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Einleitung
Worum geht es?
Murnauer Stimmung – was ist das?
1
2
Grundbegriffe
Die Töne des Klaviers
Oktave, Quinte und Terz
Sekunde, Ganzton, Halbton
Komplemente und Oktavierungen
Noten
Kadenz und Tonleiter
3
4
4
5
6
7
Physikalisches
Schwingungen
Schwebungen
Die Naturtonreihe
Lissajous-Figuren
9
10
10
11
Reine Quint-Stimmung
Das pythagoräische Komma
Die Quintenspirale
Pentatonik
14
15
16
Quint-Terz-Stimmung
Das syntonische Komma
Tonbezeichnungen
Intervall-Lupe
Brauchbare Auswahl
17
17
18
19
Großer Zirkel
Bündelung der Töne
Die 53-tönige Temperatur
Graphische Darstellung der Tonorte
Intervalle bestimmen das System
Es geht rund
Transpositionen
21
22
23
24
25
26
Zitate und Kommentare
Ansichten zur Konsonanz
Busonis Lamento
Wozu neue Töne?
Alles zu kompliziert?
Die 53 in der Literatur
27
28
29
30
31
Aspekte und Konsequenzen
x Quinten in y Oktaven
Logarithmen
Notation der Terztöne
Die leidige Septime
Besonderheiten bei Moll
Große und kleine Diesis
Terz-Trauben
32
33
34
35
36
38
39
Literaturhinweise
40
[ Einleitung ]
Die ersten zwei Seiten dienen dem schnellen Überblick.
Worum geht es?
»Musik« ist ein weites Feld. Das Thema dieser Schrift — die Bausteine der Musik — nimmt im
Lexikon einen eher bescheidenen Platz ein. Ein Grund dafür dürfte sein, dass unsere »europäische« Musik weitgehend konfektioniert ist: Der ausübende Musiker (und oft auch der Komponist —
vom Konsumenten ganz zu schweigen) braucht sich um die Grundlagen der Musik nicht weiter zu
kümmern. Er wendet — intuitiv oder bewusst — fertige Regeln an.
Im folgenden wird versucht, Regeln nicht einfach zu übernehmen, sondern sie zu hinterfragen.
Musik ist heute »allgegenwärtig« und geht uns damit sehr persönlich an; insofern lassen sich die
hier erörterten Fragen nicht einfach an Hochschulen delegieren. Wer das pragmatischer sieht oder
Musik lediglich für ein (womöglich schönes) Geräusch hält, ist mit dieser Schrift nicht gemeint.
Hier sehen Sie die Tastatur des Klaviers. Sie umfasst 7 Oktaven, und die Anordnung »weißer« und
»schwarzer« Tasten wiederholt sich nach jeder Oktave. Die Oktave ist in zwölf gleiche Intervalle
geteilt, die wir »Halbton-Schritte« oder kurz »Halbtöne« nennen.
Aber warum heißen sie so? Wurden etwa sechs »Ganztöne« halbiert? Warum gerade sechs? Und
warum nicht gedrittelt? — Gewöhnlich werden in Musiklehren derlei Fragen (die sich zuhauf stellen
lassen) nicht beantwortet; sie stehen nicht im Vordergrund. Oft hat man den Eindruck, die Autoren
hätten ohnehin keine Antworten darauf.
Unsere übliche »zwölftönig gleichstufig temperierte« Stimmung war nicht zu allen Zeiten so unangefochten wie heute. So lag z.B. Johann S. Bach im Zwist mit dem Orgelbauer Gottfried Silbermann, der die mitteltönige Stimmung bevorzugte. Diese bietet zwar wohlklingende »Naturterzen«,
kennt dafür aber »verbotene Tonarten« mit hässlichen »Wolfsquinten« — was Bach provokativ
ignorierte.
Die temperierte Terz ist zu groß, gemessen an der Naturterz der Obertonreihe. Sie ist uns zwar als
Intervall vertraut, aber in Akkorden klingt die Naturterz doch harmonischer. (Eine moderne Maßnahme, um die Unzulänglichkeiten der temperierten Stimmung durch eine gleitende Tonskala zu
mildern, stellt das »Hermode Tuning« dar. Hören Sie selbst! Sie finden interessantes Theoretisches und Ton-Beispiele unter www.hermode.de.)
Im Tonsystem stecken zahlenmäßige Gesetze, die man entdecken, aber nicht erfinden kann.
Ohne sie wäre Musik konturlose Lautmalerei. Ich weiß, es gibt Menschen, die vor Zahlen
erschrecken, als handle es sich bei einfachen natürlichen Brüchen um höhere Mathematik. Aber
ein bisschen mehr als Singvögel sollten wir uns schon zutrauen. (Angeblich zählen Singvögel nur
bis Eins: Wenn zwei Menschen im Gebüsch verschwinden und einer von ihnen sich wieder
entfernt, gilt Entwarnung.) Ich werde zwar mit Zahlen herumwerfen, weil sie geeignet sind,
Sachverhalte zu verdeutlichen, aber ich werde keine mathematischen Kenntnisse voraussetzen.
Versprochen.
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1
Murnauer Stimmung — was ist das?
Die »Murnauer Stimmung« ist keine neue Erfindung; sie besteht aus einer Kombination von im
Grunde bekannten Maßnahmen. Diese (bislang namenlose) Stimmung ist meiner Meinung nach
geeignet, unserem quint-terz-orientierten Tonsystem besser gerecht zu werden als die allgemein
gebräuchliche »Klavierstimmung«. Ob sie auch »praktisch« sei, kann sogleich verneint werden —
da ist das Gebräuchliche unschlagbar. Praktikabel ist sie aber schon, und sie kann sicherlich das
Verständnis für unser Tonsystem fördern.
Unsere (etwa 300 Jahre alte) »zwölftönig gleichstufig temperierte« Stimmung ist das Ergebnis
vieler vorausgegangener Versuche, die Unzahl musikalisch brauchbarer Töne auf ein handhabbares Maß zu reduzieren. Diese Bemühungen stellen keine evolutionäre Weiterentwicklung des
Tonsystems dar; sie hatten die Vereinfachung der Instrumente und deren leichtere Spielbarkeit
zum Ziel. (Die »Zwölftöner« möchten diesen Kompromiss gern als eigenständiges System sehen,
ich weiß.)
Töne, die durch solche »Temperierung« zusammengelegt wurden, blieben durch den musikalischen Zusammenhang unterscheidbar; sie behielten ihre Namen (z.B. Fis und Ges) und wurden
weiterhin verschieden notiert. Es ist allerdings zu beobachten (und das wiegt in meinen Augen
schwerer als die Unreinheiten), dass durch die Zusammenlegung unterschiedlicher Töne sich
allmählich der Eindruck breit gemacht hat, es handle sich tatsächlich (semantisch) um denselben
Ton, der ärgerlicherweise zwei Namen besitzt. Wir sind dabei, zu vergessen, wie unser Tonsystem
entstanden ist: nämlich vornehmlich über Quint-Verwandtschaften, wie das Notensystem verrät.
Die Folgen solcher Vergesslichkeit sind vielfältig. So verfallen wir auf die Idee, Intervalle in »Halbtönen« zu messen, ohne uns über das Wesen der Halbtöne klar zu sein. Oder wir meinen, eine
übermäßige Quarte sei dasselbe wie eine verminderte Quinte. Oder wir glauben, mit vier Quinten
die Durterz zu erreichen. Durch die künstliche Symmetrie wird alles recht beliebig.
In dieser Situation soll die »Murnauer Stimmung« helfen, mehr Klarheit in das Tongeschehen zu
bringen. Anders als bei vielen historischen Bemühungen (einschießlich des modernen Hermode
Tuning) wird nicht versucht, vermeintliche Ungereimtheiten zu verstecken, vielmehr wird Tönen mit
unterschiedlichen Namen (und auch Terztönen) Eigenständigkeit zugebilligt. Etwaigen Befürchtungen, der Aufwand steige damit ins Unermessliche, oder Enharmonik werde damit untergraben, soll
mit dieser Schrift begegnet werden.1
1
Für Einzelheiten siehe Abschnitt »Großer Zirkel«
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[ Grundbegriffe ]
Musiktheoretische Kenntnisse sollen hier nicht vorausgesetzt werden. Deshalb müssen wir (soweit es unser
Thema betrifft) etwas weiter ausholen, damit wir darauf Bezug nehmen können. Versierte Leser mögen
diese Kapitel überspringen.
Die Töne des Klaviers
Obwohl bereits anklang, dass die übliche temperierte Stimmung nicht das Maß aller Dinge sein
kann, hängen doch (from long habit) so viele Begriffe damit zusammen, dass wir uns — zunächst!
— darauf stützen wollen. Wir werden uns weitgehend an der Klavier-Tastatur orientieren, die eine
hilfreiche Ordnung in das Dickicht der Töne bringt. — Hier nochmal die Abbildung der Klaviatur:
Das sind die 85 Tasten des Klaviers. (Der Konzertflügel hat rechts drei Tasten mehr.) Ganz links
ertönt das »Subkontra-A« mit 27.5 Hertz (= Schwingungen pro Sekunde), ganz rechts — das ist
sieben Oktaven höher — das »viergestrichene A« mit 3520 Hertz.
Etwas oberhalb der Mitte liegt das »eingestrichene A« mit 440 Hertz, das auch als »Kammerton«
bezeichnet wird. Von hier aus beginnt der Klavierstimmer seine Arbeit. Dieser Ton liegt in der
»eingestrichenen Oktave«, die vom »eingestrichenen C« bis zum »eingestrichenen H« reicht.
Links davon liegen die »kleine Oktave«, die »große Oktave«, die »Kontra-Oktave« und drei Töne
der »Subkontra-Oktave«, rechts die »zwei-«, »drei-« und »viergestrichene Oktave«. Letztere ist
nicht vollständig (außer beim Flügel, der bis zum »fünfgestrichenen C« reicht).
Bitte verwechseln Sie die Oktav-Bereiche nicht mit dem Intervall »Oktave«! Die Bereiche zählen
jeweils von C bis H, also über 12 Töne, während das Intervall »Oktave« z.B. vom c' bis zum c''
reicht oder vom a' bis zum a''. 12 Halbton-Schritte benötigen eben 13 Töne.
Hier ein Ausschnitt aus der Klaviatur (aus Platzgründen leicht gequetscht):2
Es wäre für das Folgende hilfreich, wenn die Tonbezeichnungen der »weißen« Tasten dem Leser
(stets beiderlei Geschlechts, versteht sich) geläufig wären.
Für unsere Betrachtungen wird die C-Dur-Tonleiter — ihrer Anschaulichkeit wegen — eine zentrale
Rolle spielen: C–D–E–F–G–A–H–C. Sie verwendet nur »weiße« Tasten und ist z.B. geeignet,
Kinderlieder wie »Fuchs, du hast die Gans gestohlen« zu intonieren. Das obere C gehört zwar
eigentlich schon zum nächsten Oktav-Bereich (C–H), aber für sieben »weiße« Schritte braucht
man nun einmal acht »weiße« Tasten.
Die Tonbezeichnungen der »schwarzen« Tasten sind doppeldeutig. Die Namen verraten, dass diese Töne durch Erhöhung oder Erniedrigung der »weißen« Töne gefunden wurden. (Das muss
freilich näher beleuchtet werden. Wir werden darauf zurückkommen.)
2
English speaking folks: »H« and »B« in German are »B« and »B flat« in English, resp.
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3
Oktave, Quinte und Terz
Die wichtigsten Intervalle sind Oktave, Quinte und große Terz. (Wir werden sie später über
Schwingungsverhältnisse definieren.) Die übrigen musikalisch brauchbaren Intervalle lassen sich
von ihnen ableiten.3
Die Oktaven sind durch sieben »weiße« Schritte gekennzeichet und sind — mit zwölf HalbtonSchritten — alle gleich groß:
Die Quinten bestehen aus vier »weißen« Schritten:
Die meisten dieser Quinten sind »reine« (echte) Quinten; sie umfassen sieben Halbton-Schritte.
Die zuletzt gezeichnete hat allerdings einen Halbton weniger und gilt deshalb als »verminderte«
Quinte.4
Die Terzen (zwei »weiße« Ton-Schritte) sind bunt gemischt: Sie bestehen entweder aus vier oder
aus drei Halbton-Schritten und heißen dementsprechend »große« Terz oder »kleine« Terz:
Die kleine Terz gehört nicht zu den systembildenden Intervallen wie Oktave, Quinte und große
Terz. Sie ist definiert als »Quinte minus große Terz«. Das bedeutet, dass große und kleine Terz
sich zur Quinte ergänzen. Die Reihenfolge, welche die Terzen dabei einnehmen, entscheidet über
Dur oder Moll. Vom Grundton aufsteigend (nur dann!) heißt die große Terz auch »Durterz«, die
kleine »Mollterz«.
