Volkstrauertag 2005 - Kirchenkreis Norden

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Gottesdienst zum Volkstrauertag
19.11.2006
Sup. Dr. Helmut Kirschstein
Predigt über 1. Tim. 2, 1-4
Volkstrauertag 2006:
„Gebete pflastern den Weg zur Hölle auf Erden, oder zum Frieden“
Predigt über 1. Tim 2, 1-4
in der Ludgerikirche zu Norden gehalten von
Superintendent Dr. Helmut Kirschstein, Norden
Liebe Gemeinde am Volkstrauertag,
„das Erste und Wichtigste, wozu ich aufrufe, ist das Gebet“ - so beginnt unser heutiger Predigt­
text, der offiziell vorgesehene für den Volkstrauertag. Wie das Beten mit Krieg und Frieden zu tun
hat: das also ist heute die Frage.
Gebetet wurde ja vor allen Kriegen und in allen Kriegen. Und nach allen Kriegen auch. Da waren es
dann immer Trauergebete: nach den Kriegen. Volkstrauergebete.
Wie konnte es dazu kommen? War vor den Kriegen etwa nicht eifrig genug gebetet worden? Hatte
alles Beten nichts genutzt?
1.
Ja, wie klangen denn die Gebete damals, in der Vorkriegszeit – worauf wollte man denn hinaus,
wenn man fromm die Hände faltete zum Gebet? - Ein Beispiel aus dem Jahre 1937:
„In Deiner Hand, o Gott, liegt die Herrschaft über alle Reiche und Völker der Erde.
Segne unser deutsches Volk in Deiner Güte und Kraft und senke uns tief ins Herz die Liebe
zu unserem Vaterlande. Lass uns ein heldenhaftes Geschlecht sein und unserer Ahnen wür­
dig werden. Lass uns den Glauben unserer Väter hüten wie ein heiliges Erbe.
Segne die deutsche Wehrmacht, welche dazu berufen ist, den Frieden zu wahren und den
heimischen Herd zu beschützen und gib ihren Angehörigen die Kraft zum höchsten Opfer
für Führer, Volk und Vaterland.
Segne besonders unseren Führer und Obersten Befehlshaber in allen Aufgaben, die ihm ge­
stellt sind. Lass uns alle unter seiner Führung in der Hingabe an Volk und Vaterland eine
heilige Aufgabe sehen, damit wir durch Glauben, Gehorsam und Treue die ewige Heimat er­
langen im Reiche Deines Lichtes und Deines Friedens. Amen“
Klingt das – nach „Frieden“? Klingt das nach „keine Gewalt“? Klingt das nach „Völkerverständi­
gung“, nach zähem Ringen um ein besseres Miteinander mit den ehemaligen Feinden?
Das Wort „Frieden“ kommt ja gleich zweimal vor in dem Text, und auch andere wichtige Wörter
des christlichen Glaubens werden in den Mund genommen: von Gottes „Güte und Kraft“ ist die
Rede, „Herz“ und „Liebe“ kommen vor, „Opfer“ und „Hingabe“, „Glauben, Gehorsam und
Treue“.
Man kann sich mit Gebeten auf den Frieden einschwören – man kann sich in den Frieden hinein be­
ten. Aber Gebete wie dieses – das spüren wir heute, 69 Jahre und einen Weltkrieg später – solche
Gebete haben die Menschen auf den Krieg eingeschworen, mit solchen Gebeten haben sie sich in
den Krieg hinein gebetet.
Und dieser Text aus dem „Militärgebetbuch“ war ja noch längst nicht der schlimmste! Immerhin
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wird Gott zugebilligt, dass die „Herrschaft über alle Reiche und Völker der Erde“ bei ihm liegt. Erst
bei genauerem Hinsehen und Hinhören lässt sich erkennen, wo dieses Gebet die Weichen in den
Krieg stellt und wohin mit solchen Segenswünschen die Bahn abgeht: Um Segen für das eigene und
nur das eigene Volk wird hier gebetet - um die Liebe zum eigenen Vaterland, und im selben Atem­
zug soll Gott die Betenden zu einem „heldenhaften Geschlecht“ machen, der eigenen „Ahnen wür­
dig“, wozu es ganz offensichtlich der „Kraft zum höchsten Opfer“ bedarf: zum „höchsten Opfer
für Führer, Volk und Vaterland“ - 'hingegeben' unter der Führung des Führers. 15,8 Millionen
Kriegsopfer allein auf deutscher Seite dokumentieren auf grausame Art und Weise, wie 'erfolgreich'
dieses Gebet gewesen ist: Man hat sich in den völkischen Wahn, in die Hingabe an den Führer, in
die Opferbereitschaft eines wahnwitzigen Krieges hineingebetet.
