Kreditrisikomodellierung von ausfallbehafteten

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Ergebnisbericht der Deutschen Aktuarvereinigung e.V.
Kreditrisikomodellierung von ausfallbehafteten
Kapitalanlagen in Versicherungsunternehmen
Köln, 05.02.2014
Präambel
Die Arbeitsgruppe „Kapitalanlagemodellierung inkl. Bilanzierungsfragen und
Betrachtung aktivseitiger Managementregeln“1 des Ausschusses Investment hat
zu dem Thema „Kreditrisikomodellierung von ausfallbehafteten Kapitalanlagen in
Versicherungsunternehmen“ den vorliegenden Ergebnisbericht erstellt.
Anwendungsbereich / Inhalt des Ergebnispapiers
Der Bericht betrifft Fragestellungen der Kapitalanlage und soll Aktuaren einen
Überblick über die derzeit im aktuariellen Bereich verwendeten Modelle zur
Kreditrisikoberechnung und deren Einbindung in die Unternehmensmodelle geben.
Er ist an die Gremien der DAV zur weiteren Berücksichtigung gerichtet und wird
den Mitgliedern zur Information über die von der Arbeitsgruppe erzielten
Erkenntnisse zur Verfügung gestellt. Der Bericht stellt keine verbindliche Position
der DAV dar und enthält keine Vorgaben für die aktuarielle Praxis.
Verabschiedung
Dieser Ergebnisbericht ist durch den Ausschuss am 05.02.2014 verabschiedet
worden.
Mitglieder der Arbeitsgruppe: Alexander Schalk (Leitung), Jörn Ehm, Torsten Grabarz,
Dr. Oleksandr Khomenko, Stefan Köstner, Dr. Martin Leitz-Martini, Dr. Christina
Schmerling, Suzan Starova, Dirk Strehmel, Dr. Thomas Viehmann, Reimar Volkert
1
2
Inhaltverzeichnis
1.
Einleitung ............................................................................................ 4
2.
Grundlegende Definitionen und einführendes Beispiel ............................... 5
2.1 Spread und Risikoprämie.................................................................. 5
2.2 Ratings und Zerlegung des Spreads ................................................... 8
2.3 Definition der zu modellierenden Kreditrisiken .................................. 14
2.4 Komponenten des Marktspreads...................................................... 15
3.
Anwendung ....................................................................................... 16
3.1 Reine Anlagebetrachtung ............................................................... 16
3.1.1 Bewertung von Kapitalanlagen (Mark-to-Model) ............................. 17
3.1.2 Risikobetrachtung von Kapitalanlagen ........................................... 18
3.2 Unternehmensbetrachtung unter Einbeziehung der Passiva ................ 19
3.2.1 Bewertung in der Unternehmenssicht ............................................ 20
3.2.2 Risikokapitalberechnung im Unternehmensmodell........................... 21
4.
Marktübliche Modelle .......................................................................... 22
4.1 Merton Modell ............................................................................... 22
4.2 KMV Modell .................................................................................. 24
4.3 Modell von Vasicek ........................................................................ 25
4.4 CreditMetrics ................................................................................ 26
4.5 Credit Risk+ ................................................................................. 27
4.6 Credit Portfolio View ...................................................................... 29
4.7 Modell von Fons ............................................................................ 30
4.8 Modell von Jarrow und Turnbull ....................................................... 31
4.9 Modell von Jarrow-Lando-Turnbull ................................................... 32
4.10
Modell von Lando ....................................................................... 33
4.11
Longstaff Schwartz ..................................................................... 35
4.12
Modell von Duffie und Singleton ................................................... 36
5. Fazit ............................................................................................................................... 38
3
1. Einleitung
Das Anliegen dieser Ausarbeitung ist es, einen Überblick über die derzeit im
aktuariellen Bereich verwendeten Modelle zur Kreditrisikoberechnung und deren
Einbindung in die Unternehmensmodelle zu geben.
Die Modellierung erfolgt zur Abbildung der finanziellen Risiken, die sich aus der
Möglichkeit des Ausfalls von Forderungen, im Besonderen von Zinsträgern,
ergeben. Je nach Anlage materialisiert sich das Kreditrisiko in einem gegebenen
Zeitraum in einem Verlust an Marktwert. Dieser kann z.B. durch
Ratingverschlechterungen oder allgemeine Spreadausweitung entstehen. Geht die
Modellbildung zunächst von einer einzelnen kreditrisikobehafteten Anlage aus, ist
für die Betrachtung eines Portfolios zusätzlich noch eine Modellierung der
Abhängigkeiten der Verluste der einzelnen Titel erforderlich.
Vor der Modellierung des Kreditrisikos steht jedoch die Frage, welche Titel als
kreditrisikobehaftet angesehen werden und somit in die Modellierung mit
einbezogen werden sollen und wie sich der Eintritt des Kreditrisikos auf den Wert
und die Rückzahlung der ausstehenden Forderungen auswirkt. In dieser
Ausarbeitung werden unter dem Begriff „Zinsträger“ Wertpapiere und Darlehen
betrachtet. Mögliche Treiber des Kreditrisikos können anhand der Assetklassen
Unternehmensanleihen, Covered Bonds (z.B. Pfandbriefe) und Staatsanleihen kurz
verdeutlicht werden:



Das Kreditrisiko von Unternehmensanleihen ist in der Regel eng mit der
ökonomischen Entwicklung des Emittenten verknüpft.
Die Assetklasse Covered Bonds bietet für den Fall eines Kreditereignisses
einen zusätzlichen Deckungsstock an Sicherheiten. Die Ausgestaltung
dieses Deckungsstocks und die Anforderungen an die Qualität dieser
Sicherheiten unterscheiden sich jedoch zwischen den einzelnen
Jurisdiktionen.
Staatsanleihen unterliegen neben der wirtschaftlichen Entwicklung auch
politischen Einflussfaktoren auf das Kreditrisiko.
Die in dieser Ausarbeitung beschriebenen Modelle widmen sich im Wesentlichen
dem ökonomisch getriebenen Kreditrisiko. Der Anwender sollte daher vor Einsatz
dieser Modelle kritisch hinterfragen, welche Assetklassen er mit dem jeweiligen
Modell abdecken möchte und in wie weit das jeweilige Modell hierfür geeignet ist.
Im folgenden Kapitel 2 werden die Begrifflichkeiten eingeführt und anhand eines
Beispiels veranschaulicht. Dabei wird auf eine ausführliche Darstellung Wert
gelegt, die dem Leser ermöglicht, die durchgeführten Berechnungen
nachzuvollziehen. In Kapitel 3 werden die unterschiedlichen Anwendungsziele von
Kreditrisikomodellen sowohl unter einer Asset-only-Sicht als auch unter
Einbeziehung der Passiva beleuchtet. Kapital 4 beschreibt in kurzer Form am Markt
gängige Kreditrisikomodelle und stellt dabei insbesondere die Idee der dem
jeweiligen Modell zugrundeliegenden Berechnungsmethodik dar. Abschließend
wird in Kapitel 5 ein Fazit gezogen.
4
2. Grundlegende Definitionen und einführendes Beispiel
Die Cashflows eines Bonds können bei einem Kreditereignis teilweise oder auch
komplett ausfallen. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, werden Bonds am
Markt in der Regel mit einem Abschlag zum risikofreien Preis, d.h. der Preis für
Anlagen mit sicher auftretenden Zahlungen (mit risikofreier Zinskurve diskontierte
Cashflows) gehandelt. Dieser Preisabschlag beinhaltet sowohl einen Abschlag für
erwartete Ausfälle als auch eine Risikoprämie. Beide Komponenten des
Preisabschlags lassen sich in einen Spread bzgl. der risikofreien Zinskurve
umrechnen. Dabei ist die Ermittlung der erwarteten Ausfälle zumeist eine sehr
komplexe Aufgabe, die in der Regel eine aufwendige Analyse des Emittenten und
dessen Bonitätssituation erfordert. Eine grobe Abschätzung für das Ausfallrisiko
eines Bonds kann durch Ratings und die dazugehörige Migrationsmatrix
vorgenommen werden. Diskontiert man die vertraglich vereinbarten Cashflows
eines Bonds mit der ratingspezifischen Zinskurve, so nähert man sich in der Regel
an den tatsächlichen Marktwert des Bonds an. In diesem Kapitel werden wir die
erwähnten Begriffe definieren und anhand eines Beispiels veranschaulichen.
Dafür betrachten wir einen beispielhaften Bond mit einem Nominalbetrag von
EUR 100, einem jährlichen Kupon von 3% und einer Laufzeit von 5 Jahren
ab dem Bewertungsstichtag. Die nächste Kuponzahlung sei in genau einem Jahr,
insbesondere sind keine Stückzinsen aufgelaufen. Ferner nehmen wir an, der Bond
sei aktuell am Markt für EUR 102 handelbar.
2.1 Spread und Risikoprämie
Zur Bewertung des Bonds benötigen wir eine risikofreie Zinsstrukturkurve
(annualisierte Zero-Zinssätze) die folgende Form besitzen soll:
Tabelle 1. Beispielhafte risikofreie Zinsstrukturkurve
Laufzeit (Jahre)
Spot rate
Diskontfaktor
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
1,40%
1,30%
1,35%
1,53%
1,72%
1,91%
2,07%
2,20%
2,31%
2,40%
0,986
0,974
0,961
0,941
0,918
0,893
0,866
0,840
0,814
0,789
Zero Spot rate (annualisiert)
4,00%
3,00%
2,00%
1,00%
0,00%
1
2
3
4
5
5
6
7
8
9
10
Um den Bond risikofrei (d.h. es besteht kein Ausfallrisiko) zu bewerten, werden
dessen anfallende Cashflows mit den Zero-Zinssätzen passend zum jeweiligen
Zinszahlungstermin diskontiert.
Tabelle 2. Cashflows und Marktwerte des Beispiel-Bonds
Laufzeit (Jahre)
1
2
3
4
5
0,986
0,974
0,961
0,941
0,918
Cashflow
3,00
3,00
3,00
3,00
103,00
Barwert Cashflow
2,96
2,92
2,88
2,82
94,58
Diskontfaktor
Summe
106,17
Die Summe der Cashflow-Barwerte (in diesem Beispiel EUR 106.17) ergibt den
Marktwert des theoretisch risikofreien Bonds. Der in unserem Beispiel beobachtete
Abschlag zum aktuellen Marktpreis in Höhe von EUR 4.17 ist der Tatsache
geschuldet, dass der Bond nicht risikofrei ist und deshalb aufgrund des
Bonitätsrisikos des Emittenten die Kupons und/oder die Nominalrückzahlung ganz
oder teilweise ausfallen können.
Eine Möglichkeit das Kreditrisiko in die Bewertung einzubeziehen, besteht in der
Berücksichtigung eines additiven Aufschlags2 auf die risikofreie Zinskurve
(Bondspread). Hierdurch wird gewährleistet, dass der Barwert der Bond Cashflows
bewertet mit risikofreier Kurve zzgl. Spread dem aktuellen Marktwert entspricht.
In unserem Beispiel wird ein konstanter Spread zur risikofreien Kurve in Tabelle 1
in Höhe von 0,87% benötigt, um bei Diskontierung der Cashflows einen Marktwert
von EUR 102 zu erhalten.
Tabelle 3. Cashflows und Marktwerte des Beispiel-Bonds
Laufzeit (Jahre)
1
2
3
4
5
2,27%
2,17%
2,22%
2,40%
2,59%
0,978
0,958
0,936
0,910
0,880
Cashflow
3,00
3,00
3,00
3,00
103,00
Barwert Cashflow
2,93
2,87
2,81
2,73
90,65
Diskontsatz
Diskontfaktor
Summe
102,00
Ein additiver Spread ist der Standard für Bondbewertung und Marktquoten. Für
Modellierungszwecke ist es manchmal vorteilhaft den multiplikativen Spread zu
verwenden. Der additive Spread a hängt mit dem multiplikativen Spread m und
risikofreiem Zins r wie folgt zusammen (1+r+a) = (1+r)(1+m).
2
6
Spot Rate mit Spread
4,00%
3,00%
2,00%
1,00%
0,00%
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Unter der Annahme einer erwarteten („Real-World“) Entwicklung eines Bonds
können erwartete Verluste, die aus dem Kreditrisiko resultieren (Expected Losses),
ermittelt werden. Damit lässt sich jener Teil des Spreads, der durch erwartete
Verluste erzeugt wird, bestimmen. Der verbleibende Teil des Spreads entspricht
dann der Risikoprämie, die ein Investor für die Übernahme des Risikos eines
unerwarteten Verlustes zur Kompensation verlangen würde. Die oben dargestellte
Risikoprämie in Höhe von EUR 4,17 kann demnach in einen Teil für erwartete und
einen Teil für unerwartete Verluste zerlegt werden.
In unserem Beispiel nehmen wir an, dass die Ausfallwahrscheinlichkeit 0,25% pro
Jahr beträgt und dass bei Ausfall ein Drittel des Nominals erlöst werden kann, die
Recovery Rate also 1/3 und der Loss Given Default 2/3 beträgt (evtl. anfallende
Kuponzahlungen sind in der Recovery Rate berücksichtigt). Wir nehmen weiterhin
an, dass nach einem eingetretenen Ausfall keine weiteren Cashflows aus dem Bond
fließen (zum Beispiel, weil der Bond verkauft wird). Unter diesen Annahmen
können die erwarteten Cashflows berechnet werden. Diese ergeben sich im
jeweiligen Zahlungszeitpunkt aus den vertraglich festgeschriebenen Cash Flows
gewichtet mit den Wahrscheinlichkeiten, dass
kein
Default eintritt
(Überlebenswahrscheinlichkeit) sowie den Zahlungen im Default Fall (determiniert
durch die Recovery Rate) gewichtet mit der Wahrscheinlichkeit, dass der Bond
genau im gegebenen Zeitpunkt ausfällt (Ausfallwahrscheinlichkeit). In der Praxis
muss diese vereinfachende Annahme jedoch nicht zwangsläufig erfüllt sein. Zum
Beispiel wurden Forderungen gegenüber Lehman Brothers nach dessen Insolvenz
teilweise
in
mehreren
Teilzahlungen
beglichen
und
abhängig
vom
Liquidationsfortschritt war eine Anpassung der Recovery Rate zu beobachten. Die
möglichen Cashflows aus dem Bondinvestment können dann wie folgt
veranschaulicht werden.
