Zielgruppenspezifische psychosoziale Betreuung Substituierter

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Zielgruppenspezifische psychosoziale Betreuung Substituierter
Andrea Hoffmann, Hannover
1. Bei Süchtigen in Substitutionsbehandlungen liegen eine Vielzahl von Problemen vor
• Somatische Erkrankungen und Infektionen
• Psychiatrische Komorbidität
2. Psychosoziale Betreuungen sind oftmals langjährig
3. Die psychosoziale Betreuung von Substituierten ist ein komplexes vielfältiges Aufgabengebiet.
Der Verlauf der Substitutionsbehandlung wird von verschiedensten Faktoren beeinflusst.
Diese Vielschichtigkeit unterstreicht die Bedeutung einer qualifizierten und mehrdimensionalen psychosozialen
Betreuung Substituierter.
4. Neben der Absicherung existenzieller Grundlagen wie Wohnung und finanzielle Grundsicherung geht es um Themen wie
Selbstfürsorge, Umgang mit Geld, soziale Beziehungen, Arbeit und Beschäftigung sowie Freizeitgestaltung.
In der weiteren Arbeit können verschiedenste Interventionen zum Einsatz kommen.
Für eine gute, erfolgreiche psychosoziale Betreuung bedarf es:
•
•
•
Gut ausgebildeter Fachkräfte
Eines ausgebauten Netzes an Kooperationspartnern ( Ärzte, Psychiatrie, Jugendhilfe, Therapieeinrichtungen ambulant und stationär etc,
Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten, ambulante und stationäre Einrichtungen der Wiedereingliederungshilfe etc. )
guter Kooperation innerhalb dieses Netzes
1
Darüber hinaus ist es jedoch sinnvoll Schwerpunkte für unterschiedliche Zielgruppen zu setzen.
Zielgruppen:
Frauen
Männer
Junge Erwachsene mit langer Vorgeschichte
Kurzzeitig Abhängige noch sozial integriert
Doppeldiagnosen
Stabile Substituierte im Prozess Reintegration
Substituierte Eltern
Chronisch mehrfach geschädigte Substituierte
Migranten
Innerhalb dieser Zielgruppen gibt es natürlich Überschneidungen
Im Folgenden wird die zielgruppenspezifische Arbeit am Beispiel der Gruppe „Doppeldiagnosen“ erläutert.
Die grundsätzlichen, sozialarbeiterischen Tätigkeiten, sowie eine allgemeine Beratungskompetenz werden vorausgesetzt und daher nicht mehr
gesondert erwähnt.
Alle Arbeitsansätze können im Einzelgespräch ebenso wie in Gruppen erarbeitet werden. Sie sind niedrigschwellig bis hochschwellig
einsetzbar und können mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten gestaltet werden.
Damit ein Patient adäquat behandelt werden kann, müssen komorbide Störungen erkannt und diagnostiziert werden und die Prinzipien der
Behandlung müssen bekannt sein.
2
Zahlen:
Komorbidität und Opiopid-Substitution:1
Persönlichkeitsstörungen
Depressive Störungen
Schizophrenie
Angsterkrankungen
Essstörungen
45%
25%
14%
5%
3%
Dualdiagnosen bei Patienten in Opioid Substitution2
„Basler“-Untersuchung bei 110 Pat in Substitution:
75 % komorbide Patienten =
- persönlichkeitsgestört
- depressiv
- schizophren
70% aller Patienten von mehreren Substanzen abhängig!
Posttraumatische Belastungsstörung bei Patientinnen mit Opiatabhängigkeit und Polytoxikomanie3
sexueller Missbrauch
körperliche Gewalterfahrungen
24% bis 50%
bis zu 70%
1
(Kuntze et. al. 1998) Kuntze MF, Ladewig D, Stohler R. Art und Häufigkeit der Komorbidität bei methadonsubstituierten Opiatabhängigen in der ambulanten Versorgung.
