Materialsammlung: Gottesbild Seite 1 - RPI

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Materialsammlung: Gottesbild
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Im m e r ga n z a n d ers
Gott
Gott! - Kein Name sei so besudelt und missbraucht wie
dieser Name; so ähnlich hat es der große Theologe unseres Jahrhunderts, Karl Rahner, formuliert, man wird
dieser Beobachtung nur zustimmen können - mit Bedauern. So, wie viele Menschen mit dem Namen „Gott“
umgehen, würden sie es mit einem Menschen-Namen
niemals machen.
Wenn Franz Beckenbauer nicht selten die Antworten
eines Interviews beginnt mit den Worten „Ach, mein
Gott!“ oder „Na ja, mein Gott!“ will er keineswegs ein
Gebet beginnen, sondern das Wort „Gott“ dient auch ihm
nur als gedanklicher Satzfüller, als sprachliche NullNummer. Gott wird zum verbalen Pausenclown pervertiert. „Gott“ muss ersatzweise dort einspringen, wo
nichts zu sagen ist und eigentlich auch nichts zu sagen
nötig ist, einfach nur so, gedankenlos, herzlos, geistlos.
Ob es auch damit zu tun hat, dass das Bild, das viele
Menschen von Gott haben, genauso verkommen und
entstellt ist. Zum Beispiel der „Opa“-Gott: Harmlos und
lieb und völlig außerhalb unserer modernen Zeit stehend,
ein alter Mann mit Bart. Der „Klempner“-Gott: Man ruft
ihn, wenn man in einer aktuellen Notlage ist, dann muss
er ganz schnell helfen, aber sonst lässt man ihn in Ruhe.
Der „Weihrauch“-Gott: Man braucht ihn zu Familienfesten, also Hochzeiten, Beerdigungen, Kindtaufen, auch
am Heiligen Abend ist er ganz willkommen und sonst hat
man aber keinen Kontakt mit ihm und möchte den Kontakt auch eigentlich gar nicht. Der „Buchhalter“-Gott: Er
registriert alle menschlichen Fehler und Vergehen in
seiner Personal-Kartei und verteilt zu gegebener Zeit die
entsprechenden Strafen. Der „Versicherungs“-Gott: Man
bringt bestimmte fromme Leistungen und sichert sich
d am i t gegen G e f äh r d u n g en je gl i c h e r A rt . De r
„Babysitter“-Gott: Er sieht alles, was passiert, und beobachtet uns ständig: „Ein Auge ist, das alles sieht, auch
was in finstrer Nacht geschieht...“ sagte man früher den
Kindern und flößte mit dieser pädagogischen Brandbombe den Kindern Angst ein, zur Hilfe bei
der Erziehung und zum Schaden des Glaubens. Elmar Gruber hat viele Beispiele für solche
unangemessenen Gottesbilder vorgelegt in seinen Überlegungen zu den Zehn Geboten.
Der Gott Jesu Christi aber ist ein anderer, er ist kein schwächlicher und kein argwöhnischer,
kein unmoderner und kein menschenfeindlicher Gott, sondern ein starker, guter Vater, eine
liebevolle, menschenfreundliche Mutter. Das sind natürlich Bilder und Vergleiche, aber sie
deuten an, was das tiefste Wesen Gottes ist, den Jesus meint, wenn er „Gott“ sagt. Ein liebevoller Vater, der den Menschen in die Freiheit entlässt und den in der Freiheit gescheiterten
Menschen wieder aufnimmt, ohne Vorwurf und ohne Bestrafung. Zu diesem Gott sagte Jesus
„Abba“, was übersetzt etwa heißt „Papa“, „Väterchen“. Und Jesus macht uns sogar Mut, ebenso
zu Gott zu reden. Jesus verkündet keines dieser schrecklich verzerrten Gottesbilder, sondern
das einzige richtige Bild von Gott: einen Liebenden und Liebenswürdigen.
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Allerdings: Unsere Bilder von Gott sind immer unserem Fassungsvermögen angepasst: Was immer wir von Gott denken
und wie immer wir ihn uns vorstellen: Gott ist immer anders,
als wir ihn uns denken, sonst wäre er nicht Gott. Oder sogar,
wie ich kürzlich las: Gott ist immer ganz anders als anders!
Deswegen kann man gut verstehen, dass die Menschen des
Volkes Israel unter dem strengen Verbot standen, sich ein Bild
von Gott zu machen. Man dachte zunächst wohl an ein materielles, sichtbares Bild, aber auch unsere Vorstellungswelt produziert ja viele verbotene Gottesbilder. Die Juden haben bis
heute eine solche Ehrfurcht vor dem großen Gottesnamen,
dass sie ihn nicht nennen. Deshalb sind sie bestimmt nicht
weniger fromm als wir Christen.
G ott! - Kein Nam e wurde so besudelt und
m issbraucht wie dieser Na m e. Auch d ie
Nationalsozialisten m achten davor nicht
H alt.
Oder sollte man den Namen„Gott“ überhaupt nicht mehr gebrauchen, vielleicht durch das Wörtchen „Du“ ersetzen, wie es
ein weiser Mann vorgeschlagen hat. Aber ob damit das Problem
gelöst ist?
Vielleicht sollten wir angesichts des großen Gottes einfach
schweigen und Gott Gott sein lassen, ohne ihn in selbst gemachten Bildern auf das Niveau von uns kleinen Menschen
herabziehen zu wollen. Kein Wort eines Menschen, auch nicht
in der Bibel, kann Gott benennen. Bequeme Klarheit gibt es auf keiner Seite der Schrift, weder
im dunklen Ringen des Buches Ijob, noch in dem Morgenlicht der Evangelien. Das Geheimnis
Gottes wird nicht aufgeklärt, sondern als Geheimnis entfaltet. Hunderte von Namen lassen sich
aus der Schrift ablesen, jeder ungenügend und doch alle zusammen von großer Kraft und klarer
Zielrichtung.
Ich würde mich weigern, an einen Gott zu glauben, den ich verstehen könnte.
Graham Greene
A us: Ulrich Z urkuhlen: G laub e im W and el; 60 S chlüsse lb eg riffe erklärt; Kevelaer, Butzon und Bercker; M ünster, Dialogverlag 1999,
ISB N 3-933144-20-5.
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Aspekte altorientalischer Gottesvorstellungen
Die semitischen Stämme waren auf Grund ihres Wanderlebens und - nach ihrer Sesshaftwerdung aufgrund der geographischen Lage der Region Palästinas (ein typisches Durchgangsland) verschiedenen
Kultureinwirkungen, besonders von Mesopotamien und Ägypten, ausgesetzt. Die Einflüsse der
altorientalischen Großreiche waren vielfältig - so könnten die direkten und indirekten Auswirkungen der
Großreiche der Ägypter, Babylonier, Assyrer sowie verschiedener kleinerer Völker (z.B. Kanaaniter,
Philister etc.) mit ihrer z.T. kurzen Herrschaftszeit auf das alttestamentarische Gottesbild gekennzeichnet werden.
Im Folgenden werden die wichtigsten Linien nachgezeichnet.
Das Götterpantheon, der Polytheismus
Der Polytheismus prägte das religiöse Verständnis aller Religionen. Zwar erlangte stellen- und
zeitweise eine zumeist ortsgebundene Gottheit universelle, monotheistische Züge (d.i. Monolatrie:
Verehrung eines Gottes bei gleichzeitiger Anerkennung der Existenz mehrerer Götter), von Monotheismus kann jedoch noch nicht gesprochen werden. Der wohl berühmteste Versuch, den Monotheismus
zu etablieren, erfolgt in Ägypten unter dem Pharao Echnaton. Sein Bestreben, Aton als einzigen Gott
durchzusetzen, scheitert jedoch.
Der Jahweglaube entwickelte sich erst allmählich zu einer monotheistischen Religion. Nach anfänglicher Monolatrie (Bsp. Ex 20,3; 22,19) setzte der Monotheismus etwa ab dem 9.Jh. mit der so
genannten "Jahwe-Allein-Bewegung" ein. Ihr sind z.B. Elija und Hosea zuzurechnen. Der endgültige
Durchbruch erfolgte im babylonischen Exil. (s. u.)
Die Verehrung von Gottesbildern
Götter sollten durch ihre Bilder dort wirksam werden, wo die Bilder sich befanden. Die Kultbilder
eines Gottes (die sehr unterschiedlich sein konnten; z.B. wurde die ägyptische Göttin Hathor als Frau
mit Sonnenscheibe zwischen den Hörner auf ihrem Kopf, als Kuh, als Löwin, als Schlange, Nilpferd und
Baumnymphe dargestellt) mussten gepflegt und verehrt werden, um den Gott zum gewünschten
Verhalten zu veranlassen. Diesen magischen Versuchen, die Wirkweise der Götter rituell festzuschreiben und die Geheimnisse der bedrohlichen Götterwelt berechenbar zu machen, setzt das AT mit dem
Bilderverbot die Unverfügbarkeit Gottes gegenüber. Letztlich ist der Mensch Abbild Gottes, seine an
der Thora orientierten Handlungen zeigen die Anwesenheit Gottes in der Geschichte.