Sekunde, Ganzton, Halbton
Die Sekunden (ein »weißer« Schritt) beinhalten entweder zwei Halbtöne oder nur einen Halbton
und heißen somit »große Sekunde« oder »kleine Sekunde«:
3
In diesem Kapitel geht es vor allem um die gängigen Namen der Intervalle, nicht um ihre Funktion. Daher
werden wir uns — ausnahmsweise! — erlauben, die Intervall-Namen mit »Halbtönen« in Beziehung zu
setzen. Halbtöne (Halbton-Schritte) haben auf dem Klavier einheitlich die Größe einer Zwölftel-Oktave, aber
eben nur in dieser Stimmung. Für die weiteren Betrachtungen werden wir dieses Maß tunlichst wieder
vergessen und uns für Definitionen an die oben genannten drei Intervalle halten.
4
Die verminderte Quinte ist definiert als »Quinte minus chromatischer Halbton«.
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4
Die große Sekunde erhält man durch »Quinte minus Quarte« (oder auch durch »zwei Quinten
minus eine Oktave«). Die kleine Sekunde ist — je nach musikalischem Zusammenhang —
definiert als »Quarte minus große Terz« (»diatonischer Halbton«) oder als »Ganzton minus
diatonischer Halbton« (»chromatischer Halbton«) oder als »große Terz minus kleine Terz«
(»Dur/Moll-Differenz«).
Der Name »Halbton« verführt zu der Annahme, dass dieses Intervall durch Halbierung eines
»Ganztons« entstanden sei. Dem ist aber nicht so.
Sie sehen hier die Quinten-Reihe F–C–G–D–A–E–H:
Das sind — etwas umgestellt — die Töne der C-Dur-Tonleiter (C–D–E–F–G–A–H–C). Diese
besteht aus 5 Ganztönen (C–D, D–E, F–G, G–A, A–H) und 2 Halbtönen (E–F, H–C).5
Zwei Halbtöne — offensichtlich wurde hier kein Ganzton halbiert!
Wenn wir die Quintenreihe nach beiden Seiten verlängern , so bekommen wir auch alle »schwarzen« Töne (sie sind hervorgehoben) — samt ihren konkurrierenden Namen:
Komplemente und Oktavierungen
»Komplement« (»Umkehrung«) bedeutet hier »Ergänzung zur Oktave«.
Das Quint-Intervall wurde durch vier »weiße« Schritte erreicht. Zum Oktav-Intervall mit seinen
sieben Schritten fehlen also noch drei Schritte. Dieses Intervall mit drei Schritten heißt Quarte;
Quinte und Quarte, aneinandergefügt, ergänzen sich zur Oktave.
5
In gewisser Hinsicht bedeutet »Ganzton« und »große Sekunde« dasselbe. »Ganzton« meint mehr das
Tonmaterial, »Sekunde« mehr das Musikalische, aber scharf unterschieden wird hier nicht. Entsprechendes
lässt sich von »Halbton« und »kleiner Sekunde« sagen. In der reinen Quint-Terz-Stimmung werden wir mit
»großem« und »kleinem Ganzton« konfrontiert sowie mit »großem« und »kleinem chromatischem Halbton«.
Hier wird die Sekunde unhandlich.
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5
Die Umkehrung (das Komplement) eines Intervalls kann auch so erklärt werden, dass einer der
beiden Töne um eine Oktave verschoben wird (der untere nach oben oder der obere nach unten):
Intervalle größer als eine Oktave können gebildet werden, indem man die bisher besprochenen
»oktaviert« (um eine Oktave vergrößert):
Diese Intervalle sind ggf. »groß«, »klein«, »vermindert« oder »übermäßig« wie ihre kleineren
Geschwister, versteht sich.
Bei der »Reoktavierung« wird ein großes Intervall um so viele Oktaven verringert, dass es kleiner
wird als eine Oktave (z. B. wird eine Oktave reoktaviert zur Prime).
Noten
Ich habe mir vorgenommen, mit Noten sparsam umzugehen, denn der Autor (das bin ich) hat
einige Mühe, »vom Blatt« zu spielen — und damit ein Herz für ähnlich Behinderte. Wir werden
aber um Noten nicht herumkommen. Deshalb sei das Wichtigste erwähnt, wenigstens was die
Tonhöhe betrifft.
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Das sind Noten, die »weiße« Tasten bezeichnen. Für »schwarze« Tasten werden »Versetzungszeichen« verwendet: Wird eine Note um einen Halbton erhöht, dann steht davor ein »Kreuz«
(#), wird sie erniedrigt, dann steht davor ein »Be« (b). Z.B. wird F durch Erhöhen zu Fis und G
durch Erniedrigen zu Ges. (Für Fis und Ges bietet das Klavier nur eine Taste.)
Neben den Versetzungszeichen gibt es Vorzeichen für eine ganze Notenzeile, wodurch die Tonart
festgelegt wird. Es sind die gleichen Kreuze und Be's, aber sie sind nun nicht mehr einzelnen
Noten zugeordnet.
Hier sind einige Dur-Tonleitern abgebildet. Vorzeichen sorgen für die richtige Anordnung der
Halbtöne (sie sind markiert: von der 3. zur 4. und von der 7. zur 8. Stufe).
Die Versetzungszeichen unmittelbar vor den Noten sind durch die Vorzeichen überflüssig und
deshalb in Klammern gesetzt.
Ein Vorzeichen gilt nicht nur für die Linie bzw. den Zwischenraum, auf der bzw. in dem sie sitzt,
sondern auch für alle oktav-versetzten Töne. (Siehe Beispiele B-Dur und D-Dur.)
Kadenz und Tonleiter
Die Tonleiter ist siebenschrittig/achtstufig. Für die C-Dur-Tonleiter (C–D–E–F–G–A–H–C) steht F
auf der vierten und G auf der fünften Stufe.
Die Akkorde der ersten, vierten und fünften Stufe einer Dur- oder Molltonart werden »Hauptdreiklänge« genannt. Sowohl die Grundtöne dieser Stufen als auch die darüber gebildeten Dreiklänge
werden bezeichnet mit:
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7
Für C-Dur (Tonika) heißt die Subdominante F-Dur und die Dominante G-Dur. Sie sind »Nachbartonarten« im Sinne des Quintenzirkels, und sie sind in der Notenschrift durch je ein Vorzeichen von
der Tonika unterschieden:
Es handelt sich hier nicht um Versetzungszeichen, die unmittelbar vor der Note stehen, sondern
um Vorzeichen für eine ganze Zeile, die die Tonart bestimmen. Das »b« für F-Dur macht aus
einem H ein B; das »#« für G-Dur macht aus einem F ein Fis. Dass diese Töne hier in den Dreiklängen nicht vorkommen, spielt keine Rolle, denn die Vorzeichnung für eine Tonart muss auch mit
Tonleitern zurechtkommen.
"Die Verbindung der Hauptdreiklänge führt zur einfachen Kadenz (Grundkadenz), die durch das harmonische Gefälle, durch Spannung und Entspannung charakterisiert ist. Die Hauptdreiklänge stehen
untereinander in funktionalem Verhältnis. Unter Kadenz verstand man ursprünglich eine Schlußbildung und Tonartbestätigung (cadere, lat. = fallen, enden). Jedoch von etwa 1600 bis gegen 1900,
zum Teil bis in die Gegenwart hinein, bildet die Kadenz die bestimmende harmonische Grundlage
[1]
unseres Musizierens überhaupt." (W. Ziegenrücker)
Und damit sind wir da, wohin ich wollte: Die Grundkadenz aus den Hauptdreiklängen C-Dur, F-Dur,
G-Dur, C-Dur (die jedem musikalischen Ohr geläufig ist) liefert alle »weißen« Töne (also die Töne
der C-Dur-Tonleiter: C–D–E–F–G–A–H–C) und bestimmt somit die Tonart C-Dur.6
Eine (reine) Moll-Tonleiter erhält man, indem die »weißen« Töne ab A gespielt werden: A–H–C–
D–E–F–G–A. Und weil die A-Moll- wie die C-Dur-Tonart kein Vorzeichen benötigt, werden die
beiden als Parallel-Tonarten bezeichnet.
Das war A-Moll. Die (reine) C-Moll-Tonleiter lautet entsprechend: C–D–Es–F–G–As–B–C.
Nach gängiger Lehrmeinung gibt es außer der »reinen« eine »harmonische« Moll-Tonleiter, bei
der B zu H wird, wodurch die übermäßige Sekunde As–H entsteht; außerdem eine »melodische«,
die aufwärts anders lautet als abwärts: C–D–Es–F–G–A–H–C und C–B–As–G–F–Es–D–C.
Obwohl Moll in gewisser Hinsicht das »Gegenteil« von Dur ist (man denke nur an die Teilung der
Quinte in große und kleine Terzen), muss festgestellt werden, dass Moll komplizierter ist. Wir
werden das bei der Behandlung der reinen Quint-Terz-Stimmung noch zu spüren bekommen.
6
Dem aufmerksamen Leser wird auffallen, dass hier ein logischer »Zirkelschluss« besteht: Erst werden 4.
und 5. Stufe aus der Tonleiter genommen, dann wird die Tonleiter von der Kadenz abgeleitet. Das ist freilich
nicht korrekt. Man sollte für Dominante und Subdominante besser die Quintverwandtschaft zur Tonika
anführen. — Die Erklärung mit der 4. und 5. Stufe wurde hier nur gegeben, weil sie »gang und gäbe« ist.
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8
[ Physikalisches ]
Die Physik spielt bei der Bildung des Tonsystems zweifellos eine Rolle, obwohl einige Musikwissenschaftler
den Ursprung des Tonsystems unabhängig von der Obertonreihe sehen wollen. Aber was wären Posthorn
und Maultrommel ohne Obertöne?
Schwingungen
Der französische Mathematiker und Physiker Jean Baptiste Joseph Baron de Fourier (1768-1830)
hat gezeigt, dass sich jede periodische Kurve (also auch ein musikalischer Ton) in sinusförmige
Teilkurven (Teiltöne) zerlegen lässt (»Fourier-Analyse«).7
In dieser Kurve beispielsweise stecken folgende Teilkurven:
Das Besondere an solchen Teilkurven ist, dass ihre Frequenzen immer ganzzahlige Vielfache der
Frequenz des Grundtons sind.
Dies sind die Namen und Werte der fünf Teilton-Kurven:
»Frequenz« = »Schwingungszahl pro Zeiteinheit«
»Amplitude« = »Schwingungsweite«
»Phase« = »horizontale Verschiebung nach links« (360° = 1 Periode)
Die Teil- oder Partialtöne werden auch »Harmonische« genannt. Dass die sechste und alle
weiteren Harmonischen fehlen, heißt, dass ihre Amplituden alle 0 % betragen, wie es bei der
vierten der Fall ist. (In der Praxis wird dies kaum der Fall sein; hier aber ist die Mischkurve aus den
Teilkurven zusammengesetzt worden; darum ist klar, dass nicht mehr darinnen steckt.)
Die Phasenlage der Teiltöne hat zwar Einfluss auf die Gestalt der Mischkurve, aber das Ohr ist —
von den Einschwingvorgängen abgesehen — dafür unempfindlich.
Der Grundton muss nicht der stärkste Teilton sein. Das Ohr ist sogar imstande, einen fehlenden
Grundton aus dem Gemisch der Obertöne zu ergänzen, denn die Anordnung der Obertöne ist
typisch für genau diesen Grundton.
7
Die Sinusform ergibt sich aus der Kreisbewegung. Man lässt z.B. einen Punkt in einer senkrechten Ebene
kreisen und zeichnet nur seine vertikale Auslenkung auf, in Abhängigkeit vom Drehwinkel.
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9
Schwebungen
Werden die Töne eines zunächst reinen Intervalls (also mit einfachem Schwingungsverhältnis)
gegeneinander verstimmt, so treten Schwebungen (periodische Änderungen der Schwingungsweite) auf.
Hier haben wir eine — aus Platzgründen außerordentlich stark — »verstimmte Prime«. (Zugegeben, mit 4:5 handelt es sich um eine Terz.)
