Essen in den Religionen

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Manuskript
radioWissen
Essen in den Religionen - Göttlich 'gut'?
AUTORIN:
REDAKTION:
Brigitte Kohn
Bernhard Kastner
01 O-TON PROF. ZABOROWSKI:
Man sagt ja immer, Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen. Das Leibliche
fällt uns sofort ein, weil wir Hunger haben. Wir müssen Nahrungsmittel zu uns
nehmen, Lebensmittel, das sind Mittel zum Leben. Man darf nicht übersehen, dass
Essen auch die Seele zusammenhält, dass da auch eine seelische Dimension ist. …
ERZÄHLERIN:
… sagt der Philosoph und Theologe Holger Zaborowski. Er ist Rektor der PhilosophischTheologischen Hochschule Vallendar bei Koblenz und hat gemeinsam mit dem
Theologen Stephan Loos, Leiter der Katholischen Akademie Hamburg, das Buch „Essen
und Trinken ist des Menschen Leben“ herausgegeben:
02 O-TON DR. LOOS:
Essen und Trinken ist ein Grundvollzug der menschlichen Existenz. Es gibt ja dieses
Diktum: Der Mensch ist, was er isst. Und was sich in den Religionen zeigt, dass sie
immer wieder auf die Bedeutung des Essens hingewiesen haben, in ihren religiösen
Ritualen, in ihren religiösen Riten, in denen der Mensch über sich hinaussteigt, sich
transzendiert, und die Dimension des Göttlichen im Essensvollzug selbst wahrnimmt.
ZITATOR GENESIS:
„Und Gott sprach: Seht da, ich habe euch gegeben allerlei Kraut, das sich besamt, auf
der ganzen Erde und allerlei fruchtbare Bäume, die sich besamen, zu eurer Speise,
und allem Getier auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm,
das da lebt auf Erden, dass sie allerlei grünes Kraut essen.
ERZÄHLERIN:
Soweit der biblische Schöpfungsbericht. Gott tritt aus seiner Einheit heraus, er macht
eine Welt voller Fülle und Vielfalt. Und mit ganz viel zu essen. Nichts Lebendiges kann
autonom existieren, alles braucht Nahrung, das ist die Grundlage für jeden
Zusammenhang - auch für den sozialen.
ERZÄHLERIN:
Für alle Religionen ist die Nahrung eine gute Gabe Gottes. Menschen wollen ihr Leben
nicht nur erhalten, sondern genießen, nicht allein, sondern gemeinsam. Sie wollen ihr
Leben regeln, ihm Rhythmus und Abläufe geben, die Jahreszeiten erfahren, das Fest
vom Alltag unterscheiden. Gott gibt die Rohstoffe, aber ernten, schlachten, kochen
und den Tisch decken, das muss der Mensch selbst tun.
04 O-TON ZABOROWSKI
Wir bedürfen der Nahrung so wie Pflanzen und Tiere, alles, was organisch ist. Aber
man sieht eben auch, dass wir, anders als die Tiere, nicht einfach das essen, was uns
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vor der Nase liegt. Sondern dass wir das Essen zubereiten. Dass wir Rezepte
entwickeln, dass wir in verschiedenen Weltteilen ganz unterschiedlich Küchen haben.
Und so sieht man sehr deutlich, dass wir als Naturwesen nicht einfach bloß unsere
Natur sind, sondern wir können uns zu unserer Natur noch mal eigens verhalten. Das
ist letztlich der Freiheitsbereich des Menschen. In Freiheit verhalten wir uns zu unserer
Natur.
ERZÄHLERIN:
Essen ist nicht nur nahrhaft, es schmeckt auch, und es schmeckt immer auch nach
einem Mehr. Die Muttermilch schmeckt für den Säugling nach Liebe und Zuwendung;
Osterei, Osterhase und Osterlamm schmecken nach Frühling und Neubeginn, und
Weihnachtsplätzchen steigern die Vorfreude auf die Süße des Weihnachtsfestes. Auch
glaubensfernen Menschen ist meist noch bewusst, dass die großen Feste des
Jahresablaufs religiöse Inhalte haben und dass auch die Speisen symbolisch
aufgeladen sind; aber die Ebene der Transzendenz beginnt schon früher.
