Zeit und Ewigkeit Gedanken zur Karwoche mit Abt Markus Eller OSB Holz fasziniert mich, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer: wie es aussieht, wie es riecht, wie es sich anfühlt. Holz ist nicht nur ein schönes Material, sondern Holz ist immer ein lebendiges Material. Es ist nie tot. Es lebt und arbeitet immer. Schon als Kind habe ich gerne mit Holz gebastelt und mir meine Welt zusammengezimmert. Später habe ich dann den Beruf des Schreiners erlernt: Ich habe gelernt, wie man mit Holz umgeht, wie man es bearbeitet und verarbeitet, wie man es gestaltet. Was man dagegen tun kann, wenn es sich verformt, wenn es schwindet, wenn es zu reißen droht oder wenn Fugen entstehen, wo sie nicht sein sollen. Wer mit Holz zu tun hat, braucht auch Geduld. Immer wieder muss ich an den Schreinerspruch denken, der uns schon als Lehrlingen mit auf den Weg gegeben wurde: „Was ich nicht vermeiden kann, muss ich betonen.“ Das bedeutet: Das Unvermeidliche kann ich gestalten und muss es auch gestalten. Jetzt als Abt des Klosters Scheyern habe ich natürlich die meiste Zeit mit anderen Dingen zu tun. Ab und zu zieht es mich dann doch wieder in unsere Schreinerei hier im Kloster. Ich mache jetzt keine großen Schränke mehr, keine Türen und keine Fenster. Wenn ich Zeit habe, dann arbeite ich für mich. Ich mache gerne Intarsien – das sind Furniereinlegearbeiten – für Tabletts, Spielbretter oder auch Zifferblätter von Uhren. Besonders gerne fertige ich aber kleine Kreuze an, die ich dann verschenke oder die im Klosterladen zum Kauf angeboten werden. Ich glaube, in den letzten Jahren habe ich schon 500 Stück davon gefertigt. Warum bastle ich eigentlich Kreuze zum Verschenken und nicht Gegenstände, die gefälliger und weniger sperrig sind? Wenn ich so ein Kreuz mache, vor allem, wenn es langsam fertig wird und ich es so richtig greifen und anfassen kann, mischen sich in die handwerkliche Freude oft auch ernstere Gedanken: Was mache ich da eigentlich für ein Zeichen? Was bedeutet ein Kreuz in meinem Leben, im Leben anderer Menschen? 1 Mich beeindruckt dazu eine Stelle aus der Heiligen Schrift, in der es ums Kreuz geht. Da drängt es seinerzeit die Freunde Jesu nach einem erfüllten Leben an der Seite ihres Rabbis. Sie spüren, dass von ihm ein neuer Sinn für ihr Leben ausgeht. Sie nehmen es ihm ab, wenn er sagt: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“ Klar, dass sie wissen wollen, was zu tun ist, um sich mit ihm auf den Weg machen zu können. Und da spricht Jesus auf einmal von seinem Leiden. Das wollen sie natürlich gar nicht hören. Trotzdem müssen sie sich sagen lassen: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach!“ Das klingt hart von jemandem, der sonst viel von Liebe und Erlösung spricht, und für manchen zu hart, der einfach lieber vom Reich Gottes träumt. Vielleicht hätten Jesu Freunde eher eine Liste mit Anweisungen erwartet – Tu Gutes! Liebe deinen Nächsten! Sag die Wahrheit! – als Weisungen, die sie abzuarbeiten haben, um sich moralisch gerüstet mit ihm auf den Weg zu machen und gute Jünger zu werden. Aber nein, die wichtigste Voraussetzung ist, sein Kreuz auf sich zu nehmen. Jesus spricht dabei nicht von Kreuzen, die an die Wand gehängt oder als Schmuck um den Hals getragen werden. Die sind auch wichtig, damit wir immer wieder an dieses zentrale Wort Jesu erinnert werden. Jesus sagt auch nicht, dass die Jünger Jesu Kreuz tragen sollen, sondern zum Jünger befähigt ist der, der sein eigenes Kreuz als Herausforderung seines Lebens annimmt. Kreuztragen heißt leiden, Schmerzen aushalten – am Ende wohl auch bereit sein, mit seinem Kreuz zu sterben. „Bist du dazu bereit?