14/Sterne im Leerraum (Page 193)

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Planetarischer Nebel: „Der Saft kommt im grünen Bereich“
ASTRONOMIE
Grablichter der Sonnen
Haben die Astronomen die Hälfte aller Gestirne im All bisher
übersehen? In den Weiten zwischen den Galaxien
sind Forscher auf rätselhafte Einsiedler-Sterne gestoßen.
I
liarden Sonnen als Passagieren an Bord
durch Ozeane der Leere.
So wohlgeordnet sieht das Bild aus, das
sich die Sternenkundler vom Weltall gemacht haben. Doch jetzt ist ein Team von
Astrophysikern in den Weiten des intergalaktischen Meeres gleichsam auf Schiffbrüchige gestoßen – auf bislang unentdeckte Sonnen, die fernab von allen anderen Sternen im leeren Raum zwischen den
W. M. WEBER
m Weltall gehen die Lichter noch lange
nicht aus. Zehn Trilliarden Sterne wie
die Sonne brennen derzeit vor sich hin.
In jeder Sekunde zünden zehntausend
neue.
Geboren werden Sonnen in Galaxien
wie der Milchstraße. Außerhalb dieser
meist scheibenförmigen Sternenhaufen
aber beginnt das große Nichts. Wie kosmische Schiffe treiben die Galaxien mit Mil-
Astrophysiker Méndez, Kudritzki*: „Vor Freude an die Decke gesprungen“
d e r
s p i e g e l
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Galaxien dümpeln. „Unsere Beobachtung
ist ungeheuer aufregend“, erklärt Rolf
Kudritzki, Leiter der Universitäts-Sternwarte München. „Wenn sich das bestätigt,
haben wir Astronomen die Hälfte aller
Sterne im All bisher glatt übersehen.“
Allerdings sind die Himmelsforscher den
sonderbaren Sonnen-Singles erst indirekt
auf die Spur gekommen. Die Wissenschaftler haben bislang nur sterbliche
Überreste der Phantomsterne gefunden –
fremdartig schimmernde Gaswolken, die
in der Milchstraße seit langem unter dem
Namen „Planetarische Nebel“ bekannt
sind.
Auch die Erdensonne wird sich dereinst
in solche Nebelschwaden auflösen. In etwa
fünf Milliarden Jahren geht ihrem Glutofen der nukleare Brennstoff aus. Am Ende
eines langen, feurigen Lebens wird sich die
Sonne dann zu einem „Roten Riesen“ aufblähen.
Wenn ihr Sterben beginnt, wird sie
den Erdenmenschen noch einmal so
richtig einheizen: Mittags bedeckt die
glutrote Sonne die Hälfte des Himmels.
Auf der Erde verdampft das Wasser
der Ozeane. Immer heißer wird es auf
dem entvölkerten Planeten, wie Butter
schmelzen auf seiner staubtrockenen
Oberfläche die Berge. Schließlich verschlingt der sich ausdehnende Heimatstern nach den Planeten Merkur und Venus
auch die Erde.
Letzter Akt im Himmelsdrama: Nach
diesem Aufbäumen kollabiert die aufgeblähte Sonne wieder und schrumpft zu einem nur erdgroßen Reststern, einem
„Weißen Zwerg“. Dabei sprengt sie in einer gewaltigen Explosion ihre äußere Hülle
ab – mit knapp 100 000 Stundenkilometern
rast die Gaswolke davon. Vom Reststern
noch einige Jahrtausende lang angestrahlt,
leuchtet dieser Planetarische Nebel wie
eine Neonlampe im All.
Myriaden ausgebrannter Sonnen haben
bereits Planetarische Nebel ausgebildet.
Knapp 2000 solcher Grablichter der Sterne
wurden bisher allein in der Milchstraße
gefunden. Ihren irreführenden Namen erhielten die Planetarischen Nebel im Jahre
1785 von dem britischen Astronomen William Herschel. Die grünlich leuchtenden
Nebelscheiben erinnerten den Gelehrten
an den vier Jahre zuvor von ihm entdeckten Gasplaneten Uranus.
Ihre unverwechselbaren Leuchteigenschaften machen die Planetarischen Nebel
für heutige Astronomen hochinteressant:
Wie gigantische Lichtverstärker wandeln
sie die unsichtbare UV-Strahlung des Reststerns in ihrem Zentrum in sichtbares Licht
fast nur einer einzigen Wellenlänge um.
„Der ganze Saft kommt im grünen Bereich
raus“, sagt Kudritzki. Die fluoreszierenden Gaswolken lassen sich deshalb mit Hil* Am Observatorium auf dem Wendelstein in den Bayerischen Alpen.
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Wissenschaft
fe von Spezialfiltern noch aus riesiger Ent- stiert. Aber wer hat die heimatlosen Sterne in die kosmische Wüste geschickt?
fernung identifizieren.
