Burkhard Neumann / Jürgen Stolze (Hg.) Kirche und Gemeinde aus

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Burkhard Neumann / Jürgen Stolze (Hg.)
Kirche und Gemeinde
aus freikirchlicher und römisch-katholischer Sicht
Burkhard Neumann
Jürgen Stolze (Hg.)
Kirche und Gemeinde
aus freikirchlicher und
römisch-katholischer Sicht
Bonifatius
Edition Ruprecht
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Deutschen Nationalbibliothek
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Umschlaggrafik: Christian Knaak, Dortmund
ISBN 978-3-89710-440-2 (Bonifatius)
ISBN 978-3-7675-7127-3 (Edition Ruprecht)
© 2010 by Bonifatius GmbH Druck · Buch · Verlag Paderborn
und Edition Ruprecht, Göttingen
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nach § 52a UrhG.
Satz:
Andrea Pollmann, Johann-Adam-Möhler-Institut, Paderborn
Gesamtherstellung:
Bonifatius GmbH Druck · Buch · Verlag Paderborn
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
Rainer Dillmann
Kirchenbilder in der Bibel . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
André Heinze
Nicht nur Gemeinden, sondern auch Kirche
Die Pastoralbriefe als Herausforderung
freikirchlicher Ekklesiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
Burkhard Neumann
Der Wandel des katholischen Kirchenbildes
bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil . . . . . .
63
Johannes Demandt
Der Wandel eines freikirchlichen
Gemeindeverständnisses
Dargestellt am Beispiel des Bundes
Freier evangelischer Gemeinden . . . . . . . . . . . . . .
87
Wolfgang Thönissen
Das Kirchenverständnis
des Zweiten Vatikanischen Konzils
in ökumenischer Verständigung . . . . . . . . . . . . 123
Michael Nausner
Geistgewirktes Mit-Sein
Methodistische Ekklesiologie
als Ausdruck globaler Verbundenheit . . . . . . . . . . 149
5
Niels Gärtner
Das Verhältnis evangelische Landeskirche –
Herrnhuter Brüdergemeine: Ortsgemeinde,
Regionalgemeinde, Doppelmitgliedschaft
Gelebte Gemeindemodelle
der Herrnhuter Brüdergemeine . . . . . . . . . . . . . . . 179
Michael Hardt
Gemeinde aus katholischer Sicht . . . . . . . . . . . 195
Ralf Dziewas
Die unverbindliche Treue
Dimensionen des Amtes
im kongregationalistischen Verhältnis
von Gemeindebund und Ortsgemeinde . . . . . . . . . 217
Tim Lindfeld
Kirche und Gemeinde im ökumenischen
Dialog mit den Freikirchen . . . . . . . . . . . . . . . . 247
Kim Strübind
Baptistische Ekklesiologie und Ökumene
Eine (selbst-)kritische Ortsbestimmung . . . . . . . . . 275
Jürgen Stolze
Versuch einer Zusammenfassung
aus freikirchlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
Wolfgang Thönissen
Versuch einer Zusammenfassung
aus katholischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
6
Jürgen Stolze
Lukas 9,57-62
Morgenandacht am 28. Februar 2008 . . . . . . . . . . 311
Johannes Oeldemann
„Licht der Welt“
Biblische Besinnung zu Mt 5,14-16 . . . . . . . . . . . . 315
Autorenspiegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
7
Vorwort
Unter neuer Herausgeberschaft, aber mit derselben Zielsetzung legen wir hiermit den vierten Band der Gespräche zwischen Vertretern der Vereinigung Evangelischer
Freikirchen (VEF) und der römisch-katholischen Kirche
vor. Dokumentiert sind die Gesprächsbeiträge, die beim
gleichnamigen Symposion im Februar 2008 in Paderborn vorgetragen wurden. Den bisherigen Herausgebern,
Bischof i.R. Dr. Walter Klaiber und Prof. Dr. Wolfgang
Thönissen, sei für ihre Arbeit an den ersten drei Bänden
von Herzen gedankt.
Das jeweilige Selbstverständnis und die konkrete Gestalt
der Kirche sind die zunächst an erster Stelle ins Auge fallenden Unterschiede zwischen den Freikirchen und der
römisch-katholischen Kirche: Hier eine Fülle ganz unterschiedlicher, häufig kongregational verfasster überschaubarer Gemeinden mit dem Anspruch, in dieser Form
Gemeinde nach dem Vorbild des Neuen Testaments zu
sein; dort die weltweite römisch-katholische Kirche, die
davon ausgeht, bei allem Wandel ihrer 2000-jährigen
Geschichte in der Kontinuität mit der Kirche der ersten
Christen zu stehen. Mit diesen beiden Organisationsformen ist der Raum markiert, in dem sich sehr unterschiedliche Formen von kirchlichen Strukturen und
Selbstverständnissen herausgebildet haben. Lassen sich
zwischen den hier nur angedeuteten Positionen Brücken
finden? Oder stehen sich ganz unterschiedliche Typen
von Kirche gegenüber, die zwar, wie in den bisherigen
Gesprächsrunden deutlich geworden ist, in Kernpunkten
des Glaubens vieles verbindet, die aber dennoch als Kirchen Welten voneinander trennen? Können vielleicht
Kirchen, die wie die römisch-katholische Kirche weltweit verfasst sind, aber in der VEF mit kongregational
9
geprägten Freikirchen verbunden sind, eine wichtige
Brückenfunktion haben?
Im Blick auf diese Fragen lohnt sich ein genauerer Blick
auf das jeweilige Selbstverständnis. Denn auch ein kongregationalistisches Gemeindeverständnis ist, wenn es
das Zeugnis des Neuen Testaments ernst nimmt, offen
für die universale Dimension von Kirche, und auch das
römisch-katholische Verständnis der einen, weltweiten
Kirche blendet die Realität der Ortsgemeinde, in der ja
die Kirche zuerst gelebt und erfahren wird, nicht aus.
Das ist der Grund, warum diese Gesprächsrunde sich
dem umfassenden Thema der Kirche, ausgehend von
der Verhältnisbestimmung zwischen Gemeinde und universaler Kirche, gewidmet hat. Dass damit nur ein allererster Schritt aufeinander zu getan werden konnte auf
einem Feld, das kaum zu überschauen ist, war allen
Teilnehmerinnen und Teilnehmern bewusst. Dennoch
erwies es sich, wie die hier vorgelegten Beiträge zeigen,
als äußerst sinnvoll, das Thema von dieser Perspektive
aus anzugehen, weil sich, wie in den ersten Gesprächsrunden, auch diesmal überraschende Annäherungen an
Punkten zeigten, an denen man sie im Vornherein kaum
vermutet hätte. Im Blick auf die vorherige Gesprächsrunde, die sich dem Thema des Schriftverständnisses
gewidmet hatte, wurde vor allem die Relevanz einer
biblischen Grundlegung des je eigenen Kirchenverständnisses deutlich. Unsere Kirchen müssen sich immer
wieder neu der Frage stellen, inwieweit das Zeugnis der
Bibel die maßgebliche und darum auch kritische Norm
des jeweiligen Kirchenverständnisses darstellt. Es kennzeichnet das in den vergangenen Jahren gewachsene
Vertrauen zwischen beiden Gesprächspartnern, dass in
aller Ehrlichkeit auch theologische und strukturelle Defizite bzw. Herausforderungen benannt werden können,
denen sich unsere Kirchen stellen müssen, wenn sie ihren eigenen Glauben ernst nehmen.
10
Wir geben diesen Band an die Öffentlichkeit in der
Hoffnung, dass auch er, wie seine Vorgänger, einen Beitrag leistet für die weitere Verständigung zwischen den
in der VEF verbundenen Freikirchen und der römischkatholischen Kirche. Denn nur wenn man den ökumenischen Partner wirklich kennt und versucht, ihn mit seinen eigenen Augen zu sehen, kann man in einen echten
Dialog eintreten und gemeinsam nach Wegen suchen,
dem Ziel der Einheit der Christenheit näherzukommen.
Das haben wir auch in diesem Gesprächsgang versucht
und hoffen, den Leserinnen und Lesern etwas von dem
dabei gemeinsam Entdeckten weitergeben zu können.
Paderborn/Frankfurt a.M., im Dezember 2008
Burkhard Neumann
Jürgen Stolze
Direktor am Johann-AdamMöhler-Institut für Ökumenik
Pastor der Evangelischmethodistischen Kirche
11
Kirchenbilder in der Bibel
Rainer Dillmann
Vorbemerkung
Kirchenbilder in der Bibel – dieses Thema möchte ich
präzisieren: Kirchenbilder im Neuen Testament; denn
Kirche ist wesentlich eine neutestamentliche Wirklichkeit. Zwar lassen sich bereits im Alten Testament ekklesiale Strukturen entdecken, aber wieweit alttestamentliche Vorstellungen von Israel als Volk Gottes auf die Kirche zu übertragen sind, ist umstritten. Zwar kann in Bezug auf das Alte Testament von „Kirchenmodellen“ in
der nachexilischen Zeit, die ein „neues Verständnis im
Blick auf die Ganzheit ‚Israels’ markieren“,1 gesprochen
und die Kirche als „Teil des umfassenden Gottesvolkes“2
gesehen werden, aber die Kirche tritt nicht einfach anstelle des alttestamentlichen Gottesvolkes. Es wäre jedenfalls falsch, die Kirche als das neue Israel zu definieren. Es scheint somit gerechtfertigt, die nachfolgende
Darstellung von Kirchenbildern auf das Neue Testament
zu konzentrieren.
Die Überschrift spricht von Kirchenbildern. Der Plural
ist angesichts der Komplexität und Vielfalt der Bilder,
die sich im Neuen Testament in Bezug auf die Kirche
finden, nicht nur gerechtfertigt, sondern notwendig. Auf
alle Bilder von Kirche im Neuen Testament einzugehen,

