Grübeln und Sorgen als vermeidende Formen der Emotionsregulation Implikationen für die Behandlung repetitiver Gedankenprozesse Dr. Thomas Ehring 2. Bad Arolser Psychosomatik-Symposium, 12.12.2009 Gliederung des Vortrags 1. Einleitung 2. Warum sollte man sich mit Grübeln beschäftigen? 3. Drei zentralen Fragen (und vorläufige Antworten) 4. Therapeutische Strategien 5. Zusammenfassung und Diskussion Fallbeispiel Alvy Singer (Der Stadtneurotiker, 1977) Mutter Doc Mutter Doc Alvy Doc Alvy Mutter Alvy Mutter Doc Er ist depressiv. Plötzlich tut er nichts mehr. Warum bist Du depressiv, Alvy? Sag es Dr. Flicker. (zu Arzt) Er hat etwas gelesen! Du hast etwas gelesen, heah? Das Universum expandiert. Das Universum expandiert? Ja, das Universum ist alles, und wenn es expandiert, dann wird es eines Tages auseinanderfallen und das ist das Ende von allem! (schreit) Was geht Dich das an! (zu Arzt) Er macht seine Hausaufgaben nicht mehr. Das hat doch alles keinen Sinn mehr. Was hat das Universum damit zu tun? Du bist hier in Brooklyn! Brooklyn expandiert nicht! Das Universum wird erst in Milliarden von Jahren expandieren. Und währenddessen ist es unsere Aufgabe, hier auf der Erde so viel Spaß wie möglich zu haben, hörst Du! Grübeln/ Sorgen bei verschiedenen Störungen Störung Bezeichnung Inhalt Depression Depressives Grübeln/ Rumination Aktuelle Symptome, belastende Erlebnisse, Versagen GAS Sorgen Mögliche zukünftige Gefahren Posttraumatische Grübeln Belastungsstörung Trauma und seine Implikationen Soziale Phobie Post-event processing Vergangene soziale Situationen Schlafstörungen Sorgen; „pre-sleep cognitive activity“ Alltägliche Sorgen, Folgen des Nicht-Einschlafen-Könnens Außerdem nachgewiesen bei Esstörungen, Zwangsstörungen, Panikstörung Hypochondrie, Schmerzstörungen, Alkoholabhängigkeit, Psychose, Bipolarer Störung ¾ Plausible Annahme: transdiagnostischer Prozess mit störungsübergreifenden Prozessmerkmalen bezogen auf verschiedene Inhalte Ehring & Watkins (2008) Arbeitsmodell Diskrepanz zwischen Istund Soll-Zustand Sorgen/ Grübeln Gliederung des Vortrags 1. Einleitung 2. Warum sollte man sich mit Grübeln beschäftigen? 3. Drei zentralen Fragen (und vorläufige Antworten) 4. Therapeutische Strategien 5. Zusammenfassung und Diskussion Warum sollten man sich mit Grübeln beschäftigen? Exzessives Grübeln kommt bei vielen Störungen vor. Hinweise, dass Grübeln eine kausale Rolle bei der Aufrechterhaltung psychischer Störungen spielt. Längsschnittstudien: RNT sagt Symptome vorher, auch wenn initiale Symptomschwere kontrolliert wird Ehring et al. (2008); Just & Alloy (1997); Kühner & Weber (1999); Murray et al. (2002); Nolen–Hoeksema (2000); Nolen–Hoeksema et al. (1994; 2007); Segerstrom et al. (2000); Siddique et al. (2006); Spasojevic & Alloy (2001); Startup et al. (2007) Experimentelle Studien: Induktion von Grübeln führt zu länger anhaltender negativer Stimmung negativ gefärbtem Denken verringerter Problemlösefähigkeit erhöhtem Stresserleben interaktionellen Probleme schlechterer Konzentration und Erinnerungsfähigkeit z.B. Behar et al. (2005); Blagden & Craske (1996); Lyubomirsky & Tkach (2004); McLaughlin et al. (2007); Nelson & Harvey (2002); Wells & Papageorgiou (1995) Gliederung des Vortrags 1. Einleitung 2. Warum sollte man sich mit Grübeln beschäftigen? 3. Drei zentralen Fragen (und vorläufige Antworten) 4. Therapeutische Strategien 5. Zusammenfassung und Diskussion Drei zentrale Fragen 1. Warum grübeln Menschen trotz der (nachgewiesenen) negativen Konsequenzen? 2. Warum sind Grübelgedanken so „klebrig“? [Warum ist es so schwierig, sich von Grübel/Sorgengedanken zu lösen?] 