Mensch wo bist du Neujahrsempfang KGHe 23-01-2011

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Mensch, wo bist du?
Vortrag beim Neujahrsempfang der Ev. Kirchengemeinde
Herrenberg
am 23.1.2011 im Ev. Gemeindehaus, Erhardstr. 4
von Dekan Klaus Homann
Einleitung
Es war Immanuel Kant (1724 – 1804), der Philosoph der Aufklärung, der
geschrieben hat: „Die größte Angelegenheit des Menschen ist, zu
wissen, wie er seine Stelle in der Schöpfung gehörig und recht verstehe,
was man sein muß, um Mensch zu sein.“
Die entscheidende Frage für einen jeden Menschen ist also nach
Immanuel Kant: "Was muss ich sein, um Mensch zu sein?"
Eine Frage, die zum Menschsein von Anbeginn an dazu gehört.
Schon im Paradies ging es um die Frage: Was ist der Mensch? Was
kann er?
Was darf er? Was ist seine Bestimmung, also was macht ihn zum
Menschen?
Und schon im Paradies musste Gott fragen:
Adam - und das heißt übersetzt Mensch, wo bist du?
Adam mußte sich zusammen mit Eva verstecken, weil er aus der Rolle
gefallen war, aus seinem Menschsein. Er wollte sein wie Gott und mußte
erkennen, wie wenig er das sein konnte, und schämte und versteckte
sich, sodaß Gott ihn suchen mußte.
Das unschuldige selbstverständliche Miteinander mit Gott war dahin.
Gilt es nicht gerade in unserer Zeit auch diese Frage zu stellen:
„Mensch, wo bist du?“, und damit die Frage nach dem, was uns
Menschen wirklich angemessen ist und gut ansteht, nach dem
Menschlichen, nach der Art und Weise, wie wir als Menschen, also
menschlich, miteinander und mit der Schöpfung umgehen und für einen
jeden Menschen Menschlichkeit infrage steht Menschen, wir der Natur
gegenüber?
Und erleben wir nicht auch im täglichen Umgang privat und im Geschäft
immer wieder, wie die Menschlichkeit auf der Strecke zu bleiben scheint.
Wie schnell kann das Menschliche verloren gehen bei allem „Managen“,
allem Effizienz-Denken, aller Zeitknappheit, allen ökonomischen,
globalen und politischen Zwängen.
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Es muss uns insgesamt schon zu denken geben, dass Besucher aus
sogenannten Entwicklungsländern das Klima in unserer
hochtechnisierten Gesellschaft als vergleichsweise kalt empfinden
können und damit unmenschlich.
Dabei ist Menschlichkeit die höchste Tugend und - wie der große
Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi (12.1.1746 – 17.2.1827) einmal
sagte, köstlicher als alle Schönheit der Erde.
Und der amerikanische Schriftsteller Henry James (1843-1916) sagt
sogar klipp und klar: „Drei Dinge sind im Leben eines Menschen wichtig.
Erstens: Menschlichkeit. Zweitens Menschlichkeit. Und drittens:
Menschlichkeit.“
Menschlichkeit wird leider oft erst zum Thema, wenn sie entbehrt wird.
Wenn wir sagen: “Das ist doch unmenschlich!“
Und wir leben in Zeiten, in denen die Menschlichkeit durchaus zur Frage
steht. Nicht nur wegen Gewalt und Terror. Unter dem Diktat der
Ökonomie, des sich Rechnens, dem alles unterworfen wird, bei dem
Menschen nur eine Arbeitskraft sind und Kaufkraft bringen, bleibt auch
das Menschliche auf der Strecke. Die christlichen Kirchen wenden sich
gegen eine alleinige Herrschaft der Ökonomisierung in allen
Lebensbereichen. Sie halten daran fest, dass es Bereiche des Lebens
gibt, die grundsätzlich dem rein ökonomischen Denken bzw. einer rein
monetären Bewertung des Lebens entzogen bleiben müssen. Sonst
erleidet die Humanität, die Menschlichkeit einer Gesellschaft
empfindlichen Schaden. Die christlichen Kirchen wissen, dass
menschliches Leben nicht perfekt ist. Sie erinnern daran, dass alles
Leben, auch das behinderte, kranke, schwache, das sich selbst kaum
mehr bewusste Leben, Wert und Würde hat, der es vom Anfang bis zum
Ende Rechnung zu tragen gilt. Dies lässt sich nur durch den christlichen
Glauben begründen. Die Würde des Menschen wird hierbei nicht über
Eigenschaften oder Leistungen des Menschen definiert, sondern von
Gott her. Und daraus folgt auch die Menschlichkeit.