1 Vgl. F.-L. Hossfeld, Volk Gottes als „Versammlung“, in: J. Schrei-
ner (Hg.), Unterwegs zur Kirche. Alttestamentliche Konzeptionen,
Freiburg i.Br. 1987 (QD 110), 123-142.
2 H.F. Fuhs, Volk Gottes – JHWHs Verwandtschaft. Basiskirchliche
Strukturen im Alten Testament, in: J. Ernst (Hg.), Kirche im Übergang, Paderborn 2003, 21-42, hier 31.
13
scheint mir in diesem Zusammenhang unmöglich. Deshalb ist eine Auswahl zu treffen. Zunächst werde ich auf
den zentralen Begriff dêêëçóßá eingehen. Es folgen dann
die Bilder von Kirche als Volk Gottes, als Leib Christi,
als Pflanzung, Bau und Tempel, als Ort der Versöhnung,
als Hausordnung Gottes und letztlich als Ort der Gegenwart Christi in der Welt. Fragen der Entstehung und
Entwicklung von Kirche im Neuen Testament, von Strukturen, Organisation und des Amtes sowie die Frage der
Stiftung durch Jesus Christus bleiben dabei weitgehend
ausgeklammert.3
Kirche als Versammlung
des eschatologischen Gottesvolkes
Der wohl wichtigste Begriff, in dem das Kirchenverständnis des Neuen Testaments sich ausdrückt, ist
dêêëçóßá. Im Neuen Testament begegnet uns dêêëçóßá
insgesamt 114-mal. Allerdings ist die Verteilung recht
einseitig. In den synoptischen Evangelien findet sich
dêêëçóßá nur im Matthäusevangelium (Mt 16,18; 18,17
[2-mal]); im Johannesevangelium fehlt der Begriff ganz.
Im paulinischen Schrifttum dagegen ist der Begriff fest
verankert. In den echten Paulusbriefen findet er sich
insgesamt 46-mal – davon allein 22-mal im Ersten Korintherbrief – und in den Deuteropaulinen 16-mal (8-mal

