Handout Vortrag vom 10.06.2010, 18.15 Uhr, Hörsaal A (Chemie), Universität Hamburg Prof. Dr. Mojib Latif Klimawandel in der Krise? Fällt die Klima-Katastrophe aus? So die Frage des Focus im Januar 2010. Das Magazin berief sich dabei auf Experten, die die Erde einer Abkühlungsphase entgegen gehen sahen. Auch in anderen Medien wie in der Welt und im Spiegel wurden in letzter Zeit starke Zweifel am vom Menschen gemachten Klimawandel laut. Für die vergangenen Monate lässt sich außerdem feststellen: Die durch den Menschen verursachte Erwärmung findet in den Medien zunehmend weniger Beachtung. Die Stimmung in den Medien schlägt sich auch in der Bevölkerung nieder, nicht nur in Deutschland. Noch im November waren 41 Prozent aller Briten vom menschengemachten Klimawandel überzeugt, Anfang Februar waren es nur noch 26 Prozent, berichtet etwa WeltOnline im Februar 2010. Und nach Spiegel Online am 29.3.2010 hatten 2006 noch 62 Prozent aller Deutschen „persönliche Angst“ vor der Veränderung des Klimas, im März 2010 nur noch 42 Prozent. Das Thema „Klimawandel“ steckt in der deutschen und internationalen Öffentlichkeit offensichtlich in einer Krise. Was sind die Gründe dafür? Vor allem drei Ereignisse könnten dazu beigetragen haben: 1. der misslungene Weltklimagipfel in Kopenhagen im Dezember 2009, 2. der kalte Winter 2009/2010 und die weitgehend ausgebliebene globale Erwärmung der letzten Jahre, 3. die Glaubwürdigkeitskrise der Klimaforschung und insbesondere des Weltklimarates IPCC. Prof. Dr. Mojib Latif, einer der bekanntesten und kompetentesten Klimaforscher in Deutschland, wird in seinem Vortrag zu diesen Themen Stellung beziehen. Vorankündigung Die Reihe wird im Schuljahr 2010/11 mit neuen Schwerpunkten fortgesetzt: n Prof. Dr. K. Heinke Schlünzen (Do., 16.09.2010): Klimawandel und Stadteffekte am Beispiel Hamburg, Heinrich-Hertz-Schule, Grasweg 72-76, Nähe U-Bahn Borgweg Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung n www.li-hamburg.de/klimaschutz Foto: J. Steffen Prof. Dr. Mojib Latif ist in der deutschen Medienlandschaft einer der gefragtesten Experten zum Klimawandel. Es ist ihm wichtig, die Öffentlichkeit über den Klimawandel aufzuklären, ob in Fernsehshows oder an Schulen. Prof. Latif ist in Hamburg geboren, war Schüler am Gymnasium Kaiser-Friedrich-Ufer, hat in Hamburg studiert und war in der Hansestadt lange Zeit als Wissenschaftler tätig. Nach seiner Habilitation für das Fach Ozeanographie im Jahr 1989 wirkte er bis 2003 als Forscher am MaxPlanck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Seine Spezialgebiete sind das El-Niño-Phänomen und Meeresströmungen in allen drei Ozeanen. Er war Herausgeber der bekannten Fachzeitschrift „Journal of Climate“ und erhielt für seine wissenschaftliche Tätigkeit zahlreiche Auszeichnungen. Seit 2003 arbeitet er als Professor am Leibniz-Institut für Meereswissenschaften an der Universität Kiel (IFM-GEOMAR). Hamburg Die Klimakonferenz von Kopenhagen An die Klimakonferenz von Kopenhagen im Dezember 2009 waren hohe Erwartungen gestellt. Die internationale Gemeinschaft sollte eine Reduktion der Treibhausgasemissionen beschließen, die die Steigerung der globalen Durchschnittstemperatur gegenüber dem vor­ industriellen Wert auf höchstens 2 Grad Celsius begrenzen würde. Nach vielen Diskussionen und Absichtserklärungen auf vorhergegangenen Konferenzen erhoffte man von Kopenhagen endlich verbindliche Beschlüsse. Damit sollten die 2012 endenden Verpflichtungen des Kyoto-Protokolls fortgeschrieben werden. Ergebnis der Konferenz war die „Kopenhagen-Vereinbarung“, eine politische Absichtserklärung einiger Staaten, die von den Konferenzteilnehmern „zur Kenntnis“ genommen wurde. Sie spiegelt den Minimalkonsens vor allem zwischen den USA und den vier großen Schwellenländern China, Indien, Brasilien und Südafrika wider. Positiv ist, dass sich erstmals eine große Gruppe von Industrie- und Entwicklungsländern zum 2-Grad-Ziel bekannt hat. Ein völkerrechtlich verbindliches Klimaabkommen wurde jedoch nicht erreicht. Bis zum 1. Februar 2010 sollten die Vertragsstaaten freiwillige Beiträge zur Minderung der Treibhausgasemissionen benennen. Die bisher eingegangenen Selbstverpflichtungen sind jedoch