Doch soviel ist auch sicher: Jeder Mensch braucht Menschlichkeit.
Aber den Wenigsten ist dies überhaupt bewusst.
Weil gerade auch in Zeiten der knappen Ressourcen Menschlichkeit
gesichert bleiben muss, muss sie immer wieder neu genauer in den Blick
genommen werden.
Doch wovon ist da eigentlich die Rede?
Was ist mit Menschlichkeit überhaupt gemeint?
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1.
Was ist Menschlichkeit?
Grundsätzlich hat Menschlichkeit – lateinisch humanitas – zwei
Bedeutungen:
Einmal geht es gewissermaßen um eine neutrale Sichtweise, die alles,
was Menschen zugehörig oder eigen ist, beinhaltet.
Die Manifestationen des Menschlichen sind die Menschenrechte in der
amerikanischen Verfassung, beruhend auf der „Deklaration of
Independence“, im Grundgesetz und in der Bibel im Evangelium von
Jesus Christus.
Sie legen fest, wie in den Erklärungen zu den Menschenrechten bei uns
im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, was menschlich ist.
Danach ist menschlich und menschwürdig der Schutz vor Hunger,
Krankheit und Obdachlosigkeit, das Recht auf Arbeit, persönliches
Eigentum und Mitbestimmung im öffentlichen Leben.
Aber wenn wir von „Menschlichkeit“ reden, dann denken wir eigentlich
zunächst
an die andere Bedeutung von Menschlichkeit,
an eine Verhaltensweise im ethischen Sinn, an Wertvorstellungen
über menschliches Handeln, an eine menschliche Gesinnung, an ein
Denken und Handeln, das auf Selbstlosigkeit, Mitgefühl, Warmherzigkeit,
Herzensgüte, Ehrlichkeit, Verständnis, Toleranz, Einfachheit,
Gewissenhaftigkeit, Zufriedenheit, Achtsamkeit, gegenseitiges
Verantwortungsgefühl und Respekt beruht.
Menschlichkeit bedeutet ein sorgsames, einfühlsames Umgehen
miteinander. Nicht ein Prinzipielles, nicht Prinzipienreiterei, nicht ein
von einem Ideal bestimmtes und ein Ideal um jeden Preis einforderndes
Handeln, sondern ein Denken und Handeln, das auch um die Grenzen
und Schwächen weiß – „menschlich, allzu menschlich,“ sagt man dann
im Volksmund. Das Maß unseres Menschlichen bemißt sich danach,
inwieweit wir das Erleben und die Gefühlswelt von Menschen
miteinbeziehen. Menschlich ist ein Umgehen miteinander, das den
anderen nicht zum Objekt macht, das man beherrschen will und kann
und eigenen Vorstellungen und Interessen anpaßt.
Darum sagt auch der Theologe und Arzt Albert Schweizer (1875-1965):
„Menschlichkeit besteht darin, daß niemals ein Mensch einem Zweck
geopfert wird.“
2.
Menschlichkeit in der Gesellschaft
Was bedeutet nun Menschlichkeit in den verschiedenen Bereichen
gesellschaftlichen Lebens? Wo kommt Menschlichkeit zum Tragen?