3 Zu solchen Fragen vgl. J. Roloff, Kirche im Neuen Testament,
Göttingen 1993 (GNT 10); H.-J. Venetz, So fing es mit der Kirche
an. Ein Blick zurück in das Neue Testament, Zürich 1981; K. Berger, Art. Kirche II. Neues Testament, in: TRE 18 (1989) 201-218;
J. Gnilka, Die frühen Christen. Ursprünge und Anfang der Kirche,
Freiburg i.Br. 1999 (HThK.S 7); T. Söding, Blick zurück nach vorn.
Bilder lebendiger Gemeinden im Neuen Testament, Freiburg i.Br.
1997; vgl. auch R. Dillmann, Ekklesiale Wirklichkeit im Neuen
Testament. Ein kommunikatives Netzwerk eigenständiger Ortskirchen, in: J. Ernst (Anm. 2), 43-65.
14
im Eph; 4-mal im Kol; 1-mal im 2 Thess und 3-mal im
1 Tim). Auch in der Apostelgeschichte ist dêêëçóßá relativ häufig zu finden – insgesamt 23-mal. In der Offenbarung begegnet der Begriff ausschließlich im Zusammenhang mit den sieben Sendschreiben (20-mal). Die restlichen Belege verteilen sich auf Hebr (2-mal), 3 Joh (3mal) und Jak (1-mal).4
Wie die Statistik zeigt, kann Leben und Wirken Jesu ohne Rückgriff auf den Begriff dêêëçóßá beschrieben bzw.
dargestellt und verkündet werden. Erst für die nachösterliche Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen Jesu ist
dêêëçóßá zentral. In diesem Begriff drückt sich ihr
Selbstverständnis aus. Es scheint somit sinnvoll, mit dem
in diesem Begriff enthaltenen Bild zu beginnen, wenn es
darum geht, Kirchenbilder im Neuen Testament darzustellen. Herausragende Bedeutung haben dabei in erster
Linie Paulus und die von ihm abhängigen Schriften. Auf
diese fallen mehr als die Hälfte der Belege. Die Apostelgeschichte dürfte dagegen weniger geeignet sein, da hier
neben der theologischen Bedeutung von dêêëçóßá an
mehreren Stellen das wohl eher technische Verständnis
von Versammlung vorausgesetzt ist (sicher in Apg
19,32.39). Auf die Offenbarung wird am Ende dieses
Beitrages gesondert eingegangen.
Etymologisch ist dêêëçóßá von dêêáëÝù (= herausrufen)
abzuleiten. Im hellenistischen Bereich bezeichnete
dêêëçóßá „die Versammlung der freien stimmberechtigten Bürger eines Gemeinwesens“5 und war Ausdruck
der Volkssouveränität. Dabei dachte die Antike sehr
konkret: Diese Bürgerversammlung wurde als „Herausgerufene“ bezeichnet, weil sie mittels eines Herolds

4 Vgl. J. Roloff, Art. dêêëçóßá, in: EWNT 1 (1980) 998-1011, hier
999.
5 H.-J. Klauck, Gemeinde zwischen Haus und Stadt. Kirche bei Pau-
lus, Freiburg i.Br. 1992, 35.
15
einberufen wurde. Klauck übersetzt deshalb dêêëçóßá
ôï™ èåï™ mit „Bürgerversammlung Gottes“.6 EÅêêëçóßá ist also durchaus ein profaner Begriff, der jedoch im
Neuen Testament zu einem theologischen Begriff wird
wie schon in der spätdeuteronomistischen Theologie
das hebräische qehal.7 Und wenn wir nach einem einzigen deutschen Wort suchen, das sowohl dem profanen
wie auch dem theologischen Gebrauch des Begriffes Ekklesia gerecht werden kann, „so dürfte sich als Übersetzung das Wort Versammlung in erster Linie empfehlen“.8
Ein weiterer Aspekt ist zur Klärung des Begriffes wichtig:
Indem das Neue Testament dêêëçóßá als Selbstbezeichnung übernimmt, greift es zugleich auf den Sprachgebrauch der Septuaginta zurück. Diese übersetzt das
hebräische qehal überwiegend – nicht ausschließlich –
mit dêêëçóßá. Dennoch scheint eine direkte Ableitung
aus dem Sprachgebrauch der Septuaginta nicht richtig.9
Die christlichen Gruppen übernahmen diesen Begriff
vielmehr gefiltert durch das zeitgenössische Judentum,
in dem qehal „das endzeitliche Aufgebot Gottes bezeichnete“.10 Paulus spricht konsequent von der dêêëçóßá ôï™ èåï™ (1 Kor 1,2; 10,32; Gal 1,13 u.ö.). Möglicherweise geht dieser Sprachgebrauch auf die Urgemeinde in Jerusalem zurück.11 Der Gebrauch des Plurals (1 Kor 11,16.22; Gal 1,2; 1 Thess 2,14) zeigt, dass

6 Ebd.
7 Vgl. dazu F.-L. Hossfeld (Anm. 1), 134-135.
8 K.L. Schmidt, Art. dêêëçóßá, in: ThWNT 3 (1967) 502-539, hier
505.
9 Vgl. K. Stendahl, Art. Kirche II. Im Urchristentum, in: RGG4 3
(2000) 1297-1304; P. Stuhlmacher, Gerechtigkeit Gottes bei Paulus, Göttingen 1965, 210-217.
10 J. Roloff (Anm. 4), 1000; dieses Verständnis von qehal findet sich
auch in Qumran: 1 QM 4,10; 1 QS 1,25.
11 So J. Roloff (Anm. 4), 1002.
16
der Begriff sowohl die „örtliche Versammlung der Christen wie auch die überörtliche Gemeinschaft der Glaubenden“12 umfasst. Universaler und lokalpartikularer Aspekt sind in diesem einen Begriff vereint.
Mit dieser etymologischen und traditionsgeschichtlichen
Ableitung von dêêëçóßá kommt ein erstes Bild von Kirche in den Blick: Kirche ist die Versammlung des eschatologischen Gottesvolkes vor Ort. Auf dem Hintergrund
alttestamentlicher und frühjüdischer Vorstellungen wird
dabei die Ganzheit nicht ausgeblendet. Kirche in ihrer
Universalität ist deshalb mehr als der Zusammenschluss
einzelner, eigenständiger Ortskirchen. In den konkreten
Ortsgemeinden tritt die eine Kirche sichtbar in Erscheinung. So versteht es wohl Paulus, wenn er der dêêëçóßu
ôï™ èåï™ ô† ï¡ów dí Êïñßíèv schreibt (1 Kor 1,2). Der
sprachliche Wechsel von dêêëçóßá ôï™ èåï™ zu dêêëçóßá ×ñéóôï™ (vgl. Röm 16,16) macht zugleich deutlich,
dass Kirche im Ostergeschehen gründet und von dorther
lebt; darin unterscheidet sich die dêêëçóßá von der alttestamentlichen qehal, die im Sinaigeschehen gründet.13
Kirche als Volk Gottes
Im Anschluss an dieses Bild von der Kirche als Versammlung des eschatologischen Gottesvolkes scheint es
sinnvoll, als zweites das Bild von der Kirche als Volk
Gottes aufzugreifen. Im Zweiten Vatikanischen Konzil
war dieses Bild zentral. Aus neutestamentlicher Sicht
kommt diesem Bild nicht eine so zentrale Rolle zu.
Zwar ist der Begriff ëáüò im Neuen Testament häufig belegt, aber an der überwiegenden Mehrzahl der Stellen

