Neurobiologische Aspekte der medikamentösen Behandlung von

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Neurobiologische Aspekte
der medikamentösen Behandlung
von ADHS
Prof. Dr. Dr. Lioba Baving
Direktorin der Klinik für Kinder- und
Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
Zentrum für Integrative Psychiatrie
Neurobiologische Aspekte der
medikamentösen Behandlung von ADHS
Strukturell und funktionell veränderte Hirnregionen
bei ADHS-Patienten
Abweichende Neurotransmitter-Systeme bei ADHS
Methylphenidat
Amphetamin
Atomoxetin
Andere biologische Interventionen
ADHS-Symptome
Aufmerksamkeitsdefizit
Impulsivität
Motorische Hyperaktivität
Desorganisiertheit
Gedächtnisdefizite
Reizbarkeit
Impulsive Aggressivität
"Sensation seeking"
Klinisch heterogenes Bild!
Strukturell und funktionell veränderte
Hirnregionen bei ADHS-Patienten
Präfrontaler
Cortex
Anteriorer
cingulärer Cortex
Kleinhirn
Basalganglien
Präfrontaler Cortex (PFC)
Rechte Frontalregion bei ADHS-Patienten verkleinert
Castellanos et al. 1996, Overmeyer et al. 2001
Je kleiner der rechte PFC, desto schlechter können
Reaktionen auf irrelevante Reize unterdrückt werden
Casey et al. 1997
Stop-Aufgabe: ADHS-Patienten zeigten im rechten PFC
geringere Aktivität als Gesunde Rubia et al. 1999
Stop-Aufgabe: je stärker die hyperkinetische Symptomatik,
desto geringer der Blutfluss im rechten PFC Langleben et al. 2001
Anteriorer cingulärer Cortex (ACC)
Je größer der ACC, desto besser gelingt die schnelle,
flexible Umstellung zwischen unterschiedlichen Aufgaben
Casey et al. 1997
Interferenz-Test (Stroop): Aktivierung im ACC bei
ADHS-Patienten kleiner als bei Gesunden Bush et al. 1999
Aufschieben motorischer Reaktionen: Aktivierung im
ACC bei ADHS-Patienten kleiner als bei Gesunden
Rubia et al. 1999
Basalganglien
Caudatum / Globus pallidus bei ADHS verkleinert
Castellanos et al. 2001, Overmeyer et al. 2001
Je größer das Caudatum, desto größer die Fähigkeit zur
Unterdrückung von Reaktionen Casey et al. 1997
Stop-Aufgabe: im linken Caudatum geringere
Aktivierung bei ADHS-Patienten als bei Gesunden
Rubia et al. 1999
Betrachten emotionaler Bilder: im Caudatum beidseitig
größere Aktivierung bei AHDS-Patienten als bei Gesunden
Krauel et al. 2005
Weitere Strukturen
Kleinhirn: bei ADHS-Patienten kleiner als bei Gesunden
Mostofsky et al. 1998 , Castellanos et al. 2001
Geringere Aktivierung bei verschiedenen kognitiven
Aufgaben
Motorischer Kortex: bei ADHS-Patienten geringere
intrakortikale Inhibition als bei Gesunden Moll et al. 2000
Neurobiologische Störungsmodelle bei ADHS
Vorderes und hinteres Aufmerksamkeitssystem
Dopamin aus VTA
Selektion von Input
für PFC und ACC
PFC
Anteriores System
Dopamin
Posteriores System
Noradrenalin
Parietaler
Kortex
ACC Thalamus
Ventrales
Tegmentum
Noradrenalin aus LC
Signal-RauschenVerhältnis 
Locus
coeruleus
Anteriores System: Aufmerksamkeitssteuerung
Posteriores System: Vigilanz, Orientierungsreaktion
Neurobiologische Störungsmodelle bei ADHS
Exekutives System und Belohnungssystem
Dopamin aus VTA
Selektion von Input
für PFC und ACC
PFC
ACC
Ncl. accumbens
Exekutives System
(meso-kortikal)
Dopamin
Ventrales
Tegmentum
Belohnungssystem
(meso-limbisch)
Dopamin
Exekutives System: Inhibition, Planung, Kontrolle
Belohnungssystem: Motivation, 'reward delay' Sonuga-Barke 2002
Neurobiologische Störungsmodelle bei ADHS
Frontostriatales System
MotorSensorischer Kortex
Input
Feedback
PFC
ACC
Thalamus
Inhibitorische Caudatum
Kontrolle
Pallidum
Frontostriatales System
Steuerung von Motorik
und Verhalten
Parietaler
Kortex
Kleinhirn
-wurm
Weitere Neurotransmitter-Systeme
