Viren, Antikörper und Impfungen 5.1 Viren – das geborgte Leben 146 5.2 Wie Viren Zellen befallen 146 5.3 Wie der Körper Infektionen abwehrt: humorale Immunantwort durch Antikörper 150 5.4 Zelluläre Immunantwort: KillerT-Zellen 153 5.5 Die erste Impfung: mit Kuhpocken gegen echte Pocken 156 5.6 Moderne Impfungen 161 5.7 Lebendimpfstoffe 167 5.8 Monoklonale Antikörper: hochspezifische und einheitliche Zauberkugeln aus dem Bioreaktor 167 5.9 Katalytische Antikörper 169 5.10 Rekombinante Antikörper 173 5.11 Kombinatorische AntikörperBibliotheken 174 5.12 „Huckepack“ oder Phagendisplay – die nächste Revolution 175 5.13 Phagendisplay für hochaffines Wachstumshormon 176 5.14 Neue Hoffnung bei Krebs: Rituximab, ein rekombinanter Antikörper 176 Kapitel 5 Biotechnologie ■ 5.1 Viren – das geborgte Leben Abb. 5.1 Neue Viren bedrohen die globale Menschheit. Die SARSEpidemie legte die Metropole Hongkong für zwei Monate still. Die Hongkonger besiegten das Virus mit hoher Disziplin und auch mit Charme. Abb. 5.2 SARS ist ausgebrochen! Aber selbst die BiotechnologieVorlesungen gingen in Hongkong weiter. Natürliches Thema: „Virusdetektion“. Abb. 5.3 Das SARS-Virus (Severe Acute Respiratory Syndrome Virus) ist ein Coronavirus. Es funktioniert anders als zum Beispiel das Aids-Virus. Das Virus bringt seine einzelsträngige RNA in die Wirtszelle und kopiert sie mit einer RNA-abhängigen RNAPolymerase in spiegelbildliche Kopien. Abb. 5.4 Eine neue globale Bedrohung kann aus der Kombination von Vogel- mit Humangrippe entstehen. 146 Viren sind keine Lebewesen, sie haben keinen eigenen Stoffwechsel und benutzen zu ihrer Vermehrung die Zellmaschinerie von Tieren, Pflanzen oder Bakterien, die sie befallen. Sie können sich grundsätzlich nur in einer Wirtszelle vermehren und sind deshalb nicht selbständig lebensfähig. Damit erfüllen sie die Eigenschaften der Definition von „Leben“ nicht. Im Prinzip sind Viren kleine „Programme“, die sich in die Gene ihrer Wirte einbauen und deren Produktionsmaschinerie nutzen, neue Viren zu produzieren. Die Störprogramme der „Computerviren“ haben einen durchaus ähnlichen Mechanismus. Da Viren keinen eigenen Metabolismus haben, kann man sie auch nicht mit Hemmstoffen wie Antibiotika bekämpfen oder etwa ihren Stoffwechsel lahmlegen. Man kann lediglich an den Punkten der Wechselwirkung mit dem Wirt ansetzen. Man unterscheidet „umhüllte“ (enveloped) Viren und nackte Viren. Die nackten, hüllenlosen Viren umschließen ihr Genom nur durch ein aus Protein aufgebautes Capsid (engl. core). Die umhüllten Viren besitzen dagegen eine aus der Zellmembran des Wirts durch Knospung (budding) abgeschnürte Hülle, also eine Lipidmembran, in die zusätzlich viruscodierte Proteine eingelagert sind. Diese Lipid-Protein-Virushüllmembran umgibt dann das auch bei diesen Viren vorhandene Capsid (Abb. 5.8). Viren unterscheiden sich von den Mikroorganismen dadurch, dass zu ihrer Vermehrung eigentlich nur ihre Nucleinsäure und eine Wirtszelle notwendig ist. Manche Viren bringen aber auch eigene Enzyme mit, die zur Replikation erforderlich sind, beispielsweise die Retroviren, welche die Reverse Transkriptase (Kap. 3) in ihrem Capsid mitliefern. Bei der Vervielfältigung der Nucleinsäure und der Synthese der Virusproteine ist ein Virus immer auf die Wirtszelle (host) angewiesen. Man unterscheidet einen lytischen Zyklus (griech. lysis, Auflösung; daher stammt die Bezeichnung Flemings für das Lysozym, Kap. 2), in dem bei der Freisetzung des Virus die Wirtszelle zerstört wird, und einen nichtlytischen, bei dem die Viren durch Knospen von der Zellmembran abgeschnürt werden (so die Regel bei den umhüllten Viren wie z.B. Influenzaviren oder HIV). Alle Viren enthalten einen einzigen Typ von Nucleinsäure (RNA oder DNA). Die gegenwärtig bekannten Virusarten werden nach ihren Nucleinsäuren, ihren Eiweißhüllen und nach Wirtsspezifität klassifiziert (Abb. 5.5). Zu den RNA-Viren gehören unter anderem das Aids verursachende HI-Virus (Humanes Immunschwächevirus), das Grippe verursachende Influenzavirus, das Masernvirus, das Tollwutvirus sowie das Pflanzen befallende Tabakmosaikvirus (TMV, Kap. 3; die beiden Letztgenannten sind von stabförmiger Gestalt) und die Gruppe der Picornaviren (z. B. Poliovirus (Kinderlähmung) und Rhinovirus, das den profanen Schnupfen verursacht (Abb. 5.3 bis 5.5). Das SARS-Virus (Severe Acute Respiratory Syndrome ), das Hongkong und China besonders im Jahre 2003 in Angst und Schrecken versetzte (Abb. 5.1 bis 5.3), ist ebenfalls ein RNA-Virus, ein sogenanntes Coronavirus, da die Oberfläche der Viren an eine Krone erinnert (lat. corona, Krone). Zu den DNA-Viren gehören beispielsweise die Papovaviren (Warzenviren), unter denen es auch Tumor-auslösende Vertreter gibt, die Pocken(Variola -) und Kuhpocken- (Vaccinia -)Viren, Herpesviren (Erreger verschiedener Hautkrankheiten), Adenoviren (Erreger von Schleimhauterkrankungen), die Bakterien befallenden Bakteriophagen (griech. phagein, fressen, z. B. T4 und M13, Kap. 3) und Baculoviren, die nur Insekten befallen. ■ 5.2 Wie Viren Zellen befallen Viren binden sich immer zunächst an die Oberfläche von Zellen (Abb. 5.6). DNA-Viren wie Bakteriophagen injizieren ihr Erbmaterial (Doppelstrang-DNA) in die Bakterienzelle (Abb. 5.6 links). Nun bilden sie mithilfe der Bakterienzelle Enzyme (T4-DNA-Polymerase) für die Neusynthese von DNA und von mRNA (T4-RNAPolymerase). Diese Enzyme synthetisieren dann neue Virus-DNA. Die aus bakterieller RNA gebildete Virus-mRNA wird von den Bakterienribosomen abgelesen. Die Bakterienzelle bildet somit aus eigenem Baumaterial sowohl die Proteinhülle als auch die DNA der neuen Bakteriophagen. Die „Einzelteile“ lagern sich zu vollständigen Bakteriophagen (etwa 100) zusammen, und diese lysieren die Zelle. Die injizierte Virus-DNA kann aber auch ohne Lyse in die Bakterien-DNA eingebaut werden; man spricht dann von „ruhender“ (dormant) Virus- Viren, Antikörper und Impfungen DNA. Erst in späteren Bakteriengenerationen können die integrierten Viren zur Vermehrung wieder freigesetzt werden. Beim Befall von tierischen-Zellen (Abb. 5.6 rechts) binden Viren an Rezeptoren auf der Zelloberfläche. Die Proteinhülle verschmilzt dann mit der Zellmembran, das Virus dringt ein. Bei RNA-Viren der Gruppe der Retroviren (wie dem HI-Virus) gelangt einzelsträngige RNA in die Zelle. Sie wird durch ein vom Virus mitgebrachtes Enzym (Reverse Transkriptase, Kap. 3) in doppelsträngige DNA umgewandelt. Die umgeschriebene Virus-DNA wird im Zellkern in die chromosomale DNA eingebaut. Die Transkriptionsmaschinerie der Wirtszelle (RNA-Polymerase) schreibt zunächst eine mRNA ab. Nach dieser Vorlage werden mithilfe der Ribosomen virale Proteine synthetisiert. Darunter sind auch NichtStruktur-Proteine, die bei vielen Viren für die Pathogenität verantwortlich sind. Die neu gebildete Virus-RNA und das Viruscapsidprotein lagern sich zu vollständigen neuen Viren zusammen und verlassen anschließend die Zelle. Eine Integration des Virusgenoms kommt nur bei wenigen Virus-Familien vor. Dazu gehören die Herpes- und die Retroviren. Durch die Integration kann das Virus über Generationen von Zellteilungen hinweg stabil in der Wirtszelle bzw. ihren Nachkommen verbleiben, bis es wieder aktiv wird. Bei Viren, bei denen eine Integration ins Wirtsgenom erfolgt, ist das eine „abortive Integration“, die z. B. beim Hepatitis-B-Virus oder den Papillomaviren ursächlich an der Tumorentstehung beteiligt ist. Die Integration führt in diesen Fällen zum Verlust der Replikationsfähigkeit. Intensiv wird nach Strategien gegen Virusbefall gesucht (Box 5.1). Zum Beispiel können spezifische Antikörper Viren durch Quervernetzung (siehe Box 5.9) noch vor dem Zellkontakt und dem Eindringen in die Zielzelle neutralisieren. Die Antikörper können auch durch Maskierung der entsprechenden Bindungsstellen die Viren daran hindern, ihre Zielzellen zu erkennen (Abb. 5.9). Antikörper markieren Viren auch für Fresszellen (Makrophagen, Granulocyten) und verursachen so deren Beseitigung. Bei RNA-Viren können Inhibitoren (Hemmstoffe) gegen die Reverse Transkriptase (Kap. 3) das Umschreiben der viralen RNA in DNA verhindern. Viele solcher derzeit in der HIV-Therapie eingesetzten Hemmstoffe sind allerdings toxisch. Wenn die Zelle neue Virus-RNA bildet, könnte Aids-Virus Influenzavirus Rötelnvirus Papovavirus Herpesvirus Bakteriophage T4 Masernvirus Adenovirus Tollwutvirus Poliovirus Tabakmosaikvirus Abb. 5.5 DNA- und RNA-Viren (nicht maßstabsgerecht). Von oben links nach unten rechts: Aids-Virus (HIV), ein Retrovirus mit Hülle und Einzelstrang-RNA, lange Latenzzeit Influenzavirus, ein Orthomyxovirus, mehrere RNA-Stränge, Hülle, es gibt A-, B- und C-Typen Rötelnvirus (Rubella), klein und rot, Einzelstrang-RNA, Hülle, ein Togavirus Papova- (Papilloma- und Polyoma-)viren, DoppelstrangDNA, nackt; Papillomaviren rufen zum Beispiel Warzenbildung hervor, einige Polyomaviren wie SV40 können bei Tieren Krebs auslösen Pockenvirus Herpesvirus, DoppelstrangDNA, Hülle vernichtet, typische braune Flecken auf Blättern Masernvirus, EinzelstrangRNA, Familie der Paramyxoviren; befällt die Schleimhäute sowie Zellen des Immun- und Nervensystems Poliovirus, gehört zu den Picornaviren, EinzelstrangRNA, nackt; ruft Poliomyelitis, eine schwere Erkrankung des Nervensystems, hervor Bakteriophage T4, Doppelstrang-DNA; befällt Bakterien wie E. coli Pockenvirus (Variola), Doppelstrang-DNA, Hülle, sehr großes Virus Adenovirus, DoppelstrangDNA, nackt; ruft Erkrankungen des Atmungssystems hervor Tollwutvirus (Rabies), Einzelstrang-RNA, ein Rhabdovirus Tabakmosaikvirus, TMV, Einzelstrang-RNA, stabförmig; ganze Kulturen von Chili und Paprika wurden durch TMV 147 Biotechnologie B0x 5.1 Medikamente gegen Viren Viele Strategien können dazu dienen, die Ausbreitung des HI-Virus zu verhindern. Man versucht, das Virus in allen Replikationszyklen zu treffen: 1. Beim Andocken an nichtinfizierte Zellen: Das Virus bindet sich mit gp120 der Virushülle am CD4-Rezeptor der Zelloberfläche von Helfer-T-Lymphocyten. Wenn man Antikörper gegen CD4 hätte, könnten die Andockstellen auf der Zelle abgesättigt werden. Andererseits lassen sich CD4–Moleküle synthetisieren, die, wenn sie ins Blut injiziert werden, an das gp120 der Virushülle binden und dadurch eine Infektion verhindern könnten. Im Labor funktionieren beide Methoden. Es sind aber immunologische Komplikationen zu erwarten, weil jedes CD4 oder Anti-CD4 die Wechselwirkung von CD4 mit seinem natürlichen Liganden verhindert. 