Experimentalphysik I Jede Woche ein Übungszettel (insgesamt ca. 10) mit mehreren Aufgaben zu aktuellen Themen der Vorlesung. Übungsgruppen (jeweils max. 25 Teilnehmer): Montag Mittwoch Mittwoch Donnerstag Donnerstag 14:15 – 15:00 Uhr 14:15 – 15:00 Uhr (2x) 17:30 – 18:15 Uhr 08:15 – 09:00 Uhr (2x) 09:00 – 09:45 Uhr (2x) Erster Aufgabenzettel: 26.10.2007 Erste Übungsgruppe: Woche vom 29.10. - 02.11.2007 Der Besuch der Übungen (Anmeldung über stud.ip) und die Bearbeitung der Übungszettel ist wichtig für das Bestehen der Abschlussklausur. Am Ende des Semesters wird eine 90-minütige Klausur über den Stoff der Vorlesung Experimentalphysik I geschrieben. Zeitgleich wird eine Klausur zu dem Stoff der Vorlesung Experimentalphysik II angeboten. Termin: 02.04.2008, 09:00 - 12:00 Uhr (Anmeldung erforderlich) 1 Experimentalphysik I Inhalt der Vorlesung Experimentalphysik I Teil 1: Mechanik 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. Physikalische Größen und Einheiten Kinematik von Massepunkten Dynamik von Massepunkten Gravitation Energie und Arbeit Bewegte Bezugssysteme Massenpunktsysteme und Stöße Dynamik starrer Körper Deformierbare feste Körper Mechanische Schwingungen Hydrostatik und Hydrodynamik Teil 2: Wärmelehre 12. Temperatur und Wärme 13. Hauptsätze der Wärmelehre 2 Experimentalphysik I Empfohlene Literatur: Experimentalphysik I + II Lehrbücher • Meschede: Gerthsen Physik • Halliday: Physik - Bachelor Edition, Wiley-VCH • Bergmann,Schäfer: Experimentalphysik, Mechanik, de Gruyter • Giancoli: Physik, Pearson-Studium Nachschlagewerke und Formelsammlungen • Stöcker, Taschenbuch der Physik, Verlag Harri Deutsch • Bronstein, Semendjajew, Taschenbuch der Mathematik, Verlag Harri Deutsch • Großmann, Mathematischer Einführungskurs für die Physik, Teubner 3 Experimentalphysik I Inhalt der Vorlesung Experimentalphysik I Teil 1: Mechanik 1. Physikalische Größen und Einheiten 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 2. 3. 4. Unterteilung physikalischer Größen Basisgrößen und Einheiten Einheitennormale in der Mechanik Genauigkeit von Messungen Grundlagen der Vektorrechnung Koordinatensysteme Differential- und Integralrechnung Kinematik von Massepunkten Dynamik von Massepunkten ... 4 Experimentalphysik I 1. Physikalische Größen und Einheiten 1.1 Unterteilung physikalischer Größen Die Physik beschreibt Vorgänge in der Natur durch messbare Eigenschaften: physikalische Größen. Skalare Größen bestehen aus einer Maßzahl und einer Einheit. Beispiele sind die Zeit t, Temperatur T, Druck p, Potential U, ... Beziehungen zwischen physikalischen Größen werden mit Hilfe mathematischer Zusammenhänge ("Formeln") dargestellt. Aus Einzelbeobachtungen wird zunächst auf ein allgemeines Gesetz geschlossen. Dies dient als Theorie/Hypothese zur Erklärung von (neuen) Beobachtungen und gestattet so die notwendige Überprüfung der Theorie durch neue Experimente. Eine physikalische Theorie macht nur Sinn, wenn sie anhand von Experimenten überprüft werden kann. Vektorielle Größen besitzen zusätzlich eine Richtung und haben i. allg. im dreidimensionalen Raum drei Komponenten. Beispiele sind die Kraft F , Geschwindigkeit v , Stromdichte j , ... Physikalische Größen höherer Ordnung sind die sogenannten Tensoren. Diese beschreiben Zusammenhänge z.B. zweier Vektorgrößen. Ein Beispiel ist das Hookesche Gesetz ε = ( Eˆ ) −1 σ ⇔ σ = Eˆ ε mit der Dehnung ε , Spannung σ und Elastizitätstensor Ê , der hier in Form einer 3×3-Matrix geschrieben wird. 5 Experimentalphysik I 1.2 Basisgrößen und Einheiten Alle physikalischen Größen lassen sich durch 7 Grundeinheiten (SI-Einheiten) beschreiben: Länge Zeit Masse Temperatur Stromstärke Lichtstärke Stoffmenge Meter, m Sekunde, s Kilogramm, kg Kelvin, K Ampère, A Candela, Cd Mol, mol Alle anderen physikalischen Einheiten lassen sich auf diese Grundeinheiten zurückführen. 6 Experimentalphysik I 1.3 Einheitennormale in der Mechanik Sekunde: 1 s ist definiert als das 9192631770-fache der Periodendauer beim Übergang zwischen den Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von 133Cs (Fehler: ∆t/t ≈ 10−14). Hierauf beruht die Atomuhr der PhysikalischTechnischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig. Meter: Die Grundeinheit 1 m seit 1983 definiert als die Strecke, die das Licht im Vakuum in 1/299.792.458 s zurücklegt. Hintergrund ist die Definition der Lichtgeschwindigkeit (Naturkonstante) auf c = 299.792.458 m/s; somit ist das Meter ähnlich genau festgelegt wie die Sekunde. Das Urmeter in Paris hat dagegen eine stark eingeschränkte Genauigkeit. Masse: 1 kg ist die Masse des internationalen Kilogrammtyps, ein Platin-Iridium-Zylinder in Paris mit einem Fehler von ∆m / m ≈ 10−9. Problematisch ist das "Auseinanderdriften" der verschiedenen nominell gleichen Prototypen mit ca. 0.5×10−9 kg/Jahr aufgrund von Oberflächenschichten und der Eindiffusion von Gasen in die Zylinder. Alternativ ließe sich die Masse über eine bestimmte Anzahl einer Atomsorte definieren. Hier besteht aber die praktische Schwierigkeit, die Anzahl der Atome genau zu messen. 7 Experimentalphysik I Da die Werte physikalischer Größen einen großen Wertebereich überstreichen, führt man Bezeichnungen für bestimmte Zehnerpotenzen ein: femto, f pico, p nano, n micro, µ milli, m centi, c deci, d deca, da hecto, h kilo, k mega, M giga, G tera, T peta, P 10-15 10-12 10-9 10-6 10-3 10-2 10-1 10 102 103 106 109 1012 1015 8 Experimentalphysik I 1.4 Genauigkeit von Messungen Beispiel für statistische Fehler Alle Messungen in der Physik sind mit bestimmten Fehlern behaftet. Dies sind einerseits systematische Fehler, die in der Messmethode selbst liegen und schwer abschätzbar sind; meist können diese durch Verbesserung des Experiments verringert werden. Andererseits treten immer statistische Fehler auf, z.B. durch Fehler der Messinstrumente oder Ablesefehler. Start Die Angabe eines Messwertes erfordert daher die Angabe des betreffenden Fehlers bzw. der Messunsicherheit: x ± ∆xsys ± ∆xstat Lichtschranken x Messung der Durchlaufzeit t für die Strecke x : Messergebnisse: Nr. Zeit t [s] 1 2 3 1.34 1.29 1.31 4 5 1.33 1.28 9 Experimentalphysik I Sinnvoll ist hier die Angabe eines Mittelwertes t , der mit einem gewissen Fehler σ den wahrscheinlichsten Wert angibt: n Messungen: t1 , t 2 , t 3 , σ= , tn Wahrscheinlichster Wert ist dann: 1 t = (t1 + t 2 + n 5 i =1 ti = 6.55 s 1 + tn ) = n t = Daraus folgt der mittlere quadratische Fehler (Streuung der Werte) ∆t 2 0.0026 s2 = = 0.0255 s 4 Ein Messwert wird angegeben in der Form: n ti i =1 Wert = Mittelwert ± Streuung t = t ±σ 6.55 s = 1.31 s 5 Beispiel: t = (1.31 ± 0.026) s Ein Maß für den Messfehler ist: 1 = n −1 ( ∆t ) 2 5 i =1 (t i − t n 1 ( ∆ti ) 2 = n −1 i =1 ) 2 = 0.0026 s2 n i =1 (t i − t ) 2 Der relative Fehler in diesem Beispiel ist ∆t σ = = 0.02 t t 10 Experimentalphysik I Beispiel: Messgenauigkeit bei Bestimmung der Loschmidt-Zahl NA der Die Loschmidtsche Zahl L oder auch Avogadro-Konstante NA gibt die Anzahl der Atome pro Mol einer Substanz an. Die Messgenauigkeit dieser Naturkonstante hat sich im Laufe der Zeit stark erhöht: Loschmidt (1865) L = (0.76 ± ? ) ·1023 Millikan (1910) L = (6.064 ± 0.006) ·1023 Kappler (1931) L = (6.059 ± 0.061) ·1023 ICSU (1973) L = (6.022045 ± 0.000031) ·1023 PTB (1981) L = (6.0221360 ± 0.0000069) ·1023 ICSU (1985) L = (6.0221358 ± 0.0000041) ·1023 1.5 Grundlagen der Vektorrechnung Physikalische Größen, die durch mehrere Eigenschaften (z.B. Stärke und Richtung) beschrieben werden, nennt man Vektoren. Vektor A AB B Verschiebung x r = y = (x, y, z ) z Der Vektor wird durch Angabe der Koordinaten x, y, z quantitativ bestimmt. 11 Experimentalphysik I Beispiel für einen Vektor in kartesischen Koordinaten: x 5,5 r = y = 5,4 z 3,5 5 Bei Addition mehrerer Vektoren gilt z (a + b ) + c = a + (b + c ) r 0 5 b 5 y x a a+b b Addition zweier Vektoren ax bx a x + bx a = ay , b = by , a + b = a y + by az bz a z + bz b a a+b b =c c a c b+c Betrag (Länge) eines Vektors a a = ax2 + ay2 + az2 12 Experimentalphysik I Skalarprodukt Gegeben seien 2 Vektoren a und b In Komponentenschreibweise das Skalarprodukt die Form ax a az b a ⋅ b = a ⋅ b cos α Daraus folgt sofort a ⊥b und a ⋅a = a 2 bz Beispiel: Das Skalarprodukt ist definiert durch: wenn bx a ⋅ b = ay ⋅ by = ax bx + a yby + az bz α a ⋅b = 0 hat a= 3.7 4.9 − 2. 3 − 6. 8 b = 0.4 5.1 a ⋅b = −3.7 ⋅ 6.8 + 4.9 ⋅ 0.4 − 2.3 ⋅ 5.1 = −34.93 da dann α = 0 13 Experimentalphysik I Dann ist das Vektorprodukt Vektorprodukt Wir führen folgende Einheitsvektoren ein: − a y b x e z + a y bz e x z + a z bx e y − a z b y e x ez ex wieder ein Vektor ey y x mit ex = e y = ez = 1 Es seien die zwei Vektoren a = a x ex + a y e y + a z ez b = bx e x + b y e y + b z e z gegeben. a × b = a x b y e z − a x bz e y c=a×b b α a und sein Betrag a × b = a b sin α 14 Experimentalphysik I Kugelkoordinaten ( r, Θ, ϕ ) 1.6 Koordinatensysteme Je nach Symmetrie eines Problems ist häufig die geometrische Beschreibung in Zylinder- oder Kugelkoordinaten sinnvoll, um den Rechenaufwand zu reduzieren. r sin Θ cos ϕ Zylinderkoordinaten ( ρ, ϕ, z ) z r z r = r sin Θ sin ϕ r cos Θ r Θ ρ cos ϕ r = ρ sin ϕ ϕ z x ϕ x ρ y ρ y r= r ρ = r sin Θ = r sin Θ ρ = x2 + y 2 15 Experimentalphysik I 1.7 Differential- und Integralrechnung 1.7.1 Ableitung einer Funktion Gegeben sei nun eine beliebige Funktion y = f (x ) , z.B. y = A sin( ω x ) Gegeben sei die Gleichung einer Geraden bzw. linearen Funktion y ( x ) = a x y = C log( 1 + x 2 ) y = a + bx + cx y y2 2 + dx 3 Die "Ableitung" ist die Berechnung der Steigung der Tangenten an einer Funktion y = f (x) in einem Punkt x. ∆y y1 y ∆x x1 x2 x y1 y = f (x) Definition der Steigung ∆y y2 − y1 a x2 − a x1 m= =a = = ∆x x2 − x1 x2 − x1 ∆x → 0 x1 x 16 Experimentalphysik I Man berechnet zunächst den Differenzenquotienten, d.h. die Sekantensteigung im Punkt x1 y2 − y1 ∆y = x2 − x1 ∆x Dann lässt man ∆x (und damit auch ∆y) immer kleiner werden, bis man sich im Grenzfall ∆x → 0 dem Punkt x genähert hat (Grenzübergang). Differentialquotient, Ableitung dy y −y f ( x2 ) − f ( x1 ) = lim 2 1 = lim dx ∆x→0 x2 − x1 ∆x→0 x2 − x1 ∆y = lim = f ' ( x) ∆x→0 ∆x Beispiel: Ableitung der Funktion y ( x) = a x 2 Der Differenzenquotient ist (x2 = x1+∆x) y2 − y1 a ( x1 + ∆x ) − a x12 = x2 − x1 ∆x 2 ( ) a 2 x1∆x + ∆x 2 = = 2a x1 + a∆x ∆x Dann muss der Grenzübergang erfolgen, wobei x1 = x gesetzt wird: y′( x) = lim (2a x + a ∆x ) ∆x →0 Also ergibt sich für die Ableitung: y′( x) = 2a x 17 Experimentalphysik I Schreibweisen für die Ableitung: dy dx LeibnizSchreibweise: y ′( x ) = 2. Ableitung : d dy d2y = 2 dx dx dx Zeitabhängige Vorgänge: dy (t ) d 2 y (t ) = y (t ) , = y (t ) 2 dt dt Ortsabhängige Vorgänge: dy ( x) d 2 y ( x) = y ' ( x) , = y ' ' ( x) 2 dx dx Liste einiger wichtiger Ableitungen 1. 2. 3. 4. 5. 6. d n x = n x n−1 dx d 1 x= dx 2 x d sin ax = a cos ax dx d cos ax = −a sin ax dx 1 d ln x = dx x d ax e = a eax dx 18 Experimentalphysik I 1.7.2 Integration einer Funktion Problemstellung: Wie groß ist die Fläche S unter der Kurve f(x) zwischen den Aus dem Differential der Funktion y(x) folgt dy dx dy = y′( x) dx y′( x) = Grenzen xa und xb ? x f(x) dy = y ( x) 0 x ∆x oder auch y′( x) dx = y ( x) 0 xi xa S = lim n ∆x → 0 n →∞ i =1 f ( x i ) ∆x = xb x f(x) xb f ( x ) dx xa Hauptsatz der Differential und Integralrechnung: "Die Integration ist die Umkehrung der Differentiation". F ( x) = x f (ξ) dξ 0 0 x x + ∆x 19 Experimentalphysik I Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung bedeutet mit der sog. Stammfunktion F(x): x F ( x ) = f (ξ) dξ ⇔ 0 xb dF = f ( x) dx f ( x) dx = F ( xb ) − F (xa ) xa Die Ableitung einer Funktion n-ten Grades war d n x = n x n −1 dx Daraus folgt d (x ) = n x n n −1 dx x n = d ( x n ) = n x n −1 dx Setzt man m = n − 1 n = m +1 m +1 x x m dx = m +1 folgt Integrale wichtiger Funktionen: 1. 