Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, der Friede Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen. Der Altar steht nackt da. Alles Festliche ist abgeräumt. Die Lichter sind aus. Es herrscht eine außergewöhnliche Stimmung hier vorne. Wenn ich den Blick schweifen lasse, fällt mir auf, dass auch der Teppich nicht da ist. Alle Farbe ist weg. Nur der kalte Stein ist noch da. Es sieht ungewohnt einsam hier vorne aus. Liebe Gemeinde, Karfreitag ist Feiertag. Daran wird sich wohl in Deutschland auf absehbare Zeit nichts ändern. Aber kann ich eigentlich sagen, ich feiere Karfreitag? Oder muss es besser heißen: Ich begehe den Tag von Jesu Kreuzigung? Erinnere mich an die Geschichten von seinem Tod. Erinnere mich an den Schmerz Jesu am Kreuz und an seine Verlassenheit. Was lässt sich da denn feiern? Der Predigttext für den diesjährigen Karfreitag steht bei Mt 27,33-50. Ich lese die Lutherübersetzung. Und als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das heißt: Schädelstätte, 34 gaben sie ihm Wein zu trinken mit Galle vermischt; und als er's schmeckte, wollte er nicht trinken. 35 Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum. 36 Und sie saßen da und bewachten ihn. 37 Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der Juden König. 38 Und da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken. 39 Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe 40 und sprachen: Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz! 41 Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: 42 Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen. Ist er der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz herab. Dann wollen wir an ihn glauben. 43 Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn. 44 Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren. 45 Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. 46 Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? 47 Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia. 48 Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. 49 Die andern aber sprachen: Halt, laß sehen, ob Elia komme und ihm helfe! 50 Aber Jesus schrie abermals laut und verschied. Die Szenerie, die Mt hier vor Augen führt hat es in sich. Da treten jede Menge Menschen auf. Menschen, die ihm Wein geben wollen, da teilen einige seine Kleider unter sich auf, andere bewachen ihn. Außerdem sind Schriftgelehrte, Hohepriester und Älteste zugegen. Es werden zwei Räuber mit ihm zusammen gekreuzigt und etliche Passanten kommen vorüber. Es ist auch nicht ruhig. Geschweige denn leer. Menschen diskutieren und tauschen sich aus über den, der da am Kreuz hängt. Und über dessen Kopf geschrieben steht: König der Juden. (Sie reden über seinen Kopf hinweg) Und Jesus? Jesus ist allein. Von seinen Anhängern keine Spur. Schon im Garten vor seiner Verhaftung schliefen sie ein. Petrus verleugnet ihn vor dem Gerichtsgebäude und weint danach bitterlich. Er ist mit sich selbst beschäftigt. Nur ein paar Frauen haben sich auch mit zur Schädelstätte getraut und schauen dem Treiben von Ferne zu. So wie Mt das hier erzählt, dreht sich zwar alles um Jesus, aber keiner wendet sich ihm ernsthaft zu. Er ist einsam. Er stirbt allein. Und Jesus fühlt sich auch allein und verlassen. Er schreit laut um Gottes Nähe. Er schreit laut und stirbt. Was bleibt ist die große Menschheitsfrage. Was bleibt ist das WARUM. Matthäus erzählt die Geschichte von Jesus anders als wir das eben im Evangelium bei Johannes gehört haben. Er betont, dass Jesus ganz Mensch ist. Erzählt davon, dass Jesus leiden musste und laut schreit. Schreien ist ja schon laut. Er betet nicht einfach nur. Jesus ruft auch nicht zu Gott. Jesus schreit laut. In seiner Verlassenheit erinnert sich Jesus an die Worte des 22. Psalms, den wir zu einem kleinen Teil vorhin gebetet haben. Er stimmt ein in altbekannte Worte und wendet sich an Gott. Damit öffnet er zugleich ein Fenster, das in den gesamten Psalm hineinführt. Er hadert damit, dass Gott einer ist, der Nähe zusagt und gleichzeitig Leid zulässt. Das große WARUM steht ganz am Anfang des Psalms. Etwas später trifft das Gebet genau auf Jesu Situation zu: Trocken wie eine Scherbe ist meine Kehle, und meine Zunge klebt mir am Gaumen, in den Staub des Todes legst du mich. Um mich sind Hunde, eine Rotte von Übeltätern umzingelt mich, sie