Die untere Kurve ist die »Summe« der beiden oberen. (Dazu denkt man sich zu beiden Ausgangskurven eine Mittellinie und addiert für jeden Zeitpunkt die aktuellen — positiven oder negativen —
Werte.) Die Form der dritten Kurve wiederholt sich periodisch. Die Frequenz dieser Periode ist die
Differenz der beiden Ausgangsfrequenzen und kann — bei zunehmender Verstimmung der Töne
— zunächst als Vibrato, dann als Rauhigkeit und schließlich als eigenständiger Ton wahrgenommen werden.8
Wenn Sie eine Mundharmonika besitzen, so versuchen Sie doch einmal folgendes: Blasen Sie
einen Ton und singen Sie zugleich einen zweiten Ton, der eine große Terz höher liegt. Sie werden
deutlich einen dritten, sehr tiefen Ton vernehmen, nämlich den Differenzton aus den beiden
ersten. Wenn Sie es zuwege bringen, den Basston genau zwei Oktaven unter dem geblasenen
erklingen zu lassen, so stehen die Frequenzen der drei Töne im Verhältnis 1:4:5.
Wir hatten vorhin Sinustöne betrachtet, die keinerlei Obertöne aufweisen. Mit obertonreichen
Tönen (z.B. Cembalo) wird die Schwebung weit weniger prägnant ausfallen.9
Die Naturtonreihe
In der nächsen Abbildung ist die Naturtonreihe vom 2. bis 16. Teilton (Partialton) dargestellt. Senkrecht (und auch waagerecht) sind die Ordnungszahlen der Teiltöne angegeben. In horizontaler
Richtung wird die Tonhöheempfindung repräsentiert durch die Klaviatur.10
8
Die Kurve des Differenztons wird sichtbar, wenn die umhüllende Kontur der Mischkurve gezeichnet wird
(»Amplituden-Modulation«).
9
In diesem Zusammenhang ein Wort zur 12-tönig gleichstufig temperierten Stimmung: Ein Dur-Dreiklang in
hoher Lage auf einem obertonarmen Instrument klingt ausgesprochen rauh, geradezu unangenehm. Das
rührt von der Verstimmung der Terzen gegenüber den Naturintervallen. — Zuweilen hört man »temperierte
Rauhigkeit« auch in Lautsprecheransagen, die mit melodischem »Ding-Dang-Dong« eingeleitet werden. In
solchen Fällen wurde ein elektronischer Orgelbaustein verwendet — unsinnigerweise, denn reine Intervalle
wären der geringere Aufwand. (1/15, 1/12 und 1/10 einer hohen Ausgangsfrequenz ergibt einen reinen DurDreiklang 4:5:6.)
10
Das feine Raster entlang der Tastatur ist ein Vorgriff auf später zu Besprechendes, nämlich das »mittlere
Komma« (siehe Abschnitt »Großer Zirkel«). Obwohl nicht ganz korrekt, treffen die senkrechten Pfeile doch
recht genau hinein.
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10
Man sieht: Mit jeder Oktave verdoppelt sich die Frequenz. In der Zeit, in der der Grundton einmal
schwingt, schwingt der 2. Teilton zweimal, der 4. Teilton viermal, der 8. Teilton achtmal usf. Den
Grundton (ein C) haben wir nicht im Bild, aber beim 2., 4., 8. und 16. Teilton ist zu erkennen, dass
es sich jeweils um einen C-Ton handelt.
Und damit haben wir die Definition der Oktave: Sie entspricht dem Schwingungsverhältnis eins zu
zwei (1:2). Diese Definition ist bemerkenswert, weil sie unangefochten ist. Schon Pythagoras
wusste, dass die Halbierung einer Saite diese veranlasst, eine Oktave höher zu schwingen. Bei
den übrigen Intervallen ist es jedoch längst nicht so weit her mit der Eintracht, wie wir sogleich
sehen werden.
Der 3., 6. und 12. Teilton fällt jeweils auf einen Ton G, und der liegt jeweils eine Quinte über einem
C. Die Naturtonreihe legt uns nahe, dass es sich bei der Quinte um ein Frequenzverhältnis zwei zu
drei (2:3) handelt, wie wir an den Nummern der Teiltöne ablesen können. Dieser so gefundene
Ton G liegt allerdings ein Quäntchen (ca. 1/50 Halbton) höher als das G des Klaviers, was im
Zusammenklang durchaus zu hören ist.
Zwei Quinten, zusammengefügt, ergeben eine None (4:9), und wir erhalten den Ton D, der ebenfalls in der Naturtonreihe enthalten ist. Hier ist die Abweichung freilich schon doppelt so groß (ca.
1/25 Halbton).
Der 5. und 10. Teilton fällt jeweils auf einen Ton, der in etwa der Taste E entspricht. Er ist allerdings um mehr als 1/5 Halbton tiefer als der Klavierton. In obiger Zeichnung wurde diese Abweichung durch die Verwendung eines Kleinbuchstabens (e) angedeutet. Das Intervall C–e (4:5) wird
als »Naturterz« bezeichnet.11
Der 15. Teilton (h) bildet mit dem 12. eine Naturterz. Mit dem Intervall h–C (15:16) erhalten wir
einen diatonischen Halbtonschritt. Das ist die Differenz aus Naturterz und Quarte.
Die Teiltöne 7, 11 und 13 fügen sich nicht recht ins Quint-Terz-System ein.12
Lissajous-Figuren
»Lissajous-Figuren« sind Hilfsmittel, um (rein gestimmte) Intervalle anschaulich zu machen. Das
folgende Beispiel (siehe Abbildung) stellt eine Quinte (2:3) dar.
Dabei wird der Zeichenstift (bzw. der Elektronenstrahl des Oszilloskops) von der ersten Schwingung vertikal, von der zweiten Schwingung horizontal abgelenkt, und es entsteht dabei eine
typische geometrische Figur.
11
Die Naturterz heißt auch »didymische« Terz, nach Didymos Chalkenteros, der im 1. Jahrhundert v. Chr.
wohl als Erster die Bedeutung des Quint-Terz-System erkannte.
12
Der 7. Teilton (»Naturseptime«) hat melodische Bedeutung als »blue note« im Jazz.
MuSt 041027.1410 pdf
11
Damit in beiden Schwingungsverläufen gleiche Zeitpunkte zu erkennen sind (siehe gestrichelte
Linien), wurden die Achsen beider Kurven parallel gezeichnet; die vertikale Auslenkung der
zweiten Kurve wird so gespiegelt, dass sie in der Figur die horizontale Bewegung bewirkt.13
In obiger Abbildung beginnen die beiden Schwingungen jeweils im positiven (nach oben
strebenden) Durchgang durch die Mittellinie. Die Kurven können aber auch gegeneinander
horizontal verschoben sein. Man spricht dann von der »Phasenlage« der Kurven, die Einfluss hat
auf die Gestalt der resultierenden Figur.14
Die folgende Abbildung zeigt verschiedene Intervalle in mehreren Phasenlagen. Je einfacher das
Zahlenverhältnis, desto »konsonanter« das Intervall; je weniger einfach der Bruch, desto »dissonanter« der Klang.15
Fortsetzung nächtse Seite
13
Zum beobachtbaren »Wandern« der Figuren unrein gestimmter Intervalle auf dem Oszilloskop: Ein
Frequenzverhältnis von 200:300 entspricht einer Naturquinte im Sinne der Obertonreihe. Was geschieht,
wenn das Verhältnis nach 200:301 verändert wird? Nun, dann dauert es eben 200 bzw. 301 Schwingungsperioden, bis sich der Ablauf wiederholt. Bei der Zeichengenauigkeit unserer Abbildungen wird das Quadrat,
in dem die Figur entsteht, durch die vielen Linien schwarz ausgemalt werden. Auf dem Schirm einer Elektronenstrahlröhre, der nur kurz nachleuchtet, werden die zuerst gezeichneten Linien verblassen, ehe die
letzten gezeichnet sind. Das erzeugt den Eindruck, als ob die Linien wanderten.
14
Hier sind jeweils zwei »Sinuskurven« gezeigt. Lissajous-Figuren lassen sich aber auch aus zwei obertonbehafteten Tönen bilden.
15
konsonant = »zusammenklingend«, wohlklingend, rein; dissonant = »auseinanderklingend«, rauh, unrein.
MuSt 041027.1410 pdf
12
Fortsetzung von voriger Seite
Graphische Darstellung ausgewählter Intervalle, mit jeweils fünf Phasenlagen.
Nach unten zu werden die Intervalle dissonanter.
MuSt 041027.1410 pdf
13
[ Reine Quint-Stimmung ]
Hiermit verlassen wir die vertraute gleichstufig temperierte Stimmung und wenden uns reinen Inervallen zu
(zunächst reinen Quinten, später auch reinen Terzen).
Das pythagoräische Komma
Die Quinte 2:3 entspricht, wie gesagt, nicht genau der Quinte des Klaviers. Wenn wir von C aus
zwölf Quinten nach oben gehen, landen wir — richtig, außerhalb der Tastatur und möglicherweise
im Ultraschallbereich. Deshalb treffen wir hiermit die Vereinbarung der »Reoktavierung«, das
heißt, wir verschieben die gefundenen Töne jeweils um so viele Oktaven, dass wir in der Oktave
des Ausgangstons bleiben. (Das wird nicht jedesmal erwähnt, einverstanden?)
Nochmal: Mit zwölf Quinten 2:3, aneinandergereiht, erreichen wir einen Ton, der ca. 1/4 Halbton
höher liegt als der entsprechende Klavierton. Woran liegt das eigentlich? — Diese Tabellen
werden helfen, die Frage zu beantworten:
Für 2:3 können wir auch 1:(3/2) schreiben, denn es ist das gleiche Verhältnis.
Nach dem selben Verfahren entspricht ein aus 12 Quinten zusammengesetztes Intervall dem
Frequenzverhältnis 1:(531441/4096), und wenn wir das mit einem guten Taschenrechner dividieren, erhalten wir 1:129.746337890625.
Beim Klavier liegt der höchste Ton sieben Oktaven über dem tiefsten, und er schwingt damit 128
mal schneller als jener. (Wie gesagt, bei Oktaven sind sich alle einig.)
Das Intervall 128:129.746337890625 (das Verhältnis von 7 Oktaven zu 12 Naturquinten) heißt
»pythagoräisches Komma«. Es beträgt ca. 1/4 Halbton oder (genauer) 23.46 % eines Halbtons
— oder (klarer definiert) 23.46 Cent.16
16
Ein Cent (1 C) ist ein Zwölfhundertstel einer Oktave und ein gebräuchliches Maß für Intervalle.
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14
Die Quintenspirale
Wenn wir zeichnerisch die Töne des Klaviers ringförmig so anordnen, dass eine Umdrehung einem
Intervall von sieben Oktaven entspricht, und in diesen Ring zwölf (temperierte) Quinten einzeichnen, so erhalten wir die Darstellung dessen, was »Quintenzirkel« genannt wird. Dabei fällt auf,
dass alle Töne mehrdeutig sind.
Die Tonnamen (und auch die Musiknoten) machen einen Unterschied je nach musikalischem
Zusammenhang. Wenn wir von C aus zwölfmal in Quinten aufwärts schreiten (C–G–D–A–E–H–
Fis–Cis–Gis–Dis–Ais–Eis–His), so erreichen wir His und nicht etwa wieder C, obwohl das Klavier
für beide Töne nur einen Tonort bereit hält.
Werden Naturquinten (2:3) verwendet, wie sie in der Obertonreihe stecken, so haben die Töne mit
verschiedenem Namen auch verschiedene Tonorte, und das His kommt ca. 1/50 Halbton (ein
pythagoräisches Komma) über dem C zu liegen. Wir erhalten somit statt eines Zirkels eine
(pythagoräische) »Quintenspirale« (linke Abb.).
Die Darstellung dieser Spirale ist zwar recht übersichtlich (auch die sieben Oktaven sind zu
erkennen), aber sie tut sich schwer, die ganz kleinen Intervalle (Kommas) zu zeigen. Andererseits,
wenn wir eine Umdrehung eine Oktave bedeuten lassen, so bekommen wir eine Spirale, die statt
der zwei nun ganze vierzehn Windungen aufweist und damit recht unhandlich wird. Deshalb behelfen wir uns mit einem Trick (rechte Abb.):
Die große Sekunde (8:9) kann man sich als durch zwei Quintschritte erzeugt denken. Wir tragen
statt der Quintschritte einfach Sekundschritte in die Spirale ein und kommen damit — wie gehabt
— mit nur einer Umdrehung von C nach His. Weil dabei aber jeder zweite Quintschritt fehlt,
brauchen wir eine zweite Spirale, die sich in die erste einfügt:17
17
Der Ton »H erniedrigt« müsste eigentlich »Hes« heißen (und wird zuweilen auch so genannt), aber aus
historischen Gründen heißt er gewöhnlich »B«. »B erniedrigt« heißt jedenfalls »Heses«.