1 dx = ln x x 2. e x dx = e x 3. cos x dx = sin x 4. sin x dx = − cos x 5. 6. 2 x dx = 3 ( x) 3 ln x dx = x ln x − x 20 Experimentalphysik I Inhalt der Vorlesung Experimentalphysik I Teil 1: Mechanik 1. 2. Physikalische Größen und Einheiten Kinematik von Massepunkten 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 3. 4. 5. Massenpunkte Geschwindigkeit Beschleunigung Mehrdimensionale Bewegung Kreisbewegung Dynamik von Massepunkten Gravitation ... 21 Experimentalphysik I 2. Kinematik vom Massenpunkten Kinematik meint die Beschreibung einer Bewegung in Form einer Gleichung, ohne die Ursache der Bewegung zu Trägt man den Ort über der Zeit auf, so erhält man (hier: eindimensionaler Fall) die Bahnkurve x(t) der Bewegung. x(t ) 2.1 Massenpunkte Ein Massenpunkt ist ein idealisierter Körper, dessen gesamte Masse in einem Punkt vereint ist. Die Lage des Massenpunktes wird durch einen Ortsvektor beschrieben: x(t ) r (t ) = y (t ) z (t ) Mit dem Superpositionsprinzip kann die Bewegung durch Angabe der (voneinander unabhängigen) Koordinaten x, y, und z beschrieben werden. t Das Ort-Zeit-Diagramm oder Bahnkurve x(t) enthält die gesamte Information der Bewegung. Ais ihr lassen sich die Größen Geschwindigkeit und Beschleunigung ableiten. 22 Experimentalphysik I 2.2 Geschwindigkeit In einer Dimension schreibt man auch Hat ein Körper eine konstante Geschwindigkeit, dann wird ihr Wert angegeben durch den Quotienten Geschwindi gkeit = Weg Zeit m s Da neben dem Betrag auch die Richtung wichtig ist, ist die Geschwindigkeit (im dreidimensionalen Fall) ein Vektor: r v= t Hierbei ist t die Zeit, die zur Verschiebung um die Strecke r benötigt v= x t Bei konstanter Geschwindigkeit ergibt sich im Weg-Zeit-Diagramm (Bahnkurve) eine Gerade: x(t ) ∆x ∆t t Die Geschwindigkeit ist in diesem Fall also ∆x v= ∆t 23 Experimentalphysik I Bei nicht konstanter Geschwindigkeit ergibt sich eine beliebige Funktion: Umgekehrt kann man aus dem Verlauf der Geschwindigkeit v(t) auch die Bahn berechnen: v (t ) = dx dt dx = v (t ) dt t t 0 0 x (t ) = dx = v (t ' ) dt ' Die mittlere Geschwindigkeit ist hier v= ∆x ∆t Definition der momentanen zur Zeit t vorhandenen Geschwindigkeit v(t): ∆x(t ) dx = =x ∆t →0 ∆t dt v(t ) = lim m s Die Integrationsvariable "Zeit" wird hier mit t' bezeichnet, um sie von der Integrationsgrenze t zu unterscheiden. Sei die Geschwindigkeit konstant, also v(t) = v0 = const., dann folgt t t 0 0 x(t ) = v0 dt ' = v0 dt ' = v0t + C 24 Experimentalphysik I Wenn der Körper zum Zeitpunkt t = 0 am Ort x(0) = x0 war, dann folgt sofort C = x0 x(t ) = v0t + x0 Dies ist vom Typ eine Geradengleichung. 2.3 Beschleunigung Ändert sich die Geschwindigkeit v(t) mit der Zeit t, spricht man von Beschleunigung. Beschleuni gung = Geschwindi gkeit Zeit m s2 Die Definition der Momentanbeschleunigung in einer Dimension lautet: dv d 2 x = 2 =x a (t ) = dt dt Anschaulich ist die Beschleunigung die Krümmung der Bahnkurve bzw. die Steigung in der v(t)-Kurve. Aus der Beschleunigung kann auch wieder rückwärts die Geschwindigkeit und der Ort berechnet werden: t v(t ) = a (t ') dt ' 0 Die mittlere Beschleunigung ist dann ∆v a= ∆t m s2 t x (t ) = v (t ') dt '= 0 t ' t' a (t ') dt 'dt '' 0 0 25 Experimentalphysik I Die Integrationsvariablen "Zeit" werden wieder mit t' bzw. t'' bezeichnet, um sie von den Integrationsgrenzen zu unterscheiden. Wenn der Körper zum Zeitpunkt t = 0 am Ort x(0) = x0 war und die Geschwindigkeit v(0) = v0 hatte, und weiter die Beschleunigung a = a0 = const. ist, dann folgt 1 2 x(t ) = x0 + v0t + a0t 2 Dies ist vom Typ eine Parabelgleichung. Vorzeichen der Beschleunigung: a > 0 : "Beschleunigung" a < 0 : "Verzögerung" a = 0 : "gleichförmige Bewegung" Beispiel: Vollbremsung eines PKW's Ein PKW bremst von der Geschwindigkeit 100 km/h bis zum Stillstand ab; der Bremsweg beträgt 38 m. Gesucht: Bremszeit ∆t, Verzögerung a a= ∆v 0 − 100 km/h = ∆t ∆t a = const. v nimmt linear mit t zu: mittlere Geschwindigkeit v = 50 km/h v= 38 m ∆x ∆x = = 2.7 s ⇔ ∆t = v 50 km/h ∆t -100 km/h m a= = −10.3 2 2.7 s s 26 Experimentalphysik I Beispiel: Freier Fall Auf der Erdoberfläche wirkt die konstante Beschleunigung a m a = g = 9.81 2 s 2.4 Mehrdimensionale Bewegung Auch im dreidimensionalen Raum wird die Bewegung wieder durch eine Bahnkurve beschreiben: x(t ) r (t ) = y(t ) z(t ) Nach t = 5 s freier Fall ist die Geschwindigkeit (am Anfang sei v0 = 0 m/s): t t m v = a dt '= g dt '= g t = 49.5 s 0 0 r (t ) und der zurückgelegte Weg x : x= t 0 t' t g 2 a dt 'dt ''= a t 'dt '= t = 122.6 m 2 0 0 27 Experimentalphysik I Die Bewegung lässt sich zusammensetzen ("superpositionieren") aus den (Teil-) Bewegungen entlang der drei Koordinatenachsen. In kartesischen Koordinaten ist r (t ) = x(t ) ex + y(t ) ey + z(t ) ez mit den Einheitsvektoren ex , ey und ez . Der Betrag der Geschwindigkeit ist dann gegeben durch ds v = x +y +z = dt 2 2 2 Das Wegelement ist dann ds = ( dx) 2 + ( dy ) 2 + (dz ) 2 Für die (momentane) Geschwindigkeit gilt x(t ) v= vx dr (t ) = r (t ) = y (t ) = v y dt z (t ) vz Die Ableitung eines Vektors erfolgt durch Ableitung der Komponenten. Der Geschwindigkeitsvektor v (t ) liegt tangential zur Bahnkurve r (t ) . Die (momentane) Beschleunigung ist wieder die Änderung der Geschwindigkeit pro Zeit, jetzt aber als Vektor: vx x dv = vy = y a=v = dt z vz 28 Experimentalphysik I Für die Berechnung der Sprungdauer t0 wird der Landepunktpunkt am Boden (Höhe gleich null) gewählt: Beispiel: Sprung von einer Mauer y(t) y0 v0x y (t = t0 ) = 0 ⇔ y0 = r(t) xe x(t) Die Anfangsgeschwindigkeit habe nur eine Komponente v0x in x-Richtung. Die wirksame Beschleunigung ist die Erdbeschleunigung ay = −g. Superpositionsprinzip: 1 2 x(t ) = x0 + v0 x t + a xt = v0 x t 2 1 1 y (t ) = y0 + v0 y t + a y t 2 = y0 − gt 2 2 2 1 2 gt0 2 t 0 = 2 y0 / g Hiermit erhält man die Sprungweite xe xe = x(t = t0 ) = v0 x 2 y0 / g Für die Auftreffgeschwindigkeit ve gilt: v x (t0 ) = v0 x = const. v y (t0 ) = − gt0 = − 2 gy0 2 2 2 ve = v0 x + v y = v0 x + 2gy0 29 Experimentalphysik I Beispiel: Schräger Wurf Nochmalige Integration liefert den zeitabhängigen Ortsvektor t r (t ) = r0 + v (t ') dt ' 0 a v0 z (t ) 0 a= 0 −g g = 9.81 v x ,0t + x0 v y ,0t + y0 x (t ) r (t ) = y (t ) = m s2 Die Geschwindigkeit ist dann t v = a dt '= a t + v0 0 Die Integration eines Vektors erfolgt durch Integration der Komponenten. − 1 g t 2 + v z ,0t + z 0 2 Für vy,0 = 0 und x0 = y0 = z0 = 0 ist also y(t) = 0 und: x (t ) = v x ,0 t t = x v x ,0 1 g t 2 + v z ,0 t 2 v z ,0 g z(x) = x− x2 2 v x ,0 2 v x ,0 z (t ) = − 30 Experimentalphysik I Schräger Wurf in xy-Ebene Wurf mit Geschwindigkeit v0 unter Winkel α y Die Bahnkurve in der xy-Ebene wird durch separate für x und y dargestellt x(t ) = (v0 cos α ) t y (t ) = (v0 sin α ) t − ymax 1 2 gt 2 Berechnung der Wurfdauer t0 v0 y (t0 ) = 0 x α xw Der Geschwindigkeitsvektor lautet v= v0 x v0 y = v0 cos α v0 sin α (v0 sin α )t0 = ⇔ t0 = 1 2 gt0 2 2v0 sin α g Berechnung der Wurfweite xm x(t0 ) = xw = (v0 cos α )t0 2 2v = 0 sin α cos α g 31 Experimentalphysik I Die maximale Wurfweite erhält man aus dem Extremum der Funktion xw(α) 2 2v0 d dxw (cosα sin α ) =0= dα g dα 2 2v0 (− sin α sin α + cosα cosα ) = g 2 2v = 0 (1 − 2 sin 2 α ) g 1 ⇔ sin 2 α = ⇔ α = 45° 2 Versuch: Wasserstrahl (1) Der Wasserstrahl tritt aus einer Düse horizontal mit einer Anfangsgeschwindigkeit v0 aus, die konstant bleibt, so dass der Weg linear mit der Zeit zunimmt: Beide unabhängigen Bewegungen zusammen ergeben die Wurfparabel. x y Wasserstrahl Die maximale Wurfweite (hier: unter Vernachlässigung von Luftreibung) wird also für einen Abwurfwinkel α = 45° erreicht. 32 Experimentalphysik I Beispiel: Wasserstrahl (2) In einem Brunnen sind zwei Wasserdüsen im Abstand von 2b = 8.0 m montiert und um jeweils den Winkel α = 70° geneigt. Aus den Düsen tritt das Wasser mit der Anfangsgeschwindigkeit von v0 = 10 m/s. Wie groß ist die Höhe h ? Die Anfangsgeschwindigkeit ist in vektorieller Schreibweise v0 = v0 cos α vx 0 3.42 m = = 9.40 s v0 sin α vx 0 Die Zeit, die das Wasser von der Düse bis zum Kreuzungspunkt braucht, ist b = 1.17 s t= vx,0 y Der Bahnvektor im Kreuzungspunkt ist vx,0 t r (t ) = h 0 − v0 α α b b x 1 2 g t + v z , 0t 2 4.00 = 0.0 m 4.28 Mit t = 1.17 s ergibt sich so eine Höhe Wasserstrahlen von h = 4.28 m. 33 Experimentalphysik I 2.5 Kreisbewegung Die Geschwindigkeit ist immer tangential zur Bahn des Massenpunktes. e || Für die Kreisbewegung werden auf Grund der Symmetrie (ebene) Polarkoordinaten benutzt r (t ) v Bahn ϕ (t ) e|| = Einheitsve ktor e|| = 1 Dann ist die Geschwindigkeit v = v e|| mit v = v Bei der Bewegung verändert sich mit der Zeit t sowohl der Betrag v(t) der Geschwindigkeit als auch deren Richtungsvektor e||(t). r (t ) = r ϕ (t ) , r = const. Die gesamte Zeitabhängigkeit wird durch die Funktion ϕ (t) beschrieben. 34 Experimentalphysik I Der Winkel ϕ= s r Der Vektor ω legt mit seiner Richtung die Drehachse der Rotation fest und mit seinem Betrag die (Kreis-) Frequenz. mit dem Kreisbogenabschnitt σ wird im Bogenmaß mit der Einheit rad (Radian) angegeben. Ein Winkel von 2π rad entspricht 360 °im Gradmaß. Die Winkelgeschwindigkeit ω ist die Winkeländerung pro Zeit: d ϕ (t ) ω (t ) = dt Meist wird die Größe ω als Kreisfrequenz (Einheit s-1) bezeichnet. Die Bahngeschwindigkeit v ist der zurückgelegte Weg s pro Zeit, also s dϕ v= =r =ω r t dt v ϕ ω r dϕ ω = dt 0 Die Bahngeschwindigkeit ist dann: v =ω×r 35 Experimentalphysik I In vektorieller Schreibweise lautete die vorherige Beziehung also v = ω × r , d.h. v ⊥ ω , r Zeigt der rechte (!) Daumen in Richtung von ω (Drehachse), so geben die Finger die Drehrichtung an. Die Winkelbeschleunigung α ist definiert durch: d ω ( t ) d 2ϕ ( t ) α (t ) = = dt dt 2 Dagegen gilt für die Bahnbeschleunigung a: dv d (ω × r ) = dt dt dω dr = ×r +ω × dt dt = α × r +ω ×v a = Im Falle einer gleichförmigen Kreisbewegung mit ω = const. wirkt nur die so genannte Zentripetalbeschleunigung az a = a z = ω × v = ω × (ω × r ) Die Zentripetalbeschleunigung az zeigt zum Mittelpunkt der Kreisbahn, also entgegengesetzt zum Ortsvektor r. Beispiel: Kurvenflug eines Düsenjets Düsenjet fliege mit v0 = 2.000 km/h (Mach 2) eine Kurve mit Radius r = 5 km v2 | a z |= ω r = = 61.7 ms -2 ≈ 6.3g r 2 Es wirkt mehr als die sechsfache Erdbeschleunigung (g = 9.81 ms-2) auf den Piloten; bereits bei Beschleunigungen von mehr als 4g kommt es aufgrund von Blutmangel im Gehirn zur Ohnmacht. 36 Experimentalphysik I Inhalt der Vorlesung Experimentalphysik I Teil 1: Mechanik 1. 2. 3. Physikalische Größen und Einheiten Kinematik von Massepunkten Dynamik von Massepunkten 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9 3. 4. 5. Wechselwirkungen und Kräfte Newtonsche Axiome Äquivalenzprinzip Messung und Zerlegung von Kräften Impulserhaltung Raketenantrieb Lösen von Bewegungsgleichungen Drehimpuls und Drehmoment Drehimpulserhaltung Gravitation Energie und Arbeit ... 