7. März 2014, Davos Fallorientierte Medizin: Gastroenterologie Gerhard Rogler, Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie, UniversitätsSpital Zürich / 1 Welche Unterscheidung ist bei Magen‐ Darmbeschwerden wichtig? • organische versus • funktionelle Beschwerden / Helfen die Rom‐Kriterien? auch als Rom‐III‐Konsensus‐Kriterien bezeichnet B. Funktionelle gastroduodenale Störungen B1. Funktionelle Dyspepsie B1a. «Postprandial distress syndrome» B1b. Epigastrisches Schmerzsyndrom B2. Funktionelles Luftaufstossen B2a. Aerophagie B2b. Unspezifisches exzessives Luftaufstossen B3. Übelkeit und Erbrechen B3a. Chronische idiopathische Übelkeit B3b. Funktionelles Erbrechen B3c. Syndrom des zyklischen Erbrechens B4. Ruminationssyndrom des Erwachsenen C. Funktionelle intestinale Störungen C1. Reizdarmsyndrom C2. Funktionelle Blähungen C3. Funktionelle Obstipation C4. Funktionelle Diarrhoe C5. Unspezifische funktionelle intestinale Störungen D. Funktionelle abdominale Schmerzsyndrome / 2 Helfen die Rom‐Kriterien ‐ am Beispiel “Reizdarm”? Abdominale Schmerzen oder Unwohlsein an mindestens drei Tagen pro Monat während der vorangegangenen drei Monate, Beginn vor mindestens sechs Monaten mit mindestens zwei der folgenden Zeichen: – Besserung durch Defäkation – Beginn mit Änderung der Stuhlfrequenz – Beginn mit Änderung von Stuhlkonsistenz und ‐aussehen / Fall 1 • 72 jährige Patientin, immer gesund gewesen. • Vor einem Jahr Hüftgelenks‐Operation (TEP), damals im Spital mit Antibiotika behandelt • Seither immer wieder Unterbauchschmerzen • Wechsel von Diarrhöe und Verstopfung • Jetzt seit drei bis vier Wochen bis zur fünf Stuhlgänge täglich. Kleine Portionen. Kein Blut. Zweimal Fieber. Zwischenzeitlich starke Abgeschlagenheit, Völlegefühl. • Gewicht weitgehend stabil (wird nicht gemessen) • subjektiv wird Gemüse nicht mehr gut vertragen, ausser, wenn es gut gekocht ist / 3 Welche Diagnostik ist sinnlos? (kostet die Patientin aber viel Geld) Dysbiose der Stuhlkeime (Stuhlanalyse) Suche nach «Pilzen im Stuhl» Bestimmung von Nahrungsmittel‐Unverträglichkeiten mittels eines Serumtests / Fall 1 / 4 Fall 1 / Fall 1 / 5 Ursachen chronischer Darmbeschwerden Ernährung: Alkohol Koffein „Ballaststoffreiche Ernährung“ „Ballaststoffarme Ernährung“ Operationsfolgen Cholezystektomie Darmresektion Andere Ursachen Ischämische Darmerkrankungen Strahlenenteritis, -kolitis Paradoxe Diarrhö bei ColonCa Reizdarm IBD Endokrine Erkrankungen Hyperthyreose Diabetes mellitus Nebenniereninsuffizienz / Ursachen chronischer Darmbeschwerden Chronische und chronisch rezidivierende Infekte Antibiotika‐assoziierte Kolitis Unspezifische Darmentzündungen Colitis ulcerosa, Morbus Crohn, Kollagene Kolitis Mikroskopische/lymphozytäre Kolitis Steatorrhö Kohlenhydratmalabsorption Disacccharidasemangel (Laktose), Schlecht absorbierbare Kohlenhydrate (Weizenstärke, Ballaststoffe, Laktulose, Sorbit, Fruktose) Medikamente einschl. Laxanzien Nahrungsmittelzusätze (Sorbit, Fruktose) / 6 Die genaue Anmanese hilft weiter Anamnestische Angaben und Befunde Bedeutung/Verdachtsdiagnose Große Stuhlvolumina Dünndarmerkrankungen kleine Stuhlvol., hohe Frequenz, Tenesmen Dickdarmerkrankungen Wechsel Diarrhö/Obstipation, Auftreten bei Stress, berufl. Tätigkeit, nächtl. Ruhe Reizdarm Plötzl. Beginn, Fieber, Bauchschmerzen, Umgebungserkrankungen, Reisen Infektion Fieber, Durst, Adynamie, Orthostase Flüssigkeits‐ und Elektrolytverl. Vorausgegangene Bauchoperation Operationsfolge Umgebungserkrankungen Infektion, Intoxikation Medikamentengebrauch Nebenwirkung / Die genaue Anmanese hilft weiter Anamnestische Angaben und Befunde Fettstühle, Steatorrhö Meteorismus und Flatulenz Bedeutung/Verdachtsdiagnose Maldigestion, Malabsorption Vermehrter Abbau von Kalorienträgern durch Dickdarmflora / 7 Alarmsymptome, die weitere Untersuchungen erfordern, sind: • Blut im Stuhl, sichtbar als frisches Blut oder durch Schwarzfärbung des Stuhles oder okkult (d.h. unsichtbar und nur durch spezielle Untersuchung nachweisbar) • Gewichtsverlust • Anämie • Fieber • Störung der Nachtruhe wegen Durchfall oder Bauchschmerzen • relativ kürzlich aufgetretene Symptome oder Änderung der Symptome / Fall 2 • 26 jährige Patientin, Studentin. • Seit zwei Jahren immer wieder Episoden von leichten Durchfällen (bis zu vier Stühle am Tag) mit «Grummeln» im Bauch, mehrmals die Woche • Verträgt subjektiv alle Nahrungsmittel (ausser Bier) • Patientin schlank, aber nicht untergewichtig • Klinische Untersuchung unauffällig / 8 Sonographie Dilatierte Schlingen mit irregulären Kerckring-Falten «Laundry Phänomen»: Gas- und Stuhlgemisch Mesenteriale Lymphadenopathie / Fall 2 / 9 Fall 2 / Sprue (Zöliakie) • Symptome: Diarrhoe, Blähungen, Anämie, u.a. • Diagnose: Gewebs‐Transglutaminase‐AK erhöht (Blut); Zottenatrophie des Dünndarms (Endoskopie/Biopsie) • Ursache: Allergie gegen Gluten in Getreide (Weizen, Roggen, Hafer, Gerste und andere); genetische Disposition • Behandlung: glutenfreie Ernährung / 10 Welche serologischen Tests gibt es für Zöliakie? • Gewebstransglutaminase Antikörper (tTG)IgA, IgG: Identisches Antigen wie für EMA. Im besten Fall rekombinant hergestellte tTG. • Gliadin Antikörper (AGA) IgA, IgG: Antigen: aus Weizen gereinigtes Gliadin. • Deamidierte Gliadin Peptid Antikörper (DGP) IgA, IgG: Antigen: deamidierte Gliadin Peptide. Enzym Immuno Assay (EIA). • HLA Test (DQ2/DQ8): PCR‐basierter Test (mit Vollblut) • Endomysium Antikörper (EMA) IgA, IgG: Indirekte Immunofluoreszenz / Zöliakie • Zöliakie ist mit 1% Prävalenz eine häufige Erkrankung • Die Mehrzahl der Zöliakiepatienten sind noch nicht diagnostiziert • tTG Antikörpertests sind sensitiv und spezifisch und ersetzen die EMA • DGP Tests erreichen fast die Qualität der tTG Tests und ersetzen die unspezifischen alten Gliadin Antikörpertests • Gliadin/DGP Tests sind wichtig bei kleinen Kindern und IgA defizienten Patienten / 11 Laktoseintoleranz • Symptome: Durchfall, Blähungen, Bauchschmerzen, Flatulenz nach Genuss von Milchprodukten oder Laktose‐haltigen Nahrungsmitteln • Diagnose: H2‐Atemtest (Atemtest nach Einnahme von Laktose); Untersuchung der genetischen Disposition (Blut) • Ursache: Fehlen oder eingeschränkte Aktivität von Laktase, dem Milchzucker spaltenden Enzym, in der Dünndarmschleimhaut. • Behandlung: Meiden von Milchprodukten; Substitution von Laktase (Tabletten). / Reizdarmsyndroms (IBS) Beschwerden des Reizdarmsyndroms beschränken sich auch nicht ausschliesslich auf den Magen‐Darm‐Trakt. Die Betroffenen fühlen sich oft müde oder abgespannt und klagen über: ‐ Rückenschmerzen ‐ Kopf‐ und Gliederschmerzen ‐ Schlafstörungen ‐ Angstgefühle, Nervosität ‐ Beschwerden im Genitalbereich und Harnblasenstörungen / 12 Stuhluntersuchungen Pathogene Bakterien ‐ Salmonellen, Shigellen ‐ Camphylobacter ‐ Yersinien ‐ Clostridium difficile Bakterium und Toxin / Untersuchungen bei Patienten mit chronischen Magen‐ Darmbeschwerden 1. Stufe Blutuntersuchungen BSG/CRP, BB, E‐lyte, Harnstoff, Kreatinin, TSH Stuhluntersuchungen Toxin von Clostridium difficile; pathol. Keime, (Parasiten, Wurmeier) Calprotectin 2. Stufe 3. Stufe Endoskopische Untersuchungen Koloskopie, ÖGD (mit Biopsie) Röntgendiagnostik Abdomenübersicht; MR‐Enteroklysma Sonstige Ernährungsversuch mit laktosefreier Kost oder FODMAPS Diät Calprotectin Vitamin B12, Transferrin‐Sättigung, anti‐tTG Ak, IgAm deaminiertes Gliadin Peptid AK (DPG), / 13 Calprotectin im Stuhl Calcium‐bindendes Protein, vor allem in Neutrophilen nicht durch intestinale Bakterien abgebaut bei Raumtemperatur im Stuhl bis zu 1 Woche stabil einfache Bestimmung im Stuhl möglich / Erhöhte Calprotectin Werte werden gefunden bei: • • • • • • Höherem Alter NSAIDs PPIs Leberzirrhose Bakteriellen Lungenentzündungen Gastrointestinalen Infektionen / 14 Funktionelle Magen‐Darmbeschwerden versus organische Darm‐Erkrankung Discrimination organic vs. functional disease Erkrankungen des oberen GI Traktes? / Tibble et al, Gastroenterology. 