Nach der gängigen Lehrmeinung könZudem geben alle diese Objekte annähernd die gleiche Lichtmenge ab. Aus nen sich Sonnen ausschließlich in Galaxien
der gemessenen Helligkeit eines Planeta- bilden. Nur dort gibt es dichte Gaswolken,
rischen Nebels läßt sich somit ziemlich ge- die zu Sternen verklumpen können. „Aber
nau schließen, wie weit dieser entfernt ist. vielleicht handelt es sich bei den Sonnen
Kudritzki: „Das sind unsere besten Leucht- fernab der Galaxien um Sternengreise, die
schon vor sehr langer Zeit aus der Urmafeuer im All.“
Ihre spektakuläre Entdeckung gelang terie entstanden sind“, sagt Kudritzki.
dem Münchner Astrophysiker und seinen „Das würde alle bisherigen Vorstellungen
Kollegen, als sie mit Hilfe dieser kosmi- über das Werden von Sternen über den
schen Markierungslampen den Abstand zu Haufen werfen.“
Für wahrscheinlicher halten es die Astroeiner weit entfernten Galaxie bestimmen
wollten. Dabei erlebten sie eine große physiker jedoch, daß die Sternen-SonderÜberraschung. „Es war reiner Zufall. Bei linge Opfer gigantischer Katastrophen gedrei Planetarischen Nebeln sah es nur auf worden sind. In der Frühzeit des Univerden ersten Blick so aus, als ob sie zu der sums kam es häufig vor, daß Galaxien
fernen Galaxie gehörten“, berichtet Ku- miteinander zusammenstießen. Da die
dritzki. „Dann stellte sich heraus, daß sie Sonnen durch gewaltige Leerräume voneinander getrennt sind, kollidierten bei
weit dahinter im Weltraum lagen.“
Nicht auszuschließen war
jedoch, daß die Planetarischen
Nebel zu einer unsichtbaren
Zwergengalaxie gehörten, die
zu lichtschwach für die Instrumente war. Um einen Trugschluß zu vermeiden, begab
sich Team-Kollege Roberto
Méndez auf die Kanareninsel
La Palma. Der Astrophysiker
richtete das 4-Meter-HerschelTeleskop auf einen anderen,
vollkommen leeren Ausschnitt
des Himmels.
Seine Beobachtung war eindeutig: Diesmal hatte die elektronische Kamera sogar elf
Planetarische Nebel festgehalten. Kudritzki: „Da sind wir
vor Freude an die Decke gesprungen.“
Die Konsequenzen dieser
Entdeckung sind in der Tat
spektakulär: Wenn im Leerraum fernab der nächsten Galaxien solche Sternenleichen Galaxien: Sternenschiffe mit Milliarden Passagieren
glühen, so folgern die Astrophysiker, muß es dort auch noch viele le- einem Galaxien-Crash zwar so gut nie die
bende Gestirne geben. Wie die Wissen- einzelnen Sterne. Die Wucht eines solchen
schaftler vermuten, sind diese Sonnen weit Zusammenpralls könnte aber groß genug
lichtschwächer als die Planetarischen Ne- gewesen sein, um Sonnen aus ihrer stabibel und können deshalb selbst mit den len Bahn zu reißen – sie wurden weit hinstärksten Teleskopen nicht aufgespürt aus in den intergalaktischen Abgrund geschleudert.
werden.
„Mit ein paar von solchen Irrläufern haZumindest läßt sich aber hochrechnen,
wie groß ihre Zahl ist. „Planetarische Ne- ben wir gerechnet“, meint Kudritzki ratlos.
bel leuchten nur wenige zehntausend Jah- „Aber durch welche dramatischen Zusamre, dann erlischt ihr lichtspendender Rest- menstöße die Galaxien die Hälfte ihrer
stern; eine solche Zeitspanne ist nur ein Sterne verloren haben könnten, läßt sich
Wimpernschlag im Leben einer Sonne“, kaum erklären.“
Wäre die Erdensonne in grauer Vorzeit
erläutert Kudritzki. „Wenn wir in diesem
winzigen Himmelsausschnitt also bereits aus der Milchstraße gekickt worden, würein Dutzend der kurzlebigen Planetari- de auch sie als ein Einsiedler-Stern durch
schen Nebel finden, muß es dort von Mil- die Unendlichkeit trudeln. Die nächste
Nachbarsonne wäre Hunderte von Lichtliarden von aktiven Sternen wimmeln.“
In letzter Konsequenz könnte dies be- jahren entfernt. Am Himmel über der Erde
deuten, so der Astrophysiker, daß jede würden so gut wie keine Sterne funkeln.
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zweite Sonne außerhalb einer Galaxie exi- Nachts herrschte totale Finsternis.
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