37 Experimentalphysik I 3. Dynamik von Massepunkten Während die Kinematik eine quantitative Beschreibung von Bewegungen über die Zusammenhänge von Ort, Geschwindigkeit und Beschleunigung ermöglicht, beruht die Analyse von Bewegungen und Bewegungsänderungen in der Dynamik auf den Ursachen dieser Änderungen, d.h. den wirksamen Kräften. In der Physik werden Wechselwirkungen von Körpern und Systemen durch Kräfte beschrieben. Man unterscheidet die vier fundamentalen Kräfte bzw. Wechselwirkungen: - Gravitationswechselwirkung bzw. -kraft (Schwerkraft). Grundlage für Mechanik und Planetenbewegung. - Elektromagnetische Wechselwirkung, Coulomb-Kraft. Grundlage für Elektrostatik und -dynamik. - Starke Wechselwirkung, kurzreichweitige Kernkraft (~10−15 m). Verantwortlich für Kernbindung. - Schwache Wechselwirkung, extrem kurzreichweitige Kernkraft, bewirkt z.B. den Beta-Zerfall von Kernen Für die Dynamik ist die Gravitationskraft entscheidend. Die Beschreibung von Bewegungen baut auf den drei Newtonschen Axiomen oder Gesetzen auf. 38 Experimentalphysik I 3.2 Newtonsche Axiome 1. Axiom: Galileisches Trägheitsprinzip "Ein Körper verharrt in seinem Bewegungszustand, so lange keine äußere Kraft auf ihn wirkt." F =0 v = const. bzw. dv =0 dt Eine alternative Formulierung dieses Axioms benutzt den Impuls p eines Körpers der Masse m: p = mv , Einheit kg m s −1 F =0 p = const. Dies ist die so genannte Impulserhaltung und berücksichtigt auch den Fall von nicht konstanter Massen m(t). 2. Axiom: Aktionsprinzip oder auch "Grundgleichung der Mechanik" "Jede Änderung des Bewegungszustandes erfordert die Einwirkung einer äußeren Kraft." In Richtung der Kraft F wirkt eine Beschleunigung a . Das Verhältnis aus Kraft und Beschleunigung ist die Masse m. d ( mv ) d p F = ma = = dt dt Die Formulierung mit Hilfe des Impulses berücksichtigt wieder zeitlich veränderliche Massen. Die Einheit der Kraft ist Newton: 1N = kg m s2 39 Experimentalphysik I Beispiele: Zeitlich veränderliche Massen 3. Axiom: Reaktionsprinzip (i) Kernreaktionen, z.B. H1 + n D2 D2: Deuterium, schwerer Wasserstoff "Zwei Körper üben aufeinander gleich große, entgegengesetzt wirkende Kräfte aus." Massenbilanz: mH + mn = mD + ∆m Die fehlende Masse ∆m entspricht nach Einstein der Energiedifferenz ∆Ε = ∆m c2. Diese Energie wird als γ −Quant emittiert. „actio = reactio“ F1 F2 F2 = − F1 (ii) Relativistische Geschwindigkeit, Zunahme der Masse mit Geschwindigkeit: m (v ) = m0 1− v2 / c2 m0: Ruhemasse für v = 0 c: (Vakuum-) Lichtgeschwindigkeit Beispiel: Freier Fall m F = mg F ' = −mg = − F Erde 40 Experimentalphysik I Masse m wird von der Erde mit der Kraft F = mg angezogen. Umgekehrt wird die Erde von der Masse m mit der ' Kraft F = − mg angezogen. Beispiel: Zentripetalkraft und Zentrifugalkraft bei der Kreisbewegung r (t ) Kraft und Gegenkraft greifen im Allgemeinen an unterschiedlichen Körpern an. ϕ (t ) Aus der Zentripetalbeschleunigung a = −ω 2 r folgt mit F = ma die Zentripetalkraft Fp, die der Kraft auf ein Seil entspricht. Die Zentripetalkraft ist umgekehrt gleich der nach außen wirkenden Zentrifugalkraft Ff: Zentripetalkraft: F p = − mω 2 r Zentrifugalkraft: F f = + mω 2 r 41 Experimentalphysik I Kräftegleichgewicht, Statik Ein System, in dem keine Bewegungen auftreten, nennt man statisch. Die Erfahrung lehrt, dass eine Kraft einen Körper beschleunigt. An einem statischen System muss daher die Summe der Kräfte verschwinden: F1 Masse in Ruhe F2 Im statischen Gleichgewicht gilt für die Vektorsumme aller Kräfte: F1 + F2 + F3 + n i =1 + Fn = 0 Fi = 0 Eine zweite Bedingung lautet, dass auch keine Drehmomente auf das System wirken, dass also auch für die Vektorsumme aller Drehmomente gilt: M1 + M 2 + M 3 + n Fi i =1 + Mn = 0 Mi = 0 Drehmomente werden in Abschnitt 3.8 eingeführt. 42 Experimentalphysik I 3.3 Äquivalenzprinzip 3.4 Messung & Zerlegung von Kräften Im 2. Axiom ist die Masse m ein Maß für die Trägheit gegenüber einer Beschleunigung durch von außen angreifende Kräfte, d.h. eine "träge Masse". Die Gewichtskraft im Schwerefeld der Erde ist Lineare Federkraft: Hookesches Gesetz FG = mg mit der ortsabhängigen Erdbeschleunigung g (r ) . Die Größe der Gewichtskraft ist proportional zur Masse, die hier als "schwere Masse" bezeichnet wird. Nach dem Äquivalenzprinzip (und allen bisherigen Präzisionsmessungen sind schwere Masse ms und träge Masse mt gleich: ms = mt x Rücktreibende Kraft ist proportional zur Auslenkung: Fr = − D x D: Federkonstante Einheit N/m Alternative Messmethoden: - Messung als Druck (Kraft pro Fläche) - Stoßprozesse: Ablenkung von Körpern in Kraftfeldern liefert Rückschlüsse auf Form des Kraftfeldes. Beispiel Rutherford-Streuung an Atomkernen. 43 Experimentalphysik I Kräfte an elastischen Körpern Lineare Abhängigkeit: Dehnung eines Drahtes FD FD Die Dehnungskonstante ist FD Die Ausdehnung ∆x wird für verschiedene Gewichtskräfte G gemessen FD = D = const. ∆x Hookesches Gesetz: FD = D ∆x 44 Experimentalphysik I Zerlegung von Kräften Beispiel: Seilkräfte Kräfte sind Vektoren und werden nach dem Superpositionsprinzip ungestört überlagert: y F1 Fges F1 F2 F2 Fges = F1 + F2 Die Gesamtkraft, welche auf einen Körper wirkt, ist die Summe aller einzelnen Kräfte, d.h. Fges = F1 + F2 + + FN = x F3 N i =1 Fi F1 = − F1 cos α − F1 sin α F3 = F2 = F2 cos β − F2 sin β 0 − F3 45 Experimentalphysik I F1 + F2 + F3 = 0 F1 + F2 = − F3 F2 α F3 Durch Quadrieren erhält man 2 ( F3 = F1 + F2 ) 2 Fs FG γ F1 Gespanntes Seil mit Gewicht = F12 + F22 + 2 F1 ⋅ F2 F32 = F12 + F22 + 2 F1 F2 cos γ Es folgt F32 − F12 − F22 cos γ = 2 F1 F2 FH FG Die Kraft, die das Seil spannt, ist FS. Damit wird FG = 2 Fs sin α Fs = FG 2 sin α Für sehr kleine α kann Fs sehr groß werden, das Seil reißt. 46 Experimentalphysik I Flaschenzug mit N Rollen Beispiel: Flaschenzug Annahmen: 1. reibungslose Rolle: F1 = F2 2. Ideales Seil: kein Biegemoment 1 F = Fs 2 lose Rolle feste Rolle 1 F = Fs 2 Zugkraft am Seil F = Fs 2N 47 Experimentalphysik I 3.5 Impulserhaltung Beispiel: Schiefe Ebene Der Gesamtimpuls eines abgeschlossenen Systems ist eine Erhaltungsgröße: FH α FN p ges = FG α FN = FG cos α FH = FG sin α Die Normalkraft FN drückt den Wagen auf die Fahrbahn, die Hangabtriebskraft FH bewirkt die Bewegung N i =1 pi = const. Wichtig ist die Abgeschlossenheit des Systems. Beispiele: bremsender PKW: Fahrzeug und Fahrbahn (Erde), Billard: Kugel und Bande Rakete: Rumpf und Abgase Bei mehrdimensionalen bzw. vektoriellen Impulsen gilt die Impulserhaltung aufgrund des Superpositionsprinzips für jede Raumkomponente getrennt. 48 Experimentalphysik I 3.6 Raketenantrieb Eine Rakete habe die Geschwindigkeit v und die Masse m. Das Gas trete mit der Geschwindigkeit v' aus der Rakete aus. Das betrachtete Gesamtsystem besteht hier aus der Rakete und den ausströmenden Gasen. In der Zeit ∆t verbrennt die Treibstoffmasse ∆m, die Geschwindigkeit erhöht sich gleichzeitig um ∆v. Die Impulsbilanz lautet: Vakuum p (t ) = mv p(t + ∆t ) = (m − ∆m)(v + ∆v) + ∆mv ' Gas v v' m ve = v'−v < 0 Die Ausströmgeschwindigkeit des Gases relativ zur Rakete ist ve′ = v'−v ∆p = p (t + ∆t ) − p (t ) = m∆v + ∆mve − ∆m∆v Die Impulsänderung ist dann ∆p ∆v ∆m ∆m ∆v ve − =m + ∆t ∆t ∆t ∆t dp dv dm ∆p ve = lim =m + ∆ → 0 t dt dt dt ∆t da der dritte Summand gegen Null geht. 49 Experimentalphysik I Die Impulsänderung nach dem 2. Axiom ist gleich der äußeren Kraft F; sie setzt sich zusammen aus dem Produkt aus Masse m und Beschleunigung aR = dv/dt der Rakete, und der Schubkraft Rve F= dp = maR − Rve mit ve < 0 dt und der Brennstoffrate R = −dm/dt > 0. Integration der Gleichung von t = 0 bis zur Brennzeit t = T , bei der der Brennstoffvorrat mB = m0 − m verbraucht ist, wobei m0 die Startmasse ist, liefert m0 m − gt v(T ) = ve ln − gt = ve ln m m0 Beispiel: Saturn-Mondrakete Für die erste Raketenstufe gilt Beim Start ist die äußere Kraft die Schwerkraft der Rakete, im All ist sie gleich null. Start auf der Erdoberfläche: m0 = 2.9 ×106 kg m = 0.6 ×106 kg ve = 2500 m/s T = 153 s dv dm ve = −mg F =m + dt dt dm ⇔ dv = − ve − g dt m Dies ist die so genannte Raketengleichung. v(T ) = 4000 m m − gT ≈ 2500 s s 50 Experimentalphysik I Beispiel: Raketenrucksack 3.7 Lösen von Bewegungsgleichungen Bedingung für Aufsteigen ist aR > 0: Beispiel: Freier Fall in Erdnähe dv R = ve − g > 0 dt m0 Zahlenwerte: m0 = 150 kg ve = 300 m/s R = 5 kg/s Es wird die Reibung vernachlässigt und angenommen, dass g = const. m z Gewichtskraft Fg = m g g = 9.81 m s2 Es handelt sich um ein eindimensionales Problem, d.h. nur Komponenten entlang der z-Achse sind ungleich Null. Das 2. Newtonsche Axiom (Beträge) liefert: Eine Flugzeit von z.B. T = 20 s erfordert daher rund 100 kg Treibstoff. F = ma = m g d 2 z dv = =g 2 dt dt 51 Experimentalphysik I Zweimalige Integration der Gleichung ergibt den der Fallweg z(t) z (t ) = 1 2 g t + v0t + z0 2 Beispiel: Atwoodsche Fallmaschine Beide Massen M und m werden durch die Gewichtskraft der Masse m gleichmäßig beschleunigt. Mit den Anfangswerten z0 und v0 als Ort und Geschwindigkeit zur Zeit t = 0. Für den Fall z0 = 0 und v0 = 0 erhält man für die Fallkurve eine Parabel. M z [ m] a m F Fallkurve x Die Bewegungsgleichung lautet: t [s ] F = (M + m ) a = (M + m ) x = m g 52 Experimentalphysik I Integration liefert mit den Startwerten x0 = 0 , v0 = 0 m a=x= g M +m m gt x= M +m 1 mg 2 x(t ) = t 2 M +m Der Vergleich mit dem freien Fall zeigt eine um den Faktor m⁄(M+m) geringere Beschleunigung a. Die Fallzeit t ist entsprechend erhöht: t= Beispiel: Federpendel 2 x(M + m ) 2x = mg a D FD m Fg Masse m mit Gewichtskraft Fg hängt an einer Feder mit Federkonstante D. In der Ruhelage (Kräftegleichgewicht, d.h. Fg = FD) sei x = 0. Wird die Masse um die Strecke x aus der Ruhelage ausgelenkt, so wirkt die rückstellende Federkraft F (t ) = − D x(t ) 53 Experimentalphysik I Mit dem 2. Newtonschen Axiom, d 2x F = ma = m 2 = mx dt wird die Bewegung x(t) der Masse m durch eine Differentialgleichung (DGL) 2. Ordnung beschrieben: F (t ) = − D x(t ) = mx(t ) D ⇔ x(t ) = − x(t ) m Eine allgemeine Lösung ist x(t ) = A sin(ωt ) + B cos(ωt ) Dies ist die allgemeine Schreibweise einer harmonischen Schwingung. Die Randbedingung sei x (t = 0) = x0, d.h. die Masse m wird zur Zeit t = 0 mit der Anfangsauslenkung x0 losgelassen: Einsetzen von x (t) in die DGL liefert die Schwingung x(t ) = x0 cos(ωt ) mit der Schwingungskreisfrequenz ω= D m Die Schwingungsfrequenz f (Anzahl der Schwingungen pro Sekunde) und die Periodendauer T (Zeit für eine vollständige Schwingung) ist dann f = 1 ω = 2π 2π D 1 , T= m f 54 Experimentalphysik I Beispiel: (Mathematisches) Fadenpendel l ϕ m Fs s Fr Fg Masse m am Faden der Länge l wird um den Winkel ϕ bzw. den Kreisbogenabschnitt s ausgelenkt. Es ist − s = −lϕ Die Gewichtskraft Fg der Masse m wird zerlegt in Seilkraft Fs und rücktreibende Kraft Fr in Richtung der Bewegung mit Fr = −mg sin ϕ Das Minuszeichen berücksichtigt, dass die rücktreibende Kraft der Auslenkung entgegenwirkt. Für kleine Auslenkungen ϕ << 1 gilt sin ϕ = ϕ − ϕ3 3! + ϕ5 5! − ... ≈ ϕ Die Bewegungsgleichung lautet dann Fr = −mg ϕ = −mg s = ms l Mit der Randbedingung s (t = 0) = s0 lautet eine Lösung dieser harmonischen Schwingungsgleichung wieder s (t ) = s0 cos(ωt ) mit der Schwingungskreisfrequenz ω= g l 55 Experimentalphysik I Beispiel: Hemmpendel Die Kugel des Fadenpendels schwingt auf beiden Seiten auf die gleiche Höhe h, unabhängig von der Position des Hemmstabs. In dieser Höhe ist die kinetische Energie vollständig in potentielle Energie umgewandelt worden. Hemmstab h 56 