M E D I Z I N AKTUELL Anne Jürgens-Becker Götz Penkert Madjid Samii ie häufigste Ursache einer traumatischen Armplexusläsion stellt in Europa die Traktion des Nervengeflechtes nach Zweiradunfällen dar, weniger häufig ist schwere Gewalteinwirkung im Sinne einer Quetschung zwischen Clavicula und Thorax. Die Variabilität der Nervenverletzungen ist wegen der unterschiedlichen Verletzungsmechanismen und Läsionsorte groß. Sie reichen von intraspinalen Nervenwurzelausrissen aus dem Halsmark über intra- oder extraforaminale Nervenwurzelabrisse in unterschiedlicher Anzahl bis hin zu Läsionen des peripheren Armplexus mit und ohne Kontinuitätsunterbrechung supra- und/oder infraklavikulär bis axillär. Traktionen erzeugen prognostisch ungünstige langstreckige Fibrosen der Nerven und oft auch infolge Arterienzerreißungen mit starker Hämatombildung perineurales Narbengewebe. Das gesamte Ausmaß der Schä- D Therapie traumatischer Armplexusläsionen Jeder Patient mit einer traumatischen Armplexusparese, bei dem es nicht zu einer spontanen Reinnervation aller geschädigter Anteile kommt, sollte rechtzeitig in einem mit diesen Schäden vertrauten neurochirurgischen Zentrum vorgestellt werden, da nervenchirurgische Möglichkeiten wegen des irreversiblen bindegewebigen Umbaus von denervierter Muskulatur einem zeitlichen Limit ausgesetzt sind. Ergänzend und zeitlich nicht limitiert sind die chirurgischen Ersatzeingriffe und orthetischen Hilfsmittel. Monaten können sich einzelne Anteile des Armplexus spontan erholen. Die klinische Untersuchung sollte in regelmäßigen, ein- bis zweimonatigen Abständen möglichst vom gleichen Untersucher durchgeführt werden, der für die einzelnen Muskeln die Paresegrade zum Untersuchungszeitpunkt festhält und so die Vergleichbarkeit der zeitlich gestaffelten Untersuchungsergebnisse herstellt. Die theoretisch sehr unterschiedlichen Läsionsgrade und Regenerationsdistanzen für die Nervenfasern müssen berücksichtigt werden. Ein wichtiges diagnostisches Kriterium ist das Hoffmann-Tinel-Zeichen. Durch Beklopfen der Nervenfasern werden Mißempfindungen in ihrem ehemaligen Versorgungsgebiet ausgelöst. Es ist wichtig, den Ort zu dokumentieren, an dem das Hoffmann-Tinel-Zeichen zum Zeitpunkt der Untersuchung ausgelöst werden dem Trauma eine primär komplette Läsion des Armplexus mit Plegie der Muskulatur, Anästhesie, Analgesie und Anhidrose. Ein Horner-Syndrom ist Hinweis auf einen Nervenwurzelausriß von C 8 oder Th 1. Aufgrund der Anatomie der vegetativen Hautinnervation ist bei isolierten Wurzelausrissen die Schweißsekretion auf thermische Reize erloAbbildung 1: Computertomogramm mit intrathekalem Kontrast- schen, nach Gabe Abbildung 2: Gleicher Fall wie in Abbildung 1 nach diagnostischer Hemimittel: trotz Pseudomenigozele im rechten Foramen interverte- von Parasympathi- laminektomie: die sensible Hinterwurzel ist in Kontinuität, die motoribrale stellen sich die ventrale und dorsale Wurzel dar. komimetika hinge- sche Vorderwurzel ist oberhalb des Neuroforamens intradural abgerissen. gen erhalten; sie ist digung ist trotz des Einsatzes aller mo- vollständig aufgehoben bei Läsi- kann, und herauszufinden, ob das derner diagnostischer Möglichkeiten onen im oder distal vom Grenzstrang- Punctum maximum dieses Zeichens inklusive Kernspintomographie primär ganglion. Bei der Primäruntersu- bei den folgenden Kontrolluntersunicht zu erfassen. chung sollte auf eine Raumforderung chungen peripherwärts wandert. durch ein Hämatom oder ein Kno- Hieraus können Rückschlüsse auf chenfragment geachtet werden und spontane oder ausbleibende RegeneDiagnostische Erfordernisse deren rasche Beseitigung angestrebt ration gezogen werden. werden. Im Verlauf von Wochen oder Klinische Untersuchung Neurophysiologie Die neurologische Untersuchung zeigt in der Mehrzahl der Fälle nach Neurochirurgische Klinik (Direktor: Prof. Dr. med. Dr. h. c. Madjid Samii), Krankenhaus Nordstadt, Hannover