Medizin | „Flüssigbiopsie“ in der Molekularpathologie | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 49 • 04/2016 „Flüssigbiopsie“ in der Molekularpathologie Überblick, Einblick, Ausblick Roche Prof. Dr. Silke Laßmann und Prof. Dr. Martin Werner, Institut für Klinische Pathologie Universitätsklinikum Freiburg Für die individuelle therapeutische Behandlung von Krebspatienten spielt die diagnostische Molekularpathologie in Gewebeproben eine entscheidende Rolle. Mit dem Nachweis molekularer Biomarker gelingt bei einigen Tumoren eine Therapiestratifizierung, d. h. eine an die molekularen Eigenschaften des individuellen Tumors angepasste, zielgerichtete Medikation. Allerdings ist es klinisch nicht immer möglich, Gewebeproben des Tumorpatienten zu entnehmen. Weltweit haben sich Wissenschaftler daher mit der Frage beschäftigt, ob sich zelluläre und molekulare Eigenschaften von soliden Tumoren auch im Blut widerspiegeln. Daraus entwickelte sich der Begriff „Liquid Biopsy“ (Flüssigbiopsie). Dieser Beitrag gibt einen Einblick in den Status quo und bewertet kritisch die für einen flächendeckenden diagnostischen Einsatz notwendigen Voraussetzungen. Regeln und Rahmen Für die individualisierte Krebstherapie hat sich in den letzten Jahren ein breites Spektrum an molekularen Biomarkern für eine 10 Therapieprädiktion entwickelt. Klassisch werden diese Marker in der diagnostischen Molekularpathologie in Gewebeproben untersucht, in Zusammenschau mit der Histologie interpretiert und in diagnostischen Befunden berichtet. Die Vielzahl molekularer Zielstrukturen und Resistenzfaktoren setzt mittlerweile eine Multiparameter-Analytik voraus, die es erlaubt, die molekularpathologische Therapiestratifizierung auch an kleinsten Gewebebiopsien vorzunehmen. Allerdings ist es klinisch nicht immer möglich, Gewebeproben des Tumorpatienten zu entnehmen, insbesondere im Verlauf der Erkrankung. Weltweit haben sich Wissenschaftler daher mit der Frage beschäftigt, ob sich zelluläre und molekulare Eigenschaften von soliden Tumoren auch im Blut betroffener Patienten widerspiegeln. In einer solchen als „Liquid Biopsy“ bezeichneten Blutprobe gibt es grundsätzlich zwei analytische „Quellen“: Zirkulierende Einzelzellen von Tumoren und/oder von Tumorzellen freigesetzte Nukleinsäu- ren (DNA, RNA). Zirkulierende Einzelzellen von Tumoren werden bereits seit circa 20 Jahren beforscht. Einige Biomarker (z. B. ­HER2-Protein) lassen sich an Einzelzellen, die aus Blut isoliert wurden, nachweisen. Bei dieser Analytik handelt es sich somit um die Betrachtung einzelner, aus dem Tumorzellverband herausgelöster Zellen in der Blutbahn. Im Gegensatz dazu ist die Analyse von freigesetzter Tumor-DNA (engl. "cell free DNA" / "cfDNA"), die sich aus der DNA vieler Tumorzellen zusammensetzen kann, ein relativ neuer Ansatz, dessen Wertigkeit für die breite diagnostische Anwendung in den verschiedensten soliden Tumoren derzeit noch nicht präzise geklärt ist. Gründe hierfür sind zum einen, dass die zu analysierenden Moleküle sehr instabil sind, nur in geringsten Mengen vorliegen und neue Messtechnologien benötigen, zum anderen die Komplexität von Tumorerkrankungen an sich. Insbesondere im Verlauf entsteht im Tumor eine