binden mir Hände und Füsse. Zählen kann ich alle meine Knochen. Sie aber schauen zu, weiden sich an mir. Sie teilen meine Kleider unter sich und werfen das Los um mein Gewand. Du aber, HERR, sei nicht fern, meine Stärke, eile mir zu Hilfe. In aller Einsamkeit, in der Nähe des Todes, lässt sich nichts mehr sagen. Der Mund ist trocken, das große Treiben am Ort des Sterbens wirkt feindlich für Jesus und doch schreit er mit Worten dieses Gebets. Eines Gebets, das ganz am Ende sich geborgen weiß in Gottes Hand, der die ganze Welt in Händen hält. Indem Jesus seine Verlassenheit an Gott richtet, rechnet er damit, dass Gott seine Stärke ist. Er rechnet damit, dass er zu Hilfe eilt. Wenn ich mich heute erinnere an dieses Sterben, was bleibt dann? Für mich ist es Jesu Ringen um Gottes Beistand. Ich erinnere mich daran, dass Jesus selbst... Vielleicht mit dem Evangelium von heute – Selbst Jesus… weiß, wie es ist ganz einsam und verlassen zu sein. Jesus kennt die Schmerzen, die zu meinem und deinem Leben dazu gehören. Gottverlassenheit und Einsamkeit ist hier sicher mehr als nur im wörtlichen Sinne zu verstehen. Ich höre da auch mit, dass Lebensträume platzen, wenn Partner unfruchtbar bleiben oder Familien auseinanderfallen. Wenn Menschen an ihrem Arbeitsplatz gemobbt werden und immer nur über ihren Kopf hinweg gesprochen wird. Aber sicher auch, wenn Menschen tatsächlich einsam sind, weil sie ihr Bett nicht verlassen können oder sich in einem schwarzen Loch vergraben und keine Lebensperspektive mehr sehen. Wenn ich heute Karfreitag begehe und mich an diese Geschichte erinnere, dann höre ich auch auf das, was die Gegner von Jesus sagen. Die Hohenpriester und Schriftgelehrten, die dort vorm Kreuz stehen. Sie erinnern an das Leben von Jesus. An seine Heilungen und Verheißungen. „Andern hat er geholfen, aber sich selbst kann er nicht helfen.“ Positiv gewendet: Er hat anderen geholfen. Er ist Menschen nahe gekommen und hat sie mit genommen in die Gemeinschaft von Essen und Trinken und gemeinsamen Nachdenken über Gott uns seine Welt. Er hat sie nicht allein gelassen, sondern in die Mitte der Gemeinschaft aufgenommen. Zum Tod von Jesus gehört mE beides. Die Erinnerung an das Leben von Jesus und die Erinnerung an das Kreuz. Was stünde denn in der Sterbeanzeige in der heutigen Zeitung? Sicher nicht, dass er schmerzvoll und einsam gestorben ist. Sondern sich vielmehr alles, was sich schönes erinnern lässt. Dass er phantastisch erzählen konnte und den Menschen Mut gemacht hat. Dass er Menschen geheilt hat und einen kleinen Ausblick auf den Himmel auf Erden ermöglicht hat. Schließlich vielleicht auch eine Erinnerung an die bunten Essen mit Fisch und Broten draußen auf der Wiese oder mit guten Streitgesprächen über Gottes Gebote drinnen im Haus. Und gleichzeitig die Erinnerung an die Gottverlassenheit, die Jesus am Kreuz gespürt hat. Ich verbinde damit die Zusage, dass Christus ganz genau weiß, wie es ist Mensch zu sein. Sogar die Gottverlassenheit hat er zu spüren bekommen. Wenn wir in seinem Namen zu Gott beten, haben wir einen Anwalt, der zu spüren bekommen hat, was es heißt Mensch zu sein. Vielleicht ist dieser Gedanke auch etwas, was mich an Karfreitag feiern lässt. Gott hat mich nicht nur im Mutterleib bereitet, er ist (in Jesus) auch durch die Einsamkeit des Todes gegangen. Damit habe ich in all meinem Leiden und meinen eigenen Schmerzen im Leben einen Fürsprecher bei Gott, der weiß, was es bedeutet auf meiner Seite zu stehen und was alles dazu gehört. Das Leid und die Schmerzen werden nicht schön geredet und weggewischt. Es gehört dazu, dass wir es aushalten, wenn hier vorne alles kahl und kalt aussieht. Wenn die Farben fehlen und das Licht. Alles Leid hört nicht auf – auch nicht mit Ostern. Bis Christus wieder kommt und unsere Hoffnung Wirklichkeit werden lässt, müssen wir das Leid aushalten und die Klage offenhalten. Darum klagt Jesus vor Gott und deshalb klagen wir vor Gott. Warum Gott? Warum? Jesus gibt jedem und jeder von uns ein Gebet mit auf den Weg für schwere Zeiten, indem er in die Worte von Psalm 22 einfällt. Dabei lässt es mich aufhorchen, dass Gottverlassenheit und Gottes Hilfe und Rettung in einem Zuge zur Sprache kommen. Gott ist einer der sich bitten lässt und erhört. Gott ist einer, der nahe kommt und rettet. Amen. Valentin Kwaschik Es gilt das gesprochene Wort.