Noradrenerges System
Modulation von Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis
Noradrenalin wirkt auf Dopamin-Neuronen Lanau et al. 1997
- direkt am Dopamin-D4-Rezeptor
- über Noradrenalin-Rezeptoren an Dopamin-Neuronen
- im PFC Dopamin-Freisetzung auch aus noradrenergen
Neuronen Devoto et al. 2001
Serotonerges System
Modulation dopaminerger Transmission (u.a. präfrontaler
Kortex)
Quist & Kennedy 2001
Andere Transmittersysteme (z.B. nikotinerg, glutamaterg):
Ebenfalls modulierende Wirkung, weniger untersucht
Dopaminerge Synapsen
Neuronale Aktivität 
Dopamin-Freisetzung 
Geringe DopaminFreisetzung auch in Ruhe

Autorezeptor
Dopamin
DopaminTransporter
D1-Rezeptor
D2-Rezeptor
Schnelle Diffusion aus
dem synaptischen Spalt
Wiederaufnahme durch
Dopamin-Transporter
Autorezeptor hemmt
Dopamin-Freisetzung
Dopaminerge Systeme bei ADHS
Verfügbarkeit des Dopamin-Transporters im Striatum
bei Erwachsenen mit ADHS erhöht Dougherty et al. 1999,
Krause et al. 2000
DOPA-Decarboxylase-Akt. / Dopamin-Speicherung im PFC
von Erwachsenen mit ADHS erniedrigt Ernst et al. 1998
PET: DOPA-Decarboxylase-Akt. / Dopamin-Speicherung
im Mittelhirn von Kindern mit ADHS erhöht Ernst et al. 1999
Genetische Faktoren
Evidenz aus Familien-, Adoptions- und Zwillingsuntersuchungen
Polygene Störung, u.a. Gene mit Einfluss auf die
Dopamin-, Noradrenalin- und Serotonin-Systeme
Dopamin-Rezeptor D4
Dopamin-Transporter DAT1
Aufgeklärte Varianz der einzelnen Gene gering
Wirkung von Methylphenidat
auf ADHS-Symptome
Erhöht Aufmerksamkeit
Vermindert Impulsivität
Verringert motorische Aktivität
Verbessert Arbeitsgedächtnis
Verbessert flexiblen Wechsel zwischen verschiedenen
Aufgaben
Erhöht Belohnungswert von Verstärkern
Vermindert Reizbarkeit und innere Unruhe
Wirkung von Methylphenidat
auf zerebrale Funktionen
Methylphenidat erhöht bei ADHS-Patienten den Blutfluss
im frontalen Kortex und Caudatum Kim et al. 2001
Methylphenidat bei Go/No-go Aufgaben Vaidya et al. 1998
Leistung bei ADHS-Patienten und Gesunden
Frontale Aktivierung bei ADHS und Gesunden
Striatale Aktivierung bei ADHS, bei Gesunden
Methylphenidat erhöht die intrakortikale Inhibition
im motorischen Kortex bei ADHS-Patienten Moll et al. 2000
Wirkung von MPH auf Dopamin-Systeme
MPH hemmt den Dopamin-Transporter (t1/2 > 90 Min.)
 Höhere Dopamin-Konzentration im synaptischen Spalt
Volkow et al. 1998, 2001
Bei gleicher MPH-Dosis:
Geringe interindividuelle Unterschiede für DAT-Blockade
Große Unterschiede beim Dopamin-Anstieg Volkow et al 2002
SPECT: MPH senkt abnorm erhöhte Dopamin-TransporterVerfügbarkeit im Striatum von ADHS-Erwachsenen
Dresel et al. 2000, Krause et al. 2000
SPECT: MPH senkt D2-Rezeptoren-Verfügbarkeit im
Striatum von ADHS-Kindern Ilgin et al. 2001
Parkinson-Gefahr durch MPH erhöht?
MPH bei fünf normalen Ratten Moll et al. 2001
Gabe vor der Pubertät  Dichte des Dopamin-Transporters
im Striatum (aber nicht im Mittelhirn) anhaltend vermindert
Gabe nach der Pubertät  nach Ende der MPH-Gabe
nimmt Dichte des Dopamin-Transporters wieder zu
Methylphenidat wird seit 60 Jahren eingesetzt!
Häufiger Einsatz von Methylphenidat seit den 70er Jahren!
Kein Zusammenhang mit Parkinson-Erkrankung festgestellt!
Sucht-Gefahr durch Methylphenidat erhöht?
Kein höheres Risiko für Substanzmissbrauch im Jugendalter
bei Methylphenidat-Behandlung im Kindesalter
Hechtman et al. 1985
Geringeres Risiko von Substanzmissbrauch im
Erwachsenenalter nach Methylphenidat-Behandlung im
Jugendalter Biederman et al. 1999
Auch in Berliner Längsschnittstudie (Huss) keine Erhöhung
des Risikos von Substanzmissbrauch durch Methylphenidat!