A-3262 (46) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 49, 6. Dezember 1996 Die wichtigste neurophysiologische Zusatzdiagnostik ist das Elek- M E D I Z I N AKTUELL tromyogramm (EMG). Es ist frühe- (Abbildung 1) mit dünner Schichtung stens drei Wochen nach dem Trauma (mindestens 3 Millimeter) mit etwa 90 aussagefähig, da erst zu diesem Zeit- bis 95 Prozent. Ziel einer Untersupunkt pathologische Spontanaktivität chung muß sein, die dorsalen und venin den denervierten Muskeln nachge- tralen Wurzeln und deren Kontinuität wiesen werden kann. Gewertet werden zum Halsmark darzustellen. Diskonmuß das Ausmaß pathologischer Spon- tinuität der motorischen Wurzel betanaktivität und die Qualität und deutet den irreversiblen Verlust dieQuantität von Willkürpotentialen. Pa- ser Nervenbahn. Peripher der Halsthologische Spontanaktivität besagt, wirbelsäule haben radiologische Undaß der untersuchte Muskel dener- tersuchungen zur Frage von Nervenviert, prinzipiell aber reinnervierbar ist. schäden keinen Aussagewert. Erloschene pathologische SpontanakDiagnostische tivität ohne Willküraktivität zeigt einen Hemilaminektomie inzwischen erfolgten irreversiblen fibrotischen Muskelumbau an, eine NerUm nicht Gefahr zu laufen, mit eivenoperation ist dann nicht mehr sinnvoll. Ein solcher Befund kann aber ner in das Neuroforamen hineinziehenden Wurzel operativ auch bei einer direkzu arbeiten, ohne zu ten Muskelschädiwissen, ob sie intragung, beispielsweispinal Kontinuität se verursacht durch zum Halsmark beein Kompartmentsitzt, kann diese diaSyndrom, erhoben gnostische Unsicherwerden. heit bisher nur über Treten hingeeine direkte intraspigen Willkürpotentinale Exploration geale auf, kann von eiklärt werden (Abbilner spontanen Reindung 2). nervation ausgeganÜber eine Hegen werden, deren milaminektomie am Ausmaß weiterhin fünften Halswirbelquantifiziert werden körper (HWK) kann sollte. Die Aussagedie fünfte und sechsfähigkeit einer parate zervikale Wurzel, spinalen EMG-Abüber eine Hemilaleitung zur Frage der Topik von Nerven- Abbildung 3: Plexusstrukturen in Kontinuität, minektomie am siebten HWK kann die wurzelausrissen ist frakturierte Clavicula siebte und achte Wureingeschränkt, da diese Muskeln plurisegmental ver- zel inspiziert werden. Letzte Unsichersorgt werden. Bei Wurzelausriß kann heiten bleiben aber wegen seltener anatrotz Ausfalls der Sensibilität ein sen- tomischer Varianten („Prä- und Postsibles Nervenantwortpotential abge- fixation“ des Plexus). Wir beschränken leitet werden, da die Läsion proximal die diagnostische Hemilaminektomie als Vorbereitung auf die periphere Freivom Spinalganglion liegt. legung auf die Fälle, die nach TraktionsNeuroradiologie schädigung Ausrisse befürchten lassen und deren radiologische Befunde FraDie neuroradiologischen Unter- gen offengelassen haben. suchungen sollten unter anderem die Frage nach Nervenwurzelausrissen beantworten. Die KernspintomograNeurochirurgische phie kann als diagnostische Methode Therapie mit einer Treffsicherheit zwischen 50 Operationszeitpunkt und 85 Prozent angesiedelt werden. Wichtig sind hier insbesondere axiale Wenn spontane Reinnervation T2-gewichtete Bilder. Eine höhere Treffsicherheit hat nach unserer Er- ausbleibt, liegt der günstigste Zeitfahrung zur Zeit die postmyelo-CT punkt für die periphere Freilegung A-3264 (48) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 49, 6. Dezember 1996 Diagnostische und therapeutische Schritte Krankengymnastische Therapie im gesamten Verlauf 1 Ein- bis zweimal im Monat Durchführung einer neurologischen Untersuchung 1 Elektromyogramm (EMG) frühestens nach drei Wochen Vor Ablauf von sechs Monaten ist folgendes zu klären: Ist eine klinisch erkennbare Reinnervation vorhanden? 1 falls ja – Elektromyogramm nicht mehr erforderlich, da keine praktische Konsequenz – keine Operation, weiter intensive Krankengymnastik 1 falls nein – qualifiziertes EMG: pathologische Spontanaktivität? Muskelaktionspotentiale (MAP)? 