3. Wodurch unterscheidet sich dysfunktionales Grübeln von funktionalen Formen des Nachdenkens über Probleme oder negative Erlebnisse? Hypothese der Verarbeitungsmodi Grundidee: Dysfunktionales Grübeln unterscheidet sich auf Prozessebene von funktionalem Denken Dysfunktionales Denken: abstrakt, konzeptuell, wertend Funktionales Denken: konkret, prozessorientiert, nicht-wertend Stöber (1998); Watkins (2008); Ehring et al. (2008) abstrakt Alvy Alvy Mutter Doc Ja, das Universum ist alles, und wenn es expandiert, dann wird es eines Tages auseinanderfallen und das ist das Ende von allem! Das hat doch alles keinen Sinn mehr. Was hat das Universum damit zu tun? Du bist hier in Brooklyn! Brooklyn expandiert nicht! Das Universum wird erst in Milliarden von Jahren expandieren. Und währenddessen ist es unsere Aufgabe, hier auf der Erde so viel Spaß wie möglich zu haben, hörst Du! konkret Hypothese der Verarbeitungsmodi Abstrakt, konzeptuell, wertend Konkret, prozessorientiert, nicht wertend Was wäre, wenn ich bei der Prüfung durchfallen würde? Was genau würde ich denken und fühlen, wenn ich bei der Prüfung durchfallen würde? Was würde ich als nächstes tun? Warum ist mir das passiert? Was genau ist passiert? Was habe ich dabei gefühlt und gedacht? Was genau hat dazu beigetragen? Wie soll ich bloß alles schaffen, was ich zu tun habe? Was genau muss ich bis wann erledigen? Wie kann das planen? Hypothese der Verarbeitungsmodi Grundidee: Dysfunktionales Grübeln unterscheidet sich auf Prozessebene von funktionalem Denken Dysfunktionales Denken: abstrakt, konzeptuell, wertend Funktionales Denken: konkret, prozessorientiert, nicht-wertend Effekte auf emotionale Verarbeitung und Problemlösen Evidenz Stöber (1998); Watkins (2008); Ehring et al. (2008) Korrelative Evidenz: Grübelgedanken sind abstrakter als andere Gedanken Stöber et al. (2002); Watkins & Moulds (2007) Experimentelle Evidenz: Induktion abstrakt-wertenden Denkens führt u.a. zu (a) Aufrechterhaltung negativer Stimmung, (b) verringerter Problemlösefähigkeit, (c) erhöhter Abstraktheit autobiographischer Erinnerung, (d) stärkerer emotionaler Reaktivität z.B. Watkins (2004); Watkins et al. (2001; 2005; 2008); Ehring et al. (2009) Abstrakter vs. konkreter Verarbeitungsmodus 10 9 8 Negative Stimmung 7 6 abstrakt konkret 5 Ablenkung 4 3 2 1 0 prä-Film post-Film postManipulation post-Erinnerung Interaktion ‘Zeit x experimentelle Bedingung‘: F(4, 158) = 5.02, p < .01, ηp2 = .11 Ehring, Szeimies & Schaffrick (2009) Vermeidungshypothese Ursprünglich im Kontext von Sorgen/GAS entwickelt. Grundidee Sorgen dienen der Vermeidung negativer Gefühle Sorgen hemmen die Lebhaftigkeit bildlicher Vorstellungen und sind mit reduzierten physiologischen und emotionalen Reaktionen verbunden. Î Negative Verstärkung Evidenz Borkovec et al. (2004) GAS-Patienten geben an, Sorgen zur Emotionsvermeidung Roemer et al. (2005), Watkins & Baracaia (2002) einzusetzen Experimentell induzierte Sorgen führen zu einer Hemmung der physiologischen Reaktion auf negative bildliche Borkovec & Hu (1990); Pearsley-Miklus & Vrana (2000) Vorstellungen Sorgen führen zu verminderter Reaktivität Borkovec & Hu (1990) Vermeidungshypothese Negative Stimmung/ Erregung 90 80 70 60 50 Sorgen 40 Kontrollbedingung 30 20 10 0 XXX Emotionsdysregulationshypothese Erweiterung der Vermeidungshypothese Zentrale Frage: Warum vermeiden Pat. negative Emotionen? Grundidee: Menschen mit exzessiven Sorgen/Grübeln zeigen erhöhte Intensität von Emotionen mangelndes Verständnis für ihre Gefühle Angst vor Gefühlen Verwendung dysfunktionaler Emotionsregulationsstrategien Evidenz Korrelative and experimentelle Befunde zeigen, dass genannte Abweichungen bei GAS-Patienten bzw. Menschen mit ausgeprägtem Grübelverhalten erhöht sind Mennin et al. (2002; 2004) Arbeitsmodell Diskrepanz zwischen Istund Soll-Zustand Sorgen/ Grübeln abstrakt wertend vermeidend Geringe Akzeptanz für negative Emotionen Allgemeine Defizite der Emotionsregulation Negative Verstärkung durch kurzfristige Reduktion der Reaktivität Verringerte emotionale Verarbeitung Reduzierte Effektivität