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2.1 Menschlichkeit als Diakonisches Handeln
Ganz nahe liegend ist natürlich bei Menschlichkeit, an das diakonische
und caritative Handeln, die Hilfe für Menschen, die Unterstützung
brauchen, zu denken.
Das wohl bekannteste Beispiel für Menschlichkeit ist in diesem
Zusammenhang
der barmherzige Samariter, von dem Jesus im Gleichnis im
Lukasevangelium
(Lk 10, 25-37) erzählt - einem überaus eindrücklichen Beispiel für
menschliches Umgehen miteinander.
Es war menschlich, daß der Samariter, der ein Ausländer und kein
rechtgläubiger war, nicht wegsah, sondern handelte, als er den unter die
Räuber gefallenen halbtot in der Schlucht am Weg nach Jericho liegen
sah.
Er richtet ihn auf, verbindet ihn, hilft ihm auf seinen Esel. Er lässt sich
seine Menschlichkeit etwas kosten: Öl, Wein, Salbe, Verbandszeug,
beschmutzte Satteldecke, Kleidung. Dazu Risikobereitschaft, denn die
Räuber sind wohl noch in der Nähe, und Zeit, viel Zeit, die damals auch
schon Geld war. Eine ganze Nacht pflegte er den Verwundeten. Am
nächsten Tag gibt er noch dem Gastwirt für die Pflege des Verwundeten
zwei Silberstücke. Das ist ziemlich viel. Und vorsorglich bietet er sogar
noch einen nachträglichen Aufschlag an.
Menschlichkeit geht nicht am Notleidenden vorbei und lässt sich das
auch etwas kosten. Das ist nach wie vor ganz aktuell.
So hilft die Diakonie – von Kostenträgern unterstützt –
unterschiedlichsten Menschen, die Hilfe brauchen, an Leib und Seele.
Sie stellt sich an die Seite der Menschen, deren Würde bedroht ist. „Von
Menschen zu Mensch“ heißt zum Beispiel das Motto von Mariaberg.
Denn es soll Menschen auf gleicher Ebene mit Respekt und
Wertschätzung ihrer Person begegnet werden und sie sollen mit dieser
Haltung die notwendige Unterstützung erfahren. Weil sie alle Kinder
Gottes sind, seine Ebenbilder, darum geht es auch bei ihnen um die
Würde und Ehre Gottes.
Diakonie braucht aber auch eine menschliche Gesellschaft, die sich die
Unterstützung der darauf Angewiesenen etwas kosten lässt, die
öffentliche Hand als Kostenträger und private Spender.
Menschlichkeit muß sich auch rechnen. Sonst lässt sie sich nicht
durchhalten.
Unser Sozialstaat ist ein in der Welt beispielhafter Ausdruck dieser
Menschlichkeit, die die Not des Mitmenschen sieht, nicht vorübergeht
und es sich auch etwas kosten lässt. Dies hat das höchste
Qualitätsmerkmal unter Menschen: Das ist menschlich. Das dürfen wir
bei aller Kostendiskussion nicht in Vergessenheit geraten lassen.
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2.2 Menschlichkeit in der Wirtschaft
Was kann nun im Bereich des Wirtschaftslebens „menschlich“ heißen?
Zählen hier nicht Zahlen, Daten und der Markt? Und ist der Markt nicht
gnadenlos?
Hat da Menschliches überhaupt einen Platz?
Wenn es hier um „Menschliches“ geht, dann ist damit nicht das
„menschlich, allzu menschlich“, ein Verhalten, das eher menschlicher
Schwäche entspringt, und das eher entschuldigend für kleine Fehler
benutzt wird, gemeint. Es geht hier vielmehr um eine Menschlichkeit, die
selbst verantwortetes Gestalten beinhaltet. Geht man davon aus, dass
die zentralen Aufgaben der Wirtschaft das Erzielen von Gewinn ist, dann
hat das zunächst nichts Menschliches.