Sucht 1998; 44 (2): 95-103
2
3
(Ladewig et. al., 1996)
(Teegen F, Zumbeck S ,2000)
3
Zielgruppe
Charakteristika
Interventionen/Schwerpunkt
wünschenswerte Methoden und
Qualifikationen der Fachkräfte
Doppeldiagnosen:
Charakteristika:
• Vermittlung in psychiatrische
Behandlung
• Vermittlung in ambulante und
stationäre Hilfen nach §§
53,54 SGB XII
• sozialtherapeutische Hilfen
zur Alltagsbewältigung
• Selbstversorgung und
Stärkung der Selbstverantwortung
• Vermittlung in Angebote zur
Beschäftigung, Tagesstrukturierung und
Freizeitgestaltung um den
starken Isolations- und
Vereinsamungstendenzen
entgegen zu wirken
• Motivational Interviewing
• Psychoedukation
• Verhaltenstherapeutische
Konzepte (z.B. Dialektisch
behaviorale Therapie nach
Linehan
• Stabilisierungsübungen
• Verfahren zur Stressreduktion
• Rückfallprophylaxetraining
•
•
•
•
•
•
•
•
Substitutionsbehandlung (oft
langjährige) mit hohem ,
chaotischem Beikonsum
wiederkehrende schwere, auch
suizidale Krisen, chronische
Suizidalität
Insgesamt viel Dramatik im Verlauf
mehrfache stationäre
Entwöhnungen und andere
Hilfsmaßnahmen
keine oder wenige sozialen
Beziehungen / soziale Phobie
Häufig keine eigene Wohnung
Häufig langjährige Hafterfahrungen
Störungen der Affektregulation und
Impulskontrolle (Chronische
Anspannung, Autoaggression,
Aggression …)
Stabilisieren, stabilisieren,
stabilisieren
Grundkenntnisse der
psychiatrischen Komorbiditäten
und des Umganges mit psychisch
Kranken
Grundkenntnisse der
Psychotraumatologie und des
Umganges mit traumatisierten
Menschen
Kenntnisse des Suchthilfesystems
Besondere Schwierigkeiten bei
Klienten:
•
Häufigere Therapieabbrüche,
durch Überforderung
•
Häufigere Rückfälle
•
Schlechtere Compliance mit
weiterführenden Behandlungen
•
Häufige Krisen, da die Klienten
Schwierigkeiten haben sich
rechtzeitig Hilfe zu holen
•
Regeln werden nicht eingehalten,
Tendenz zur Sonderrolle
Focus:
• Vorrang hat die Behandlung
einer psychischen Störung,
wenn die Sucht eine Folge
dieser Erkrankung ist
• Bedürfnisgerechte
Individualisierung – kein
Einheitsprogramm
• keine ausschließlich
konfrontativen Strategien
Besondere Schwierigkeiten bei
4
Kenntnisse des Psychiatrischen
Hilfesystems
Beratern / Therapeuten:
•
•
•
•
Verhaltensauffälligkeiten
komorbider Klienten werden fehl
gedeutet, ( persönlich genommen)
Unsicherheit der Mitarbeiter und
Ablehnung der Klienten durch
Mitarbeiter
Es besteht keine Einigkeit im
Team über das Vorgehen
Es bestehen Probleme mit
Ausnahmeregelungen
Fähigkeiten der Klienten:
•
unterschwelliger Humor und
Sprachgewandtheit
sehr sensibel für soziale
Signale
•
häufig kreative, gestalterische,
musische Fähigkeiten
•
halten sehr viel aus
unter
Druck oft hohe
•
Fähigkeiten Krisen zu
managen
starkes Gerechtigkeitsbewusstsein
•
große Tierliebe
5
Tipps für die praktische Arbeit:
Kontaktfrequenz:
•
•
•
•
anfangs eher weiträumig (bis zu 6 Wochen), max. 20 Min.
Abfragen festgelegter Parameter (z.B. Gesundheit, Finanzen, Justiz, Familie, Beschäftigung), dabei nicht zu tief einsteigen
Überschaubares weiträumiges immer gleiches Setting wirkt entängstigend
Klare Vereinbarung über Konsequenzen bei Nichteinhaltung von Terminen
Ausnahmen: Eltern, Schwangere und junge Klienten, hier engmaschiger und auch nachgehend bzw. aufsuchend arbeiten
Grundsätzlich: die Klienten sind ambivalent. Diese Ambivalenz aufgreifen z.B.
„ ich möchte gerne mit Ihnen arbeiten, und das geht nur wenn Sie die Termine einhalten“
„ ich kann total nachvollziehen dass das für Sie schwer ist, und trotzdem geht es nur wenn jedoch die Termine einhalten“
Etc.
Alles was gut läuft positiv verstärken, also validieren, validieren, valisieren, stabilisieren, stabilisieren stabilisieren
Setting:
niedrigschwellige Kontaktangebote, offene Tür Arbeit
im Einzel:
•
Sitzplätze nicht frontal gegenüber, sondern über Eck da viele Klienten keinen
direkten Augenkontakt halten können, frontal erhöht Anspannung
•
•
auf ausreichend Platz achten (besonders bei Psychotikern und PTBS)
Einen Korb mit Igelbällen, kleinen Spielzeugen oder Knautschbällen auf dem
Tisch haben, damit können die Klienten ihre Hände beschäftigen (Spannungsabbau)
6
•
Wenn möglich Kontakt im Freien, kurzer Spaziergang (20 Min.) hat sich bei sehr
angespannten Klienten, in den ersten Kontakten außerordentlich bewährt.
Gruppen:
•
•
•
•
themenzentrierte Gruppen (z.B. Rückfallprophylaxe, Stressreduktion)
keine biographische Bearbeitung
Klienten dazu anhalten keine traumatischen Erfahrungen auszutauschen,
da Triggergefahr, falls doch - intervenieren
Stabilisierungsübungen (z.B. nach Reddemann, erst vorher im Einzel üben
und antesten)
Literatur
Kuntze MF, Ladewig D, Stohler R. Art und Häufigkeit der Komorbidität bei methadonsubstituierten Opiatabhängigen in der ambulanten Versorgung. Sucht 1998; 44 (2): 95103
Sachse R, Persönlichkeitsstörungen verstehen Bonn 2006
Teegen F, Zumbeck S (2000). Prävalenz traumatischer Erfahrungen und Posttraumatischer Belastungsstörung bei substanzabhängigen Personen. Psychotherapeut; 45:
44-9.
Verthein U, Degkwitz P, Krausz M. Psychische Störungen und Verlauf der Opiatabhängigkeit. Psychiatrische Praxis 2000; 27: 77-85
Kontakt: Andrea Hoffmann, Drobs Hannover, Odeonstraße 14, 30159 Hannover, Tel: 0511-70146-21
e-Mail: [email protected]
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