JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ JKU MECHATRONIK · INSTITUT f. ROBOTIK O.Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Hartmut Bremer TEL. ++(732) / 24 68 - 64 90 · FAX - 64 92 [email protected] · www.robotik.jku.at · HÖHERE KINETIK – MEHRKÖRPERSYSTEME Vorlesungsklausur am 17.01.2013 (11 Blätter) (ohne Deckblatt) Name: MUSTERLÖSUNG Studienkennzahl: Vorname: Punkte: Matrikelnummer: Note: Briefadresse: Institut für Robotik ⋅ Johannes Kepler Universität Altenbergerstraße 69 ⋅ A-4040 Linz 1 1 Starrkörper-Kinematik 1. Geben Sie die Transformationsmatrix AKI für eine Reihenfolge von Elementardrehungen γ, α, β um jeweils die 3−, 1−, 2− Folgeachsen an. AKI = Aβ Aα Aγ 2. Wie lautet die Transformationsmatrix AIK ? AIK = ATγ ATα ATβ 3. Wie lautet die Winkelgeschwindigkeit K ω IK ? Ω K ω IK = [ Aβ e1 | e2 α̇ | Aβ Aα e 3 ] β̇ γ̇ 4. Es sei γ̇ = Ω eine vorgegebene FührungsDrehgeschwindigkeit, siehe Bild 1. Die Winkel α und β kennzeichnen dann die Abweichungen der körperfesten Achsen K gegenüber einer mit Ω drehenden Referenzlage R. Zerlegen Sie die Winkelgeschwindigkeit in ihre Anteile für (α̇, β̇)T und Ω. K ω IK = [ Aβ e1 | e2 ] α̇ β̇ Kz Rz α β Ky α Rx β Ry Kx ! + Aβ Aα e 3 Ω Bild 1: Referenzdrehung Ω 5. Wie lautet hier der Vektor der Minimalgeschwindigkeiten q̇? (Ω ist zwangsweise vorgegegeben!) Es sei K ω IK = ω. Wie lautet die Funktionalmatrix (“Jacobimatrix”) (∂ω/∂ q̇)? Geben 2 1 STARRKÖRPER-KINEMATIK Sie die Funktionalmatrix explizit an. Die Elementardrehmatrizen sind bekannt: 1 0 0 cos β 0 − sin β cos γ sin γ 0 1 0 Aα = 0 cos α sin α , Aβ = 0 , Aγ = − sin γ cos γ 0 . 0 − sin α cos α sin β 0 cos β 0 0 1 α̇ β̇ q̇ = ! ⇒ ∂ω ∂ q̇ ! = [ Aβ e 1 (1.1) cos β 0 1 | e2 ] = 0 sin β 0 6. Wie lautet die Winkelgeschwindigkeit ω (Frage 4) für kleine Winkel α, β? (Typische Anwendung in der Rotordynamik: Kleine Abweichungen gegenüber der Sollage). Geben Sie das Ergebnis explizit an. Dabei sollen alle quadratischen Terme in α, β und ihren zeitlichen Ableitungen vernachlässigbar sein. 1 0 ω= 0 1 β 0 Kz α̇ β̇ ! Iz α β Ky β Kx Bild 2: Referenzdrehung Ω = 0 7. Wenn die Referenzdrehung zu Ω = 0 erzwungen wird, dann beinhalten die Winkel α und β die Abweichungen der körperfesten Achsen K gegenüber dem Inertialsystem I, vgl. Bild 2. Wie lautet dann die Winkelgeschwindigkeit K ω IK = ω bei endlichen Winkeln α, β explizit? α Ix α̇ − Ωβ 1 0 −β 0 α 0 + 0 1 Ω = β̇ + Ωα β −α 1 1 Ω Iy α̇ cos β ω= β̇ α̇ sin β Ersatzlösung: ω = (β̇ sin α, α̇, β̇ cos α)T – das ist nicht die richtige Lösung! 