1 falls keine MAP – Vorstellung in einem nervenchirurgischen Zentrum, Operation 1 falls vereinzelt MAP – engmaschige Verlaufskontrollen (Zunahme der MAP? Abnahme pathologischer Spontanaktivitäten? Klinische Besserung?). Enge Zusammenarbeit mit nervenchirurgischem Zentrum Präoperativ: MRT, Myelographie und postmyelo-CT. Entscheidung, ob diagnostische Hemilaminektomie erforderlich Postoperativ: weiter intensive Krankengymnastik, gezieltes Training reinnervierter oder nicht geschädigter Muskeln, die eventuell als plastischer Ersatz in Frage kommen könnten, sechs- bis neunmonatige neurologische/neurochirurgische Verlaufskontrollen Bei ausbleibender Reinnervation trotz Operation nach anderthalb bis zwei Jahren: Planung möglicher Ersatzeingriffe M E D I Z I N AKTUELL des Armplexus wegen des vermehrt einsetzenden bindegewebigen Muskelumbaus zwischen drei und sechs Monaten nach dem Trauma. Eine frühere Operation ist dann indiziert, wenn bei primären Eingriffen wegen Gefäßzerreißungen Abrisse des Ple- des Inspektionsbefundes eine Regeneration durch aussprossende Axone erwarten kann oder ob Vernarbungen dieses verhindern. In ersterem Fall kann man versuchen, die Regeneration durch eine mikrochirurgische perineurale Neurolyse zu begünstigen. Im letzteren Fall muß man vernarbte Strukturen entfernen und durch so viele Transplantate ersetzen, wie angesichts Umfang und Länge der Defekte möglich sind. Bei der Entscheidung hilfreich sind die intraoperative Ableitung sensibel evozierter Potentiale an der Nervenwurzel und das intraoperative Abbildung 4: Supra- und infraklavikuläre Freilegung: Truncus medius EMG. Ersteres erlaubt (aus C 7) und Truncus inferior (aus C 8 und Th 1) ausgerissen, Truncus nur eine Aussage über die Kontinuität superior (aus C 5 und C 6) in Kontinuität, aber supraklavikuläre Neu- proximale sensibler Axone, letzteres romentwicklung nur über distale Axonxus brachialis festgestellt wurden. kontinuität bis zum Muskel. MotoAnsonsten wartet man die spontane risch über dem Kortex evozierte PoRegeneration einige Monate ab. Be- tentiale besitzen noch keine ausreisonders kritisch wird die Entschei- chend sichere Aussagesignifikanz. dung dann, wenn während der BeobPrognostisch ungünstig sind beachtungszeit im EMG gerade verein- sonders Traktionsschäden mit gleichzelt willkürliche Aktionspotentiale zeitiger Zerreißung der Arteria subneben reichlicher Spontanaktivität clavia, die langstreckige intraneurale abgeleitet werden können, wobei kli- Fibrosen erzeugt haben, so daß die nisch der Muskel noch plegisch zu überbrückenden Nervendefekte scheint. In einem solchen Fall müssen sehr lang sind. kurzfristige klinische und elektroDas Vorgehen richtet sich nach myographische Untersuchungen er- der Zahl vorhandener intakter Nerfolgen. Falls keine eindeutige Zunah- venwurzeln. Transplantate können me von Willkürpotentialen und keine erkennbare Muskelaktivität einsetzt, soll nicht lange zugewartet werden. In einem solchen Falle ist es ein Versäumnis, den Patienten über drei bis sechs Monate hinaus nicht in einem nervenchirurgischen Zentrum vorzustellen. Prinzipien der operativen Behandlung Ziel der oft umfangreichen Exploration ist zunächst, zu klären, welche der aus den Wurzeln C 5, C 6, C 7 und C 8 entspringenden Nervenbahnen Kontinuität haben oder unterbrochen sind (Abbildungen 3 und 4). An Nervenbahnen mit erhaltener Kontinuität muß die Entscheidung getroffen werden, ob man aufgrund Fibrose zeigt. Peripher darf ebenfalls keine intraneurale Fibrose das spätere Einwachsen von Axonen behindern. Bei ausgedehnten Verletzungen ist man in Abhängigkeit von der Zahl existenter Wurzelstümpfe gezwungen, Prioritäten zu setzen. Priorität hat die Ellenbogenbeugung (über den M. biceps beziehungsweise alternativ oder additiv über den M. triceps nach dessen Umlagerung – siehe unten). An zweiter Stelle steht