Experimentalphysik I 3.8 Drehmoment und Drehimpuls Drehmoment Beispiel: Balkenwaage Gleichgewicht Waage: m1 an der l gleicharmigen l m2 Für m1 = m2 sind die Gewichtskräfte gleich, also F1 = F2 m2 Bei ungleichen Hebelarmen gilt: F2 F1 m1 m1 l1 = m2 l2 F1 l1 = F2 l 2 Wenn die Kraft F und der Hebelarm l senkrecht aufeinander stehen, so ist das Produkt aus beiden das Drehmoment M = Fl 57 Experimentalphysik I Allgemein gilt für das Drehmoment: r M = r F sin α α r sin α F und damit Experiment zum Vektorprodukt des Drehmoments mit Hilfe einer drehbaren Scheibe: M =r×F r Fall 1: × M Fall 2: r Das Drehmoment als Vektorprodukt M = r × F aus Hebelarmvektor und Kraftvektor steht senkrecht zu den beiden Größen und gibt die Drehachse an, um die sich ein Körper drehen könnte (falls M ungleich Null ist). F⊥r F F M = M max F || r M =0 m1 m2 58 Experimentalphysik I Experiment: Momentenscheibe Drehimpuls Der lineare Impuls war definiert durch: Scheibe p = mv Der Drehimpuls eines Massepunktes ist definiert als: L = r × p = r × mv Die Größe des Drehimpulses hängt von der Wahl des Ursprungs ab. Drehachse L bezogen auf den Kreismittelpunkt O: L || ω Gewichte 59 Experimentalphysik I L'bezogen auf den Punkt O' : L' ||ω Der Drehimpuls war definiert als L=r×p Daraus folgt durch zeitliches Ableiten dL =r× p+r× p dt Wegen p = mv = mr r || p r×p=0 ergibt sich: Mit r ≠ r 'gilt auch L′ = mr ′ × v ≠ L = mr × v dL =r×p dt 60 Experimentalphysik I Mit dem 2. Newtonschen Axiom folgt F=p Das Drehmoment wurde definiert als: M = r×F 3.9 Drehimpulserhaltung Betrachtet wird ein abgeschlossenes System aus zwei Teilchen der Massen m1 und m2 an den Orten r1 und r2: m1 r = r2 − r1 m2 Also gilt dL = r ×F = M dt Ein Drehmoment M bewirkt demnach eine Änderung des Drehimpulses L . Dies ist eine ähnliche Gleichung wie das 2. Newtonsche Axiom und wird daher auch als Grundgleichung der Drehbewegung bezeichnet: dL =M dt ⇔ dp =F dt r1 r2 Nach dem 3. Newtonschen Axiom wirken entgegengesetzte, gleiche große (Gravitations-) Kräfte auf die Massen. Das gesamte Drehmoment lautet: M = r1 × F12 + r2 × F21 = r × F12 = 0 weil F21 || r für Zentralkräfte ist. 61 Experimentalphysik I In einem abgeschlossenen System, auf das keine externen Momente einwirken, gilt also die Drehimpulserhaltung: M= dL =0 dt L = const. Dann gilt: M = r × F (r ) = r × [ f (r ) r ] = 0 In Zentralkraftfeldern bleibt der Drehimpuls also erhalten. Der Gesamtdrehimpuls des Systems ist eine Erhaltungsgröße. Da der Drehimpuls ein Vektor ist, gilt diese Aussage für jede einzelne Komponente. Beispiel: Massepunkt im Zentralkraftfeld In einem Zentralkraftfeld zeigt die Kraft entlang der Verbindungslinie der miteinander wechselwirkenden Körper und ist eine Funktion des Abstandes: F (r ) = f (r ) r 62 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Inhalt der Vorlesung Experimentalphysik I Teil 1: Mechanik 1. 2. 3. 4. Physikalische Größen und Einheiten Kinematik von Massepunkten Dynamik von Massepunkten Gravitation 4.1 Keplersche Gesetze 4.2 Newtonsches Gravitationsgesetz 4.3 Messmethoden: Gravitationswaage 5. 6. 7. Energie und Arbeit Bewegte Bezugsysteme ... 67 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) 4. Gravitation Geozentrisches Weltbild Aus dem vorherigen Kapitel ist bekannt, dass in einem Zentralkraftfeld wie dem Gravitationsfeld der Drehimpuls konstant ist: r dL d r r r = (r × p) = 0 dt dt Die Bewegung von Planeten im Weltall erfolgt daher in einer Ebene senkrecht zum Drehimpulsvektor um die Sonne. Im Gegensatz zum geozentrischen Weltbild mit der Erde im Mittelpunkt bewegen sich die Planeten im heliozentrischen Weltbild auf Ellipsenbahnen um die Sonne. 68 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Heliozentrisches Weltbild Erschwert wird die Planetenbeobachtung durch die Kreisbewegung der Erde, welche zu schleifenartigen Planetenbahnen (von der Erde betrachtet) führt. 4.1 Keplersche Gesetze Alle Planeten bewegen sich auf elliptischen Bahnen um die Sonne. Die Sonne steht dabei in einem Brennpunkt der Ellipse. Die Beobachtung der Planetenbahnen durch Kepler (1609-1619) führt auf die drei Keplerschen Gesetze: Astronomica Nova (1609) Harmonici Mundi (1619) 69 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Eine Ellipse ist eine geschlossene Kurve mit der bestimmenden Beziehung x2 y2 + 2 =1 2 a b B1 "Die Planetenbewegung erfolgt auf Ellipsenbahnen mit der Sonne in einem der Brennpunkte." 2. Keplersches Gesetz y b 1. Keplersches Gesetz r u v B 2 a x "Der Fahrstrahl r (t ) (Verbindungslinie zwischen Sonne und Planet) überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen." Δt Sonne Ellipse Die Brennpunkte sind B1 und B2. Für die Verbindungslinien zu jedem Punkt der Ellipse gilt u + v = const. . Im Grenzfall a = b erhält man einen Kreis. A1 r r (t ) A2 Δt dA = const. dt 70 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) 3. Keplersches Gesetz "Die Quadrate der Planetenumlaufzeiten sind proportional zur dritten Potenz der großen Halbachsen (dies ist der mittlere Abstand Sonne-Planet)." 2 2 3 Ti T1 a1 = ⇔ = const . ∀ i 2 3 3 T2 a2 ai 1r r 1 r r r × dr = r × m dr 2 2m r 1 r dr = r × m dt 2m dt 1 r r = r × m v dt 2m dA = 4.2 Newtonsches Gravitationsgesetz Ausgangspunkt sind das 1. und 2. Keplersche Gesetz: Für die in der Zeit dt überstrichene Fläche dA gilt: r dr dA r r dA = const. dt Es folgt weiter r dA 1 r = r ×mv dt 2m 1 r r = r×p 2m 1 = L = const. 2m 71 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Damit gilt Δt dA 1 r A( Δt ) = ∫ dt = L Δt dt 2m 0 d.h. das 2. Keplersche Gesetz folgt aus der Drehimpulserhaltung r r r für Zentralkraftfelder F (r ) = f (r ) r . Nach dem 3. Newtonschen Axiom üben zwei Massen gleich große Kräfte aufeinander aus, d.h. es muss gelten F ~ m1m2. Aus den Vorüberlegungen resultiert der Ansatz für die Gravitationskraft FG : r r FG (r ) = G m1 m2 f (r ) rˆ Ein Vektor in radialer Richtung mit dem Betrag 1 wird als (radialer) Einheitsvektor bezeichnet. Mögliche Schreibweisen sind z.B. r r r rˆ = = er = eˆr r Eine "spezielle" Ellipsenbahn ist die Kreisbahn mit Radius r. Dann wirkt die Gravitationskraft als Zentripetalkraft und ist entgegengesetzt gleich der Zentrifugalkraft Fz . Ein Körper der Masse m1 kreise um die Masse m2 auf einer Bahn mit Radius r1. Das Kräftegleichgewicht lautet dann m1 ω1 r1 = G m1 m2 f (r1 ) 2 mit der Gravitationskonstante G als Proportionalitätskonstante. 72 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Damit erhält man das Newtonsche Gravitationsgesetz Fz m1 FG r1 r m1m2 FG = G 2 rˆ r mit r = |r2 − r1| als Abstand der beiden Massen und der Gravitationskonstante G = 6.67 ⋅10 −11 Nm2kg−2 . m2 Nach dem 3. Keplerschen Gesetz gilt ω12 ∝ 1 1 ∝ 2 3 T1 r1 1 ⇒ f (r1 ) = 2 r1 73 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Beispiel: Freier Fall im Vakuum Vakuumpumpe massive Kugel Papierstück Plexiglasrohr Fall in Luft Fall im Vakuum In Luft wirkt die Reibungskraft, die das Papierstück abbremst. Im Vakuum fallen die Kugel und das Papier gleich schnell. 74 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) 4.3 Messmethoden: Gravitationswaage Versuch: Messung der Gravitationskonstante nach Cavendish (1798) Gravitationswaage Torsionsfaden Anordnung der Kugeln Position 1 Probenkugel m2 Masse m1 Masse m2 Spiegel Bei der "Beschleunigungsmethode" werden die Massen m2 in Richtung von m1 beschleunigt; der zurückgelegte Weg (gemessen mit Lichtzeiger) aufgetragen gegen t2 ergibt eine Gerade, aus der G ermittelt werden kann. Position 2 Lichtzeiger Massenkugel m1 75 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Inhalt der Vorlesung Experimentalphysik I Teil 1: Mechanik 3. 4. 5. … Dynamik von Massepunkten Gravitation Energie und Arbeit 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 6. 7. 8. Definition der Arbeit Potentielle Energie Kinetische Energie Energieerhaltung Mechanische Leistung Kraftfeld und Potential Reibungskräfte Bewegte Bezugsysteme Massepunktsysteme ... 76 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) 5 Arbeit, Energie und Leistung Dynamik: Lösung der Bewegungsgleichung F = ma = m&x& mit bekannter Kraft der Form F = F (t ). Im Allgemeinen hängt die Kraft vom Ort ab, ist also ein sogenanntes Kraftfeld F = F (r (t )). Die Lösung der Bewegungsgleichung führt dann auf die Begriffe Arbeit und Energie. 5.1 Definition der Arbeit r Auf einen Körper wirke r die Kraft F , die ihn um die Strecke m Δr verschiebt. r F Θ r Δr Dann ist die geleistete Arbeit gleich dem Skalarprodukt aus der (hier: konstanten) Kraft und dem Verschiebungsvektor: r r W = F ⋅ Δr = F Δr cos Θ Wichtig: Nur die Kraft (-komponente) in Richtung der Verschiebung trägt zur Arbeit bei – die oft genannte Beziehung „Arbeit ist Kraft mal Weg“ beschreibt nur die Situation wenn beide Vektoren (F, Δr) parallel stehen. Die obige Beziehung gilt auch nur, wenn die Kraft entlang der Verschiebung konstant ist. In dem gezeigten Beispiel ist die Arbeit Reibungsarbeit (Umwandlung in Wärme): r r W =| FR || Δr | = − FR s 77 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Die Einheit der Arbeit ist Joule: Für den Grenzfall Δri Æ 0 folgt das Linien- bzw. Wegintegral [W] = 1 Joule = 1 J = 1 N m 1 J = 1 Nm = 1 kg W = m2/s2 Ist die Kraft entlang der Verschiebung nicht konstant oder der Weg gekrümmt, muss bei der Berechnung der Arbeit anders vorgegangen werden: Es wird über infinitesimale Teilarbeiten oder –wege summiert bzw. integriert. Auf dem Wegstück Δr werde die Arbeit ΔW verrichtet: r r2 ∫ r r r F (r ) ⋅ dr r r1 r dr r r1 r r r r F (r ) r r2 W ist also die Fläche der Kurve F(r) r r r ΔW = F (r ) ⋅ Δr F(r) Die gesamte Arbeit W ist die Summe über alle Wegstücke i r r r W = ∑ ΔW = ∑ F (ri ) ⋅ Δri i 0 r1 r2 r 78 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Bsp.: Ortsunabhängige Kraft: Reibung Beispiel: Ortsabhängige Kraft: Feder Ein Körper der Masse m wird auf einem Wege vom Ort r1 zum Ort r2 bewegt. Es wirkt eine ortsunabhängige Reibungskraft FR. Eine Feder wird durch die Kraft F um die Länge x gedehnt. Es gilt das Hookesche Gesetz: r r2 W = ∫ r r FR ⋅ d r r r1 r r2 = − ∫ D= F ⇒ F ( x) = − D x = FD x Die zum Spannen der Feder aufgewendete Arbeit ist dann x F R dr r r1 = − F R ( r2 − r1 ) Das negative Vorzeichen berücksichtigt hier, dass die Reibungskraft dem Weg entgegengerichtet ist. Ein negatives Vorzeichen der Arbeit W steht für (am Körper) verrichtete Arbeit. x ∫ ∫ W = F (~ x ) d~ x = −D ~ x d~ x 0 0 ⎡~ x2 ⎤ 1 = − D ⎢ ⎥ = − Dx 2 2 ⎣ 2 ⎦0 x In der (gespannten) Feder wird diese Arbeit als potentielle Energie gespeichert W= 1 D x2 2 79 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) 5.2 Potentielle Energie Bsp.: Masse m im Schwerefeld der Erde Potentielle Energie ist die Arbeit an einem Körper, um ihn gegen die Kraft F vom Ort r0 zum Ort r zu verschieben: r F r r r r r r r E pot (r ) = F (r ' ) ⋅ dr ' = W (r ) − W0 ∫ r r0 m h r G r Die Energie W0 = W (r0 ) ist dabei ein (willkürlich) gewählter Bezugspunkt. Die wirksame Kraft lautet Physikalische Aussagen sind nur für Differenzen der potentiellen Energie sinnvoll: r Beim Heben ist F parallel zum Weg h und konstant, so dass gilt E = m g h . r 2 r r r r r r ΔE pot (r ) = F (r ' ) ⋅ dr ' = W (r2 ) − W (r1 ) ∫ r r1 ist die Änderung der potentiellen Energie bei Verschieben des Körpers von r1 nach r2. r r r F = −G = m g Die Arbeit W ist aufzubringen, um die Masse m in die Höhe h zu bringen. Gegen den Boden ist die potentielle Energie erhöht um den Betrag Epot = W = m g h 80 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Konservative Kräfte ΔE pot Für viele Kräfte ist die potentielle Energie unabhängig vom Weg, auf dem ein Körper verschoben wird. Solche Kräfte nennt man konservative Kräfte. Ein Körper werde vom Ort r1 zum Ort r2 einmal über den Weg A und alternativ über den Weg B verschoben. A ∫ ∫ A B r r r r r r ⇔ F (r ) ⋅ dr − F (r ) ⋅ dr ∫ A ∫ B r r r = F (r ) ⋅ dr = 0 ∫ Kräfte, welche die letzte Bedingung erfüllen, heißen konservative Kräfte. Beispiele für konservative Kräfte: - Gravitationskraft, Coulomb-Kraft r r2 B 0 r r r r r r = F (r ) ⋅ dr = F (r ) ⋅ dr Beispiel für nicht-konservative Kräfte: - Reibungskraft (weil ~Weg) r r1 81 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) 5.3 Kinetische Energie Ein Körper der Masse m wird durch die konstante Kraft F auf die Geschwindigkeit v beschleunigt. m ΔEkin = r F r v ( 1 m v22 − v12 2 ) 5.4 Energieerhaltung Die dabei geleistete Arbeit führt zur Erhöhung der Bewegungsenergie oder kinetischen Energie: r r r r r r r ⎛1 r ⎞ Ekin (r ) = F (r ) ⋅ dr = F ⋅ r = (ma) ⋅ ⎜ at 2 ⎟ ⎝2 ⎠ ∫ r ⎛⎜ 1 r⎛ v ⎞ = (ma) ⋅ a⎜ ⎟ ⎜2 ⎝a⎠ ⎝ Bei einer Geschwindigkeitsänderung von v1 auf v2 ändert sich also die kinetische Energie um den 2 ⎞ 1 2 r ⎟ = mv (r ) ⎟ 2 ⎠ Die Summe aus potentieller Energie und kinetischer Energie ist zeitlich konstant: E ges = E pot + Ekin = const. oder oder ∂Eges ∂t =0 r r r r E pot (r1 ) + Ekin (r1 ) = E pot (r2 ) + Ekin (r2 ) 82 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Die Energieerhaltung lässt sich mit Hilfe des 2. Newtonschen Gesetzes beweisen: r r2 r r r r r E pot (r1 ) − E pot (r2 ) = F ( r ) ⋅ dr Beispiel: Freier Fall Eine Masse m fällt aus der Höhe h über dem Boden nach unten. ∫ r r2 r r r = m a (r ) ⋅ dr = m ∫ r r1 r t2 ( r2 ) =m ∫ r r a ⋅ v dt = m r t1 ( r1 ) r r v2 ( r2 ) 1 = m 2 r r1 r t2 ( r2 ) ∫ r t1 ( r1 ) r t2 ( r2 ) ∫ r t1 ( r1 ) r r r dr a (r (t )) ⋅ dt dt 1 ⎛ dv 2 ⎞ ⎟⎟ dt ⎜⎜ 2 ⎝ dt ⎠ 1 dv = m (v22 − v12 ) 2 r ∫ v 1 ( r1 ) 2 Epot h v Ekin In der Höhe h gilt (1) (1) E pot = m g h , Ekin =0 und am Boden (Bezugspunkt Wpot = 0) 1 2 mv 2 1 ⇔ m g h = m v2 2 ( 2) ( 2) = 0 , Ekin = E pot E (1) = E (2) v = 2gh 83 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Beispiel: Luftgewehrschuss Beispiel: Federschwingung (Kap. 3.7) Federkraft mit Federkonstante D Kinetische Energie der (waagerecht) schwingenden Masse m FD ( x) = − D x Arbeit zum Spannen der Feder um die strecke x0 x0 1 2 WD = FD dx = − D x0 2 ∫ 0 Luftgewehrschuss: Umwandlung von potentieller in kinetische Energie zur Beschleunigung der Luftgewehrkugel mit Masse m (Annahme: masselose Feder) 1 1 2 2 D x0 = m v0 2 2 ⇔ v0 = D x0 m Ekin 1 2 = mv 2 Potentielle Energie der ausgelenkten Feder mit Federkonstante D E pot = 1 2 Dx 2 Harmonische Schwingung x(t ) = x0 sin(ωt ) mit ω 2 = D / m Beweis der Energieerhaltung E ges = Ekin + E pot 1 2 = x0 {mω 2 cos 2 (ωt ) + D sin 2 (ωt )} 2 1 2 = x0 D = const. 2 84 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Beispiel: Loopingbahn Ein Wagen der Masse m startet in einer Höhe h auf einer schrägen Rampe und durchläuft einen Looping. Wie groß muss h sein, damit der Wagen im höchsten Punkt gerade nicht herunterfällt? Wagen Masse m h v2 Fz = m az = m = mg = Fg R ⇒ v2 = g R Energieerhaltung liefert Fz Start Loop Loop Epot = Epot + Ekin Fg R Reibung werde vernachlässigt. Da die Kräfte im Scheitelpunkt entgegengesetzt sind wird mit Beträgen gerechnet. 2R 1 2 m g h = mg (2 R ) + mv 2 Damit erhält man als Ergebnis 1 2 mv 2 ⇒ v 2 = 2 g (h − 2 R ) = gR 5 ⇒h= R 2 ΔEpot = m g (h − 2 R ) = Ansatz: Bei hinreichend hoher Geschwindigkeit überwiegt die Zentrifugalkraft Fz gegenüber der Gewichtskraft Fg. 85 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Beispiel: Fluchtgeschwindigkeit Gesucht ist die Geschwindigkeit, auf die Körper (z.B. Rakete) auf der Erde beschleunigt werden muss, damit er das Schwerefeld der Erde verlassen kann. Die notwendige Energie zum Verlassen der Erde (d.h. Arbeit gegen die Gravitationskraft, von der Erdoberfläche RE bis „unendlich“ weit weg) ist: ∞ WFlucht = ∫ F (r ) dr G RE ∞ = G m mE ∫ RE 1 dr 2 r = G m mE / RE Die notwendige kinetische Energie ist 1 m v 2 = G m mE / RE 2 ⇔ v = vFlucht = 2GmE / RE ≈ 11.2 km/s Der Abschuss von (interplanetaren) Raketen erfolgt meist in Äquatornähe (z.B. Cape Canaveral) und in östlicher Richtung, um die Rotationsgeschwindigkeit (ca. 1.5 km/s) der Erde zu nutzen. Der von der Rakete eingeschlagene Weg (z.B. radial oder Spiralbahn) ist aus energetischer Sicht unerheblich; allerdings ist die Energiezufuhr zum Erreichen von vFlucht über einen längeren Weg u.U. leichter zu erreichen. 86 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) 5.5 Mechanische Leistung Die auf die Zeit bezogene Arbeit ist als Leistung definiert: dW P= dt Leistung ist gleich Arbeit pro Zeit. Damit ist die Arbeit auch t1 W = ∫ P (t ) dt t0 Die Einheit der Leistung ist: J Nm [P] = 1 = 1 = 1 Watt = 1W s s früher : 1.36 PS = 1 kW Beispiel: Beschleunigung PKW Ein PKW mit Masse m = 1200 Kg und einem 75 PS-Motor beschleunige aus dem Stand auf v0 = 100 km/s. Gesucht ist die Beschleunigungszeit tB. 1 2 P = Ekin / t B = mv0 / t B 2 1 ⇔ t B = mv02 / P 2 ≈9s Anmerkung: Es wurde vernachlässigt, dass der Motor die Maximalleistung nicht während der gesamten Beschleunigungsphase erbringt. Daher ist die Zeit tB hier deutlich zu kurz. 87 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) 5.6 Kraftfeld und Potential Die in einer gespannten Feder gespeicherte potentielle Energie war: 1 W ( x) = D x 2 2 Durch Differenzieren ergibt sich: dW ( x) = D x = − FD ( x) dx mit der Federkraft FD(x), welche die Feder auseinander drückt. Dies ist also die Kraft, welche auf die Feder wirkt. Aus der potentiellen Energie W lässt sich also die wirksame Kraft berechnen: F ( x) = − dW ( x) dx Allgemein gilt in drei Dimensionen: ⎛ dW / dy ⎞ r r r ⎜ ⎟ F (r ) = −⎜ dW / dy ⎟ = −∇ W = −grad W ⎜ dW / dz ⎟ ⎝ ⎠ r r mit dem Kraftfeld F (r ) r Potential W (r ) . und dem r Die Größe ∇ heißt Nabla-Operator. Aus der Kenntnis des wirksamen Potentials (d.h. dem Wissen, wie sich die potentielle Energie räumlich ändert) lässt sich damit die auf einen Körper wirkende Kraft berechnen, womit dann die Beschreibung der zugehörigen Bewegung möglich ist. Häufig benutzt man für das Potential V oder U statt W. 88 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Beispiel: Bewegung der Masse m im Gravitationspotential der Erde Auf die Masse m wirkt im Abstand r die Gravitationskraft : r r m mE FG (r ) = G 2 rˆ r Das zugehörige Potential lautet dann: Beweis: r m mE U (r ) = − G r r r r FG (r ) = −gradU (r ) ⎧ ∂ ⎛ 1 ⎞ ∂ ⎛ 1 ⎞ ∂ ⎛ 1 ⎞⎫ = Gm mE ⎨ ⎜ ⎟, ⎜ ⎟, ⎜ ⎟⎬ ⎩ ∂x ⎝ r ⎠ ∂y ⎝ r ⎠ ∂z ⎝ r ⎠⎭ ⎫ ⎧ − 1/ 2⋅ 2 x , ... = −Gm mE ⎨ 2 ⎬ 2 2 3/ 2 ( ) x y z + + ⎭ ⎩ r r ⎧x y z⎫ = Gm mE ⎨ 3 , 3 , 3 ⎬ = Gm mE 3 r ⎩r r r ⎭ Zur Berechnung von Bewegungen eines Körpers in einem Potential müssen häufig weitere Nebenbedingungen berücksichtigt werden, z.B. Energieerhaltung. Bsp.: Effektives Potential des Mondes im Schwerefeld der Erde Die Bewegung des Mondes wird durch das Gleichgewicht von Zentrifugal- und Gravitationskraft bewirkt. Es gibt zwei Erhaltungsgrößen: E = Ekin + E pot = const. r r r Zentralkraft: L = r × p = const. Energie: Die Bahnkurve des Mondes (Ellipsenbahnen) wird in ebenen Polarkoordinaten beschrieben: r r = (r , ϕ ) 89 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Die Bahngeschwindigkeit (und damit die kinetische Energie) enthält entsprechend tangentiale und radiale Anteile: Ekin 1 1 = mv 2 = m(vr2 + vϕ2 ) 2 2 1 = m(r& 2 + r 2ϕ& 2 ) 2 tang rad = Ekin + Ekin Der Betrag des Drehimpulses L = mrvϕ = mr 2ϕ& = const. und die Gesamtenergie sind konstant: 1 2 E = E pot + mv 2 1 2 L2 = E pot + mr& + = const. 2 2 2mr Die potentielle Energie war Hier sind vr und vϕ die Radial- bzw. Winkelgeschwindigkeit (für eine Kreisbahn würde vr = 0 gelten). Die Differenz aus Gesamtenergie E und radialer kinetischer Energie Ekinrad bildet die effektive potentielle Energie Epoteff vr v E pot m mE = −G r vϕ r eff tang rad E pot = E pot + Ekin = E − Ekin 90 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Trägt man das effektive Potential als Funktion des Bahnradius r auf, so lassen sich die möglichen Bahnkurven des Planeten ablesen: Energie tang kin E L2 = 2mr 2 Besitzt der Planet eine von Null verschiedene radiale kinetische Energie, so gilt eff tang E pot = E pot + Ekin r1 r0 rad eff Ekin = E1 − E pot >0 r2 r E1 E0 rad Ekin E pot = − GmmE r Die kleinste mögliche Energie E0 führt zu einer Kreisbahn des Planeten mit konstantem Radius r0. Diese Energie entspricht gerade dem Minimum des effektiven Potentials; in diesem Fall ist die radiale kinetische Energie gleich Null. Der Planet beschreibt nun eine Ellipsenbahn mit den beiden Halbachsen r1, r2. Nimmt die radiale kinetische Energie rad eff > − E pot weiter zu, Ekin , so wird der Planet zum Kometen: Er kann nun auf einer halboffenen Kometenbahn das anziehende Gravitationspotential verlassen. 91 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) 5.7 Reibungskräfte Reibungskräfte treten immer dann auf, wenn sich Grenzflächen zweier Körper mit einer Relativgeschwindigkeit zueinander bewegen. Dabei wird kinetische Energie in Wärmeenergie umgewandelt. Eine allgemeingültige Beschreibung der Reibung ist schwierig. Empirisch findet man häufig für Reibungskräfte FR charakteristische Abhängigkeiten von der Geschwindigkeit v : FR (v) = a v n , a : Konstante n = 0: Coulomb-Reibung oder Festkörperreibung, unabhängig von der Geschwindigkeit, n = 1: Stokes-Reibung oder viskose Reibung (gilt z.B. fluide Medien und geringe Geschwindigkeiten), n = 2: Newton-Reibung (fluide Medien bei bei hohen Geschwindigkeiten, beschreibt turbulente Strömungen). Coulomb-Reibung Die Reibungskraft ist unabhängig von der Geschwindigkeit und hängt von der Normalkraft senkrecht zur Grenzfläche ab: r r FR = µ N µ = Reibungskoeffizient r FR Unterlage r N r F r mg 92 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) r Die Kraft FR steht parallel zu den sich berührenden Flächen. Empirisch findet man, dass bei gleicher Masse die Reibungskraft (und damit μ) unabhängig von der Größe der Auflagefläche ist: Es wird unterschieden zwischen zwei unterschiedlichen Arten von Reibung: r Haftreibung FR ,H , die Masse ist in Ruhe r Gleitreibung FR ,G , die Masse wird bewegt Dabei gilt immer: r r F R , H > F R ,G m m m d.h. die Haftreibung ist immer größer als die Gleitreibung. m Wenn keine Kraft wirkt, so gilt r r FR = 0 So lange der Körper noch nicht gleitet ist r r FR = − F M1 Masse m gleitet nicht, falls M1g < μsm g 93 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Beispiele für Reibungskoeffizienten: m M2 Masse gleitet wenn M 2 g ≥ μ s m g Die Haft- und Gleitreibungskoeffizienten µS und µG sind stark abhängig von der Beschaffenheit der jeweiligen Oberflächen (glatt, rauh, feucht, .....): μµHS Flächen µG Glas auf Glas 0.4 0.9 – 1 Glas auf Metall 0.2-0.3 0.5 – 0.7 Metall auf Metall 0.3 – 1 Stahl auf Stahl 0.6 0.7 Stahl auf Stahl 0.03-0.11 0.05-0.13 Mit Öl dazwischen Teflon auf Metall 0.04 0.04 Gelenk mit Gelenk0.003 flüssigkeit sehr klein ! 