3 2 Starrkörper-Kinetik Ausgangspunkt einer Methodologie war das Lagrange-Prinzip Z (r̈dm − dfe )T δr = 0. (2.1) (S) Hierin tritt der Impulssatz für das Massenelement dm auf ( alle dm des betrachteten Systems S) R (S) : Summation (Integration) über 8. Welche Koordinatendarstellung ist für den Ortsvektor r des Massenelements dm anzusetzen? • Inertialkoordinaten 9. Unter welcher axiomatischen Annahme kann Gl.(2.1) für eine allgemeine Mechanik weiter aufbereitet werden? • Boltzmann-Axiom (symmetrischer Spannungstensor) Mit r(q) ∈ IR3 , q ∈ IRf erhält man " dδri − δdri = X j,k X ∂ri ∂ 2 ri ∂ 2 ri − δqj dqk + (dδqj − δdqj ). ∂qj ∂qk ∂qk ∂qj j ∂qj # (2.2) 10. Unter welcher Voraussetzung (Ansatz) verschwindet (dδqj − δdqj ) ∀j? (Stichwort genügt). 4 2 STARRKÖRPER-KINETIK • Variationsansatz (Taylor-Entwicklung erster Ordnung) 11. Warum kann dann (dδrj − δdrj ) null gesetzt werden? (Stichwort genügt). • Modellbildung Unter der Voraussetzung, daß Variation δ und Differentiation d bezüglich der Ortskoordinaten r vertauschbar sind, folgt mit r(q(s)) die Zentralgleichung d dt ! ∂T δs − δT − δW = 0. ∂ ṡ (2.3) 12. Wie hängen hierbei die Minimalgeschwindigkeiten ṡ von q̇ ab? • (reguläre) Linearkombination ṡ = H(q)q̇ Gl.(2.3) kann über ein bestimmtes Zeitintervall integriert werden und liefert Zt1 (δT + δW )dt = 0. (2.4) to 13. An welche Voraussetzungen ist Gl.(2.4) gebunden? Tragen Sie Ihre Antwort (Ja/Nein) direkt in das folgende Kästchen ein. 5 a) Ausschließlich konservative Systeme (δW = −δV )? Nein b) Ausschließlich holonome Minimalgeschwindigkeiten (ṡ = q̇)? Nein Unter Verwendung holonomer Minimalgeschwindigkeiten ṡ = q̇ liefert Gl.(2.3) die Lagrangeschen Gleichungen zweiter Art d ∂T ∂T − − QT = 0. dt ∂ q̇ ∂q (2.5) 14. Können diese Beziehungen auch (direkt) für nichtholonome Minimalgeschwindigkeiten ṡ verwendet werden? • Nein Aus Gl.(2.3) erhält man ferner die Projektionsgleichung für ein Mehrkörpersystem, das aus N starren Körpern besteht: N X i=1 ∂vs ∂ ṡ !T ∂ω s ∂ ṡ !T i e R p − f e )i (ṗ + ω e R L − M e )i (L̇ + ω =0 (2.6) (vs , ω s : Schwerpunktsgeschwindigkeiten, ω R : Winkelgeschwindigkeit des Referenzsystems R, p, L: Impuls- und Drallvektor. Alle Vektorgrößen gegeben im Referenzsystem R) 15. Können mit Gl.(2.6) auch (direkt) nichtholonome Bindungen behandelt werden? • Ja 6 2 STARRKÖRPER-KINETIK Betrachtet wird ein Flugzeugmanöver. Dabei wird in körperfester K x-Richtung durch den Motor eine Geschwindigkeit vx erzeugt (rheonome Zwangsbedingung). Dann bleibt lediglich der Drallanteil zu betrachten. Mit den Hauptträgheitsmomenten A, B, C folgt für die räumliche Bewegung vx C ω̇x − B A − A ωy ωz = C −A ωω = ω̇y − B B z x A−B ω ω = ω̇z − C C x y Kx Mx A My B Mz C Es sei A : B : C wie 2 : 3 : 4 Ky Bild 1: Heinkel 64 (1932) α=β 16. Abschätzung: Wie lauten die Winkelgeschwindigkeiten nach Frage 7 für eine Näherung π α=β= T T t Bild 2: Manöver: Abschätzung 