05 O-TON DR. LOOS
Wenn der Verzehr eines Weihnachtsplätzchens und die Herstellung eingebunden ist,
weil Menschen zusammenkommen, die das jedes Jahr tun, und sie tun das in
Erinnerung an die Mutter, die Großmutter, und sie tun das, weil sie sich ihrer
familiären und freundschaftlichen Verbindungen bewusst sind und diese gemeinsam
erneuern, dann bricht im Moment des gemeinsamen Plätzchenbackens eine Dimension
auf, die über das profane Geschehen, dass da Teig entsteht und bei 200 Grad
gebacken wird, hinausgeht.
ERZÄHLERIN:
Ursprünglich war der Advent ja mal als Fastenzeit gedacht.
Noch heute soll er der Besinnlichkeit dienen, aber die geht im Konsum- und
Süßigkeitenrausch bekanntlich schnell unter. Lebkuchen allerdings wurden früher in
den Klöstern als Fastenspeise hergestellt. Sie haben eine reiche Form- und
Bildersprache entwickelt, die an die Weihnachtsbotschaft erinnert. Auch auf ganz
weltlichen Volksfesten ist weniger der Geschmack der Lebkuchen interessant als die
Liebesbotschaften in Zuckerschrift. Ja, die Nahrung und das Wort hängen eng
zusammen. Denn Menschen haben nicht nur Hunger nach Essen, sondern auch nach
Zuspruch, Zugehörigkeit und Sinn.
06 O-TON PROF. ZABOROWSKI
Also, der Mensch lebt nicht vom Brot allein, bedeutet auch, darauf hinzuweisen, dass
das das leibliche Brot eine Voraussetzung ist. Aber gleichzeitig würden wir auch in
anderer Weise verhungern, wenn es keine Lebensmittel über das materielle Brot
hinausgäbe.
ERZÄHLERIN:
In allen Religionen findet man Fastenrituale und Fastenzeiten, die dann mit einem
üppigen Fest enden. Wer täglich in leibliche Genüsse verstrickt ist, verliert den Sinn
für ihren Wert und den Sinn für das, was über sie hinausgeht. Fasten bedeutet …
07 O-TON ZABOROWSKI:
… dass gerade diese Enthaltung, dieser Verzicht auf etwas auch etwas zu tun hat mit
der Buße des Menschen. Dass man sich das noch einmal vergegenwärtigt: Wer ist
man eigentlich, was hat man getan, wo ist man schuldig geworden. Was man bei
einem Phänomen wie dem Fasten ganz deutlich sieht, ist, dass beim Menschen Leib
und Seele eine Einheit bilden. Und dass der Verzicht auf etwas nicht bloß etwas
nimmt, sondern auch etwas geben kann. Ich glaube, dass das auch ein Moment der
Rhythmisierung des Lebens ist. Das Leben wird für uns immer schwieriger, weil wir
diese Grundrhythmen des Lebens, die das Leben auch sehr menschlich machen, ein
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wenig aus den Augen verlieren. Wir können in den
das ganze Jahr über verkaufen.
Supermärkten fast alle Produkte
ERZÄHLERIN:
Genuss und Askese sind keineswegs getrennte Welten. Sie wechseln sich ab und
durchdringen sich auch manchmal. Erst die Erfahrung des Kontrasts scheint Menschen
kulinarisch kreativ zu machen. Christliche Klöster haben eine ausgeprägte
Küchenkultur entwickelt, die sich den kirchlichen Fastentraditionen verdankt. Auch in
Zeiten des Fastens muss man sehen, dass man nicht verhungert. Denn das Leben im
Mittelalter war kräftezehrend:
08 O-TON PROF. ZABOROWSKI:
Es gibt klassische Fastenspeisen, die so lecker sind und so nahrhaft, dass man sich
schon wundert, welche Entsagung damit gemeint sein soll. Fleischlose Speisen,
Süßspeisen. Das Starkbier. Das hatte natürlich auch eine sehr konkrete
Notwendigkeit. Es gab Mönche, die sehr hart arbeiteten. Die brauchten natürlich auch
Kalorien.