0.25 0.3 Gummi auf Beton (naß) Gummi auf Beton (trocken) 0.8 1–4 z.B. Reifen 94 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Prinzip der Luftkissenschiene zur starken Verringerung der Reibung: Schlitten p0 p1>p0 Messung von µS an der schiefen Ebene FR = m g sin Θ Luftschicht N = m g cos Θ Θ mg Θ Der Winkel Θ wird solange erhöht, bis der Körper zu gleiten beginnt. μs = FR m g sin Θ max = = tan Θ max N m g cos Θ max ⇒ μ s = tan Θ max Luftspalt 95 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Stokessche Reibung Die Stokessche Reibung beruht auf dem Modell der laminaren Strömung. Hierbei wird angenommen, dass zwei Grenzflächen eines Festkörpers und eines fluiden (Gas, Flüssigkeit) Mediums (oder zweier Fluide) in Schichten aufeinander gleiten. Für die Größe der Reibungskraft ist die Zähigkeit (Viskosität) des Mediums die entscheidende Größe. Für eine Folge von aufeinander gleitenden Schichten mit der Fläche A und dem Geschwindigkeitsgradienten dv/dx (senkrecht zur Fläche) erhält man zunächst allgemein die so genannte Newtonsche Reibungsformel dv FR = η A dx Für das (langsame) Fallen einer Kugel mit Radius R im viskosen Medium mit (dynamischer) Viskosität η (längere Rechnung) lautet das Stokessche Gesetz FR = 6πηRv Beispiel: Fallviskosimeter Kugel: Radius R Dichte ρK Volumen VK = 4πR3/3 Masse m = rKVK Öl: Öl Dichte ρ dyn. Viskosität η FR = FG − FAuftrieb 6π η R v = 4 / 3π R 3 ( ρ K − ρ ) g 2g (ρK − ρ ) ⇔v= 9η 96 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Turbulente Strömungen Bei größeren Strömungsgeschwindigkeiten wird kinetische Energie auf das umgebende Medium übertragen; es kommt insbesondere zur Wirbelbildung. Modell: Ein Körper mit Querschnittsfläche A bewegt sich mit Geschwindigkeit v durch ein Medium. Dabei beschleunigt er das (Luft-) Volumen V = s Aeff auf die gleiche Geschwindigkeit: s Fläche A Masse : m = Vρ Luft = Aeff vtρ Luft Auf das (Luft-) Volumen übertragene kinetische Energie E: W= 1 2 1 mv = Aeff tρ Luft v 3 2 2 Interpretation: Arbeit W wird geleistet gegen die Reibungskraft FR auf Strecke s: 1 Aeff tρ Luft v 3 2 W W 1 ⇔ FR = = = Aeff ρ Luft v 2 s vt 2 W = FR s = v Fläche Aeff s ⇔ s = vt t Volumen : V = sAeff = Aeff vt v= Volumen V 97 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Das Verhältnis aus effektiver Fläche Aeff und Querschnittsfläche A des Körpers wird als Widerstandsbeiwert cW : cW = Aeff A ⇔ FR = 1 cW Aρ Luft v 2 2 Beispiele für Widerstandsbeiwerte cW : Kreisplatte: cW = 1.1 Halbkugel (1): cW = 0.4 Halbkugel (2): cW = 0.34 Halbkugel (3): cW = 1.33 30°-Kegel: cW = 0.34 Flügelprofil: cW ≈ 0.1 Beispiel: Fallschirmspringer Ein Fallschirmspringer mit der Masse m = 100 kg und der Querschnittsfläche A = 1 m2 springt aus großer Höhe mit dem Fallschirm ab. Seinen Widerstandsbeiwert kann er von cW,1 = 0.5 (gestreckt) über cW,2 = 1 (waagerecht) bis cW,3 = 20 (offener Fallschirm) verändern. Gesucht ist die Landegeschwindigkeit v. FG = FR ⇔ mg = ⇔ v= 1 cW Aρ Luft v 2 2 2mg cW Aρ Luft Zahlenwerte: v1 = 55 m/s , v2 = 39 m/s , v3 = 8.7 m/s 98 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Inhalt der Vorlesung Experimentalphysik I Teil 1: Mechanik 4. 5. 6. … Gravitation Energie und Arbeit Bewegte Bezugsysteme 6.1 6.2 6.3 6.4 7. 8. 9. Inertialsysteme Gleichförmig bewegte Systeme Beschleunigte Bezugssysteme Rotierende Bezugssysteme Dynamik starrer Körper Deformierbare feste Körper ... 99 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) 6. Bewegte Bezugssysteme 6.1 Gleichförmig bewegte Systeme 6.1 Inertialsysteme Es bewege sich ein Bezugsystem S´ mit r der konstanten Geschwindigkeit u relativ zum ruhenden Bezugssystem S. Ein Punkt A hat dann in S´ die Koordinaten: Bewegungen werden in der Physik relativ zu wohldefinierten Bezugssystemen beschrieben. Hierbei ist die Wahl der Koordinaten (z.B. kartesische, Kugeloder Zylinderkoordinaten) beliebig, d.h. die Naturgesetze dürfen nicht von der Wahl der Koordinaten abhängen. Systeme, in denen die Newtonschen Gesetze gelten, heißen Inertialsysteme. Jedes Bezugsystem, das sich relativ zu einem Inertialsystem mit konstanter Geschwindigkeit bewegt, ist selbst wieder ein Inertialsystem. Zur Umrechnung zwischen bewegten Bezugssystemen sind Transformationsgleichung. x′ = x − u x t , y′ = y − u y t , z′ = z − u z t Beide Systeme besitzen gleiche Uhren: t = t′ Dies gilt, solange |u| << c. Für die Geschwindigkeit des Punktes A gilt dann r r dr ′ dr bzw. v′ = v= dt dt r r r ⇒ v′ = v − u 100 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Weiter erhält man für die Beschleunigung des Punktes A r r dv dv ′ a= bzw. a′ = dt dt r r ⇒ a′ = a r r ⇒ F′ = F d.h. in beiden Systemen werden die gleichen Kräfte beobachtet: Sie sind beide Inertialsysteme. Diese Transformation vom System S‘ in das System S wird als Galilei-Transformation bezeichnet: r r r = r ′ + ut r r r v = v′ + u r r a = a′ 6.3 Beschleunigte Bezugssysteme In allen beschleunigten Bezugssystemen treten zusätzliche Scheinkräfte auf, die durch Transformation in ein Inertialsystemen wegfallen. Es wird der Fall eines Systems S´ betrachtet, welches mit a = du/dt gegenüber dem System S beschleunigt wird. Für den Ortsvektor von A in S´ gilt dann r r r r 1 r 2 r du ′ r = r − u0t − a t , a = 2 dt sowie für Geschwindigkeit und Beschleunigung r r r r v ′ = v − u0 − a t r r r dv ′ dv a′ = ≠ dt dt 101 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Im beschleunigten Bezugssystem werden also unterschiedliche Kräfte (a ≠ a´) beobachtet; es ist kein Inertialsystem. Bsp.: Fahrstuhl mit Masse m an Feder r a Die Bewegung der Masse m wird einmal vom Portier (System S) sowie einmal vom Fahrstuhlführer (System S´) beobachtet. D FD m Fg System S: Die Masse wird zusammen mit dem Fahrstuhl beschleunigt, für die wirkende Kraft gilt: r r r F = Fg + FD r r r r = mg + m (a − g ) = ma System S´: Aus Sicht des Fahrstuhlführers ist die Masse in Ruhe, die wirkende Kraft demnach gleich Null: r r r r F = Fg + FD + FT = 0 r r ⇒ FT = − m a d.h. auf die Masse wirkt eine so genannte Scheinkraft oder Trägheitskraft r r FT = − m a Trägheitskräfte treten in beschleunigten Bezugssystemen auf, wenn die Beschleunigung nicht berücksichtigt wird. 102 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) 6.4 Rotierende Bezugssysteme In dieser Situation fallen die Koordinatenursprünge von S und S´ zusammen; das System S´ rotiere mit einer festen Winkelgeschwindigkeit ω = const. um S. Dies entspricht der Situation der Erde im (näherungsweise ortsfesten) Sonnensystem: Das Ziel der folgenden Berechnung ist es, die Beschleunigung zu bestimmen, die ein (mitbewegter) Beobachter im System S` sieht. Diese Beschleunigung a´ wird sowohl von der Winkelgeschwindigkeit ω als auch von der Geschwindigkeit v´ des Beobachters im System S´ abhängen. Als (vorweg genommenes) Ergebnis erhält man zusätzliche Scheinbeschleunigungen, welche den zugehörigen Scheinkräften entsprechen: die CoriolisKraft und die Zentrifugalkraft, welche beide auf den Beobachter wirken: r r r r r r r a′ = a + 2(v ′ × ω ) + ω × (r × ω ) r r r ac + az =a+ Ist die Erde ein Inertialsystem ? r ac : Coriolis-Beschleunigung r az : Zentrifugalbeschleunigung 103 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) S und S´ haben gemeinsamen Ursprung, aber die Koordinatenachsen (ex´, ey´, ez´) rotieren mit ω = (ωx, ωy, ωz) um das ortsfeste Koordinatensystem (ex, ey, ez). Betrachte Punkt A im System S r r (t ) = x(t ) eˆx + y (t ) eˆ y + z (t ) eˆz r dx dy dz v (t ) = eˆx + eˆ y + eˆz dt dt dt Der gleiche Punkt A im System S´ ist r r ′(t ) = x′(t ) eˆx′ + y′(t ) eˆ y′ + z′(t ) eˆz′ Hier ist nun zu beachten, dass die Koordinatenachsen (ex´, ey´, ez´) sich zeitlich ändern: Die Endpunkte der Vektoren eˆi´. machen eine Kreisbewegung, also z.B. deˆx´ r = ω × eˆx´ dt Die Geschwindigkeit v von A lässt sich alternativ aus Sicht des Beobachters in S, aber mit Hilfe der rotierenden Koordinatenachsen als v*(x´,y´,z´) ausdrücken: r dr ′ v ( x, y, z , t ) = v* ( x′, y′, z′, t ) = dt dx′ dy′ dz ′ = eˆx′ + eˆ y′ + eˆz′ dt dt dt deˆ y′ deˆz′ deˆx′ ′ ′ ′ +x +y +z dt dt dt r r r = v ′ + (ω × r ′) r r r r r ′ = v + (ω × r ) , da r = r ′ Hier ist v´ die Geschwindigkeit, welche ein Beobachter in S´ sieht, wenn er die Rotation ω nicht berücksichtigt. Die Geschwindigkeit u = ω × r ist eine Korrektur, die diesen Unterschied berücksichtigt. 104 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Das Zwischenergebnis lautet demnach r r r r v = v ′ + (ω × r ) Ohne Rotation (ω = 0) gilt also v = v´. Die Beschleunigung des Punktes A ist r r r r r r r ′ r dv dv ⎛ dr ⎞ dv ′ + (ω × v ) a= = + ⎜ω × ⎟ = dt dt ⎝ dt ⎠ dt r dx ′ dy ′ dz ′ v ′(t ) = eˆx′ + eˆ y′ + eˆz′ dt dt dt r dv ′ d 2 x′ d 2 y′ d 2 z′ ⇒ = 2 eˆx′ + 2 eˆ y′ + 2 eˆz′ dt dt dt dt dx′ deˆx′ dy′ deˆy′ dz′ deˆz′ + + + dt dt dt dt dt dt r r r = a′ + (ω × v ′) mit Hier ist a´ die Beschleunigung, die der Beobachter in S´ sieht. Damit erhält man als Beziehung der Beschleunigungen in beiden Systemen r r r r r r a = a′ + (ω × v ′) + (ω × v ) r r r r r r = a′ + 2(ω × v ′) + ω × (ω × r ) r r r r r r r ⇔ a ′ = a + (v ′ × ω ) + ω × ( r × ω ) r r r = a + ac + a z r r r r Hier wurde die Beziehung v = v ′ + (ω × r ) benutzt. Für den (mitrotierenden) Beobachter in S´ treten also zwei Scheinkräfte auf: Zum einen die Coriolis-Kraft Fc und zum anderen die Zentrifugalkraft Fz r r r Fc = 2mv ′ × ω r r r r Fz = mω × (r × ω ) 105 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Aufgrund der Coriolis-Kraft ergibt sich für auf der Erde bewegte Massen eine Ablenkung aus der Bewegungsrichtung, welche sich auf der Nord- bzw. Südhalbkugel unterscheidet: Beispiel: Hoch- und Tiefdruckgebiete Bei einem Tiefdruckgebiet (siehe Bild) strömt Luft zum Zentrum geringsten Druckes hin. Dies führt zu einer Rotation der Luftmassen im Gegenuhrzeigersinn. Entsprechend drehen sich Hochdruckgebiete im Uhrzeigersinn. 106 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) ω Beispiel: Foucault-Pendel Ein Foucault-Pendel ist ein Fadenpendel, welches sich in einem rotierenden Bezugssystem (Erde) befindet. Durch die Erdrotation ändert sich so für einen Beobachter mit der Zeit die Schwingungsebene; ein Foucault-Pendel lässt sich daher als Uhr benutzten. ω ϕ v ωs ϕ Die Erde rotiert mit der Kreisfrequenz r 2π 2π | ω |= = s −1 24 ⋅ 3600 T ≈ 7 ⋅ 10 −5 s −1 An den Polen ist der Effekt maximal; auf dem Breitengrad ϕ wirkt allerdings nur die Komponente (siehe Bild): ωs = ω sin ϕ Aus der „Sicht“ des Pendels wirkt auf die sich abwechselnd mit ±v bewegende Masse m die Coriolis-Kraft r r r Fc = 2m v × ω = 2mvωs 107 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Inhalt der Vorlesung Experimentalphysik I Teil 1: Mechanik 5. 6. 7. … Energie und Arbeit Bewegte Bezugsysteme Massepunktsysteme und Stöße 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 Starrer Körper; Schwerpunkt Schwerpunktsystem, Relativkoordinaten & reduzierte Masse Elastische Stöße Inelastische Stöße Ballistisches Pendel 8. Deformierbare feste Körper 9. Mechanische Schwingungen 10. ... 108 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) 7. Massepunktsysteme und Stöße Bisher haben wir die Dynamik von einzelnen Massepunkten untersucht. Dieses Kapitel behandelt die Wechselwirkung (Stöße) mehrerer Massepunkte, danach folgt in Kapitel 8 die Beschreibung der Dynamik solcher Systeme. 