“, fragt Jesus. Warum ist das die Schlüsselfrage für jeden, der sich nach dem ewigen Leben, nach Glück und Erfüllung sehnt? Mir ist klar: Jesus will das Leiden nicht verherrlichen. Er will auch nicht, dass wir das Leiden suchen. Aber er will es im Zusammenhang sehen mit einem Leben, das gelingen soll, das gut werden soll, das zur Fülle reifen soll. Leben, Liebe und Leiden gehören zusammen. Aber geht das wirklich zusammen? Liebe und Leben – gut, ja. Aber Leiden? Jesus weiß, Liebe ohne Leiden wird es nicht geben, auch wenn das Udo Jürgens in seinem Lied gerne so hätte: „Ich wünsch dir Liebe ohne Leiden“. Manchmal wird gerade im Leiden die Liebe sichtbar und greifbar, weil sie dann mehr ist als nur ein gutes Gefühl. Nicht umsonst sagen wir ja manchmal im Deutschen „Ich kann dich gut leiden!“, wenn wir meinen: „Ich mag dich!“ Wer mein Jünger sein will, wer im Reich Gottes mich bezeugen will, wer sich im Leben von der Liebe bestimmen lässt, bei dem, was er tut, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. 2 Ein anderer Grund, warum ich gerade Kreuze in dieser Form gestalte, hängt mit dem Ort zusammen, an dem ich lebe, und dem Kreuz, das hier verehrt wird. Ich fertige Nachbildungen des Scheyrer Kreuzes. Das Scheyrer Kreuz ist ein Reliquienbehälter, in dem Splitter vom Kreuz Jesu aufbewahrt werden. Viele Menschen pilgern hier übers Jahr zur Kreuzkapelle in unserer Basilika, um die vielen Kreuze, die ihnen das Leben auflegt, demjenigen im Gebet anzuvertrauen, der sein Kreuz auf Golgota getragen hat und dort an der Schwelle von Leben und Tod das Tor zum hin aufgestoßen hat. Manchmal kommen dann Frauen und Männer und erzählen von ihrem Kreuz, das sie oft schon seit vielen Jahren zu tragen haben. Vieles von dem, was sie erzählen, macht mich betroffen und auch sprachlos. Ihre Erfahrungen sind schmerzlich. Ich bin dann dankbar, dass ich meistens gar nicht viel dazu sagen muss, sondern einfach unsere Kreuzreliquie in die Hand nehmen kann und sie den Menschen auf die Stirn legen darf mit dem Segenswunsch: „Das Kreuz Christi stärke dich!“ oder „Das Kreuz Christi helfe dir!“ Oft nimmt das ein wenig die Last in dem Wissen: Da ist einer, der an meinem Kreuzweg steht, einer, der das Leiden kennt und mitgeht, mich begleitet, mir Hoffnung macht, mir Kraft gibt für die nächsten Schritte. Mein Wunsch für das Leben der Menschen ist dabei nicht in erster Linie, dass sie keine Kreuzeserfahrungen mehr machen müssen, sondern dass sie damit umgehen können und nicht daran zerbrechen. „Was man nicht vermeiden kann, muss man betonen, muss man gestalten“, sagen meine Schreinerkollegen. Nie mehr wird mir der zehnjährige Bub aus dem Kopf gehen, der an einem Gehirntumor erkrankt war. Nach einem Gottesdienst kam er mit seiner Familie in die Kreuzkapelle, um sich mit unserem Kreuz segnen zu lassen. Ich habe es ihm aber nicht, wie sonst üblich, auf die Stirn gelegt, sondern ich habe es ihm selber in die Hand gegeben, damit er es dorthin lege, wo er meint, dass die Krankheit sitzt. Alle, die dabei waren, waren ganz ergriffen, wie einfühlsam und mit welcher Ehrfurcht er das getan hat. Von seiner Mutter weiß ich, dass ihm das sehr viel bedeutet hat. Ein Jahr später ist er dann gestorben. Kurz vor seinem Tod habe ich ihn zuhause noch einmal besucht und habe ihm eine kleine Nachbildung des Scheyrer Kreuzes mitgebracht. Er hält sie immer noch in der Hand. Gott sei Dank, durften wir alle in unserem Glauben Trost finden: Im Kreuz ist Heil. Im Kreuz ist Leben. Im Kreuz ist Hoffnung. Gott möchte, dass unser Leben gelingt, dass es uns Menschen gut geht und nicht, dass es uns schlecht geht. Davon bin ich überzeugt, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer. „Gutgehen“ heißt 3 aber nicht, immer nur vom Highlife verwöhnt zu sein. Zum Leben gehört es auch, mit Tiefs, mit Niederlagen, mit Verlusten und mit Schmerz umgehen zu können. Wer in diesen Tagen der Karwoche den Kreuzweg mitgeht und sich einlässt auf das Geschehen der letzten Tage im Leben Jesu in Jerusalem, der stellt sich dieser Tatsache. Er begibt sich damit aber auch auf einen Weg, der nicht endet auf Golgota am Kreuz, sondern der hinauszielt über das Kreuz in den Himmel, auf Gott hin, von dem alles Leben ausgeht für alle Zeit und Ewigkeit. Ich wünsche Ihnen gesegnete Kar- und Ostertage! 4