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4.Ostersonntag/A (Apg 2,14a.26-41; Joh 10,1-10)(15.5.11)
Liebe Gottesdienstgemeinde!
Der heutige 4.Ostersonntag ist vom Evangelium her auch Guter-Hirten-Sonntag genannt.
Offenbar ist es aber immer noch so, dass auch wir uns wie die Jünger Jesu damals schwer tun,
den Sinn dessen zu verstehen, was Jesus uns damit sagen will.
Dabei liegt es nicht nur daran, dass uns Städtern das den damaligen Menschen vertraute Bild
von Schafherden mit ihren Hirten kaum noch eine Erfahrungswirklichkeit ist. Den Menschen
des alten Orients war dies ein vertrautes Bild und deshalb war auch der Zugang zum
Verständnis im religiösen Zusammenhang wesentlich leichter. Das Menschenbild der Bibel ist
ja das des Gärtners und Hirten.
Die viel größere Schwierigkeit liegt wohl darin, dass viele von denen, die sich Hirten oder gar
Oberhirten nennen, das Bild des biblischen Hirten konterkarieren, also fast ins Gegenteil
umdrehen und so in Verdacht kommen, Diebe und Räuber zu sein, also für sich selbst etwas
haben zu wollen. Die Folge ist, dass verständlicherweise niemand mehr ein von solchen Hirten
geleitetes Schaft sein will. Es kann sein, dass man in den Augen solcher Hirten leicht zu einem
schwarzen Schaf wird, weil man sich dies und jenes nicht gefallen lässt, oder es kommt zum
„Schweigen der Lämmer“, wie sich ein Film nennt – was auch nicht viel besser ist! As
Evangelium ist eine ganz schöne Herausforderung und zugleich Gewissenserforschung für uns,
die wir uns Hirten nennen.
Mit einer Geschichte möchte ich aufzeigen, was wohl im biblischen Bild Jesu vom Schafe und
Hirten über deren Beziehung zueinander gesagt werden will:
„Der englische Physiker, Mathematiker und Astronom Isaac Newton, der sich auch als
zuverlässigen Wetterprophet ansah, ging unter wolkenlosem Himmel spazieren. Er traf einen
Hirten und fragte, wie das Wetter werde. Er erhielt die Auskunft, es wird bald regnen. Er selbst
glaubte jedoch gemäß seiner eigenen Prognose fest daran, dass das Wetter schön werde.
Deshalb lachte er und wanderte weiter. Zwei Stunden später kam er völlig durchnässt zurück.
„Woher wussten Sie, dass das Wetter schlecht werden wird?“ frage er den Hirten. Der Hirt
antwortete: „Von dem kleinen schwarzen Schaf dort. Wenn es mit dem Rücken zum Wind frisst,
kommt Regen.“
Es ist wohl klar, was diese Geschichte über die Qualität eines guten Hirten aussagt, liebe
Schwestern und Brüder!
Ein guter Hirt ist nicht einer, der von oben herab weiß, wo es lang geht, und von den Schafen
blinden Gehorsam verlangt. Er ist vielmehr bei den Schafen; er geht mit ihnen und teilt mit
ihnen den Hunger nach Leben, so wie Jesus seine Jünger fragt, ob sie Brot haben; er teilt auch
den Durst mit den Menschen, so wie Jesus zur Frau am Jakobsbrunnen sagt, dass ihm dürste und
sie ihm zu trinken geben solle.
Es sind Hirten, die nicht ihren Ornat und ihre Titel vor sich hertragen, sondern die Umwege und
gelegentlich auch die Irrwege der Schafe teilen, damit sie nicht allein gelassen sind, so wie Jesus
mit den Menschen auch die Kreuzwegstationen und selbst den schmerzvollen Tod teilt. Gute
Hirten begegnen ihren Schafen sozusagen auf Augenhöhe, ja sie entäußern sich – wie Jesus
(Phil 2) -, um mit ihnen ganz solidarisch zu werden, einer von ihnen zu sein, „in allem den
Menschen gleich außer der Sünde“ (4. Hochgebet).
Die Geschichte von Isaac Newton und dem Hirten sagt aber sogar noch mehr, und zwar etwas
scheinbar Unerhörtes: Der Hirte lernt vom Schafe, denn das Schaf spürt vor dem Hirten den
Wetterwandel. Die Schafe haben offenbar für so manches ein feineres Gespür als die Hirten
selbst, weshalb der Hirte bei ihnen gleichsam in die Schule gehen muss.
Was heißt das für uns, die Hirten der Kirche, angefangen von uns Laien- oder
Priesterseelsorgern bis hin zu den die Bischöfen und zum Papst?
Das 2. Vatikanische Konzil hat es deutlich ausgesprochen: alle Getauften sind gleich an Würde
und Tätigkeit, bei aller Verschiedenheit der Dienste. (Ich sage deshalb gelegentlich, dass wir
Abschied genommen haben von „Hochwürden“; vielleicht gibt es da und dort noch
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„Merkwürden“). Das Konzil spricht aber auch von den „Zeichen der Zeit“ als einem ganz
wesentlichen Kriterium, die Wahrheit des Evangeliums für heute zu erkennen und es
entsprechend umzusetzen. Ich denke, dass die „Schafe“, also die Laien, diese Zeichen der Zeit
oft eher erkennen als die Hirten.