12 J. Roloff (Anm. 4), 1000.
13 So F.-L. Hossfeld (Anm. 1), 141.
17
bezeichnet er Israel. Und es scheint mir nicht richtig,
diese Stellen ekklesiologisch zu vereinnahmen.
Im Neuen Testament gibt es insgesamt 142 Belege für
ëáüò. Davon finden sich lediglich 12 im Corpus Paulinum, aber 84 im lukanischen Doppelwerk (36 in Lk; 48
in der Apg). Ëáüò ist eine lukanische Vorzugsvokabel.
Der Begriff selbst ist mehrdeutig. Das Bedeutungsspektrum reicht von Leute, Volksmenge (ohne nationale Nuance), Israel als erwähltes Gottesvolk bis hin zur Bezeichnung für die christliche Gemeinde, wobei der Unterschied zu hèíïò faktisch aufgehoben wird.14 Welche
Bedeutung vorherrschend ist, lässt sich nur aus dem literarischen Kontext entnehmen.
Die Überzeugung, dass Israel Gottes erwähltes Volk ist
(ëá’ò ôï™ èåï™), gehört zu den Grunddaten des Neuen
Testaments. In Kontinuität zu Israel kann dann auch die
christliche Gemeinde als Volk Gottes bezeichnet werden. Das Neue Testament kann sich dabei auf alttestamentliche Vorgegebenheiten stützen, da bereits im Deuteronomium wie auch insbesondere in der prophetischen Tradition die national-religiöse Vorstellung gesprengt und die Völker in die Heilserwartungen Israels
einbezogen werden (vgl. Jes 2,1-5; 56,6-7; 60,1-11; Mi
4,1-4).
Am stärksten ausgeprägt ist der Volk-Gottes-Gedanke im
lukanischen Doppelwerk. „Lukas hat den Begriff ëáüò ...
bewusst und gezielt eingesetzt.“15 Er weitet den ethnisch
bestimmten Begriff aus und gibt ihm eine universale
Dimension. Jesus ist das Heil, das Gott bereitet hat „vor
dem Angesicht aller Völker (ðáíô§í ô§í ëá§í Plural!),

14 Vgl. H. Frankemölle, Art. ëáüò, in: EWNT 2 (1992) 837-848, hier
839.
15 Ebd., 843; Einen guten Einblick in das Verständnis von Israel bei
Lukas bietet A. George, Israël, in: ders. (Hg.), Études sur l’oeuvre
de Luc, Paris 1978, 87-125.
18
ein Licht zur Offenbarung für Völker (dèíç) und zur
Herrlichkeit für sein Volk (ëáüò) Israel“ (Lk 2,31-32). Mit
der Darstellung Jesu im Tempel (Lk 2,22-38) beginnt die
Wallfahrt der Völker zum Zion.16 Für Lukas gibt es nur
ein Gottesvolk. Jesus verkündet vom neuen Wirken Gottes an seinem Volk und beginnt mit der Sammlung Israels. Dazu sendet er auch seine Apostel aus. Ostern ist in
der lukanischen Konzeption kein Bruch; mit Ostern
„wird die Sendung an Israel lediglich vertieft und erweitert“.17 Die Kirche tritt also nicht an die Stelle Israels.
Zwischen Israel und der Kirche besteht vielmehr Kontinuität. Zwar ist „die Jüngergemeinde vor Pfingsten ...
nicht die Kirche, ... hat ... aber doch mit der Kirche Entscheidendes zu tun“.18 Dies zeigt sich u.a. in der Betonung des Zwölferkreises. So betont Lukas die Kontinuität
der sich aus Juden und Heiden zusammensetzenden
christlichen Kirche zum alttestamentlichen Gottesvolk.
Mit dieser Konzeption wahrt Lukas die Kontinuität in der
Heilsgeschichte. Das Entstehen der christlichen Kirche
kündet weder von einem Bruch in der Heilsgeschichte,
noch macht es die Geschichte Gottes mit Israel zu einer
Vorgeschichte. Sie ist vielmehr deren Weiterführung unter Einschluss der Völker. Der Begriff dêêëçóßá tritt
demgegenüber im lukanischen Doppelwerk zurück. Mit
Ausnahme in der Abschiedsrede des Paulus in Milet
(Apg 20,28) überwiegt in der Apg wohl eher die technische Verwendung des Begriffes auch dort, wo von der
christlichen Gemeindeversammlung gesprochen wird.