zelluläre und molekulare Diagnostik im Dialog • Ausgabe 49 • 04/2016 | „Flüssigbiopsie“ in der Molekularpathologie | Medizin Roche Klinisch ist es nicht immer möglich, Gewebeproben zu entnehmen, z. B. bei kritisch kranken, geschwächten Patienten. Heterogenität und bislang ist nicht sicher, ob diese parallel in der Liquid Biopsy bzw. der cfDNA repräsentiert ist. Aufgrund der Aktualität der cfDNA, die schon nach kürzester Zeit als Biomarker für die Entscheidung in einer zielgerichteten Therapie zugelassen wurde, fokussiert dieser Beitrag im Folgenden auf die Verfahren, Anwendungen und Herausforderungen der cfDNA-basierten Liquid Biopsy-Analysen. Nachweisverfahren für cfDNA Die Bestimmung von cfDNA verfolgt prinzipiell zwei Ziele: OMessung der Gesamtmenge als Indikator für die Tumorlast OMessung von bestimmten prädiktiven molekularen Biomarken, wie etwa Genmutationen, als Indikator für ein spezifisches Therapieansprechen bzw. die Entwicklung einer Therapieresistenz. Basis für beide Fragestellungen sind Technologien, die geringste Mengen (circa 1–100 ng/ml Serum) an Nukleinsäuren robust erfassen können. Die klassische Sanger-Sequenzierung wird diesen Vorgaben nicht gerecht. Das Next Generation Sequencing (NGS) erlaubt, multiple Genverände- rungen in einem Ansatz darzustellen und wird von einigen Wissenschaftlern genutzt bzw. für die Anwendung in der Liquid Biopsy weiterentwickelt.1 Vor allem aber eignen sich PCR-basierte Amplifikationsverfahren, insbesondere die Echtzeit-PolymeraseKettenreaktion (qPCR) oder die digitale PCR (digPCR).1 Hier werden Genveränderungen (insbesondere Mutationen) einzeln gemessen und quantifiziert (Abb. 1). Die cfDNA-Menge lässt sich beispielsweise über eine häufig auftretende, nicht unmittelbar therapierelevante Genmutation als Marker erfassen, cfDNA-Spezifikationen dagegen zum Beispiel durch den Nachweis einer für die gezielte Therapie relevanten Resistenzmutation. Negativ/Wildtyp Treten diese Indikatoren im Verlauf der Tumorerkrankung bei multiplen Liquid Biopsy-Entnahmen auf, besteht die Möglichkeit – rein labortechnisch – molekulare Profile der Therapieantwort zu erstellen (Therapiemonitoring). Entscheidend hierfür ist die vorherige Kenntnis über die molekularen Eigenschaften des operierten oder biopsierten Tumors aus der Gewebeprobe im Sinne der klassischen Molekularpathologie. Aufgrund der äußerst sensitiven qPCR- und digPCR-Verfahren sind darüber hinaus höchste Qualitätsansprüche an die durchführenden Labore zu stellen. Das betrifft die Vermeidung von Kontaminationen sowie die Validität (z. B. Reproduzierbarkeit, Sensitivitätsgrenze) des qPCR- oder digPCR-Ansatzes. Positiv/Mutiert Abb. 1: Nachweis von Genmutationen mittels digPCR. Gezeigt sind Resultate von zwei Proben maligner Melanome mit BRAF-Wildtypsequenz (links) und mit einer BRAF p.V600E-Mutation (rechts). (Quelle: AG Molekulare Tumorpathologie, Institut für Klinische Pathologie, Universitätsklinikum Freiburg) 11 Medizin | „Flüssigbiopsie“ in der Molekularpathologie | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 49 • 04/2016 Auch bei CRC-Patienten lieferten Studien relevante Ergebnisse zur Messung prädiktiver molekularer Biomarker in der cfDNA während des Krankheitsverlaufs. 