Pharmakokinetik von Methylphenidat
Schnelle, vollständige Resorption nach oraler Gabe
Lipophil, geringe Proteinbindung  Rasche Verteilung im
Körper (Peak-Konzentation im Gehirn erst nach 60 Minuten)
I.v.-Injektion / Schnupfen der zermörserten Tabletten (auch
Retard-Präparat)  Schnelle Anflutung im Gehirn, 'Kick'
Großer First-pass-Effekt
Hydrolysierung zu Ritalinsäure (inaktiv), Ausscheidung im
Urin; kaum Oxidation durch Cytochrom-P450
Concerta®
Retardiertes Methylphenidat
Retardtabletten (Dosierungen 18 mg, 36 mg, 54 mg)
Rasche Freisetzung einer kleinen Menge
Methylphenidat
Der Rest wird durch die pH-Verschiebung bei der
Magen-Darm-Passage freigesetzt
Wirkdauer: ca. 9-10 Stunden (offiziell: 12 Stunden)
Medikinet retard®
Retardiertes Methylphenidat
Kapseln in den Dosierungen 10 mg und 20 mg
50 % der Pellets in der Kapsel sind unretardiert
 rasche Freisetzung
50 % der Pellets in der Kapsel sind retardiert
 Freisetzung nach einigen Stunden
Frühstücken, sonst funktioniert Retardierung nicht!
Amphetamin
D-Amphetamin ist wirksamer als L-Amphetamin
Bindung an Dopamin-Transporter und Transport ins Neuron
 senkt Dopamin-Speicherfähigkeit der Vesikel
 erhöht Dopamin-Konzentration im synaptischen Spalt
Stärkere Hemmung des Dopamin-Transporters als MPH
Zusätzlich Erhöhung der Dopamin-Freisetzung
(im Gegensatz zu MPH)
Zusätzlich Erhöhung der serotonergen Transmission
(im Gegensatz zu MPH)
Stärkere sympathomimetische Nebenwirkungen
Atomoxetin
®
(Strattera )
Selektive Blockade des Noradrenalin-Transporters
(der im frontalen Cortex Dopamin transportiert!)
Wirkt auf alle ADHD-Kernsymptome
Keine "Wirklücke" morgens oder abends
Einsatz auch beim Vorliegen komorbider Störungen
(z.B. Angst, Depression, Tics) wenig problematisch
Kein BtM-Rezept erforderlich
Aber: gleiche Wirksamkeit wie die Stimulanzien?
Vollständige Wirkung erst nach mehreren Wochen erreicht!!
Hepatotoxisch?
Sind alternative biologische
Behandlungsmethoden wirksam?
Wirksamkeit nur für die oligoantigene Diät erwiesen!!
(und nur für kleine Subgruppe der Kinder mit ADHS!)
Ansonsten unzureichende Datenlage
Bei einzelnen alternativen Behandlungsmethoden
Gefahr von körperlichen Schäden!
Generelles Risiko bei alternativen Behandlungen:
Behandlungsmethoden mit erwiesener Wirksamkeit
werden dem Kind vorenthalten!!
Oligoantigene Diät
Nur für spezifische Subgruppe!
Vermeidung von Nahrungsmitteln, die die Symptomatik
hervorrufen (individuell unterschiedlich!!)
Signifikante Verbesserung von Reizbarkeit / Verhalten
Carter et al. 1993, Schmidt et al. 1997
Bei älteren Kindern/Jugendlichen Umstellung schwierig!
Ohne Beteiligung der Familie wenig erfolgversprechend!
Bei limitierten Ressourcen ist Elterntraining wichtiger!!
Unwirksame bzw. gefährliche
Behandlungsmethoden
Zuckerkonsum für ADHS nicht relevant! Woilrach et al. 1995
Phosphat ist nicht relevant! Lindgren 1994
Süßstoff ist nicht relevant! Kanarek 1994, Lindgren 1994
Möglicherweise gefährlich:
Hochdosierte Multivitamin-Präparate: Wahrscheinlich
unwirksam, Leberschädigung möglich Haslam et al. 1984
Zink-Präparate: Gefahr der Schädigung von Nervenzellen
Algen-Präparate: Hoher Gehalt an Schadstoffen
Zusammenfassung
Heterogenität des neurobiologischen Korrelates
 Heterogenität der Symptomatik?
 Varianz der Therapie-Response?
Hohe Bedeutung neurobiologischer Faktoren!
Dennoch darf die Bedeutung psychosozialer
Faktoren nicht unterschätzt werden!!
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