von Problemlösen Metakognitives Modell Diskrepanz zwischen Istund Soll-Zustand Positive Meta-Kognitionen Negative Meta-Kognitionen Sorgen/ Grübeln abstrakt wertend vermeidend Metakognitive Theorie Grundidee Grübeln wird durch positive Metakognitionen initiiert (z.B. „Grübeln hilft mir meine Probleme zu lösen“) Nach längerer Grübelphase werden negative Metakognitionen aktiviert (z.B. „Das Grübeln macht mich noch krank“). Wells (2004) Metakognitives Modell Diskrepanz zwischen Istund Soll-Zustand Positive Meta-Kognitionen Negative Meta-Kognitionen Sorgen/ Grübeln abstrakt wertend vermeidend Dysfunktionale Kontrollversuche (z.B. Gedankenunterdrückung) Meta-Sorgen Warum beginnen Patienten mit Grübeln/ Sorgen? Diskrepanz zwischen Istund Soll-Zustand Positive Meta-Kognitionen Sorgen/ Grübeln Geringe Akzeptanz für negative Emotionen Allgemeine Defizite der Emotionsregulation Warum ist Grübeln so klebrig? Diskrepanz zwischen Istund Soll-Zustand Negative Meta-Kognitionen Sorgen/ Grübeln abstrakt wertend vermeidend Geringe Akzeptanz für negative Emotionen Allgemeine Defizite der Emotionsregulation Negative Verstärkung durch kurzfristige Reduktion der Reaktivität Dysfunktionale Kontrollversuche (z.B. Gedankenunterdrückung) Meta-Sorgen Was unterscheidet dysfunktionales von funktionalem Grübeln? Sorgen/ Grübeln abstrakt wertend vermeidend Gliederung des Vortrags 1. Einleitung 2. Warum sollte man sich mit Grübeln beschäftigen? 3. Drei zentralen Fragen (und vorläufige Antworten) 4. Therapeutische Strategien 5. Zusammenfassung und Diskussion Arbeitsmodell Diskrepanz zwischen Istund Soll-Zustand Abbau von Vermeidung Positive Meta-Kognitionen Negative Meta-Kognitionen Sorgen/ Grübeln abstrakt wertend vermeidend Geringe Akzeptanz für negative Emotionen Allgemeine Defizite der Emotionsregulation Therapeutische Strategien 1. Abbau von Vermeidung a. b. Abbau von behavioraler Vermeidung Exposition in vivo/ Verhaltensaktivierung Problemlösetraining Abbau von kognitiver Vermeidung Sorgenexposition Arbeitsmodell Diskrepanz zwischen Istund Soll-Zustand Veränderung des Verarbeitungsstils Positive Meta-Kognitionen Negative Meta-Kognitionen Sorgen/ Grübeln abstrakt wertend vermeidend Geringe Akzeptanz für negative Emotionen Allgemeine Defizite der Emotionsregulation Therapeutische Strategien 1. 1. Abbau von Vermeidung 2. Veränderung des Denkstils a. Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie Therapieprogramm zur Rückfallphrophylaxe bei Depression Kombination aus traditionellen kognitiven Verfahren und Achtsamkeitstraining Meditationsübungen (Body scan, Atemmeditation) Übungen zur Erhöhung von Achtsamkeit im Alltag Literatur: Segal et al. (2008). Die Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie der Depression: Ein neuer Ansatz zur Rückfallprävention..dgvt-Verlag. Therapeutische Strategien 1. 1. Abbau von Vermeidung 2. Veränderung des Denkstils a. a. Achtsamkeitsbasierte Achtsamkeitsbasierte Kognitive Kognitive Therapie Therapie b. Ruminationsfokussierte Kognitive Therapie Psychoedukation über Denkstile (abstrakt-wertend vs. konkret-prozessorientiert) Systematische Selbstbeobachtung im Alltag (Warnsignale, Auslöser, Konsequenzen) Systematisches Training in der Therapiesitzung und im Alltag, zwischen den Modi zu wechseln Erlebnisorientierte Strategien (Imagination) Watkins et al. (2007). Behaviour Research and Therapy, 45, 2144-2154 Arbeitsmodell Diskrepanz zwischen Istund Soll-Zustand Emotionsbezogene Therapie Positive Meta-Kognitionen Negative Meta-Kognitionen Sorgen/ Grübeln abstrakt wertend vermeidend Geringe Akzeptanz für negative Emotionen Allgemeine Defizite der Emotionsregulation Therapeutische Strategien 1. 1. Abbau von Vermeidung 2. 