Mythologisierung - Gott ist der Ferne
Die Mehrzahl der Religionen kennzeichnet Götter als ferne Wesen, die sich meist nicht für die
Menschen interessieren. Die Existenz der Götter, ihre Taten und Interessen wurden in Mythen vermittelt, mit ihnen Gesetzmäßigkeiten des Lebens erklärt und durch sie der Kult begründet. In Mythen
sind Götter anthropomorph dargestellt, sie verhalten sich wie Menschen mit übermenschlichen Kräften.
Sie unterscheiden sich von den Menschen nur graduell. Der Mythos umfasst die Gesamtheit des Seins
und wird als vollgültige Realität erlebt, solange der Mensch in einer Welt des ungebrochenen Mythos
verweilt. Der Monotheismus führt zum Verblassen des Mythos. Im AT werden überlieferte mythische
Erzählungen meist funktionalisiert und neu interpretiert. Im Vordergrund steht nicht die mythische
Erzählung, sondern der in der Geschichte erfahrbare Gott. Jahwe ist der erlebbare Gott, der trotzdem
immer der grundsätzlich Andere bleibt.
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Die Entstehung und Durchsetzung des Monotheismus im Volk Israel
Die Ursprünge des israelitischen Gottesbildes sind wie die aller anderer Kulturen polytheistisch. Das
Volk Israel entsteht aus der Verschmelzung semitischer und edomitischer Nomadenstämme (vgl. Info
‘Frühgeschichte Israels’).
Die semitischen Stämme folgen einem Polytheismus mit monolatrischer Tendenz: Sie kennen
Ortsgötter der Oasen, denen sie opfern. Über diesen steht im syrisch-palästinensischen Kulturraum der
Gott El. El ist Götterkönig, Schöpfer der Welt, Vater der Götter und Menschen. Er regiert nicht an
einen irdischen Ort gebunden von seinem Thron aus. Häufig wird er als Gatte der Göttin Ashera
gedacht.
Die edomitischen Nomadenstämme kennen einen gemeinsamen Schutzgott Jahwe. Jahwe ist ein
Naturgott: Erdbeben, Gewitter und andere Naturereignisse werden als Theophanien verstanden. Der
Exodus wird ausschließlich von Jahweverehrern erlebt. Der Jahweglauben erhebt zunächst (bis etwa
zum babylon. Exil) keinen Ausschließlichkeitsanspruch. Jahwe und El koexistieren friedlich. Selten
werden sie als vermählt (!) dargestellt. Nach der Landnahme verschmelzen die Gottesbilder und Jahwe
wird als der einzige Gott institutionalisiert (2 Sam 7).
Neben ihm bleibt die kanaanitische Gottheit Baal in Palästina existent. Baal ist eine Lebensgottheit der
Städter, ein Fruchtbarkeitsgott. Er repräsentiert für die Nomaden die gegnerischen Sesshaften in
Palästina und wird auch wegen der mit seinem Kult verbundenen brutalen Riten abgelehnt.
Die Durchsetzung des Monotheismus geschieht in fünf Phasen:
Die erste Phase ist markiert durch den Kampf gegen den Gott Baal. Initiator war offenbar der Prophet
Elija, der zur Zeit von König Ahab (874-853 v.Chr.) nach einem Gottesurteil zum Mord an den
Baalspriestern aufrief (1 Kön 18,20-40). Elija und nach ihm Elischa unternahmen den Versuch, die
Jahweanhänger von den übrigen Landinsassen abzusondern; nur Jahwe allein sollte verehrt werden. Die
Gründe dafür sind nicht mehr bekannt. Die Fremdheit Jahwes mag dazu beigetragen haben: der selber
kinderlose, selten vermählt gedachte Jahwe war nie richtig in die Welt der Götter eingebunden gewesen.
„Der Außenseiter in der Welt der Götter ist der Gott der Außenseiter.”
Die zweite Phase wird charakterisiert durch das Programm des Hosea um 740 v.Chr. In Hos 13,4 findet
sich das Programm, das später Grundlage des Dekalogs ist: Die Israeliten sollen nur Jahwe allein
verehren und alle anderen Götter vernachlässigen. Hosea dachte das Verhältnis Jahwes zu Israel wie
das eines Gatten zu der (treulosen) Gattin. Sein Kampf galt auch der Tempelprostitution.
Als dritte Phase wird die Kultreform des Königs Hiskija (728-699) angesehen: eine kupferne Schlange, die auf Mose zurückging, wurde zerstört; es begann eine Polemik gegen den Bilderkult im Nordreich, wo man Jahwe als Stierkalb darstellte. Daraus wird geschlossen, dass die "Jahwe-allein-Bewegung" Einfluss am Hof des Reiches Juda und am Tempel in Jerusalem gewann.
Der Baalskult scheint im Nordreich die Jahweverehrung zeitweise zu verdrängen. Gegen diese Entwicklung protestieren die genannten Propheten und u.a. der Prophet Amos. Sie üben Kritik an den
Sozialgesetzen und am Kult. Tendenzen zum Feudalstaat und zur einseitigen Güterverteilung werden
als nicht Jahwe gefällig abgelehnt. Als die Assyrer 721 v.Chr. das Nordreich erobern und dessen
Oberschicht völlig untergeht wird dies als Folge des Abfalls von Jahwe verstanden.
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In der vierten Phase erlangte die "Jahwe-allein-Bewegung" zur Zeit des Königs Joschija (641-609
v.Chr.) großen Einfluss. Der Kult wird reformiert: fremde Symbole und das Bordell verschwindet aus
dem Tempel. Der Kult wird in Jerusalem zentralisiert und die neue Ordnung wird staatliches Gesetz mit
der Bestimmung, dass nur Jahwe allein zu verehren sei. Die Landheiligtümer werden geschlossen.
Namentlich die Propheten Ezechiel, Jeremia und Zefanja setzen sich für diese Entwicklung ein.
Nach dem Jahr 586 (babylon. Exil) erfolgte in der fünften Phase der endgültige Durchbruch des
Monotheismus. Während in Judäa der Jahweglaube zerfällt, wird er in der Auseinandersetzung mit den
babylonischen Vorstellungen geklärt. Das entstehende deuteronomistische Geschichtswerk bezeugt,
dass niemand außer Jahwe Gott sei. Das Sabbatgebot und der Dekalog werden neu gefasst; die
Gesetzgebung folgt dem Ziel der Wiederherstellung Israels. Die Priesterschaft am 515 v.Chr. neu
eingeweihten Tempel soll nur aus Jahweanhängern bestanden haben.
Du sollst dir kein Bildnis machen ...
Es ist bemerkenswert, dass wir gerade von dem Menschen, den wir lieben, am mindesten aussagen
können, wie er sei. Wir lieben ihn einfach. Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der
Liebe, dass sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen
in allen seinen möglichen Entfaltungen ...
Das ist das Erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich Spannende, dass wir mit den Menschen, die
wir lieben, nicht fertig werden: weil wir sie lieben; solange wir sie lieben ...
Unsere Meinung, dass wir das andere kennen, ist das Ende der Liebe. Nicht weil wir das andere kennen,
geht unsere Liebe zu Ende, sondern umgekehrt: weil unsere Liebe zu Ende geht, weil ihre Kraft sich
erschöpft hat, darum ist der Mensch fertig für uns. Wir künden ihm die Bereitschaft, auf weitere
Verwandlungen einzugehen. Wir verweigern ihm den Anspruch alles Lebendigen, das unfassbar bleibt,
und zugleich sind wir verwundert und enttäuscht, dass unser Verhältnis nicht mehr lebendig sei.
„Du bist nicht”, sagt der oder die Enttäuschte, „wofür ich dich gehalten habe.”
Und wofür hat man sich denn gehalten? Für ein Geheimnis, das der Mensch ja immerhin ist, ein
erregendes Rätsel, das auszuhalten wir müde geworden sind. Man macht sich ein Bildnis. Das ist das
Lieblose, der Verrat.