Und die allermeisten Menschen haben noch nicht einmal gemerkt, dass der „Gott“, zu dem da gebe­
tet wurde, mit dem dreieinigen Gott der Christenheit nichts, aber auch gar nichts zu tun hatte: Das
war nicht der Vater Jesu Christi, der „Vater der Barmherzigkeit“, zu dem da gebetet wurde – das
war nicht der Heiland Jesus Christus, der in seiner Bergpredigt dazu aufgerufen hatte, den Nächsten
zu lieben wie sich selbst, und die Feinde auch, sogar die Feinde! - und das war nicht der Heilige
Geist, den man damit heraufbeschwor: der Geist des Friedens und der Versöhnung. Das war der
Geist des Krieges und der Vergeltung, den man da herbeigeredet hat!
2.
Nein, den dreieinigen Gott der Christenheit hatte man längst aus den Augen verloren, und aus den
Herzen verbannt, das war doch wohl eher „Der Gott, der Eisen wachsen ließ“, an den sich solche
Gebete wendeten – Ernst Moritz Arndt, 1812, ich nehme an, dass jeder deutsche Junge und jedes
deutsche Mädel dieses Gedicht auswendig lernen musste:
„Der Gott, der Eisen wachsen ließ,
der wollte keine Knechte,
drum gab er Säbel, Schwert und Spieß
dem Mann in seine Rechte,
drum gab er ihm den kühnen Mut,
den Zorn der freien Rede,
dass er bestände bis aufs Blut,
bis in den Tod die Fehde.
So wollen wir, was Gott gewollt,
mit rechten Treuen halten.“
Im Namen dieses Gottes heißt es dann:
„So zieh'n wir aus zur Hermannsschlacht
Und wollen Rache haben.“
Im Namen dieses Gottes heißt es auch:
„Lasst brennen, was nur brennen kann,
in hellen, lichten Flammen!
Ihr Deutschen alle, Mann für Mann,
zum heil'gen Krieg zusammen!“
Und im Namen dieses Gottes heißt es schließlich:
„Wir wollen heut uns Mann für Mann
zum Heldentod ermahnen.“
„Der Gott, der Eisen wachsen ließ“ sollte 1812 zum Kampf gegen Napoleon motivieren. Dass es
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niemals gut sein kann, den Gott Jesu Christi gegen diesen eisenharten Kriegsgott auszutauschen: das
hätte man schon in den 30er Jahren wissen müssen, und eine solche Vergötzung von Krieg, Gewalt,
Volk und Vaterland darf niemals – niemals wieder geschehen! Denn es war nicht nur ein Götze - es
war der Antichrist, der Teufel selbst, die schlimmsten dämonischen Mächte überhaupt, die da her­
beigeredet, herbeigerufen, herbeigebetet wurden.
3.
Genug davon!
„Das Erste und Wichtigste, wozu ich die Gemeinde aufrufe“, schreibt Paulus im 1. Brief
an Timotheus im 2. Kapitel, „das Erste und Wichtigste, wozu ich die Gemeinde aufrufe
ist das Gebet, und zwar für alle Menschen.“
Da haben wir ein entscheidendes Kriterium, an dem wir das richtige Gebet von jedem falschen Ge­
bet unterscheiden können: Das Gebet im Namen Jesu Christi schließt alle Menschen ein: egal,
welches Geschlecht, welche Hautfarbe, welche Nation oder „Rasse“ sie haben mögen.