Dies ist nur möglich, wenn der Wirtschaft ein Sinn gegeben wird.
Wenn wir freilich die Wertschöpfungskette verfolgen, dann wird deutlich,
dass das Wirtschaftliche immer für die Kunden, für die Menschen da ist.
Sinn und Zweck der Wirtschaft ist Bereistellen von Gütern, die dem
Menschen zur Verwirklichung seiner Freiheit und seinem Wohlbefinden
dienen.
Wenn aber der Mensch im Mittelpunkt all der wirtschaftlichen
Bemühungen steht, dann geht es bei der Gestaltung der Produkte und
Dienst um die Frage: Wie gelingt es, den Produkten eine besondere
Qualität zu geben, eine Qualität, die über das hinausgeht, was die Natur
uns schenkt. Und diese kann auch nur vom Menschen erdacht und
erbracht werden. In der Art aber, wie wir die Produkte herstellen, wie wir
zusammenarbeiten, wie wir miteinander umgehen, können wir mehr zum
Ausdruck bringen, als dass es wirtschaftliche Zusammenhänge für sich
tun. Die Erde stellt dem Menschen die Güter und Dienste zur Verfügung,
die ihm seine Existenz ermöglichen. Jedoch in der Verwandlung und
Bearbeitung der Natursubstanzen entwickelt der Mensch seine
Fähigkeiten und verleiht dem Stoff eine besondere Form. Diese Form ist
Ausdruck der menschlichen Kreativität und sein einzigartiges Vermögen.
Und dabei kommt es auf die richtige Balance zwischen
Menschlichkeit und wirtschaftlichem Erfolg an. Im Blick auf die
Mitarbeiter ist es eigentlich gar keine Frage, dass eine angenehm faire
und menschliche Behandlung, die Stimmung im Team und die
generelle Firmenatmosphäre eine sogar höhere Bedeutung einnehmen
können als die Vergütung.
Ein menschlicher Führungsstil muß keineswegs automatisch ein
schwacher Führungsstil sein. Firmenentscheidungen sollten fair und
menschlich verlaufen. Wenn ein Mitarbeiter seine Arbeit nicht erledigen
kann, braucht er Unterstützung.
Menschlichkeit bedeutet auch langfristige Perspektiven entwickeln, um
„Trendentlassungen“ zu vermeiden.
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Und zur Menschlichkeit gehört auch ein soziales Engagement. Ein
Großteil der Firmen ist bereits in unterschiedlichster Weise sozial
engagiert. Einen Tag im Jahr als Firma sozial tätig zu sein, das gehört
bereits zum Selbstverständnis einiger Firmen dazu, auch hier in
Herrenberg.
Menschlichkeit kann so sogar zum „Marketingtool“ werden.
Es gibt ein englisches Motto, das die Bedeutung der Menschlichkeit gewissermaßen auf weltliche Weise - sehr treffend umschreibt:
„You can have anything you want, if you give enough people what they
want“ - Du kannst im Leben alles, was du willst, bekommen,
wenn du genügend Menschen hilfst, das zu bekommen, was sie wollen.“
2.3 Menschlichkeit in der Politik?
Und was heißt Menschlichkeit in der Politik? Über 7 Millionen Menschen
in Deutschland beziehen derzeit Hartz IV. Menschen, die ihren
Arbeitsplatz verloren haben, Menschen die gesundheitlich eingeschränkt
sind, Familien, Alleinerziehende, Langzeitarbeitslose Menschen. Die
Gründe dafür sind vielfältig und nicht allein bei den Betroffenen zu
suchen. Es müsste ein Markenzeichen einer menschlichen
Gesellschaft bleiben, menschlich zu sein und Menschen zu
unterstützen, die darauf angewiesen sind. Und es sollte keine Frage
sein, dass ein entsprechender Rettungsschirm für menschliche Not
genau so aufgespannt wird, wie für finanzpolitische Probleme. Natürlich
gilt es immer finanzielle Möglichkeiten und Hilfsmaßnahmen
auszubalancieren.