2. Die Hemmung der Reversen Transkriptase ist eine effektive Methode. HIV ist ein Retrovirus, seine RNA muss also zunächst in DNA umgeschrieben werden. Substanzen wie Azidothymidin (AZT, auch Zidovudin genannt), Lamivudin und Didesoxyinosin (ddi) sind analog zu Nucleotiden aufgebaut und werden „irrtümlich“ vom Enzym in die Polynucleotidkette eingebaut. Der erste potente Wirkstoff gegen Herpes, Aciclovir, funktioniert übrigens ebenfalls als nucleotidanaloger Hemmstoff der Revertase. Er funktioniert sehr effektiv durch Auftragen einer Salbe bei Herpes simplex und Herpes zoster (Gürtelrose) und ist relativ ungiftig. Andere Hemmstoffe blockieren das aktive Zentrum der HIV-Revertase (wie Neviragin und Delavirdin). 3. Antisense-RNA („Gegensinn-RNA“) ist eine RNA-Kopie, die exakt komplementär zum Genom des HI-Virus ist. Die AntisenseRNA codiert nicht für Proteine und ist damit ohne Funktion in der Zelle. Da das Virusgenom eine einzelsträngige RNA ist, die bei einer Infektion freigesetzt wird, könnte sich die virale RNA sofort mit der „wartenden“ Computer-aided drug design: Medikamente können am Computer entworfen und getestet werden. Automatisierte Andockmethoden werden genutzt, um die beste Stelle am Biomolekül zum Andocken zu finden. Wenn die vorhergesagte Bindung stark genug ist, kann das Molekül synthetisiert und auf Aktivität getestet werden. Die beste Stelle ist hier für Saquinavir rot gezeigt. HI-Virus Fusion 1. Fusionshemmer HIV-Protease (oben) und Aids-Medikamente: Indinavir, Saquinavir, Ritnavir und Nelfinavir (von links oben nach rechts unten) RNA-Reverse Transkriptase 2. Transkriptase-Hemmer Integration 3. Integrase-Hemmer Antisense-RNA zu einem stabilen „sinnlosen“ RNA/RNA-Hybrid verbinden, das kein Provirus bilden kann. Das könnte über Gentherapie bzw. Stammzellen (Kap. 10) erreicht werden. Immunzelle Das Antisense-Medikament Fomivirsen dient heute schon erfolgreich bei Aidspatienten zur Behandlung einer viralen Augeninfektion, die sonst unweigerlich zur Erblindung geführt hatte. Vermehrung 4. Protease-Hemmer Verpackung der Virus-RNA Synthese neuer Virusproteine Ausschleusung neuer Viren infektiöse Virusnachkommen Strategien zur Hemmung der Ausbreitung des HI-Virus 148 4. Hemmung der HIV-Protease. Medikamente, die die HIV-Protease blockieren, sind ein Triumph der modernen Medizin und des molekularen Designs. Die Protease spaltet die vom Virus in langen Ketten hergestellten Polypeptide zur exakt richtigen Zeit in kurze Stücke, die zur Verpackung der neuen Viren gebraucht werden. Wenn sich das Medikament fest an die Protease bindet und ihre Aktion blockiert, kann das Virus nicht zur infektiösen Form reifen. Viren, Antikörper und Impfungen RNA-Virus Bakterienzelle Säugerzelle Synthese von Virus-DNA Bakterien-DNA Bakteriophage T4 (DNA-Virus) Virusrezeptor Einbau in chromosomale DNA Virus-RNA Virus-DNA Synthese neuer Virus-RNA Injektion Synthese von Virusproteinen Zellkern neugebildete Virus-DNA Verpackung der Virus-DNA Freisetzung von 200 bis 300 neuen Bakteriophagen Synthese von Virusproteinen (Revertase und Hüllproteine) Verpackung der Virus-RNA Ausschleusung neuer Viren diese durch Antisense-RNA („GegensinnRNA“, sie passt chemisch wie ein Spiegelbild zur RNA, Kap. 10) inaktiviert werden. dar. Alle diese verschiedenen Abwehrstrategien verfolgt man gegenwärtig bei der Aidsforschung (Box 5.1). Eine neue Strategie ist die Verwendung von kurzen Doppelstrang-RNA-Stücken (RNAi, das „i“ steht für Interferenz, ausführlich in Kap. 9). Mit künstlich erzeugter RNAi von 21 bis 23 Nucleotiden Länge legte der deutsche Wissenschaftler Tom Tuschl (siehe Abb. 9.28) erstmals Säugetiergene still, ohne die störende Interferonantwort auszulösen (diese führt zum Abbau jeglicher RNA). Seitdem gelang es z. B. beim AidsErreger HIV, spezifische Gene (nef-, rev-, gag-, polGene) stillzulegen. Erste Erfolge gibt es bei der Bekämpfung des Influenza- und des Hepatitis-CVirus. Da das HI-Virus hauptsächlich die sogenannten T-Helferzellen befällt, die für das Zustandekommen der körpereigenen Abwehr notwendig sind, könnte man den Körper auch durch gentechnisch produzierte Cytokine (z. B. Interleukin-2) stärken. Zuerst würde das Virus durch chemische Mittel „mattgesetzt“, erst danach würden Immunzellen durch Interleukin-2-Gaben stimuliert. Hemmstoffe gegen die viruscodierte Protease, die bei der Reifung der viralen Proteine eine wichtige Rolle spielt, stellen häufig genutzte Therapeutika bei der Behandlung von HIV-Infizierten Bei anderen Virusinfektionen werden Interferone eingesetzt. Virusinfizierte Zellen bilden natürlicherweise Interferone und scheiden sie aus (Sekretion, Kap. 9). Sezerniertes oder künstlich in den Körper eingeführtes Interferon bindet an spezifische Rezeptormoleküle an der Oberfläche anderer Zellen und ändert die Zellaktivitäten. Es kommt zur Synthese von Proteinen, die Zellen gegen Virusinfektionen widerstandsfähig machen. Abb. 5.6 Wie Viren Zellen befallen. Links: Bakteriophagen attackieren Escherichia coli ; rechts: HIV befällt eine menschliche Zelle. Abb. 5.7 Wie der Körper Infektionen abwehrt. Ausführliche Beschreibung in Kapitel 9. Hier zu sehen sind Makrophagen, Antikörper und T-Zellen. 