Max Frisch, Tagebuch 1946-1949, Droemersche Verlagsanstalt, München/Zürich 1950
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Das Gottesbild der Bibel
a) Gott ist einzigartig
- Gottes Anspruch: geliebt und bejaht zu werden; im Gegenzug gibt Er Orientierung und Vertrauen
- das schema israel: Dtn 6,4f
b) Gott ist zuverlässig und unverfügbar
-
die Geschichte Israels wird reflektiert als fortgesetzte Erfahrung der Treue Jahwes,
ohne dass die Menschen souverän kalkulieren könnten
Gott ist für die Menschen da, wo sie Ihn brauchen, ist jedoch nicht von ihnen abhängig
verlangt Anerkennung der Gültigkeit seines Willens auch da, wo dieser auf Widerstände bei
Menschen trifft
c) Gott ist befreiend und parteiisch
-
Jahwe will die Schaffung menschlicher Verhältnisse
"Kontrastgesellschaft" zur üblichen hierarchisch-unterdrückenden Sozialordnung
gegen das Regelverhalten
Gott offenbart sich als der im Zorn parteiische Gott der Unterdrückten und Schwachen
seine Weisungen sollen nicht belasten und verknechten, sondern zu Festen und Feiern befreien
d) Gott liebt sein Volk
-
Jahwe als großer Vogel, der die Jungen beschützt
Hirt
Mutter; Jahwes Herz ist mütterlich und väterlich zugleich
Entwicklung im AT:
- Gott der Vorväterreligion war kriegerisch
- Jahwe bringt seinen Willen kämpferisch zur Geltung, aber nicht im Kriegsgeschehen, sondern
als Beistand; er will Schwerter zu Pflugscharen (Jes 2)
- Jahwe besiegt in ‘liebender Selbstbeherrschung’ seinen Zorn
- Gott ist inkonsequent: Er kann seine Pläne ändern, aber nur zum Guten, wird aber nicht
berechenbar
e) Gott ehrt den Menschen
-
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Gottesoffenbarung löst nicht die Rätsel der Welt
der Mensch hat die Verantwortung für eine positive Lösung
in vielem bleibt die Frage nach dem ‘Warum’
das AT fordert nicht die demütige Unterwerfung unter einen undurchsichtigen Willen
Jahwe muss Anfragen, Anklagen, sogar Auslachen und Beschimpfungen aushalten
es gibt keine Frage- oder Sprachverbote
Jahwe ist gefordert sich am Tage der Vollendung zu rechtfertigen
das Verhältnis zu Jahwe ist damit der Banalität enthoben, die Menschen werden geehrt
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Gottes-Traditionen in Israel
a)
Die Sinaitradition: Deboralied und Mosesegen:
„Jahwe, als du auszogst aus Seïr,
einherschrittest von Edoms Gefilden,
da erbebte die Erde, ja die Himmel troffen,
ja die Wolken troffen von Wasser,
die Berge erzitterten vor Jahwe, dem aus Sinai,
vor Jahwe, dem Gott Israels.” (Ri 5,4f)
„Jahwe kam aus Sinai,
er strahlte ihnen auf aus Seïr,
er erglänzte ihnen vom Gebirge Paran.” (Dtn 33,2)
b)
Die Vätertradition: Moses und die Propheten
„Ich bin der Gott deiner Väter,
der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.” (Ex 3,6)
„Als Israel jung war gewann ich ihn lieb,
ich rief meinen Sohn aus Ägypten.” (Hos 11,1)
c)
Die Exodustradition:
„Wenn dich morgen dein Sohn fragt: ‘Was sollen eigentlich all die Satzungen, Gesetze und Rechtsnormen, auf die
Jahwe, unser Gott euch verpflichtet hat?’ - dann sollst du deinem Sohn antworten: Wir waren Sklaven des Pharao
in Ägypten. Da hat uns Jahwe mit starker Hand aus Ägypten befreit ..., um uns in das Land, das er unseren Vätern
mit einem Schwur versprochen hatte, hineinzuführen und es uns zu geben; und Jahwe hat uns befohlen, alle diese
Gesetze zu halten ..., damit es uns das ganze Leben lang gut geht und er uns Leben schenkt, wie wir es heute
haben.” (Dtn 6,20-24)
d)
Die Bundestradition:
„Und Gott sagte zu Noah und seinen Söhnen mit ihm: Siehe, ich richte mit euch einen Bund auf und mit euren
Nachkommen[...]. Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich geschlossen habe zwischen mir und
euch und allem lebendigen Getier bei euch auf ewig: Meinen Bogen habe ich in die Wolken gesetzt; der soll das
Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde.“ (Gen 9,8-13)
„Als nun Abram neunundneunzig Jahre alt war, erschien ihm der HERR und sprach zu ihm: Ich bin der allmächtige Gott; wandle vor mir und sei fromm. Und ich will meinen Bund zwischen mir und dir schließen und will
dich über alle Maßen mehren. [...] Abraham soll dein Name sein; denn ich habe dich gemacht zum Vater vieler
Völker. Und ich will dich sehr fruchtbar machen und will aus dir Völker machen und auch Könige sollen von dir
kommen.[...] Das aber ist mein Bund, den ihr halten sollt zwischen mir und euch und deinem Geschlecht nach dir:
Alles, was männlich ist unter euch, soll beschnitten werden; eure Vorhaut sollt ihr beschneiden. Das soll das
Zeichen sein des Bundes zwischen mir und euch.“ (Gen 17,1-14)
„Und Mose nahm die Hälfte des Blutes und goss es in die Becken, die andere Hälfte aber sprengte er an den Altar.
Und er nahm das Buch des Bundes und las es vor den Ohren des Volks. Und sie sprachen: Alles, was der HERR
gesagt hat, wollen wir tun und darauf hören. Da nahm Mose das Blut und besprengte das Volk damit und sprach:
Seht, das ist das Blut des Bundes, den der HERR mit euch geschlossen hat aufgrund aller dieser Worte.“
(Ex 24,1-8)
„Und der HERR sprach: Siehe, ich will einen Bund schließen: Vor deinem ganzen Volk will ich Wunder tun, wie
sie nicht geschehen sind in allen Landen und unter allen Völkern, und das ganze Volk, in dessen Mitte du bist, soll
des HERRN Werk sehen; denn wunderbar wird sein, was ich an dir tun werde.“ (Ex 34,10)
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Arbeitsblatt: Mose begegnet Gott
Formkritische Analyse von Ex 3, 1-12
1
Mose hütete die Schafe seines Schwiegervaters Jetro, des
Priesters von Midian. Einmal trieb er die Schafe über die Steppe hinaus und kam zum Berge Gottes, zum Horeb.
Situation
2
Da erschien ihm der Engel Jahwes in einer Feuerflamme,
mitten aus einem Dornbusch heraus. Und er sah hin, und siehe, der Dornbusch brannte im Feuer, aber der Dornbusch
wurde nicht verzehrt.
Erscheinung
3
Da dachte Mose: "Ich will doch hingehen und dieses seltsame
Schauspiel betrachten, warum der Dornbusch nicht verbrennt."
Einschub: innerer Monolog
4
Als Jahwe sah, dass er herantrat, um nachzusehen, rief Gott
ihm aus dem Dornbusch zu:
Redeeinführung
"Mose, Mose!"
doppelter Anruf
Dieser antwortete: "Hier bin ich!"
Redeeinführung / Antwort
5
Da sprach er: "Tritt nicht näher heran! Ziehe deine Schuhe
von deinen Füßen, denn der Ort, auf dem du stehst, ist heiliger
Boden!"
Einschub: Redeeinführung / kultische Anweisung
6
Und er fuhr fort: "Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott
Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs."
Redeeinführung / Vorstellung des
Erscheinenden
Da verhüllte Mose sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott
anzuschauen.
Einschub: kultische Reaktion
7
Und Jahwe sprach: "Ich habe das Elend meines Volkes, das
in Ägypten ist, wohl gesehen, und ihr Schreien über ihre Treiber habe ich gehört; ja, ich kenne seine Leiden. 8 Darum bin ich
herabgestiegen, um es aus der Gewalt der Ägypter zu befreien
und es aus diesem Land herauszuführen in ein schönes und
geräumiges Land, in ein Land, das von Milch und Honig fließt,
in das Gebiet der Kanaaniter, Hethiter, Amoriter, Perisiter,
Hiwiter und Jebusiter. 9 Jetzt aber, siehe, das Schreien der
Israeliten ist zu mir gedrungen, und ich habe auch die Bedrängnis gesehen, mit der die Ägypter sie quälen.
Redeeinführung / programmatische Gottesrede
10
So gehe nun! Ich will dich zu dem Pharao senden. Führe
mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten heraus!"
Auftrag
11
Mose aber sprach zu Gott: "Wer bin ich, dass ich zu dem
Pharao gehe und die Israeliten aus Ägypten herausführe?"
Redeeinführung / Zweifel
12
Redeeinführung / Beistandszusage
Er erwiderte: "Ich werde mit dir sein.
Und dies soll dir als Zeichen dienen, dass ich es bin, der dich
sendet ... Wenn du das Volk aus Ägypten herausgeführt hast,
werdet ihr Gott auf diesem Berg verehren."
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Gewährung eines Zeichens
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Arbeitsblatt: Mose begegnet Gott (Forts.)
Inhaltsanalyse von Ex 3, 7-9
Jahwe sagt:
Das Volk versteht:
7
Und Jahwe sprach: "Ich habe das Elend meines
Volkes, das in Ägypten ist, wohl gesehen,
- Israel ist Gottes Volk
- Gott ist bei seinem Volk
- er kann es sehen ...
und ihr Schreien über ihre Treiber habe ich gehört;
- ... und hören
- das Volk leidet nicht unter ‘natürlichem’ Elend
ja, ich kenne seine Leiden.