1 · t mit π T = 1? cos t ω= 1 sin t ωy 0.5 0 ωz 17. Skizzieren Sie die Winkelgeschwindigkeiten ωx , ωy , ωz . Wie lautet das zugehörige (Zwangs-) Moment Mz /C? Ist die Bewegung realisierbar? • Mz /C = cos t + 41 cos t = 54 cos t -0.5 ωx -1 0 0.5 1 1.5 2 2.5 3 t Bild 3: Manöver: Winkelgeschwindigkeiten • Nein 7 18. Eine Bewegung in der inertialen x − y−Ebene ist bei entsprechend realisierbarem Zwangsmoment möglich. Dann erhält man beispielsweise die Winkelgeschwindigkeiten nach Bild 4 (vgl. Bild 3: “abgerundete Ecken” = stoßfrei). Die Winkelgeschwindigkeiten werden über entsprechende Meßeinrichtungen ermittelt. Mit q̇ = (α̇, β̇)T gilt allgemein ω = H(q)q̇ (γ = 0 ist über Mz erzwungen). 2.5 2 ωy 1.5 1 ωz 0.5 0 -0.5 -1 R ωx -1.5 a) Warum erhält man durch ω dt keine Aussage über die Orientierung? b) Wie erhält man eine Aussage über die Orientierung? 0 0.5 1 1.5 2 2.5 t Bild 4: Realisierte Winkelgeschwindigkeiten a) ω ist nicht integrierbar b) q̇ = H(q)+ ω: Lösung einer (nichtlinearen) Differentialgleichung 3 Subsysteme – Mehrkörpersysteme 19. Wie erhält man aus Gl.(2.6) eine Darstellung in Subsystemen? (Bitte direkt untenstehende Gleichung umformulieren.) N sub X n ∂ ẏn ∂ ṡ !T N n X i=1 T ∂vs \ ṡ ∂ ẏ n Ein typisches Subsystem (“Motor-Getriebe-Arm”) stellt Bild 5 dar. Das armfeste (x−y)− Referenzsystem bewegt sich mit vox , voy , ωoz = ωFz + γ̇A (Index A: Arm, Index M : Motor). T ∂ω s ∂ \ṡẏ n i e R p − fe )i (ṗ + ω e e R L − M )i (L̇ + ω =0 y,voy (K) γM γA Bild 5: Subsystem Motor-Getriebe-Arm ΩM r ωF z x,vox 8 3 SUBSYSTEME – MEHRKÖRPERSYSTEME Die Gleichungen des n−ten Subsystems entsprechend Bild 5 lauten Mn ÿn + Gn ẏn − Qn ẏTn = ( vox , voy , mit ωF z , ΩAr , m 0 0 0 0 m m L m A AL o o Mn = 0 mA L CA + CM CAo CAo CAo 0 mA L o 0 0 0 CM QTn = ( 0, 0, 0, 0 0 o CM 0 CM )n (3.1) 0 −m mA L −mA L m 0 0 0 , Gn = mA L 0 0 0 m L 0 0 0 A 0 0 0 0 n k (γA iG k(γM − γA ), ΩM r 0 0 0 (ωF + ΩAr )n , 0 0 n − γM ) + MMot )n , k : Getriebefederkonstante. 20. a) Wie lautet die Geschwindigkeit am Ort (K) (d.h. bei x = L, y = 0) im armfesten x − y−Koordinatensystem? Geben Sie den Koordinaten den Index p. b) Im Koppelpunkt (K) werde ein Koordinatensystem n angebracht, das gegenüber dem Vorgängersystem p mit Anp abgebildet wird. Wie lautet die Koppelpunktsgeschwindigkeit im neuen Koordinatensystem n? (Bitte direkt eintragen.) c) Die so berechneten Geschwindigkeiten sind die Führungsgeschwindigkeiten des Koordinatenursprungs n: n (vKx , vKy , ωKz )T ≡ (vox , voy , ωF z )Tn (vergleiche Gl.