Fastenpredigten 2009 St. Mariä Himmelfahrt, Buer & St. Konrad „Aus Gnade seid Ihr gerettet“ – Paulus und die Gnade 4. Fastensonntag – 22.03.2009 In diesem Jahr befassen wir uns in der vorösterlichen Bußzeit mit der Person und der Theologie des Apostels Paulus. Wir feiern seinen 2000.Geburtstag und das ist gewiss ein guter Anlass, uns ein wenig mit Paulus vertrauter zu machen. Nach den zentralen Begriffen von „Freiheit“ und „Kreuz“ geht es heute um den Begriff der „Gnade“. Wenn man eine Konkordanz, das ist ein Stichwortverzeichnis der Bibel zur Hand nimmt, und das Wort „Gnade“ aufschlägt, fällt sofort ins Auge, dass ein Viertel aller Fundorte für das Wort „Gnade“ bei Paulus zu finden sind. In seinen Schriften wimmelt es gleichsam von „Gnade“. Das kann ganz beiläufig sein im Eingangsgruß eines seiner Briefe, die er oft beginnt mit „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ (Röm 1,7). Das sind Segenswünsche und Abschlußworte, wie etwa die „Gnade Jesu, unseres Herrn, sei mit euch“ (Röm 16,20). Neben solchen eher formelhaften Verwendungen findet sich „Gnade“ bei Paulus dann aber vor allem im Zentrum seiner Verkündigung. So wie vorhin, was wir in der Lesung aus dem Epheserbrief hörten: „Aus Gnade seid ihr gerettet… aus Gnade seid ihr durch den Glauben gerettet, nicht aus eigener Kraft – Gott hat es geschenkt – nicht aufgrund eurer Werke, damit keiner sich rühmen kann.“ (Eph 2,5b.8-9). Aus Gnade seid ihr gerettet – was löst diese Zusage des hl.Paulus in uns aus? Gerettet zu sein – das ist eine wunderbare Botschaft. So etwas zu hören, das tut uns gut, das schenkt uns Ruhe und Frieden. Und tatsächlich trägt das Wort „Gnade“ von seiner mittelhochdeutschen Herkunft genau diese Bedeutung in sich: Rast, Ruhe, Behaglichkeit, Freude, Gunst, Huld. Aber bei etwas Nachdenken, kann das Wort von der Gnade in uns auch noch etwas anderes bewirken. Nämlich ein gewisses Unbehagen. Ist Gnade nicht irgendwie das Gegenteil von Gerechtigkeit. Wenn ich auf etwas ein Anrecht habe, wenn ich mir etwas verdient habe, dann bin ich nicht auf Gnade angewiesen. Ich meine, Gnade ist ja ganz schön und gut – aber irgendwie ist Gnade doch auch eine ziemlich unsichere Angelegenheit. Wir kennen das ja z.B. aus dem Bereich der Rechtsprechung: da kann man zwar begnadigt werden – aber auf Gnade bauen, sich auf sie verlassen, das kann man eben nicht. Ganz im Gegenteil: Gnade ist immer auch ein Stück Willkür. Derjenige, der Gnade vor Recht ergehen lässt, an dessen Daumen hänge ich – und je nach Lust und Laune geht die Daumenspitze nach oben oder sie senkt sich nach unten und mein Schicksal ist besiegelt… Auch hier ist Gnade im Spiel. Ist es das, was Paulus uns sagen will: Ihr habt irgendwie noch einem Massel, Glück gehabt. Ihr habe bei Gott irgendwie zufällig Gnade gefunden. Eigentlich habt ihr das alles ja gar nicht verdient – nicht durch eure Werke seid ihr gerecht, sondern ihr seid aus Gnade gerettet. Ein willkürlich handelnder Gott, der zufällig gerade Lust hatte, den Daumen nach oben zu halten? Nein, das ist ganz und gar nicht die Botschaft des heiligen Paulus – und das ist vor allem nicht das, was er uns von Gott verkündet. Um das einordnen und verstehen zu können, müssen wir zunächst noch einmal darauf schauen, wer Paulus überhaupt ist. Er sagt einmal von sich selbst: „…am achten Tag beschnitten, stamme ich aus dem Volk Israel, aus dem Stamme Benjamin, ein Hebräer von Hebräern, der Gesetzestreue nach ein Pharisäer, ein fanatischer Verfolger der Gemeinde, der Gesetzesgerechtigkeit nach untadelig.“ (Phil 3,4ff). Neben der Aussage über seine ethnische Herkunft, ist das vor allem eine Einordnung seiner religiösen Wurzeln und seiner religiösen Weltsicht. Er ist Jude und zwar Pharisäer. Sein Glaube und sein Gottesbild sind davon zutiefst geprägt und durchdrungen. Er glaubt mit Eifer, bis hin zur Gewaltbereitschaft an diesen Gott des Bundes, dessen Wesen Gerechtigkeit ist. Und zwar Gerechtigkeit in folgendem Sinne: Gott schließt eine Bund mit dem auserwählten Volk Israel. In diesem Bund, fokussiert in den zehn Geboten und ausgelegt in den unzähligen Gesetzesvorschriften des jüdischen Glaubens, Seite 1 bindet sich Gott an sein Volk und umgekehrt. Die Erfüllung der einzelnen Gesetze und Vorschriften ist das notwendige Werk des gläubigen