Viren, Antikörper und Impfungen

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Viren, Antikörper
und Impfungen
5.1 Viren – das geborgte Leben 146
5.2 Wie Viren Zellen befallen 146
5.3 Wie der Körper Infektionen
abwehrt: humorale Immunantwort durch Antikörper 150
5.4 Zelluläre Immunantwort: KillerT-Zellen 153
5.5 Die erste Impfung: mit Kuhpocken gegen echte Pocken 156
5.6 Moderne Impfungen 161
5.7 Lebendimpfstoffe 167
5.8 Monoklonale Antikörper:
hochspezifische und einheitliche Zauberkugeln aus dem
Bioreaktor 167
5.9 Katalytische Antikörper 169
5.10 Rekombinante Antikörper 173
5.11 Kombinatorische AntikörperBibliotheken 174
5.12 „Huckepack“ oder Phagendisplay – die nächste
Revolution 175
5.13 Phagendisplay für hochaffines
Wachstumshormon 176
5.14 Neue Hoffnung bei Krebs:
Rituximab, ein rekombinanter
Antikörper 176
Kapitel
5
Biotechnologie
■ 5.1 Viren – das geborgte Leben
Abb. 5.1 Neue Viren bedrohen die
globale Menschheit. Die SARSEpidemie legte die Metropole
Hongkong für zwei Monate still.
Die Hongkonger besiegten das
Virus mit hoher Disziplin und
auch mit Charme.
Abb. 5.2 SARS ist ausgebrochen!
Aber selbst die BiotechnologieVorlesungen gingen in Hongkong
weiter. Natürliches Thema:
„Virusdetektion“.
Abb. 5.3 Das SARS-Virus (Severe
Acute Respiratory Syndrome
Virus) ist ein Coronavirus. Es
funktioniert anders als zum Beispiel das Aids-Virus. Das Virus
bringt seine einzelsträngige RNA
in die Wirtszelle und kopiert sie
mit einer RNA-abhängigen RNAPolymerase in spiegelbildliche
Kopien.
Abb. 5.4 Eine neue globale Bedrohung kann aus der Kombination
von Vogel- mit Humangrippe entstehen.
146
Viren sind keine Lebewesen, sie haben keinen
eigenen Stoffwechsel und benutzen zu ihrer Vermehrung die Zellmaschinerie von Tieren, Pflanzen oder Bakterien, die sie befallen. Sie können
sich grundsätzlich nur in einer Wirtszelle vermehren und sind deshalb nicht selbständig
lebensfähig. Damit erfüllen sie die Eigenschaften
der Definition von „Leben“ nicht.
Im Prinzip sind Viren kleine „Programme“, die
sich in die Gene ihrer Wirte einbauen und deren
Produktionsmaschinerie nutzen, neue Viren zu
produzieren. Die Störprogramme der „Computerviren“ haben einen durchaus ähnlichen
Mechanismus.
Da Viren keinen eigenen Metabolismus haben,
kann man sie auch nicht mit Hemmstoffen wie
Antibiotika bekämpfen oder etwa ihren Stoffwechsel lahmlegen. Man kann lediglich an den
Punkten der Wechselwirkung mit dem Wirt
ansetzen.
Man unterscheidet „umhüllte“ (enveloped) Viren
und nackte Viren. Die nackten, hüllenlosen Viren
umschließen ihr Genom nur durch ein aus Protein aufgebautes Capsid (engl. core). Die umhüllten Viren besitzen dagegen eine aus der Zellmembran des Wirts durch Knospung (budding)
abgeschnürte Hülle, also eine Lipidmembran, in
die zusätzlich viruscodierte Proteine eingelagert
sind. Diese Lipid-Protein-Virushüllmembran
umgibt dann das auch bei diesen Viren vorhandene
Capsid (Abb. 5.8).
Viren unterscheiden sich von den Mikroorganismen dadurch, dass zu ihrer Vermehrung eigentlich nur ihre Nucleinsäure und eine Wirtszelle
notwendig ist. Manche Viren bringen aber auch
eigene Enzyme mit, die zur Replikation erforderlich sind, beispielsweise die Retroviren, welche
die Reverse Transkriptase (Kap. 3) in ihrem
Capsid mitliefern.
Bei der Vervielfältigung der Nucleinsäure und der
Synthese der Virusproteine ist ein Virus immer auf
die Wirtszelle (host) angewiesen. Man unterscheidet einen lytischen Zyklus (griech. lysis, Auflösung; daher stammt die Bezeichnung Flemings
für das Lysozym, Kap. 2), in dem bei der Freisetzung des Virus die Wirtszelle zerstört wird, und
einen nichtlytischen, bei dem die Viren durch
Knospen von der Zellmembran abgeschnürt werden (so die Regel bei den umhüllten Viren wie
z.B. Influenzaviren oder HIV).
Alle Viren enthalten einen einzigen Typ von
Nucleinsäure (RNA oder DNA). Die gegenwärtig bekannten Virusarten werden nach ihren
Nucleinsäuren, ihren Eiweißhüllen und nach
Wirtsspezifität klassifiziert (Abb. 5.5).
Zu den RNA-Viren gehören unter anderem das
Aids verursachende HI-Virus (Humanes Immunschwächevirus), das Grippe verursachende Influenzavirus, das Masernvirus, das Tollwutvirus
sowie das Pflanzen befallende Tabakmosaikvirus
(TMV, Kap. 3; die beiden Letztgenannten sind
von stabförmiger Gestalt) und die Gruppe der
Picornaviren (z. B. Poliovirus (Kinderlähmung)
und Rhinovirus, das den profanen Schnupfen verursacht (Abb. 5.3 bis 5.5). Das SARS-Virus (Severe Acute Respiratory Syndrome ), das Hongkong
und China besonders im Jahre 2003 in Angst und
Schrecken versetzte (Abb. 5.1 bis 5.3), ist ebenfalls ein RNA-Virus, ein sogenanntes Coronavirus,
da die Oberfläche der Viren an eine Krone erinnert (lat. corona, Krone).
Zu den DNA-Viren gehören beispielsweise die
Papovaviren (Warzenviren), unter denen es auch
Tumor-auslösende Vertreter gibt, die Pocken(Variola -) und Kuhpocken- (Vaccinia -)Viren, Herpesviren (Erreger verschiedener Hautkrankheiten), Adenoviren (Erreger von Schleimhauterkrankungen), die Bakterien befallenden Bakteriophagen (griech. phagein, fressen, z. B. T4 und
M13, Kap. 3) und Baculoviren, die nur Insekten
befallen.