149 Biotechnologie 60 Untereinheiten Virusproteinhülle RNA Die Ausbrüche heute bekannter Infektionskrankheiten liegen daher erstaunlich kurz zurück: Pocken traten erstmals um 1600 vor unserer Zeit auf, Mumps und Pest um 400 vor unserer Zeit, Cholera und Fleckfieber sogar erst im 16. Jahrhundert! Die eurasischen Völker konnten über Jahrhunderte hinweg Immunität dagegen entwickeln und hatten im Spiel gegen die Epidemien ein Remis erzwungen. Die Bewohner der Neuen Welt hatten dagegen keine Zeit, „Abwehrgene“ zu verbreiten, sie fielen den Keimen unvorbereitet fast restlos zum Opfer. Abb. 5.8 Oben: Wie sich Untereinheiten eines Viruscapsids aus Peptidketten bilden. Oben rechts: Das Poliovirus, das erstmals 2002 vollständig von Grund auf synthetisiert wurde, besteht aus einem langen RNA-Strang in einem hohlen Proteincapsid (oben rechts). Abb. 5.9 Wie Antikörper ein Virus neutralisieren: Gezeigt sind hier in Hellgrün nur die bindenden Arme (Fab-Fragmente), nicht der „Fuß“ der Antikörper. Deutlich wird, dass die Spikes des Virus durch Antikörper bedeckt und somit neutralisiert sind. Wie das Lymphokin Interleukin-2 (IL-2) wurden auch die Interferone in der ersten Begeisterung als die Wunderarzneimittel der Zukunft begrüßt, die viele Krankheiten, von der gewöhnlichen Erkältung bis hin zum Krebs, heilen sollten. Sie sind diesen unrealistischen Erwartungen nicht gerecht geworden. Die heilende Wirkung ist normalerweise nur schwach, und die Nebenwirkungen sind oft schwer. Interferone sind wie IL-2 für die Behandlung einiger Krankheiten des Menschen von Wert, aber meist nur in Kombination mit anderen Medikamenten (Kap. 9). ■ 5.3 Wie der Körper Infektionen abwehrt: humorale Immunantwort durch Antikörper Abb. 5.10 Wie Antikörper Antigene binden: Eine tiefe Höhlung bindet ein kleines Fulleren-Molekül (oben, Buckminster-Fulleren); eine große, flache Oberfläche der Antigen-Bindungsstelle bindet dagegen das Protein Lysozym (unten). 150 Indios und den Europäern durch die großen Viehherden der sesshaften Bauern Eurasiens. Hier entwickelten sich akut und endemisch verlaufende Krankheiten als Tierkrankheiten und griffen später auch auf menschliche Populationen ähnlicher Dichte über (Box 5.4). Bakterien und Viren waren zunächst unbewusst die Biowaffen der Europäer bei der Eroberung Amerikas: Sie besorgten den Großteil der mörderischen Arbeit. Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert brachten die Eroberer und Besiedler Amerika und auch den ozeanischen Inseln Masern, Pocken, Grippe, Typhus, Diphtherie, Malaria, Mumps, Keuchhusten, Pest, Tuberkulose und Gelbfieber mit, während die Indianer (von der Syphilis mit unklarem Ursprung einmal abgesehen) keinen einzigen todbringenden Erreger „auf ihrer Seite“ hatten. Auf dem amerikanischen Kontinent gab es vorher offenbar keine Seuchen. Nach Jared Diamond kam es zur „Ungleichheit der Waffen“ zwischen den Indianern bzw. den Wie schützt uns das Immunsystem? Im Folgenden müssen wir uns mit einer vereinfachten Antwort begnügen: Das Immunsystem ist so komplex, dass seine Schilderung den Rahmen eines Einsteigerbuches für Biotechnologie überschreiten würde. Das Immunsystem kann zwischen „Selbst“ und „Nicht-Selbst“ unterscheiden. Es kann hundert Millionen (108) verschiedene Antikörperspezifitäten und über eine Billion (1012) verschiedene TZell-Rezeptoren bilden. Das Immunsystem besteht aus zwei parallel wirkenden, aber eng verflochtenen Systemen: der humoralen und der zellulären Immunantwort. Bei der humoralen Immunantwort (lat. humor, Flüssigkeit) dienen lösliche Proteine, Antikörper (Immunglobuline, Box 5.3), als Erkennungselemente. Außerdem gibt es humorale Abwehrfaktoren, das Lysozym (Kap. 2) und die Interferone. Antikörper binden körperfremde Moleküle oder Zellen, kennzeichnen sie damit als Eindringlinge und fördern somit die Phagocytose durch Fresszellen. Gebildet werden die Antikörper von Plasmazellen, die ihrerseits aus B-Zellen hervorgehen. Die Bezeichnung erhielten die B-Zellen (B-Lymphocyten) nach der Bursa fabricii, die nur bei Vögeln vorkommt – ein lymphatisches Organ im Endabschnitt der Kloake (Abb. 5.11). In der Bursa reifen Lymphocyten zu B-Lymphocyten heran. Entfernte man bei Hühnchen die Bursa, waren sie hochgradig empfänglich für Bakterieninfektionen. Sie waren nicht mehr zur Antikörperbildung fähig. Viren, Antikörper und Impfungen Box 5.2 Expertenmeinung: Tests auf HIV-Infektion Es gibt viele Gründe dafür, den HIV-Status einer Person zu ermitteln, das heißt, sie darauf zu testen, ob sie mit dem HI-Virus (Humanen Immundefizienz-Virus) infiziert ist oder nicht. Für Betroffene ist es unabdingbar, ihren Status zu kennen, damit sie von den enormen medizinischen Fortschritten der letzten 25 Jahre profitieren können. Mit der modernen antiviralen Therapie können die meisten Infizierten trotz bestehender HIVInfektion eine hohe Lebensqualität genießen, statt an Aids zu sterben. Außerdem werden ständig HIV-Tests durchgeführt, um die Sicherheit von Blutkonserven zur Transfusion zu gewährleisten, sowie als Reihenuntersuchung an schwangeren Frauen, um durch rechtzeitige Maßnahmen das Risiko einer Übertragung von der Mutter auf ihr Kind zu verringern. Vor der Durchführung eines jeden HIV-Tests muss man zunächst eine Einverständniserklärung der zu testenden Person einholen. Apropos: Den Begriff Aidstest sollte man vermeiden: Aids ist ein klinischer Zustand, der sich nach Jahren der Infektion bei den meisten HIV-infizierten Personen entwickelt; der Test wird jedoch durchgeführt, um das Vorhandensein des HI-Virus nachzuweisen. Eine HIV-Infektion wird in der Regel indirekt diagnostiziert durch den Nachweis virusspezifischer Antikörper. Praktisch alle HIVInfizierten bilden solche Antikörper. Unglücklicherweise führen diese aber im Gegensatz zu den meisten anderen