ERZÄHLERIN:
Fastenrituale haben häufig zwei Seiten, die eine mahnt zum Verzicht, die andere
drängt zum Genuss. So ist es auch im Ramadan, dem Fastenmonat der Muslime.
Muslime dürfen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang nichts zu sich nehmen, aber
in der Nacht wird aufgetischt, dass sich die Tische biegen: Hülsenfrüchtegerichte,
Salate, Hammelspieße, Süßigkeiten. Das gemeinsame Essen nach Sonnenuntergang
dient dem sozialen Frieden, es stärkt die Bindungen zwischen Familie und Freunden,
und auch die Armen dürfen nicht zu kurz kommen. Aus dem Ruder laufen soll freilich
nichts, weder im Ramadan noch im Alltag, das ist dem Koran sehr wichtig:
ZITATOR KORAN:
„Wahrlich, Gott liebt diejenigen nicht, die nicht Maß halten.“
ERZÄHLERIN:
Deswegen hat sich auch im Laufe der Zeit ein strenges Alkoholverbot durchgesetzt,
das erst im Paradies an Gültigkeit verliert. Gott setzt gutes Essen und sogar Wein
gezielt als Belohnung für die Rechtgläubigen ein und verheißt ihnen ein wahres
Schlaraffenland. Für die Gegner des Propheten Muhammad – und er hatte viele – sieht
es nach dem Tod allerdings eher schlecht aus.
ZITATOR KORAN: Sure 47, Vers 15
Das Bild des Paradieses, das dem Gottesfürchtigen verheißen ward: In ihm sind Bäche
von Wasser, das nicht verdirbt, und Bäche von Milch, deren Geschmack sich nicht
ändert, und Bäche von Wein, köstlich dem Trinkenden. Und Bäche von geklärtem
Honig; und sie haben in ihnen allerlei Früchte und Verzeihung von ihrem Herrn. Sind
sie gleich dem, der ewig im Feuer weilen muss, und denen siedendes Wasser zu
trinken gegeben wird, das ihnen die Eingeweide zerreißt?
ERZÄHLERIN:
Für eine Gemeinschaft, die zusammengehört, ist gemeinsames Tafeln sehr wichtig auch im irdischen Leben. Das weiß der Prophet. Er ist ja selbst, das verraten die
außerkoranischen religiösen Schriften, kein Kostverächter gewesen.
ZITATOR MUHAMMAD:
„Ich sah, dass der Prophet, Allahs Segen sei auf ihm, die ausgereiften Datteln
zusammen mit grünen Gurken aß.“
„Der Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, pflegte nicht allein zu essen, und der
Prophet sagte selbst: Das beste Essen ist das, woran sich viele beteiligen.“
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ERZÄHLERIN:
Es braucht nicht nur die alltägliche Tischgemeinschaft, es braucht die Feste, es
braucht die gemeinsamen Rituale. Auch in säkularen Gesellschaften strukturieren
religiöse Feste den Jahresablauf, und gewisse Symbole bleiben sich immer gleich. Nur
so behauptet ein Ritual seine bindende und sinnstiftende Kraft. Ein Weihnachtsbaum
ist kein normaler Baum, Ostereier und Weihnachtsplätzchen keine normalen
Lebensmittel; sie wirken anders auf die Menschen:
09 O-TON DR LOOS
In dem Moment, in dem das Ritual gefeiert wird, verändern sich die Menschen,
verändert sich das Objekt des Rituals. Das Ritual ist kein zufälliges Geschehen. Es ist
ein Geschehen, was über sich hinausweist, in dem Zusammenwerfen von Profanem
und Transzendenten. Diese Elemente sind entscheidend, damit das Ritual zu einem
sinnstiftenden und sinnbestätigenden Handlungsvollzug wird.
ERZÄHLERIN:
Das Judentum und der Islam haben nicht nur Rituale, sondern auch Speisegebote, die
in den heiligen Schriften begründet sind: Also in der Tora, das ist der jüdische Name
für die fünf Büchern Mose und im Koran. Diese Gebote unterscheiden spirituell reine
von unreinen Speisen. Sie prägen das Verhalten sehr stark, wirken sehr verbindend
und identitätsstiftend und grenzen sehr stark von Ungläubigen ab.