die Schulterabduktion und -außenrotation (über den M. deltoideus, M. supra- und infraspinatus). Funktionen am Unterarm und an der Hand – sowohl sensibel wie motorisch – regenerieren am besten, Wichtigste Kennmuskeln zervikaler Nerven C5 C6 C7 C8 M. deltoideus M. biceps brachii M. triceps brachii, M. pectoralis Kleine Handmuskulatur wenn sich die Nervenbahnen spontan oder nach Neurolyse erholen. Rekonstruktionen der unteren Plexusstrukturen sind funktionell nachteiliger, weil die lange Regenerationsdistanz und -zeit, verbunden mit Fehlaussprossungen, unüberwindbare Hindernisse bilden. Der Ausriß aller Halsmarkwurzeln stellt das größte Problem dar: Hier kann keine direkte Rekonstruktion erfolgen, da die proximale Anschlußmöglichkeit für Transplantate fehlt. Über den Versuch einer sogenannten Neurotisation kann Schutzsensibilität durch Verbindungen sensibler Nerven – direkt oder unter Zwischenschaltung eines Transplantates – erreicht werden (zum Beispiel von PlexusAbbildung 5: Anschluß von Transplantaten am Wurzelstumpf C 5 cervicalis-Anteilen oder oberen Interkostalnerven nur dort angeschlossen werden, wo mit dem N. medianus); motorische ein Wurzelstumpf vorliegt (Abbil- Funktion kann durch Verbindungen dung 5), seine Kontinuität zum Hals- motorischer Nerven (N. accessoriusmark vorher gesichert wurde und Äste, untere Interkostalnerven, N. sein Querschnitt keine intraneurale phrenicus) mit dem N. musculocutaDeutsches Ärzteblatt 93, Heft 49, 6. Dezember 1996 (51) A-3265 M E D I Z I N AKTUELL neus und N. suprascapularis wiedererlangt werden. Die Erfolge solcher Nervenverbindungen sind begrenzter als die direkter Rekonstruktionen. In Abhängigkeit von der angetroffenen Situation können auch Kombinationen direkter Rekonstruktion mit Neurotisation erfolgen. Ziel dieser zeitaufwendigen Operationen ist es, neben der Reinnervation wichtiger Muskeln auch die Basis für eine sich anschließende orthopädische, orthetische oder plastisch-chirurgische Versorgung zu bilden. Durch die neurochirurgischen Möglichkeiten kann eine befriedigende bis gute funktionelle Wiederherstellung des M. biceps (Abbildung 6) in etwa 70 Prozent erreicht werden, des M. triceps zusätzlich in etwa 45 Prozent. Konservative Therapie Die wichtigste konservative Behandlungsmethode von Beginn der Verletzung an ist die Krankengymnastik. Passives Durchbewegen beugt der schon früh einsetzenden Gelenkversteifung vor. Funktionell erhaltene Muskelgruppen sollten durch aktives Üben gestärkt werden, von Beginn an ist es auch sinnvoll, physiologische Mitbewegungen und Bewegungsmuster einzelner von der Plexusläsion nicht betroffener Schultermuskeln auszunutzen. Sobald Reinnervation – spontan oder postoperativ – einsetzt, Tabelle Wichtige Ausfälle bei oberer Armplexusläsion (C 5 und C 6) müssen die jeweiligen Muskelgruppen intensiv aktiv beübt werden. Ob die Elektrostimulation an den dener- rapie angewandt wird, muß sie unter isometrischen Bedingungen, das heißt unter Gegenzug, erfolgen. Wenn durch Läsion des Grafik 1 oberen Armplexus der Oberarmkopf Management traumatischer Armplexusparesen nicht im Schultergelenk gehalten werTrauma den kann, ist eine Orthodese erforderlich. Auch an den 1-2 monatliche neurologische Untersuchungen anderen Gelenken EMG frühestens nach 3 Wochen kann es sinnvoll sein, Orthodesen einzusetzen, um einer Destabilisierung vor Ablauf von 6 Monaten zu entscheiden: Klinische Besserung? und Überdehnung später wieder funktionell wichtiger Sehnen entgegenzuJa Nein wirken. Eine gezielte, individuell angepaßte krankengymkein EMG mehr qualifiziertes EMG nastische Behandkeine OP lung ist in der Regel Krankengymnastik über mehrere Jahre hilfreich. Dies gilt keine MAP's vereinzelte MAP's auch, wenn eine pathologische zeitgerechte ReinSpontanaktivität nervation spontan oder auch trotz opeengmaschige rativer RekonstrukVerlaufskontrolle in nervenchirurgisches Zusammenarbeit mit tion zunächst