Auch der Umgang miteinander in der Politik sollte den Rahmen des
Menschlichen nicht verlassen, so sehr Profilierung auch notwendig ist.
Vielleicht wäre es menschlicher, auch einmal Fehler einzugestehen und
zuzugestehen, daß es nicht immer die eindeutige Antwort gibt.
3.
Menschlichkeit und Höflichkeit
Menschlichkeit ist auch eine Frage des Umgangs miteinander und das
bringt mich auch auf die Frage nach den Formen des Umgangs.
Denn ein Akt der Menschlichkeit ist auch die Höflichkeit.
Von der Höflichkeit hat der äthiopische Kaiserenkel Asfa-WossenAserate, ein hervorragender Kenner und Verehrer unserer deutschen
Kultur, einmal gesagt: Benimmregeln, wenn sie zutreffend angewandt
werden, sind ein Akt der Nächstenliebe und damit auch menschlich.
Denn Menschlichkeit bedeutet, sich dem Wohl des anderen, seiner
Achtung, seiner Würde verpflichtet zu fühlen. „Ein manierlicher Mensch“,
schreibt er in seinem neuen Buch, „wird den anderen immer als einen
Höherstehenden betrachten, als einen, dem höchste Aufmerksamkeit
zusteht.“ Und das gilt besonders auch für einen christlich geprägten
Menschen, der sich von den Prinzipien der Nächstenliebe leiten lässt.
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Er begegnet seinem Nächsten so, wie es einst Jesus Christus getan hat,
als er sich beim letzten Abendmahl dazu herabließ, seinen Jüngern die
Füße zu waschen. Eigentlich ein Sklavendienst. Aber es ist ein Ritual
des Respekts und der Wertschätzung des Nächsten. Man mag
einwenden, im religiösen Bereich mögen solche Gesten der Demut ihren
Platz haben, vielleicht auch im privaten Umgang. Aber im
Geschäftsleben beim Einkaufen, wo die Dienstleistung nichts weiter als
eine Ware ist, für die wir mit gutem Geld bezahlen, ist das doch abwegig.
Aber soll man deswegen auf einen respektvollen Umgang miteinander
verzichten, nur weil Geld im Spiel ist? Das Geld verleiht nicht dem
Mitmenschen gegenüber eine höhere Stellung. Menschlich ist, wenn
dies nicht der Fall ist.
Der Kunde darf König sein. Das sollte ihn aber nicht davon abhalten, in
dem,
der ihn bedient, den verborgenen Kaiser zu sehen. Der in Österreich
geläufige Gruß: „servus“ bewahrt das lateinische Wort „Diener“ und
meint eben diese Achtung vor dem anderen.
4.
Menschlichkeit und Zeit
Noch einen anderen Aspekt, der mit Menschlichkeit zu tun hat, möchte
ich ansprechen, und der heute auch ganz besonders bestimmend ist.
Den Zusammenhang von Menschlichkeit und Zeit.
„Zeit ist Geld“, ist bezeichnender Weise die landläufige Devise. Wir sind
unter anderem auch dadurch, aber auch durch die elektronische
Revolution in der Kommunikation in einen ungebremsten
Beschleunigungsprozeß geraten, in dem das Leben sich immer schneller
verbraucht. Die Zeit fliegt dahin. Diese Zeit kennt keinen Sonntag, keine
Zeit, die nicht für Produktion und Konsum, für Vergnügungen und
Festivals zur Verfügung stehen könnte und scheinbar unbedingt auch
dafür genutzt werden muß. Diese Entwicklung missachtet allein schon
die Menschen, die nicht an Konsum und Produktion teilnehmen können.
Dies Tempo lässt aber vor allem keine Nähe zu, ein wesentliches
Merkmal des Menschlichen. Denn Zeitdruck, Hektik, Geschwindigkeit
und Beschleunigung sind Feinde der Begegnung zwischen Menschen
und damit Feinde des Menschlichen. Tempo lässt keine Nähe, keine
ausreichende Zeit für Pflege und Zuwendung mehr zu.