10 O-TON DR. LOOS
Es braucht eine Vorbereitung, um dem Göttlichen, das als das Reine an sich
angesehen wird, zu begegnen. Und dementsprechend muss man sich entsprechend
säubern, mit Wasser und anderen Ritualen und auch durch Verzicht auf bestimmte
Nahrung.
ERZÄHLERIN:
Das Judentum hat sehr viele, komplizierte Speisegebote, der Islam erheblich weniger,
das Christentum gar keine. Es kennt kirchliche Traditionen wie das Fischessen am
Freitag und andere Fastenzeiten, aber die sind nicht religiös normativ in den
Evangelien verankert. Der Islam hat einiges vom Judentum übernommen, das
Schweinefleisch-Verbot und das rituelle Schlachten zum Beispiel. Doch will er
insgesamt mehr Klarheit und Einfachheit bieten als die anderen beiden Religionen und
die Autorität des einzigen und unteilbaren Gottes dadurch stärker in den Mittelpunkt
stellen, das gehört zu seinem Programm. Das Christentum feiert die Eucharistie, in der
die Gläubigen in Wein und Brot Christus selbst zu essen bekommen. Doch im Alltag
sind Christen Allesesser, durch die Gnade Gottes von den alttestamentlichen Speiseund Ritualgesetzen befreit.
11 O-TON DR. LOOS
Lebensmittel sind prinzipiell von Gott her rein. Alles ist auf die Verherrlichung Gottes
ausgerichtet, und da kommt es auf die Haltung an und weniger auf das Umsetzen von
Speisegesetzen.
ERZÄHLERIN:
Islam und Christentum wollen ihre Botschaft zu allen Völkern bringen und
Außenstehende nicht durch zu viele Regeln abschrecken und überfordern. Das
Judentum jedoch will nicht missionieren. Es will und muss, verstreut unter alle Völker,
seinen schwierigen Weg durch die Geschichte gehen und dabei seine Identität
behaupten. Gesetzestreue Juden sehen in ihren zahlreichen Speise- und sonstigen
Ritualgesetzen daher keine Belastung, sondern eine Auszeichnung. Gott hat ihnen all
diese Gesetze gegeben, um sein auserwähltes Volk an sich zu binden und ihm zu
zeigen, wie man den Alltag, die Welt und die Materie heiligen kann, mit jedem
Handschlag, mit jedem Bissen.
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ZITATOR BIBEL:
„Ihr sollt euch heilighalten, damit ihr heilig seid, denn Ich bin heilig … Ich bin der
Ewige, der euch aus dem Lande Ägypten geführt hat, um euer Gott zu sein; ihr sollt
heilig sein, denn Ich bin heilig.“
ERZÄHLERIN:
Anders als für Christen gibt es für Juden keine klare Trennung zwischen der weltlichen
und der sakralen Sphäre. Auch Alltagshandlungen sind heilig, auch die Küche ist ein
heiliger Ort. Deswegen muss man sich dort Mühe geben. Man muss wissen, welche
Tiere koscher, also zu Verzehr erlaubt sind, Rinder zum Beispiel, und welche nicht,
Schweine zum Beispiel. Man darf Milchiges und Fleischiges nicht mischen, denn Gott
sagt in der Tora:
ZITATOR BIBEL:
„Du sollst nicht kochen das Böcklein in der Milch seiner Mutter.“
ERZÄHLERIN:
Die rabbinische Überlieferung hat die Gebote der Tora im Laufe der Jahrtausende
ausführlich kommentiert. Sie wird von orthodoxen Juden als absolut verbindlich
angesehen, von liberalen Juden weniger; das Judentum ist sehr vielseitig.
Auch im Judentum äußern sich Gottes- und Nächstenliebe nicht nur im Einhalten der
Ritualgesetze.