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15
Pentatonik
Fünf benachbarte Töne der Quintenspirale (reoktaviert) ergeben eine »pentatonische« (fünftönige)
Skala, die ohne »Halbtöne« auskommt und historisch eine bedeutende Rolle spielte Ein Beispiel
für pentatonisches Musizieren wäre der Gebrauch von ausschließlich »schwarzen« Tasten des
Klaviers.
Um »weiße« Töne zu verwenden, könnten diese z.B. aus den Spiraltönen F–C–G–D–A gebildet
werden. Wegen des Fehlens von Halbtönen ist keiner von ihnen als Grundton prädestiniert, so
dass die fünf Skalen zwar verschieden, aber einander sozusagen ebenbürtig sind:
Pentatonische Melodien wurden ursprünglich einstimmig gesungen oder gespielt. Mehrstimmigkeit
mit pentatonischen Instrumenten ist problematisch, denn die Töne der Quintenspirale geben keine
reinen Terzen her. Die große Terz F–A wäre mit 64:81 zu groß; die kleinen Terzen A–C und D–F
wären mit 27:32 entsprechend zu klein.18
Durch Temperierung (wie beim Klavier) können die »Terz-Fehler« gemildert werden, auch ist der
einzelne Ton eventuell (z.B. auf einer Flöte) modifizierbar. Es ist aber festzuhalten, dass auf reinen
Quinten basierende Pentatonik — wie überhaupt die pythagoräische Stimmung — keine brauchbaren Terzen liefert.
18
Wie kommen diese Zahlen zustande? — Im Vorgriff auf das nächste Kapitel kurz die Zusammenhänge:
4:5:6 (= 64:80:96) ist ein Durakkord mit der Naturterz 4:5. Die »pythagoräische Terz« besteht aus zwei
Ganztönen 8:9, schwingt also mit 64:81. Die Quinte 2:3 (= 64:96) bleibt unverändert. Im »pythagoräischen
Durakkord« (64:81:96) steckt somit die kleine Terz 27:32 (= 81:96).
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16
[ Quint-Terz-Stimmung ]
Mit dem Spätmittelalter gewann die Mehrstimmigkeit an Bedeutung — und mit ihr die Terz, die über Dur und
Moll entscheidet. Das Quint-Terz-System hatte Didymos aber schon lange vorher entdeckt.
Das syntonische Komma
Wir haben bislang Prime (1:1), Oktave (1:2) und Quinte (2:3) betrachtet. Die Quarte (3:4) ist die
»Umkehrung« der Quinte, also ihre Ergänzung zur Oktave. Mit den Schwingungsverhältnissen 4:5
und 5:6 kommen wir nun zu großer und kleiner Terz.
Das Tonsystem der Pythagoräer kannte als systembildend nur Oktaven und Quinten. Zwei Quinten
(reoktaviert) liefern eine große Sekunde. Mit zwei Sekundschritten erreicht man die große Terz;
diese Terz galt als dissonant, und sie ist tatsächlich nicht eben wohlklingend. Die Differenz von
Naturterz (64:80 bzw. 386.31 Cent) zu pythagoräischer Terz (64:81 bzw. 407.82 Cent) nennt man
»didymisches«19 oder »syntonisches Komma« (80:81 bzw. 21.51 Cent).20
Tonbezeichnungen
Vergessen Sie bitte für die Dauer unserer Betrachtungen, dass »c« üblicherweise das C der
»kleinen Oktave« meint und »C« das C der »großen Oktave«. Vergessen Sie bitte auch, dass es
üblich ist, »A-Dur« zu schreiben, aber »a-Moll«. Wir brauchen Groß- und Kleinschreibung für
andere Zwecke, sonst ertrinken wir im Wust der Sonderzeichen.
Vorhin war vom syntonischen Komma die Rede, das den Unterschied bezeichnet zwischen
pythagoräischer (8:9) und didymischer (9:10) Terz. Die didymische Terz beschert uns Töne, für die
die gängigen Tonbezeichnungen nicht hinreichen, denn letztere repräsentieren ein reines
Quintsystem, ohne systembildende Terz. Gleiches gilt für die Notenschrift.
Ich verwende (ab sofort) Großbuchstaben für die Töne der Quintenspirale, Kleinbuchstaben
dagegen für Terztöne. Diejenigen Töne, die eine große Terz tiefer (bzw. eine kleine Terz höher)
stehen als Töne der Quintenspirale, werden unterstrichen; die anderen, die eine große Terz höher
(bzw. eine kleine Terz tiefer) stehen, bleiben davon verschont.21
Die Tonleiter des Didymos lautet: C–D–e–F–G–a–h–C. (Wir würden sie als Dur-Tonleiter
bezeichnen.) Wenn wir diese Tonleiter auf zwölf Töne pro Oktave erweitern, so dass auch eine
»reine« Moll-Tonleiter (C–D–es–F–G–as–b–C) möglich wird, so könnte das insgesamt so aussehen: C–des–D–es–e–F–fis–G–as–a–b–h–C. Es handelt sich dabei, streng genommen, um drei
parallel laufende Skalen:
19
»didymisch«: nach Didymos, der etwa hundert Jahre nach Pythagoras neben Oktaven und Naturquinten
auch Naturterzen verwendete — lange bevor das Dur/Moll-Bewusstsein Einzug hielt.
20
Ein »mittleres Komma«, das mit 22.64 Cent (1/53 Oktave) im »Großen Quintenzirkel« Anwendung findet,
liegt größenmäßig zwischen pythagoräischem und syntonischem Komma und kann diese gegebenenfalls
ersetzen.
21
Unterstreichungen sind nicht immer möglich. In solchen Fällen verwende ich »\des« statt »des« (und
zuweilen auch »/fis« statt »fis«, siehe Kapitel »Große und kleine Diesis«).
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17
Die eingezeichneten Linien bedeuten Terzen. Man erkennt mit bloßem Auge große und kleine
Die Skala enthält neben den Dur-Akkorden von Tonika, Subdominante und Dominante (C–e–G,
C–F–a, h–D–G) auch deren Moll-Varianten (C–es–G, C–F–as, b–D–G).22
Intervall-Lupe
Es gibt ein kleines graphisches Problem. Wir brauchen eine Methode, um sowohl Oktaven als
auch feine Intervall-Unterschiede deutlich darzustellen. — Hier ein Vorschlag für eine »IntervallLupe«:
Die horizontale Mittellinie stellt die Materialtonleiter des Klaviers dar, mit jeweils 100 Cent Abstand
zwischen den benachbarten Tönen.23 Dazu kommt folgende Vereinbarung: Alle Töne — also auch
Töne dazwischen — werden auf den schrägen Linien aufgetragen, deren Steigung so gewählt ist,
dass ein Kästchen vertikal »1 Cent« entspricht. Die Bildauflösung ist somit verzehnfacht. (Das Bild
ist vertikal bis plus/minus 50 Cent erweitert zu denken, wie im nächsten Bild zu sehen.)
In gleicher Darstellung zeigt die nächste Abbildung einen Ausschnitt aus der pythagoräischen
Quintenspirale. Es ist zu erkennen, dass die Anzahl der Tonorte ins Unermessliche steigt, wenn
wir uns nicht irgendwie bescheiden. Nicht nur sind die Ganzton-Linien über die obere und untere
Bildkante hinaus weiter fortgesetzt zu denken (d. h. sie kämen von der gegenüberliegenden Kante
wieder ins Bild), auch die Terztöne fordern ihr eigenes Liniennetz, parallel zum gezeichneten.
22
Die Brauchbarkeit dieser Skala steht hier nicht zur Debatte (man könnte z.B. die Töne A und B vermissen); es geht hier nur um die Tonbezeichnungen. Welche Skala am günstigsten ist, werden wir noch zu
untersuchen haben. — A ist die Quinte (2:3) zu D; B ist die kleine Septime (9:16) zu C.
23
Der Abstand von 100 Cent soll keine Referenz an die Temperierung sein, eher an das Zwölfer-Prinzip.
Zunächst hatte ich die Oktave nicht in 12, sondern 7 Teile geteilt; die dadurch entstandenen Figuren waren
recht einprägsam, aber sie waren mir letztlich vertikal zu ausladend.
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18
Pythagoräische Quintenspirale in Lupen-Darstellung
Die flachen Linien verbinden Tonorte im Ganzton-Abstand.
Die beiden Parallelogramme zeigen die Quinten C–G und F–C
mit ihren Dur- und Moll-Unterteilungen durch große und kleine Terzen
Selbst wenn wir die Reihen bald abbrechen lassen, müssen wir mit deutlich mehr als zwölf Tönen
pro Oktave rechnen, und es erhebt sich die Frage, welche Töne den bewährten zwölf Tasten der
Klaviatur zugeordnet werden sollen.
Brauchbare Auswahl
Hier nun ein Versuch, eine brauchbare Auswahl zu treffen. Sehen sie sich bitte folgende Skala an:
MuSt 041027.1410 pdf
19
Ihr liegt die didymische Quint-Terz-Stimmung zugrunde. Wir erkennen die Dur-Tonleiter C–D–e–F–
G–a–h–C plus fünf weitere Töne, um die Zwölf voll zu machen. Mit Kleinbuchstaben bezeichnete
Töne sind nicht Teil der Quintenspirale; sie stehen dazu im Terz-Abstand.
In dieser 12-tönigen Skala sind enthalten:
Sodann die durch Linien hervorgehobenen Intervalle:
Schließlich die Restintervalle:
Außerdem Umkehrungen: Quarten, Sexten, Septimen.
Die beschriebene Skala ist eine C-Skala; sie beinhaltet die C-Dur-Tonleiter. Für andere Tonarten
muss die Skala entsprechend verschoben werden. Beim Übergang auf eine Nachbar-Tonart
ändern sich dabei drei der zwölf Töne.
Ein Schritt fehlt noch zu dem, was in dieser Schrift »Murnauer Stimmung« genannt wird: Mit dem
»Großen Quintenzirkel« wird eine Temperatur verwendet, bei der die eigenständigen Tonorte —
anders als bei der Klavierstimmung — erhalten bleiben. So werden weiterhin Fis, fis, Ges und ges
unterschieden. Nur die Cent-Werte ändern sich durch die Temperatur geringfügig.
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20
[ Großer Zirkel ]
Mit der »Bündelung der Töne« verlassen wir die reinen Intervalle wieder — nur physikalisch, denn wir wollen
sie nominell beibehalten. Die Abweichungen sind so gering, dass wir uns das guten Gewissens leisten
können.
Bündelung der Töne
Mit dem didymischen Quint-Terz-System haben wir eine stattliche Anzahl reiner Intervalle erhalten:
Quinte (2:3), Quarte (3:4), große Sexte (3:5), große Terz (4:5), kleine Terz (5:6), kleine Sexte (5:8),
große Sekunde (8:9) sowie große Septime (8:15), kleine Septime (9:16) und kleine Sekunde
(15:16). Unreine Intervalle können durch Wahl einer passenden Skala korrigiert werden. So wird
das dissonante Intervall D–a der C-Skala zur reinen Quinte D–A bei Verwendung der G-Skala.
Im vorigen Bild scheint die Strecke e–fis mit der Strecke B–C zu fluchten. Ebenso scheint C–D in
der Verlängerung auf as zu treffen. Das stimmt zwar nicht ganz, verleitet aber zu dem Versuch,
diese Linien tatsächlich fluchten zu lassen, um die Zahl der Tonorte zu begrenzen. Es zeigt sich,
dass das Fluchtenlassen der Linien gleichbedeutend ist mit einer Teilung der Oktave in 53 gleiche
Teile (die »mittleren Kommas«). Damit ergibt sich ein »Großer Quintenzirkel«, den die »Murnauer
Stimmung« nutzt (und der voreiligerweise schon in die Abbildung der Naturtonreihe eingeflossen
war).
Im Prinzip handelt es sich dabei um eine ähnliche Maßnahme wie bei der Einführung der 12-tönig
gleichstufigen Temperatur. In beiden Fällen wird — außer der Oktave — keines der natürlichen
Intervalle exakt getroffen, und in beiden Fällen wird die Menge der theoretisch möglichen Töne zu
einer endlichen Anzahl gebündelt, um das Ganze praktikabel zu machen. Weiterhin ist beiden
Verfahren gemeinsam, dass den Terztönen keine eigenen Tonorte spendiert werden, sondern
dass diese am Quintenzirkel partizipieren müssen.24
Aber zum Glück bleibt die Unreinheit der Terz so gering, dass sie getrost vernachlässigt werden
kann. Die recht ordentliche Quinte des Klaviers weist einen deutlich größeren Fehler auf.