- Jahwe leidet mit seinem Volk
8
- Jahwe begibt sich auf die Ebene des Volkes;
er ist unter ihnen
Darum bin ich herabgestiegen,
um es aus der Gewalt der Ägypter zu befreien
- Jahwe ist stärker als die Ägypter und tritt gegen sie an
und es aus diesem Land herauszuführen
- Jahwe bleibt bei seinem Volk als Führer
in ein schönes und geräumiges Land,
- ein Land, das Platz für das Volk hat (keine
kriegerische Landnahme)
in ein Land, das von Milch und Honig fließt,
- ein Land mit guten Weideflächen und Kulturland
in das Gebiet der Kanaaniter, Hethiter, Amoriter,
Perisiter, Hiwiter und Jebusiter.
- ein Land, in dem Israel aber nicht alleine leben wird, in dem ein fest ansässiges Volk lebt
9
Jetzt aber, siehe, das Schreien der Israeliten ist
zu mir gedrungen,
und ich habe auch die Bedrängnis gesehen, mit
der die Ägypter sie quälen.
10
So gehe nun! Ich will dich zu dem Pharao
senden. Führe mein Volk, die Israeliten, aus
Ägypten heraus!"
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Gott ist
- parteiisch
- beschützend und befreiend
- mitleidend
- Menschliches nicht fremd
- nicht distanziert
- gegenwärtig
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Gottesbeweise
Aus dem Begriff
Anselm von Canterbury (1033-1109), Kirchenlehrer und Erzbischof, hat in seiner Schrift »Proslogion«
erstmals den »ontologischen« Gottesbeweis vorgetragen, der von dem Begriff Gottes ausgeht, über dem nichts
Größeres gedacht werden kann. Er tut dies in der Form eines Gebetes:
Also, Herr, der du die Glaubenseinsicht gibst, verleihe mir, dass ich, soweit du es nützlich weißt, einsehe, dass du
bist, wie wir glauben, und das bist, was wir glauben. Und zwar glauben wir, dass du etwas bist, über dem nichts
Größeres gedacht werden kann...
Und sicherlich kann »das, über dem Größeres nicht gedacht werden kann«, nicht im Verstande allein sein, denn
wenn es wenigstens im Verstande allein ist, kann gedacht werden, dass es auch in Wirklichkeit existiere - was
größer ist. Wenn also »das, über dem Größeres nicht gedacht werden kann«, im Verstande allein ist, so ist eben
»das, über dem Größeres nicht gedacht werden kann«, über dem Größeres gedacht werden kann. Das aber kann
gewiss nicht sein. Es existiert also ohne Zweifel »etwas, über dem Größeres nicht gedacht werden kann«, sowohl
im Verstande als auch in Wirklichkeit.
Anselm von Canterbury
Aus der Kausalität und Finalität
Thomas von Aquin (1225-1274), einer der bedeutendsten Theologen und Philosophen des Mittelalters, hat in
seinem großen Werk »Summa Theologiae« fünf Gottesbeweise zusammengestellt, die teilweise auf ältere
Versuche z. B. in der griechischen Philosophie, zurückgehen. Für diese Gottesbeweise ist kennzeichnend, dass
sie nicht von einem Begriff, sondern von der Wirklichkeit ausgehen. Die beiden bedeutendsten Beweise haben
folgende Form:
Der zweite Weg geht vom Wesen der wirkenden Ursache aus. Wir finden in dieser sinnenfälligen Welt eine
Ordnung der wirkenden Ursachen vor. Aber es findet sich nicht und ist auch nicht möglich, dass etwas die
wirkende Ursache seiner selbst sei, weil es dann früher als es selbst wäre, was unmöglich ist. Es ist aber nicht
möglich, dass man in der Reihe der wirkenden Ursachen ins Unendliche fortschreite, weil bei allen geordneten
wirkenden Ursachen das Erste die Ursache des Mittleren und das Mittlere die Ursache des Letzten ist, möge das
Mittlere aus mehreren oder nur einem bestehen. Wird aber die Ursache aufgehoben, dann wird auch die Wirkung
aufgehoben. Folglich wird es, wenn es bei den wirkenden Ursachen kein Erstes gibt, auch kein Letztes und
Mittleres geben. Wenn man aber bei den wirkenden Ursachen ins Unendliche fortschreitet, dann wird es keine
erste wirkende Ursache und so weder eine letzte Wirkung noch mittlere wirkende Ursachen geben, was offenbar
falsch ist. Mithin ist es notwendig, eine erste wirkende Ursache anzunehmen, die alle Gott nennen.
Der fünfte Weg wird von der Leitung der Dinge genommen. Wir sehen nämlich, dass manches, was keine
Erkenntnis besitzt, nämlich die Naturkörper, wegen eines Zweckes tätig ist, was daraus hervorgeht, dass sie
immer oder meistens auf dieselbe Weise tätig sind, um das zu erreichen, was das beste ist. Hieraus ist offenbar,
dass sie nicht durch Zufall, sondern aus einer Absicht zum Ziel gelangen. Dasjenige aber, was keine Erkenntnis
hat, strebt nur in der Weise zum Ziele hin, dass es von etwas, was Erkenntnis und Verstand besitzt, dahin gelenkt
wird wie der Pfeil vom Schützen. Also gibt es ein intelligentes Wesen, durch welches alle Naturdinge zum Ziel
hingeordnet werden, und dieses nennen wir Gott.
Thomas von Aquin
Aus dem Gewissen
John Henry Newman (1801-1890), ursprünglich anglikanischer, dann katholischer Theologe, seit 1879
Kardinal, hat auf den Zusammenhang Gewissen-Gott hingewiesen:
Wir haben das Recht, von den einzelnen Erfahrungen des Gewissens aus auf die jeweilige Gegenwart Eines
Höchsten Herrn zu schließen ...
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Das Gewissen ruht nicht auf sich selbst, sondern greift nach etwas jenseits seiner selbst und erkennt dunkel für
seine Entscheidungen die Bindung einer höheren Gewalt - wie es sich in dem scharfen Gefühl der Verpflichtung
und Verantwortung erweist, das jene durchtränkt ... Daher rührt es auch, dass wir vom Gewissen als einer
»Stimme« sprechen, oder besser: dem Echo einer Stimme, gebietend und bindend wie sonst kein Befehl im
Gesamtbereich unserer Erfahrung. Es ist da eine lebendige Empfindung von Verantwortung und Schuld, auch
wenn die Tat nicht gegen die menschliche Gesellschaft gerichtet war, von Betroffenheit und Niedergeschlagenheit,
auch wenn die Tat im Augenblick von Nutzen war, von Reue und Bedauern, auch wenn die Tat in sich im
höchsten Maß ergötzlich war, von errötender Beschämung, auch wenn sie keine Zeugen hatte. Wenn wir nun aber
bei Missachtung des Gewissens Verantwortung fühlen, so liegt darin die Anerkennung eingeschlossen, dass
jemand da ist, dem wir verantwortlich sind.
John Henry Newman
Vielleicht
Rabbi Levi Jizchak von Berditschew, gest. 1809, gehört zu den jüdischen Frommen (Chassidim) in Osteuropa,
die eine eigentümliche Mystik entfaltet haben.
Einer der Aufklärer, ein sehr gelehrter Mann, der vom Berditschewer gehört hatte, suchte ihn auf. um auch mit
ihm, wie er’s gewohnt war, zu disputieren und seine rückständigen Beweisgründe für die Wahrheit seines
Glaubens zuschanden zu machen. Als er die Stube des Rabbi betrat, sah er ihn mit einem Buch in der Hand in
begeistertem Nachdenken auf und nieder gehen. Des Ankömmlings achtete er nicht. Schließlich blieb er stehen,
sah ihn flüchtig an und sagte: »Vielleicht ist es aber wahr.« Der Gelehrte nahm vergebens all sein Selbstgefühl
zusammen - ihm schlotterten die Knie, so furchtbar war der Rabbi anzusehen, so furchtbar sein schlichter Spruch
zu hören. Rabbi Levi Jizchak aber wandte sich ihm nun völlig zu und sprach ihn gelassen an: »Mein Sohn, die
Großen der Thora, mit denen du gestritten hast, haben ihre Worte an dich verschwendet, du hast, als du gingst,
drüber gelacht. Sie haben dir Gott und sein Reich nicht auf den Tisch legen können, und auch ich kann es nicht.
Aber, mein Sohn, bedenke, vielleicht ist es wahr.« Der Aufklärer bot seine innerste Kraft zur Entgegnung auf;
aber dieses furchtbare »Vielleicht«, das ihm da Mal um Mal entgegenscholl, brach seinen Widerstand.
Levi Jizchak von Berditschew
Das Licht der Vernunft
Die Heilige Synode bekennt, »dass Gott, aller Dinge Ursprung und Ziel, mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft aus den geschaffenen Dingen sicher erkannt werden kann« (Röm 1,20); doch lehrt sie, seiner
Offenbarung sei es zuzuschreiben, »dass, was im Bereich des Göttlichen der menschlichen Vernunft an sich nicht
unzugänglich ist, auch in der gegenwärtigen Lage des Menschengeschlechtes von allen leicht, mit sicherer
Gewissheit und ohne Beimischung von Irrtum erkannt werden kann«.