Virusinfektionen nicht zur Immunität. Zum Nachweis der Antikörper gibt es verschiedene Tests. Am häufigsten werden sogenannte enzymgekoppelte Immunadsorptionstests (ELISA, Enzyme-linked Immunosorbent Assays) eingesetzt. Derartige Screening-Tests zeichnen sich durch eine sehr hohe Sensitivität aus, das heißt, man kann damit positive Proben als positiv identifizieren. Im Normalfall zeigt nur weitaus weniger als eine von 1000 positiven Proben ein falsch negatives Testergebnis. Erreicht wird dies durch Verwendung geeigneter Antigene (auf die die Antikörper der Patienten im Test reagieren) und sorgfältige Optimierung des gesamten Assays (der konzipiert wurde, um die Antigen-Antikörper-Reaktion sichtbar zu machen). So wird das Risiko eines falsch Das Humane Immundefizienz-Virus (HIV) ist die Ursache des erworbenen Immundefektsyndroms (Aids, Acquired Immunedeficiency Syndrome). Es handelt sich um ein Retrovirus – ein behülltes Virus mit RNA-Genom. Für die Replikation wird das RNA-Genom durch reverse Transkription mithilfe des Enzyms Reverse Transkriptase in DNA umgeschrieben. Ein weiteres, unter der Bezeichnung Integrase bekanntes Enzym hilft dabei, die virale DNA in das Wirtsgenom einzubauen. Bei Aids beginnt das Immunsystem zu versagen, was zu lebensgefährlichen opportunistischen Infektionen führt. Die Infektion mit HIV kann über Blut, Sperma, Scheidenflüssigkeit, Präejakulat oder über die Muttermilch erfolgen. Diese Körperflüssigkeiten können freie Viruspartikel enthalten oder Viren in infizierten Immunzellen. Die drei Hauptinfektionswege sind ungeschützter Geschlechtsverkehr, kontaminierte Spritzen und die Übertragung von infizierten Müttern auf ihr Baby bei der Geburt oder durch das Stillen. HIV infiziert in erster Linie wichtige Zellen des menschlichen Immunsystems wie THelferzellen (speziell CD4+-T-Zellen), Makrophagen und dendritische Zellen. Die HIV-Infektion führt durch unterschiedliche Mechanismen zu einem erniedrigten Spiegel von CD4+-T-Zellen. Wenn die Zahl der CD4+-T-Zellen unter einen kritischen Wert fällt, geht die zellvermittelte Immunität verloren, und der Körper wird zunehmend anfällig für opportunistische Infektionen. Unbehandelt entwickeln die meisten HIV-Infizierten Aids und sterben daran, während etwa jeder Zehnte noch viele Jahre ohne erkennbare Symptome gesund bleibt. negativen Ergebnisses minimiert und eine sichere Diagnosestellung gewährleistet. Andererseits ist die Spezifität dieser Screening-Tests – darunter versteht man die Fähigkeit, negative Proben korrekt zu erkennen – für gewöhnlich weniger hoch. Das bedeutet, dass eine Probe gelegentlich ein positives (oder besser ein reaktives) Ergebnis zeigt, obwohl sie in Wirklichkeit keine Antikörper gegen HIV enthält. Diese unspezifische Reaktivität kann durch zahlreiche Faktoren hervorgerufen werden; die meisten davon haben keine pathologische (krankhafte) Ursache. Ein reaktiver („positiver“) Screening-Test allein bedeutet also nicht unbedingt, dass die getestete Person Antikörper hat und demnach mit HIV infiziert ist! Aus diesem Grund muss jeder reaktive Screening-Test durch mindestens einen weiteren nachfolgenden Assay bestätigt werden. Dies kann beispielsweise der sogenannte Western Blot (in Deutschland und USA obligatorisch) sein oder alternativ dazu eine Reihe verschiedener Tests, die in einer definierten Reihenfolge (Algorithmus) durchgeführt werden. Nur wenn diese Bestätigungstests die Reaktivität der Probe untermauern, ist das Vorliegen von Antikörpern bestätigt und kann eine HIV-Infektion diagnostiziert werden, und die Testperson wird informiert, dass sie HIV-positiv ist. Es sollte aber auf jeden Fall eine zweite Blutprobe zum Test eingeschickt werden, um Verwechslungen auszuschließen. Zwar sind die Sensitivität und die Spezifität eines bestimmten HIV-Assays normalerweise bekannt, in der Praxis sind jedoch weitere Parameter von noch größerer Relevanz. Wir kennen nicht den „wahren“ HIV-Status der Testperson, sondern müssen ihn aus den Testergebnissen schließen. Der positive Vorhersagewert (positive predictive value, PPV) gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der ein positives Testergebnis einen wirklich infizierten Patienten anzeigt; umgekehrt gibt der negative Vorhersagewert (NPV) die Wahrscheinlichkeit an, mit der ein negatives Testergebnis anzeigt, dass die Testperson tatsächlich nicht infiziert ist. Diese Vorhersagewerte hängen nicht nur von der Sensitivität und der Spezifität des jeweiligen Tests ab, sondern auch von der Häufigkeit von HIV in der getesteten Bevölkerungsgruppe. Unglücklicherweise wird dieses statistische Phänomen häufig dazu missbraucht, die angebliche Nutzlosigkeit von HIV-Tests zu „belegen“. In Bevölkerungsgruppen mit einem sehr niedrigen Vorkommen von HIV (zum Beispiel sorgfältig ausgewählte Blutspender) ist die Mehrzahl derer mit einem reaktiven Testergebnis tatsächlich nicht infiziert. In Gruppen mit einer hohen Prävalenz hingegen ist die Chance, dass ein positives Testresultat tatsächlich eine Infektion anzeigt, sehr hoch. Aber genau deswegen müssen alle reaktiven Screening-Tests bestätigt werden, bevor man eine Diagnose stellen kann. Das ist jedoch keinesfalls ein Grund, HIV-Tests als nutzlos in Verruf zu bringen! In Bevölkerungsgruppen mit einer hohen Infektionsrate zeigt die überwiegende Mehrzahl der reaktiven Testergebnisse leider tatsächlich ein