Zeitpunkt
0
1
2
3
4
5
Cashflow
ohne Ausfall
bei Ausfall
99,75%
3,00
33,33
99,75%
3,00
33,33
7
99,75%
3,00
33,33
99,75%
3,00
33,33
99,75%
103,00
33,33
Tabelle 4. Ausfallwahrscheinlichkeiten und Erwartete Cashflows
Laufzeit (Jahre)
1
2
3
4
5
Wahrscheinlichkeit
3,00
3,00
3,00
3,00
103,00
98,7562%
Ausfall Jahr 1
33,33
0,00
0,00
0,00
0,00
0,2500%
Ausfall Jahr 2
3,00
33,33
0,00
0,00
0,00
0,2494%
Ausfall Jahr 3
3,00
3,00
33,33
0,00
0,00
0,2488%
Ausfall Jahr 4
3,00
3,00
3,00
33,33
0,00
0,2481%
Ausfall Jahr 5
3,00
3,00
3,00
3,00
33,33
0,2475%
Erwarteter Cashflow
3,08
3,07
3,06
3,05
101,80
Summe
Barwert
3,03
2,99
2,94
2,87
93,48
105,32
Cashflow ohne Ausfall
In diesem Beispiel ist der Barwert des erwarteten Cashflows unter
Berücksichtigung des Ausfalls gleich EUR 105,32. Der Preisabschlag in Höhe von
EUR 4,17 zum risikofreien Preis kann dann in den erwarteten Ausfall in Höhe von
EUR 0,85 (= EUR 106,17 – EUR 105,32) und die Risikoprämie von EUR 3,32
aufgeteilt werden. Die so erhaltene Risikoprämie kann analog zur Berechnung in
Tabelle 3 in einen konstanten Spread umgerechnet werden. Dabei ergibt sich ein
Wert von 0,69% (69 Basispunkte).
2.2 Ratings und Zerlegung des Spreads
Ausfallwahrscheinlichkeit und Recovery Rate sind zwei wichtige Parameter bei der
Modellierung des Kreditrisikos. Diese hängen natürlich von den jeweiligen
Emittenten ab und sind in der Regel schwer zu schätzen. Um eine erste
Einschätzung des Kreditrisikos für Investoren zu ermöglichen, werden von
Ratingagenturen Ratings vergeben. Im Folgenden gehen wir davon aus, dass
Bonds mit gleichem Rating vergleichbare Ausfallwahrscheinlichkeiten haben 3. Aus
den Marktpreisen von Bonds mit gegebenem Rating werden daher
ratingspezifische Zinskurven bzw. Spreadkurven ermittelt, die eine Bewertung
inklusive des inhärenten Ausfallrisikos ermöglichen sollen. Um dies anhand des
Beispiels zu veranschaulichen, nehmen wir folgende ratingabhängige SpreadStruktur an:
In der Praxis ist es ein nichttriviales Problem, Zins- und insbesondere Spread-Struktur
aus Marktdaten zu schätzen. Auch ist es eine substantielle Annahme, dass der Bond
durch Diskontieren mit Zins und einem nur von Rating und Restlaufzeit abhängigen
Spread bewertet werden kann. So können auch weitere Merkmale (z.B. Art und Branche
des Emittenten, Seniorität oder andere Ausgestaltung der Anleihe) von erheblicher
Bedeutung sein.
3
8
Tabelle 5. Beispielhafte Spread-Struktur bezogen auf die risikofreie Zinskurve
Laufzeit (Jahre)
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
AAA
0,03%
0,10%
0,20%
0,36%
0,59%
0,91%
1,28%
1,71%
2,14%
2,57%
AA
0,07%
0,21%
0,40%
0,68%
1,05%
1,48%
1,96%
2,44%
2,89%
3,31%
A
0,19%
0,53%
0,89%
1,33%
1,83%
2,35%
2,85%
3,32%
3,73%
4,07%
BBB
2,70%
3,35%
3,86%
4,37%
4,88%
5,30%
5,61%
5,82%
5,95%
6,01%
19,75%
18,54%
17,15%
16,03%
14,99%
13,89%
12,79%
11,75%
10,81%
9,98%
Non-invest.
Beobachtete Spot Spreads
(additiv, annualisiert)
Beobachtete Rating-Kurven
10,00%
10,00%
8,00%
8,00%
6,00%
6,00%
4,00%
4,00%
2,00%
2,00%
0,00%
0,00%
1
2
3
4
5
6
7
8
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
9 10
Risikolos
Risikolos + 0,87%
AAA
AA
Risikolos + AAA
Risikolos + AA
A
BBB
Risikolos + A
Risikolos + BBB
Wie man in Tabelle 5 sieht, sind die beobachteten Spreads typischerweise
laufzeitabhängig (im Gegensatz zum konstant angenommenen Spread in Abschnitt
2.1). Durch Diskontieren der vertraglich vereinbarten Cashflows mit dem
ratingspezifischen Zinskurven können die Barwerte unter Berücksichtigung des
Kreditrisikos berechnet werden4. Ein unter Umständen zu beobachtender
Preisabschlag bzw. Preisaufschlag bezogen auf den ratingspezifischen Barwert zum
tatsächlichen Marktpreis des Bonds resultiert durch eine abweichende
Risikoeinschätzung des Emittenten seitens der Marktteilnehmer. Dies tritt z.B.
dann auf, wenn die ratingspezifische Zinskurve aus einem Portfolio mehrerer
Bonds abgeleitet wird, der Emittent des zu bewertenden Bonds aber nicht in
diesem enthalten ist.
Analog zur Vorgehensweise im Abschnitt 2.1 kann ein (ratingabhängiger)
bondindividueller Spread ermittelt werden. Dabei handelt es sich um einen
konstanten additiven Auf- oder Abschlag auf die entsprechende Ratingkurve, so
dass die Summe der mit der so geshifteten Ratingkurve diskontierten
Bondcashflows dem beobachteten Marktwert entspricht. Dieser individuelle Spread
kompensiert dann genau das Ausfallrisiko des jeweils betrachteten Bonds welches
aufgrund der Konstruktion der Kurve nicht durch die ratingspezifische Zinskurve
abgedeckt wird. Der Bondspread aus Abschnitt 2.1 entspricht dann dem
individuellen Spread zur risikofreien Zinskurve.
4
Vgl. Abschnitt 2.4 zur Zerlegung des Spreads.
9
Tabelle 6. Mit der Zins- und Spreadstruktur ermittelte Marktwerte der BeispielBonds mit verschiedenen Ratings
Zeitpunkt
1
2
3
Cashflow
3,00
3,00
3,00
4
5
3,00 103,00
Barwert Cashflow
Summe
Individueller Spread
Risikofrei
2,96
2,92
2,88
2,82
94,58
106,17
0,87%
AAA
2,96
2,92
2,86
2,78
91,88
103,40
0,30%
AA
2,96
2,91
2,85
2,75
89,86
101,33
-0,14%
A
2,95
2,89
2,81
2,68
86,53
97,86
-0,91%
BBB
2,88
2,74
2,58
2,38
74,82
85,40
-3,95%
Non-Investment
2,48
2,09
1,80
1,57
47,57
55,50
-14,25%
Die mit ratingspezifischen Kurven ermittelten Preise können als die Marktwerte
eines generischen (durchschnittlichen) Bonds mit gegebenen Rating und Kupon
von 3% gesehen werden. Der Marktwert unseres Beispielbonds beträgt EUR 102
und liegt damit am nächsten zum Marktwert eines generischen Bonds mit Rating
AA. Dies ist ein Indiz dafür, dass das mit dem betrachteten Beispielbond
verbundene Kreditrisiko von den Marktteilnehmern ähnlich zu dem eines AA
gerateten Bonds eingeschätzt wird. Eine größere Differenz zwischen dem
Marktwert eines Bonds und der Summe der mit einer Rating-Kurve diskontierten
Bond-Cashflows könnte entstehen, falls Ratingagenturen und Marktteilnehmer
deutlich unterschiedliche Einschätzungen bzgl. des Kreditrisikos des Emittenten
haben. Eine weitere Ursache für das Auseinanderfallen des theoretisch ermittelten
Wertes und des Marktwertes kann im Auftreten von Marktanomalien (z.B.
Liquiditätsengpass) liegen.
Analog zum vorherigen Abschnitt 2.1 können auch im Fall von Spreadkurven die
erwarteten Verluste aus dem Kreditrisiko (Expected Losses) ermittelt werden.
Dadurch wird der Preisabschlag für erwartete Ausfälle von der Risikoprämie
getrennt.
Konkret nehmen wir weiterhin an, dass bei einem Ausfall ein Drittel der
vereinbarten Zahlungen erlöst werden kann, also Recovery Rate = 1/3 und Loss
Given Default = 2/3 (bezogen auf das Nominal). Jeder Bond wird als nur einmal
ausfallend angenommen und wir fassen das Rating eines Bonds (einschließlich
Ausfall) als Zufallsvariable auf. Dafür treffen wir die Annahme, dass Ausfall und
Ratingmigrationen durch einen zeithomogenen Markovprozess dargestellt werden
können und für die betrachteten Bonds die jährlichen Wahrscheinlichkeiten für
zukünftige Migrationen und Ausfälle durch die folgende Übergangsmatrix gegeben
sind5:
5
Tatsächlich ist jede dieser Annahmen kritisch zu hinterfragen.
10
Tabelle 7. Beispielhafte Migrationsmatrix
AAA
AA
A
88,4%
10,0%
0,9%
0,5%
0,2%
0,0%
AA
0,8%
86,8%
11,0%
0,9%
0,5%
0,0%
A
0,4%
2,5%
90,1%
6,0%
0,9%
0,1%
BBB
0,2%
0,4%
4,9%
87,7%
4,6%
2,1%
Non-invest.
0,1%
0,2%
0,5%
2,2%
81,3%
15,6%
Ausfall
0,0%
0,0%
0,0%
0,0%
0,0%
100,0%
AAA
BBB Non-invest.
Ausfall
Die Matrix ist so zu lesen, dass jede Zeile zu einem Ausgangszustand gehört und
in den Zellen die Wahrscheinlichkeiten abzulesen sind, dass nach einem Jahr der
zur jeweiligen Spalte gehörige Zielzustand erreicht wird. Für einen BBB-Bond
beträgt also zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit, nach einem Jahr immer noch ein
BBB-Rating zu besitzen, 87.7%, jene, innerhalb eines Jahres auszufallen, 2.1%.
Die Annahme eines zeithomogenen Markovprozesses erlaubt es, abhängig vom
Startrating Ausfallwahrscheinlichkeiten und Ratingverteilungen nach t Jahren
anzugeben, indem die Matrix t-Mal mit sich selbst multipliziert wird. Zum Beispiel,
bezogen auf einen Bond mit Rating A ergeben sich folgende Ratingverteilungen auf
t-Jahres-Sicht:
Ratingverteilung eines Bonds mit
Startrating A nach t Jahren
100%
AAA
80%
AA
60%
A
40%
BBB
20%
non-inv.
Ausfall
0%
0
1
2
3
4
5
Mit obiger Matrix ergeben sich folgende kumulierte Ausfallwahrscheinlichkeiten
innerhalb von t Jahren abhängig von Startrating:
11
Tabelle 8. Wahrscheinlichkeiten für einen Ausfall innerhalb von t Jahren (über t
kumuliert)
Jahr t
1
2
3
4
5
AAA
0,01%
0,07%
0,17%
0,33%
0,55%
AA
0,02%
0,13%
0,35%
0,67%
1,10%
A
0,05%
0,37%
0,93%
1,71%
2,69%
BBB
2,10%
4,68%
7,55%
10,58%
13,67%
15,63%
28,39%
38,82%
47,36%
54,39%
Non-invest.
Daraus lässt sich die Ausfallwahrscheinlichkeit im Jahr t abhängig von Startrating
ermitteln (Gesetz der totalen Wahrscheinlichkeit):
Tabelle 9. Wahrscheinlichkeiten für einen Ausfall im Jahr t
Default Raten pro Jahr
1
2
3
4
5
AAA
0,01%
0,06%
0,11%
0,16%
0,21%
AA
0,02%
0,11%
0,22%
0,32%
0,44%
A
0,05%
0,32%
0,56%
0,79%
0,99%
BBB
2,10%
2,63%
3,01%
3,28%
3,46%
15,63%
15,12%
14,56%
13,97%
13,34%
Non-invest.
Analog zur Berechnungen in Tabelle 4 können die erwarteten Cashflows und deren
Barwert ermittelt werden (unter den getroffenen Annahmen fließt ein Cashflow im
Jahr t nur falls bis Jahr t-1 kein Default eingetreten ist):
Tabelle 10.
Startratings
Erwartete
Cashflows
des
Beispielbonds
mit
verschiedenen
Zeitpunkt
1
2
3
4
5
Risikofrei
3,00
3,00
3,00
3,00
103,00
AAA
3,00
3,00
3,00
3,00
102,65
AA
3,01
3,01
3,00
3,00
102,30
A
3,02
3,01
3,01
2,99
101,20
BBB
3,64
3,56
3,47
3,36
90,80
Non-invest.