2. Vatikanisches Konzil, Die Verbum
C
Fassen Sie die Argumentationsstränge zusammen!
C
Wo nehmen die Gottesbeweise ihren Ausgang?
C
Welche Methode des Beweisens liegt ihnen zugrunde?
C
Zu welchem Begriff von Gott führen sie?
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Heutiges Gottesverständnis
Der allgemeine Gottesbegriff ist ambivalent, vieldeutig. Die Philosophiegeschichte selber ruft nach
Klärung. Aber sie selber weckt Zweifel, ob sie diese Klärung zu schaffen vermag. Es scheint zum
Wesen dieses so erkannten Gottes der Philosophen zu gehören, dass er letztlich unbestimmt bleibt.
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Insofern wollten denn die Religionen immer mehr als Philosophie sein. Religion entspringt gewiss nicht
einem streng geführten rationalen Gottesbeweis und überhaupt nicht der noch so umsichtigen gedanklichen Reflexion. Freilich kommt die Religion auch nicht nur aus den irrationalen, geistfremden psychologischen Schichten des Menschen. Vielmehr gründet sie, wie die Religionspsychologie deutlich macht,
in einer erfahrungsmäßigen Einheit von Erkennen, Wollen und Fühlen, das nicht als eigene Leistung,
sondern als eine Antwort auf eine wie auch immer geartete Begegnung mit Gott oder eine Erfahrung
von ihm verstanden wird. Die meisten Religionen berufen sich auf ein Erscheinen des an sich verborgenen und so vieldeutigen Gottes. Und insofern führt nun unsere Betrachtung von selbst auf die Betrachtung der konkreten Religionen hin, die versuchen, auf die Frage nach dem Verständnis Gottes und dem
Verständnis des Menschen eine konkrete Antwort für Theorie und Praxis zu geben.
Freilich dürfen wir bei einer solchen Zuwendung zu den konkreten Religionen nicht hinter die Aufklärung, die nach Kant „der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit” ist,
zurückfallen, dürfen wir das aus der Auseinandersetzung mit der neueren Religionskritik Resultierende
nicht vergessen. Wenn von Gott in der heutigen Zeit ehrlich geredet werden soll, dann jedenfalls unter
Berücksichtigung des neuzeitlichen Horizonts, der Glaubenden wie Nichtglaubenden eine Läuterung
und Vertiefung des Gottesverständnisses ermöglicht und der hier nach Heinz Zahrnt zusammenfassend
umschrieben werden soll:
a. Heutiges Gottesverständnis setzt die neuzeitliche wissenschaftliche Welterklärung voraus: Wetter
und Schlachtensiege, Krankheiten und Heilungen, Glück und Unglück der Menschen, Gruppen und
Völker werden nicht mehr durch den direkten Eingriff Gottes, sondern durch natürliche Gründe erklärt.
Diese Zurückdrängung Gottes aus der Welt bedeutet eine Chance: weil damit deutlicher wird, was Gott
nicht ist, dass er nicht einfach mit Natur- und Geschichtsvorgängen gleichgesetzt werden kann.
Erkennen wir den Auszug aus den Zweitursachen als die mögliche Voraussetzung für eine persönlichere, innere Gottesbegegnung? Oder betreiben wir nach der aufklärerischen Entgötterung der Natur
nur eine Wiedervergöttlichung von Endlichem in neuen Formen ?
b. Heutiges Gottesverständnis setzt das neuzeitliche Autoritätsverständnis voraus: Es wird keine
Wahrheit am Urteil der Vernunft vorbei nur auf die Autorität der Bibel oder der Tradition oder der
Kirche hin, sondern immer nur in kritischer Prüfung angenommen. Die Tatsache, dass der Gottesglaube
aufgehört hat, eine nur autoritative Setzung, eine traditionelle oder konfessionelle Angelegenheit und
damit eine weltanschauliche Selbstverständlichkeit zu sein, bedeutet eine Chance: weil der Mensch so,
wie es seiner Würde und Gottes Ehre entspricht, nun wieder neu zur persönlichen Aneignung des
Glaubens der Väter herausgefordert wird. Nützt man den für die menschliche Autonomie freigewordenen Raum so, dass die Menschen Gott statt als willenlose Knechte, welche wider ihre Vernunft für wahr
halten, jetzt als Mündige mit ganzem Herzen vertrauen? Oder liefert man sich nach der aufklärerischen
Entmythologisierung der Autorität vielleicht nur anderen Mächten aus?
c. Heutiges Gottesverständnis setzt die Ideologiekritik voraus: Aufdeckung des gesellschaftlichen
Missbrauchs der Religion durch Staat oder Kirche, rationale Bloßlegung des Interesses von Personen
oder Gruppen bei der Inanspruchnahme des Herrgotts zur Begründung des Gottesgnadentums großer
oder kleiner Herren, als Hüter und Garanten der bestehenden weithin ungerechten Ordnung. Auch diese
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Ausklammerung Gottes aus der Verquickung mit den politisch-gesellschaftlichen Machtverhältnissen
bedeutet eine Chance: dass der Mensch wie vor den politischen Machthabern so auch vor seinem Gott
ohne unwürdiges Buckeln aufrechten Ganges seinen Weg gehen darf: als Partner, nicht Untertan. Hat
der heutige Mensch die aufklärerische Götterdämmerung so verstanden, dass Gott tatsächlich nicht ein
Entwurf des Menschen aus eigensüchtigen Bedürfnissen, sondern der wirklich Andere ist? Oder
versucht er doch wieder, Gott in irgendeinen Weltprozess ideologisch einzuordnen?
d. Heutiges Gottesverständnis setzt die neuzeitliche Bewusstseinsverschiebung vom Jenseits zum
Diesseits voraus: Durch den Säkularisierungsprozess wird die Eigenständigkeit der diesseitigen
Ordnungen (Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Staat, Gesellschaft, Recht, Kultur) immer mehr nicht nur
theoretisch erfahren, sondern auch praktisch verwirklicht. Aber gerade diese Verabschiedung der reinen
Vertröstung auf ein Jenseits und die verstärkte Konzentration auf das Diesseits bedeuten eine Chance:
dass das Leben, welches vielleicht an Tiefe verloren hat, nun doch an Dichte gewinnen könnte. Haben
wir erkannt, wie Gott damit dem Menschen gerade in diesem Leben gleichsam näher auf den Leib rückt,
ihn jetzt mitten in seiner Profanität herausfordert? Oder haben wir simpel die Säkularisierung zum
Säkularismus verweltanschaulicht und Gott aus dem Sinn verloren als den, der uns in diesem Leben
jederzeit unbedingt angeht: der immanent Transzendente?
e. Heutiges Gottesverständnis setzt eine neuzeitliche Ausrichtung auf die Zukunft voraus: Der Mensch
richtet heute seinen Blick nicht so sehr sehnsüchtig nach oben und auch nur historisierend nach
rückwärts, sondern möglichst nach vorn. Die bewusste Einbeziehung der Zukunftsdimension, die aktive
Planung und Gestaltung der Zukunft, bedeutet eine Chance: weil so die Zukunftsdimension auch der
christlichen Verkündigung neu entdeckt und ernstgenommen werden kann. Wird Gott als der Kommende und als die wahre Zukunft des Menschen und der Welt ernst genommen? Oder kommt es vielleicht
zu einem völligen Vergessen der Vergangenheit, zur Preisgabe der Erinnerung an Entscheidendes in der
Geschichte und damit zur Orientierungslosigkeit in der Gegenwart?
Die Gefahren der neuzeitlichen Entwicklung müssen also gesehen, aber zugleich ihre Chancen entschieden genutzt werden. Nimmt man die Geschichte der Aufklärung der Menschheit ernst, wird man
jedes künftige Gottesverständnis vor folgendem Horizont sehen müssen:
S Keine naiv-anthropologische Vorstellung: Gott als ein im wörtlichen oder räumlichen Sinn ‘über’
der Welt wohnendes ‘höchstes Wesen’.
S Keine aufgeklärt-deistische Vorstellung: Gott als ein im geistigen oder metaphysischen Sinn
‘außerhalb’ der Welt in einem außerweltlichen Jenseits (Hinterwelt) wesendes, verobjektiviertes,
verdinglichtes Gegenüber.
