Maschinist der Herzen - Kalaidos Fachhochschule

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12. September 2015
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Maschinist der Herzen
Moderne Herz-Lungen-Maschinen sind Hightechgeräte, deren Steuerung
spezialisierte Profis verlangt: die Kardiotechniker zum Beispiel Kirk Graves.
Nun soll deren Ausbildung vereinheitlicht werden.
Nicola Brusa
Später herrscht hier ein Gedränge. Mittendrin wird Michele Genoni stehen,
angeschlossen an einem blauen Schlauch, der seine Stirnlampe über Glasfasern mit
Licht speist. Operation am offenen Herzen: Eine Aortenklappe wird ersetzt und ein
Bypass gelegt.
Jetzt, um 7 Uhr, ist der Operationssaal Nummer 7 des Triemlispitals weitgehend leer.
Im Vorraum ist die Anästhesie an der Arbeit, leitet die Narkose ein, zwei
Operationsassistenten schieben Rollwagen um Rollwagen mit Operationsbesteck und
-material in den kühlen Raum. Unter der Herz-Lungen-Maschine (HLM) liegt Kirk
Graves, feine Brille, knallgrüne Crocs, und sucht nach dem Leck. Der Kardiotechniker
ist einer der Ersten im Operationssaal (OP). Auf dem Boden wird die Lache mit der
wässrigen Infusionslösung immer grösser. -Einige Stunden später wäre es eine
Blut-lache, und Kirk Graves hätte ein Problem. Mit ihm der Herzchirurg und -natürlich
der Patient. An Kirk Graves -Maschine hängt sein -Leben.
Chirurgen an den Pumpen
Michele Genoni sagt, ohne Kardiotechnik könnte eine Vielzahl von Herzoperationen
nicht durchgeführt werden. Nämlich all diejenigen, für die das Herz abgestellt wird.
Der Chefarzt der Herzchirurgie am Stadtspital Triemli sitzt einige Tage vor dem
Eingriff am kleinen Besprechungstisch in seinem Büro und erinnert sich: Als er als
junger Assistenzarzt das erste Mal bei einer Herzoperation dabei war, war sein
damaliger Chef, Marko Turina, noch selbst in der Lage, eine Herz-Lungen-Maschine zu
bedienen. Es seien relativ simple Konstruktionen gewesen. Seither hat sich die
Technik rasant entwickelt. Sie ist nicht nur viel besser, sondern auch viel komplexer
geworden «heute verstehe ich noch das Prinzip», sagt Genoni. Doch die Bedienung
bedarf einer eigenen Ausbildung.
Bisher hat jedes Spital Kardiotechniker selber und nach seinen eigenen Vorstellungen
ausgebildet. Ein Zustand, der dem Gewicht der Kardiotechnologie nicht gerecht wird,
wie Genoni und die Schweizerische Fachgesellschaft für Herz- und thorakale
Gefässchirurgie fanden. Also riefen sie einen neuen Master-Studiengang ins Leben:
den MAS of Cardiovascular Perfusion.
Der Operationssaal 7 füllt sich allmählich mit Menschen und Material. Die
Herz-Lungen-Maschine erwacht langsam zum Leben. Sie ist ein technisches
Kunstwerk, ein Gewirr von Schläuchen und Kabeln, «ein Gnusch», sagt Graves, eine
Ansammlung von Behältern, Pumpen, Ventilen, Bildschirmen. Graves hat sie mit
Infusionslösung gefüllt, um das System luftfrei zu machen. Schritt für Schritt nimmt er
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Infusionslösung gefüllt, um das System luftfrei zu machen. Schritt für Schritt nimmt er
die HLM in Betrieb und prüft sie immer wieder. Damit er mit gutem Gefühl «an den
Start gehen» kann: die heikelste Phase, wenn die hoch-komplexe Maschine, 300000
Franken teuer, die Funktion des Herzens übernimmt und den Kreislauf des Patienten
aufrechterhält, wenn Blut die Infusionslösung aus den Schläuchen drängt und das
System langsam rot einfärbt.
Mitten im Maschinenpark
Kirk Graves sitzt auf der Kante eines blauen Bürostuhls. Jemand hat mit Filzstift
«Regie» und darunter «Kardiotechnik» auf die Lehne geschrieben. Graves prüft, ob die
Maschine Alarm schlägt, wenn er Schläuche knickt, tippt Werte und Daten ins System.
Mit einer Klemme klopft er immer wieder an die einzelnen Teile der Maschine, damit ja
keine Luft mehr im System ist. Der Maschinenpark im OP sei über die Jahre immer
grösser geworden, sagt Graves. Wenn er erzählt und erklärt, streut er dann und wann
ein «Well» ein.
Der 65-Jährige hat seine Ausbildung zum Kardiotechniker in den USA begonnen, 1968
in einem Militärspital. 1981 kam er in die Schweiz, arbeitete erst als Heilpädagoge,
bevor er am Universitätsspital Zürich wieder «zur Medizin zurückkehrte» und als
Kardiotechniker anheuerte. Seit 13 Jahren arbeitet er nun im Triemli, bald wird er
pensioniert.