■ 5.2 Wie Viren Zellen befallen
Viren binden sich immer zunächst an die Oberfläche von Zellen (Abb. 5.6). DNA-Viren wie Bakteriophagen injizieren ihr Erbmaterial (Doppelstrang-DNA) in die Bakterienzelle (Abb. 5.6
links). Nun bilden sie mithilfe der Bakterienzelle
Enzyme (T4-DNA-Polymerase) für die Neusynthese von DNA und von mRNA (T4-RNAPolymerase). Diese Enzyme synthetisieren dann
neue Virus-DNA. Die aus bakterieller RNA gebildete Virus-mRNA wird von den Bakterienribosomen abgelesen. Die Bakterienzelle bildet somit
aus eigenem Baumaterial sowohl die Proteinhülle als auch die DNA der neuen Bakteriophagen.
Die „Einzelteile“ lagern sich zu vollständigen
Bakteriophagen (etwa 100) zusammen, und diese lysieren die Zelle.
Die injizierte Virus-DNA kann aber auch ohne
Lyse in die Bakterien-DNA eingebaut werden;
man spricht dann von „ruhender“ (dormant) Virus-
Viren, Antikörper und Impfungen
DNA. Erst in späteren Bakteriengenerationen
können die integrierten Viren zur Vermehrung
wieder freigesetzt werden. Beim Befall von tierischen-Zellen (Abb. 5.6 rechts) binden Viren an
Rezeptoren auf der Zelloberfläche. Die Proteinhülle verschmilzt dann mit der Zellmembran, das
Virus dringt ein.
Bei RNA-Viren der Gruppe der Retroviren (wie
dem HI-Virus) gelangt einzelsträngige RNA in die
Zelle. Sie wird durch ein vom Virus mitgebrachtes Enzym (Reverse Transkriptase, Kap. 3) in
doppelsträngige DNA umgewandelt. Die umgeschriebene Virus-DNA wird im Zellkern in die
chromosomale DNA eingebaut. Die Transkriptionsmaschinerie der Wirtszelle (RNA-Polymerase)
schreibt zunächst eine mRNA ab. Nach dieser
Vorlage werden mithilfe der Ribosomen virale
Proteine synthetisiert. Darunter sind auch NichtStruktur-Proteine, die bei vielen Viren für die
Pathogenität verantwortlich sind. Die neu gebildete Virus-RNA und das Viruscapsidprotein
lagern sich zu vollständigen neuen Viren zusammen und verlassen anschließend die Zelle.
Eine Integration des Virusgenoms kommt nur
bei wenigen Virus-Familien vor. Dazu gehören die
Herpes- und die Retroviren. Durch die Integration kann das Virus über Generationen von Zellteilungen hinweg stabil in der Wirtszelle bzw. ihren
Nachkommen verbleiben, bis es wieder aktiv
wird. Bei Viren, bei denen eine Integration ins
Wirtsgenom erfolgt, ist das eine „abortive Integration“, die z. B. beim Hepatitis-B-Virus oder den
Papillomaviren ursächlich an der Tumorentstehung beteiligt ist. Die Integration führt in diesen
Fällen zum Verlust der Replikationsfähigkeit.
Intensiv wird nach Strategien gegen Virusbefall gesucht (Box 5.1). Zum Beispiel können spezifische Antikörper Viren durch Quervernetzung (siehe Box 5.9) noch vor dem Zellkontakt
und dem Eindringen in die Zielzelle neutralisieren. Die Antikörper können auch durch Maskierung der entsprechenden Bindungsstellen die
Viren daran hindern, ihre Zielzellen zu erkennen
(Abb. 5.9). Antikörper markieren Viren auch für
Fresszellen (Makrophagen, Granulocyten) und
verursachen so deren Beseitigung.
Bei RNA-Viren können Inhibitoren (Hemmstoffe) gegen die Reverse Transkriptase (Kap. 3) das
Umschreiben der viralen RNA in DNA verhindern. Viele solcher derzeit in der HIV-Therapie
eingesetzten Hemmstoffe sind allerdings toxisch.
Wenn die Zelle neue Virus-RNA bildet, könnte
Aids-Virus
Influenzavirus
Rötelnvirus
Papovavirus
Herpesvirus
Bakteriophage T4
Masernvirus
Adenovirus
Tollwutvirus
Poliovirus
Tabakmosaikvirus
Abb. 5.5 DNA- und RNA-Viren
(nicht maßstabsgerecht).
Von oben links nach unten
rechts:
Aids-Virus (HIV), ein Retrovirus mit Hülle und Einzelstrang-RNA, lange Latenzzeit
Influenzavirus, ein Orthomyxovirus, mehrere RNA-Stränge,
Hülle, es gibt A-, B- und
C-Typen
Rötelnvirus (Rubella), klein
und rot, Einzelstrang-RNA,
Hülle, ein Togavirus
Papova- (Papilloma- und
Polyoma-)viren, DoppelstrangDNA, nackt; Papillomaviren
rufen zum Beispiel Warzenbildung hervor, einige Polyomaviren wie SV40 können
bei Tieren Krebs auslösen
Pockenvirus
Herpesvirus, DoppelstrangDNA, Hülle
vernichtet, typische braune
Flecken auf Blättern
Masernvirus, EinzelstrangRNA, Familie der Paramyxoviren; befällt die Schleimhäute
sowie Zellen des Immun- und
Nervensystems
Poliovirus, gehört zu den
Picornaviren, EinzelstrangRNA, nackt; ruft Poliomyelitis,
eine schwere Erkrankung des
Nervensystems, hervor
Bakteriophage T4, Doppelstrang-DNA; befällt Bakterien
wie E. coli
Pockenvirus (Variola),
Doppelstrang-DNA, Hülle,
sehr großes Virus
Adenovirus, DoppelstrangDNA, nackt; ruft Erkrankungen des Atmungssystems
hervor
Tollwutvirus (Rabies), Einzelstrang-RNA, ein Rhabdovirus
Tabakmosaikvirus, TMV, Einzelstrang-RNA, stabförmig;
ganze Kulturen von Chili und
Paprika wurden durch TMV
147
Biotechnologie
B0x 5.1 Medikamente gegen Viren
Viele Strategien können dazu dienen, die
Ausbreitung des HI-Virus zu verhindern.
Man versucht, das Virus in allen Replikationszyklen zu treffen:
1. Beim Andocken an nichtinfizierte Zellen:
Das Virus bindet sich mit gp120 der Virushülle am CD4-Rezeptor der Zelloberfläche von
Helfer-T-Lymphocyten. Wenn man Antikörper
gegen CD4 hätte, könnten die Andockstellen
auf der Zelle abgesättigt werden. Andererseits
lassen sich CD4–Moleküle synthetisieren,
die, wenn sie ins Blut injiziert werden, an das
gp120 der Virushülle binden und dadurch
eine Infektion verhindern könnten. Im Labor
funktionieren beide Methoden. Es sind aber
immunologische Komplikationen zu erwarten, weil jedes CD4 oder Anti-CD4 die Wechselwirkung von CD4 mit seinem natürlichen
Liganden verhindert.