7,74
6,53
5,54
4,74
48,48
Diskontiert man die erwarteten Cashflows mit der risikofreien Zinskurve, so erhält
man erwartete Barwerte der Cashflows zum Zeitpunkt t=0.
12
Tabelle 11. Barwert der
verschiedenen Startratings
erwarteten
Cashflows
des
Beispielbonds
Zeitpunkt
1
2
3
4
5
Summe
Risikofrei
2,96
2,92
2,88
2,82
94,58
106,17
AAA
2,96
2,93
2,88
2,82
94,26
105,85
AA
2,96
2,93
2,88
2,82
93,93
105,53
A
2,97
2,94
2,89
2,81
92,93
104,54
BBB
3,59
3,47
3,33
3,17
83,37
96,93
Non-invest.
7,63
6,36
5,33
4,46
44,52
68,30
mit
Mit dieser Information lassen sich die Preisabschläge der generischen Bonds aus
Tabelle 6 zu einem risikofreien, aber ansonsten identischen Bond in den Abschlag
für erwartete Ausfälle und jenen für die Risikoprämie zerlegen.
Tabelle 12. Zerlegung des Marktwertabschlags und die Risikoprämie
Marktwert
Erwarteter
Ausfall
KreditrisikoPrämie
Summe
Risikoprämie
p.a.
AAA
103,40
0,32
2,45
106,17
0,51%
AA
101,33
0,64
4,20
106,17
0,88%
A
97,86
1,63
6,68
106,17
1,43%
BBB
85,40
9,24
11,53
106,17
2,82%
Non-investment
55,50
37,87
12,80
106,17
5,42%
120
100
80
60
40
20
0
AAA
Marktwert
AA
A
Erwarteter Ausfall
BBB
non-invest.
Kreditrisiko-Prämie
Die hier dargestellte annualisierte Risikoprämie wird durch Zielwertsuche aus der
folgenden Bedingung ermittelt: erwartete Cashflows diskontiert mit risikofreier
Zinskurve plus Risikoprämie soll dem Marktwert der generischen Bonds mit
gegebenen Rating entsprechen.
13
2.3 Definition der zu modellierenden Kreditrisiken
Anhand des obigen Beispiels können nun verschiedene Risiken identifiziert werden:

Ausfallrisiko, manchmal auch „Kreditrisiko im engeren Sinne“ genannt
Risiko, dass der Schuldner seinen Zahlungsverpflichtungen nicht vollständig
nachkommt (partieller oder totaler Ausfall).
Fällt der Beispiel-Bond mit Startrating A im ersten Jahr aus, kommt es
unmittelbar zu einem Verlust, der über dem erwarteten Verlust liegt.

Bonitätsänderungsrisiko, manchmal auch „Kreditrisiko im weiteren
Sinne“ oder bei der Benutzung von Ratings „Migrationsrisiko“ genannt
Risiko einer Bonitätsverschlechterung (z.B. Ratingabstufung) und damit
Erhöhung der Ausfallwahrscheinlichkeit.
Migriert der Beispiel-Bond mit Startrating A in t=1 zum Rating BBB, werden im
Modell zukünftige Verluste wahrscheinlicher, d.h. der erwartete Verlust steigt
und der Marktwert des Bonds sinkt.

Spreadänderungsrisiko
Risiko einer Änderung des Marktwertes des Bonds, ohne dass dies auf eine
Bonitätsverschlechterung (oder Ausfall) zurückzuführen ist.
Analog zum Zinsänderungsrisiko (auch) bei risikofreien Titeln können sich die
Spreads, wie sie in Tabelle 5 dargestellt sind, im Zeitverlauf auf Grund von
allgemeinen Marktbewegungen zufällig ändern. Auch bei unveränderter
Einschätzung der zu erwartenden Ausfälle kann daher im Falle einer
Spreadausweitung durch die damit verbundenen höheren Diskontierungssätze
ein Verlust beim Investor entstehen, z.B. wenn der Bond vor Ablauf verkauft
werden muss oder Abschreibungen nötig werden.
Wie im Beispiel dargestellt, ist zum jeweiligen Zeitpunkt der Zahlung nur die Frage,
ob der Bond tatsächlich ausgefallen ist oder nicht bzw. bei der Berechnung des
erwarteten Verlusts die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls zukünftiger Zahlungen
relevant.
Insofern
besteht
der
Unterschied
zwischen
Ausfallund
Bonitätsänderungsrisiko vor allem im zeitlichen Aspekt. Das Ausfallrisiko bezieht
sich auf eine fixierte künftige Periode, während das Bonitätsänderungsrisiko die
Gefahr, dass sich das Ausfallrisiko bezüglich zukünftiger Zahlungen auch während
der fixierten künftigen Periode verschlechtern kann, berücksichtigt.
Zu beachten ist, dass die Definition von Kreditrisiken nicht einheitlich ist. Spielt
beispielsweise die Marktbewertung auch mittelbar keine Rolle (z.B. bei nicht
gehandelten von Banken vergebenen Krediten), können Kreditrisiken als nur
Ausfallund
Bonitätsänderungsrisiko
umfassend
angesehen
werden.
Typischerweise kommen bei einer Modellierung in einem solchen Fall DefaultMode-Modelle zum Einsatz, die Ausfallwahrscheinlichkeiten und Verluste durch
Ausfall quantifizieren, aber keine Marktwerte modellieren.
In der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Ausarbeitung aktuellen Definition
der Solvency II-Standardformel werden für die dort berücksichtigten Anlagen alle
drei obigen Risiken im Spreadrisiko-Modul erfasst. Das Counterparty-Default14
Risiko-Modul behandelt hingegen Kreditrisiken in Positionen der Solvenzbilanz, die
nicht vom Spreadrisiko-Modul erfasst werden.
2.4 Komponenten des Marktspreads
Im obigen Beispiel wurde angenommen, dass der Marktspread ausschließlich dem
Kreditrisiko geschuldet ist und eine Zerlegung in erwarteten Ausfall und
Risikoprämie vorgenommen werden kann (siehe Tabelle 12). In jüngerer Zeit wird
oft eine dritte Komponente, die sogenannte Liquiditätsprämie (bzw. der
Liquiditätsspread), ausgemacht.
Der Marktspread kann dann grob in folgende drei Komponenten unterteilt werden:



Erwarteter Ausfall: Entschädigung für die erwarteten Kreditausfälle
Kreditrisikoprämie: Die Investoren in risikobehaftete Papiere tragen
Marktrisiko, da die Einschätzung und Bewertung der erwarteten Ausfälle sich
ändert (z.B. durch Ratingmigration oder Spreadveränderung). Analog zu
Aktieninvestoren,
die
eine
Risikoprämie
für
Bewertungsrisiken
in
Aktieninvestments verlangen, verlangen auch Corporate Bond-Investoren eine
Kreditrisikoprämie
als
Entschädigung
für
eventuelle
auftretende
Bewertungsrisiken und unerwarteter Verluste.
Liquiditätsprämie: Risikoprämie für eventuelle Liquiditätsrisiken. Ein Investor
kann eine Risikoprämie verlangen, wenn er Anlagen kauft, die möglicherweise
nur schwer oder nur unter Preisabschlägen vorzeitig verkauft werden können,
weil für sie kein liquider Markt vorhanden ist.
Das Konzept der Liquiditätsprämie hat mit der Finanzmarktkrise zunehmend an
Bedeutung gewonnen, da eine Bewertung festverzinslicher Titel allein auf Basis
des Spreads für den erwarteten und unerwarteten Ausfall teilweise deutlich von
den zu beobachteten Marktwerten differierte. Seither haben sich die Bemühungen
die Liquiditätsprämie zu modellieren und zu quantifizieren stark erhöht. Jedoch
bleibt festzuhalten, dass zum Zeitpunkt der Verfassung des vorliegenden Textes
kein etablierter Marktstandard oder Marktmodell zur Modellierung dieser Spreadart
existiert, die eine Aufteilung der Risikoprämie in Kreditrisikoprämie und
Liquiditätsprämie ermöglichen würde. Eine detaillierte Erörterung von Liquidität
und Liquiditätsprämie ist nicht Gegenstand dieser Ausarbeitung.
15
3. Anwendung
Traditionell beschäftigen sich in Versicherungsunternehmen die Bereiche
Kapitalanlagecontrolling und Asset Management mit der Messung und Steuerung
des Kreditrisikos. Im aktuariellen Kontext ist eine isolierte Betrachtung des
Kreditrisikos eher untypisch6. Stattdessen tritt die Thematik z.B. in den Bereichen
Risikomanagement und Aktuariat im Zusammenhang mit Profitabilitäts-, MCEV-,
ALM- und Solvenzberechnungen auf. Dabei stehen dann häufig zahlreiche
mathematische Modelle im Raum, für die unterschiedliche Voraussetzungen erfüllt
sein müssen und die damit jeweils nur für spezielle Fragestellungen geeignet sind.
In dieser Ausarbeitung unterteilen wir Kreditrisikomodelle in Bezug auf zwei
grundlegende Aspekte:
 das Anwendungsziel
 die Betrachtungsebene
Unter Anwendungsziel wird zwischen einer Risikobetrachtung und der
Durchführung einer Bewertung unterschieden. Unter Betrachtungsebene wird
zwischen einer reinen Anlagebetrachtung (eine einzelne Kapitalanlage oder ein
Kapitalanlage-Portfolio) und einer Unternehmensbetrachtung unterschieden. Die
folgende Tabelle zeigt die möglichen Kombinationen von Anwendungsziel und
Betrachtungsebene mit jeweils einem Beispiel aus der Praxis:
Tabelle 13. Modellverwendungszwecke
Betrachtungsebene
Reine
Anlagebetrachtung
Unternehmensbetrachtung unter
Einbeziehung der
Passiva
Bewertung
Mark-to-Model für
Anlagen ohne
verlässliche Marktpreise
Modell zur Bewertung
der Passiva (z.B. MCEV)
Risikomessung
Risiko einzelner Anlagen
mittels Risikomaß (z.B.
Value at Risk)
Risikokapitalberechnung
(z.B. Solvency II)
Anwendungsziel
Im Weiteren wird das Kreditrisiko jeweils basierend auf dieser Unterteilung
betrachtet, um anschließend in Kapitel 4 die unterschiedlichen mathematischen
Modelle ihrem Verwendungszweck zuordnen zu können.
3.1 Reine Anlagebetrachtung
Eine Möglichkeit ist die ausschließliche Betrachtung der Asset-Seite („standalone“). Auf der einen Seite ergeben sich dabei Fälle, in denen die Betrachtung
einer einzelnen Kapitalanlage notwendig ist. Falls die Betrachtung auf ein
Kapitalanlageportfolio ausgeweitet werden soll, ergeben sich zusätzliche
Anforderungen an die verwendeten Modelle, da hier auch die Korrelationen der
Im Erläuterungsbericht des Verantwortlichen Aktuars ist eine Einschätzung des
Kreditrisikos im Hinblick auf die Erfüllung der versicherungstechnischen Verpflichtungen
gefordert, vgl. DAV Fachgrundsatz „Kapitalanlagethemen im Erläuterungsbericht des
Verantwortlichen Aktuars“, Kapitel 2.4.
6
16
betrachteten Risiken (Ausfall, Spread, Zinsänderung, Risiken anderer
Assetklassen) zwischen den verschiedenen Assets berücksichtigt werden müssen.
Beiden Sichtweisen ist charakteristisch, dass die Assets für sich und nicht
unmittelbar in ihrer Auswirkung auf den Wert des Unternehmens, welches die
Assets hält, betrachtet werden.
3.1.1 Bewertung von Kapitalanlagen (Mark-to-Model)
Bei der Bewertung von Kapitalanlagen geht es darum, einen Preis für z.B. einen
Bond zum jetzigen Zeitpunkt oder den erwarteten Preis zu einem zukünftigen
Zeitpunkt zu bestimmen. Dabei wird genau ein Wert bestimmt. Mark-to-ModelAnsätze werden üblicherweise verwendet, um den Wert einer illiquiden oder nicht
handelbaren Anleihe zu bestimmen. Dabei werden die für die Kreditqualität
relevanten Merkmale z.B. aus Unternehmenskennzahlen und Klassifikation der
Besicherung ermittelt.
Hintergrund für diese Vorgehensweise ist, dass nur für einen Teil der
Kapitalanlagen eines Versicherungsunternehmens ein verlässlicher Marktpreis, wie
z.B. über eine Börse ermittelt, herangezogen werden kann. Andernfalls wird eine
valide Bewertung über Modelle für die nicht börsengehandelten Namenspapiere
und Schuldscheindarlehen der Direktanlage, die i.d.R. einen bedeutenden Anteil
der Kapitalanlagen ausmachen, benötigt. In der Praxis hat sich hierfür die bereits
in dem einführenden Beispiel dargestellte Discounted Cash Flow-Methodik
etabliert. Der entscheidende Aspekt in dieser Methodik ist dabei die Ermittlung des
individuellen Spreads (oder alternativ die einzelnen Spread-Komponenten)
gegenüber den risikofreien Zinssätzen. In unserem einführenden Beispiel konnten
wir den Spread in Höhe von 0,87% recht einfach über den risikofreien Zins und
den Marktwert des Bonds über eine Zielwertsuche ermitteln. Dies ist für einen
Titel, der keinen über den Markt ermittelten Wert aufweisen kann, nicht möglich.
Daher ist die genaue Analyse des Titels bzgl. der Kreditqualität notwendig.