Die Treffgenauigkeit der Töne ist mit dem Großen Zirkel deutlich besser als mit dem Kleinen, und
nicht mehr nur zwölf, sondern ganze 53 Töne der Quintenreihe haben nun von einander
24
Eigentlich hätten die Terztöne ja Anspruch auf zwei eigene Zirkel — einen Dur- und einen Moll-Zirkel —,
deren Tonorte um Dur- oder Mollterzen gegenüber den Tonorten des Hauptzirkels verschoben wären. Damit
hätten wir drei parallel laufende Quintenzirkel und neben fast reinen Quinten exakt reine Terzen. Das
Aufeinanderschichten gleicher Terzen wäre dann allerdings ein Problem.
MuSt 041027.1410 pdf
21
verschiedene Tonorte. Damit ist eine Verwechslung von Tönen, die sich eine Zirkelumdrehung
voneinander entfernt befinden, praktisch ausgeschlossen. (C hat seinen Tonort gemeinsam mit
Aseseseseseseses und Eisisisisisisis).
Leichter »enharmonisch« verwechselbar sind da schon die Terztöne. So fällt der Ton e, der eine
große Terz über C liegt, in dieser Temperatur mit dem Ton Fes zusammen. Aber solange wir Töne
wie e und Fes begrifflich auseinanderhalten, können wir uns leisten, die Intervalle zeichnerisch und
akustisch in einen Zirkel zu zwingen und sie dennoch so zu benennen wie ihre »reinen« Vorbilder
Die 53-tönige Temperatur
Temperierte Intervalle werden vom musikalischen Ohr nur dann toleriert, wenn sie natürlichen
Intervallen ähneln; das Ohr hört sich das temperierte Intervall zum natürlichen zurecht. Als
konsonant geltende Vielfache der Zwölftel-Oktave (also des Klavier-Halbtons) kommen Naturintervallen nahe und werden eben deshalb akzeptiert (vor allem Quinte und große Terz — die
anderen Intervalle folgen daraus). Die wie zufällige Brauchbarkeit der 12-tönig gleichstufigen
Temperatur ist ein glücklicher Umstand, ohne den die Musiklandschaft anders aussähe.
Die 53-tönige Temperatur basiert auf einem ähnlichen Zufall im Spiel der Zahlen. Kein anderes
Raster als ausgerechnet dieses (und seine Vielfachen) erfüllt die Forderung, für Quinten und
Terzen keine größeren Abweichungen zu präsentieren als das Klavier für die Quinte (also 2 Cent).
Erst ein 16-mal dichteres Raster würde bessere Werte liefern.
Gehen wir von Ton C aus und schreiten in Quinten nach oben (bzw. in Quarten nach unten), so
gelangen wir nach 53 Schritten zu einem Ton, der 3.615 Cent über C liegt. Dieses Intervall wird auf
53 Quinten verteilt, von denen jede nun eine nicht wahrnehmbare Winzigkeit zu klein ist. Auch die
Terzen erfüllen die erwähnte Forderung nach »kleiner zwo« (siehe Tabelle, letzte Spalte).
In Spalte 2 bedeuten Buchstaben mit Apostroph die nächst-höhere Oktave.
Kleinbuchstaben deuten an, dass der betreffende gemeinte Ton ein syntonisches Komma tiefer liegt als der entsprechende Ton der Quintenspirale.
Das Klavier (Spalten 5 und 6) zeigt in diesen Fällen große Abweichungen.
MuSt 041027.1410 pdf
22
Graphische Darstellung der Tonorte
Sie erinnern sich an die Darstellung der C-Skala in Quint-Terz-Stimmung:
Wie erwähnt, fluchten in diesem Bild die Linien nicht, wenn es sich um reine Quinten und Terzen
handelt. Sie fluchten jedoch genau, wenn die 53-tönige Temperatur des Großen Quintenzirkels zur
Anwendung kommt. Und davon gehen wir nun aus. (In der Zeichnung fällt das nicht weiter auf.)
Um den Großen Quintenzirkel mit seinen krummen Cent-Werten auf kariertem Untergrund
einfacher darstellen zu können, ist es ratsam, die Proportionen etwas zu verändern. Nach einigem
Tüfteln gefiel mir folgendes:
Damit hätten wir eine der 53 Skalen der »Murnauer Stimmung«, und wenn wir davon abesehen,
dass wir uns eben mit der C-Skala befasst haben, dann haben wir mit dieser Abbildung auch
schon alle 53, denn es handelt sich immer um dieselbe Skala, die nur entsprechend verschoben
ist.
Die Durchmesser der Knöpfe haben keine besondere Bedeutung; die 6 dunkleren gehören dem
Zirkel der Quinttöne an; die übrigen sind Terztöne, deren Tonorte (mit minimalen Fehlern)
ebenfalls dem Quintenzirkel entnommen sind.25
Die Cents lassen sich nun nicht mehr direkt ablesen, aber der Platzbedarf ist geringer und die
temperierten Intervalle sind gut vergleichbar, weil alle Töne im Raster liegen. So ist z.B. zu
erkennen, dass der diatonische Halbton (15:16) siebenmal vorkommt: C–des, D–es, e–F, fis–G,
G–as, a–B, h–C. Mit etwas Übung lassen sich auch Quarte und Quinte zuverlässig ausmachen.
25
Dieser Darstellung liegt nicht das Cent, sondern das »mittlere Komma« zugrunde (1 K = 22.64 C). In der
Horizontalen entsprechen 53 Karos einer Oktave. Es sind auch 53 Knotenpunkte (Tonorte) zu sehen, auf
jeder senkrechten Linie einer. Die Steigung der steilen schrägen Linien wurde mit 1:6 gewählt; damit
entspricht ein mittleres Komma 6 Karos in der Vertikalen. Die etwas schräger nach rechts geneigten Linien
zeigen diatonische Halbtöne an; die noch flacheren sind Ganztöne. Die nach links geneigten Linien zeigen
(große) chromatische Halbtöne.
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23
Hier noch eine Detail-Darstellung, damit die Konstruktion klar ist:
Intervalle bestimmen das System
Mit der plakativen Überschrift ist gemeint, dass einem Tonsystem mathematische und
physikalische Gegebenheiten zugrunde liegen, dass aber nicht umgekehrt das System die
Gegebenheiten bestimmen kann.26 Da diese Binsenweisheit mit der »temperierten« Musikpraxis
mehr und mehr in Vergessenheit zu geraten scheint, wird mit folgender Abbildung die soeben
gefundene C-Skala nochmal drastisch dargestellt:
Die gespreizten Pfoten sollen die »Gegebenheit« der Intervalle demonstrieren. Die Verteilung der
Töne ergibt sich durch deren Auswahl, wobei gleiche Abstände nicht zu erzielen sind.
26
Dass mit der Temperatur des Großen Quintenzirkels an diesen Intervallen dennoch herumgebogen wird,
ist freilich auch wahr. Aber das bewegt sich sozusagen noch unterhalb der Elastizitätsgrenze... Zeichnerisch
fällt es nur dadurch auf, dass in der Abbildung das 53er-Raster erscheint. Letztlich geht es ja weniger um
Genauigkeiten als darum, dass semantisch unterschiedliche Töne auch unterscheidbar bleiben.
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24
Es geht rund
In manchen Zusammenhängen ist es übersichtlicher, die 53 Tonorte innerhalb einer Oktave
graphisch kreisförmig anzuordnen.
In der linken Zeichnung sind die Töne B, F, C, G, D hervorgehoben. Sie stehen im Quint/QuartAbstand. Die übrigen Tonorte stehen zu dieser Grundtonreihe in Terz-Abständen (Durterzen: C–e,
D–fis, F–a, G–h; Mollterzen: C–es, F–as, B–des). Die dünn durchgezogenen Linien des Sterns
zeigen alle Quart/Quint-Intervalle. Nicht durchgezogene Linien (B–es, D–a, des–fis) bedeuten
dissonante Intervalle (»Wolfsquinten«), die durch die Wahl einer geeigneten anderen Skala
vermieden werden können.
In der rechten Figur sind eingezeichnet: Quarten (22 K; ca. 3:4), große (17 K; ca. 4:5) und kleine
(14 K; ca. 5:6) Terzen, große (9 K; ca. 8:9) sowie kleine (5 K; ca. 15:16) Sekunden. Durch die
Kreisanordnung ist das gleichbedeutend mit den Komplementen: Quinten (31 K; ca. 2:3), kleine
(36 K; 5:8) und große (39 K; ca. 3:5) Sexten sowie kleine (44 K; ca. 9:16) und große (49 K; ca.
8:15) Septimen.
Von den kleinen (»didymischen«) Ganztönen (8 K; ca. 9:10) abgesehen sind die nicht gezeichneten Intervalle deutlich weniger konsonant: die übermäßige Quarte (27 K; ca. 32:45), die verminderte Quinte (26 K; ca. 45:64) sowie kleiner (3 K; ca. 24:25) und großer (4 K; ca. 128:135) chromatischer Halbton sind schon kompliziertere Intervalle.
Man denke sich den Stern drehbar. Beim Übergang von der C-Skala zur F-Skala bleiben neun
Töne erhalten, drei Töne ändern sich:
Ähnlich beim Übergang von der C-Skala zur G-Skala, drei Töne ändern sich:
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25
Transpositionen
Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass in der C-Skala der Ton b fehlt, der für die reine C-MollTonleiter gebraucht wird. Das ist bedauerlich; aber wollten wir B durch b ersetzen, so fehlte uns
die Septime für den Dur-Septakkord C–e–G–B.27 Andererseits braucht der Moll-Septakkord C–es–
G–b den Ton b, da nur es–b eine »reine« Quinte ist.28
Die folgende Abbildung zeigt neben der C-Skala 32 weitere Skalen (von 53 insgesamt), die durch
Verschiebung der C-Skala gewonnen wurden. Beim Übergang auf eine Nachbarskala ändern sich
jeweils drei der zwölf Töne.
Damit wäre die »Murnauer Stimmung« eigentlich umrissen. Über die Folgen ihrer Anwendung ist
aber noch manches zu sagen (siehe Abschnitt »Aspekte und Konsequenzen«).
27
C-Dur kann als Dominante von Tonika F-Dur aufgefasst werden: C–e–G strebt nach C–F–a, wobei der
Halbtonschritt e–F die treibende Kraft ist (e ist »Leitton«). Kommt zur Dominante die Septime hinzu, so
drängt zusätzlich das B zum a (abwärts, B ist »Gleitton«), so dass der Drang nach Auflösung umso stärker
ist: C–e–G–B strebt nach C–F–a–a.
28
»Reine« Quinte im Sinne der Temperatur bedeutet »31/53 Oktave« — und nur ungefähr »2:3«.
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26
[ Zitate und Kommentare ]
Hier kommen Experten zu Wort, und ich erlaube mir, meinen Senf dazuzugeben.
Ansichten zur Konsonanz
"Musik ist nicht der Tonvorrat unserer Instrumente, sondern sie ist etwas, das in uns lebt." (J.
[2]
Handschin)
Hier geht es um den Begriff der Konsonanz:
"Man hat in den Obertönen die von Natur gegebene Grundlage gesehen, von der die
Tonverwandtschaft und das Tonsystem unmittelbar oder mittelbar abzuleiten seien. Entweder zog
man aus der Tatsache, daß die Intervalle unseres Tonsystems in der Partialtonreihe vorkommen,
den Schluß, daß sie auch auf ihr beruhen, unser Tonsystem also das natürliche sei. Oder man
erklärte mit den Obertönen die Konsonanz und leitete aus der Konsonanz das Tonsystem ab."
Bis hier war es lexikalisch, nun nimmt er Partei:
"Die Konsonanz wird entweder der Tonverwandtschaft gleichgesetzt und der konsonante
Zusammenklang nur als Spezialfall der Konsonanz aufgefaßt. Oder der konsonante Zusammenklang
gilt als die primäre Konsonanz und die Konsonanz in der Tonfolge nur als ihr Schatten. Die
Anhänger der ersten Auffassung können zur Erklärung der Konsonanz kaum mehr sagen, als daß
die (Frequenz- oder Saitenlängen-)Proportionen konsonanter Intervalle einfacher sind als die
Proportionen dissonanter Intervalle. (Sie können die Zahlen, die hinter den Tönen stehen, zu
platonischen Idealzahlen verklären, aber keinen Weg vom physikalischen Schwingungsverhältnis zur
musikalischen Wahrnehmung zeigen.) Nach der zweiten Auffassung bilden zwei Töne eine
Konsonanz, weil ihre Obertöne und Kombinationstöne zusammenfallen, und daß eine Koinzidenz
von Obertönen und Kombinationstönen physiologisch vermittelt wird, ist einleuchtender als die
[3]
Vermittlung eines Zahlenverhältnisses." (R. Stephan)
Das klingt bei Pfrogner anders:
"Die Schwingungszahlen der Naturtonreihe folgen einander nach dem Gesetz der arithmetischen,
also der Überteiligkeitsreihe. Insofern stellt also die Naturtonreihe die physikalische Abschattung
mathematischer Gesetzlichkeiten dar. Wir sagen dies durchaus mit Bedacht. Sind doch die
musikalischen Intervallproportionen, wie 1:2 (Oktave), 2:3 (Quinte), 3:4 (Quarte) primär geistige
Qualitäten und als solche vorerst mathematisch und erst sekundär physikalisch anzuschauen. Wir
wissen uns da durchaus mit J. Handschin einig, der hier einen denkbar rigorosen Standpunkt
bezieht. Er sieht die Bedeutung der Naturtonreihe ausschließlich »auf dem Gebiet der Klangfarbe.