2. Die Hemmung der Reversen Transkriptase ist eine effektive Methode. HIV ist ein
Retrovirus, seine RNA muss also zunächst in
DNA umgeschrieben werden. Substanzen
wie Azidothymidin (AZT, auch Zidovudin
genannt), Lamivudin und Didesoxyinosin
(ddi) sind analog zu Nucleotiden aufgebaut
und werden „irrtümlich“ vom Enzym in die
Polynucleotidkette eingebaut.
Der erste potente Wirkstoff gegen Herpes,
Aciclovir, funktioniert übrigens ebenfalls als
nucleotidanaloger Hemmstoff der Revertase.
Er funktioniert sehr effektiv durch Auftragen
einer Salbe bei Herpes simplex und Herpes
zoster (Gürtelrose) und ist relativ ungiftig.
Andere Hemmstoffe blockieren das aktive
Zentrum der HIV-Revertase (wie Neviragin
und Delavirdin).
3. Antisense-RNA („Gegensinn-RNA“) ist
eine RNA-Kopie, die exakt komplementär
zum Genom des HI-Virus ist. Die AntisenseRNA codiert nicht für Proteine und ist damit
ohne Funktion in der Zelle. Da das Virusgenom eine einzelsträngige RNA ist, die bei
einer Infektion freigesetzt wird, könnte sich
die virale RNA sofort mit der „wartenden“
Computer-aided drug design: Medikamente
können am Computer entworfen und getestet
werden. Automatisierte Andockmethoden werden genutzt, um die beste Stelle am Biomolekül
zum Andocken zu finden. Wenn die vorhergesagte Bindung stark genug ist, kann das Molekül
synthetisiert und auf Aktivität getestet werden.
Die beste Stelle ist hier für Saquinavir rot gezeigt.
HI-Virus
Fusion
1. Fusionshemmer
HIV-Protease (oben) und Aids-Medikamente:
Indinavir, Saquinavir, Ritnavir und Nelfinavir
(von links oben nach rechts unten)
RNA-Reverse
Transkriptase
2. Transkriptase-Hemmer
Integration
3. Integrase-Hemmer
Antisense-RNA zu einem stabilen „sinnlosen“
RNA/RNA-Hybrid verbinden, das kein Provirus bilden kann. Das könnte über Gentherapie
bzw. Stammzellen (Kap. 10) erreicht werden.
Immunzelle
Das Antisense-Medikament Fomivirsen dient
heute schon erfolgreich bei Aidspatienten zur
Behandlung einer viralen Augeninfektion, die
sonst unweigerlich zur Erblindung geführt
hatte.
Vermehrung
4. Protease-Hemmer
Verpackung
der Virus-RNA
Synthese neuer
Virusproteine
Ausschleusung
neuer Viren
infektiöse
Virusnachkommen
Strategien zur Hemmung der
Ausbreitung des HI-Virus
148
4. Hemmung der HIV-Protease. Medikamente, die die HIV-Protease blockieren, sind
ein Triumph der modernen Medizin und des
molekularen Designs. Die Protease spaltet die
vom Virus in langen Ketten hergestellten
Polypeptide zur exakt richtigen Zeit in kurze
Stücke, die zur Verpackung der neuen Viren
gebraucht werden. Wenn sich das Medikament fest an die Protease bindet und ihre
Aktion blockiert, kann das Virus nicht zur
infektiösen Form reifen.
Viren, Antikörper und Impfungen
RNA-Virus
Bakterienzelle
Säugerzelle
Synthese von
Virus-DNA
Bakterien-DNA
Bakteriophage T4
(DNA-Virus)
Virusrezeptor
Einbau in
chromosomale DNA
Virus-RNA
Virus-DNA
Synthese neuer
Virus-RNA
Injektion
Synthese von
Virusproteinen
Zellkern
neugebildete
Virus-DNA
Verpackung
der Virus-DNA
Freisetzung von
200 bis 300 neuen
Bakteriophagen
Synthese
von Virusproteinen
(Revertase und
Hüllproteine)
Verpackung
der Virus-RNA
Ausschleusung
neuer Viren
diese durch Antisense-RNA („GegensinnRNA“, sie passt chemisch wie ein Spiegelbild zur
RNA, Kap. 10) inaktiviert werden.
dar. Alle diese verschiedenen Abwehrstrategien
verfolgt man gegenwärtig bei der Aidsforschung
(Box 5.1).
Eine neue Strategie ist die Verwendung von kurzen Doppelstrang-RNA-Stücken (RNAi, das
„i“ steht für Interferenz, ausführlich in Kap. 9).
Mit künstlich erzeugter RNAi von 21 bis 23
Nucleotiden Länge legte der deutsche Wissenschaftler Tom Tuschl (siehe Abb. 9.28) erstmals
Säugetiergene still, ohne die störende Interferonantwort auszulösen (diese führt zum Abbau jeglicher RNA). Seitdem gelang es z. B. beim AidsErreger HIV, spezifische Gene (nef-, rev-, gag-, polGene) stillzulegen. Erste Erfolge gibt es bei der
Bekämpfung des Influenza- und des Hepatitis-CVirus.
Da das HI-Virus hauptsächlich die sogenannten
T-Helferzellen befällt, die für das Zustandekommen der körpereigenen Abwehr notwendig sind,
könnte man den Körper auch durch gentechnisch
produzierte Cytokine (z. B. Interleukin-2) stärken. Zuerst würde das Virus durch chemische
Mittel „mattgesetzt“, erst danach würden Immunzellen durch Interleukin-2-Gaben stimuliert.
Hemmstoffe gegen die viruscodierte Protease,
die bei der Reifung der viralen Proteine eine wichtige Rolle spielt, stellen häufig genutzte Therapeutika bei der Behandlung von HIV-Infizierten
Bei anderen Virusinfektionen werden Interferone eingesetzt. Virusinfizierte Zellen bilden natürlicherweise Interferone und scheiden sie aus
(Sekretion, Kap. 9). Sezerniertes oder künstlich in
den Körper eingeführtes Interferon bindet an spezifische Rezeptormoleküle an der Oberfläche
anderer Zellen und ändert die Zellaktivitäten. Es
kommt zur Synthese von Proteinen, die Zellen
gegen Virusinfektionen widerstandsfähig machen.
Abb. 5.6 Wie Viren Zellen befallen.
Links: Bakteriophagen attackieren Escherichia coli ; rechts: HIV
befällt eine menschliche Zelle.