S Sondern ein einheitliches Wirklichkeitsverständnis: Gott in dieser Welt und diese Welt in Gott. Gott
nicht nur als Teil der Wirklichkeit ein (höchstes) Endliches neben Endlichem. Sondern das Unendliche im Endlichen, das Absolute im Relativen. Gott als die diesseitig-jenseitige, transzendent-immanente wirklichste Wirklichkeit im Herzen der Dinge, im Menschen und in der Menschheitsgeschichte.
aus: Hans Küng: Christ sein. München und Zürich: Piper 21974, S. 72-74
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Trinität (Dreifaltigkeit)
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Trinität als Wer versucht, im Ansatz zu verstehen, was Dreifaltigkeit bedeutet, fragt nach
Mysterium einem schwer zugänglichen Zentrum des christlichen Glaubens. Die Kirche selbst
bezeichnet die Lehre von der Trinität als Geheimnis, das sich nicht als selbstverständliche Einsicht der Vernunft darstellen lässt. Der Gläubige wird weniger durch
Reflexion als durch meditatives Sich-Versenken dem Glaubensgeheimnis nahekommen.
Griechisches Bei der Aufgabe, griechisches und jüdisches Denken in der Theologie zu verbinund jüdisches den, hat die alte Kirche nach und nach die Trinitätslehre entfaltet. Dabei entwiDenken ckelte sich folgendes Glaubensbekenntnis:
(3.-6. Jhdt.)
»Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den allmächtigen,
der alles geschaffen hat, Himmel und Erde,
die sichtbare und die unsichtbare Welt.
Und an den einen Herrn Jesus Christus,
Gottes eingeborenen Sohn,
aus dem Vater geboren vor aller Zeit.
Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott,
gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mir dem Vater; ...
Wir glauben an den Heiligen Geist,
der Herr ist und lebendig macht,
der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht,
der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird,
der gesprochen hat durch die Propheten.«
Monotheismus Mit diesen Aussagen will die frühe Kirche den Monotheismus des Judentums
und Gottessohn- bewahren. Zugleich will sie die Göttlichkeit Christi bekennen und die Gegenwart
schaft Christi des Geistes Gottes in der Geschichte aussagen.
Die sprachlichen Ausdrucksformen, die der Glaube an die Dreifaltigkeit damals
gefunden hat, gehören einem philosophischen Denken an, das der Gegenwart
fremd geworden ist.
Trinität als Vielleicht liegt die Anregungskraft der Trinitätslehre darin, dass sie die MöglichGotteserfahrung keiten der Gotteserfahrung vermehrt:
S Gott wird wahrgenommen als Schöpfer und Sinngrund der Welt.
S Durch Jesus Christus wird anschaulich, wie in der Liebe zu anderen und im
Scheitern Gott als Mensch erfahren wird.
S Im Glauben an den Heiligen Geist vertraut die Kirche darauf, dass Gott in ihrer
Geschichte weiterwirkt.
So wird Gott nicht als in sich geschlossenes Wesen der Welt gegenübergestellt.
Vielmehr bekennen Christen, dass in Gott Beziehungen lebendig sind. die ihn
notwendig mit der Geschichte der Menschheit verbinden .
Aus: Kaldewey/Niehl, Grundwissen Religion.
Begleitbuch für Religionsunterricht und Studium.
München: Kösel, 1984
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In der Heilsgeschichte kollektiver und individueller Art erscheinen in Unmittelbarkeit zu uns nicht
irgendwelche gottvertretenden numinosen Mächte, sondern es erscheint und ist in Wahrheit der eine
Gott selbst gegeben, der in seiner absoluten Einmaligkeit, Unverwechselbarkeit und in einer letzten
Unvertretbarkeit da ankommt, wo wir selber sind und wo wir ihn, eben diesen Gott selber streng als ihn
selbst empfangen.
Insofern er als das uns vergöttlichende Heil in der innersten Mitte des Daseins eines einzelnen
Menschen angekommen ist, nennen wir ihn wirklich und in Wahrheit »Heiliges Pneuma«, »Heiliger
Geist«. Insofern eben dieser eine und selbe Gott in der konkreten Geschichtlichkeit unseres Daseins
streng als er selber für uns in Jesus Christus da ist - er selber und nicht eine Vertretung - nennen wir ihn
»Logos« oder den Sohn schlechthin. Insofern eben dieser Gott der als Geist und Logos so bei uns
ankommt, immer der Unsagbare, das heilige Geheimnis, der unumfassbare Grund und Ursprung seines
Ankommens in Sohn und Geist ist und sich als solcher behält, nennen wir ihn den einen Gott, den
Vater. Insofern es sich bei Geist, Logos-Sohn und Vater in strengstem Sinne darum handelt, dass Gott
sich selbst und nicht ein anderes, von Ihm Unterschiedenes gibt, ist im strengsten Sinne von Geist,
Logos-Sohn und Vater in gleicher Weise zu sagen, dass sie der eine und selbe Gott in der unbegrenzten
Fülle der einen Gottheit, im Besitz. des einen und selben göttlichen Wesens sind.
aus: Rahner, Karl: Grundkurs des Glaubens. Freiburg 1976
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Die seit Urgedenken als ursprünglichste Einheit in Vielfalt faszinierende, für Religion, Mythos, Kunst
und Literatur und selbst den Alltag ungemein wichtige Zahl 3 und die (von Rom und Griechenland bis
Indien und China sich findende) Dreiergottheit sind offensichtlich alles andere als spezifisch christlich.
Ebensowenig wie der Dreitakt des Lebens (aus der Identität mit sich ein Herausgehen und Zurückgehen
zu sich selbst) oder der Dreischritt der Dialektik (Thesis - Antithesis - Synthesis). Spezifisch ist das
Christologische, woher biblisch und dogmengeschichtlich alles Trinitarische abgeleitet erscheint.
Freilich wird die Trinität im christlichen Volksglauben schon aufgrund des Bedeutungswandels des
Begriffs weithin tri-theistisch missverstanden: Drei »Personen« jetzt im modern-psychologischen Sinn
verstanden als drei »Selbstbewusstsein«, drei »Subjekte«, also im Grunde drei Götter. Solcher faktischer Tritheismus, wie er sich nicht nur in manchen Dreifaltigkeitsdarstellungen byzantinischer und
russischer Ikonen, karolingischer Miniaturen und mittelalterlicher Bildtafeln in der Form von drei
gleichgestalteten Männern (wovor 1745 Benedikt XIV. warnte), sondern auch in theologischen und
liturgischen Äußerungen findet, hat mit der biblischen Einheit von Vater, Sohn und Geist wenig zu tun.
Ebensowenig wie auf der anderen Seite der Modalismus: wo Vater, Sohn und Geist nur als drei
Offenbarungs-Modi, als drei aufeinander folgende Erscheinungsweisen des einen Gottes verstanden
werden, oder entsprechend in der Kunst der berühmte Trikephalos oder dreigesichtige Gott, wie er
(trotz Warnungen von Theologen wie Antonius von Florenz und Bellarmin) bis zum Ende des 18.
Jahrhunderts immer wieder vorkam.
Gegen Tritheismus einerseits und Modalismus andererseits geht es nach dem Neuen Testament um
eine Wirk- und Offenbarungseinheit von Vater, Sohn und Geist, welche nun eben doch, wie es gerade
in den künstlerischen Darstellungen der Taufe Jesu schön zum Ausdruck kommt, drei sehr verschiedene
Größen sind, die mit höchst analogen Begriffen bezeichnet werden. Vater, Sohn und Geist können nach
dem Neuen Testament nicht so schematisch ontologisch in eine göttliche Natur eingeebnet werden
(»drei Personen in einer göttlichen Wesenheit«), wie dies bei den Kappadokiern logisch-formalistisch
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entwickelt und dann besonders von Augustin - der Neuerung wohl bewusst - anthropologisch-psychologisch durchdacht worden war. In genialer und doch fragwürdiger Analogie also zum dreidimensionalen Menschengeist (mens) - zu Gedächtnis (memoria), Erkennen (intelligentia) und Wollen (voluntas)
- eine Selbstentfaltung Gottes: Der Sohn wird dem Intellekt nach (im göttlichen Denkakt) aus der
Substanz des Vaters als sein Abbild »gezeugt«. Der Geist aber »geht« aus dem Vater (dem Liebenden)
und dem Sohn (dem Geliebten) dem Willen nach (in einer einzigen Hauchung = spiratio) als persongewordene Liebe »hervor« Vater, Sohn und Geist werden auf diese Weise schließlich verstanden als drei
voneinander real verschiedene und doch zugleich mit der einen göttlichen Natur in eins fallende
subsistierende Beziehungen (Relationen) ...
Vom Neuen Testament her gesehen, ist die klassische Trinitätslehre ebenso wie die klassische
Zwei-Naturen-Lehre weder gedankenlos zu wiederholen noch gedankenlos abzutun, sondern differenziert für die Gegenwart zu interpretieren. Für eine Neuaussage wären folgende Gesichtspunkte zu
beachten:
S Die Schlüsselfrage zur Trinitätslehre ist nicht die als undurchdringliches »Geheimnis« deklarierte
trinitarische Frage, wie drei eins sein können, sondern die christologische Frage, wie vernunft- und
schriftgemäß das Verhältnis Jesu zu Gott zu bestimmen ist. Historisch wie sachlich war das
christologische Problem Anlass zur Entstehung des oft missverstandenen trinitarischen Problems.