Menschen. Damit zeigt er Gott seine Bundestreue. Und Gott beweist in der Geschichte seine Bundestreue, indem er seinem Volk beisteht, es segnet, beschützt und es so zum „Zeichen für die Völker“ werden lässt. Die Verbindung zwischen Gott und Mensch ist das Gesetz und seine Befolgung. Das ist die einzige und tragfähige Verbindung und Brücke zwischen Himmel und Erde. In dieses religiöse Verständnis des Paulus – oder sagen wir: des Saulus – bricht nun auf einmal eine Gruppe von ehemals jüdischen Glaubensgenossen. Sie haben sich mehr und mehr vom Glauben der Väter entfernt und werden nach ihrem Anführer „Christen“ genannt. Und diese Leute treten in den jüdischen Gemeinden auf und behaupten: es gibt noch eine ganz andere Verbindung zwischen Gott und Mensch, zwischen Himmel und Erde: nicht tote Gesetzesbuchstaben, sondern etwas ganz lebendiges – eine Person: Jesus von Nazaret, Jesus, der Christus, Jesus, der Sohn Gottes. In ihm ist der Zugang zu Gott für alle Menschen möglich. Für Saulus ist das eine Ungeheuerlichkeit. Für ihn steht sein ganzer Glaube auf dem Spiel. Sein Welt- und Glaubensbild wird zutiefst bedroht. Seinem Naturell entsprechend geht Saulus zum Gegenangriff über. Er verfolgt diese Christen, diese Irrlehrer. Er verfolgt sie mit Worten und sogar mit dem Schwert. Doch dann geschieht etwas, das für Saulus zu dem entscheidenden Augenblick seines Lebens wird: sein Damaskus-Erlebnis. Vor den Toren von Damaskus erscheint ihm in einer Vision Christus. „Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“ Saulus fällt von seinem hohen Ross – er fällt nicht ins Bodenlose, sondern er landet in den Händen eines liebenden Gottes und auf dem Boden eines erneuerten Glaubens. Aus dem eifernden Saulus wird ein eifernder Paulus, ein Mensch, der sich in seinem Glauben zu Jesus Christus bekennt und ihn jetzt der ganzen Welt und allen Völkern verkünden will. Es gibt viele theologische Spekulationen, was vor den Toren von Damaskus mit Paulus geschehen ist. In seinen zahlreichen Schriften tritt uns ein Mensch entgegen, der wie ein Genötigter den Glauben an Gott verkündet. Für ihn hängt dabei alles an Jesus Christus. Paulus hat – genau wie wir alle – den historischen Jesus von Nazaret nicht gekannt. Er ist ihm niemals begegnet. Auch dem Auferstandenen ist Paulus nicht begegnet. Es ist die Vision, die Erscheinung Christi vor Damaskus, die für Paulus den Glauben und das Leben verwandelt hat. Und es ist das Glaubenszeugnis der Christen, der Apostel, man könnte auch sagen, das Zeugnis der Kirche, das Paulus zum Glauben an Jesus Christus, den Auferstandenen, führte. Die visionäre Begegnung mit Christus nötigte Paulus, ja, sie zwang ihn geradezu, diesen auferstandenen Christus zu verkünden. Aber dieser „Zwang“ ist für ihn keine Fremdbestimmung, die ihn versklavt, sondern dieser „Zwang“ resultiert auf etwas ganz anderem. Er ergibt sich notwendigerweise aus der überwältigenden Liebeserfahrung, die Paulus in dieser Begegnung mit Christus macht. Diese Liebeserfahrung lässt Paulus zu sich selbst und ganz neu zu Gott finden. Er weiß jetzt zutiefst und es ist für ihn unwiderruflich wahr: Gott ist die Liebe. Und diese Liebe Gottes hat einen Namen und ein Gesicht: Jesus Christus, sein eingeborener Sohn. Der höchste Beweis der Liebe Gottes ist das Kreuz. Bis zum Kreuz geht Gott in seinem Sohn für uns, um uns seine Liebe zu bezeugen. Und an dieser Stelle ist es dann für Paulus auch um die Gnade geschehen: die Gnade ist immer nur die andere Seite der Liebe. Weil Gott die Liebe ist, ist er auch gnädig. Weil Gott uns Menschen bis zum äußersten, bis zur Selbsthingabe liebt, darum ist sein Wirken an uns immer auch gnädig. Gnade ist nicht eine zufällige Regung Gottes, sondern gnädig zu sein entspringt seinem Wesen. Darum ist die Beziehung von Gott und Mensch zutiefst von der Gnade Gottes geprägt. Kein Mensch kann aus seiner eigenen Kraft den Himmel erstürmen; das braucht er auch gar nicht, denn „aus Gnade seid ihr gerettet – durch den Glauben an Jesus Christus. Diese tiefe, existenzielle Glaubenserfahrung wird für Paulus zur großen Wahrheit seines Lebens. Darauf baut er alles auf. Und damit wird Paulus zum Glücksfall des Christentums, denn er führt es aus der Verhaftung in der Gesetzesreligion in die Freiheit. P. Christian M. Böckmann OSM Seite 2