(3.1)). Ergänzen Sie T T n (vKx , vKy , ωKz ) mit den Komponenten (ΩAr , ΩM r )n und passen Sie die rechte Seite entsprechend an. Auf der rechten Seite soll mit (ΩAr , ΩM r )Tn = (γ̇A , iG γ̇M )Tn die Darstellung Fn ṡn mit ṡn = (γ̇A , γ̇M )Tn explizit erfolgen. vKx 1 vKy A 0 np \ p ω Kz 0 n = ΩAr ΩM r ! " 0 0 0 1 0 0 0 0 L 1 0 L 1 0 0 0 0 0 0 vox v oy 0 p ωF z # ΩAr 0 ΩM r 0 n Damit ist die kinematische Kette ẏn = Tnp ẏp + Fn ṡn erreicht. + p 0 0 0 0 0 0 1 0 0 iG n γ̇A γ̇M ! n 9 Mit Kenntnis der kinematischen Kette erhält man die Bewegungsgleichung M1 ÿ1 + G1 ẏ1 − Q1 FT1 · · · FT1 TTN 1 0 . . .. .. .. . . . . . = .. MN ÿN + GN ẏN − QN 0 0 ··· FTN (3.2) mit N als Zahl der beteiligten Subsysteme. 21. Wegen der oberen (Block-) Dreiecksform bietet sich eine Auflösung im Sinne eines GaussAlgorithmus nach den (Minimal-) Beschleunigungen an. Warum ist das nicht direkt möglich? • ÿN hängt von den Beschleunigungen des Vorgängersystems ab Man erhält die Bewegungsgleichung wenn man ẏ1 F1 . .. . = . . ẏN TN 1 F1 in Minimalform Ms̈ + Gṡ − Q = 0, ··· ... 0 ṡ1 . .. ˆ ẏ = Fṡ ⇒ ÿ = Fs̈ + Ḟṡ . .. = ṡN · · · FN in Gl.(3.2) einsetzt, empfehlenswert allerdings nur für vergleichsweise kleine Systeme wie beispielsweise ein SCARA-Roboter nach Bild 6. y2 x2 y1 γM 2 γA2 γM 1 ΩM 2r γA1 ΩM 1 Bild 6: SCARA-Roboter (Draufsicht) x1 10 3 SUBSYSTEME – MEHRKÖRPERSYSTEME 22. Ergänzen Sie die Diagonalblöcke F1 , F2 (siehe Frage 20) der Gesamtfunktionalmatrix F. F1 F= T21 F1 F2 = 0 0 0 0 0 0 1 0 0 iG1 L1 sin γA2 L1 cos γA2 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 iG2 Zusammen mit den Subsystemmatrizen von Seite 8 sind damit alle Bauelemente für den SCARA-Roboter von Bild 6 bekannt. Prinzipiell ist das Vorgehen für elastische Subsysteme identisch, wenn man für die Verschiebungen einen Ritz-Ansatz benutzt (z.B. v(x, t) = v(x)T q(t) in Bild 7). Die elastischen Verschiebungen werden dabei als klein vorausgesetzt. y mE xM , f v(x, t) x, vox mM Bild 7: Starr-elastisches Mehrkörpersystem 23. Warum genügt bei starker Beschleunigung v̇ox ein linearer Ansatz für die Verschiebungen des Massenelements dm – wie in Bild 7 skizziert – nicht? Betrachten Sie als maßgeblich die Reaktionskraft der Endmasse mE . • Die Reaktionskraft −mv̇ox ist nullter Ordnung: Die korrekte Linearisierung benötigt dann Verschiebungen zweiter Ordnung 11 Die korrekte Linearisierung der elastischen Anteile liefert die Bewegungsgleichung Mÿ + Ky + Kn y = Q: m 0 0 RL ρ Av vT dx v̇ox q̈ ! + 0 0 0 RL EIv00 v00 T dx o o xM q ! " + | 0 0 0 −B v̇ox # {z } Kn xM q ! = f 0 ! (3.3) RL mit der Matrix Kn der (geometrischen) Nichtlinearität (Abkürzung B = mE v0 v0 T dx). o Kn hängt von der Beschleunigung v̇ox ab. 24. Im nächsten Schritt muß Gl.(3.3) nach den Beschleunigungen (v̇ox , q̈)T aufgelöst werden. Wie wird deswegen mit Gl.(3.3) zweckmäßigerweise verfahren? Zuordnung von B zur Massenmatrix: Mÿ = m −Bq 0 RL o ρ Av vT dx v̇ox q̈ !