S Der von Israel übernommene und mit dem Islam gemeinsame Ein-Gott-Glaube darf in keiner
Trinitätslehre aufgegeben werden: Es gibt außer Gott keinen anderen Gott!
S Ober Zuordnung von Gott, Jesus (Wort, Sohn, Christus) und Geist nachzudenken und dabei ihre
wahre Verschiedenheit und ungetrennte Einheit herauszuheben, ist vom Neuen Testament her
aufgegeben. Darin liegt die legitime Grundintention der traditionellen Trinitätslehre.
S Die auf hellenistischen Vorstellungen beruhenden Deutungsversuche und die daraus hervorgegangenen dogmatischen Formulierungen dieser Zuordnung sind jedoch zeitbedingt und mit
dieser Grundintention nicht einfach identisch: Eine Trinitätslehre darf freilich nicht deshalb
abgelehnt werden, weil sie hellenistische Kategorien verwendet. Aber es darf auch nicht jede
künftige Trinitätslehre auf die Verwendung solcher Kategorien verpflichtet werden. Die traditionellen Formeln der hellenistisch bestimmten Trinitätslehre, so hilfreich sie waren, können nicht als
zeitlose Glaubensverpflichtung allen Gläubigen aller Zeiten auferlegt werden.
S Die Einheit von Vater, Sohn und Geist ist als Offenbarungsgeschehen und Offenbarungseinheit zu
verstehen: In trinitarischer Betrachtungsweise muss über die christologische hinaus das Verhältnis
von Gott und Jesus im Hinblick auf den Geist reflektiert werden; eine Christologie ohne Pneumatologie (Lehre vom Geist) wäre unvollständig. Das »wahrhaft Gott« wurde christologisch wie folgt
bestimmt: der wahre Mensch Jesus von Nazareth ist des einen wahren Gottes wirkliche Offenbarung. Von daher die Frage: wie wird er das für uns! Antwort: nicht physisch-materiell, aber auch
nicht unwirklich, sondern im Geist, in der Daseinsweise des Geistes, als geistige Wirklichkeit. Der
Geist ist die Gegenwart Gottes und des erhöhten Christus für die Glaubensgemeinschaft und den
einzelnen Glaubenden. In diesem Sinne ist Gott selbst durch Jesus Christus offenbar im Geist.
In diesem kurzen Abschnitt sollte keine Trinitätslehre entwickelt, es sollte nur auf einige wichtige
Gesichtspunkte zu ihrem Verständnis aufmerksam gemacht werden. Auch hier in bewusster Beschränkung. Insofern sei das Wort, das Augustin seinem Traktat über die Dreieinigkeit vorausgeschickt
hat, allen unseren zu knappen Dogmeninterpretationen nachgeschickt: „Der Leser mag dort, wo er
ebenso sicher ist wie ich, mit mir weitergehen; wo er ebenso zögert, mich befragen; wo er bei sich einen
Irrtum erkennt, sich an mich halten; wo er einen bei mir erkennt, mich zurückrufen.”
aus: Küng, Hans: Christ sein. München/Zürich 21974
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Der historische Jesus und die Gottesfrage
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Was hat Jesus von Nazareth mit der Gottesfrage zu tun? Muss man an Jesus glauben, als Messias und
Gottessohn, wenn man im Sinne der Bibel an Gott glauben will? Gehören der Glaube an Jesus Christus
und der Glaube an Gott so eng zusammen, dass der Christusglaube Gottesglaube ist und der Gottesglaube den Christusglauben fordert, ihn nahelegt und in diesem erst zu seiner Vollständigkeit kommt?
Was hat Jesus mit Gott zu tun? [...]
(Es) dürfte es kaum zweifelhaft sein, dass Jesus von der Basileía toû theoû, der Königsherrschaft
Gottes oder dem Reich Gottes, gesprochen hat. Jesus hat diesen Begriff der Gottesherrschaft nicht
selber geprägt, sondern seiner Umwelt entnommen und zwar im eschatologischen Sinn: Die Gottesherrschaft oder das Reich Gottes ist der endzeitliche Heilszustand, der kommende Äon, auf den Welt und
Geschichte zueilen und den Gott selbst am Ende der Tage in Gestalt eines neuen Himmels und einer
neuen Erde heraufführen wird. Das Kommen des Reiches Gottes ist Gottes Sache allein, seinem
Handeln vorbehalten: Der Mensch kann nichts dazutun, er kann durch keine Leistung das Kommen des
Reiches beschleunigen oder gar herbei zwingen. Was ihm allein zukommt, ist das Gebet um das
Kommen des Reiches, wie es das Vaterunser lehrt. Jesus gebraucht den Begriff der Gottesherrschaft
ganz in diesem vorgeprägten eschatologischen Sinn und trotzdem unterscheidet sich die Art, wie Jesus
von der Gottesherrschaft spricht, grundlegend von der jüdischen Eschatologie.
Denn Jesus sagt die Nähe der Gottesherrschaft an: »Die Königsherrschaft Gottes hat sich genaht!«
Was heißt das? Nach der jüdischen Endzeiterwartung ist die Heilszeit, das Reich Gottes, streng
zukünftig gedacht. Zuerst muss dieser gegenwärtige, vom Unheil beherrschte Äon an sein Ende
gelangen; es kommt eine scharfe Zäsur, meist bestimmt durch das Endgericht und dann beginnt die
Heilszeit. Die Nähe des Reiches, wie Jesus sie ansagt, bricht mit diesem Schema. Man hat diese Nähe
nicht bloß als zeitliche Naherwartung, sondern primär als sachliche Nähe zu verstehen. Das heißt, Jesus
interpretiert das zukünftige Heil so, dass es von der Zukunft her schon jetzt, bereits in diesem Äon, den
Menschen angeht. Jesus macht in einer letzten radikalen Weise mit der Zukunftserwartung, dass Gott
das Heil seines Volkes und der Geschichte will, ernst und mutet daraufhin dem Menschen zu, schon in
diesem Äon aus der Wirklichkeit des göttlichen Heilswillens heraus zu leben. Hier scheint mir das
entscheidend Neue, das Revolutionäre, wenn man so will, der Botschaft Jesu zu liegen. Dem Menschen,
der in einer vom Unheil gezeichneten Welt lebt, der Erfahrung mannigfachen Unheils in Schuld und
allerlei Übel ausgesetzt, wird von Jesus zugemutet, aus der göttlichen Heilsgewissheit und Heilszuversicht heraus zu leben, gegen den Augenschein der bestehenden Verhältnisse. [...]
Der göttliche Heilswille ist bereits in der Gegenwart dieses Äons am Werk und erweist sich als die
rettende Macht denen, die sich auf den Boden der Heilsbotschaft stellen. Das ist der beherrschende
Grundcharakter der Reichsbotschaft Jesu und darin ist sie als solche schon das, als was man sie später
bezeichnete, Euangélion, Heils- und Freudenbotschaft. Ihrer unbedingten Heilszusage entspricht die
radikale Offenheit auf selten des Menschen. Deshalb gilt: »Heil euch, ihr Armen, denn euer ist die
Königsherrschaft Gottes« (Lk 6,20; vgl. Mt 5,3).
Die neue Heilsbotschaft von der Nähe des Reiches Gottes inmitten dieser Weltzeit schließt eine neue
Gottesbotschaft ein. Gott wird von Jesus von seinem umfassenden Heilswillen her verstanden; dieses
Verständnis bekundet sich in dem neuen Klang, den Jesus der Gottesbezeichnung »Vater« gab. [...]
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Jesus hat aus diesem für ihn fundamentalen Gottesverhältnis heraus gelebt; das unbedingte Vertrauen
zur konkreten, ganz nahen Liebe des Vaters ist der Quell seines Redens und Handelns. Insofern besteht
zwischen der Nähe des Reiches Gottes und der Nähe Gottes als Vater eine Parallelität. Es sind hauptWRade
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sächlich Gebetstexte, wie das Gebet Jesu in Gethsemani (Mk 14,36 par) oder der Jubelruf (Mt 11,25 f;
vgl. Lk 10,21f), in denen sich das Gottesverhältnis Jesu spiegelt. Vertrauensvoller Gehorsam und Dank
sind nach diesen Texten bestimmend. Der Dialog mit Gott war das tragende Grundelement des Daseins
Jesu. Für Jesus selbst ist das Gottesverhältnis in einer ungebrochenen, ungetrübten Form konstitutiv, so
dass ohne diese Voraussetzung Jesus nicht zu verstehen ist. Dass »Sohn Gottes« in ausgezeichneter
Weise zum Jesus-Prädikat schlechthin wurde und zwar mit vollem Recht, hat darin seinen Grund.