Was alle verbindet, was auch Nichtjuden fasziniert, ist der kulinarische Reichtum der
jüdischen Küche, der sich Einflüssen aus sehr vielen Ländern verdankt. Das Judentum
hat eine sehr sinnenfrohe Seite. Es gibt sehr viele Feste mit gutem Essen; jeder
Sabbat ist ein Fest. Rituelle Disziplin und kulinarischer Genuss vertragen sich sehr gut.
In keiner anderen Religion sind Kochen und Essen so wichtig. Und auch der Jude Jesus
von Nazareth hat sehr gern getafelt, so überliefert es der Evangelist Lukas.
ZITATOR LUKAS-EVANGELIUM:
“Des Menschen Sohn ist gekommen, isst und trinkt; so sagt ihr: Siehe, der Mensch ist
ein Fresser und Weinsäufer, der Zöllner und Sünder Freund!”
ERZÄHLERIN:
Jesus verstößt häufig gegen Ritualgesetze, wenn sie ihn daran hindern, den Menschen
nahe zu sein. Während die Recht- und Strenggläubigen seiner Zeit nicht nur Speisen,
sondern auch Menschen in rein und unrein unterteilen, schließt Jesus niemand aus,
auch die sozialen Außenseiter, die Verachteten und Deklassierten nicht. Und viele
Juden finden das gut. Schon damals gab es nicht nur Hardliner.
12 O-TON PROF. FUCHS
Die Tischgemeinschaften sind sehr unterschiedlich. Er sitzt mit Hohen und Niedrigen
zusammen, mit Frommen und mit Sündern. Letzteres wurde ihm auch zum Vorwurf
gemacht. Er zieht da also keine Grenzen. Es ist ein Symbol für die Offenheit des
Reiches Gottes, das ist für jeden offen, der glaubt, und die Tischgemeinschaften sind
offen für alle.
ERZÄHLERIN:
… sagt der Liturgiewissenschaftler und Publizist Guido Fuchs, Leiter des Instituts für
Liturgie- und Alltagskultur in Hildesheim, zu dem auch die Forschungsstelle Religion
und Kulinaristik gehört.
Jesus will keine neue Religion gründen. Er will eher zu den Wurzeln zurück, zu den
Zehn Geboten, zu der Gottes- und Nächstenliebe, die auch das Judentum kennt und
bezieht daraus sein ganz eigenes Sendungsbewusstsein. Noch über dem letzten
Abendmahl, das Jesus gemeinsam mit seinen Jüngern in der Nacht vor der Kreuzigung
feiert, liegt der Abglanz seiner Gastmähler; es war wohl ein jüdisches Pessachfest.
Beim Brotbrechen, beim Weintrinken gibt er sich selbst zur Speise: Das ist mein Leib,
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das ist mein Blut. Sein Tod wird das Reich Gottes nicht durchstreichen, sondern
beglaubigen und stärken.
13 O-TON PROF. FUCHS
Das und auch die vielen anderen Mahlzeiten, das Mahlhalten mit den Menschen, waren
den Christen so wichtig, dass sie es als Zeichen übernommen haben und sich in
diesem Tun, in diesem Zeichen an Jesus Christus erinnert haben und ihn bei sich
gegenwärtig wussten. Das letzte Abendmahl ist ja von besonderer Bedeutung, aber es
geht insgesamt um das Mahlhalten Jesu an sich als Zeichen.
ERZÄHLERIN:
Die ersten Christen feierten das Abendmahl in Gedächtnis Jesu nicht mit Wein und
Oblate, sondern als richtiges Sättigungsmahl. Dabei aber gab es ständig Streit:
Judenchristen wollten die Speisegesetze ganz selbstverständlich einhalten,
Heidenchristen kannten sie gar nicht. Paulus versucht im Römerbrief für Ruhe zu
sorgen.
ZITATOR PAULUS:
„Es soll doch nicht verlästert werden, was ihr Gutes habt. Denn das Reich Gottes ist
nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen
Geist."
ERZÄHLERIN:
Die paulinische Theologie deutet den Tod Jesu als Sühneopfer und Gnadengabe
Gottes, als neuen Heilsweg, der sich im Auferstandenen offenbart und nicht nur Juden,
sondern allen Menschen offensteht. Der Monotheismus wird kosmopolitisch, Gottes
Gnade ist ein Geschenk für alle, niemand muss sich mehr durch Ritualgesetze vor ihm
rechtfertigen. Das Alltagsessen wird zu einer profanen Angelegenheit.
