Desmoplastisches Melanom der Unterlippe - Ruhr

Werbung
Zahnmedizin
44
Seltene Tumoren im Arbeitsgebiet der Zahnheilkunde
Desmoplastisches Melanom
der Unterlippe
Martin Kunkel, Torsten E. Reichert
In dieser Rubrik stellen Kliniker Fälle vor,
die diagnostische Schwierigkeiten aufgeworfen haben. Die Falldarstellungen
sollen Ihren differentialdiagnostischen
Blick schulen.
Fotos: Kunkel
Abbildung 1: Ausgangsbefund einer
knotigen Auftreibung
der gesamten linken
Unterlippe. Der Tumor liegt unmittelbar
subcutan/submucös,
durchbricht aber zu
diesem Zeitpunkt die
Haut beziehungsweise Schleimhaut
nicht.
Kasuistik
Ein 78-jähriger Patient kam zur Aufnahme,
nachdem seit einen halben Jahre eine progrediente, schmerzhafte Schwellung der
linken Unterlippe aufgetreten war. Zu Beginn der stationären Behandlung bestand
eine derbe, knotige Infiltration der gesamten linken Unterlippe bis knapp über die
Mittellinie hinaus (Abbildung 1). Eine alio
loco durchgeführte Biopsie hatte zu der
Verdachtsdiagnose eines neurogenen Sarkoms geführt. Nach Tumorausbreitungsdiagnostik und Narkosevorbereitung wurde
der Tumor mit einem Zentimeter Sicherheitsabstand im Sinne einer Zwei-DrittelResektion der Unterlippe entfernt. Unter
der Verdachtsdiagnose eines neurogenen
Sarkoms wurde der N. mentalis bis zum
Niveau des F. mentale reseziert. Zur Rekonstruktion wurde ein vollschichtiger Wangenlappen in der Technik nach BernardFries verwendet. Aus dem Gesamtresektat
ergab sich schließlich unter Einsatz immunhistologischer Marker die abschließende
Diagnose eines desmoplastischen Melanoms. Nach acht Monaten musste bei sekundärer zervikaler Metastasierung (Abb. 2)
eine konservative Lymphknotendissektion
angeschlossen werden. Nach diesem zweiten operativen Eingriff trat bislang über eizm 93, Nr. 11, 1. 6. 2003, (1376)
nen Zeitraum von weiteren zwei Jahren kein
erneuter Progress der Erkrankung auf.
Diskussion
Das desmoplastische Melanom ist eine seltene Variante des malignen Melanoms, die
vor allem im sechsten und siebten Lebens-
Abbildung 2: Zervikale Lymphknotenmetastase im sonographischen Längsschnitt,
8 Monate nach primärer lokaler Therapie.
jahrzehnt auftritt [Hessel und Byers 2002]
und dann häufig die Gesichtsregion betrifft.
Rund vier Prozent aller Melanome sind dieser Gruppe zuzurechnen. Vom klinischen
Abbildung 3: Histologische Aspekte des Tumors. Die Teilabbildung A zeigt Tumorzellen eingebettet ein einem dichten kollagenfaserigen Stroma. Die Tumorzellen selbst erscheinen spindelförmig,
vereinzelt sind Mitosen (➝) erkennbar (B). In der immunhistologischen Untersuchung zeigt sich
die Expression von S-100 (Teilabb. C) und Vimentin (Teilabb. D). (Die histologischen Bilder wurden freundlicherweise von Dr. J. Bohl, Abt. für Neuropathologie der Joh. Gutenberg-Universität
Mainz (Direktor: Prof. Dr. H. H. Goebel) zur Verfügung gestellt.)
45
Erscheinungsbild erscheinen diese Tumoren typischerweise amelanotisch als derbe,
knotenförmige Auftreibung der Haut beziehungsweise Schleimhaut. Der histologische
Aspekt wird durch S-100 und Vimentin-positive Spindelzellen in einem dichten kollagenfaserigen Stroma (Desmoplasie) geprägt (Abbildung 3). Kennzeichnend für
das biologische Verhalten ist eine ausgeprägte perineurale Invasionstendenz, die
häufig zu lokalen Rezidiven führt. Die sekundäre Beteiligung der Halslymphknoten
in unserem Fall war überaus ungewöhnlich,
da eine lymphogene Metastasierung dieser
Tumorentität generell nur sehr selten, etwa
in vier Prozent der Fälle auftritt. Eine
primäre chirurgische Lymphknotendissektion wird daher auch bei ausgedehnten
Primärtumoren nur bei klinisch auffälligen
Lymphknoten gefordert [Quinn et al.
1998]. Der klinische Nutzen einer Bestrahlung desmoplastischer Melanome wird in
der Literatur bisher nicht abschließend bewertet, in Einzelfällen wird über eine Bestrahlung rezidivierender Tumoren mit
langfristiger Tumorremission berichtet [Anderson et al. 2002].
Da die desmoplastischen Melanome der
Gesichtsregion häufiger an der Unterlippe
auftreten, betreffen sie zusammen mit dem
oralen Schleimhautmelanom das Arbeitsgebiet der Zahnheilkunde. Im Gegensatz zu
melanotischen Schleimhautmelanomen,
die als pigmentierte Läsionen einen recht
charakteristischen Aspekt haben, sind desmoplastische Melanome klinisch schlecht
einzuordnen und lassen sich erst anhand einer histologischen Untersuchung verifizieren.
PD Dr. Dr. Martin Kunkel
PD Dr. Dr. Torsten E. Reichert
Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
Johannes-Gutenberg-Universität
Augustusplatz 2, 55131 Mainz
Fazit für die Praxis
■ Desmoplastische Melanome sind eine
seltene Variante des malignen Melanoms. Die bevorzugte Lokalisation in der
Gesichtsregion ist die Unterlippe und betrifft daher das Arbeitsgebiet der Zahnheilkunde.
■ Die Untersuchung der perioralen
Weichteilstrukturen gehört auch in der
zahnärztlichen Praxis zur Basisuntersuchung.
■ Sämtliche Gewebeneubildungen sollten frühzeitig einer histologischen Untersuchung zugeführt werden.
Leser
service
Die Literaturliste können Sie in der Redaktion
anfordern. Den Kupon finden Sie auf
den Nachrichtenseiten am Ende des Heftes.
zm 93, Nr. 11, 1. 6. 2003, (1377)
Herunterladen