positives Ergebnis an. Deshalb legen die RichtliniFortsetzung nächste Seite 151 Biotechnologie ßen Aufwand mit Kapillarblut (aus der Fingerkuppe) durchführen. Sie erfordern nur eine minimale Ausstattung, und die Testergebnisse liegen in der Regel innerhalb einer halben Stunde vor. Prof. Mark Newman (University of Michigan) und sein Team haben neue Karten erstellt: Das obere Bild zeigt die normale Weltkarte; die Größe der Länder der Welt ist dabei proportional zu ihrer tatsächlichen Größe auf der Oberfläche unseres Planeten abgebildet, die Umrisse entsprechen der Realität. Man kann jedoch die Größe der Länder auf der Karte verändern, um einen bestimmten Sachverhalt grafisch darzustellen und zu verdeutlichen. Derartige Karten bezeichnet man als Kartogramme. Sie können geografische oder soziale Daten besonders anschaulich darlegen. Die untere Karte zeigt die Zahl der Einwohner mit HIV/Aids. (Karten mit freundlicher Genehmigung von Mark Newman, UMICH) Die HIV-Infektion beim Menschen ist mittlerweile eine Pandemie. Laut dem Gemeinsamen Programm der Vereinten Nationen für HIV/Aids (UNAIDS) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind seit der Erstentdeckung von Aids im Dezember 1981 bis Januar 2006 mehr als 25 Millionen Menschen der Krankheit zum Opfer gefallen. Aids ist eine der verheerendsten Pandemien der Geschichte. Allein im Jahr 2005 forderte Aids schätzungsweise 2,4 bis 3,3 Millionen Menschenleben, darunter mehr als 570 000 Kinder. Geschätzte 0,6 % der Weltbevölkerung sind mit HIV infiziert. Ein Drittel dieser Todesfälle betrifft Afrika südlich der Sahara, bremst das Wirtschaftswachstum und führt vermehrt zu Armut in diesen Gebieten. Nach aktuellen Schätzungen werden in Afrika 90 Millionen Menschen infiziert werden, wodurch wiederum mindestens 18 Millionen Kinder zu Waisen werden. Zwar lassen sich durch antiretrovirale Therapien sowohl die Sterblichkeit als auch die Erkrankungswahrscheinlichkeit bei einer HIV-Infektion verringern, aber die antiretroviralen Medikamente sind nicht in allen Ländern frei verfügbar. en der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für solche Gegebenheiten einfachere Bestätigungsalgorithmen fest. Unter bestimmten Umständen sind Schnelltests (auch als Vor-Ort-Tests oder Point-ofcare-Tests bezeichnet, im Englischen rapid/simple test devices) den Labortests vorzuziehen. Meist kann man diese ohne gro- 152 Besonders wertvoll sind Schnelltests, wenn das Ergebnis schnell gebraucht wird: in Notaufnahmen, nach Nadelstichverletzungen usw. Sie können auch dazu beitragen, die Rate „nicht abgeholter“ Testergebnisse zu senken (wenn die Patienten nicht wiederkommen, um ihr Testergebnis zu erfahren). In vielen Gebieten mit mangelnder Infrastruktur stellen sie die einzig durchführbare Möglichkeit dar. Ein Algorithmus aus verschiedenen Schnelltests kann sogar zur Bestätigungszwecken eingesetzt werden und macht es unnötig, zusätzlich Proben ins Labor zu schicken. Die Qualitätskontrolle von Schnelltests stellt zwar eine erhebliche Herausforderung dar, ist aber äußerst wichtig. Allen auf dem Nachweis von HIV-spezifischen Antikörpern basierenden Tests ist ein Problem gemeinsam: Patienten in sehr frühen Infektionsstadien werden durch sie nicht erkannt, weil der Körper eine Immunantwort erst noch aufbauen muss. Die Zeitspanne, bis Antikörper erkennbar werden, bezeichnet man „diagnostische Lücke“ oder „diagnostisches Fenster“. Durch verschiedene Ansätze kann man diese „Lücke“ wesentlich verkürzen: etwa durch eine direkte Diagnose anhand der Isolierung des infektiösen Virus oder durch Nachweis viraler Antigene oder Materials aus dem Virusgenom (Nucleinsäure). Zur Isolation des Virus muss in spezialisierten Labors eine Zellkultur angelegt werden; sie ist daher unpraktisch und kostspielig. Dagegen sind Untersuchungen auf HIV-p24-Antigen zu einem wesentlichen Bestandteil der Untersuchungen geworden. Man verwendet dabei Screening-Assays der vierten Generation, die Resultat: positiv Kontrollbalken Patientenbalken Beispiel für einen Schnelltest (Capillus) negativ neben spezifischen Antikörpern auch das virale Antigen sichtbar werden lassen und so die diagnostische Lücke stark verkürzen. Unter bestimmten Umständen wendet man auch sogenannte NAT-Tests (für Nuclein Acid Test) an, die direkt virales Genom nachweisen, zum Beispiel mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR): um bei Blutspendern eine Infektion auszuschließen und um bei Patienten mit vermuteten Primärinfektionen sowie bei Babys HIV-infizierter Mütter HIV-Infektionen zu diagnostizieren. Bei solchen Babys sind normalerweise bis zum Alter von zwölf bis 15 Monaten passive (über die Placenta erworbene) mütterliche HIV-Antikörper nachweisbar. Deswegen haben Kinder HIV-positiver Mütter anfänglich positive Ergebnisse bei HIV-Tests, bis ihr Körper die mütterlichen Antikörper eliminiert hat. Glücklicherweise ist die Mehrzahl dieser zunächst seropositiven Babys jedoch nicht selbst infiziert; eine gute Prävention der Mutter-Kind-Übertragung kann die Rate vertikaler Übertragungen auf unter 1 % senken. Durch NAT kann man infizierte Babys rechtzeitig erkennen und eine geeignete Behandlung einleiten. Wenn in besonderen Fällen, wie oben erklärt, Antikörpertests nicht weiterhelfen, kann man eine NAT auf provirale cDNA in Leukocyten durchführen; hierbei wird eine Infektion mittels eines qualitativen Assays („ja oder nein?