16 Vgl. dazu R. Dillmann, Die lukanische Kindheitsgeschichte als Ak-
tualisierung frühjüdischer Armenfrömmigkeit, in: SNTU 25 (2000)
76-97, insb. 94-95.
17 G. Lohfink, Die Sammlung Israels. Eine Untersuchung zur lukanischen Ekklesiologie, München 1975 (StANT 39), 83.
18 Ebd., 75.
19
Kirche als Leib Christi
Die Bezeichnung Leib Christi (ó§ìá ×ñéóôï™) findet
sich innerhalb des Neuen Testaments in zwei Kontexten: in der Abendmahlsüberlieferung (vgl. Mt 26,26; Mk
14,27; Lk 22,19; 1 Kor 11,24) und in ekklesiologisch
bedeutsamen Texten der paulinischen Tradition (vgl.
1 Kor 12,12-31; Röm 12,4-5; Kol 1,24; 2,19; 3,15; Eph
1,23; 4,12.16; 5,23.30). Sein Gebrauch in 1 Kor 10,1617 und 11,27.29 schließt sich eng an die Abendmahlsvorstellung an. Die ekklesiologische Bedeutung dieses
Bildes bleibt also auf den paulinischen Sprachkreis begrenzt.
Der wohl wichtigste paulinische Text ist 1 Kor 12,12-31.
Hier entwickelt Paulus das Bild vom Leib Christi im Anschluss an die Ausführungen über die Einheit und Verschiedenheit der Charismen, von der 1 Kor 12,4-11
handelt. Der Text leitet ein mit einem Vergleich: êáèÜðåñ (gleichwie). Der Akzent liegt auf dem einen Leib
und den vielen Gliedern, dem einen Geist, mit dem alle
getauft sind. Zunächst geht es Paulus um den einen
Christus: ”íôùò êár ¿ ×ñéóôüò. Erst nachdem er das in
der Antike weitverbreitete Bild von dem Leib und seinen
vielen Gliedern weiter entfaltet hat, kommt er am Ende
des Abschnittes zu der Formulierung: „Ihr aber seid Leib
Christi und Glieder als Teil“ (1 Kor 12,27). Die Gemeinschaft als Ganze ist Leib Christi und jeder Einzelne
Glied dieses Leibes.
Die Herkunft dieses Bildes ist in der Exegese umstritten.
Weitgehend aufgegeben ist heute seine Ableitung aus
einem gnostischen Erlöser-Anthropos-Mythos. In der
neueren Literatur wird das Bild überwiegend aus dem
Herrenmahl hergeleitet. Der Kontext von 1 Kor 11 sowie
die ausdrückliche Verknüpfung von Brot und Leib Christi in 1 Kor 10,16 legen dies nahe. Auch wenn damit
20
nicht alle Fragen gelöst sind19 und kosmologisch-mythische Vorstellungen bei Paulus nachwirken,20 scheint mir
diese Auffassung am ehesten zutreffend. In 1 Kor 10,16
wird aus der Teilhabe am Brot, d.h. am Herrenmahl, die
Teilhabe am Leib Christi gefolgert. Weil die Christen in
Korinth an dem einen Brot teilhaben, sind sie ein Leib.
Das gemeinsame Herrenmahl erhält damit eine ekklesiologische Dimension. Die Gemeinschaft, die sich beim
Mahl bildet, ist zugleich Gemeinschaft mit Christus. Die
paulinische Leib-Christi-Vorstellung wird ausschließlich
paränetisch entfaltet und ermöglicht eine auf die Praxis
ausgerichtete sakramentale Identifikation.21
Darüber hinaus scheint mir wichtig, dass Paulus meidet,
einzelne Glieder des Leibes mit konkreten Positionen
oder Funktionen in der Gemeinde in Beziehung zu setzen. Kol und Eph gehen hier einen Schritt weiter, indem
sie Christus als êåöáëÞ (Haupt) bezeichnen. Ein soziologisches Verständnis des paulinischen Bildes scheint
mir deshalb verfehlt. Der Gedanke, dass alle eins sind in
Christus, ist zentral. Das Bild vom Leib ist dem unterzuordnen. Dementsprechend findet der Vergleich mit einem Organismus hier seine Grenzen. Kirche repräsentiert als Leib Christi Christus in dieser Welt. Daraus lässt
sich schwerlich der Umkehrschluss ziehen: Wo die Kirche ist, ist Christus.22
In den Zusammenhang des Bildes von der Kirche als
Leib Christi gehört auch der für Paulus ekklesiologisch
zentrale Begriff der êïéíùíßá. Mittels dieses Begriffes

19 Diesen Einwand erhebt Schrage gegen die Herleitung aus dem
Herrenmahl; vgl. W. Schrage, Der Erste Brief an die Korinther
(1 Kor 11,17-14,40), Neukirchen-Vluyn 1999 (EKK 7/3), 213-214.
20 Vgl. H.-J. Klauck, Herrenmahl und hellenistischer Kult. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung zum ersten Korintherbrief, Münster 1982 (NTA 15), 338-343.
21 Ebd., 346.
22 Vgl. dazu W. Schrage (Anm. 19), 212-213.
21
werden Christologie und Ekklesiologie miteinander in
Beziehung gesetzt. Die in der Kirche als Leib Christi erfahrene Gemeinschaft findet ihren adäquaten Ausdruck
im gemeinsamen Herrenmahl. „Im sakramentalen Geschehen des Abendmahls, in dem Christus Gemeinschaft stiftet zwischen sich und denen, die Anteil empfangen an seinem Leib und seinem Blut, liegt der Ursprung der Kirche, und zwar der Kirche als Gemeinschaft.“23
Kolosser- und Epheserbrief haben das Bild von der Kirche als Leib Christi weiterentwickelt. Jetzt ist Christus
„das Haupt des Leibes, der Kirche“ (Kol 1,18; vgl. auch
Eph 5,23). Diese Gleichung Kirche = Leib Christi findet
sich bei Paulus nicht. Ob sie dort bereits implizit vorausgesetzt ist,24 ist umstritten. Erst im Kolosser- und
Epheserbrief wird dies ausgesprochen. Kol greift dieses
Bild im Kontext des Christushymnus am Ende der ersten
Strophe auf (Kol 1,15-21).25 Die beiden parallel formulierten Aussagen der Verse 17 und 18a sind mit êár
ášôüò an den vorangegangenen Vers angeschlossen. Sie
sind deshalb grammatikalisch der Begründung zuzuordnen, die in Vers 16 mit ”ôé eingeleitet wurde. Christus
ist Erstgeborener der Schöpfung, weil in ihm alles erschaffen wurde und alles durch ihn und auf ihn hin erschaffen ist (Kol 1,16); er ist vor allem, in ihm hat alles
Bestand, er ist das Haupt des Leibes, der Kirche (Kol
1,17-18a). Kosmos und Kirche werden hier miteinander