«Früher haben die Herzchirurgen die Maschine noch selbst bedient. Heute
verstehe ich noch das Prinzip.» Michele Genoni, Chefarzt Herzchirurgie
Als kurz vor 11 Uhr Michele Genoni den Operationssaal betritt, ist dieser rappelvoll.
Unzählige Maschinen piepsen, die Pumpen der Herz-Lungen-Maschine surren leise auf
Kommando Genonis leitet Kirk Graves die kardioplegische Lösung ins Herz. Wenige
Momente später steht dieses still. Nun übernimmt die Maschine die Funktion des
Herzens. Das Blut wird aus dem Körper durch die Maschine und zurück in den Körper
geführt. Die Herz-Lungen-Maschine (die eigentlich Herz-Lungen-Nieren-Maschine
heissen müsste) sorgt dafür, dass der Körper und vor allem das Gehirn weiterhin mit
Blut und damit mit Sauerstoff versorgt werden. Daneben kühlt sie das Blut und senkt
damit die Körpertemperatur, reichert das Blut mit -Sauerstoff an und filtriert es durch
eine künstliche Niere. Die Herz-Lungen-Maschine, sagt Graves, habe bei einer
Operation eigentlich die grösste Auswirkung auf den Körper.
Hinhören reicht ihm eigentlich
Ruhig und konzentriert arbeiten die Chirurgen, Graves reckt immer mal wieder den
Kopf über den Operationstisch. Visuelle Kontrolle, denn eigentlich reicht ihm Hinhören:
Er kennt die Operationen, die Abläufe auswendig. Anhand der Instrumente, die Genoni
wünscht, weiss Graves, welcher Schritt als nächster ansteht. Genoni dirigiert leise.
«Rot max.» «Vene drosseln.» «Blau zurück.» Das Herz liegt ruhig im Brustkorb des
Patienten, Graves justiert die Pumpgeschwindigkeit und damit das Volumen,
kontrolliert und korrigiert den Sauerstoffgehalt im Blut, hat ein Auge auf die
Gerinnungswerte.
Der zweite heikle Moment ist die «Rückgabe» von der Maschine an den Körper, an das
Herz. Die oberste Linie auf dem grossen Bildschirm beginnt auszuschlagen.
Die Kombination von technischer und klinischer Komponente fasziniere ihn, sagt Kirk
Graves, als er mit Aufräumen beginnt. Nebenan macht sich die Assistenzärztin daran,
den Brustkorb zu schliessen. Im Hintergrund diktiert Genoni den Operationsbericht.
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Mit System zum Kardiotechniker
Erstmals wird in der Schweiz eine einheitliche, systematische Ausbildung für
Kardiotechniker angeboten: der MAS in Cardiovascular Perfusion. Aufgebaut haben
den Studiengang die Gesellschaft für Herzchirurgie (SGHC) und die Gesellschaft für
Perfusionstechniken (SGfP), zusammen mit den Kliniken mit einer Herzchirurgie und
in Zusammenarbeit mit der privaten Zürcher Fachhochschule Kalaidos. Neben den
öffentlichen Spitälern beteiligt sich auch die private Hirslanden-Gruppe an der
Ausbildung. Sie richtet sich an Personen, die bereits im medizinischen Bereich
arbeiten. Das Studium besteht aus 15 Modulen à zwei Monaten und ist typisch
schweizerisch: Es vereint Theorie und Praxis, Studium und Arbeiten.
Michele Genoni, Chefarzt der Herzchirurgie am Triemli, hat die neue Ausbildung
mitinitiiert. Er sagt, der Stellenwert der Kardiotechnik sei in den letzten Jahren
gestiegen und er werde weiter steigen. Heute bedienen Kardiotech-niker nicht einfach
die Herz-Lungen-Maschine während einer Operation, sondern sind Mitglieder des
Kardioteams: Ihre Einschätzung fliesst bei der Beurteilung und Behandlung mit ein.
Am Triemli entnehmen die Kardiotechniker zudem die Venen und Arterien für die
Bypasschirurgie. Kardiotechniker sind nicht nur im OP tätig: Sie betreuen Pa-tienten
mit Kreislaufproblemen auf der Intensivstation, sie arbeiten im Bereich der
Chemotherapie mit.
Michele Genoni sieht im neuen Studiengang einen Beitrag gegen den
Fachkräftemangel. Bisher würden die Kliniken ihre Leute selber ausbilden weitgehend
ohne System. Entsprechend fehlten auf dem Markt gut ausgebildete, junge
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Kardiotechniker. Zudem sei tendenziell eine Überalterung bei dieser Berufsgruppe
auszumachen – der Bedarf werde in den nächsten Jahren also noch steigen. Der
Studiengang entspricht den europäischen Kriterien; dort gibt es die Berufsausbildung
des Kardiotechnikers bereits. Kalaidos wurde vom European Board of Cardiovascular
Perfusion (EBCP) akkreditiert. Als Stärke sieht Genoni die Unabhängigkeit von der
Industrie. Die Finanzierung der neuen Ausbildung geschieht über die Klinken.
Limitierendes Element der neuen Ausbildung sind derzeit die Praktikumsplätze.
Vorerst sollen jährlich sechs bis acht Kardiotechniker ausgebildet werden, der erste
Studiengang startet im kommenden Oktober. In der Schweiz gibt es rund 75 Stellen.
(bra)
© Tages-Anzeiger
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