Es ist die Zeit der toten Sachen, die Zeit des Todes.
Jesus Christus hatte als Mensch eine andere Zeit, und zeigte uns
damit, was eine menschliche Zeit ist: eine verweilende, die Geduld und
innere Ruhe kennt.
Wo man darum weiß, daß für Begegnungen mit Menschen Zeit haben,
langsam vergehende Zeit, reiche Zeit ist. Denn nur sie ermöglicht
Gemeinschaft und Vertrauen. Sie ermöglicht ein sorgsames,
einfühlsames Umgehen miteinander, mit einem Wort: Menschlichkeit.
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Einen Menschen kennenlernen, sich näher kommen, einen Kranken
besuchen und begleiten, einen Traurigen trösten, mit eine Arbeitsstelle
suchen, einen Flüchtling aufnehmen, das braucht Zeit und das ist
menschlich um des Menschen Jesus willen.
„Ich schenke dir Zeit“ - das ist ein Hauch von Ewigkeit,
von Leben und Lebensmut mitten in der vergänglichen Zeit.
5.
Menschlichen werden, aber wie?
Aber wie kommt es zur Menschlichkeit? Wie werden wir menschlich?
5.1 Menschlichkeit in der Bibel
Nach christlicher Glaubenüberzeugung ist jeder Mensch ein Ebenbild
Gottes, weil Gott ihn als sein Gegenüber geschaffen hat. Gott hat sich
ins Verhältnis zum Menschen gesetzt. Damit ist er sein Ebenbild.
Was das nun bedeutet, hat Jesus als Mensch vorgelebt. Er hat
Menschsein im Sinne Gottes geliebt. Und das ist im biblischen Sinne
menschlich, zusammengefasst im Doppelgebot der Liebe: Liebe Gott
und deinen Nächsten wie dich selbst. Und diese Liebe reitet kein Prinzip.
Sie macht nicht gleich. Sie macht nicht zum Objekt. Sie lässt jeden
Mensch so sein, wie er ist, mit seinen großen Möglichkeiten, aber auch
mit seinen Grenzen, mit seiner jeweiligen Andersheit und auch mit
seinen dunklen Seiten. Menschlich im biblischen Sinne heißt, jeden als
Ebenbild Gottes behandeln, in jedem Menschen Christus sehen. Und
von dem heißt es zunächst einmal:
„Er sah ihn an und hat ihn lieb.“
Gott will uns diese Menschlichkeit von ihm erfahren lassen immer wieder
neu. Er will, dass unser menschliches Leben gelingt. Darum ist er
Mensch geworden und will uns menschlich sein lassen. Ohne Gott kann
es keine Menschlichkeit gegen, die um ihre Grenzen weiß und damit
leben kann. Gottes Barmherzigkeit und Vergebung uns gegenüber lässt
uns erst wirklich menschlich sein.
5.2 Menschlichkeit und Veranlagung
Aber auch biologisch ist die menschliche Gemeinschaft auf
Kooperieren ausgelegt. Das gilt von Natur aus für uns Menschen. Wir
streben alle nach Zuwendung, Wertschätzung und Liebe. Und das geht
nicht ohne die Beziehung zu anderen Menschen.
Bei gestörten Beziehungen oder dem Verlust von Bindungen kommt es
daher zu Aggressionen.
Das zentrale Interesse des Menschen ist auf Zuwendung und
gelingende mitmenschliche Beziehung gerichtet.
Und dazu gehört:
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1.: Sehen und gesehen werden, dass man sich als Person
wahrgenommen fühlt.