Haben wir es dagegen mit den Tönen unabhängig von der Klangfarbe zu tun, dann stehen wir vor
[4]
Zahlenverhältnissen.«" (H. Pfrogner)
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27
Busonis Lamento
Der Pianist und Komponist Ferruccio Busoni (1866-1924) hat an der üblichen Temperatur harsche
Kritik geübt:
"Wir haben die Oktave in zwölf gleich voneinander entfernte Stufen abgeteilt, weil wir uns irgendwie
behelfen mußten, und wir haben unsere Instrumente so eingerichtet, daß wir niemals darüber oder
darunter oder dazwischen gelangen können. Namentlich die Tasteninstrumente haben unser Ohr
gründlich eingeschult, so daß wir nicht mehr fähig sind, anderes zu hören — als nur im Sinne der
Unreinheit. Und die Natur schuf eine unendliche Abstufung — unendlich! Wer weiß es heute noch?"
[5]
(Ferruccio Busoni)
Busoni revoltiert gegen die Temperierung unseres Tonsystems. Aber mehr noch scheinen ihn die
ungenutzten Zwischenräume zu stören, die dabei übrig gelassen werden:
"Vergegenwärtigen wir uns noch einmal, daß in ihr die Abstufung der Oktave unendlich ist, und
trachten wir, der Unendlichkeit um ein weniges uns zu nähern. Der Drittelton pocht schon seit einiger
Zeit an die Pforte, und wir überhören noch immer seine Meldung. Wer, wie ich es getan, wenn auch
bescheiden, experimentierte und — sei es mit der Kehle oder auf einer Geige — zwischen einem
Ganzton zwei gleichmäßig abstehende Zwischentöne einschaltete, das Ohr und das Treffen übte,
der wird zur Einsicht gelangt sein, daß Dritteltöne vollkommen selbständige Intervalle von
ausgeprägtem Charakter sind, mit verstimmten Halbtönen nicht zu verwechseln. Es ist eine
verfeinerte Chromatik, die uns vorläufig auf der ganztönigen Skala zu basieren scheint." (Ferruccio
[6]
Busoni)
Um Halbton, kleine Terz und Quinte nicht zu verlieren, werden die Abstände dann noch halbiert:
"Somit ist eigentlich ein Sechsteltonsystem entstanden, und daß auch Sechsteltöne einstmals reden
[7]
werden, darauf können wir vertrauen." (Ferruccio Busoni)
Es ist offensichtlich, dass Busoni die Bedeutung der Zahlen in der Musik unterschätzt. Seltsam
genug, dass er zunächst die Unreinheit des temperierten Systems beklagt, um dann doch den
temperierten Ganzton (die Sechstel-Oktave) weiter unterteilen zu wollen. Wenn es sich nicht um
einstimmige, sondern um akkordische Musik handeln soll, so wird alle Gewöhnung nicht
hinreichen, aus der Sechsunddreißigstel-Oktave einen brauchbaren Systembaustein zu machen,
ganz einfach deshalb, weil sie sich an keinem konsonanten natürlichen Intervall orientiert.
Brauchbar daran ist allenfalls das, was bereits in der Zwölftel-Oktave steckt.29
Busoni steht mit seinem Lamento nicht allein. So lese ich etwa:
"Bekanntestes Beispiel für weitere mathematische Aufteilungen der Oktave ist die Vierteltonleiter
(Alois Hába), für deren klangliche Verwirklichung auch ein Flügel mit zwei Manualen gebaut wurde
(Förster-Löbau). Auch gibt es Drittel- und Sechsteltonleitern. Solche und andere Aufteilungen haben
sich zwar bisher nicht durchgesetzt, doch sind sie ernst zu nehmen als Bestrebungen, den gesamten
[8]
Tonbereich weiter aufzuschließen." (Meyer)
Leider schließt man in falscher Richtung... — Hindemith dagegen spricht mir aus der Seele:
"Es hat in den Dreißigerjahren wenig gefruchtet, daß Hindemith sich ereiferte gegen »das kritiklose
Anbeten der götzenhaften temperierten Klavierstimmung«, weil »mit ihr ein Fluch in die Welt
[9]
gekommen« sei: »der Fluch allzu leichten Erringens der Tonverbindungen«." (Hermann Pfrogner)
29
1/36 Oktave = 33.33 Cent. Wenn wir nach Tönen des reinen Quint-Terz-Systems suchen, die diesem Wert
am nächsten kommen, so finden wir (von C aus gesehen): aisis (Durterz über Fisis) mit -7.92 C); His mit 9.87 C; his (Mollterz über Gisis) mit +11.64 C; eseses (Durterz über Ceseses) mit +11.93 C. — Quod erat
demonstrandum.
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28
Wozu neue Töne?
Busoni und Andere fordern neue Töne. Brauchen wir wirklich Lückenfüller, um die Musik
voranzubringen? Oder reicht das, was wir haben? Worum geht es überhaupt?
Es ist keine Frage: Die 12-tönige Temperatur hat sich bewährt, und zwar so gut, dass die
(ungleichstufige) »mitteltönige« Stimmung, mit der J. S. Bach sich noch herumschlug, völlig
verdrängt worden ist. Die Abweichungen von den natürlichen Intervallen sind tragbar, und vor
allem: Die zwölf Tasten des Klaviers erreichen (mit akzeptierter Genauigkeit) jeden Ton des
Tonsystems.
Letzteres war ja bei der »Mitteltönigen« nicht der Fall: Einerseits gab es »verbotene« Tonarten,
andererseits Versuche, die Anzahl der spielbaren Töne (z.B. durch gespaltene Tasten) zu
erhöhen. Beides ist mit der 12-tönig gleichstufigen Temperatur überflüssig geworden.
Die meiner Ansicht nach größte Schwierigkeit mit der üblichen Stimmung ist weniger die
unsaubere Intonation als vielmehr der Verlust der »Etymologie« der Töne, also das
Invergessenheitgeratenlassen der Herkunft unseres Tonsystems. Die Tonnamen und die
Notenschrift verraten diese zwar noch, aber die Mehrdeutigkeit der Tonorte wird zunehmend als
bedeutungslos und lästig empfunden. Klanglich ist ja nicht so viel gegen die Temperatur
einzuwenden. Wenn nur von der Unart abgelassen würde, aus gleichen Tonorten gleiche
Bedeutung abzuleiten!
Die Schwierigkeit dabei ist das Folgende: Ein vom Komponisten »gemeintes« Intervall ist frei von
Toleranzen. Eine Quinte bedeutet nicht »ungefähr 2:3«, auch nicht »genau 2:3«, sondern schlicht
»2:3«, denn so ist sie definiert und gemeint. Toleranzen, also tolerierbare Abweichungen, kommen
erst mit der physischen Verwirklichung ins Spiel. Das Intervall wird immer nur mit endlicher
Genauigkeit getroffen, zumal auf temperierten Instrumenten. Der Hörer, der imstande ist, dem
musikalischen Geschehen zu folgen, hat keine Mühe, das »gemeinte« Intervall zu erkennen und
»zurechtzuhören«.
So weit, so gut. Nun ist es aber leider üblich, dass pythagoräisches und syntonisches Komma nicht
nur weggestimmt, sondern einfach als nicht existent behandelt werden. Das führt dann zu
»enharmonischen« Verwechslungen wie »Gis = As« oder »e = E«. Der akustische Kompromiss,
an sich eine clevere Maßnahme, schlägt zurück auf die Theorie, auf das, was »gemeint« war. Vom
Hörer, der der Komposition folgt, wird damit verlangt, sozusagen »umzumeinen«. Dies halte ich,
mit Verlaub, für unzulässig und schädlich für die Schulung des musikalischen Ohrs.
Brauchen wir neue Töne als Lückenfüller? — Man darf gegenfragen: Wozu denn? Was wir
brauchen, sind echte, unverwechselbare Töne im Sinne unseres Quint-Terz-Systems. Die stehen
»von selbst« am richtigen Ort, und der befindet sich »von selbst« in den Lücken der 12-tönig
temperierten Stimmung.
Es sind ja, wie wir gehört haben, bereits Instrumente mit Vierteltönen gebaut worden; aber ich
halte alles künstliche Unterteilen von temperierten Intervallen für einen Irrweg. Auch eine
Unterteilung des »mittleren Kommas« wäre Unsinn, und zwar prinzipiell, nicht nur wegen der
Kleinheit der Intervalle.
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Alles zu kompliziert?
In der Quint-Terz-Stimmung kommt es zu allerlei Kollisionen, die aus der 12-tönig temperierten
Stimmung nicht geläufig sind. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn man auf das lapidare Urteil
stößt, die Quint-Terz-Stimmung sei eben zu kompliziert.
Dieser Ansicht steht entgegen, dass es sich bei der Quint-Terz-Stimmung nicht um eine exotische
Kapriole handelt, sondern um die Grundlage unseres Tonsystems.
Nochmal kurz: Die Oktave weist (nach der Prime 1:1) mit 1:2 das einfachste Schwingungsverhältnis auf. Ein Musizieren mit reinem Oktavsystem ist kaum denkbar, schon wegen der großen
Schritte. Für ein Quintsystem erfüllt die Oktave eine wichtige Funktion, die wir »Oktavierung«
genannt haben. Vier Quintschritte (2:3), reoktaviert, ergeben die »pythagoräische Terz« (64:81),
die ihres Missklangs wegen kaum zu gebrauchen ist. Deshalb ist es naheliegend, die große Terz
mit 4:5 (= 64:80) als selbständiges Intervall einzuführen.
Diese einfache theoretische Überlegung stößt nun in der Praxis auf Schwierigkeiten. Vor allem
sind da der materielle Aufwand für viele Töne sowie die schwierige Handhabbarkeit solcher
Instrumente. Es ist einleuchtend, dass nach Kompromissen gesucht werden musste. Da das Ohr
ziemlich tolerant ist, was das Erkennen der Töne im Tonsystem betrifft, konnte man sich milde
Verstimmungen leisten, indem man nahe beieinander liegende Töne zusammenlegte. Voraussetzung für die Akzeptanz war, dass der Hörer stets erkennen konnte, welche Töne gemeint waren
(ähnlich wie wir die Vokabeln »das« und »dass« aus dem Zusammenhang erkennen und
unterscheiden).
Dieser letzte Punkt scheint mir verloren zu gehen. Die Komponisten verwenden die Verwechslung
der Töne als Stilmittel, und der ratlose Hörer zieht sich in die Klang- und Geräuschwelt zurück. Das
Tonsystem wird kompromittiert. Häufig wird das nicht mehr wahrgenommen. Man braucht in
»Musiklehren« nicht lange zu suchen, um gesagt zu bekommen, zum verminderten Septakkord
(auf dem Klavier durch Viertelung der Oktave realisiert) gäbe es — seiner »Symmetrie« wegen —
vier gleichwertige Auflösungen.
Führt man ins Feld, dass dieses Gebilde nicht symmetrisch sei (was in der reinen Quint-TerzStimmung offensichtlich ist), so kann man zur Antwort bekommen, dieses System sei eben zu
meiden. Warum sich ohne Not mit Unbequemlichkeiten abgeben?
Antwort: Weil die Unbequemlichkeiten »wahr« sind und ihre Vertuschung »falsch«.