4–6 Zum Einsatz potenziell geeignet ist hier ebenfalls eine gegen EGFR gerichtete Therapie; Indikatoren für eine Resistenz sind Mutationen in den EGFR nachgeschalteten Signalwegen, z. B. in den Genen KRAS oder NRAS. Eine Arbeitsgruppe zeigte neben einer neu auftretenden RAS-Resistenzmutation auch, dass die cfDNA-Analyse die dynamische Entwicklung von Tumorzellklonen während des Therapieschemas (Gabe von EGFR-Antikörpern und Therapiepausen im Wechsel) darstellen kann.7 Abb. 2: Histologische Subtypen solider Tumoren. Gezeigt ist ein Beispiel einer NSCLC-Gewebeprobe. In der H&E-Färbung klar zu erkennen sind unterschiedliche histologische Anteile (1, 2, vergrößerte Areale), deren EGFR-Mutationsstatus in der für die EGFR-gerichteten Therapie sensitivierenden Mutation (Exon 21 p.L858R) abweicht (siehe Sanger-Sequenzierung). Während der Mutationsnachweis an der Detektionsgrenze der Sanger-Sequenzierung liegt, kann er mittels eines CE-IVD markierten qPCR-Kits sicher nachgewiesen werden. (Quelle: AG Molekulare Tumorpathologie, Institut für Klinische Pathologie, Universitätsklinikum Freiburg) Für letzteres stehen mittlerweile CE-IVDgesicherte Kits zum Nachweis ausgewählter Genveränderungen wie EGFR, KRAS/NRAS oder BRAF zur Verfügung. Anwendungsbeispiele Voraussetzung für die Anwendung der Liquid Biospy- bzw. cfDNA-Messung zum Therapiemonitoring bei Patienten mit soliden Tumoren ist ausreichendes Wissen darüber, welche zentralen zellulären und molekularen Eigenschaften des Tumorgewebes die Therapieantwort oder -resistenz bestimmen. In nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinomen (NSCLC) und kolorektalen Karzinomen (CRC) sind prädiktive molekulare Biomarker seit einigen Jahren bekannt und in klinischen Leitlinien verankert. Daher liegen Publikationen zur Liquid Biopsy- bzw. cfDNA-basierten Analysen vor allem für diese häufigen Tumore vor. 12 Bei NSCLC-Patienten ist eine gezielte, gegen den Epidermal-Growth-Factor (EGFR) gerichtete Therapie dann möglich, wenn Odie Tumorzellen aktivierende EGFRMutationen (z. B. Exon 21, p.L858R) tragen und Okeine EGFR-Resistenzmutation (z. B. Exon 20, p.T790M) nachweisbar ist. Häufig entwickelt sich die Resistenzmutation aber erst unter EGFR-gerichteter Therapie, so dass Liquid Biopsy-basierte Verlaufsuntersuchungen denkbar wären. In der Tat ließen sich in Studien mittels digPCR oder Next Generation Sequencing bereits bekannte oder neu identifizierte Resistenzmutationen im Verlauf der NSCLC-Erkrankung nachweisen.2,3 Aufgrund dieser Daten wurde die Untersuchung von EGFR-Mutationen in einer Gewebeprobe oder einer Liquid Biopsy für die Gabe eines EGFR-Tyrosinkinase-Inhibitors zugelassen. Bei anderen soliden Tumortypen gibt es ebenfalls erste Erfahrungen mit der Liquid Biopsy. Eine Vergleichsstudie an über 600 Krebspatienten 8 beschrieb erstmals, dass Tumorentitäten (und deren Stadien) bezüglich der Freisetzung von cfDNA Unterschiede aufweisen. Während zum Beispiel bei ­ Gliomen (Hirntumor) und gastroösophagealen Tumoren die freigesetzten cfDNA-Mengen gering variierten, war dies bei Neuroblastomen (Hirntumor), Prostata- und kolorektalen Karzinomen sehr schwankend. Dies bedeutet: Bei der Bewertung von cfDNA-Daten hinsichtlich