23 J. Hainz, Koinonia. „Kirche“ als Gemeinschaft bei Paulus, Regens-
burg 1982 (BU 16), 175.
24 So H. Schlier, Der Brief an die Epheser. Ein Kommentar, Düssel-
dorf 41963, 90.
25 Die erste Strophe umfasst die Verse Kol 1,15-18a. Zu dieser Ab-
grenzung siehe: A. Hölscher, Christus als Bild Gottes. Zum Hymnus des Kolosserbriefes, in: ders. / R. Kampling (Hg.), Religiöse
Sprache und ihre Bilder. Von der Bibel bis zur modernen Lyrik,
Berlin 1998, 114-131, insb. 120-126.
22
in Beziehung gebracht. Allerdings sehe ich in der ekklesiologischen Ausweitung keine Störung der einheitlichen „kosmisch-christologischen Orientierung des Hymnus“,26 sondern eine notwendige Ergänzung. Wo die
kosmische Funktion Christi in den Blick kommt, muss
auch seine Funktion in Bezug auf die Kirche neu bedacht werden.
Der Kosmos als organisches Ganzes ist ein in der griechisch-römischen Antike weitverbreitetes Bild. Es findet
sich bereits bei Platon, später dann in der Stoa, aber
auch im hellenistischen Judentum, etwa bei Philo. Seine
Verwendung in der Ekklesiologie scheint deshalb konsequent. Die grundlegende ekklesiologische Bedeutung
dieses Bildes von Christus als Haupt der Kirche, die sein
Leib ist (vgl. Eph 1,22-23), hat m.E. Heinrich Schlier bereits treffend zusammengefasst: Durch diese Beziehung
(ó§ìá – êåöáëÞ) wird „die unzertrennbare Zusammengehörigkeit und von Gott verfügte Zuordnung von Kirche und Christus angezeigt, ... die Unterordnung des
Leibes unter das Haupt ... und entsprechend die Überordnung des Hauptes über den Leib ... [und letztlich] die
Einheit des Leibes betont“.27 Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist dieses Bild in der katholischen Ekklesiologie eher in den Hintergrund getreten – zu Unrecht wie
mir scheint, da es gerade die Verwiesenheit aller Glieder aufeinander und zueinander wie auch aller auf
Christus hin prägnant auszudrücken vermag.

26 So J. Ernst, Die Briefe an die Philipper, an Philemon, an die Kolos-
ser, an die Epheser, Regensburg 1974 (RNT), 170.
27 H. Schlier (Anm. 24), 90.
23
Das Bild vom Bau und vom Ackerfeld
Das Bild von der Kirche als Bau bzw. Tempel ist im
Neuen Testament in unterschiedlichen Traditionen verhaftet. Es findet sich bei Paulus (vgl. 1 Kor 3,9-17), in
den Deuteropaulinen (vgl. Eph 2,19-22) und im Ersten
Petrusbrief (vgl. 1 Petr 2,3-6). Unter Berücksichtigung
des Gleichnisses vom Hausbau (Mt 7,24-27) dürfte das
Bild auch hinter den Aussagen des Matthäusevangeliums stehen, die von Petrus als dem Fels, auf dem Christus seine dêêëçóßá bauen wird, sprechen (vgl. Mt
16,18).
Paulus greift das Bild vom Bau im Ersten Korintherbrief
im Kontext des Parteienstreits auf und verknüpft es dort
mit dem Bild vom Ackerfeld. Beide Bilder umschreiben
in diesem Zusammenhang die Verantwortung, die den
Verkündern obliegt. Ihr Wirken ist Dienst an der einen
Sache, ihre Aufgabe ist ihnen von Christus selbst zugewiesen (vgl. 1 Kor 3,5). Die Verknüpfung beider Bilder
findet sich schon im Alten Testament (vgl. Jer 1,10) und
in Qumran (vgl. 1 QS 11,8).
Beim Bild vom Pflanzen liegt „der Ton auf dem umgreifenden Wirken Gottes“.28 Das Bild ist im Alten Testament vorbereitet und im Frühjudentum sowie in Qumran weit verbreitet.29 Mit diesem Bild wird das Wirken
des Paulus und das des Apollo in Korinth miteinander in
Bezug gesetzt und betont herausgestellt, dass das alles
Entscheidende Gottes Wirken ist. Aus der unterschiedlichen Zuordnung von Pflanzen und Begießen sollten
keine allzu weitreichenden Schlüsse gezogen werden.
Das Bild vom Bau wird in 1 Kor 3 in zweierlei Weise
entfaltet: in Bezug auf das Legen des Fundaments und in

28 H.-J. Klauck, 1. Korintherbrief, Würzburg 1984 (NEB 7), 34.
29 Vgl. H. Merklein, Der erste Brief an die Korinther. Kapitel 1-4, Gü-
tersloh 1992 (ÖTBK 7/1), 260.
24
Bezug auf das darauf zu bauende bzw. gebaute Werk.
Bei Letzterem interessiert weder die Bauweise, noch der
Baugrund; es wird lediglich nach den verwendeten Materialien unterschieden. „Dies unterstreicht den Vorrang
des Fundament-Legens, das für alle weiteren Tätigkeiten
den entscheidenden Maßstab setzt.“30 Das Fundament
ist Jesus Christus (1 Kor 3,11). Daran kann und darf kein
Verkünder rütteln. Dies ist gleichsam die gemeinsame
Basis, ohne die eine christliche Gemeinschaft nicht Kirche sein kann. Verglichen werden hier jedoch die unterschiedlichen Verkündigungsdienste. Vergleichspunkt „ist
Wert und Unwert der jeweiligen Gemeindearbeit“.31
Das Werk der Verkünder wird einer Feuerprobe ausgesetzt. Wie dies genauer zu verstehen ist, bleibt dunkel.
Über die persönliche Rettung des Verkünders sagt der
Text nichts. Paulus entwickelt hier gleichsam eine Kriteriologie, mit der pastorale Arbeit bewertet werden kann.
Das maßgebliche Kriterium ist Christus selbst. Dies entzieht allem Parteienstreit in Korinth den Boden.
Zum Schluss dieses Abschnittes greift Paulus dann das
Bild vom Tempel auf und überträgt es auf die Gemeinde
und ihre Verkünder. Eine solche Übertragung findet sich
auch in Qumran (vgl. 1 QS 9,6). Die Gemeinde ist „Tempel Gottes und Wohnung des Geistes“.32 Die Frageform
konfrontiert die Korinther mit der Diskrepanz zwischen
ihrem Anspruch und ihrer Realität. Die Gemeinde selbst
kommt hier ins Blickfeld. Ihr wird bewusst gemacht,
dass dort, wo ein anderer Maßstab als Christus selbst
gilt, Gemeinde nicht aufgebaut, sondern gespalten und
letztlich aufgelöst wird. Das Urteil über die Qualität der
Verkünder kann getrost Gott überlassen werden (vgl.