Neben den in Abschnitt 2.4. genannten Komponenten des Kredit- und LiquiditätsSpreads sind u.a. auch folgende Kennzahlen für die Kreditqualität einer Anleihe
von Bedeutung: Eigenschaften des Emittenten, Art der Anleihe, Rating, Kupon
und Laufzeit.
- Der Emittent kann beispielsweise nach privatrechtlicher oder staatlicher
Unternehmensform, Größe, Herkunftsland oder Rating unterschieden
werden.
- Die Komponente Art der Anleihe kann bzgl. der Deckung des Papiers (z.B.
hypothekare bzw. staatliche Deckung bei Pfandbriefen/ Covered Bonds bzw.
Staatsanleihen) oder Rang der Anleihe (erstrangig, nachrangig oder
Genussrecht) unterschieden werden.
- Die Komponenten Rating des Emittenten, Laufzeit und Kupon der Anleihe
sind ohnehin von fundamentaler Bedeutung.
Als Hilfe zur Bewertung einer nicht notierten Anleihe, wird entweder der Marktwert
einer börsennotierten Anleihe, die eine vergleichbare Kreditqualität besitzt oder
der Spread mit Hilfe eines Index ermittelt.
Beispiel: Es soll ein Pfandbrief einer Bank, die keine börsennotierten
Pfandbriefe im Umlauf hat, bewertet werden. Für die Herleitung des
17
gesuchten Spreads sollte ein börsennotierter Pfandbrief gefunden werden,
der dieselbe Laufzeit und einen vergleichbaren Deckungsstock hat. Darüber
hinaus können weitere Merkmale der emittierenden Bank wie etwa
Bilanzsumme, Umsatz, Mitarbeiterzahl, eine ähnliche Ausrichtung und eine
vergleichbare Bonitätseinschätzung berücksichtigt werden.
Falls der Spread oder Marktwert nicht direkt ermittelt werden kann, könnte man
die einzelnen Kreditrisikokomponenten (z.B. Rating oder Art der Anleihe)
ermitteln. Daraus kann wie bereits im Beispiel in Kapitel 2 dargestellt der Spread
hergeleitet werden.
Beispiel: Dem Papier wird ein Rating zugeordnet und daraus die
Ausfallwahrscheinlichkeit abgeleitet. Es wird dabei entweder auf ein
offizielles Rating (veröffentlicht von S&P, Fitch oder Moody‘s) oder alternativ
auf ein internes Rating (z.B. unternehmensindividuelle Einschätzung)
zugegriffen.
Die oben geschilderten Bewertungen lassen sich von einer Kapitalanlage auch auf
ein Kapitalanlageportfolio erweitern. Die analog zu oben definierten Risikofaktoren
können dabei zur Klassifizierung der Einzeltitel des Portfolios dienen, d.h.
Einzeltitel mit gleichen Risikofaktoren erhalten nach obigem Modell den gleichen
Wert aus dem Modell.
3.1.2 Risikobetrachtung von Kapitalanlagen
Bei der Risikomessung hingegen werden auch ausgehend von der Bewertung zum
jetzigen Zeitpunkt mögliche Preise zu einem zukünftigen Zeitpunkt bestimmt.
Dabei werden zum zukünftigen Zeitpunkt mindestens zwei Preise berechnet: der
erwartete Preis zu diesem Zeitpunkt und ein unerwarteter Preis zu diesem
Zeitpunkt. Bei nur zwei Preisen wird die Differenz als Risiko interpretiert. Bestimmt
man in sehr vielen möglichen Szenarien die Preise, so ergibt sich eine Verteilung
der Preise zum Betrachtungszeitpunkt. In diesem Fall wird das Risiko zumeist als
die Differenz zwischen einem Punkt auf der Verteilung und dem erwarteten Preis
aus dieser Verteilung definiert. Eine Alternative zu Risikobetrachtungen auf Basis
von Quantilen ist die Analyse definierter Szenarien. Beide Ansätze haben die
Zielsetzung, einen Bond in Bezug auf Auswirkungen von Änderungen von
Ausfallwahrscheinlichkeiten, Credit Spreads oder Zinssätzen zu analysieren.
Analog zu 3.1.1 kann dieses Vorgehen für einen Einzeltitel zur Anwendung
kommen, aber auch für ein Kapitalanlageportfolio. Aufgrund der QuantilBetrachtung muss in letzterem Fall zusätzlich die Abhängigkeitsstruktur zwischen
18
den Einzeltiteln bzw. den Risikofaktoren modelliert werden (z.B. Korrelationen oder
Copulas).
3.2 Unternehmensbetrachtung unter Einbeziehung der Passiva
Eine zweite Möglichkeit für die Betrachtungsebene ist die gesamthafte Sicht auf
ein Versicherungsunternehmen, d.h. den Versicherungsbestand einschließlich der
ihm zugeordneten Kapitalanlagen. Für diese Betrachtung sind insbesondere
Interaktionen zwischen der Entwicklung der Kapitalanlagen und der Entwicklung
der Passiva über Bilanzierungs- und Managementregeln, beispielsweise durch die
Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung, zu berücksichtigen. Auch
hierbei ergeben sich zwei alternative Betrachtungsweisen. Zum einen kann die
Modellierung darauf abzielen, die Passiva zu bewerten und dabei auch das für das
Unternehmen bestehende Kreditrisiko einbeziehen (z.B. MCEV-Berechnung). Zum
anderen kann eine Modellierung des Unternehmens zum Zweck der
Risikokapitalberechnung erfolgen, wofür üblicherweise eine Real-WorldBetrachtung erfolgt, bei der ebenfalls das Kreditrisiko berücksichtigt werden kann7.
In beiden Fällen wird ein üblicherweise schon vorliegendes Modell zur Abbildung
der Kapitalanlagen erweitert um die Abbildung des Kreditrisikos. Wie im DAV
Hinweis zur Modellierung von Kapitalanlagen8 beschrieben, wird in solchen
Modellen vorab meist eine Verdichtung der Einzeltitel vorgenommen, um mit den
daraus resultierenden Modelpoints die Entwicklung der Kapitalanlagen möglichst
gut zu approximieren und gleichzeitig die Rechenzeit des Modells zu verkürzen.
Generell erhöht die Modellierung von Kreditrisiken die Anzahl der Merkmale jedes
Modelpoints. Für die Verdichtung ist festzulegen, bei welchen Merkmalen eine
Zusammenfassung möglich und sinnvoll erscheint und welche Merkmale zu
verdichteten Modelpoints höherer Granularität führen. Bei der Zusammenfassung
von Kapitalanlagen zu Modelpoints ist die Auswirkung auf die Modellierung der
Abhängigkeitsstruktur zu beachten. Für die weiteren Überlegungen in diesem
Abschnitt liegt der Fokus auf dem Kreditrisiko aus Kapitalanlagen. Andere
Gegenpartei-Ausfallrisiken (z.B. Rückversicherungsausfall), die in solchen
Unternehmensmodellen betrachtet werden, sind nicht Gegenstand dieser
Ausarbeitung.
Es ist bei der Erweiterung auf das Kreditrisiko zunächst festzulegen, welche
Anlagen als kreditrisikobehaftet angesehen werden. Ferner ist für die
verschiedenen Klassen von Anlagen (Unternehmensanleihen, Pfandbriefe,
Staatsanleihen)
gegebenenfalls
eine
jeweils
angemessene
anlageklassenspezifische
Kreditrisikomodellierung
vorzunehmen.
Diese
Entscheidungen grundsätzlicher Natur sollten im Wesentlichen dauerhaft getroffen
und dokumentiert werden. Ihre Änderung kommt einer Modelländerung für die
betroffenen Titel gleich und ist entsprechend zu behandeln. Für ratingbasierte
Modelle ist in Abhängigkeit des Anwendungszwecks, der Materialität der
entsprechenden Bestände und der Verfügbarkeit von belastbarer Information zur
Kalibrierung der Szenarien festzulegen, welche Ratingklassen im Modell erfasst
werden sollen (z.B. Letter-Ratings AAA, AA, etc. ohne „+“ und „–“,
Innerhalb der Real-World-Betrachtung ist ggf. noch eine risikoneutrale Bewertung
erforderlich.
8
DAV Fachgrundsatz Investment: Modellierung von Kapitalanlagen, Dezember 2010
7
19
Zusammenfassung
von
nicht-Investment)
und
wie
die
Ratinginformationen auf die modellierten Ratings abzubilden sind.
verfügbaren
Falls Startzins- bzw. Spreadkurven kalibriert werden, kann prinzipiell einerseits auf
Marktindizes, andererseits auf Daten über das eigene Portfolio zurückgegriffen
werden. Es ist dabei kritisch zu hinterfragen, in wie weit die durch eigene Daten
erzielbare größere Passgenauigkeit auf das aktuelle Portfolio durch geringere
Stabilität der Daten (z.B. durch mangelnde Liquidität) konterkariert werden,
insbesondere wenn auch die zukünftige Neuanlage modelliert werden soll.
Auf Modellebene sollten die sich durch die Kreditrisikomodellierung zusätzlich
ergebenden Volatilitäten und Korrelationen auf resultierende ModellPreisentwicklungen von Titeln überprüft werden. Die Verteilung von Spreads und
Übergangswahrscheinlichkeiten
sowie
die
Abhängigkeit
von
anderen
Anlageklassen sowie die Autokorrelation im Projektionsverlauf stellen wesentliche
dem Unternehmensmodell zugrunde liegende Eigenschaften dar. Für die
Überprüfung der Volatilität ist ferner zu berücksichtigen, dass gegebenenfalls eine
Diversifikationsannahme für das modellierte Portfolio auf die enthaltenen
Einzeltitel allokiert wird und damit anteilig ausfällt (analog zu der
deterministischen Modellierung von Sterblichkeit als anteilige Abgänge der Policen
in Höhe der Sterbewahrscheinlichkeit).
Soll eine Wiederanlage modelliert werden, ist festzulegen, welcher Anteil in die
jeweiligen risikobehafteten Anlageklassen investiert werden soll. Ferner ist zu
entscheiden, ob für den Kauf Ratings oder Spreads (bzw. Renditen)
ausschlaggebend sein sollen. Hier ist eine möglichst gute Übereinstimmung mit
der Realität anzustreben, aber wie bei allen Managementregeln ist zu beachten,
dass die Kapitalmarktszenarien auch Situationen enthalten können, die sich
jenseits der schon beobachteten Entwicklungen bewegen.
3.2.1 Bewertung in der Unternehmenssicht
Ein typischer Anwendungsbereich für die Bewertung von Portfolien im
Gesamtunternehmen
sind
stochastische
Berechnungen
mit
Unternehmensmodellen (z. B. MCEV, Solvenzbetrachtungen). In dieser Situation
sind die Marktwerte des Kapitalanlagenportfolios gegeben. Die Aufgabe besteht
nun darin, dieses Portfolio unter Berücksichtigung der in den Marktwerten
enthaltenen Risiken so bis zum Projektionsende fortzuschreiben, dass der
Mittelwert der diskontierten Cashflows die Marktwerte zum Start reproduziert. Die
in der Projektion dadurch entstehenden Aufwände oder Erträge aus den
Kreditrisiken werden in Lebensversicherungsunternehmen im Rohüberschuss
berücksichtigt und damit zwischen Eigentümer und Versicherungsnehmer nach
den entsprechenden Regeln geteilt. Durch passivseitige Managementregeln (z. B.
für die Größe der Rückstellung für Beitragsrückerstattung) entstehen dadurch u.
U. Rückkopplungen auf die Managementregeln für die Veränderung des Portfolios.
Das bedeutet, dass durch die Entwicklung der passivseitigen Risikopuffer ein
Einfluss auf die Höhe des einzugehenden Kreditrisikos entstehen kann.
20
3.2.2 Risikokapitalberechnung im Unternehmensmodell
Für die Ermittlung des Kredit-Risikokapitals eines Versicherungsunternehmens
sind generell zwei Ansätze möglich. Im Rahmen von Simulationsmodellen wie im
Bereich der Schaden-/Unfallversicherung kommen üblicherweise Real-WorldSzenarien in der Kapitalanlagemodellierung zum Einsatz. Sofern diese Szenarien
die geeigneten Risikofaktoren bereitstellen (Credit Spreads, Ratingmigrationen
inkl. Ausfallwahrscheinlichkeiten), kann das Kreditrisiko innerhalb des
Simulationsmodells aus der approximierten Verlustfunktion ermittelt werden. Je
Simulation wird dabei der Verlust aus dem Ausfall und aus Ratingmigrationen von
Zinstiteln bzw. aus der Veränderung von Credit Spreads gemessen, so dass sich
über alle Simulationen hinweg eine Approximation der Verlustfunktion ergibt. Aus
dieser kann mithilfe eines Risikomaßes (z.B. Value at Risk, Tail Value at Risk) zu
einem vorgegebenen Sicherheitsniveau das Risikokapital ermittelt werden. Da
gleichzeitig auch alle übrigen Risikoarten und deren Abhängigkeiten untereinander
modelliert werden, ergibt sich ebenso eine Verlustfunktion für das
Gesamtunternehmen, welche den Effekt aus dem Kreditrisiko beinhaltet.
Wird das Risikokapital nicht über eine Real-World-Simulation ermittelt, z.B. bei der
Verwendung der Solvency II-Standardformel, erfolgt üblicherweise eine separate
Betrachtung des Kreditrisikos des Assetportfolios. Anschließend wird das so
ermittelte Risiko mit den übrigen Risikoarten aggregiert und ggf. im Modell
zwischen Versicherungsnehmer und Eigentümer aufgeteilt (für Geschäft nach Art
der Lebensversicherung). Bei diesem Vorgehen sind grundsätzlich alle Modelle
einsetzbar, welche für die Kreditrisikomessung von Assetportfolios geeignet sind.