7.1 Starrer Körper, Schwerpunkt Ein starrer Körper ist ein System aus Massepunkten mi , welche untereinander feste Abstände rij = rj − ri haben. Der Massenmittelpunkt oder Schwerpunkt xs ist in diesem Beispiel: mges xs = m1 x1 + m2 x2 , mges = m1 + m2 ⇒ xs = m2 d m1 + m2 Die allg. Zusammenhänge für Gesamtmasse M und Schwerpunkt rs für ein System aus N Massepunkten lauten: M= ∑ N m2 r rs = x x1 = 0 xs x2 = d i i =1 Wir betrachten zunächst zwei Massen m1 ∑m N r ri mi i =1 N ∑ mi 1 = M ∑ N r ri mi i =1 i =1 109 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) rm rs m1 r r1 r r2 m2 7.2 Schwerpunktsystem, Relativkoordinaten und reduzierte Masse 3 r r3 mi r ri Betrachtet wird die Flugbahn eines Kegels. Der Schwerpunktvektor beschreibt eine Parabelbahn: 0 Bei kontinuierlichen Masseverteilungen muss der Schwerpunkt durch Integration über Massen dm bestimmt werden: M= ∫ dm Volumen r 1 rs = M ∫ r ρ r dm = M Volumen ∫ r r dV Volumen mit der Volumendichte ρ = M/V = const.. rs 0 Die Berechnung (Übung!) des Schwerpunktvektors rs in Zylinderkoordinaten (dV = r dr dϕ dz) liefert das Ergebnis: ⎛ 0⎞ r 3 ⎜ ⎟ rs = h ⎜ 0 ⎟ 4 ⎜ ⎟ ⎝1 ⎠ 110 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Die Bewegung von rs lässt sich mit Hilfe der Dynamik für Massepunkte beschreiben. Für die Eigenbewegung (z.B. Rotation) des Kegels benutzt man ein sogenannte Schwerpunktsystem: Ein mit vs bewegtes Koordinatensystem mit Ursprung in rs. Vorteil: Der Gesamtimpuls im Schwerpunktsystems ist gleich Null. Reduzierte Masse Betrachtet werden 2 Körper der Massen m1,2, die mit Kräften F1,2 aufeinander wirken und ein abgeschlossenes System bilden (d.h. keine weiteren Kräfte). r F2 r F1 m1 r r1 r rs r r2 m2 Die Bewegungsgleichungen lauten: r r dv F a1 = 1 = 1 dt m1 r r dv F F a2 = 2 = 2 = − 1 dt m2 m1 Die Differenz der Gleichungen liefert ⎛ 1 1 ⎞r d r r ⎟ F1 (v1 − v2 ) = ⎜⎜ + ⎟ dt ⎝ m1 m2 ⎠ r dv12 r ⇔ μ = F1 dt Mit der sogenannten reduzierten Masse μ und der Relativgeschwindigkeit v12: m1m2 μ= , m1 + m2 r r r v12 = v1 − v2 111 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Die Beschreibung der Relativbewegung der Massen erfolgt als ein Teilchen mit Masse m und Geschwindigkeit v12 im Schwerpunktsystem. Die zugehörige (kinetische) Energie ist ½μ v122. Beispiel: Wasserstoffatom Ein Wasserstoffatom besteht aus Proton (mp) und Elektron (me). Mit dem Massen mp ≈ 1836 me. Die reduzierte Masse ist μ = 0.99946 me ≈ me Es gilt für den Schwerpunkt: rs ≈ 1 rB 1837 Es macht Sinn, die Bewegung bzw. Energie des Wasserstoffatoms aufzuteilen in (i) Translation des Schwerpunktes rs mit Geschwindigkeit vs und (ii) die Bewegung der Masse μ mit der Geschwindigkeit v12. Ekin = 1 1 (me + m p ) vs2 + μ v122 2 2 Der erste Beitrag (Bewegungsenergie) hat bei Raumtemperatur die Größenordnung 30 meV. Der zweite Beitrag (Innere Energie) ist deutlich größer und beträgt etwa 10 eV; er beschreibt die Bindungsenergie. mit dem sogenannten Bohrschen Radius rB = 0.5×10−10 m als mittlerer Abstand zwischen Elektron und Kern beim Wasserstoffatom. 112 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) 7.3 Elastische Stöße Bewegte Körper können untereinander Stöße ausführen. Dabei ändert sich im allgemeinen deren Geschwindigkeit und Richtung. r m1′ , v1′ r m1 , v1 ϕ2 ϕ1 r m2 , v 2 Wechselwirkungs bereich r m ′2 ,v 2′ Wirken keine äußeren Kräfte, so bleibt der Gesamtimpuls vor und nach dem Stoß konstant: Von der Energiebilanz her lassen sich drei Fälle von Stößen unterscheiden: Elastischer Stoß, mechanische Energie (Epot + Ekin) bleibt erhalten. Bsp.: Billiardkugeln Inelastischer Stoß, mechanische Energie (Epot + Ekin) ändert sich, z.B. durch Umwandlung in Wärme. Bsp.: Autounfall (Verformungsarbeit) Superelastischer Stoß, ein Stoßpartner besitzt innere Energie, Zunahme der kinetischen Energie. Bsp.: Stoß angeregter Elementarteilchen r r r r r pges = p1 + p2 = p1 ' + p2 ' = const. 113 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Kraftstoß Eindimensionaler elastischer Stoß In Kap. 3.2 wurde die Kraft F als zeitliche Änderung des Impulses p eingeführt. Integration dieser Beziehung führt auf die Interpretation des Impulses (genauer: Impulsänderung Δp) als „Kraftstoß“, d.h. das Einwirken einer Kraft F über eine (Wechselwirkungs-) Zeit Δt = t2 – t1: Impulsbilanz vor (t < 0) und nach (t > 0) r r ∫ F dt = Δp t2 dem Stoß (t = 0) p = m1v1 + m2v2 ! p ' = m1v'1 + m2v'2 = p t<0 m1 r r v1 > v2 m2 r v2 t1 r F Kraftverlauf beim Stoß t=0 r − Fs harte Kugeln (Stahl) weiche Kugeln (Gummi) t>0 m1 m1 r v1′ > 0 m2 r Fs m2 r v2′ > 0 t 114 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Energieerhaltung (da elastischer Stoß) Beispiel 1: m1 = m2, m2 sei in Ruhe 1 1 1 1 m1v12 + m2v22 = m1v'12 + m2v'22 2 2 2 2 Resultat: v´2 = v1 , d.h. Impuls und Energie werden vollständig übertragen. Formal: Zwei Gleichungen mit zwei Unbekannten (v´1,2). Umformen liefert Anwendung: Kugeltanz (s.u.), Abbremsen von Neutronen im Kernreaktor mit Wasser (mNeutron ≈ mH). m1 (v1 − v'1 ) = −m2 (v2 − v'2 ) m1 (v1 + v'1 )(v1 − v'1 ) = −m2 (v2 − v'2 )(v2 + v'2 ) Dividieren der Gleichungen durcheinander führt auf die charakteristische Beziehung „Relativgeschwindigkeit ist gleich Rückstoßgeschwindigkeit“: v1 − v2 = v'2 −v'1 Geschwindigkeiten nach dem Stoß v'1 = 2m2 m1 − m2 v2 v1 + m1 + m2 m1 + m2 v '2 = 2m1 m − m1 v1 + 2 v2 m1 + m2 m1 + m2 1 2345 1234 5 Beispiel 2: m1 > m2, m2 sei in Ruhe Resultat: v´2 = (2m1)/(m1+m2) v1 > v1 , d.h. Geschwindigkeitszunahme von Masse 2. „Anwendung“: Fliege an Autoscheibe 115 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) 7.4 Inelastische Stöße 7.5 Ballistisches Pendel Es gilt weiterhin Impulserhaltung, aber keine Energieerhaltung mehr: Eine Kugel (m1, v1) wird in einen an einem Pendel hängenden Sandsack (m2, m1v1 + m2v2 = m1v'1 + m2v'2 Neben den Anfangsbedingungen (m1,2, v1,2) muss i.Allg. mindestens eine weitere Größe bekannt. Ausnahme: vollständig inelastischer Stoß, bei dem die Massen aneinander „kleben“ bleiben. Hierfür gilt: v2 = 0) geschossen. Aus der Höhenzunahme h nach dem Einschuss soll die Geschwindigkeit v1 bestimmt werden. m1 m2 v' = v'1 = v'2 = v1 + v2 m1 + m2 m1 + m2 Eine Anwendung der Gesetze vollständig inelastischen Stoß ist sogenannte „Ballistische Pendel“ Messung der Geschwindigkeiten Geschossen. zum das zur von ϕ l Pendel mit Sandsack Gewehrkugel v1 m1 h m2 116 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Beim Einschuss (inelastischer Stoß) gilt Impulserhaltung : m1v1 = (m1 + m2 ) v'2 Nach dem Einschuss gilt Energieerhaltung: Kinetische Energie wird beim Ausschlag des Pendels in potentielle Energie umgewandelt. Für die Höhe h gilt: h=l−x = l (1 − cos ϕ ) ϕ x l h v'2 = 2 gh = 2 g (1 − cos ϕ ) m1 + m2 ⇒ v1 = 2 g (1 − cos ϕ ) m1 117 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) z 8. Dynamik starrer Körper 8.1 Rotation um feste Achsen mi Die Beschreibung des Bewegungszustandes des starren Körpers findet im ruhenden, d.h. raumfesten Inertialsystem S statt. Die Gesamtmasse und der Schwerpunkt des starren Körpers waren: r ρ r M = ρ ∫ dV , rs = ∫ r dV M Betrachtetr wird die kinetische Energie des mit ω um die Achse A rotierenden Körpers im ruhenden System S (vS = 0), für einen einzelnen Massepunkt mi : Ekin ,i r ri : r r⊥ ,i : 1 1 2 = mi vi = mi r⊥2, iωi2 2 2 Ortsvektor von mi Abstand zur Drehachse A r vi r ri r ω r rs = 0 y x A Der Punkt mi beschreibt eine Kreisbahn um die Drehachse A. Die gesamte (Rotations-) Energie ist dann 1 1 Erot = ∑ mi r⊥2, iω 2 = ω 2 ∑ mi r⊥2, i 2 i 2 i 118 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Geht man zu einer kontinuierlichen Masseverteilung über, so ist die Summation über Massepunkte mi durch die Integration über infinitesimale Massen dm = rdV zu ersetzen: 1 2 2 1 2 Erot = ω ∫ r⊥ dm = ω ρ ∫ r⊥2 dV 2 2 8.2 Trägheitsmoment Die Größe I ist das Trägheitsmoment des Körpers bezüglich Drehachse A: I = ∫ r⊥2 dm = ρ ∫ r⊥2 dV Mit Hilfe des Trägheitsmomentes lässt sich für die Rotationsenergie (bezogen auf Rotation um A) einfach schreiben: 1 2 Erot = ω I 2 Der Drehimpuls eines einzelnen Massepunktes ist r r r r r Li = r⊥ , i × pi = mi r⊥ , i × vi und der Gesamtdrehimpuls damit r r r L = ∑ mi r⊥ , i × vi i r r = ρω ∫ r⊥2 dV = Iω d.h. Drehimpuls und Winkelgeschwindigkeit stehen parallel zueinander (Anmerkung: dies gilt aber nicht, wenn die Drehachse nicht mehr durch rs geht) Die Angabe der Rotationsenergie ist so auch mit Hilfe von L möglich: L2 1 2 Erot = ω I = 2 2I 119 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Bsp.: Trägheitsmoment eines Stabes Bsp.: Trägheitsmoment Vollzylinder Betrachtet wird ein dünner quaderförmiger Stab mit Länge L und Querschnitt A << L2. Gesucht ist Is bezüglich einer Drehachse durch rs und senkrecht zur Symmetrieachse. Die Masse ist M = AL. Ein Hohlzylinder habe die Höhe h und Radius R. Die Masse ist M = ρhπR2 . z In Zylinderkoordinaten lautet Volumenelement dV = r dr dϕ dz. das I s = ρ ∫ r 2 dV A h 2π R x y = ρ∫ ∫ 3 r ∫ dr dϕ dz 0 0 0 R Das Volumenelement in kartesischen Koordinaten lautet dV = A dx . L/2 I s = ρ ∫ r dV = ρA ∫ x dx 2 2 −L / 2 1 ⎛ L3 L3 ⎞ 1 = ρA ⎜ + ⎟ = ML2 3 ⎝ 8 8 ⎠ 12 = 2πρh ∫ r 3 dr 0 1 = 2πρh R 4 4 1 = MR 2 2 120 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Beispiel: Trägheitsmoment Vollkugel Aus Symmetriegründen erfolgt die Berechnung in Kugelkoordinaten (r, ϑ, ϕ); die Drehachse wird in Richtung der z-Achse gewählt und verläuft durch den Schwerpunkt (Mittelpunkt der Kugel). Das Volumenelement in Kugelkoordinaten lautete dV = r 2 sin ϑ dr dϑ dϕ z r⊥ = r sin ϑ z R x r⊥ dϕ dm y ϑ r dϑ r dr y Die Kugel mit Radius R sei homogen (ρ = const.), für die Gesamtmasse M gilt: 4 M = ρVKugel = πρ R 3 3 r⊥ dϕ dϑ x 121 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Die Integration zunächst führt auf: ∫ I s = ρ r⊥ dV 2 sin 3 x = 2π π R =ρ ∫∫∫ r 4 sin 3 ϑ dr dϑ dϕ 1 (3 sin x − sin 3 x) 4 Das Trägheitsmoment ist dann: I s , Kugel = 0 0 0 π = ρ 2π Es wurde die Relation benutzt ∫ 1 5 R sin 3 ϑ dϑ 5 0 2 MR 2 5 Beispiel: Weitere Trägheitsmomente π = ρ 2π ∫ 1 51 R (3 sin ϑ − sin 3ϑ ) dϑ 5 4 0 ⎛ ⎞ ⎜ ⎟ π 1 5 π π = ρ R ⎜ − 3 cosϑ 0 + cos 3ϑ 0 ⎟ 10 3 4243 ⎟ ⎜⎜ 14243 1 ⎟ + 3 +3 −1 / 3 − 1 / 3 ⎝ ⎠ = π 10 ρ R5 16 2 4 2 = πρR 3 R 2 = M R 2 3 5 1 3 23 5 M 122 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Situation von oben betrachtet: 8.3 Steinerscher Satz Es ist wichtig, dass sich die Angabe von I ≡ IS auf die (bestimmte) Drehachse A bezieht, welche durch den Schwerpunkt rs verläuft. Mit Hilfe des „Steinerschen Satzes“ ist die leichte Umrechnung des Trägheitsmomentes eines Körpers der Gesamtmasse M bezüglich einer zu A um die Strecke b verschobenen parallelen Achse B möglich: I B = I S + M b2 z mi r ω r b A r r r R mi B Beweis des Steinerschen Satzes: r r 2 I B = ∫ R dm = ∫ (r + b ) dm r r 2 = ∫ r dm + 2 ∫ r ⋅ b dm + ∫ b 2 dm r r = I S + 2b ⋅ ∫ r dm + Mb 2 123 2 =0 r r v i ri x b A y = I S + Mb 2 B da r r ∫ r dm = M rs , d.h. der Koordinaten- ursprung liegt in rs = 0. 123 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Versuch: Schiefe Ebene Drei Körper der gleichen Masse m (Vollzylinder, Hohlzylinder, Kugel mit Radius R) rollen eine schiefe Ebene hinab. Welcher Körper kommt zuerst unten an? z h x ϑ Drehachse m Versuchsergebnis: Die Kugel rollt am schnellsten, gefolgt vom Vollzylinder. Vor dem Start Kugel R v ϑ Hohlzylinder Vollzylinder Nach dem Start Der Lösungsansatz erfolgt hier über die Berechnung der wirksamen Beschleunigungen: Der Körper mit der größten linearen Beschleunigung ist auch am schnellsten. 