30 H. Merklein (Anm. 29), 257.
31 H.-J. Klauck (Anm. 28), 34.
32 H. Merklein (Anm. 29), 273.
25
1 Kor 3,15). Die Gründung von Parteien aber führt die
Gemeinde an den Abgrund.
In anderer Weise wird das Bild vom Bau im Ersten Petrusbrief aufgegriffen. Hier kommen gleich eine ganze
Reihe von Bildern in den Blick: heilige Steine, geistiges
Haus, heilige Priesterschaft, Eckstein, auserwähltes Geschlecht, Königshaus (vgl. 1 Petr 2,4-6). Es sind Ehrentitel, die hier benannt werden. Der Verfasser des Briefes
zeigt mit diesen Bildern seinen Leserinnen und Lesern,
in welch unvergleichlichem Status sie sich befinden.
Zugleich will er ihnen aber auch Trost spenden in ihrer
bedrängten Situation und aufzeigen, dass gerade diese
Bedrängnis sie auf der Seite Gottes stehen lässt.33 Die
Ausführungen haben also eine überwiegend paränetische Funktion.
Die Auslegungsgeschichte dieses Textes diente weitgehend als Begründung eines allgemeinen Priestertums aller Christen. Auch das Vaticanum II hat in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf 1 Petr 2,5.9b verwiesen
(vgl. LG 9 und 10). Brox sieht darin eine Überbetonung
und fordert, diesen Text „im Zusammenhang messianisch-eschatologischer Hoffnung zu lesen“ und ihn als
Ermutigung der Kirche in schwieriger Zeit zu verstehen.34
Die Kirche als Ort der Versöhnung im Epheserbrief
Das zentrale Thema des Epheserbriefes ist die Kirche. In
keiner anderen neutestamentlichen Schrift tritt die Ekklesiologie so sehr in den Vordergrund wie in diesem
Brief. Die Kirche ist „Leib Christi“ mit Christus als Haupt

33 Vgl. dazu N. Brox, Der Erste Petrusbrief, Neukirchen-Vluyn 1979
(EKK 21), 94-96.
34 Ebd., 107-110.
26
(Eph 1,22-23; 2,16) und Braut Christi (Eph 5,31-32). Mit
diesen Bildern hebt der Eph die untrennbare Einheit von
Christus und der Kirche hervor. Der wichtigste ekklesiologische Abschnitt ist Eph 2,11-22.
Der Abschnitt Eph 2,11-22 gliedert sich in drei Einheiten: Die Verse 11-13 bieten eine Gegenüberstellung der
ehemaligen Heiden mit Israel, die jetzt aufgehoben ist.
Die Begründung dafür erfolgt in der zweiten Einheit
(VV.14-18). Das zentrale Stichwort dieser Einheit ist
„Friede“; mit der ersten Einheit ist sie mittels des Begriffspaares „fern – nahe“ verknüpft. Durch Christius haben beide – Kirche und Israel – Zugang zum Vater. Die
letzte Einheit (VV.19-22) zieht daraus die notwendigen
Schlussfolgerungen: Auch die Heidenchristen sind Mitglieder der Heiligen und Hausgenossen Gottes. Die entsprechenden Stichworte sind dem Bild des Baus entnommen.
Zunächst sollen die Adressaten des Briefes sich an das
erinnern, was durch Gottes Handeln geschehen ist. Ihnen wird ihre eigene Situation vor und ohne Christus
vor Augen gestellt.35 Als Heiden waren sie von der
Heilsgemeinde ausgeschlossen; sie waren Fremde ohne
Zugang zu Gott und damit ohne Hoffnung. Der Eph
setzt hier die alttestamentlich-jüdische Auffassung voraus, dass Gott sich Israel zugewandt und ihm mittels
des Bundes am Sinai Gemeinschaft geschenkt hat. Der
Erwählungsgedanke ist hier klar ausgesprochen. Mit
dem Begriffspaar „fern und nah“ wird diese Distanz zu
Gott und ihre Überwindung ausgesprochen (V.13). Im
Blut Christi – das heißt: in seinem Tod am Kreuz – ist
diese Distanz überwunden. Deshalb sind in der Kirche
die Unterschiede zwischen Juden und Nichtjuden aufgehoben (vgl. auch Gal 3,28). Der Epheserbrief betont