Abb. 5.7 Wie der Körper Infektionen abwehrt. Ausführliche
Beschreibung in Kapitel 9.
Hier zu sehen sind Makrophagen,
Antikörper und T-Zellen.
149
Biotechnologie
60 Untereinheiten
Virusproteinhülle
RNA
Die Ausbrüche heute bekannter Infektionskrankheiten liegen daher erstaunlich kurz zurück:
Pocken traten erstmals um 1600 vor unserer Zeit
auf, Mumps und Pest um 400 vor unserer Zeit,
Cholera und Fleckfieber sogar erst im 16. Jahrhundert! Die eurasischen Völker konnten über
Jahrhunderte hinweg Immunität dagegen entwickeln und hatten im Spiel gegen die Epidemien
ein Remis erzwungen. Die Bewohner der Neuen
Welt hatten dagegen keine Zeit, „Abwehrgene“
zu verbreiten, sie fielen den Keimen unvorbereitet fast restlos zum Opfer.
Abb. 5.8 Oben: Wie sich Untereinheiten eines Viruscapsids aus
Peptidketten bilden. Oben rechts:
Das Poliovirus, das erstmals 2002
vollständig von Grund auf synthetisiert wurde, besteht aus einem
langen RNA-Strang in einem hohlen Proteincapsid (oben rechts).
Abb. 5.9 Wie Antikörper ein Virus
neutralisieren: Gezeigt sind hier
in Hellgrün nur die bindenden
Arme (Fab-Fragmente), nicht der
„Fuß“ der Antikörper. Deutlich
wird, dass die Spikes des Virus
durch Antikörper bedeckt und
somit neutralisiert sind.
Wie das Lymphokin Interleukin-2 (IL-2) wurden auch die Interferone in der ersten Begeisterung als die Wunderarzneimittel der Zukunft
begrüßt, die viele Krankheiten, von der gewöhnlichen Erkältung bis hin zum Krebs, heilen sollten. Sie sind diesen unrealistischen Erwartungen
nicht gerecht geworden. Die heilende Wirkung
ist normalerweise nur schwach, und die Nebenwirkungen sind oft schwer. Interferone sind wie
IL-2 für die Behandlung einiger Krankheiten des
Menschen von Wert, aber meist nur in Kombination mit anderen Medikamenten (Kap. 9).
■ 5.3 Wie der Körper Infektionen
abwehrt: humorale Immunantwort durch Antikörper
Abb. 5.10 Wie Antikörper Antigene binden: Eine tiefe Höhlung
bindet ein kleines Fulleren-Molekül (oben, Buckminster-Fulleren);
eine große, flache Oberfläche der
Antigen-Bindungsstelle bindet
dagegen das Protein Lysozym
(unten).
150
Indios und den Europäern durch die großen Viehherden der sesshaften Bauern Eurasiens. Hier entwickelten sich akut und endemisch verlaufende
Krankheiten als Tierkrankheiten und griffen später auch auf menschliche Populationen ähnlicher
Dichte über (Box 5.4).
Bakterien und Viren waren zunächst unbewusst
die Biowaffen der Europäer bei der Eroberung
Amerikas: Sie besorgten den Großteil der mörderischen Arbeit. Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert
brachten die Eroberer und Besiedler Amerika und
auch den ozeanischen Inseln Masern, Pocken,
Grippe, Typhus, Diphtherie, Malaria, Mumps,
Keuchhusten, Pest, Tuberkulose und Gelbfieber
mit, während die Indianer (von der Syphilis mit
unklarem Ursprung einmal abgesehen) keinen
einzigen todbringenden Erreger „auf ihrer Seite“
hatten. Auf dem amerikanischen Kontinent gab es
vorher offenbar keine Seuchen.
Nach Jared Diamond kam es zur „Ungleichheit
der Waffen“ zwischen den Indianern bzw. den
Wie schützt uns das Immunsystem? Im Folgenden müssen wir uns mit einer vereinfachten
Antwort begnügen: Das Immunsystem ist so komplex, dass seine Schilderung den Rahmen eines
Einsteigerbuches für Biotechnologie überschreiten würde.
Das Immunsystem kann zwischen „Selbst“ und
„Nicht-Selbst“ unterscheiden. Es kann hundert
Millionen (108) verschiedene Antikörperspezifitäten und über eine Billion (1012) verschiedene TZell-Rezeptoren bilden. Das Immunsystem
besteht aus zwei parallel wirkenden, aber eng verflochtenen Systemen: der humoralen und der zellulären Immunantwort.
Bei der humoralen Immunantwort (lat. humor,
Flüssigkeit) dienen lösliche Proteine, Antikörper
(Immunglobuline, Box 5.3), als Erkennungselemente. Außerdem gibt es humorale Abwehrfaktoren, das Lysozym (Kap. 2) und die Interferone.
Antikörper binden körperfremde Moleküle oder
Zellen, kennzeichnen sie damit als Eindringlinge
und fördern somit die Phagocytose durch Fresszellen. Gebildet werden die Antikörper von Plasmazellen, die ihrerseits aus B-Zellen hervorgehen.
Die Bezeichnung erhielten die B-Zellen (B-Lymphocyten) nach der Bursa fabricii, die nur bei
Vögeln vorkommt – ein lymphatisches Organ im
Endabschnitt der Kloake (Abb. 5.11). In der Bursa
reifen Lymphocyten zu B-Lymphocyten heran.
Entfernte man bei Hühnchen die Bursa, waren sie
hochgradig empfänglich für Bakterieninfektionen. Sie waren nicht mehr zur Antikörperbildung
fähig.
Viren, Antikörper und Impfungen
Box 5.2 Expertenmeinung: Tests
auf HIV-Infektion
Es gibt viele Gründe dafür, den HIV-Status
einer Person zu ermitteln, das heißt, sie
darauf zu testen, ob sie mit dem HI-Virus
(Humanen Immundefizienz-Virus) infiziert ist
oder nicht. Für Betroffene ist es unabdingbar,
ihren Status zu kennen, damit sie von den
enormen medizinischen Fortschritten der
letzten 25 Jahre profitieren können. Mit der
modernen antiviralen Therapie können die
meisten Infizierten trotz bestehender HIVInfektion eine hohe Lebensqualität genießen,
statt an Aids zu sterben. Außerdem werden
ständig HIV-Tests durchgeführt, um die
Sicherheit von Blutkonserven zur Transfusion
zu gewährleisten, sowie als Reihenuntersuchung an schwangeren Frauen, um durch
rechtzeitige Maßnahmen das Risiko einer
Übertragung von der Mutter auf ihr Kind zu
verringern.