Sowohl unter dem hier beschriebenen Anwendungsziel wie auch im Falle von 3.2.1
können mehrere der Anwendungsbereiche betroffen sein. So sind beispielsweise
Ergebnisse der reinen Anlagebetrachtung (s. 3.1) Zwischen-ergebnisse oder
Eingabedaten für eine Gesamtbetrachtung (z.B. mit einem Modell ermittelte
Kapitalanlagepreise als Eingabegröße für die MCEV-Berechnung oder aus der
Risikomessung
für
einzelne
Anlagen
ermittelte
Anlageschocks
als
Zwischenergebnis für eine Risikokapitalberechnung). Für die Risikomessung kann
auch ein Kapitalbedarf mittels eines Risikomaßes aus einer Verteilung von
Bewertungen zu ermitteln sein. Bei der Verwendung eines Kreditrisikomodells
muss daher dessen Eignung für den beabsichtigten Einsatz sichergestellt werden.
21
4. Marktübliche Modelle
Vor dem Hintergrund der Verwendungszwecke aus Kapitel 3 wird eine Auswahl von
Kreditrisikomodellen steckbriefartig charakterisiert. Darin wird jeweils nach einer
Kurzbeschreibung die Berechnungsmethodik inklusive Parameter, Zeithorizont und
Modellergebnis vorgestellt. Zusätzlich findet sich zu jedem Modell eine
weiterführende Literaturangabe.
Tabelle 144. Modellübersicht
Nr.
Modell
Anwendungsziel
Betrachtungsebene
Zeithorizont
4.1
Merton
Bewertung
(Risikomessung)
Reine Anlagebetrachtung
einperiodisch
4.2
KMV
Bewertung
(Risikomessung)
Reine Anlagebetrachtung
einperiodisch
4.3
Vasicek
Risikomessung
Reine Anlagebetrachtung
einperiodisch
4.4
CreditMetrics
Risikomessung
Reine Anlagebetrachtung
einperiodisch
4.5
Credit Risk +
Risikomessung
Reine Anlagebetrachtung
einperiodisch
4.6
Credit Portfolio View
Risikomessung
Reine Anlagebetrachtung
mehrperiodisch
4.7
Fons
Bewertung
Unternehmensbetrachtung
mehrperiodisch
4.8
Jarrow und Turnbull
Bewertung
Unternehmensbetrachtung
mehrperiodisch
4.9
Jarrow-Lando-Turnbull
Bewertung
Unternehmensbetrachtung
mehrperiodisch
4.10
Lando
Bewertung
Unternehmensbetrachtung
mehrperiodisch
4.11
Longstaff Schwartz
Bewertung
Reine Anlagebetrachtung
mehrperiodisch
4.12
Duffie und Singleton
Bewertung
Unternehmensbetrachtung
mehrperiodisch
Dieses Kapitel beschränkt sich auf Modelle, die nach unserer Kenntnis direkt oder
mittelbar ihren Weg in den praktischen Einsatz bei Versicherungsunternehmen
gefunden haben. In der mathematischen Modellierung werden – nicht zuletzt aus
der Erfahrung in der Finanzkrise und durch die Arbeit an internen Modellen –
vielfältige Erweiterungen und Neuerungen diskutiert. Dabei bleibt abzuwarten,
welche Balance zwischen Abbildung der Realität, Modellkomplexität und
Verfügbarkeit von Daten und Kalibrierungsmethoden sich in neueren Generationen
von Kreditrisikomodellen durchsetzen wird.
4.1 Merton Modell
Kurzbeschreibung inkl. Anwendungsbereich
Das Modell von Merton bewertet die Kreditwürdigkeit eines Unternehmens. Es
werden Ausfallwahrscheinlichkeit und Wert einer Anleihe auf Basis des
Optionspreisansatz (Optionspreistheorie von Black und Scholes) berechnet.
22
Berechnungsmethodik
Das Modell funktioniert wie folgt
 alle Aktiva eines Unternehmens bestehen aus einem Wertpapier mit
Marktpreis 𝑉. Der Markt ist ein „perfekter Markt“, d.h. ohne
Transaktionskosten, Steuern, jederzeit ausreichend Investoren (die
beliebige Volumina kaufen) und identischen Zinsen für Kauf und Verkauf.

dieser Marktpreis kann durch folgenden stochastischen
(geometrische Brownsche Bewegung) beschrieben werden:
Prozess
𝑑𝑉 = 𝜇 𝑉𝑑𝑡 + 𝜎𝑉𝑑𝑍
wobei



𝜇 die erwartete Wachstumsrate des Unternehmens pro Zeiteinheit,
𝜎 die Volatilität des Unternehmenswertes und
𝑑𝑍 den Zufall in Form von Inkrementen einer Brownschen Bewegung
beschreibt (dargestellt durch einen Gauss-Wiener-Prozess)
Dieses Unternehmen nimmt nun eine Fremdverbindlichkeit in Höhe von 𝑌 zum
Zeitpunkt 0 auf, die zum Zeitpunkt 𝑇 zurückgezahlt werden muss. Es wird nun die
Wahrscheinlichkeit berechnet, mit der zum Zeitpunkt 𝑇
𝑉(𝑇) < 𝑌(𝑇)
gilt, d.h. das Unternehmen ist zahlungsunfähig. Für die Bewertung wird unterstellt,
dass die Firma dann liquidiert wird und die Rückzahlung der Anleihe zum Zeitpunkt
𝑇 in Höhe von min(𝑌, 𝑉) erfolgt. Die Entwicklung von 𝑉 im Zeitraum 0 bis 𝑇
unterliegt einer Lognormalverteilung mit den Parametern 𝜇 und 𝜎. Die ermittelte
Ausfallwahrscheinlichkeit wird durch den sog. Distance to Default („Abstand zum
Ausfall“), dargestellt:
𝑉(0)
𝐷𝑡𝐷 =
ln 𝑌
1
+ (µ−2𝜎2 )𝑇
𝜎 √𝑇
,
die Ausfallwahrscheinlichkeit ist 𝜙(−𝐷𝑡𝐷), wobei 𝜙 die Verteilungsfunktion der
Standardnormalverteilung ist.
Die Rückzahlung ist der Wert eines Portfolios aus einem risikofreien Bond und einer
in T fälligen short Put-Option auf 𝑉 mit Strike 𝑌. Damit ist der Wert des Bonds in
jedem Zeitpunkt bis zur Fälligkeit
𝑃(𝑡) = 𝑃𝑟𝑖𝑠𝑖𝑘𝑜𝑓𝑟𝑒𝑖 (𝑡) − 𝑃𝑢𝑡 (𝑉(𝑡), 𝑌, 𝑡, 𝑇, 𝜎),
wobei 𝑃𝑢𝑡 (𝑉(𝑡), 𝑌, 𝑡, 𝑇, 𝜎) der Black-Scholes-Preis der Put-Option ist. Wie in der
reinen Optionsbewertung spielt der Drift 𝜇 für die (risikoneutrale) Bewertung
keine Rolle.
Parameter
Die Schätzung der Parameter 𝜇 und 𝜎 gestaltet sich problematisch, da diese Größen
i. A. nicht beobachtbar sind.
Zeithorizont
einperiodisch
Ergebnis
Empirische Beobachtungen zeigen große Schwankungen in Zeiten sehr volatiler
Aktienmärkte. Damit kommt der Kalibrierung der Parameter eine große Bedeutung
zu.
23
Quellen
Merton, R. C.: On the pricing of corporate debt - the risk structure of interest rate,
presented at the American Finance Association Meetings, 1973.
4.2 KMV Modell
Kurzbeschreibung inkl. Anwendungsbereich
Das KMV-Modell beruht auf dem Unternehmenswertmodell nach Merton. Die
Verpflichtungen werden dabei jedoch nicht zu Marktwerten angesetzt, sondern zu
Buchwerten. Auf diese Weise können ausfallbehaftete Bonds bewertet und damit
auch Credit Spreads quantifiziert werden.
Neben dem Unternehmensmodell existiert auch eine Portfoliovariante des KMVModells. Die hierbei zusätzlich benötigten Assetkorrelationen werden dabei auf der
Grundlage eines Faktormodells bestimmt.
Berechnungsmethodik
Die Verpflichtungen werden als Default Point DPT bezeichnet und bestimmen sich
aus
den
Komponenten
kurzfristige
Verpflichtungen
und
langfristige
Verpflichtungen.
Die
langfristigen
Verpflichtungen
gehen
in
der
Standardkalibrierung jedoch nur mit dem Faktor 0,5 ein. Die Größe Short Term
Debt entspricht der Summe derjenigen Verpflichtungen, die im betrachteten
Zeithorizont zu erfüllen sind. Die restlichen Verpflichtungen werden unter Long
Term Debt zugeordnet.
Definiert wird des Weiteren die Größe Distance to Default 𝐷𝑡𝐷. In diese Größe fließt
neben dem DPT noch der Wert 𝑉 der Aktiva des Unternehmens ein. Der 𝐷𝑡𝐷
beinhaltet somit intuitiv eine Messung des „Abstands“ (in logarithmierten Termen)
des erwarteten Wertes der Aktiva vom kritischen Punkt, den Verpflichtungen.
𝐷𝑡𝐷 =
𝐸[ln 𝑉(𝑇)] − ln(𝐷𝑃𝑇)
𝜎√𝑇
Hieraus werden dann die empirischen Ausfallwahrscheinlichkeiten (PD) ermittelt.
Diese werden auf der Grundlage einer umfangreichen Datenbasis, die aus weltweit
25000 börsengehandelten Unternehmen besteht ermittelt.
Parameter
Die Schätzung der Parameter 𝐸[ln 𝑉(𝑇)] und 𝜎 gestaltet sich problematisch, da
diese Größen historisch beobachtbar, aber schwer prognostizierbar sind.
Zeithorizont
einperiodisch
Ergebnis
Das KMV Modell erlaubt eine erheblich bessere Kurzfristprognose der Änderungen
von Ausfallwahrscheinlichkeiten und von Ausfallereignissen als die Einschätzungen
von Rating-Agenturen, die typischerweise auf einem konjunkturzyklusübergreifenden Rating basieren. Zudem beruhen Ratings auf „Ausfallklassen“, d.h.
im Grunde auf einer mittleren Ausfallwahrscheinlichkeit für diese Klasse.
24
Quellen
Gupton, G.M., Stein, R.M.: Loss Calc V2 - Dynamic Prediction of LGD, Moody’s
KMV, 2005.
Rehm, F., Rudolf, M.: KMV Credit Risk Modeling, in: Frenkel, M., Hommel, U.,
Rudolf, M. (Hrsg.): Risk Management, Berlin, Heidelberg, New York, S. 141 – 154,
2005.
4.3 Modell von Vasicek
Kurzbeschreibung inkl. Anwendungsbereich
Das Vasicek-Modell ist ein Real-World-Modell, das die Bestimmung der
Ausfallwahrscheinlichkeit im Merton-Modell um eine Portfoliosicht erweitert, indem
ein systemischer Faktor identifiziert wird. Im Basel III-Kontext wird das
Risikokapital berechnet, indem dieser Faktor gestresst wird.
Berechnungsmethodik
Ausgangspunkt des Vasicek-Modells ist das Merton-Modell für ein Portfolio aus 𝑁
gleichen Bonds verschiedener Emittenten (bzw. in der Originalarbeit Krediten). Es
wird auf die Ausfallwahrscheinlichkeit bzw. die Distance to Default abgestellt und
die Wahrscheinlichkeit für einen Ausfall von n Bonds ermittelt. Für die FirmenwertProzesse 𝑉𝑘 (𝑘 = 1, … , 𝑁) werden identische Parameter und Wiener-Prozesse 𝑍𝑘 mit
gemeinsamer Normalverteilung der Inkremente und paarweiser Korrelation 𝜚
vorausgesetzt. Diese Prozesse können ebenso dargestellt werden als
𝑑𝑍𝑘 = √𝜚 𝑑𝑍𝑀𝑎𝑟𝑘𝑡 + √1 − 𝜚 𝑑Z̃𝑘 ,
wobei 𝑍𝑀𝑎𝑟𝑘𝑡 und die Z̃𝑘 paarweise unabhängige Inkremente besitzen. Im Modell
wird so eine Zerlegung der zufälligen Entwicklung in einen allen Bonds
gemeinsamen systemischen Faktor und einen ideosynkratischen Faktor erreicht.
Letzterer, nicht aber der Marktfaktor ist in großen Portfolien diversifizierbar.
Bedingt auf die Marktentwicklung 𝑍𝑀𝑎𝑟𝑘𝑡 (von 0 ausgehend) ist die Zahl der Ausfälle
binomialverteilt mit Parameter
𝑝 = 𝜙 (−
√𝜚
√1−𝜚
𝑍𝑀𝑎𝑟𝑘𝑡 −
1
√1−𝜚
𝐷𝑡𝐷),
−1
wobei die Distance to Default wieder als 𝐷𝑡𝐷 = −𝜙 (𝑃𝐷) definiert wird.
Im Basel-II IRB-Risikomodell wird der systemische Faktor 𝑍𝑀𝑎𝑟𝑘𝑡 für die
Risikobetrachtung bei festgehaltener 𝐷𝑡𝐷 gestresst um (nach Hinzuziehen von
Exposure at Default und Loss given Default sowie Festlegung der Korrelation 𝜚)
durch Vergleich des Unexpected Loss (= Erwarteter Verlust bedingt auf den Stress)
mit dem Expected Loss (vor Stress) das Risikokapital zu berechnen.
Beim Übergang auf die Annahme vollständiger Diversifikation wird stets die
Ausfallwahrscheinlichkeit 𝑝 als Anteil der ausgefallenen Bonds realisiert, so dass
die Verteilung des Anteils ausgefallener Bonds durch Auflösen nach dem
normalverteilten systemischen Faktor durch
1
𝐹(𝛼) = 𝜙 ( (√1 − 𝜚𝜙 −1 (𝛼) − 𝐷𝑡𝐷))
√𝜚
gegeben ist.