35 Vgl. R. Schnackenburg, Der Brief an die Epheser, Neukirchen-
Vluyn 1982 (EKK 10), 104.
27
somit die Einheit der Kirche aus Juden und Heiden. Ein
möglicher Gegensatz zwischen Ekklesia und Synagoge
ist ihm fremd.
Die Begründung für die Überwindung dieses Gegensatzes erfolgt in der zweiten Einheit, die die Verse 14-18
umfasst. Diese Verse bieten eine christologische Auslegung von Jes 9,5-6; 2,7 und 57,19. Der Hauptgedanke
ist: Christus hat Frieden gestiftet. „Dieser (= Christus) ist
unser Friede“ steht gezielt am Anfang dieser Einheit.
Dieser Gedanke wird auf das Verhältnis von ehemaligen
Heiden und Israel mit Blick auf die Kirche übertragen.
Sie ist die neue Einheit in Christus. Aber nicht nur ehemalige Heiden und Israel sind in der Kirche miteinander
vereint und versöhnt. Beide – Israel und die Heiden –
sind durch das Wirken Christi auch mit Gott versöhnt.
Beide haben in Christus endgültig Zugang zu Gott. In
diesem umfassenden Sinn ist Christus unser Friede.
Die letzte Einheit in den Versen 19-22 zieht daraus die
notwendigen Schlussfolgerungen für die Adressaten des
Briefes: die Heidenchristen sind Mitbürger der Heiligen
und Hausgenossen Gottes. Dabei wird das Bild vom Bau
aufgegriffen und vielfältig variieret. Es gibt ein gemeinsames Fundament: die Apostel und die Propheten. Apostel sind für den Eph die, die das Evangelium zuerst verkündet haben. Sie verbürgen die Wahrheit des Evangeliums. Auf die Zwölfzahl ist Eph nicht festzulegen. Die
Propheten sind nach dem Eph nicht die Propheten des
Alten Testaments. Nach Eph 4,11 sind sie von den Aposteln zu unterscheiden. Es sind wohl geisterfüllte Männer
und Frauen (vgl. Eph 3,5) der Urkirche, die neben den
Aposteln zur Verkündigung des Evangeliums beigetragen haben (vgl. auch 1 Kor 12,28-29). Beide Gruppen
bilden gemeinsam das Fundament. Die Apostolizität der
Kirche hat nicht nur einen formalen Aspekt; letztlich
gründet sie in der Geistbegabung. Ob Christus der Eckstein oder der Schlussstein ist, ist in der Forschung um28
stritten. Nach Schnackenburg haben auf dem Hintergrund der urchristlichen Tradition und von Jes 28,16 die
Argumente „für Christus als Eckstein das stärkere Gewicht“.36 Christus ist der Stein, auf dem der ganze Bau
ruht und der ihn zusammenhält. Zum Schluss kommt
auch das Bild von der Kirche als Tempel Gottes in den
Blick (vgl. auch 1 Kor 3,9-12; 1 Petr 2,3-6). Das Bild
vom Bau darf jedoch nicht statisch verstanden werden;
es ist vielmehr ein dynamisches Bild, ein Bau, der
wächst und vom Geist zur Vollendung geführt wird.37
Kirche als Hausordnung Gottes – das Kirchenbild
der Pastoralbriefe
Den Pastoralbriefen fehlt weitgehend eine theologisch
begründete Ekklesiologie. Im Vordergrund stehen „die
von den praktischen Bedingungen der Entstehungszeit
eingeforderten Konkretisierungen“.38 Die zentrale ekklesiologische Metapher ist das Haus. 1 Tim spricht vom
„Haus Gottes“ und setzt es mit der dêêëçóßá èåï™ æ§íôïò gleich (1 Tim 3,15). Das Haus war nicht nur die
wichtigste ökonomische Einheit der Antike, es hatte
auch für die frühchristliche Mission eine große Bedeutung.39 Mit dem Anwachsen der Gemeinden verloren
die Hausgemeinden jedoch an Bedeutung. Mit der Metapher vom Haus werden deshalb Selbstverständnis und
Anspruch der Kirche neu definiert. Es liegt in der Konsequenz dieses Bildes, dass nun das Miteinander der ein
36 Ebd., 123-124.
37 Vgl. ebd., 107.
38 L. Oberlinner, Die Pastoralbriefe. Kommentar zum Titusbrief, Frei-
burg i.Br. 1996 (HThK 11/2,3), 74.
39 Vgl. A. Weiser, Evangelisierung im „Haus“, in: BZ 34 (1990) 63-
86.
29
zelnen Gläubigen – anders als beim paulinischen Bild
vom Leib Christi – entsprechend der antiken Hausordnung „dem Schema von Über- und Unterordung
folgt“.40 Wie der Hausherr das Hauswesen verwaltet, so
verwaltet der Episkopos die christliche Gemeinde.
Die Parallelität zum antiken Hauswesen ist offensichtlich. Sie dürfte gewollt und beabsichtigt sein. Die Kirche
wird zu einer von Gott gewollten Institution, die Überlieferungen bewahrt, binnenkirchlich stabilisiert und
nach außen werbend wirkt. „Türen und Fenster dieses
Hauses und Hauswesens sind zur Umwelt hin weit geöffnet.“41 Der einzelne Glaubende ist in diesem Haus
gut aufgehoben und ihm wird darin Geborgenheit geschenkt. Allerdings wird dieser Vorteil mit dem Verlust
der Eigenverantwortung der Gemeinde als Ganzer erkauft. Die Gemeinde ist nicht mehr Subjekt, sondern
wird zum Objekt. Damit ist die Zeitbedingtheit dieses
Bildes offensichtlich. Wer heute die Subjektwerdung der
Gemeinde will, wird sich wohl von diesem Schema der
Über- und Unterordnung lösen müssen.
Die Adressaten der Briefe – Timotheus und Titus –
scheinen bewusst gewählt zu sein. Die beiden Paulusschüler dienen zur Charakterisierung der Amtspersonen.
Sie sind zugleich Garanten der Tradition. Somit wird die
Kontinuität von Personen und den von ihnen ausgeübten Funktionen bestimmt. Damit wird der Gedanke einer apostolischen Sukzession in dem Sinne angedacht,
dass die in den verschiedenen Funktionen und Ämtern
Verantwortlichen die unverfälschte Weitergabe des
Evangeliums garantieren. Heinrich Schlier spricht in diesem Zusammenhang von drei Prinzipien, die in den Pastoralbriefen herrschen bzw. durchschimmern: das Prin
40 L. Oberlinner (Anm. 38), 81.
41 A. Weiser, Die Kirche in den Pastoralbriefen. Ordnung um jeden
Preis?, in: BiKi 46 (1991) 107-113, hier 112.
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