2 ψ4 ⎟ ⎠, ϕ3 ψ4 ϕ4 ψ4 (2.40) 2.2 Aufstellung der Dirac-Gleichung 13 Es erweist sich als zweckmäßig, mit den Definitionen a m 0 c2 β, ih al cαl (2.41) von a und al zu neuen Matrizen β und αl überzugehen. Die Forderungen (2.29) und (2.35) transformieren sich dabei in4 β2 1, β, αl 0, αl , αm 2δlm (2.42) und β β , αl αl . (2.43) (Wir lassen die Einheitsmatrix weg, wenn wie in der Gleichung β 2 1 klar ist, was gemeint ist.) Aus (2.20) wird damit die von P. A. M. Dirac entdeckte Dirac-Gleichung für freie Teilchen h 2 ih ∂t ψ m 0 c β cαl ∂l ψ. (2.44) i Die Mehrkomponentigkeit der Wellenfunktion bedeutet, daß gegenüber der Schrödingerschen Wellenmechanik weitere Freiheitsgrade hinzugekommen sind. Welche Bedeutung diese haben, werden wir später sehen. Hier sei nur darauf hingewiesen, daß sich das Auftreten mehrerer Freiheitsgrade zwangsläufig aus den Forderungen (2.29) ergab. Für ebene Wellen ψ ψ0 ei(k x ωt ) liefert (2.44) die Matrix-Gleichung hω m 0 c2 β c hkl αl . Durch Quadrieren folgt hieraus unter Benutzung der Gleichungen (2.42) und nach Herauskürzen der Einheitsmatrix die Dispersionsrelation (hω)2 (m 0 c2 )2 c2 (hk)2 . (2.45) Genau dasselbe ergibt sich, wenn wir den im kräftefreien Fall ( A0 und Φ 0) gültigen, aus (2.8) mit (2.9) und (2.10) folgenden Energiesatz H E c m 02 c2 p2 quadrieren und in ihm die – auch relativistisch gültigen – de Broglie-Relationen E hω und p h k einsetzen. Damit ist im Nachhinein gezeigt, daß der in (2.21) gewählte Ansatz G S/h mit S = Wirkungsfunktion berechtigt war. 4 In der Relativistischen Quantenmechanik und der Quantenfeldtheorie treten sowohl Kommutatoren a, b als auch Antikommutatoren a, b auf. Die letzteren werden in diesem Buch generell durch ein tief gestelltes markiert. Für Minus-Kommutatoren werden die Notationen a, b und a, b benutzt, die letztere überwiegend dann, wenn es um die deutliche Absetzung von Antikommutatoren geht oder wenn eine Verwechslung droht. http://www.springer.com/978-3-8274-2602-4