25
Parameter
Wichtigster festzulegender Parameter ist die Korrelation 𝜚. Außerdem wird die
Distance to Default (bzw. Probability of Default) benötigt. Für die oben
beschriebene Risikokapitalberechnung ist zusätzlich die Auslenkung des
Marktfaktors zu spezifizieren.
Zeithorizont
einperiodisch
Ergebnis
Unter Ansatz der Normalverteilungsannahmen kann mit vergleichsweise wenigen
Parametern durch das Vasicek-Modell ein Stress auf die Ausfallwahrscheinlichkeit
berechnet werden. Die dem Modell zugrundeliegende Annahme einer
gemeinsamen Normalverteilung (bzw. äquivalent dazu die Darstellung der
Abhängigkeitsstruktur durch eine Gauß-Kopula nach Li) mit festen best-estimate
Korrelationen gilt als unzureichend für die Risikomessung von Kreditportfolien (für
eine plakative Darstellung vgl. Salmon 2009).
Quellen
Vasicek, O.A.: Probability of loss on a loan portfolio, 1987; Limiting loan loss
probability distribution, 1991.
BIS: An explanatory note on the Basel II IRB Risk Weight Functions, 2005,
http://www.bis.org/bcbs/irbriskweight.pdf
Salmon, F.: Recipe for disaster: The formula that killed Wall Street, Wired 2009.
http://www.wired.com/techbiz/it/magazine/17-03/wp_quant?currentPage=all
4.4 CreditMetrics
Kurzbeschreibung inkl. Anwendungsbereich
CreditMetrics stellt eine Erweiterung des Vasicek Modells dar. Im Modell werden
die Migrationen und Ausfälle von risikobehafteten Anleihen durch Veränderung des
Unternehmenswertes dargestellt. Dadurch können die Korrelationen zwischen
Migrationen und Ausfällen unterschiedlicher Emittenten berücksichtigt werden. In
dieser Weise können die Risiken von Einzeltiteln unter Berücksichtigung der
Diversifikation zum Risiko des Gesamtportfolios aggregiert werden.
Berechnungsmethodik
Als erstes werden die korrelierten Veränderungen des Unternehmenswertes von
im Portfolio vertretenen Emittenten modelliert. Dafür werden korrelierte
Risikofaktoren 𝑅𝑖 definiert (z.B. Aktienindices für verschiedene Länder, Branchen,
usw.). Die Veränderungen von Unternehmenswerten einzelner Emittenten werden
als Summe von normalverteilten Komponenten modelliert
𝑅 = ∑ 𝜔𝑖 𝑅𝑖 + 𝜀 𝑅𝑠𝑦𝑠𝑡𝑒𝑚𝑎𝑡𝑖𝑐 ,
𝑖
wobei 𝑅𝑠𝑦𝑠𝑡𝑒𝑚𝑎𝑡𝑖𝑐 die unkorrelierte (unsystematische) Komponente des
Unternehmensreturns ist. Der Unternehmenswert ist somit Normalverteilt. Setzt
man für ∑𝑖 𝜔𝑖 𝑅𝑖 einen einzelnen Risikofaktor √𝜚 𝑍𝑀𝑎𝑟𝑘𝑡 und für 𝜀 𝑅𝑠𝑦𝑠𝑡𝑒𝑚𝑎𝑡𝑖𝑐 den
Faktor √1 − 𝜚 Z̃𝑘 ein, wird die Analogie zum Vasicek Modell deutlich.
26
Als nächstes werden die so modellierten Unternehmensreturns auf die
Ratingklassen abgebildet. Hierfür werden die Migrationswahrscheinlichkeiten aus
den Migrationsmatrizen von Ratingagenturen miteinbezogen. Die Mögliche
Emittentenreturns werden in Intervalle 𝐼𝑋 aufgeteilt und Ratings aus der
Migrationsmatrix zugeordnet, so dass für jede Ratingklasse 𝑋 die
Wahrscheinlichkeit 𝑃 (𝑅 ∈ 𝐼𝑋 ) (Unternehmensreturn gehört zum Intervall 𝐼𝑋 ) gleich
der Migrationswahrscheinlichkeit von aktuellem Rating in die Ratingklasse 𝑋 ist.
Die Intervalle 𝐼𝑋 hängen von Startrating des Emittenten ab.
Anschließend werden die korrelierten Unternehmensreturns simuliert. Falls der
Unternehmenswert eines Emittenten in einem Szenario im Intervall 𝐼𝑋 landet, dann
migriert der Emittent in diesem Szenario in die Ratingklasse 𝑋. In jedem Szenario
werden die risikobehafteten Anleihen nach der simulierten Migration durch
Diskontieren mit den entsprechenden Ratingkurven bewertet. Beim Ausfall wird
eine Recovery-Rate verwendet. Die dabei entstehenden Veränderungen des
Anleihewertes werden auf die Portfolioebene aggregiert.
Parameter
Um das Modell betreiben zu können, sollen das Set von Risikotreiber 𝑅𝑖 und die
gewichte 𝜔𝑖 und 𝜀 für einzelne Emittenten festgelegt werden. Weiterhin werden die
Migrationsmatrix und Zinsstrukturkurven für alle Ratingklassen benötigt.
Zeithorizont
einperiodisch
Ergebnis
Mit dem CreditMetrics Modell können die Migrationen und Ausfälle der einzelnen
Emittenten in Abhängigkeit von gemeinsamen Risikotreibern modelliert werden. In
dieser Weise können die Korrelationen auf Portfolioebene berücksichtigt werden.
Als Ergebnis der Simulation bekommt man die Verteilung des Portfoliowertes nach
Migrationen und Ausfälle. Daraus kann das Risiko (Value at Risk) des Portfolios
ermittelt werden. Das Modell kann auch für Staatsanleihen und Covered Bonds
verallgemeinert werden.
Quellen
CreditMetrics Technical Document, RiskMetrics Group Inc., 2007.
Daldrup, A.: Kreditrisikomodelle – State of the Art, Arbeitsbericht Nr. 8, Institut
für Wirtschaftsinformatik, Uni Göttingen, 2003.
4.5 Credit Risk+
Kurzbeschreibung inkl. Anwendungsbereich
Das CR+-Modell ist ein reines Portfoliomodell zur Bestimmung der
Verlustverteilung von Kreditrisiken, in dem nur zwischen Ausfall und Nichtausfall
der
kreditrisikobehafteten
Titel
unterschieden
wird.
Effekte
aus
Bonitätsveränderungen bzw. Ratingmigrationen während der Laufzeit werden im
Modell demzufolge nicht berücksichtigt. Außerdem wird im Modell keine Annahme
über die Ursache eines Ausfalls getroffen.
27
Berechnungsmethodik
In der einfachsten Modellvariante werden die Ausfallhöhen der einzelnen
Wertpapiere als ganzzahlige Vielfache eines festzulegenden Standardbetrages
vorgegeben und damit diskret modelliert. Die Ausfallbeträge werden als
deterministisch angenommen und ergeben sich aus dem Produkt aus Exposures at
Default und der Verlustquote im Default. Des Weiteren ist für alle Titel eine
deterministische Ausfallwahrscheinlichkeit als Eingabegröße vorzugeben.
Jedes Kreditrisiko wird einer der festgelegten Größenklassen zugeordnet. Damit
werden so genannte Exposurebänder gebildet. Im Basismodell von CR+ wird
Unabhängigkeit zwischen den Kreditrisiken den einzelnen Exposurebändern
unterstellt.
Die Anzahl der Kreditausfälle jeder Größenklasse wird approximativ durch eine
Poissonverteilung modelliert. Die Wahrscheinlichkeit 𝑊𝑛 für den Ausfall von 𝑛
Kreditnehmern bestimmt sich durch
𝑒 −𝜇 𝜇 𝑛
𝑊𝑛 =
𝑛!
Parameter
Die Verlusthöhe eines Portfolios ist in diesem Modell bestimmt durch
 die Höhe des Verlustes der einzelnen Ausfälle
 die Anzahl der ausgefallenen Titel bzw. Kreditnehmer.
Die erforderliche Parametrisierung der Poissonverteilung kann anhand historischer
Daten des betrachteten Kreditportfolios vorgenommen werden.
Zeithorizont
einperiodisch
Ergebnis
Mit dem CR+ Modell können Ausfallbeträge von kreditrisikobehafteten Portfolien
für vorgegebene Konfidenzniveaus berechnet werden. Vorteile des Modells sind,
dass es wenige Inputparameter erfordert und die Ergebnisse analytisch
berechenbar sind. Als Nachteile der einfachsten Modellvariante wirken sich neben
der unterstellten Unabhängigkeit zwischen Kreditrisiken unterschiedlicher
Exposurebänder die Ansätze einer deterministischen Recovery Rate sowie einer
zeitliche Konstanz der Ausfallwahrscheinlichkeiten aus, die für Bond-Portfolien
i.d.R. unrealistisch sind. Mit umfangreicheren CR+-Modellvarianten können einige
Nachteile überwunden werden können. Einerseits betrifft dies die Aufhebung der
Annahme einer konstanten Ausfallwahrscheinlichkeit, wobei dann für deren
Wahrscheinlichkeitsverteilung approximativ eine Gammaverteilung zugrunde
gelegt wird. Andererseits kann durch die Einführung von makroökonomisch
motivierten Hintergrundfaktoren, denen die Kreditnehmer unterschiedlich
ausgesetzt sind, die Auswirkung von Ausfallkorrelationen berücksichtigt werden
können.
Quellen
CreditRisk+ Technical Document, Credit Suisse Financial Products, 1997.
Daldrup, A.: Kreditrisikomodelle – State of the Art, Arbeitsbericht Nr. 8, Institut
für Wirtschaftsinformatik, Uni Göttingen, 2003.
Gundlach, M., Lehrbass, F.: CreditRisk+ in the Banking Industry (Springer
Finance), 2004-2010.
28
4.6 Credit Portfolio View
Kurzbeschreibung inkl. Anwendungsbereich
Das Credit Portfolio View (CPV)-Modell setzt sich aus zwei zentralen Blöcken
zusammen. Zum einen aus einem Multifaktormodell für das Ausfallrisiko eines
Portfolios und zur Simulation von bedingten, (durchschnittlichen) Ausfall- und
Übergangswahrscheinlichkeiten, abhängig von der aktuellen Wirtschaftslage und
Industrie- bzw. länderspezifischen Einflussfaktoren. Zum anderen aus einer
Methode zur Bestimmung der diskreten Ausfallverteilung eines Kreditportfolios.
Berechnungsmethodik
Im Rahmen des Multifaktormodells steht dabei vor allem der Einfluss
makroökonomischer Faktoren (beispielsweise BIP-Wachstum, Langfristzins,
Beschäftigungszahlen, Sparquote, Haushaltslage) im Vordergrund. Betrachtet wird
hierbei ein Zeithorizont, der in einjährige Perioden aufgeteilt wird. Alle
Kreditrisiken im Portfolio lassen sich länder- und sektorspezifischen Segmenten
zuordnen und durch entsprechende Segmentindices bzw. in dynamisierter Form
repräsentieren. Die Größen repräsentieren makroökonomische Variable, die den
Indexwert beeinflussen. Jede makroökonomische Variable folgt ihrerseits einem
univariaten autoregressiven AR[2]-Prozess. Zwischen den Störtermen können
auch Korrelationen zugelassen werden.
Innerhalb eines jeden Marktsegments wird noch das Rating der einzelnen
Kreditrisiken berücksichtigt. Dazu betrachtet man zunächst Übergangsmatrizen,
basierend auf den Daten von Ratingagenturen. Diese sind von ihrer Konstruktion
her unbedingt, d.h. berücksichtigen nicht den aktuellen Stand der Volkswirtschaft.
Insofern müssen die Übergangsmatrizen modifiziert werden, um sie an die jeweils
aktuelle Wirtschaftslage anzupassen. Die (historischen) Übergangsmatrizen
werden damit in bedingte Übergangsmatrizen transformiert. Die Transformation
basiert für jedes Marktsegment und für jede Periode auf einer Skalierung der
Elemente der (unbedingten) Rating-Übergangsmatrix anhand der Verhältnisse der
bedingten
Ausfallwahrscheinlichkeiten
zu
den
durchschnittlichen
Ausfallwahrscheinlichkeiten gemäß der Daten der Ratingagentur.
Aus der unbedingten Übergangsmatrix werden auf diese Weise die bedingten
Übergangsmatrizen für jede Periode abgeleitet. Die entsprechende (bedingte)
Übergangsmatrix bis zum Ende der betrachteten Periode ist dann durch
Multiplikation der einzelnen Übergangsmatrizen aller betrachteten Perioden
gegeben. Damit erhält man insgesamt zu jedem Segment und zu jedem
Startrating eine bedingte, von der (prognostizierten) Entwicklung der
Wirtschaftslage abhängige, Verteilung von Ausfallwahrscheinlichkeiten.
Zur Bestimmung der Ausfallverteilung eines Kreditportfolios werden im Rahmen
von CPV, zunächst unter der Annahme der (bedingten) Unabhängigkeit der
Ausfälle der Kreditrisiken bei gegebenem makroökonomischen Zustand, die
bedingte Portfolioausfallverteilung bestimmt und dies für jeden möglichen Zustand
der Wirtschaft. Diese bedingten Ausfallverteilungen werden dann zu einer
unbedingten Ausfallverteilung aggregiert.