zukünftigem Einsatz in der Routinediagnostik spielt neben den in verschiedenen Studien unterschiedlich eingesetzten cfDNA-Messtechniken insbesondere auch die Tumorpathobiologie eine wichtige Rolle. Herausforderungen und Möglichkeiten Ausgehend von den oben skizzierten Nachweisverfahren und Beispielen ergeben sich für die diagnostische Anwendung der Liquid Biopsy bzw. cfDNA-basierten Analyse in der Molekularpathologie folgende Prämissen:9 Diagnostik im Dialog • Ausgabe 49 • 04/2016 | „Flüssigbiopsie“ in der Molekularpathologie | Medizin Roche Die „Liquid Biopsy“ kann als ergänzende Testung in der Molekularpathologie einen wichtigen Beitrag für die Versorgung von Krebspatienten im Rahmen der individualisierten Therapie leisten. OTechnische Voraussetzungen: Eine qualitätsgesicherte cfDNA-basierte molekularpathologische Diagnostik ist nur gewährleistet, wenn Nachweisverfahren standardisiert, unter Routinebedingungen erprobt und durch Ringversuche kontrolliert werden. Entscheidend für die flächendeckende Einsendung an entsprechende molekularpathologische Labore ist nicht zuletzt die Stabilität der Probe. OPathobiologische Voraussetzungen: Die Interpretation molekularer Veränderungen in cfDNA für das Therapiemonitoring oder die Therapieprädiktion kann nur in Zusammenschau mit und als Ergänzung zu dem Wissen über die molekularen Eigenschaften des Tumorgewebes aus der molekularpathologischen Diagnostik geschehen. So ist derzeit noch unklar, inwieweit klinisch-pathologische Parameter, z. B. Angiogenese-Inhibitoren (Inhibitoren des Blutgefäßwachstums), verschiedene histologische Tumorsubtypen (schleimbildende Tumore) oder intratumorale Heterogenität (Abb. 2) Einfluss auf Qualität und Quantität der freigesetzten cfDNA und damit auf die Stabilität der prädiktiven Aussage haben. Klar ist, dass die Liquid Biopsy als ergänzende Testung in der Molekularpathologie einen wichtigen Beitrag für die Versorgung von Krebspatienten im Rahmen der individualisierten Therapie leisten kann. Aktuelle technische oder klinisch-pathobiologische „Hürden“ sind als wichtige Optimierungsschritte zu sehen. In der Pathologie und Molekularpathologie gibt es langjährige Erfahrungen sowie die notwendige Expertise mit der (zum Teil sehr raschen) Implementierung neuer, qualitätsgesicherter Untersuchungsverfahren. Schon jetzt sind daher cfDNA-basierte Analysen in einigen ausgewählten universitären Instituten für Pathologie im Einsatz und werden dort für die flächendeckende Anwendung weiterentwickelt. Literatur 1Diaz LA Jr, Bardelli A: J Clin Oncol (2014); 32(6): 579–586 2Oxnard GR et al: Clin Cancer Res (2014); 20(6): 1698– 1705 3Thress KS et al: Nat Med (2015); 21(6): 560–562 4Misale S et al: Nature (2012); 486(7404): 532–536 5Spindler KL et al: Int J Cancer (2014); 135(9): 2215–2222 6Thierry AR et al: Nat Med (2014); 20(4): 430–435 7Siravegna G et al: Nat Med (2015); 21(7): 7 95–801 8Bettegowda C et al: Sci Transl Med (2014); 6 (224): 224ra24 9Dahl E et al: Pathologe (2015); 36(1): 92–97 Korrespondenzadresse Prof. Dr. Silke Laßmann (BSc., PhD.) Leiterin NGS und AG „Molekulare Tumorpathologie“ Institut für Klinische Pathologie Universitätsklinikum Freiburg Breisacher Str. 115a 79106 Freiburg [email protected] 13