weit davon entfernt, das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Nach einer Untersuchung in der Fachzeitschrift Nature würden vielmehr über 3 Grad Temperaturzunahme die Folge sein. Ob die Ergebnisse von Kopenhagen nur einen Aufschub verbindlicher Abkommen zum Klimaschutz bedeuten oder gar das Ende von Verhandlungen unter dem Dach der UNO, wird die Zukunft zeigen. Prof. Latif jedenfalls zeigte sich in der ARD-Tagesschau von Kopenhagen „maßlos enttäuscht“. Notwendige Emissionspfade zur Erreichung des 2-Grad-Ziels 12 Emissionen: t CO2 pro Kopf und Jahr Pro-Kopf-Emissionspfade Ohne Emissionshandel 10 Mit Emissionshandel Industrieländer Schwellenländer Entwicklungsländer 8 6 4 2 0 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Jahr Abb. 1: Um das 2-Grad-Ziel zu erreichen, müssen die Industrieländer von ihren hohen Pro-Kopf-Emissionen schnell herunter kommen. (Quelle: eigene Darstellung nach WBGU 2009) Seite 2 Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie unter: nwww.bmu.de/15_klimakonferenz/doc/44133.php BMU: Klimakonferenz in Kopenhagen nwww.wbgu.de/wbgu_sn2009. html WBGU 2009: Kassensturz für den Weltklimavertrag nwww.klimawissen.de Zukünftige Klimaänderungen nwww.klimawissen.de Ursachen von Klimaänderungen Atmosphäre und Treibhauseffekt: Die Nordatlantische Oszillation nwww.klimawiki.org Atmosphäre: Nordatlantische Oszillation (NAO) nwww.naturgewalten.de/nao. htm NAO/AO/Golfstrom (AO = Arctic Osciallation) nwww.ifm-geomar.de/index. php?id=oz-on_nao Zur NAO am IFM-Geomar Kiel nwkserv.met.fu-berlin.de/Beilagen/Beilagen.htm Zum aktuellen Winter u.a. Themen von der FU Berlin nwww.wissenslogs.de/wblogs/ blog/klimalounge/klimadaten/2010-03-15/heisser-winter-2010 Zum kalten Winter 2009/10 von Stefan Rahmstorf Setzt der Klimawandel aus? Monatelang lag Deutschland im vergangenen Winter unter einer Schnee- und Eisdecke. Städten wie Hamburg ging das Streusalz aus; Frostschäden auf den Straßen verursachten ungewöhnlich hohe Kosten. Viele Menschen fragten sich, wie das mit der globalen Erwärmung zusammen passt. Dabei hatte Deutschland nur Pech gehabt: Es lag in einem Kälteloch, das sich von Sibirien bis nach Westeuropa erstreckte. Global dagegen war dieser Winter keineswegs ungewöhnlich kalt. Der ganze Norden Nordamerikas, Grönland, Nordafrika und andere Regionen erlebten sogar einen besonders warmen Winter. Und die globalen Mitteltemperaturen für Dezember bis Februar waren nach 2006/2007 die zweitwärmsten seit 1880. Dass dieser Winter für Europa so kalt ausfiel, lag an einer schwachen Nordatlantischen Oszillation (NAO). Dabei handelt es sich um eine durch das Island-Tief und das Azoren-Hoch gesteuerte Westströmung, die im Winter unser Wetter bestimmt und starken Schwankungen unterliegt. Der nächste Winter kann daher schon wieder deutlich milder ausfallen. Die Zweifel am Klimawandel wurden aber auch dadurch genährt, dass die globale Mitteltemperatur seit der Jahrtausendwende nicht merklich zugenommen hat, obwohl der CO2-Gehalt weiter angestiegen ist. Als Ursachen werden natürliche Schwankungen im Klimasystem diskutiert: die Sonneneinstrahlung, der Wasserdampfgehalt in der Stratosphäre oder Meeresströmungen. Seit dem letzten Maximum 2002 hat die Solarstrahlung deutlich abgenommen und befindet sich immer noch in einem ausgedehnten Minimum. Ein erhöhter Wasserdampfgehalt in der Stratosphäre könnte ebenfalls Ursache einer leichten globalen Abkühlung sein. Mojib Latif und Kollegen haben Schwankungen der Meeresströmungen für die ausbleibende Temperaturzunahme verantwortlich gemacht und sehen diesen Trend noch für einige Jahre anhalten. Konsens besteht jedoch bei allen Forschern darin, dass die globale Erwärmung durch solche natürlichen Schwankungen nur vorübergehend verdeckt und danach verstärkt weitergehen wird. 0,8 2005 0,6 Temperaturänderung in °C Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie unter: 0,4 30-Jahre-Trend 1998 2009 Bandbreite natürlicher Schwankungen 0,2 0,0 -0,2 1960 1970 1980 Jahr 1990 2000 2010 Abb. 2: Die globale Erwärmung schreitet unvermindert voran. Sie wird allerdings überlagert von natürlichen Schwankungen. (Quelle: eigene Darstellung nach NASA 2010) Seite 3 Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie unter: Kann man dem IPCC noch trauen? nwww.spiegel.de/spiegel/0,1518,686437,00.html Kritischer Artikel des Spiegel über den IPCC Nicht zuletzt ist das Thema „Klimawandel“ auch deshalb ins Gerede geraten, weil die Klimaforschung in der Öffentlichkeit ein Glaubwürdigkeitsproblem bekommen hatte. Es fing an mit einem Diebstahl von E-Mails des bekannten britischen Klimaforschers Phil Jones, aus denen eine Mani­pulation wissenschaftlicher Daten abgelesen wurde. Es gipfelte in der Entdeckung von Fehlern in den Berichten des Weltklimarates IPCC, der „Bibel“ der Klimaforschung. Der Intergovenmental Panel on Climate Change – kurz IPCC – gibt alle 6 bis 7 Jahre im Auftrag der Vereinten Nationen (UN) umfangreiche Sachstandsberichte der Forschung zum Klimawandel heraus. Der in die Kritik geratene letzte Bericht erschien 2007, der nächste wird 2014 erscheinen. nwww.wissenslogs.de/wblogs/ blog/klimalounge/mediencheck/2010-04-01/klimaforscher-bashing-beim-spiegel Reaktion von Stefan Rahmstorf auf den Spiegel-Artikel nwww.3sat.de/mediathek/mediathek.php?obj=16948 Rahmstorf und von Storch im 3sat-Interview zu der IPCCKrise Link zum Referenten: n w ww.ifm-geomar.de/index. php?id=mlatif Prof. Dr. Mojib Latif am IFMGEOMAR, Uni Kiel Dieser Vortrag ist Baustein einer Reihe im Rahmen des behördenübergreifenden Projektes „Klimaschutz an Schulen“. Projektleitung: Cordula Vieth Kontakt: Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) Christine Stecker Öffentlichkeitsarbeit Klimaschutz an Schulen Felix-Dahn-Str. 3 20357 Hamburg Tel. 0 40 / 42 88 42 - 344 Fax 0 40 / 42 88 42 - 609 [email protected] Vor allem die Behauptung in dem Asien-Teil des IPCC-Berichts über die Klimafolgen, dass bis zum Jahr 2035 etwa 80 Prozent der Himalaya-Gletscher abgeschmolzen sein werden, hat sich als unhaltbar erwiesen und Mängel im Arbeitsprozess des IPCC verdeutlicht. Als Quelle wurde eine WWF-Schrift von 2005 angegeben, die sich letztlich auf einen russischen Glaziologen berief. Allerdings ist der WWF-Studie ein Zahlendreher unterlaufen, den der IPCC unbesehen übernommen hat. Während der russische Glaziologe Kotliakow 1996 von einem entsprechenden Abschmelzen bis zum Jahre 2350 gesprochen hatte, war daraus beim WWF das Jahr 2035 geworden. Dass der Text einer Umweltorganisation ohne weitere Überprüfung der Quelle als Grundlage einer wissenschaftlichen Aussage genommen wurde, zeigt zumindest in diesem Punkt ein deutliches Problem in der Arbeitsweise des IPCC. Glaubwürdigkeit ist das höchste Gut, das die Wissenschaft gegenüber der Öffentlichkeit besitzt. Der Laie kann wissenschaftliche Erkenntnisse nicht nachvollziehen, sondern muss den Forschern „glauben“. Anderseits handelt es sich nicht um eine Kernaussage des IPCC-Berichts. Dass die gegenwärtigen Klimaänderungen primär durch die Emissionen anthropogener Treibhausgase verursacht wird, dass im 21. Jahrhundert mit einem Temperaturanstieg zu rechnen ist, wie die Menschheit ihn noch nie erlebt hat, dass das Eis der Erde, ob auf Grönland, den Polargebieten oder bei den Gletschern der Hochgebirge in einem nie erfahrenen Tempo abschmilzt und weiter abschmelzen wird, dass der Meeresspiegel gefährlich ansteigen wird usw., sind weiterhin gültige Aussagen des IPCC, die eine vielfach geprüfte wissenschaftliche Grundlage besitzen. Fazit Der kalte Winter 2010 und ein vorübergehendes Aussetzen des globalen Temperaturanstiegs können nicht darüber hinweg täuschen, dass der Klimawandel mit all seinen Folgen weitergeht. Wenn Klimaforscher vereinzelt Fehler machen, wie sie in jeder Wissenschaft vorkommen, besteht kein Grund, an ihren Kernaussagen zu zweifeln. Und das Versagen der Politik in Kopenhagen darf den Klimawandel nicht von der Tagesordnung nehmen, sondern sollte eher als Aufruf an die Gesellschaft und an jeden Einzelnen gesehen werden, das zu leisten, wozu die Politik sich nicht in der Lage zeigte. Autor: Dr. Dieter Kasang Unser aktiver Beitrag zum Schutz von Klima und Umwelt: Dieses Handout wurde auf Impact Climate Paper (komplett klimaneutral hergestellt aus 100% Altpapier) im Trockenoffsetverfahren (zertifiziert) ohne Wasser, Chemikalien und Isopropylalkohol im Herstellungsprozess gedruckt.