2. Veränderung des Denkstils 3. Emotionsbezogene Therapie a. Emotionsregulationstherapie Identifikation von Emotionsvermeidung Erfahrungsbasierte Übungen zur Erhöhung der Bewusstheit für Emotionen Akzeptanz negativer Emotionen Training adaptiver Emotionsregulationsstrategien Literatur: Mennin, D.S. (2004). Emotion regulation therapy for generalized anxiety disorder. Clinical Psychology and Psychotherapy, 11, 17-29. Berking, M. (2007). Training emotionaler Kompetenzen. Berlin: Springer Therapeutische Strategien 1. 1. Abbau von Vermeidung 2. 2. Veränderung des Denkstils 3. Emotionsbezogene Therapie a. a. Emotionsregulationstherapie Emotionsregulationstherapie b. Emotionsfokussierte Therapie Erlebnisorientierte Verfahren zur Intensivierung des emotionalen Erlebens und Ausdrucks Literatur: Newman et al. (2004). Integrative psychotherapy. In Heimberg et al. (eds.), Generalized anxiety disorder (pp.320-350). New York: Guilford. Greenberg et al. (2003). Emotionale Veränderung fördern. Paderborn: Jungfermann Meta-Kognitive Therapie Arbeitsmodell Diskrepanz zwischen Istund Soll-Zustand Positive Meta-Kognitionen Negative Meta-Kognitionen Sorgen/ Grübeln abstrakt wertend vermeidend Geringe Akzeptanz für negative Emotionen Allgemeine Defizite der Emotionsregulation Therapeutische Strategien 1. 1. Abbau von Vermeidung 2. 2. Veränderung des Denkstils 3. 3. Emotionsbezogene Therapie 4. Metakognitive Therapie Identifikation positiver und negativer Meta-Kognitionen Verhaltensexperimente (z.B. Experiment zur Kontrollierbarkeit von Grübelgedanken, Gedankenunterdrückungsexperiment) Literatur: Becker, E.S. & Margraf, J. (2002). Generalisierte Angststörung: Ein Therapieprogramm. Beltz PVU. Wells, A. (2004). Cognitive therapy of anxiety disorders. Chichester: Wiley Therapeutische Strategien 1. Abbau von Vermeidung 2. Veränderung des Denkstils 3. Emotionsbezogene Therapie 4. Metakognitive Therapie Evtl. in Kombination mit Psychoedukation Stimuluskontrolltechniken Entspannungstherapie Kognitiver Therapie in Bezug auf Inhalt Training exekutiver Funktionen Gliederung des Vortrags 1. Einleitung 2. Warum sollte man sich mit Grübeln beschäftigen? 3. Drei zentralen Fragen (und vorläufige Antworten) 4. Therapeutische Strategien 5. Zusammenfassung und Diskussion Zusammenfassung I: Grundlagen Repetitives negative Denken (Grübeln, Sorgen) tritt bei vielen psychischen Störungen auf. Plausible Annahme: Transdiagnostischer Prozess mit störungsübergreifenden Prozessmerkmalen und verschiedenem Inhalt Evidenz für kausale Rolle von RNT bei der Aufrechterhaltung psychischer Störungen Zusammenfassung II: Modell Repetitives negatives Denken ist Ausdruck von Problemen der Emotionsregulation... Allgemeine Defizite in der Wahrnehmung, Akzeptanz und Regulation von Emotionen Motivation zur Vermeidung negativer Emotionen Denken auf einer abstrakten, wertenden Ebene vor dem Hintergrund von Positiven und negativen Meta-Kognitionen Zusammenfassung III: Behandlung Prüfen, inwiefern es sinnvoll erscheint RNT direkt zu behandeln ¾ ¾ • wenn Grübeln/ Sorgen im Mittelpunkt der Störung stehen (z.B. bei GAS, Depression) • wenn zentraler Aufrechterhaltungsfaktor in individualler Fallkonzeption (z.B. bei Komorbidität) Im Zweifelsfall erst evidenzbasierten Behandlungsprotokollen den Vorzug geben. Im Rahmen der Diagnostik abklären, welche der beschriebenen Prozesse möglicherweise eine Rolle spielen Vor allem sinnvoll, Situations- und Verhaltensanalysen; Fragebogen zur Emotionsregulation, Fragebogen zu positiven und negativen Metakognitionen Dargestellte Strategien sind üblicherweise Teil eines umfassenden Behandlungspaketes Zusammenfassung IV: Behandlung Mögliche Strategien in der Behandlung vor dem Hintergrund des Arbeitsmodells Abbau von Vermeidung Veränderung des Verarbeitungsstils Emotionsgerichtete Verfahren Metakognitive Therapie Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! Contact Thomas Ehring, PhD Department of Clinical Psychology University of Amsterdam the Netherlands [email protected]