124 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Die (momentane) Drehachse liegt auf der schiefen Ebene; das zugehörige Drehmoment lautet: D = D|| = M g R sin ϕ Das Trägheitsmoment ist hier: I = Is + m R 2 Damit lautet die Bewegungsgleichung: L& = Iω& = D|| ⇔ ( I s + mR2 )ω& = MgR sin ϕ Für die Beschleunigung des Schwerpunktes folgt dann: dv d a = = (ωR) = Rω& dt dt mgR 2 sin ϕ g sin ϕ = = I s + mR 2 1 + I s /(mR 2 ) Für einen reibungsfrei rutschenden Körper würde man das Ergebnis erhalten dv F a~ = = g sin ϕ = H m dt Offensichtlich ist die Beschleunigung um den Faktor 1+Is /(mR2) verringert; entsprechend wird der Körper mit dem geringsten Trägheitsmoment Is am stärksten beschleunigt: I Hohlzyl . > IVollzyl . > I Kugel ⇒ aHohlzyl . < aVollzyl . < aKugel Die Kugel wird am stärksten beschleunigt und besitzt die größte kinetische Energie. Die Zylinder sind langsamer, haben aber wegen des größeren Trägheitsmomentes mehr Rotationsenergie. 125 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Drehimpulserhaltung angewendet auf den starren Körper bedeutet: r r L = Iω = const. Demnach ist das Produkt aus Trägheitsmoment I und Winkelgeschwindigkeit ω konstant; verringert sich z.B. I, so muss ω zunehmen. Dies wird nutzt man z.B. beim Pirouetteneffekt ω1 ω2 > ω1 Versuch: Drehimpulserhaltung am Drehstuhl: „Pirouetteneffekt“ Eine Person mit ausgestreckten Hanteln wird in Drehbewegung versetzt. Das Trägheitsmoment ist relativ groß. Die Hanteln werden dann an den Körper gezogen. Das Trägheitsmoment verringert sich und die Rotationsfrequenz nimmt zu. ω klein ω groß I klein I1 I 2 < I1 I groß 126 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) 8.4 Messung von Trägheitsmomenten Die Messung von Trägheitsmomenten ist mit einem Torsionspendel möglich. Zunächst wird die Eigenfrequenz ω0 des Pendels mit dem bekannten Trägheitsmoment I0 der Scheibe bestimmt. Ein hinzugefügter Körper, dessen Trägheitsmoment Ik bestimmt werden soll, ändert diese Frequenz, hieraus folgt dann Ik. Das Richtmoment D0 des Torsionsdrahtes erzeugt bei Auslenkung um den Winkel ϕ ein Drehmoment D D = − D0 ϕ Die Bewegungsgleichung lautet D = I 0ϕ&& = − D0 ϕ mit der Eigenfrequenz ω0 und Schwingungsdauer T ω 2 = D0 / I 0 , T = 2π I 0 / D0 I0 Ik Mit Probekörper ändert sich das Trägheitsmoment zu I ′ = I 0 + I k und die Schwingungsdauer wird T ′ = 2π I ′ / D0 ⇒ I k = D0 (T ′2 − T 2 ) 127 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) 8.5 Vergleich von linearer Bewegung (Translation) und Rotationsbewegung Lineare Bewegung Rotationsbewegung x v = x& Drehwinkel Winkelbeschleun. Masse a = v& = &x& m Kraft F = ma Arbeit W = ∫ F dx 1 Ekin = mv 2 2 P = Fv p = mv r r F = p& = m&x& Ortskoordinate Geschwindigkeit Beschleunigung Energie Leistung Impuls Bewegungsgln. Winkelgeschwin. Trägheitsmoment Drehmoment Arbeit Energie Leistung Drehimpuls Bewegungsgln. ϕ ω = ϕ& α = ω& = ϕ&& I r r r D = r ×F W = ∫ D dϕ 1 2 Erot = Iω 2 P = Dω Lω = I r r& r r& & D = L = Iα = Iϕ 128 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Versuch: Maxwellsches Rad („Jojo“) 8.6 Trägheitstensor Es findet ein ständiger Austausch zwischen potentieller Energie, der kinetischen Energie des Schwerpunktes und der Rotationsenergie des Rades statt. Bisher verlief die Drehachse durch den Schwerpunkt und war gleichzeitig Symmetrieachse. Weiter war die Drehachse und damit die Richtung von ω fest. E = Ekin + Erot + Epot 1 1 E mvs2 + I ω 2 + mgzs 2 2 Nun soll der allgemeine Fall untersucht werden: Der drehbar aufgehängte Körper hat einen Fixpunkt S, durch den die Drehachse ω verläuft. Die Drehachse ist dann nicht mehr raumfest: es kommt zur Kreiselbewegung des Körpers. Die weitere Vorgehensweise ist: Berechnung des Drehimpulses L für beliebige Drehachsen ω; diese Verknüpfung benutzt den Begriff des Trägheitstensors r& r Lösung der Bewegungsgleichung L = D. für die Rotation; dies erfordert die Transformation von L in ein mitrotierendes Koordinatensystem des Kreisels 129 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) zr führt auf die Beziehung r r r r 2 r Li = mi (ri ω − (ri ⋅ ω )ri ) ω mi Integration liefert den Gesamtdrehimpuls r r r r 2 r L = ρ ∫ (r ω − (r ⋅ ω )r ) dV r ri r vi Als Beispiel wird hier die x-Komponente von L betrachtet: S A y Lx = ρ ∫ [(x2 + y 2 + z 2 )ωx − x2ωx − xyωy − xzωz ] dV x Der Drehimpuls des Massepunktes mi ist r r r r r r Li = mi ri × vi = mi ri × (ω × ri ) Anwendung der Vektorrelation r r r r r r r r r A × ( B × C ) = ( A ⋅ C ) B − ( A ⋅ B )C = ρ ∫ [( y 2 + z 2 )ωx − xyωy − xzωz ] dV = I xxωx + I xyωy + I xzωz mit I xx = ρ ∫ ( y 2 + z 2 ) dV I xy = ρ ∫ xy dV , I xz = − ρ ∫ xz dV 130 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Insgesamt erhält man r für die Komponenten des Vektors L Lx = I xxωx + I xyωy + I xzωz Ly = I yxωx + I yyωy + I yzωz Lz = I zxωx + I zyωy + I zzωz oder in Vektorschreibweise ⎛ Lx ⎞ ⎛ I xx I xy I xz ⎞⎛ ωx ⎞ ⎟⎜ ⎟ r r ⎜ ⎟ ⎜ L = ⎜ Ly ⎟ = ⎜ I yx I yy I yz ⎟⎜ωy ⎟ = Iˆω ⎜ ⎟ ⎜I ⎟⎜ ω ⎟ I I ⎝ Lz ⎠ ⎝ zx yz zz ⎠⎝ z ⎠ mit dem so genannten Trägheitstensor ⎛ I xx I xy I xz ⎞ ⎟ ⎜ Iˆ = ⎜ I yx I yy I yz ⎟ ⎟ ⎜I I I ⎝ zx yz zz ⎠ 8.7 Hauptachsensystem In den betreffenden Integralen ist die Reihenfolge, z.B. xy = yx , vertauschbar; der Trägheitstensor ist symmetrisch: I ij = I ji , i, j = x, y, z Weiter ist der Trägheitstensor diagonalisierbar: Es existiert ein Koordinatensystem (Hauptachsensystem), in dem die Nichtdiagonalelemente verschwinden: ⎛ I xx I xy I xz ⎞ ⎛ Ia 0 0 ⎞ ⎟ H .T . ⎜ ⎜ ⎟ ⎯ ⎜ 0 Ib 0 ⎟ ⎜ I yx I yy I yz ⎟ ⎯⎯→ ⎜0 0 I ⎟ ⎜I I I ⎟ ⎝ c⎠ ⎝ zx yz zz ⎠ H.T. meint hier die so genannte Hauptachsentransformation, bei der das Koordinatensystem (x, y, z) durch das Hauptachsensystem (a, b, c) ersetzt wird. 131 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Berechnung H.A.-System (lin. Algebra): I xx − I a det I yx I zx I xy I xz I yy − Ib I yz I yz I zz − I c =0 Bsp.: Hauptachsensystem eines Quaders z c y b a x Im Koordinatensystem (x, y, z) erhält man 6 unabhängige Tensorelemente Iij. Wird das H.A.-System (a, b, c) benutzt, so verschwinden die Nichtdiagonalelemente. 8.8 Rotation um freie Achsen: Kreisel Das bisherige Ergebnis der Berechnung des Drehimpulses war die Beziehung r r ˆ L = Iω d.h. L und ω (Drehachse) stehen im Allgemeinen nicht parallel zueinander. Nur bei Rotation um H.A. stehen beide parallel: Das H.A.-Systems erlaubt eine einfachere Darstellung der beteiligten Größen; i.F. wird dieses System benutzt. Gesucht wird nun der Winkel zwischen L und ω. Sinnvoll ist hierzu die Beschreibung der Bewegung im mitrotierenden Koordinatensystem K (H.A.-System). Gelöst wird dann die Bewegungsgleichung (hier im Ruhesystem R): r& r LR = D 132 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Für die (Coriolis-) Beschleunigung im rotierenden Bezugssystem (Kap. 6.4) galt: r r r r v&K = v&R − (ω × vK ) r r r r a ≡ v&R , a ′ ≡ v&K Die gleiche Transformation gilt analog auch für den Drehimpuls: r& r& r r LK = LR − (ω × LK ) r r& r r ⇒ D = LK + (ω × LK ) Dies ist die Bewegungsgleichung für den Drehimpuls L, dargestellt im System K. Hier ist D das im Ruhesystem R (Intertialsystem) auf den Körper wirkende äußere Drehmoment. Im H.A.-System (a, b, c) wird die a-Komponente des Drehmoments betrachtet: r r & Da = La + (ω × L ) a d = ( I aωa ) + ωb Lc − ωc Lb dt = I aω& a + ωbωc I c − ωcωb I b Alle drei Komponenten von D bilden die so genannten Eulerschen Gleichungen: I aω& a + ( I c − I b )ωcωb = Da I bω& b + ( I a − I c )ωaωc = Db I cω& c + ( I b − I a )ωbωa = Dc Dieser Satz von Bewegungsgleichungen erlaubt die Beschreibung einer Vielzahl von Kreiselbewegungen. 133 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Beispiel: Torkeln eines Diskus Betrachte Zeitpunkt t = 0: ωa = w┴ Figuren-/Symmetrieachse c, Ia = Ib ≠ Ic Schnitt durch ac-Ebene (im System K) r Kräftefreiheit: D = 0 I a = I b ⇒ ω& c = 0 ⇒ ωc = const. ω& a + Ωωb = 0 und ω& b − Ωωa = 0 mit Ω = ωc ( I c − I a ) / I a = const. Ia > Ic r c r L r ω c ωc Ic r L r ω ωc System von zwei gekoppelten Differentialgleichungen. Eine Lösung ist z.B. a ωa = ω⊥ cos(Ωt ) , ωb = ω⊥ sin(Ωt ) mit ω⊥ = ωa2 + ωb2 Interpretation: Die Drehachse ω hat eine konstante Komponente ωc parallel zur Figurenachse, sowie eine Komponente ω┴ senkrecht hierzu, welche sich mit der Frequenz Ω um diese dreht. ωa Ia ω⊥ r Im System K ist ω || L . Der Kreisel rotiert r mit Ω um die Figurenachse c: Torkelbewegung oder „Nutation“ des Kreisels. Wichtig: Skizze gilt im System K, aber Winkel von L und ω relativ zu c ist im Inertialsystem R identisch. 134 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Ia > Ic r c r c Darstellung im System R: r c mo me nt Ia < Ic r c ane Dre h Nutationskegel r L se Symmetrischer Kreisel mit Ia = Ib Im Inertialsystem mit Zentralkräften gilt r Drehimpulserhaltung: Vektor L ist raumfest in R. ac h Beispiel: Verschiedene Kreiselformen r c r ω Ia = Ic r c r c Rastpolkegel Gangpolkegel Beobachter: Gangpolkegel rollt auf dem Rastpolkegel ab. 135 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Versuch: Kräftefreier Kreisel Kurzer Stoß auf den kräftefreien Kreisel (Auflagepunkt ist Schwerpunkt, siehe Bild) bewirkt Nutationsbewegung. Bei Kreiselbewegungen unterscheidet man prinzipiell drei verschiedene Achsen: Figurenachse (fest mit Körper verbunden), die Drehimpulsachse (raumfest) und die momentane Drehachse. Beispiel: Nutation der Erde Erde ist abgeplattetes Rotationsellipsoid, Ic > Ia = Ib: Äquatordurchmesser: 12.756 km Poldurchmesser: 12.713 km außerdem: Figurenachse ≠ Drehachse Folge: Die Figurenachse (Pol-Pol-Achse) rotiert mit T = Ω-1 ≈ 18 Jahre, d.h. der geographische Nordpol wandert um einige Meter (Bezugsystem ist hier das Sonnensystem, welches in guter Näherung ein Inertialsystem ist). 136 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Versuch: Rotation eines Zylinders Beispiel: Spielzeugkreisel Drehung um Symmetrieachse: stabile Rotation, Kraft auf Achse zeitl. konstant Spielzeugkreisel: Körper dreht um Figurenachse, ist aber nicht im Schwerpunkt rs unterstützt. Folge: Gewichtskraft auf rs bewirkt Drehmoment D ≠ 0, welches eines Präzession des Kreisels bewirkt. r r ω, L r rs Drehung um schräge Achse: Es wirken zeitlich veränderliche Kräfte auf Achse α 0 r D r r Fg = mg Das wirksame Drehmoment ist r r r D = rs × Fg = rs mg sin α 137 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Die Grundgleichung derr (Rotations-) Ber & = D . Wichtig ist L wegung lautet wieder r& r hier, dass L senkrecht zu L. steht. Blick von oben auf Kreisel: r dL dϕ r L⊥ r r L⊥ : Projektion von L. in Beobachtungsebene, es ist L⊥ = L sin α . r dL ist die Drehimpulsänderung in r Zeit dt, in der sich der Drehimpuls L⊥ um Winkel dϕ dreht: r r r | dL |=| L⊥ | dϕ =| L | sin ϕ dϕ Die Bewegungsgleichung lautet dann: r r& r | D |=| L | =| L | ϕ& sin α Die zeitliche Änderung des Winkels ϕ , die Päzessionsfrequenz Ωp , ist also r |D| rs mg Ω p = ϕ& = r = | L | sin α Iω Beispiel: Präzession der Erde Die Drehachse der Erde (Pol-Pol) steht unter dem Winkel α = 23.5° zur Bahnebene der Sonne („Ekliptik“). Die Gravitation auf die beiden Erdhälften bewirkt ein aufrichtendes Drehmoment. Folge: Erde präzediert mit Ω = 26.000 Jahre. Tierkreiszeichen haben sich seit ihrer Benennung vor ~2.000 Jahren um ca. einen Monat verschoben. 138 Experimentalphysik I (Kip WS 2009) Beispiel: Kreiselkompass Beispiel: Tippy-Top-Kreisel Drehimpulserhaltung gilt nur im Inertialsystem Sonne. Die Erddrehung erzeugt bei einen frei aufgehängten Kreisel ein Drehmoment D, welches den Kreisel so lange ausrichtet, bis Drehimpuls L und Erddrehachse ωE zusammenfallen. Reibungskraft FR am Auflagepunkt S bewirkt Drehmoment D, welches den Kreisel auf die Spitze dreht. r r L,ω r ez ' ϑ r r r M = l × FR r l S r FR 139