Viel zahlreicher sind indes die Stellen, an denen Jesus die Jünger über »euren Vater« bzw. »euren
himmlischen Vater« belehrt, die indirekt für Jesus einiges erschließen lassen, nun aber doch hauptsächlich dadurch gekennzeichnet sind, dass Jesus die Jünger in sein Gottesverhältnis einbeziehen will. Das
Vaterunser bezeugt dies am besten. Als Grundzüge dieses Gottesverhältnisses wären zu nennen:
grenzenlose Liebe, auch zum Feind; vollkommene Nachahmung Gottes, wobei man an den Heils- und
Liebeswillen Gottes zu denken hat; die Verborgenheit des Gottesverhältnisses; Sorglosigkeit im
Vertrauen auf den himmlischen Vater; restloses Gottvertrauen im Gebet; die Erfüllung des Willens des
Vaters; Vertrauen in die göttliche Vorsehung auch bei Verfolgung und Leiden. Die Botschaft Jesu vom
himmlischen Vater stellt das Gottesverhältnis radikal unter die Vorzeichen von Vertrauen, Hingabe und
Liebe; es zeichnet sich aus durch jede Abwesenheit von Angst und Schrecken vor Gott. Um Romantik
oder Sentimentalität kann es sich nicht handeln; denn es hat sich gegenüber Leiden, Tod, Ungerechtigkeit usw. zu bewähren. Das heißt, das Vertrauensverhältnis zu Gott als Vater muss sich im Umgang mit
der gesamten Wirklichkeit des menschlichen Daseins realisieren. Von der Welt her ist das Gottesverhältnis dem gleichen Widerspruch ausgesetzt, derselben Anfechtung wie die Reichsbotschaft Jesu
und der Glaube an sie. Trotzdem soll der Mensch darauf eingehen und aus der Gewissheit der Liebe
Gottes leben. Jesus selbst hat für seine Person ganz damit Ernst gemacht; er hat als »Sohn Gottes«
gelebt, bis zum bitteren Ende des Kreuzes: »Abba, Vater, dir ist alles möglich; nimm diesen Kelch von
mir; doch nicht was ich will, sondern was du willst« (Mk 14,36) heißt es im Gebet im Garten Gethsemani. Die Tatsache, dass Jesus am Kreuzesgalgen geendet hat, beruht keineswegs auf blindem Zufall,
sondern liegt in der Fluchtlinie seiner Heilsbotschaft und seiner Gottesbotschaft. [...]
Die Verkündigung und das zeichensetzende Handeln Jesu, das ergibt sich aus all dem, haben als
notwendige Voraussetzung ein ganz eigentümliches Wissen dieses Menschen Jesus um Gott, um seinen
Heilswillen gegenüber Mensch und Schöpfung, ein ursprüngliches und alles tragendes Gottverhältnis,
das diesen Jesus von Nazareth zu einem besonderen, einzigartigen Zeugen Gottes macht. Er ist der
Mensch, bei dem sich die Frage nach Gott mit einer letzten Unausweichlichkeit stellt. Der Vergleich mit
der zeitgenössischen religiösen Umwelt zeigt, dass Jesus seine jüdischen Voraussetzungen überragt,
dass er nicht darin aufgeht, sondern unableitbar ist. Das Unableitbare liegt vor allem in der Radikalität,
mit der Jesus den unbedingten Heilswillen Gottes verkündet, Gottes bedingungslose Zuwendung zur
Welt und zum Menschen. Mit großzügiger Geste beseitigt er die Schranken, die Gott vom Menschen
fernhalten; er vereinfacht die Bedingungen der Frömmigkeit, wenn er die Gebote auf wenige Grundgehalte reduziert und im Liebesgebot zusammenfasst. Und für diese Gotteswirklichkeit steht er ein mit
seiner ganzen Person; das bringt ihn in Konflikt mit den herrschenden Gruppen und zuletzt ans Kreuz.
Nicht, dass Jesus sich einfach mit Gott identifizieren würde, das geschieht gerade nicht. Dem reichen
jungen Mann, der an ihn herantritt mit der Frage: »Guter Meister, was soll ich tun, um das ewige Leben
zu erben?« antwortet Jesus: »Was nennst du mich gut? Keiner ist gut außer Gott« (Mk 10,17 f). Er ist
und bleibt der Mensch, der auf Gott verweist. Aber das Zeichen und Zeugnis Gottes bleibt an seine
Person, an ihn selbst gebunden. Er selbst ist dieses Zeichen Gottes in der Geschichte und zwar des
Gottes, der seine Herrschaft heraufführen, das Unheil beseitigen und die Mächte des Bösen überwinden
will. Die Sache Gottes, so ließe sich formulieren, ist wirklich ganz und gar Jesu eigene Sache, die mit
ihm steht und fällt; und Jesu Sache kann gar nicht anders verstanden werden denn als die Sache Gottes,
um die ausschließlich und allein es ihm zu tun ist. Er hat daneben keine Privatsache, die er auch noch
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betreiben würde. Was das Neue Testament über Jesus für berichtenswert hält, hat immer mit dieser
Sache zu tun. Alles andere ist nebensächlich, wie etwa das, was Jesus vor seinem öffentlichen Auftreten
tat. Den Jüngern und der überliefernden Gemeinde hat Jesus sich als der eingeprägt, dem die Sache
Gottes die alles beherrschende Größe war, so dass von ihm sprechen auch sofort hieß von Gott und
Gottes Handeln, vom Reich Gottes sprechen. Wenn allgemein die geschichtliche Bedeutung eines
Menschen darin liegt, für welche Sache er seine Zeit und seine Person zum Einsatz brachte, dann liegt
die geschichtliche Bedeutung Jesu eben genau darin, dass es für ihn keine andere Sache gab als die
Sache Gottes in der Welt. Wer sich darüber informieren will, der muss sich an Jesus wenden.
Das geht freilich so weit, dass Jesus mit einer verblüffenden Selbstverständlichkeit einem bedeutet,
dass an der Einstellung zu ihm die Einstellung zu Gott sich präzisiert und entscheidet. Die unbedingte
Entschiedenheit, in welcher Jesus Gottes Wirken in seinem eigenen Tun vergegenwärtigt, fordert solche
Entscheidung heraus. Es gehört zum neutestamentlichen Bild Jesu, dass man Jesus gegenüber nicht
neutral bleiben kann, sondern Stellung beziehen muss.
Jesus hat am Kreuz geendet; das war, wie gesagt, kein Zufall. Die Heilsbotschaft Gottes war eine
Kampfansage an eine in sich verhärtete und verschlossene Welt; dass diese religiöses Gepräge trug als
traditionell-orthodoxe Institution, gibt zu denken. Jesus ging es darum, die Menschen für Gott frei zu
machen, doch gerade diese mit dem Heil verbundene Freiheit forderte das Opfer seines Lebens. Der
Osterglaube besagt, dass Gott das Opfer seines Knechtes in den eschatologischen Sieg verwandelte, mit
Mythologie hat dies nichts zu tun. Vielmehr, von Ostern her werden Person und Werk Jesu als das
rettende, unbedingte und für alle Zeit feststehende Ja Gottes zum Menschen erkennbar. Der christliche
Osterglaube bezeugt Gott wirklich als den Gott, den Jesus verkündet hat; als den Gott, der allem
Widerspruch und allem Unheil zum Trotz das Unheil überwindet und das Heil schafft. Das ist die
Wahrheit, deren Zeuge Jesus Christus ist. Was hat Jesus von Nazareth mit der Gottesfrage zu tun? Man
könnte darauf antworten, mit der Gottesfrage an sich gar nichts. Denn für ihn gab es keine Gottesfrage;
ihm war Gott kein »Problem«. Mit der Wirklichkeit Gottes dagegen hat Jesus sehr viel, alles zu tun.
Ihm ging es darum, die Wirklichkeit Gottes als die Heilsmacht des Menschen zu bezeugen, als die
Realität, aus der heraus und auf die hin der Mensch in einer vom Unheil gezeichneten Welt in Glauben,
Hoffnung und Liebe leben kann. Man kann über Gott in sehr verschiedener Weise reden, philosophisch,
theologisch, fromm oder skeptisch, problematisierend und tiefsinnig. Jesus hat keine neue Theologie
gebracht, sondern er machte mit dem, worüber die Theologen reden, Ernst. Er legte Gott durch sich
selber, durch sein Wort und seine Taten aus; deshalb ist seine Sprache menschlich, welthaft und
Gotteswort in einem. Er bezeichnet durch sich den Ort, an dem man Gott in der Geschichte finden
kann, wo man ihm begegnen kann. Das kann ganz einfach geschehen, wie im Gleichnis vom barmherzigen Samariter, der an der Straße nach Jericho den Menschen findet, der seine Hilfe braucht. Man
kann in diesem Gleichnis alles finden, was Jesus über Gott hat sagen wollen. Ob man mit diesem Gott
etwas anfangen kann, muss jeder selbst erproben. Denn nicht, was ich über Gott weiß, ist letztlich
entscheidend, sondern ob Gott mir zur Wirklichkeit wird. Wo dies geschieht, ist das Reich Gottes, das
Jesus verkündigte, nahe.
aus: J. Blank, Antworten des Neuen Testamentes. In: H.-J. Schultz (Hrsg.), Wer ist
das eigentlich - Gott? München: Kösel 1969, S. 111-122 (Auszug)
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