Abschließend sei noch angemerkt, dass der vorstehend dargestellte, auf
makroökonomischen
Regressionsmodellen
beruhende
CPV-Ansatz
der
traditionellen CPV Makro-Variante entspricht. In der Version Credit Portfolio View
29
2.0 wird alternativ eine CPV Direct-Variante angeboten, in deren Rahmen die
segmentspezifischen bedingten Ausfallwahrscheinlichkeiten unter Zugrundelegung
einer Gammaverteilung gezogen werden.
Parameter
Für jeden Indexwert müssen die Koppelungsfaktoren an die makroökonomischen
Variablen und die Volatilität und Korrelationen der Störterme geschätzt werden.
Zusätzlich werden für jede makroökonomische Variable die Parameter des AR[2]Prozess benötigt.
Zeithorizont
mehrperiodisch
Ergebnis
Credit Portfolio View erlaubt die gemeinsame Ausfallverteilung eines Portfolios mit
komplexer Schuldnerstruktur zu bestimmen. Die Ermittlung der Korrelationen der
Schuldner wird hierbei auf makroökonomische Faktoren zurückgeführt und somit
deutlich reduziert. Die Kalibrierung der verbleibenden Parameter und die Auswahl
der makroökonomischen Variablen bleibt aber eine große Herausforderung.
Quellen
Bluhm, C., Overbeck, L., Wagner, C.: An Introduction to Credit Risk Modeling, Boca
Raton, London u.a., 2003.
4.7 Modell von Fons
Kurzbeschreibung inkl. Anwendungsbereich
Das Modell von Fons stellt für die Bewertung eines Bonds einen eindeutigen
Zusammenhang
zwischen
Credit
Spreads
und
risikoneutralen
Ausfallwahrscheinlichkeiten her.
Berechnungsmethodik
Das Modell von Fons besagt, dass unter vereinfachenden Annahmen insbesondere dem Postulat, dass Investoren risikoneutral sind, also keine
Kreditrisikoprämie verlangen und der Zins fest oder mindestens unabhängig von
Ausfällen und Recovery ist - die folgenden zwei Berechnungen des Preises eines
Bonds äquivalent sind und zum selben Ergebnis kommen.
𝑛
𝑛
−𝑘 ]
𝑃𝑃𝐷 = ∑[𝐶 ∙ 𝑃𝑆𝑘 ∙ 𝑁 ∙ (1 + 𝑟𝑘 )
𝑘=1
+ 𝑃𝑆𝑛 ∙ 𝑁 ∙ (1 + 𝑟𝑛
)−𝑛
+ ∑[𝑃𝑆𝑘−1 ∙ 𝑃𝐷𝑘 ∙ 𝛿 ∙ 𝑁 ∙ (1 + 𝑟𝑘 )−𝑘 ]
𝑘=1
𝑛
𝑃𝐶𝑆 = ∑[𝐶 ∙ 𝑁 ∙ (1 + 𝑟𝑘 + 𝐶𝑆𝑘 )−𝑘 ] + 𝑁 ∙ (1 + 𝑟𝑛 + 𝐶𝑆𝑛 )−𝑛
𝑘=1
Wobei 𝐶 der Kupon in Prozent, 𝑁 das Nominal, 𝑟𝑘 der Zero-Zinssatz zum Zeitpunkt
𝑘,
𝐶𝑆𝑘
der
Zero-Spread
zum
Zeitpunkt
𝑘,
𝑃𝐷𝑘
die
1-jährige
𝑘
Ausfallwahrscheinlichkeit im Jahr 𝑘, 𝑃𝑆𝑘 = ∏𝑙=1(1 − 𝑃𝐷𝑙 ) die mehrjährige
Überlebenswahrscheinlichkeit bis zum Jahr 𝑘 und 𝛿 = (1 − 𝐿𝐺𝐷) die Recovery Rate
ist.
30
In heute üblicher Terminologie werden die von Fons benutzten Ausfallwahrscheinlichkeiten als risikoneutrale oder implizite Ausfallwahrscheinlichkeiten
bezeichnet (diese Bezeichnung ist bei stochastischer Modellierung nur unter
weiteren Bedingungen oder unter bestimmten Martingalmaßen richtig).
Parameter
Wesentlich Input-Parameter sind die impliziten Ausfallwahrscheinlichkeiten und die
Annahme über den Loss Given Default.
Zeithorizont
mehrperiodisch
Ergebnis
Bei Kenntnis der Ausfallwahrscheinlichkeit kann ein Bond bewertet werden. Aus
den
am
Markt
gehandelten
Spreads
können
die
impliziten
Ausfallwahrscheinlichkeiten berechnet werden. Umgekehrt können aus den
Ausfallwahrscheinlichkeiten die Spreads (bei Annahme von Risikoprämie 0)
berechnet werden.
Quellen
Fons, J.S.: Using Default Rates to Model the Term Structure of Credit Risk,
Financial Analysts Journal, September-October 1994.
4.8 Modell von Jarrow und Turnbull
Kurzbeschreibung inkl. Anwendungsbereich
Das Modell ist ein mehrperiodisches, zeitstetiges Modell für einen ausfallbehafteten
Bond. Es gilt als Ausgangspunkt für die Entwicklung von Intensitätsmodellen zur
Bewertung. Es werden Bedingungen für die Vollständigkeit und Arbitragefreiheit
des modellierten Marktes sowie für die Bewertung verschiedener Derivate
abgeleitet. Das Modell wird im Realmaß formuliert und der Maßwechsel zum
risikoneutralen Maß explizit vollzogen.
Berechnungsmethodik
Die Kernidee des Intensitätsmodells ist, den Ausfallprozess exogen zu modellieren.
Es wird ein einzelner Zerobond betrachtet. Im Modell wird angenommen, dass die
Ausfallzeit 𝜏 ∗ exponentialverteilt ist mit Erwartungswert 1⁄𝜆 und dass Ausfall und
Zins unabhängig sind. Es wird bei Ausfall eine fixe Recovery-Rate 0 ≤ 𝛿 < 1
angenommen. Der Ausfall kann als erster Sprung eines Poissonprozesses
konstanter Intensität interpretiert werden.
Das Modell benutzt den Heath-Jarrow-Morton-Rahmen zur Modellierung der
Dynamik der risikofreien wie der risikobehafteten Forwardkurve im Realmaß und
im risikoneutralen Maß. Im risikoneutralen Maß ist die Stoppzeit
exponentialverteilt mit Erwartungswert 𝜇𝜆, wobei 𝜇 die Risikoprämie für das
Ausfallrisiko ist. Der Preis 𝑃 zum Zeitpunkt 𝑡 eines ausfallbehafteten
Einheitszerobonds mit Fälligkeit 𝑇 ergibt sich als
31
(𝑒 −𝜇𝜆(𝑇−𝑡) + 𝛿(1 − 𝑒 −𝜇𝜆(𝑇−𝑡) )) 𝑃𝑟𝑖𝑠𝑖𝑘𝑜𝑓𝑟𝑒𝑖 (𝑡) 𝑡 < 𝜏 ∗
𝑃(𝑡) = {
𝛿𝑃𝑟𝑖𝑠𝑖𝑘𝑜𝑓𝑟𝑒𝑖 (𝑡)
𝑡 ≥ 𝜏∗
wobei 𝑃𝑟𝑖𝑠𝑖𝑘𝑜𝑓𝑟𝑒𝑖 der Preis eines ausfallfreien Einheitszerobonds ist.
Die multiplikative Zerlegung in einen Faktor für das Kreditrisiko und den Preis eines
ausfallfreien Zerobonds wird durch die angenommene Unabhängigkeit möglich.
Vor einem möglichen Ausfall zerlegt sich der Kreditrisiko-Faktor anhand der zwei
möglichen zukünftigen Entwicklungen (Ausfall und Überleben) – der Term
1 − 𝑒 −𝜇𝜆(𝑇−𝑡) kann als die implizite Ausfallwahrscheinlichkeit (im risikoneutralen
Maß) interpretiert werden. [Die Arbeit behandelt auch ein zweiperiodisches,
zeitdiskretes Modell.]
Parameter
Zum Projektionsstart sind die Parameter des (risikofreien) Zinsmodells, die
Recovery-Rate 𝛿 sowie die Ausfallintensität 𝜆 und die Risikoprämie 𝜇 - genauer
deren Produkt - benötigt. Ist die Recovery-Rate gegeben, so ergibt sich 𝜆𝜇 aus
dem Preis.
Zeithorizont
mehrperiodisch
Ergebnis
Das Modell erlaubt es, nach Kalibrierung an ausfallbehaftetem Bonds Optionen auf
diese sowie einfache ausfallbehaftete Optionen mit geschlossenen Formeln zu
bewerten. Wichtiger ist seine Rolle als Ausgangsbasis für Erweiterungen unter
Einbeziehung von Ratings (Jarrow-Lando-Turnbull 1997, vgl. Abschnitt 4.9) sowie
stochastischer Ausfallintensität (Lando 1998, vgl. Abschnitt 4.10).
Quellen
Jarrow, R.A., Turnbull, S.M.: Pricing Derivatives on Financial Securities Subject to
Credit Risk, J. of Finance, 50 (1), 1995.
4.9 Modell von Jarrow-Lando-Turnbull
Kurzbeschreibung inkl. Anwendungsbereich
Das Modell von Jarrow, Lando und Turnbull („JLT-Modell“) basiert auf dem Modell
von Jarrow und Turnbull (vgl. Abschnitt 4.8) und erweitert das dort beschriebene
Modell auf ausfallbehaftete Bonds, welche in mehrere Credit Risk-Kategorien (z.B.
Ratingkategorien) eingeteilt werden können. Aufbauend auf einem beliebigen
Modell für risikofreie Spot Rates werden Zerobondkurven für alle Ratingkategorien
geschätzt. Das Modell wird sowohl für den stetigen wie auch den diskreten Fall
ausgearbeitet.
Berechnungsmethodik
Bei gegebenen Credit Risk-Kategorien 1, … , 𝐾, wobei Kategorie 𝐾 den
absorbierenden Zustand des Ausfalls darstellt und die Kategorien aufsteigend nach
dem Grad des Ausfallrisikos sortiert sind, wird basierend auf 4.8 mittels einer
Matrix aus Übergangswahrscheinlichkeiten 𝜆𝑖𝑗 (𝑖, 𝑗 = 1, … , 𝐾) und Risikoprämien
𝜇𝑖 (𝑖 = 1, … , 𝐾) der Preis 𝑃 zum Zeitpunkt 𝑡 eines ausfallbehafteten Einzelzerobonds
aus Kategorie 𝑖 wie folgt ermittelt:
32
(𝛿 + (1 − 𝛿)𝑄̃𝑡𝑖 (𝜏 ∗ > 𝑇)) 𝑃𝑟𝑖𝑠𝑖𝑘𝑜𝑓𝑟𝑒𝑖 (𝑡) 𝑡 < 𝜏 ∗
𝑃𝑖 (𝑡) = {
𝛿𝑃𝑟𝑖𝑠𝑖𝑘𝑜𝑓𝑟𝑒𝑖 (𝑡)
𝑡 ≥ 𝜏∗
,
wobei δ die Recovery Rate und 𝑄̃ die Überlebenswahrscheinlichkeit für Zustand 𝑖
zur Zeit 𝑡 darstellt. Aufgrund der getroffenen Annahmen hängen die Credit Spreads
der Kategorie 𝑖 dann nur von der konstanten Recovery Rate und der
Übergangsmatrix ab, so dass sich die risikobehaftete Spot Rate 𝑟𝑖 aus der
stochastischen Struktur der risikofreien Zerobondkurve und deren Spot rate 𝑟 wie
folgt ergibt:
𝑟𝑖 (𝑡) = 𝑟(𝑡) + (1 − 𝛿)𝜆𝑖𝐾 𝜇𝑖 (𝑡)1[𝜏∗ >𝑡]
Der zweite Summand der rechten Seite stellt somit den Credit Spread für Kategorie
𝑖 dar.
Parameter
Zum Projektionsstart werden die Parameter des (risikofreien) Zinsmodells, die
Recovery-Rate 𝛿 sowie je Credit Risk-Kategorie 𝑖 die Ausfallwahrscheinlichkeiten
𝜆𝑖𝐾 und die Risikoprämien 𝜇𝑖 - genauer deren Produkt - benötigt. Ist die RecoveryRate gegeben, so ergibt sich 𝜆𝑖𝐾 𝜇𝑖 aus dem Preis.
Zeithorizont
mehrperiodisch
Ergebnis
Das JLT-Modell kann verwendet werden, um ausgehend von einer risikofreien
Zerobond-Kurve ausfallbehaftete Zerobond-Kurven je Rating-Kategorie zu
schätzen.
Quellen
Jarrow, Lando, Turnbull: A Markov Model for the Term Structure of Credit Risk
Spreads, in: The Review of Financial Studies, Vol. 10, No. 2, pp. 481-523, 1997.
4.10 Modell von Lando
Kurzbeschreibung inkl. Anwendungsbereich
Das Modell ist ein mehrperiodisches, zeitstetiges Modell für einen ausfallbehafteten
Bond. Die zwei Varianten des Modells verallgemeinern die Modelle von JarrowTurnbull
und
Jarrow-Lando-Turnbull
zu
solchen
mit
stochastischen
Ausfallintensitäten.
Berechnungsmethodik
Zunächst wird ein Modell ohne Ratingübergänge eingeführt. Dazu wird die
Ausfallintensität 𝜆 als stochastischer nichtnegativer Prozess modelliert. Gegeben
eine Realisierung des Intensitätsprozesses ist der Ausfall selbst wird (in direkter
Verallgemeinerung des Jarrow-Turnbull-Modells) der erste Sprung eines
inhomogenen Poissonprozesses mit Intensität 𝜆. Der gesamte Prozess ist also ein
gemischter Poissonprozess oder Cox-Prozess.