Vor der Durchführung eines jeden HIV-Tests
muss man zunächst eine Einverständniserklärung der zu testenden Person einholen.
Apropos: Den Begriff Aidstest sollte man vermeiden: Aids ist ein klinischer Zustand, der
sich nach Jahren der Infektion bei den meisten HIV-infizierten Personen entwickelt;
der Test wird jedoch durchgeführt, um das
Vorhandensein des HI-Virus nachzuweisen.
Eine HIV-Infektion wird in der Regel indirekt
diagnostiziert durch den Nachweis virusspezifischer Antikörper. Praktisch alle HIVInfizierten bilden solche Antikörper. Unglücklicherweise führen diese aber im Gegensatz
zu den meisten anderen Virusinfektionen
nicht zur Immunität.
Zum Nachweis der Antikörper gibt es verschiedene Tests. Am häufigsten werden sogenannte enzymgekoppelte Immunadsorptionstests (ELISA, Enzyme-linked Immunosorbent Assays) eingesetzt. Derartige
Screening-Tests zeichnen sich durch eine
sehr hohe Sensitivität aus, das heißt, man
kann damit positive Proben als positiv identifizieren. Im Normalfall zeigt nur weitaus
weniger als eine von 1000 positiven Proben
ein falsch negatives Testergebnis. Erreicht
wird dies durch Verwendung geeigneter Antigene (auf die die Antikörper der Patienten im
Test reagieren) und sorgfältige Optimierung
des gesamten Assays (der konzipiert wurde,
um die Antigen-Antikörper-Reaktion sichtbar
zu machen). So wird das Risiko eines falsch
Das Humane Immundefizienz-Virus (HIV) ist die
Ursache des erworbenen Immundefektsyndroms (Aids, Acquired Immunedeficiency Syndrome). Es handelt sich um ein Retrovirus – ein
behülltes Virus mit RNA-Genom.
Für die Replikation wird das RNA-Genom durch
reverse Transkription mithilfe des Enzyms Reverse Transkriptase in DNA umgeschrieben. Ein
weiteres, unter der Bezeichnung Integrase
bekanntes Enzym hilft dabei, die virale DNA in
das Wirtsgenom einzubauen. Bei Aids beginnt
das Immunsystem zu versagen, was zu lebensgefährlichen opportunistischen Infektionen
führt. Die Infektion mit HIV kann über Blut, Sperma, Scheidenflüssigkeit, Präejakulat oder über
die Muttermilch erfolgen.
Diese Körperflüssigkeiten können freie Viruspartikel enthalten oder Viren in infizierten Immunzellen. Die drei Hauptinfektionswege sind ungeschützter Geschlechtsverkehr, kontaminierte
Spritzen und die Übertragung von infizierten
Müttern auf ihr Baby bei der Geburt oder durch
das Stillen. HIV infiziert in erster Linie wichtige
Zellen des menschlichen Immunsystems wie THelferzellen (speziell CD4+-T-Zellen), Makrophagen und dendritische Zellen. Die HIV-Infektion
führt durch unterschiedliche Mechanismen zu
einem erniedrigten Spiegel von CD4+-T-Zellen.
Wenn die Zahl der CD4+-T-Zellen unter einen kritischen Wert fällt, geht die zellvermittelte Immunität verloren, und der Körper wird zunehmend
anfällig für opportunistische Infektionen.
Unbehandelt entwickeln die meisten HIV-Infizierten Aids und sterben daran, während etwa
jeder Zehnte noch viele Jahre ohne erkennbare
Symptome gesund bleibt.
negativen Ergebnisses minimiert und eine
sichere Diagnosestellung gewährleistet.
Andererseits ist die Spezifität dieser Screening-Tests – darunter versteht man die Fähigkeit, negative Proben korrekt zu erkennen –
für gewöhnlich weniger hoch. Das bedeutet,
dass eine Probe gelegentlich ein positives
(oder besser ein reaktives) Ergebnis zeigt,
obwohl sie in Wirklichkeit keine Antikörper
gegen HIV enthält. Diese unspezifische Reaktivität kann durch zahlreiche Faktoren hervorgerufen werden; die meisten davon haben
keine pathologische (krankhafte) Ursache.
Ein reaktiver („positiver“) Screening-Test
allein bedeutet also nicht unbedingt, dass die
getestete Person Antikörper hat und demnach mit HIV infiziert ist!
Aus diesem Grund muss jeder reaktive Screening-Test durch mindestens einen weiteren
nachfolgenden Assay bestätigt werden. Dies
kann beispielsweise der sogenannte Western
Blot (in Deutschland und USA obligatorisch)
sein oder alternativ dazu eine Reihe verschiedener Tests, die in einer definierten Reihenfolge (Algorithmus) durchgeführt werden.
Nur wenn diese Bestätigungstests die Reaktivität der Probe untermauern, ist das Vorliegen von Antikörpern bestätigt und kann eine
HIV-Infektion diagnostiziert werden, und die
Testperson wird informiert, dass sie HIV-positiv ist. Es sollte aber auf jeden Fall eine zweite Blutprobe zum Test eingeschickt werden,
um Verwechslungen auszuschließen.
Zwar sind die Sensitivität und die Spezifität
eines bestimmten HIV-Assays normalerweise
bekannt, in der Praxis sind jedoch weitere
Parameter von noch größerer Relevanz. Wir
kennen nicht den „wahren“ HIV-Status der
Testperson, sondern müssen ihn aus den Testergebnissen schließen.
Der positive Vorhersagewert (positive
predictive value, PPV) gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der ein positives Testergebnis
einen wirklich infizierten Patienten anzeigt;
umgekehrt gibt der negative Vorhersagewert
(NPV) die Wahrscheinlichkeit an, mit der ein
negatives Testergebnis anzeigt, dass die Testperson tatsächlich nicht infiziert ist. Diese
Vorhersagewerte hängen nicht nur von der
Sensitivität und der Spezifität des jeweiligen
Tests ab, sondern auch von der Häufigkeit
von HIV in der getesteten Bevölkerungsgruppe. Unglücklicherweise wird dieses statistische Phänomen häufig dazu missbraucht, die
angebliche Nutzlosigkeit von HIV-Tests zu
„belegen“. In Bevölkerungsgruppen mit
einem sehr niedrigen Vorkommen von HIV
(zum Beispiel sorgfältig ausgewählte Blutspender) ist die Mehrzahl derer mit einem
reaktiven Testergebnis tatsächlich nicht infiziert. In Gruppen mit einer hohen Prävalenz
hingegen ist die Chance, dass ein positives
Testresultat tatsächlich eine Infektion anzeigt,
sehr hoch. Aber genau deswegen müssen alle
reaktiven Screening-Tests bestätigt werden,
bevor man eine Diagnose stellen kann. Das
ist jedoch keinesfalls ein Grund, HIV-Tests als
nutzlos in Verruf zu bringen! In Bevölkerungsgruppen mit einer hohen Infektionsrate
zeigt die überwiegende Mehrzahl der reaktiven Testergebnisse leider tatsächlich ein positives Ergebnis an. Deshalb legen die RichtliniFortsetzung nächste Seite
151
Biotechnologie
ßen Aufwand mit Kapillarblut (aus der Fingerkuppe) durchführen. Sie erfordern nur eine
minimale Ausstattung, und die Testergebnisse
liegen in der Regel innerhalb einer halben
Stunde vor.