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30
Die 53 in der Literatur
Die 53-tönige Temperatur, obgleich wenig beachtet, findet immerhin gelegentliche Erwähnung in
der Musikliteratur:
... müssen wir zunächst darauf achten, was ... alle möglichen Temperaturen (man hat von
theoretischer Seite ja noch eine 24-, 31-, 53-tönige Temperatur erstellt) ... gemeinsam haben: die
[10]
Oktave." (H. Pfrogner)
"Josip Slavenski kommt sogar auf 53 Stufen (für ein besonderes Instrument) und nähert sich" bisher
[11]
am stärksten den Möglichkeiten der elektronischen Musik" (Meyer)
"Temperatur, die, ... In der Mus. die zur musik. Berauchbarkeit notwendige Abdämpfung der math.akustisch reinen Intervalle (mit Ausnahme der Oktave, die stets absolut rein zu bleiben hat) zu
akustisch unreinen, aber den Fehler gleichmäßig verteilenden Mittelwerten; teilt die Oktave in 12
annähernd gleiche Halbtöne (= gleichschwebende T.), nimmt die Quinten etwas kleiner, die Quarten
etwas größer, Terzen zu groß u. ermöglicht so die Modulation durch den Quintenzirkel (s. d.), für
Instrumente mit fester Tonhöhe temperierte Stimmung unerläßlich; Ende 17. Jahrh. durchgeführt
(praktisch z.B. in Bachs Wohltemperiertem Klavier). Die Herstellung absolut reiner T. durch ein
53stufiges System möglich, in Helmholtz' Harmonium (s. d.) versucht, praktisch aber nicht
[12]
brauchbar. Vgl. Eitz, Math.-reines Tonsystem (1891)." (Herder, 1907)
"Vom 16. bis zum 18. Jh. war eine große Zahl von Systemen in Gebrauch, die reine Terzen und
Quinten enthielten... Salinas beschreibt ein Kl. mit 24 Tasten in der Oktave, das neben reinen
Quinten auch durch Komma temperierte Intervalle besaß. Im 17. Jh. vermehrte G. Sabbatini die Zahl
der Tasten in einer Oktave bis auf 34. Im 19. Jh. strebte man eine reine Intonation mit noch mehr
Tasten an. So hat General Thompson 40, Steiner 45, Poole 50, Liston 59 und Tanaka 70 Tasten in
der Oktave vorgesehen. Allerdings hatten diese Versuche mehr theoretisches Interesse als
praktische Bedeutung. Auch die Temperierungsbestrebungen gingen über die Zwölferteilung hinaus.
1555 beschreibt N. Vicentino sein sechsmanualiges Archicembalo, das nach der gewöhnlichen 1/4Mitteltontemperatur gestimmt war, aber eine Teilung der Oktave in 31 gleiche Tle. aufwies.
Interessant ist noch die 53er Teilung, deren Quinten (31/53 Oktave) praktisch rein sind (701.9 C) und
deren große Terzen (17/53 Oktave) schwach erniedrigt werden (384.9 C). Mehr als 53 Töne in der
Oktave, z.B. die 118er, die 559er und die 612er Teilung haben nur noch spekulatives Interesse." (J.
[13]
M. Barbour)
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31
[ Aspekte und Konsequenzen ]
Im Abschnitt »Großer Zirkel« ist beschrieben worden, was ich mit »Murnauer Stimmung« bezeichne
(Großer Quintenzirkel, Auswahl von 12 aktuellen Tönen, Verschiebung der Skala für Transposition). Hier
geht es nun um verschiedene Aspekte und Konsequenzen bei der Anwendung
x Quinten in y Oktaven
Ein Blick aufs Klavier zeigt: 12 Quinten passen genau in 7 Oktaven hinein. Das ist uns so
eigetrichtert worden, dass wir nur widerwillig geneigt sind, diesen Satz zu hinterfragen.
Einem Mathematiker ist auf Anhieb klar, dass x Quinten (2:3) niemals restlos in y Oktaven (1:2)
aufgehen können, ganz gleich, welche Werte x und y auch immer annehmen mögen (abgesehen
vom gemeinsamen Startpunkt Null).
Wir Nicht-Mathematiker neigen da eher zum Ausprobieren:
Die Bildbreite bedeutet hier die Größe einer Oktave (1200 Cent). 12 Quinten mit je 700 Cent,
lückenlos aufeinandergeschichtet, würden tatsächlich 8400 Cent ergeben wie 7 Oktaven. Aber da
die reine Quinte rund 702 Cent aufweist, bleibt ein kleiner Rest von ca. 24 Cent (das
»pythagoräische Komma«), der sich als Übertrag in die nächste Zeile bemerkbar macht. Wenn wir
das nicht tolerieren wollen und weitersuchen, so zeigt sich, dass 53 Quinten in 31 Oktaven
offensichtlich besser hineinpassen.
Zugegeben, in der Zeichnung wurden temperierte Quinten aus dem Großen Quintenzirkel
verwendet, denn sonst könnten sie sich nicht so vollkommen einfügen. Aber wie früher schon
erwähnt, liegt die Abweichung vom Ideal bei 3.615 Cent, und deren Verteilung auf 53 Quinten lässt
sich zeichnerisch nicht mehr bewältigen.
Wir kommen also nicht umhin, zu rechnen!
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32
Logarithmen
Sie erinnern sich an das Bild mit der Naturtonreihe? Mit jeder Oktave verdoppelte sich die
Frequenz: 2 — 4 — 8 — 16 etc. Das ist offensichtlich kein linearer Zusammenhang mit den
Intervallgrößen.
Es führt kein Weg daran vorbei:
Das Rechnen nimmt uns zwar der Taschenrechner ab, aber — pardon — mir graut vor jenem
blinden Aktionismus, der sich im Knöpfedrücken erschöpft, ohne zu begreifen!
Und damit haben wir die Beziehung, die wir brauchen. Ein fortgesetztes »mal 2« (2, 4, 8, 16 etc.)
wird rückgeführt auf »plus 1« (1, 2, 3, 4 etc.), und das bedeutet: 2-fache Frequenz –> 1 Oktave, 4fache Frequenz –> 2 Oktaven, 8-fache Frequenz –> 3 Oktaven etc. — Bleiben wir beim letzten
Beispiel:30
Der Taschenrechner geht mit gebrochenen Zahlen ebenso leicht um wie mit ganzen Zahlen. Wenn
im vorangegangenen Beispiel »3« drei Oktaven bedeutete, dann bedeutet »0.5« eben eine halbe
Oktave und »0.08333...« eine zwölftel Oktave, — den temperierten Halbton. Um auf Cents zu
kommen, wird einfach noch mit 1200 multipliziert.
30
Eine weitere mögliche Umkehrung, die aus Intervall und Frequenz die Basis berechnet (»Dritte Wurzel aus
8 = 2«) brauchen wir hier nicht, denn wir beziehen alle Intervalle auf die Oktave, und damit ändert sich die
Basis 2 nie.
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33
Da der Taschenrechner nur Logarithmen zur Basis 10 (»log«) und zur Basis e= 2.71828 (»ln«)
kennt, ist für Basis 2 ein kleiner Trick nötig: Man dividiert den gefundenen Logarithmus (mit
gleicher Basis) durch den Logarithmus von 2, wie obiges Beispiel zeigt.
Notation der Terztöne
Die übliche Notation ist nicht für die übliche (temperierte) Stimmung geschaffen, sondern sie passt
exakt für die Quintenspirale der pythagoräischen Stimmung. (Darum unterscheiden wir z.B. C und
His.) Wer dabei zu kurz kommt, das sind die Terzen. Die pythagoräische große Terz ist hässlich
groß; sie wird in der Notation dennoch verwendet, denn durch die Temperierung wird sie kleiner
und dadurch erträglich.
Im Quint-Terz-System, das der »Murnauer Stimmung« zu Grunde liegt, ist die pythagoräische
Terz (mit B–D) zwar vorhanden, aber sie eignet sich nicht als Durterz. Der C-Dur-Dreiklang heißt
nicht C–E–G, sondern C–e–G.
Ton e liegt ein syntonisches Komma tiefer als das E der Quintenspirale. Um ihn zu kriegen, kommt
uns ein glücklicher Umstand entgegen: Gehen wir von E auf der Spirale 12 Quintschritte links
herum, so landen wir bei Fes, das ein pythagoräisches Komma tiefer liegt als E und damit um
tolerierbare 1.95 Cent tiefer als e. (Das ist der Unterschied zwischen syntonischem und
pythagoräischem Komma, auch »Schisma« genannt.) Bei Verwendung des Großen Quintenzirkels
fallen die Töne Fes und e (akustisch) zusammen. Wir sollten sie aber begrifflich auseinander
halten.
Um in der Notation das e vom E zu unterscheiden, schlage ich vor, vor oder hinter den ENotenkopf einen kleinen Abwärtspfeil zu setzen (siehe Abbildung unten). Damit wird der Ton um
ein (mittleres) Komma erniedrigt. Umgekehrt: Wenn wir von G aus eine Naturterz nach unten
gehen, also zu Es, so wird ein Aufwärtspfeil fällig, der das Es zu es erhebt.
C–e–G ist ein Dur-Dreiklang, und C–e damit eine Durterz. C–es–G ist ein Molldreiklang, und C–es
entsprechend eine Mollterz.
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34
Übrigens: Für die Spielpraxis ist es nicht erforderlich, die Rückungen zu kennzeichnen, da sie
durch die Wahl der jeweiligen Skala definiert sind.
Die beiden Darstellungen sind gleichbedeutend. Es wäre freilich hilfreich, wenn das Instrument die
Rückungen irgendwie kenntlich machte.
Die leidige Septime
Wie wir vorhin (im Kapitel »Transpositionen«) gesehen haben, kann die G-Skala die C-MollTonleiter liefern, und damit auch den C-Moll-Septakkord C–es–G–b. Der C-Dur-Septakkord lautet
dagegen: C–e–G–B, und es fällt auf, dass die kleine Septime je nach Dur oder Moll verschieden
ist. Das muss so sein, denn es–b ist eine reine Quinte, während es–B eine hässliche
»Wolfsquinte« wäre. Aber wie steht es mit Dur? Ließe sich da nicht auch b als Septime
verwenden? Denn e–B ist eine verminderte Quinte, keine reine, und da könnte das Ohr etwas
toleranter sein...
Aber es ist nun einmal so, dass e–B nach der Auflösung F–a strebt. Sowohl e–F als auch B–a sind
diatonische Halbtöne (15:16), und die üben auf das musikalische Ohr einen Zwang nach
Auflösung aus (e ist Leitton zu F, B ist Gleitton zu a). Das Intervall e–b klingt nicht befriedigend —
probieren Sie's aus, wenn Sie können.
Da in einer Skala nicht beides (B und b) zu haben ist, müssen wir uns entscheiden, wie die Skala
aussehen soll. Ich plädiere für B, denn Dur ist dominanter als Moll. Außerdem sprechen
ästhetische Gründe gegen b, denn unser zwölfzackiger Stern verlöre die Symmetrie und damit
seinen Charme, und es klaffte eine auffällige Lücke in der Reihe der Quinttöne:
Wie wir uns auch entscheiden, es kommt immer darauf an, für eine gegebene Situation die rechte
Skala zu finden. Das ist ein organisatorisches und technisches Problem, — die Theorie der Töne
bleibt davon unberührt.
Nachdem Sie mir freundlicherweise zugestimmt haben und dieser Punkt sozusagen abgehakt ist,
der Fairness halber doch noch drei Argumente für b statt B. Zum einen wären die Farben auf die
Zacken des Sterns gleichmäßig verteilt (die Mollterzen sind aufgewertet auf Kosten der
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35
Grundtöne); zweitens würde die pythagoräische Terz B–D vermieden; drittens liegt die DurSeptime B nicht in der Dur-Tonleiter, und damit könnte die C-Skala mit b die vier Tonleitern
abdecken: C-Dur sowie reines, harmonisches und melodisches C-Moll. Dazu noch die beiden
»exotischen« Tonleitern: C–D–es–fis–G–as–h–C und C–des–e–F–G–as–b–C.
Aber bleiben wir bei B (statt b), denn der Dur-Sept-Akkord ist zu wichtig.31
Dur- und Moll-Dreiklang mit Sexten und Septimen.
Es geht darum, unreine Quarten und Quinten zu vermeiden.
Die Sexten sind etwas weniger kapriziös.
Wir haben also zweierlei kleine Septimen: eine reguläre in Dur, in Moll dagegen eine »didymische«
(die Umkehrung des kleinen oder »didymischen« Ganztons).
Wie gesagt: Für B nehme man die C-Skala, für b die G-Skala. Für die übrigen Töne sind beide
Skalen passend.
Besonderheiten bei Moll
Ich darf mich mal selbst zitieren (Kapitel »Kadenz und Tonleiter«):
"Eine (reine) Moll-Tonleiter erhält man, indem die »weißen« Töne ab A gespielt werden: A–H–C–D–
E–F–G–A. Und weil die A-Moll- wie die C-Dur-Tonart kein Vorzeichen benötigt, werden die beiden
als »Parallel-Tonarten« bezeichnet."