“) diagnostiziert. Die Quantifizierung von HIV-RNA im Blutplasma („wie viel?“), die sogenannte Viruslast, kann als prognostischer Marker dienen, um den Erfolg der Therapie zu überwachen und die Ansteckungsgefahr abzuschätzen. Im Zusammenhang mit der antiviralen Therapie ist dieser Test ein wichtiges Hilfsmittel geworden. Viruslasttests sind jedoch nicht dafür bestimmt, eine Infektion zu diagnostizieren, und können gelegentlich bei nicht infizierten Personen fälschlich niedrig-positive Ergebnisse erbringen. In den richtigen Händen und von erfahrenen Profis durchgeführt sind Tests auf HIV-Infektionen heutzutage extrem zuverlässig und können in fast allen Fällen eine definitive Antwort liefern. Bei rechtzeitiger Durchführung bieten HIV-Tests die Chance, durch eine antivirale Therapie eine schwerwiegende Erkrankung oder sogar den vorzeitigen Tod zu verhindern und durch Präventionsmaßnahmen das Risiko der Ansteckung anderer zu senken. Viren, Antikörper und Impfungen Ein körperfremdes Makromolekül (oder eine Zelle bzw. ein Virus), nennt man Antigen. Antikörper richten sich mit ihrer Bindungskraft (Affinität) nicht gegen das gesamte Antigen, sondern nur gegen eine exponierte Stelle auf dem Molekül, die man als Epitop oder antigene Determinante bezeichnet. Prof. Wolfgang Preiser wude in Frankfurt am Main geboren und studierte Medizin. Später spezialisierte er sich an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in seiner Heimatstadt und am University College in London auf medizinische Virologie. Während des Ausbruchs von SARS (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom) im Jahr 2003 war er an der Identifizierung des Erregers beteiligt und wurde vorübergehend als Berater der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nach China gesandt. Seit 2005 ist er Professor und Leiter der Abteilung für medizinische Virologie an der Stellenbosch University in Südafrika. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Entwicklung und Bewertung neuer Methoden zur Labordiagnose viraler Infektionen sowie tropische und neu aufkommende Viren. Dr. Stephen Korsman ist medizinischer Virologe an der Walter Sisulu University/ Mthatha National Health Laboratory Service Pathology Department in Südafrika. Seine Interessensgebiete sind die Mutter-KindÜbertragung von HIV, neu entstehende Infektionskrankheiten, molekulare Diagnostik und medizinische Aufklärung. Quellen: Weltgesundheitsorganisation (WHO), HIV-/AidsDiagnostik: http:// www.who.int/ hiv/amds/ diagnostics/en/ index.html Center for Disease Control and Prevention (CDC), USA, Abteilung HIV-/Aids-Prävention: http:// www.cdc.gov/ hiv/ testing.htm, http:// www.cdc.gov/ hiv/rapid_testing/ U.S. Food and Drug Administration (FDA), Center for Biologics Evaluation and Research (CBER): zugelassene Tests auf HIV, HTLV und Hepatitis: http:// www.fda.gov/cber/products/ testkits.htm Eine Infektion mobilisiert mehrere kooperierende Populationen von Immunzellen. B-Lymphocyten tragen Antikörper als Erkennungsmoleküle (Oberflächenrezeptoren) auf ihrer Oberfläche. Im Allgemeinen werden sie jedoch von zirkulierenden Antigenen nicht aktiviert. Zuerst muss das Antigen von einer Antigen-präsentierenden Zelle aufgenommen werden. Diese Funktion übernimmt ein Makrophage oder eine dendritische Zelle. Das Antigen wird von dieser Zelle „bearbeitet“ (prozessiert), erscheint dann auf der Zelloberfläche und wird einer T-Helferzelle „präsentiert“. Diese bildet durch den Stimulus Interleukin-2 und aktiviert damit B-Zellen, die zuvor ebenfalls Antigenkontakt hatten. Diese B-Zellen vermehren sich nun stark, bilden einen Zellklon (klonale Selektion) und differenzieren sich: Einige Nachkommen werden zu Gedächtniszellen, die bei neuerlicher Infektion eine schnellere Immunreaktion ermöglichen, andere entwickeln sich zu Antikörper-produzierenden Plasmazellen. Die frei zirkulierenden Antikörper binden das Antigen und markieren es damit für die Zerstörung durch andere Komponenten des Immunsystems. Neben diesen genannten Mechanismen wirkt das körpereigene Komplementsystem, eine Kaskade von etwa 30 Proteinen. Sie sind im Blutplasma gelöst oder zellgebunden und dienen der Abwehr von Mikroorganismen (z. B. Bakterien, Pilze, Parasiten). Sie haben stark zellzerstörende Eigenschaften und können, wenn sie unreguliert wirken, im Verlauf vieler Krankheiten (Herzinfarkt, systemischer Lupus erythematodes, Rheumatoide Arthritis) für Gewebsschäden verantwortlich sein. Durch Komplementkomponenten werden dann die Zellmembran und damit Bakterien oder geschädigte und entartete Zellen zerstört (Kap. 9). Die 14. Auflage des regelmäßig aktualisierten medizinischen Lehrbuchs bietet einen umfassenden und aktuellen Überblick über die Behandlung von HIV-Infektionen. (825 Seiten, ISBN: 3-924774-50-1 – ISBN-13: 978-3-924774-50-9). Der gesamte Text ist kostenfrei online abrufbar unter: http://hivmedicine.com/textbook/testing.htm ■ 5.4 Zelluläre Immunantwort: Killer-T-Zellen Preiser W, Korsman S (2007) HIV Testing. Kapitel 3 in www. hiv medicine.com Entfernt man bei jungen Säugetieren den Thymus (Bries, innere Brustdrüse), so führt das, Abb. 5.11 Oben: 1927 wurde Michael Heidelberger (1888-1991) Laborchef am Mount Sinai Hospital in New York und ging an die Columbia Universität als Professor. Dort entwickelte er mit Forrest E. Kendall die noch heute verwendete im Cartoon gezeigte „Heidelberger Kurve“. Heidelbergers geniale Idee war nun, dass man die Bindung von Ag und Ak benutzen kann, um festzustellen, wieviel Antigen mengenmäßig im Körper anwesend ist. Mitte: B-Zellen (B-Lymphocyten) bekamen ihren Namen nach der Bursa fabricii, die nur bei Vögeln vorkommt, ein lymphatisches Organ im Endabschnitt der Kloake. Unten: Wie Antikörper mit Antigenen Komplexe bilden: Das Cartoon zeigt, wie y-förmige Antikörper (hier känguruhartige Moleküle) mit ihren zwei „Armen“ Antigene (z.B. Viren, im Cartoon deren Babies) binden und grosse Komplexe bilden, die zur Trübung der Lösung führen. So mass man die ersten Immunreaktionen technisch. Wenn keine Antigene vorhanden sind, bilden sich auch keine trübenden Komplexe. 