Prof. Mark Newman (University of Michigan) und
sein Team haben neue Karten erstellt: Das obere
Bild zeigt die normale Weltkarte; die Größe der
Länder der Welt ist dabei proportional zu ihrer
tatsächlichen Größe auf der Oberfläche unseres
Planeten abgebildet, die Umrisse entsprechen
der Realität. Man kann jedoch die Größe der Länder auf der Karte verändern, um einen bestimmten Sachverhalt grafisch darzustellen und zu verdeutlichen. Derartige Karten bezeichnet man als
Kartogramme. Sie können geografische oder
soziale Daten besonders anschaulich darlegen.
Die untere Karte zeigt die Zahl der Einwohner mit
HIV/Aids. (Karten mit freundlicher Genehmigung
von Mark Newman, UMICH)
Die HIV-Infektion beim Menschen ist mittlerweile
eine Pandemie. Laut dem Gemeinsamen Programm der Vereinten Nationen für HIV/Aids
(UNAIDS) und der Weltgesundheitsorganisation
(WHO) sind seit der Erstentdeckung von Aids im
Dezember 1981 bis Januar 2006 mehr als 25 Millionen Menschen der Krankheit zum Opfer gefallen. Aids ist eine der verheerendsten Pandemien
der Geschichte. Allein im Jahr 2005 forderte Aids
schätzungsweise 2,4 bis 3,3 Millionen Menschenleben, darunter mehr als 570 000 Kinder.
Geschätzte 0,6 % der Weltbevölkerung sind mit
HIV infiziert.
Ein Drittel dieser Todesfälle betrifft Afrika südlich
der Sahara, bremst das Wirtschaftswachstum
und führt vermehrt zu Armut in diesen Gebieten.
Nach aktuellen Schätzungen werden in Afrika 90
Millionen Menschen infiziert werden, wodurch
wiederum mindestens 18 Millionen Kinder zu
Waisen werden. Zwar lassen sich durch antiretrovirale Therapien sowohl die Sterblichkeit als
auch die Erkrankungswahrscheinlichkeit bei
einer HIV-Infektion verringern, aber die antiretroviralen Medikamente sind nicht in allen Ländern
frei verfügbar.
en der Weltgesundheitsorganisation (WHO)
für solche Gegebenheiten einfachere Bestätigungsalgorithmen fest.
Unter bestimmten Umständen sind Schnelltests (auch als Vor-Ort-Tests oder Point-ofcare-Tests bezeichnet, im Englischen
rapid/simple test devices) den Labortests
vorzuziehen. Meist kann man diese ohne gro-
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Besonders wertvoll sind Schnelltests, wenn
das Ergebnis schnell gebraucht wird: in Notaufnahmen, nach Nadelstichverletzungen
usw. Sie können auch dazu beitragen, die
Rate „nicht abgeholter“ Testergebnisse zu
senken (wenn die Patienten nicht wiederkommen, um ihr Testergebnis zu erfahren).
In vielen Gebieten mit mangelnder Infrastruktur stellen sie die einzig durchführbare
Möglichkeit dar. Ein Algorithmus aus verschiedenen Schnelltests kann sogar zur Bestätigungszwecken eingesetzt werden und
macht es unnötig, zusätzlich Proben ins
Labor zu schicken. Die Qualitätskontrolle
von Schnelltests stellt zwar eine erhebliche
Herausforderung dar, ist aber äußerst wichtig.
Allen auf dem Nachweis von HIV-spezifischen Antikörpern basierenden Tests ist ein
Problem gemeinsam: Patienten in sehr frühen Infektionsstadien werden durch sie
nicht erkannt, weil der Körper eine Immunantwort erst noch aufbauen muss. Die Zeitspanne, bis Antikörper erkennbar werden,
bezeichnet man „diagnostische Lücke“ oder
„diagnostisches Fenster“.
Durch verschiedene Ansätze kann man diese
„Lücke“ wesentlich verkürzen: etwa durch
eine direkte Diagnose anhand der Isolierung
des infektiösen Virus oder durch Nachweis
viraler Antigene oder Materials aus dem
Virusgenom (Nucleinsäure). Zur Isolation des
Virus muss in spezialisierten Labors eine Zellkultur angelegt werden; sie ist daher unpraktisch und kostspielig. Dagegen sind Untersuchungen auf HIV-p24-Antigen zu einem
wesentlichen Bestandteil der Untersuchungen geworden. Man verwendet dabei Screening-Assays der vierten Generation, die
Resultat: positiv
Kontrollbalken
Patientenbalken
Beispiel für einen Schnelltest (Capillus)
negativ
neben spezifischen Antikörpern auch das
virale Antigen sichtbar werden lassen und so
die diagnostische Lücke stark verkürzen.
Unter bestimmten Umständen wendet man
auch sogenannte NAT-Tests (für Nuclein
Acid Test) an, die direkt virales Genom nachweisen, zum Beispiel mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR): um bei Blutspendern eine
Infektion auszuschließen und um bei Patienten mit vermuteten Primärinfektionen sowie
bei Babys HIV-infizierter Mütter HIV-Infektionen zu diagnostizieren.
Bei solchen Babys sind normalerweise bis
zum Alter von zwölf bis 15 Monaten passive
(über die Placenta erworbene) mütterliche
HIV-Antikörper nachweisbar. Deswegen
haben Kinder HIV-positiver Mütter anfänglich
positive Ergebnisse bei HIV-Tests, bis ihr Körper die mütterlichen Antikörper eliminiert
hat. Glücklicherweise ist die Mehrzahl dieser
zunächst seropositiven Babys jedoch nicht
selbst infiziert; eine gute Prävention der Mutter-Kind-Übertragung kann die Rate vertikaler
Übertragungen auf unter 1 % senken. Durch
NAT kann man infizierte Babys rechtzeitig
erkennen und eine geeignete Behandlung
einleiten.