Diese Aussage, auf die Klavierstimmung bezogen, muss für die Quint-Terz-Stimmung etwas
relativiert werden.
Das a der C-Skala ist nicht identisch mit dem A des Quintenzirkels, das man mit drei Quintschritten
(C–G–D–A) erreicht. Das bedeutet, dass die Paralleltonart zu C-Dur nicht A-Moll, sondern a-Moll
31
Es ist doch so: Wollte man eine Tonleiter akkordisch untermalen, so würde man das etwa mit Tonika,
Subdominante und Dominante bewerkstelligen. Ebenso darf ein Wechsel der Skala sein. — Man vergleiche
auch: Elektronische Orgeln pflegen Bassfiguren und akkordische Einwürfe aus der Tätigkeit der linken Hand
abzuleiten, und sie schaffen das rechtzeitig.
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36
wäre. Das ist ein wenig problematisch, weil die Grundtöne eigentlich im Quintenzirkel bleiben
sollten (damit Quint- und Quartschritte im »Bass« nicht unrein werden).32
Betrachten wir beispielsweise das bekannte C-Dur-Präludium von J. S. Bach (das Ch. Gounod
seiner »Ave Maria«-Melodie unterlegt hat):
Der Übersicht halber fassen wir die Akkorde horizontal zusammen und fügen Komma-Pfeile für die
Quint-Terz-Stimmung sowie die Grundton-Bezeichnungen der Akkorde hinzu:
Die ersten vier Akkorde sind: C-Dur, D-Moll, G-Dur, C-Dur. Hier muss man sich entscheiden, ob
das D-Moll die »Paralleltonart« von G-Dur sein soll (dann müsste es eigentlich d-Moll heißen und
erklänge — bei Verwendung des Großen Quintenzirkels — ebenso wie Eses-Moll) oder ob die
Grundtöne in reinen Quinten fortschreiten sollen (D–G–C).
In obiger Abbildung ist letzteres der Fall. Das hat Folgen: Die obersten Töne (Melodietöne) im 2.
und 3. Akkord sind nicht mehr gleich! Der blaue Komma-Pfeil erhöht das F zu f, denn das ist die
Mollterz zu D.
Die Frage liegt natürlich nahe: Kann eine solche »Rückung« (f–F) im Sinne Bachs sein? — Nun,
ich habe ihn noch nicht bei Verwechslungen solcher Art erwischt, etwa bei einem Bindebogen
zwischen zwei Tönen, die eigentlich um ein Komma auseinander liegen müssten.
Statt des D-Moll im 2. Akkord könnte vom akkordischen Ablauf her eigentlich auch D-Dur stehen.
Dann sähe die Melodie der ersten vier Akkorde so aus: e–fis–F–e (statt e–f–F–e). Ein chromatischer Melodieschritt zwischen 2. und 3. Takt ist also nicht absurd.
Die »Probleme«, die hier sichtbar werden, sehe ich als Chance für den »ernsthaften« (oder gar
wegweisenden) Komponisten. Er wird nicht nach Bequemlichkeit beim Komponieren streben,
sondern er wird sich selbst Rechenschaft darüber geben wollen, was er mit seinen Tönen genau
meint. (Und zwar auch dann, wenn seine Musik in üblicher temperierter Stimmung erklingen soll.)
Ecken und Kanten durch »Weichzeichner« (Temperierung) zu beseitigen halte ich für keine gute
Idee.
Es wäre allerdings viel verlangt, wenn die zahlenmäßigen Zusammenhänge jedem Komponisten
gegenwärtig sein sollten, der darauf angewiesen war, seine Ohren und seine Musikalität »temperiert« zu schulen. (Siehe z.B. Kapitel »Busonis Lamento«.)
32
Wir kommen im Kapitel »Terz-Trauben« darauf zurück.
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Große und kleine Diesis
Mit »großer Diesis« (sprich: Di-esis) wird der Unterschied (3 K) zwischen einer Oktave und vier
kleinen Terzen bezeichnet. »Kleine Diesis« ist der Unterschied (2 K) zwischen drei großen Terzen
und einer Oktave.33
Ich habe nicht ergründen können, welchen musikalischen Sinn das Aufeinandertürmen mehrerer
gleichartiger Terzen haben soll.34 Auch reicht die bisherige Schreibweise für solche Töne nicht
mehr aus.35
Man kann zu diesem Thema zu hören bekommen, der verminderte Septakkord bestehe aus lauter
kleinen Terzen. Aber genau besehen sind seine Intervalle nicht gleich groß. Beispiel: Der Akkord
h–D–F–as kann aufgefasst werden als Nonenakkord G–h–D–F–as, dem der Grundton fehlt. G–h–
D ist ein Dur-Dreiklang, F ist die kleine Septime und as die kleine None (die Oktavierung des
diatonischen Halbtons). Bei der Auflösung machen sich diatonische Halbtonschritte immer gut,
denn sie haben etwas Zwingendes und bestätigen damit die Ausgangstöne. - Hier haben wir drei
davon: h ist Leitton zu C, F ist Gleitton zu e und as ist Gleitton zu G.
Und so sieht dieser »verminderte Septakkord« aus (ergänzt um den Oktavton h):
Im Großen Quintenzirkel besteht er aus Intervallen von 12, 13 und 14 K.
33
Diese Intervalle (auf dem Klavier zu Null gemacht) betragen in reiner Stimmung:
Gr. Diesis: 4 kl. Terzen (5:6) = 1263 C; 1263 - 1200 = 63 C.
Kl. Diesis: 3 gr. Terzen (4:5) = 1159 C; 1200 - 1159 = 41 C.
34
Zwei große Terzen (4:5) tauchen beim übermäßigen Dreiklang auf, der sogleich besprochen werden soll.
35
Die Erweiterung der bisherigen Schreibweise könnte etwa so aussehen: C–\es–\\ges–\\\heses–\\\\ceses
und C–/e–//gis–///his, wobei z.B. \\ges doppelt erhöhtes Ges bedeutet und //gis doppelt erniedrigtes Gis.
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38
Ähnlich ist es mit dem übermäßigen Dreiklang h–es–G (oder h–//dis–G), der sich nach C–e–G
auflöst. Hier treffen, wie vorhin erwähnt, zwei gleiche große Terzen aufeinander, welche der zwei
abgebildeten Varianten wir auch wählen. Der Oktavton h wurde wieder zugefügt:
Im Großen Quintenzirkel besteht dieser Akkord aus Intervallen von 17 und 19 K.
Der übermäßige Dreiklang ist in Quint-Terz-Stimmung nicht so klar zu deuten wie der verminderte
Septakkord. Wählen wir die obere Variante (mit es), so löst sich, von h aus gesehen, die Mollterz
es in die Durterz e auf (was nicht eben musikalisch zwingend erscheint). Die untere Variante bietet
einen an sich wünschenswerten diatonischen Halbton //dis–e, allerdings mit der Besonderheit,
dass der Zielton e nicht den (groß geschriebenen) Haupttönen des Quintenzirkels angehört.36
Wie man sieht, liegt der Ton //dis nicht in der C-Skala. Kein Problem für die Murnauer Stimmung:
Mit der e-Skala (die akustisch dasselbe ist wie die Fes-Skala) sind alle beteiligten Töne erreichbar.
Welche Töne gewählt werden, liegt in der Verantwortung des Komponisten. Offensichtlich gibt es
noch eine Menge zu erforschen...
Terz-Trauben
Im Kapitel »Die leidige Septime« haben wir Dur- und Moll-Septakkorde betrachtet. Der Dur-Akkord
mit großer Septime (C–e–G–h) weist zwei Quinten auf (C–G, e–h), zwei große Terzen (C–e, G–h)
und eine kleine Terz (e–G). Man kann den Wechsel von großen und kleinen Terzen auch
weiterführen: C–e–G–h–D–fis, was ein Gebilde ergibt, das durch seine 4 reinen Quinten durchaus
überzeugend klingt.
Mit der C-Skala kommen wir nach oben nicht weiter, denn A steht nicht zur Verfügung. Aber nach
unten sind noch zwei Terzen möglich und damit dasselbe Gebilde wie eben, nur um eine Quinte
verrutscht: F–a–C–e–G–h. (Bei mehr als 6 Tönen wird es allerdings allzu schräg.37)
Worauf ich hinaus will: Dieser Wechsel von großen und kleinen Terzen erinnert an den Begriff der
»Paralleltonart«: Dem Dur-Akkord C–e–G ist der Moll-Akkord a–C–e eng verwandt. Es liegt nun
wieder in der Verantwortung des Komponisten, ob er dieses a quasi als Grundton eines neuen
36
Nach erweiterter Schreibweise wäre (aus Konsistenzgründen) e wie /e zu schreiben (das bedeutet: /e liegt
ein Komma unter E); analog dazu wäre z.B. ein es wie \es zu schreiben (d.h. \es liegt ein Komma über Es).
Damit ist auch klar, dass //dis zwei Kommas unterhalb von Dis zu finden ist. (Dis fällt übrigens akustisch mit
\es zusammen.)
37
Nebenbei sei bemerkt, dass theoretisch mit 8 Tönen (7 Terzen) ein Intervall möglich würde, das im
Zusammenklang Unfug wäre: a–C–e–G–h–D–fis–A enthielte nämlich das syntonische Komma a–A. Bei
Verwendung der beschriebenen Skalen kann das allerdings nicht geschehen.
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39
Quintenzirkels auffassen oder es weiterhin auf C beziehen will. Die Murnauer Stimmung bietet
jedenfalls diese Möglichkeiten, denn a wird akustisch durch das Heses des Quintenzirkels repräsentiert.
Ganz ähnlich ist es mit dem Übergang von C-Dur (C–e–G) nach e-Moll (e–G–a). Das temperierte e
ist akustisch dasselbe wie das temperierte Fes. Man muss nur darauf achten, dass die zugehörige
Tonleiter (also mit den entsprechenden Tönen zwischen den Terzintervallen) durch die Wahl der
geeigneten Skala bereitgestellt wird.
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40
Literaturhinweise
ANSE85
Ernest Ansermet, die Grundlagen der Musik, Piper 1985
BLUM89
Die Musik in Geschichte und Gegenwart [17 Bände], Hrsg. Friedrich Blume,
BLUM89
Die Musik in Geschichte und Gegenwart [17 Bände], Hrsg. Friedrich Blume,
Deutscher Taschenbuch Verlag / Bärenreiter-Verlag. 1989 (© 1949)
BUSO16
Ferruccio Busoni, Ästhetik der Tonkunst, Suhrkamp-Verlag 1979
(Titel ab 3. Aufl.: »Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst«, Leipzig 1916)
HAND48
Jaques Samuel Handschin, Der Toncharakter, Atlantis-Verlag 1948
HERD07
Herders Konversations-Lexikon [8 Bände],
Herdersche Verlagsbuchhandlung, Freiburg i. Br., 3. Aufl. 1907
HIND40
Paul Hindemith [1895-1963], Unterweisung im Tonsatz, Mainz 1940
MEYE61
Meyers Handbuch über die Musik, Bibliographisches Institut, Mannheim 1961
PFRO81
Hermann Pfrogner [1911-1988], Lebendige Tonwelt,
Langen Müller (München-Wien), 2. Aufl. 1981 (© 1976)
PFRO86
Hermann Pfrogner [1911-1988], Zeitwende der Musik,
Langen Müller (München-Wien), 1. Aufl. 1986 (© 1986)
SCHM56
Dr. Hans Schmidt, Die physikalischen Grundlagen der Musik,
Technikus-Bücherei, Franzis-Verlag, München 1956
STEP57
Das Fischer Lexikon: Musik, Hrsg. Dr. Rudolf Stephan, Fischer Bücherei 1957
ZIEG79
Wieland Ziegenrücker, Allgemeine Musiklehre, B. Schott's Söhne 1979
(© 1977 by VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig)
Zitate im Text:
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MuSt 041027.1410 pdf
Wieland Ziegenrücker in ZIEG79, Seite 110
Jaques Handschin in HAND48, Seite 306
Rudolf Stephan in STEP57, Seite 336
Hermann Pfrogner in PFRO81, Seite 207
Ferruccio Busoni in BUSO16, Seite 47
Ferruccio Busoni in BUSO16, Seite 54
Ferruccio Busoni in BUSO16, Seite 55
in MEYE61, Seite 36
Hermann Pfrogner in PFRO81 , Seite 229 (Zitat aus HIND40, Seite 186)
Hermann Pfrogner in PFRO81, Seite 358
in MEYE61, Seite 36
in HERD07, Band 8, Spalte 485
J. Murray Barbour in BLUM89, Band 13, Spalte 217-219
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