14 O-TON PROF. FUCHS:
Warum man vielleicht trotzdem sagen kann, es handelt sich um eine Speisereligion,
ist, weil ja ein Mahl oder das Mahlhalten im Mittelpunkt der kirchlichen Feiern stehen
und nicht nur ein Teil der Feiern ausmachen, sondern die Feierform schlechthin ist, der
Höhepunkt des kirchlichen Feierns. Wobei es nicht um das Mahl an sich geht, sondern
das Mahl ist ein Zeichen der Gegenwart für Christi Hingabe in Tod und Auferstehung
an die Menschen, was im Mahl vergegenwärtigt und symbolisiert wird.
ERZÄHLERIN:
Um die Gegenwart Christi in der Eucharistie nicht durch leibliche Genüsse zu
überschatten, einigte sich die Kirche im Laufe der Jahrhunderte auf Wein und Oblate.
15 O-TON PROF. FUCHS:
Es blieben nur die äußeren Nahrungselemente, es kamen andere Aspekte stärker
hinein, der Opfergedanke, der mit diesem Mahl verbunden ist, trat dadurch stärker in
den Vordergrund.
ERZÄHLERIN:
Die christliche Spiritualität, die in Wein und Oblate bedeutende Symbole gefunden hat,
hat sich stärker von Leib und Materie distanziert und die sakrale von der weltlichen
Sphäre deutlicher unterschieden. Das ist befreiend, hat aber auch leibfeindliche
Tendenzen befördert. Das christliche Abendmahl sollte einigend wirken, hat aber
Streit, Krieg, Judenpogrome und Spaltungen nicht verhindern können; bis heute
trennt es die Konfessionen.
Aber auch die Christen wissen natürlich, dass man von Wein und Oblate allein nicht
satt wird. Auch sie wollen Glaubensinhalte handfest und schmackhaft erfahren.
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Auch Christen haben Speise- und Festrituale entwickelt, die nicht von den biblischen
Speisegeboten, aber von kirchlichen Traditionen, Brauchtum und Volksfrömmigkeit
geprägt sind. Oft genug sind jüdische Einflüsse zu erkennen. [Chanukka und
Weihnachten sind beides Lichterfester, und hier wie dort wird Gans gegessen.] Ostern
ist vom Pessachfest inspiriert.
15 O-TON PROF. FUCHS
Es ist ja so, dass Tod und Auferstehung Jesu im zeitlichen Zusammenhang mit einem
jüdischen Pessachfest standen, zu dem damals auch ein Lamm gehörte, ein
geschlachtetes Lamm. Und schon Paulus sagt ja, als unser Osterlamm ist Christus
geschlachtet worden. Es war naheliegend, dass man das auch im Laufe der Zeit im
Essen ausgedrückt hat. Und zwar durch ein Lamm, das es an Ostern gab. Nicht überall
gabs das, Lammfleisch. Man hat sich vielfach überhaupt mit Fleisch und Schinken
begnügt, der dann auch zur Weihe mitgebracht worden war an Ostern. Es gibt sogar
den Begriff des Osterschinkens, den man da als Ersatz für das Lammfleisch
genommen hat.
ERZÄHLERIN:
Religiöse Bräuche und Rituale sind inzwischen auf dem Rückzug. Säkulare Menschen
müssen sich ihren Lebenssinn selbst suchen – und auch sie tun das oft beim Kochen
und Essen.
Den modernen Ernährungslehren geht es um Lifestyle und Gesundheit, aber auch um
Tierschutz und Welternährung, um eine gerechte und umweltschonende Genusskultur.
Auch hier verhärten nicht selten die Fronten. Mit dem Essen ist es eben schwierig, es
verbindet Menschen und es trennt sie voneinander. Und doch bietet jeder gedeckte
Tisch die Möglichkeit, das Essen, Gott und die Welt gemeinsam zu genießen.
STOPP
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