Wenn in besonderen Fällen, wie oben erklärt,
Antikörpertests nicht weiterhelfen, kann man
eine NAT auf provirale cDNA in Leukocyten
durchführen; hierbei wird eine Infektion mittels eines qualitativen Assays („ja oder
nein?“) diagnostiziert. Die Quantifizierung
von HIV-RNA im Blutplasma („wie viel?“),
die sogenannte Viruslast, kann als prognostischer Marker dienen, um den Erfolg der Therapie zu überwachen und die Ansteckungsgefahr abzuschätzen. Im Zusammenhang mit
der antiviralen Therapie ist dieser Test ein
wichtiges Hilfsmittel geworden. Viruslasttests
sind jedoch nicht dafür bestimmt, eine Infektion zu diagnostizieren, und können gelegentlich bei nicht infizierten Personen fälschlich niedrig-positive Ergebnisse erbringen.
In den richtigen Händen und von erfahrenen
Profis durchgeführt sind Tests auf HIV-Infektionen heutzutage extrem zuverlässig und
können in fast allen Fällen eine definitive
Antwort liefern. Bei rechtzeitiger Durchführung bieten HIV-Tests die Chance, durch eine
antivirale Therapie eine schwerwiegende
Erkrankung oder sogar den vorzeitigen Tod
zu verhindern und durch Präventionsmaßnahmen das Risiko der Ansteckung anderer
zu senken.
Viren, Antikörper und Impfungen
Ein körperfremdes Makromolekül (oder eine Zelle bzw. ein Virus), nennt man Antigen. Antikörper richten sich mit ihrer Bindungskraft (Affinität)
nicht gegen das gesamte Antigen, sondern nur
gegen eine exponierte Stelle auf dem Molekül, die
man als Epitop oder antigene Determinante
bezeichnet.
Prof. Wolfgang Preiser wude in Frankfurt
am Main geboren und studierte Medizin.
Später spezialisierte er sich an der Johann
Wolfgang Goethe-Universität in seiner Heimatstadt und am University College in London auf medizinische Virologie. Während
des Ausbruchs von SARS (Schweres Akutes
Respiratorisches Syndrom) im Jahr 2003 war
er an der Identifizierung des Erregers beteiligt und wurde vorübergehend als Berater
der Weltgesundheitsorganisation (WHO)
nach China gesandt. Seit 2005 ist er Professor und Leiter der Abteilung für medizinische Virologie an der Stellenbosch University in Südafrika. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Entwicklung und Bewertung
neuer Methoden zur Labordiagnose viraler
Infektionen sowie tropische und neu aufkommende Viren.
Dr. Stephen Korsman ist medizinischer
Virologe an der Walter Sisulu University/
Mthatha National Health Laboratory Service
Pathology Department in Südafrika. Seine
Interessensgebiete sind die Mutter-KindÜbertragung von HIV, neu entstehende
Infektionskrankheiten, molekulare Diagnostik
und medizinische Aufklärung.
Quellen:
Weltgesundheitsorganisation (WHO), HIV-/AidsDiagnostik: http:// www.who.int/ hiv/amds/
diagnostics/en/ index.html
Center for Disease Control and Prevention (CDC),
USA, Abteilung HIV-/Aids-Prävention:
http:// www.cdc.gov/ hiv/ testing.htm,
http:// www.cdc.gov/ hiv/rapid_testing/
U.S. Food and Drug Administration (FDA), Center
for Biologics Evaluation and Research (CBER):
zugelassene Tests auf HIV, HTLV und Hepatitis:
http:// www.fda.gov/cber/products/ testkits.htm
Eine Infektion mobilisiert mehrere kooperierende Populationen von Immunzellen. B-Lymphocyten tragen Antikörper als Erkennungsmoleküle
(Oberflächenrezeptoren) auf ihrer Oberfläche. Im
Allgemeinen werden sie jedoch von zirkulierenden Antigenen nicht aktiviert. Zuerst muss das
Antigen von einer Antigen-präsentierenden
Zelle aufgenommen werden. Diese Funktion
übernimmt ein Makrophage oder eine dendritische Zelle. Das Antigen wird von dieser Zelle
„bearbeitet“ (prozessiert), erscheint dann auf der
Zelloberfläche und wird einer T-Helferzelle „präsentiert“. Diese bildet durch den Stimulus Interleukin-2 und aktiviert damit B-Zellen, die zuvor
ebenfalls Antigenkontakt hatten. Diese B-Zellen
vermehren sich nun stark, bilden einen Zellklon
(klonale Selektion) und differenzieren sich:
Einige Nachkommen werden zu Gedächtniszellen, die bei neuerlicher Infektion eine schnellere Immunreaktion ermöglichen, andere entwickeln sich zu Antikörper-produzierenden Plasmazellen.
Die frei zirkulierenden Antikörper binden das
Antigen und markieren es damit für die Zerstörung durch andere Komponenten des Immunsystems.
Neben diesen genannten Mechanismen wirkt das
körpereigene Komplementsystem, eine Kaskade
von etwa 30 Proteinen.
Sie sind im Blutplasma gelöst oder zellgebunden
und dienen der Abwehr von Mikroorganismen
(z. B. Bakterien, Pilze, Parasiten). Sie haben stark
zellzerstörende Eigenschaften und können, wenn
sie unreguliert wirken, im Verlauf vieler Krankheiten (Herzinfarkt, systemischer Lupus erythematodes, Rheumatoide Arthritis) für Gewebsschäden verantwortlich sein. Durch Komplementkomponenten werden dann die Zellmembran
und damit Bakterien oder geschädigte und entartete Zellen zerstört (Kap. 9).
Die 14. Auflage des regelmäßig aktualisierten
medizinischen Lehrbuchs bietet einen umfassenden und aktuellen Überblick über die
Behandlung von HIV-Infektionen. (825 Seiten,
ISBN: 3-924774-50-1 – ISBN-13: 978-3-924774-50-9).
Der gesamte Text ist kostenfrei online abrufbar
unter: http://hivmedicine.com/textbook/testing.htm
■ 5.4 Zelluläre Immunantwort:
Killer-T-Zellen
Preiser W, Korsman S (2007) HIV Testing.
Kapitel 3 in www. hiv medicine.com
Entfernt man bei jungen Säugetieren den Thymus (Bries, innere Brustdrüse), so führt das,
Abb. 5.11 Oben: 1927 wurde
Michael Heidelberger (1888-1991)
Laborchef am Mount Sinai Hospital in New York und ging an die
Columbia Universität als Professor. Dort entwickelte er mit
Forrest E. Kendall die noch heute
verwendete im Cartoon gezeigte
„Heidelberger Kurve“.
Heidelbergers geniale Idee war
nun, dass man die Bindung von
Ag und Ak benutzen kann, um
festzustellen, wieviel Antigen
mengenmäßig im Körper anwesend ist.