2002 Aug;123(2):450‐60 Reizdarm (IBS) versus organische Darm‐Erkrankung 10 000 Faecal calprotectin mg/L 1000 100 10 1 0.1 Crohn´s disease N = 31 IBS N = 159 Miscellaneous N = 30 Gut 2000;47:506-513 / 15 Calprotectin Zusammenfassung • • • • Hilft bei der Differentialdiagnose organischer und funktioneller Magen‐Darm Erkrankungen Ist genauer als CRP Korreliert mit der Schwere der Darmentzündung (Endoskopie und Histologie) und kann eine Endoskopie zur Therapiekontrolle ersetzen Limitationen: » NSAR » Nasenbluten » Keine Differenzierung zwischen organischen Erkrank. Gisbert, Dig Liv Dis 2008, Johnson Eur J Gastro 2008 / Fall 3 • 68 jährige Patientin, selbständig • Vor fünf bis sechs Jahren schon einmal Bauschmerzen und Durchfälle. Damals spontane Besserung nach 3 ‐ 4 Monaten. Jetzt seit einem Jahr massive Einschränkung der Lebensqualität mit starken Bauchkrämpfen und wässrigen Durchfällen. Vor allem imperativer Stuhldrang morgens. Besserung durch Defäkation. • An Essen wird nur Schonkost vertragen. • Es ist ein leichter Gewichtsverlust aufgetreten. • Zahl der Stühle pro Tag:4‐5 / 16 Fall 3 / Fall 3 / 17 Fall 3 / Fall 3 / 18 Fall 3: Koloskopie / Fall 3: Histologie / 19 „Vollendetes Glück ist nichts anderes als außerordentliche Harmonie im Verdauungstrakt“ A. Lunatscharski / Fall 1 •72 jährige Patientin, immer gesund gewesen. •Vor einem Jahr Hüftgelenks-Operation (TEP), damals im Spital mit Antibiotika behandelt •Seither immer wieder Unterbauchschmerzen •Wechsel von Diarrhöe und Verstopfung •Jetzt seit drei bis vier Wochen bis zur fünf Stuhlgänge täglich. Kleine Portionen. Kein Blut. Zweimal Fieber. Zwischenzeitlich starke Abgeschlagenheit, Rückenschmerzen. •Gewicht weitgehend stabil (wird nicht gemessen) / 20 Haben Sie einen Verdacht? __________________________________ Welche Fragen hätten Sie an den Patienten/die Patientin? __________________________________ Welche Untersuchungen würden Sie veranlassen? _____________________________ _____________________________ _____________________________ NOTIZEN ________________________________________________________________ ________________________________________________________________ ________________________________________________________________ ________________________________________________________________ / 40 Fall 2 •26 jährige Patientin, Studentin. •Seit zwei Jahren immer wieder Episoden von leichten Durchfällen (bis zu vier Stühle am Tag) mit «Grummeln» im Bauch, mehrmals die Woche •Verträgt subjektiv alle Nahrungsmittel (ausser Bier) •Patientin schlank, aber nicht untergewichtig •Klinische Untersuchung unauffällig / 21 Haben Sie einen Verdacht? __________________________________ Welche Fragen hätten Sie an den Patienten/die Patientin? __________________________________ Welche Untersuchungen würden Sie veranlassen? _____________________________ _____________________________ _____________________________ NOTIZEN ________________________________________________________________ ________________________________________________________________ ________________________________________________________________ ________________________________________________________________ / 42 Fall 3 •68 jährige Patientin, selbständig •Vor fünf bis sechs Jahren schon einmal Bauschmerzen und Durchfälle. Damals spontane Besserung nach 3 - 4 Monaten. Jetzt seit einem Jahr massive Einschränkung der Lebensqualität mit starken Bauchkrämpfen und wässrigen Durchfällen. Vor allem imperativer Stuhldrang morgens. •An Essen wird nur Schonkost vertragen. •Es ist ein leichter Gewichtsverlust aufgetreten. •Zahl der Stühle pro Tag:4-5 / 22 Haben Sie einen Verdacht? __________________________________ Welche Fragen hätten Sie an den Patienten/die Patientin? __________________________________ Welche Untersuchungen würden Sie veranlassen? _____________________________ _____________________________ _____________________________ NOTIZEN ________________________________________________________________ ________________________________________________________________ ________________________________________________________________ ________________________________________________________________ / 44 23