Paulus schreibt weiter: „Bringt Bitten und Fürbitten und Dank für sie alle vor Gott.“ Wer so für alle, prinzipiell wirklich für alle Menschen vor Gott einsteht: wer Gott um das Beste bit­
tet für die Menschen, wer Gott von Herzen dankbar ist für die Menschen – prinzipiell für alle! - :
der schießt nicht auf sie, der hasst sie nicht, der betet sich in keinen Krieg hinein, der geht betend
Schritte zum Frieden.
Und dann spitzt Paulus diese Mahnung noch zu:
„Betet für die Regierenden und für alle, die Gewalt haben, damit wir in Ruhe und
Frieden leben können, in Ehrfurcht vor Gott und in Rechtschaffenheit.“
Die Machthaber ins Gebet zu nehmen: das ist unsere Aufgabe. Gott von Herzen zu bitten, dass un­
ser Herzenswunsch nach Frieden, Versöhnung, Gerechtigkeit, Gewaltlosigkeit die Herzen der
Machthaber und Verantwortungsträger erreicht: das ist unsere Aufgabe. Indem wir uns und die Re­
gierenden in den Frieden hineinbeten, haben wir Hoffnung auf Ruhe und Frieden auch für uns. Dass
das ohne Leiden abgeht, steht hier nicht geschrieben, und gerade die ersten christlichen Gemeinden
haben ihre Friedfertigkeit – ihre Leidenschaft für den Frieden mit Verfolgung und Unterdrückung
bezahlt. Aber so wächst Frieden: aus überzeugten und überzeugenden Gebeten für alle Menschen,
besonders für die Verantwortungsträger.
„So ist es gut und gefällt Gott, unserem Retter.
Er will, dass alle Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit kommen und gerettet wer­
den.“
Das ist ein entscheidender Satz in unserer Bibel: Die Menschen sind Gott nicht gleichgültig – also
dürfen sie auch uns nicht gleichgültig sein!
Ob sie aus Gott einen Kriegsgötzen machen, ist nicht gleichgültig.
Ob sie aus Gott einen Macho machen oder einen Menschenschinder, ist nicht gleichgültig
Ob sie sie sich selbst zermartern und kasteien und ihre eigene Würde im Namen eines ausge­
dachten Gottes zerstören, ist nicht gleichgültig.
Gott ist ein Gott des Friedens und der Versöhnung, eine Inspiration der Freiheit für Leib und Seele,
ein Garant der Menschenwürde und des globalen Füreinanders, ein anderer Gott kann den Men­
schen nicht helfen, und dieser Gott will die Rettung aller. Alle Menschen – nicht nur die eigenen
„Volksgenossen“, auch nicht nur diejenigen, die jetzt schon von Christus wissen – alle Menschen
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Sup. Dr. Helmut Kirschstein
Predigt über 1. Tim. 2, 1-4
sollen zur Erkenntnis dieser Wahrheit kommen, alle sollen gerettet werden. Ein missionarischer An­
spruch, jawohl, aber der einzige, vor dem niemand Angst haben muss:
Frieden ist das Ziel, Frieden ist der Weg, Gebete öffnen dem Geist dieses Friedens die Bahn, und
wer so betet, handelt auch für die Benachteiligten und Zukurzgekommenen – so, wie Jesus es tat.
4.
Liebe Gemeinde am Volkstrauertag,
die Toten der beiden Weltkriege, die Opfer von Terror und Gewalt verpflichten uns zum Frieden,
und das heißt vor allem anderen: zu besseren Gebeten als damals – zu Gebeten, die die ganze Welt
in den Frieden hineinnehmen, Gebete, mit denen sich die Menschen in den Frieden hineinreden, hi­
neindenken, hineinfühlen. Unsere Gebete dürfen nie mehr den Weg zur Hölle auf Erden pflastern,
unsere Gebete werden immer die Aufgabe haben, uns und alle Welt auf den Frieden einzuschwören.
Niemals – niemals darf es eine Generation geben, die rückblickend sagen könnte: das waren Vor­
kriegsgebete, damals, am Volkstrauertag 2006...
Dazu [Phil 4,7] bewahre der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, unsere Herzen und
Sinne in Jesus Christus.
Amen
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