Mitte: B-Zellen (B-Lymphocyten)
bekamen ihren Namen nach der
Bursa fabricii, die nur bei Vögeln
vorkommt, ein lymphatisches
Organ im Endabschnitt der Kloake.
Unten: Wie Antikörper mit Antigenen Komplexe bilden:
Das Cartoon zeigt, wie y-förmige
Antikörper (hier känguruhartige
Moleküle) mit ihren zwei „Armen“
Antigene (z.B. Viren, im Cartoon
deren Babies) binden und grosse
Komplexe bilden, die zur Trübung
der Lösung führen. So mass man
die ersten Immunreaktionen
technisch. Wenn keine Antigene
vorhanden sind, bilden sich auch
keine trübenden Komplexe.
153
Biotechnologie
ebenso wie die Entfernung der Bursa bei Hühnchen, zur Anfälligkeit für Infektionen. Nach einer
Thymektomie nimmt die Zahl der Lymphocyten
(weißer Blutzellen) stark ab. Da sich die T-Zellen
im Thymus entwickeln, nannte man sie T-Lymphocyten oder T-Zellen (Abb. 5.11).
T-Zelle
Viruspeptid
virusinfizierte
Wirtszelle
Abb. 5.12 Oben: T-Zell-Rezeptor
(TCR). Unten: Struktur eines MHCKlasse-I-Proteins mit präsentiertem Viruspeptid (rot)
Abb. 5.13 Oben: T-Killerzelle
(klein, im Vordergrund) attackiert
eine virusinfizierte Zelle.
Unten links: T-Zelle mit CD8 (grün)
und T-Zell-Rezeptor (TCR, blau).
Unten rechts: T-Helferzelle mit
CD4 (grün) und T-Zell-Rezeptor
(TCR, blau). Beide docken an
virusinfizierter Wirtszelle an, die
ein Viruspeptid (rot) präsentiert.
Lösliche Antikörper (Abschnitt 5.3) wirken zwar
sehr gut gegen Krankheitserreger, die sich außerhalb der Zellen befinden, bieten aber kaum einen
Schutz gegen Viren und Mycobakterien (wie die
Erreger von Lepra und Tuberkulose). Diese sind
durch die Membranen ihrer Wirtszelle vor den
Antikörpern geschützt. Die Evolution hat deshalb
eine raffiniertere Abwehrstrategie entwickelt: die
zellvermittelte Immunantwort.
Cytotoxische T-Lymphocyten (auch Killer-TZellen genannt) suchen ständig die Oberflächen
aller zugänglichen Zellen ab und töten diejenigen,
die körperfremde Kennzeichen tragen (Abb. 5.12
und 5.13). Das ist nicht so einfach, denn die Invasoren wollen keine Spuren hinterlassen. Die
Wirtszellen haben für getarnte Eindringlinge
einen genialen Mechanismus zum Schneiden
(durch Proteasomen) und Vorzeigen entwickelt:
Sie präsentieren an ihrer Oberfläche eine Stichprobe von kleinen Peptiden, die durch Proteinabbau des Eindringlings im Cytosol der Wirtszelle
entstanden sind. Diese Peptide werden nach
außen gebracht und von Zellmembranproteinen
dargeboten (Abb. 5.12), die von dem Haupthistokompatibilitätskomplex (Major Histocompatibility Complex, MHC) codiert werden.
Es existieren prinzipiell MHC-Proteine der Klasse
I und der Klasse II (Abb. 5.13). Die in der Plasmamembran der virusbefallenen Zelle gebundenen MHC-Proteine der Klasse I halten ihre
T-Zelle mit CD8 und TCR
T-Helferzelle mit CD4
und TCR
cytotoxische
T-Zelle
T-Helferzelle
CD4
T-ZellRezeptor
T-ZellRezeptor
CD8
virusinfizierte
Wirtszelle
virusinfizierte
Wirtszelle
MHC-Klasse I
154
MHC-Klasse II
gebundenen Peptide sehr hartnäckig fest, sodass
die Rezeptoren einer Killer-T-Zelle sie berühren
und untersuchen können. Körperfremde gebundene Peptide sind das „Killer-Signal“ und lösen
die Apoptose, den programmierten Zelltod aus,
einen „Selbstmord im Interesse des Gesamtorganismus“.
Cytotoxische T-Zellen besitzen zusätzlich ein als
CD8 (CD bedeutet cluster of differentiation)
bezeichnetes Protein, das der Erkennung des
Komplexes aus MHC-Klasse-I-Protein und des zu
präsentierenden Peptids dient. Bei Erkennung
dieses Komplexes wird das Protein Perforin
abgegeben, das in der Zielzellmembran Poren von
10 nm Durchmesser bildet und die Membran
durchlässig macht. Dann werden Proteasen
(Granzyme) sezerniert. Die Zielzelle wird leck,
stirbt und zerstückelt dabei ihre und die VirusDNA. Die T-Zelle selbst löst sich ab und wird zur
Vermehrung angeregt, nachdem sie sich als geeignete Waffe gegen den Eindringling erwiesen hat.
Nicht alle T-Zellen sind cytotoxisch, also Killer.
T-Helferzellen sind für die Abwehr sowohl
extrazellulärer als auch intrazellulärer Krankheitserreger unerlässlich. Sie regen B-Lymphocyten und cytotoxische T-Zellen zur Vermehrung
an.
Auch die T-Helferzellen werden durch die Erkennung von fremden Antigenen auf der Oberfläche
von Antigen-präsentierenden Zellen, in der Regel
von dendritischen Zellen, aktiviert. Das Antigen liegt dabei als Peptidfragment vor, es wurde
aus dem Fremdprotein in der Antigen-präsentierenden Zelle durch Abbau hergestellt (prozessiert) und von dieser nun auf ihrer Oberfläche der
T-Helferzellen präsentiert. Die Erkennung des
Antigens hängt entscheidend von den MHC-Proteinen der Klasse II auf der Antigen-präsentierenden Zelle ab.
Das Vorzeigen eines Peptids durch MHC-Proteine
der Klasse II signalisiert einen Hilferuf: „Zelle mit
Erreger in Kontakt gekommen!“ Bei Klasse I lautet die Botschaft dagegen: „Zelle dem Erreger
erlegen! Selbstzerstörungsmechanismus einleiten!“
Die T-Helferzellen bedienen sich ihres T-ZellRezeptors und eines Proteins (CD4) auf ihrer
Oberfläche, das eine extrazelluläre immunglobulinähnliche Domäne (gebaut wie Antikörper)
trägt (Abb. 5.13). Die Erkennung des Komplexes
löst hier nicht Ereignisse aus, die zum Tod der Zelle führen, sondern regt die T-Helferzellen dazu
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