Und 2.: Gemeinsame Aufmerksamkeit und gegenseitige Anteilnahme
und zuhören.
und 3.: Emotionale Resonanz: sich in den anderen hineinfühlen.
und 4.: Gemeinsames Handeln: Etwas ganz konkret miteinander tun.
und 5.: gewissermaßen die Königsklasse
das Verstehen von Motiven und Absichten: Um Jemanden aber
verstehen zu können, bedarf es einer guten Beobachtungsgabe
und intuitiver Fähigkeiten, aber vor allem auch das Gespräch.
Bei gelingender Kooperation und mitmenschlicher Beziehungen
entsteht dann Menschlichkeit.
Deshalb gilt es vielfältige Formen des sozialen Zusammenwirkens
auszubauen,
wie z.B. Erziehung der Kinder zu Menschlichkeit,
ein von Menschlichkeit geprägtes Management im Bereich der Wirtschaft
und die Bereitschaft der Menschen,
sich in materieller und gesundheitlicher Not gegenseitig zu unterstützen.
6.
Menschlichkeit und wir selbst?
Und nun zum Schluss:
Wie ist das bei uns selbst mit der Menschlichkeit?
Der Schutz der eigenen Würde und Grenzen, Zugehörigkeit, Integrität
und Anerkennung müssen selbst erfahren werden, um menschlich auch
gegen den anderen sein zu können. Wir haben hier auf uns selbst acht
zu geben. Es kommt auf eine gesunde Balance zwischen den beiden
Polen, zwischen mir und den anderen an. Im biblische Gebot: „Du sollst
deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Mt 19,19; 3 Mose 19,18),
kommt die Balance mit dem Wörtchen „wie“ gut zum Ausdruck. Wenn wir
immer nur geben und geben und stets nur für den anderen da sind,
werden wir mit der Zeit immer leerer und laufen Gefahr auszubrennen.
Wir müssen auf uns achten und aufmerksam sein und unsere Grenzen
schützen. Dann werden wir auch die Grenzen der anderen schützen und
ihnen so menschlich begegnen können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
vielleicht hat der ehemalige Papst Johannes XXIII. es auf den Punkt
gebracht, was für uns selbst als Menschen eine entscheidende
Voraussetzung für Menschlichkeit ist, als er zu sich selbst sagte:
„Giovanni, nimm dich nicht so wichtig.“
und dabei zugleich auch selbst verkörperte, was ein amerikanischer
Humorist aus dem letzten Jahrhundert formuliert hat.
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„Es ist großartig, ein bedeutender Mensch zu sein,
aber es ist großartiger, ein menschlicher Mensch zu sein.“
Mensch, wo bist du? Das ist und war die Frage nach dem Ort des
Menschen in der Welt. In der Sündenfall-Geschichte hatte er ihn
leichtfertig verspielt und verloren, und es blieb ihm nichts anderes mehr,
als sich schamvoll zu verstecken.
Aber Gott suchte ihn und fragte: „Adam, Mensch, wo bist du?“
Und Gott hat uns dann in Jesus Christus in all unserer Ort-Losigkeit
aufgesucht und uns so wieder zu Menschen gemacht, die sich nicht vor
ihm verstecken müssen, sondern dort ihren Ort haben und zu finden
sind, wo es menschlich zugeht. Dort ist Gott in Jesus Christus nahe mit
seiner Liebe und Barmherzigkeit und mit seinem zu Recht Bringen,
weil er eben gerade ein menschlicher Gott ist.
Dort ist er zu finden. Dort beginnt sein Reich. Ohne Gott allerdings kann
es eigentlich keine Menschlichkeit geben. Denn dann wäre der Mensch
sein eigener Richter und das fällt gnadenlos aus.
Vielleicht aber fangen wir erst einmal mit Papst Johannes, dem XXIII.
Roncalli an und nehmen uns nicht so wichtig.
Dann sind wir mit Sicherheit auf dem besten Wege zur Menschlichkeit.
In diesem Sinne nehme ich mich jetzt auch nicht mehr so wichtig
und das anschließen Essen umso wichtiger
und bedanke mich für ihre Aufmerksamkeit.
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