Als eine Folge daraus spricht sogar das Kirchenrecht wörtlich vom „Recht (jedes Getauften),
den Hirten gegenüber besonders die geistlichen Bedürfnisse und Wünsche zu eröffnen und
entsprechend dem Wissen und der Kompetenz die Meinung zu kirchlichen Angelegenheiten zu
bekunden. Dieses Recht kann zuweilen sogar zur Pflicht werden“ (CIC cann.212 § 2-3).
M.a.W.: Es kann also im Bildwort Jesu in der Beziehung zwischen Hirten und Schafen nicht
nur um eine rein hierarchische Beziehung von Oben nach Unten („Top – Bottom“) gehen,
sondern dazu gehört unbedingt heute mehr denn je das sogenannte synodale Element des
Dialoges von unten her und der Mitsprache der „Schafe“, des Volkes Gottes.
Darum habe ich auch vor sechs Jahren unseren Oberhirten Ludwig im Namen der Priester mit
den Worten des Oberösterreicher Marsches begrüßt: „Frisch aussa wias drin is, nicht kriecha am
Bauch, ins Gsicht gschaut und d`Händ gebn, is Oberösterreicher Brauch“. Es geht also um
Begegnung auf Augenhöhe.
Ich darf Ihnen ehrlich sagen, das ich im Bemühen, ein solcher Hirte in der Pfarre und in meinen
überpfarrlichen Tätigkeiten zu sein, auch nicht Weniges – um im Bild zu bleiben - den Schafen
abgeschaut habe, also von den anderen Getauften gelernt habe. Ich darf drei Beispiele nennen.
Da ist zunächst meine Sicht von Homosexualität: Als Sprecher des Priesterrates war ich viele
Jahre in einer Arbeitsgruppe, wo ich aus den modernen Erkenntnissen der
Humanwissenschaften und aus der Begegnung mit Betroffenen meine aus der Kindheit
übernommene Sicht von Homosexualität kräftig revidiert habe.
Da ist meine theologische Erkenntnis, dass gerade die christliche Heilsgeschichte durch den Tod
und die Auferstehung Jesu Christi auch das Scheitern eines Menschen etwa in ehelichen
Beziehungen nochmals für alle, denen es im Glauben ein Anliegen ist, liebend umfängt, und da
ist die Begegnung mit betroffenen geschiedenen Wiederverheirateten, die mich darin bestärkt
hat, dass es auch hier einen Weg der Versöhnung und des guten Neuanfangs geben kann und
soll, ohne die Bruchstücke und Tränen auf dem Wege zu bagatellisieren.
Als drittes Beispiel nenne ich auch aus der Begegnung mit starken Frauen hier in unserer Pfarre
und anderswo, dass die Frauen in Gesellschaft und auch in der Kirche einen noch viel
bedeutenderen Platz, ja die Gleichstellung, auch was Ämter und Dienste in der Kirche betrifft,
erhalten sollten, denn „es gibt nicht mehr Mann und Frau …. Ihr seid alle einer in Christus
Jesus“ (Gal 3,28).
Es ist meines Erachtens deshalb nicht richtig, dass z. B. ein Bischof in Australien in diesen
Tagen vom Oberhirten in Rom abgesetzt wurde, weil er in der Sorge um den Priestermangel
anregte, auch über die Möglichkeit der Weihe von verheirateten Männern und Frauen ins
Gespräch zu kommen.
Es ist schade, wenn von oben oft der Verdacht und der Argwohn mitschwingen, man wolle sich
ein Christentum light nach eigenem Geschmack fabrizieren, währenddessen so manche
sorgenvolle kritische Äußerungen zu kirchlichen Regelungen nur, wie ich gelegentlich sage, der
Schatten der Liebe zur Kirche sind. Unter anderem ist es die Sorge, dass durch das
Auseinanderdriften von Hirten und Volk Gottes tatsächlich ein neues horizontales Schisma
zwischen Oben und Unten entstehen könnte.
Kirche muss also auch die Zeichen der Zeit sehen und beachten, also für die Menschen und die
Welt von heute offen sein, freilich ohne einem kurzlebigen Zeitgeist zu verfallen, also mit den
Menschen von heute kritische Zeitgenossen sein. 6601
Noch ein Wort zum Schluss: Der „Gute-Hirte-Sonntag“ ist auch der Weltgebetstag für geistliche
Berufe. Auch wenn aufgrund der kirchlichen und auch weltlichen Rahmenbedingungen der
Wind nicht in die Segel bläst, so finde ich es noch immer ein spannendes und reizvolles
Unterfangen, sich auf einen kirchlichen und auch geistlichen Beruf einzulassen, m.a.W. auf das
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Abenteuer mit Gott und im Namen Gottes mit den Menschen die Höhe- und Tiefpunkte ihres
Lebens zu feiern und zu begehen.
Kann es letztlich etwas Erfüllenderes und Zukunftsträchtigeres geben?! Die Sozialgestalt der
Kirche wird sich sicher verändern müssen und wir erleben die Trauerarbeit des Abschieds von
so manchem Liebgewonnenem, aber auch die Geburtsschmerzen von etwas Neuem.
Ich verspüre sozusagen auch die Geburtswehen, und ich möchte mich dabei nicht heraushalten,
sondern ich setze mich für Erneuerung ein, zugleich freue ich mich auch auf das, was hier
geboren wird: eine dem Herrn Jesus und den Menschen nähere Gemeinschaft der Glaubenden,
die Freude und Hoffnung; Trauer und Angst der Menschen teilt. Der Sonntag vom guten Hirten
ist also auch Einladung darüber nachzudenken, in welcher Form ich nach Gottes Willen Hirt/in
für andere sein soll und darf. Amen.
Pfarrer Walter Wimmer
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