Im Modell werden Barwerte für Cashflows mit einem festen Zahlungszeitpunkt bei
Überleben, stetige Zahlungen bis zum Ausfall, sowie Recovery-Zahlungen zum
33
Ausfallzeitpunkt ermittelt. Bei Annahme einer Recovery-Rate von 0 ergibt sich der
Preis 𝑃 zum Zeitpunkt 𝑡 eines ausfallbehafteten Einheitszerobonds mit Fälligkeit 𝑇
als
𝑇
𝑃(𝑡) = 1{𝑡<𝜏∗ } 𝐸 [𝑒 − ∫𝑡 (𝜆(𝑠)+𝑟(𝑠))𝑑𝑠 ] ,
wobei 𝜏 ∗ die Ausfallzeit, 𝜆 die Intensität, und r der Geldmarktzins ist und sich die
Erwartung auf das Martingalmaß bezüglich des Geldmarktkontos als
risikoneutrales Maß bezieht. Insbesondere kann in diesem Rahmen die
Modellierung der Intensität analog zur Modellierung eines Short-Zinses erfolgen
(z.B. bei Duffie und Singleton, vgl. Abschnitt 4.12).
Kombiniert mit den Ansätzen von Jarrow-Lando-Turnbull ergibt sich die
Möglichkeit, auch Ratings in die Modellierung einzubeziehen. Dazu werden die
Eigenwerte des Markov-Generators als stochastische Prozesse modelliert und
übernehmen eine mit der Ausfallintensität des Modells ohne Ratings vergleichbare
Rolle. Lando (2004) merkt an, dass in Ermangelung von Kriterien, mit welchen
Eigenwerten Markov-Generatoren erzeugt werden, die im Wesentlichen die
Spezialisierung mit einem skalaren stochastischen Prozess 𝜇, mit dem die
Eigenwerte multipliziert werden, von Bedeutung ist.
Sind 1, … , 𝐾 die Modell-Ratingklassen, 𝐾 der Ausfall (mit Recovery 0) und Λ der
Generator der Übergangsmatrix, so ist der Preis 𝑃𝑖 eines ausfallbehafteten
Einheitszerobonds mit Fälligkeit 𝑇, der sich zum Zeitpunkt 𝑡 in Rating 𝑖 befindet
𝐾−1
𝑇
𝑃𝑖 (𝑡) = ∑ (𝐸 [𝑒 − ∫𝑡 (𝜇(𝑠)Λ+𝑟(𝑠)𝐼)𝑑𝑠 ])
𝑖,𝑗
𝑗=1
,
wobei 𝐼 die Einheitsmatrix bezeichnet und über die Nicht-Ausfall-Ratings 𝑗
summiert wird. Wieder ist die Erwartung im geeigneten Martingalmaß zu nehmen.
Wie für das erste Modell können allgemeinere Modelle aus der Analogie zur
Zinsmodellierung gewonnen werden.
Da die Modellierung direkt in einem Martingalmaß erfolgt, wird über die RealWorld-Migrationen keine Aussage gemacht, es entfallen aber auch dafür
notwendige Annahmen. Die im Migrationsmodell angenommene Form der
Übergangsmatrizen ermöglicht die Zinsanalogie, schränkt aber auch die
Modelldynamik stark ein. So geht zum Beispiel eine erhöhte Zahl an Downgrades
und Defaults mit einer größeren Zahl an Upgrades einher. Gemeinsame
Migrationen mehrerer Titel werden nicht behandelt.
Parameter
Zum Projektionsstart sind die Parameter des (risikofreien) Zinsmodells und die
Parameter des risikoneutralen Intensitätsprozesses (sowie die Abhängigkeit zum
Zins) zu spezifizieren. Für das ratingabhängige Modell sind der Markov-Generator
der Migrationen (in seiner Diagonalisierung) sowie die Eigenwertprozesse analog
zum Intensitätsprozess anzugeben. Typischerweise wird der Markov-Generator
aus (Real-World-) Zeitreihen geschätzt.
Zeithorizont
mehrperiodisch
34
Ergebnis
Das Modell erlaubt es, nach Kalibrierung an ausfallbehaftetem Bonds Cashflows zu
bewerten, die vom Ausfall bzw. Rating und Zinsen anhängen.
Quellen
Lando, D.: On Cox Processes and Credit Risky Securities, Rev. of Derivatives
Research, 2, 1998.
Lando, D.: Credit Risk Modeling, Theory and Applications, Princeton University
Press, insb. Kap. 6.6, 2004.
4.11 Longstaff Schwartz
Kurzbeschreibung inkl. Anwendungsbereich
Das Modell von Longstaff und Schwartz (LS-Modell) modelliert den
Zusammenhang zwischen Ausfallrisiko und Zinsrisiko für ein Unternehmen bzw.
ein vom Unternehmen emittiertes Wertpapier. Das Modell wird dann erweitert auf
Unternehmenskategorien, um verallgemeinerte Credit Spreads herzuleiten.
Berechnungsmethodik
Ausgehend von dem Merton-Modell aus 0 und dem Zinsmodell von Vasicek (1977)
wird in Abhängigkeit vom Verhältnis aus dem Gesamtwert der Assets des
Unternehmens 𝑉 und einer Schranke 𝐾 der Preis eines risikobehafteten Bonds
abgeleitet. Das Verhältnis 𝑉/𝐾 wird dabei als 𝑋 bezeichnet. Dieses wird zur
Erweiterung auf Unternehmens- bzw. Ratingkategorien als Maß für das CreditRating des Unternehmens gesehen. Wichtig ist zusätzlich die Annahme, dass der
Unternehmenswert unabhängig von der Struktur der Assets (Modigliani-MillerTheorem) ist. Geht man von 𝑋 auf eine Ratingkategorie 𝑖 (𝑖 = 1, … , 𝐾) über, ergibt
sich der Preis 𝑃 zum Zeitpunkt 𝑡 eines ausfallbehafteten Einzelzerobonds aus
Kategorie 𝑖 wie folgt:
𝑃𝑖 (𝑡) = (1 − (1 − 𝛿)𝜆𝑖 )𝑃𝑟𝑖𝑠𝑖𝑘𝑜𝑓𝑟𝑒𝑖 (𝑡)
mit 𝑃𝑟𝑖𝑠𝑖𝑘𝑜𝑓𝑟𝑒𝑖 als Preis ermittelt mit dem Zinsmodell von Vasicek und der RecoveryRate 𝛿 sowie der Ausfallwahrscheinlichkeit 𝜆 (im risikoneutralen Maß), welche von
der Ratingkategorie und der Zinsstruktur abhängt.
Parameter
Neben dem Parameter 𝑟 des Vasicek-Zinsmodells und den Parametern 𝛼, 𝛽 und 𝜂
des zugehörigen stochastischen Prozesses zur Beschreibung der Dynamik von 𝑟
sowie der Recovery Rate 𝛿 müssen zur Ermittlung der Ausfallwahrscheinlichkeit die
Parameter 𝜎 (Standardabweichung des Unternehmenswerts, ratingabhängig) und
𝜚 (Steigerungsrate der Credit Spreads, ratingabhängig) geschätzt werden.
Zeithorizont
mehrperiodisch
Ergebnis
Aus diesem Modell wird die Abhängigkeit der Credit Spreads sowohl vom AssetWert (Parameter 𝑉) des Unternehmens (bzw. dem Parameter 𝑋 in der Kategorie)
sowie von der Zinsstruktur (Parameter 𝑟) abgeleitet. Die Korrelation zwischen
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beiden Parametern hat Einfluss auf die Eigenschaften der Credit Spreads. Es
existiert eine negative Korrelation sowohl zwischen Unternehmenswert und Credit
Spreads als auch zwischen risikofreien Zinsen und Credit Spreads. Bei steigenden
Zinsen sinken die Credit Spreads, da die risikoneutrale Wahrscheinlichkeit eines
Ausfalls abnimmt. Es wird zudem eine Erweiterung des Modells für variabel
verzinsliche Bonds behandelt.
Quellen
Longstaff, Schwartz: A Simple Approach to Valuing Risky Fixed and Floating Rate
Debt, in: The Journal of Finance, Vol. 50, No. 3, Papers and Proceedings FiftyFifth Annual Meeting, American Finance, Association, Washington, D.C., January
6-8, 1995. (Jul., 1995), pp. 789-819
4.12 Modell von Duffie und Singleton
Kurzbeschreibung inkl. Anwendungsbereich
Der Ansatz von Duffie und Singleton wird zur Bewertung von ausfallbehafteten
Zinstiteln verwendet. Der Marktwert eines vom ausfallbedrohenden Bond (hier im
Bsp. ein Zerobond) wird dabei durch die Diskontierung mit dem risikofreien Zins
und eines von der Ausfallwahrscheinlichkeit abhängigen Spreads (CS) bestimmt.
Bei dem Modell handelt es sich um ein Reduktions- bzw. Intensitätsmodell, bei
dem die Ausfallzeit 𝜏 einen Zählerprozess und insbesondere die Ausfallintensität
𝜆(𝑡)
einen
stochastischen
Ausfallprozess
unter
der
risikoneutralen
Wahrscheinlichkeit folgt.
Berechnungsmethodik
Wie im Modell von Lando sind der risikofreie Zins 𝑟(𝑡) und Ausfallintensität 𝜆(𝑡)
stochastische Prozesse. Wie dort wird das Modell direkt im risikoneutralen Maß
(das Martingalmaß bezüglich des mit 𝑟(𝑡) verzinsten Geldmarktkontos)
beschrieben. Der Loss Given Default 𝐿(𝑠) = 𝐿𝐺𝐷 = 1 − 𝛿 ( 𝛿 = Recovery Rate) kann
ebenfalls stochastisch sein. Es wird davon ausgegangen, dass der Verlust bei
Ausfall eintritt. Die risikoneutrale Ausfallwahrscheinlichkeit ist
𝑇
𝑃𝐷(𝑡) = 1 − 𝐸 [𝑒 − ∫𝑡
𝜆(𝑠)𝑑𝑠
]
Vor Ausfall ergibt sich der Marktwert 𝑃 eines ausfallbehafteten Zerobonds dann als
𝑇
𝑃(𝑡) = 𝐸 [𝑒 − ∫𝑡 (𝑟(𝑠)+𝐿(𝑠)𝜆(𝑠))𝑑𝑠 ]
Die Größe 𝐶𝑆(𝑡) ∶= 𝐿(𝑡) 𝜆(𝑡) quantifiziert also den durch das Ausfallrisiko bedingten
abhängigen Spread, der auf den zeitstetigen risikofreien Zins addiert wird.
Parameter
Für die Berechnung benötigt das Modell Parameter für Modellierung des risikofreien
Zins 𝑟(𝑡) sowie der Intensität 𝜆(𝑡) und des Loss Given Default 𝐿(𝑡).
Zeithorizont:
Mehrperiodisch
36
Ergebnis
Mit Hilfe des Modells können von der Ausfallwahrscheinlichkeit abhängige Spreads
bestimmt werden, die auf den risikofreien Zins zu addieren sind. Durch die
Diskontierung, mit diesem zusammengesetzten Zinssatz wird der Marktwert eines
ausfallbehafteten Zerobonds errechnet. Eine Besonderheit ist dabei, dass die
Ausfallintensität und somit der Credit Spread stochastisch modelliert und nicht wie
z.B. im Jarrow-Turnbull Modell deterministisch errechnet wird.
Quellen:
Albrecht, P., Maurer, R.: Investment und Risikomanagement, 2008.
Duffie, Singelton: Modeling Term Structures of Defautable Bonds, 1999.
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5. Fazit
Die Analyse, Überwachung und Steuerung des Kreditrisikos von Kapitalanlagen hat
in den letzten Jahren sehr stark an Bedeutung gewonnen. Traditionell befasst man
sich mit dem Kreditrisiko bei der Bewertung und der Risikoanalyse von einzelnen
Bonds oder ganzen Kapitalanlage-Portfolien. Diese Themen spielen aber auch eine
wichtige Rolle in den Solvency II Richtlinien und haben in weiteren Bereichen in
Versicherungsunternehmen den Einzug gefunden.
Startpunkt der Arbeiten für das vorliegende Papier war eine umfangreiche
Diskussion über eine präzise Definition des Begriffes „Kreditrisiko“, da dieser
Begriff in verschiedenen Bereichen unterschiedlich verstanden wird. Es ist
schließlich eine Definition des Kreditrisikos gewählt worden, die das Ausfall-, das
Migrations- und das Spread-Änderungsrisiko eines Bonds umfasst. Diese Begriffe
wurden anhand eines praxisnahen Beispiels verdeutlicht und im weiteren Verlauf
des Papiers ausführlich diskutiert. Im Weiteren wurden einige marktgängige
Methoden und Modelle für die Kreditrisikomodellierung vorgestellt und deren
Parametrisierung, Eigenschaften, Stärken und Schwächen diskutiert. Die im
vorliegenden Papier gegebene Einführung in diverse Modelle und Sichtweisen
zeigt, dass die Wahl eines passenden Modells zur Beschreibung des Kreditrisikos
eine anspruchsvolle Aufgabe ist, deren Lösung vom avisierten Anwendungsbereich
abhängt. Dabei sollte man unter anderem die gewünschte Granularität und
Genauigkeit der Modellierung, das Aufwand-Nutzen Verhältnis und viele weitere
Aspekte berücksichtigen.
Weitere Herausforderungen stellen Kalibrierung und Validierung der gewählten
Modelle dar. Diese Themen werden allerdings im vorliegenden Papier nicht
behandelt, da hier weitere umfangreiche Untersuchungen notwendig wären, die
den Rahmen des vorliegenden Papieres sprengen würden.
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