153 Biotechnologie ebenso wie die Entfernung der Bursa bei Hühnchen, zur Anfälligkeit für Infektionen. Nach einer Thymektomie nimmt die Zahl der Lymphocyten (weißer Blutzellen) stark ab. Da sich die T-Zellen im Thymus entwickeln, nannte man sie T-Lymphocyten oder T-Zellen (Abb. 5.11). T-Zelle Viruspeptid virusinfizierte Wirtszelle Abb. 5.12 Oben: T-Zell-Rezeptor (TCR). Unten: Struktur eines MHCKlasse-I-Proteins mit präsentiertem Viruspeptid (rot) Abb. 5.13 Oben: T-Killerzelle (klein, im Vordergrund) attackiert eine virusinfizierte Zelle. Unten links: T-Zelle mit CD8 (grün) und T-Zell-Rezeptor (TCR, blau). Unten rechts: T-Helferzelle mit CD4 (grün) und T-Zell-Rezeptor (TCR, blau). Beide docken an virusinfizierter Wirtszelle an, die ein Viruspeptid (rot) präsentiert. Lösliche Antikörper (Abschnitt 5.3) wirken zwar sehr gut gegen Krankheitserreger, die sich außerhalb der Zellen befinden, bieten aber kaum einen Schutz gegen Viren und Mycobakterien (wie die Erreger von Lepra und Tuberkulose). Diese sind durch die Membranen ihrer Wirtszelle vor den Antikörpern geschützt. Die Evolution hat deshalb eine raffiniertere Abwehrstrategie entwickelt: die zellvermittelte Immunantwort. Cytotoxische T-Lymphocyten (auch Killer-TZellen genannt) suchen ständig die Oberflächen aller zugänglichen Zellen ab und töten diejenigen, die körperfremde Kennzeichen tragen (Abb. 5.12 und 5.13). Das ist nicht so einfach, denn die Invasoren wollen keine Spuren hinterlassen. Die Wirtszellen haben für getarnte Eindringlinge einen genialen Mechanismus zum Schneiden (durch Proteasomen) und Vorzeigen entwickelt: Sie präsentieren an ihrer Oberfläche eine Stichprobe von kleinen Peptiden, die durch Proteinabbau des Eindringlings im Cytosol der Wirtszelle entstanden sind. Diese Peptide werden nach außen gebracht und von Zellmembranproteinen dargeboten (Abb. 5.12), die von dem Haupthistokompatibilitätskomplex (Major Histocompatibility Complex, MHC) codiert werden. Es existieren prinzipiell MHC-Proteine der Klasse I und der Klasse II (Abb. 5.13). Die in der Plasmamembran der virusbefallenen Zelle gebundenen MHC-Proteine der Klasse I halten ihre T-Zelle mit CD8 und TCR T-Helferzelle mit CD4 und TCR cytotoxische T-Zelle T-Helferzelle CD4 T-ZellRezeptor T-ZellRezeptor CD8 virusinfizierte Wirtszelle virusinfizierte Wirtszelle MHC-Klasse I 154 MHC-Klasse II gebundenen Peptide sehr hartnäckig fest, sodass die Rezeptoren einer Killer-T-Zelle sie berühren und untersuchen können. Körperfremde gebundene Peptide sind das „Killer-Signal“ und lösen die Apoptose, den programmierten Zelltod aus, einen „Selbstmord im Interesse des Gesamtorganismus“. Cytotoxische T-Zellen besitzen zusätzlich ein als CD8 (CD bedeutet cluster of differentiation) bezeichnetes Protein, das der Erkennung des Komplexes aus MHC-Klasse-I-Protein und des zu präsentierenden Peptids dient. Bei Erkennung dieses Komplexes wird das Protein Perforin abgegeben, das in der Zielzellmembran Poren von 10 nm Durchmesser bildet und die Membran durchlässig macht. Dann werden Proteasen (Granzyme) sezerniert. Die Zielzelle wird leck, stirbt und zerstückelt dabei ihre und die VirusDNA. Die T-Zelle selbst löst sich ab und wird zur Vermehrung angeregt, nachdem sie sich als geeignete Waffe gegen den Eindringling erwiesen hat. Nicht alle T-Zellen sind cytotoxisch, also Killer. T-Helferzellen sind für die Abwehr sowohl extrazellulärer als auch intrazellulärer Krankheitserreger unerlässlich. Sie regen B-Lymphocyten und cytotoxische T-Zellen zur Vermehrung an. Auch die T-Helferzellen werden durch die Erkennung von fremden Antigenen auf der Oberfläche von Antigen-präsentierenden Zellen, in der Regel von dendritischen Zellen, aktiviert. Das Antigen liegt dabei als Peptidfragment vor, es wurde aus dem Fremdprotein in der Antigen-präsentierenden Zelle durch Abbau hergestellt (prozessiert) und von dieser nun auf ihrer Oberfläche der T-Helferzellen präsentiert. Die Erkennung des Antigens hängt entscheidend von den MHC-Proteinen der Klasse II auf der Antigen-präsentierenden Zelle ab. Das Vorzeigen eines Peptids durch MHC-Proteine der Klasse II signalisiert einen Hilferuf: „Zelle mit Erreger in Kontakt gekommen!“ Bei Klasse I lautet die Botschaft dagegen: „Zelle dem Erreger erlegen! Selbstzerstörungsmechanismus einleiten!“ Die T-Helferzellen bedienen sich ihres T-ZellRezeptors und eines Proteins (CD4) auf ihrer Oberfläche, das eine extrazelluläre immunglobulinähnliche Domäne (gebaut wie Antikörper) trägt (Abb. 5.13). Die Erkennung des Komplexes löst hier nicht Ereignisse aus, die zum Tod der Zelle führen, sondern regt die T-Helferzellen dazu