noch Zentrum nervenchirurgischem ausbleibt. Wir haOP-Indikation Zentrum ben überraschende Reinnervation noch nach Jahren vereinvierten Muskeln ihrer Atrophie und zelt beobachtet, ohne eine Erklärung fibrotischen Umwandlung entgegen- anbieten zu können. Andererseits wirkt, ist umstritten. Wenn diese The- schafft die kontinuierliche Krankengymnastik auch den unerläßlichen Boden für die späteren Ersatzeingriffe, wie sie im folgenden beschrieben werden. C7 bei unterer Armplexusläsion (C 8 und Th 1) Abduktion Anteversion Außenrotation Adduktion keine Ellenbogen Beugung Supination Streckung keine Hand keine Streckung radiale Beugung Beugung Finger keine Streckung Beugung Adduktion und Abduktion Schulter A-3266 (52) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 49, 6. Dezember 1996 Chirurgische Ersatzeingriffe Die Reinnervation ist in der Regel nach zwei bis drei Jahren so weit fortgeschritten, daß das erreichbare Maß der Kraftentwicklung beurteilbar ist. Wenn die Muskelkraft für die angestrebte Bewegung funktionell nicht ausreicht, sollte ein individueller Plan für plastisch-chirurgische Behandlungen zur Verbesserung der Situation erstellt werden. M E D I Z I N AKTUELL/FÜR SIE REFERIERT Hier haben heutzutage dynamische Maßnahmen den Vorzug gegenüber den Arthrodesen: möglich sind ein Transfer des Trapeziusansatzes auf den Humerus, die Einflechtung der Trizepssehne in die Bizepssehne, gestielte oder freie Muskeltransfers (zum Beispiel des M. latissimus dorsi) als Bizepsersatz, die Sehnenumsetzungen für die Oberarmaußenrotation, die Umsetzung der Unterarmflexoren auf den Humerus sowie eine große Zahl hochspezialisierter Eingriffe, die einer Verbesserung der Handfunktion dienen für den Fall einer existenten Unterarmmuskelinnervation. Neben den bereits genannten plastisch-chirurgischen Möglichkei- Schmerzbehandlung und offene Probleme Offene Probleme mit großen therapeutischen Schwierigkeiten bleiben die im Einzelfall therapieresistenten persistierenden Schmerzsyndrome nach Ausrissen dorsaler Wurzeln aus dem Halsmark im Sinne von Phantomschmerzen und die Kausalgie bei Entwicklung einer sympathischen Reflexdystrophie. Diese können unabhängig von dem Ausmaß des Schadens und der motorischen und sensiblen Reinnervation bestehen bleiben. Bei Entwicklung dieser genannten Schmerzsyndrome ist auf eine frühzeitige gezielte Schmerzbehandlung und physikalische TheGrafik 2 rapie zu dringen, da diese BehandVereinfachtes Schema des Plexus Brachialis lung den Patienten vor den lebensN. thoracodorsalis N. suprascapularis langen, therapeutisch N. axillaris Truncus superior C5 schwer beeinflußbaFasciculus posterior ren Schmerzen beN. radialis C6 wahren kann. Wenn N. musculocutaneus Fasciculus lateralis diese SchmerzphäC7 Truncus medius nomene nach der Nn. pectoN. medianus rales Ausschöpfung der C8 medikmentösen BeN. ulnaris Truncus inferior Fasciculus medialis handlung mit AnalTh1 getika und den üblichen schmerztheraN. thoracicus longus Clavicula peutischen Eingriffen dennoch fortbesteten stehen auch orthetische Hilfen hen, dann kommen spezielle neurozur Verfügung. Insgesamt sollten chirurgische schmerztherapeutische die verschiedenen therapeutischen Eingriffe als weitere therapeutische Möglichkeiten individuell auf die je- Möglichkeiten in Betracht. weils funktionell vorhandenen AusZu nennen sind hier die Implanfälle, die Probleme und die Erwar- tation einer Pumpe zur kontinuierlitungen des einzelnen Patienten und chen intrathekalen Opioid-Applikanicht zuletzt auch auf seine Persön- tion, die epidurale Elektrostimulatilichkeit abgestimmt werden. on (spinal cord stimulation, SCS) und Eine Amputation ist erst nach die Läsion der Eintrittszone der HinJahren und erst nach Fehlschlag al- terwurzeln (Dorsal-Root-Entry-Zoler zur Verfügung stehenden Be- ne-Läsion [DREZ-Läsion] oder Nashandlungsmöglichkeiten als ultima hold-Operation). ratio zu verantworten, beispielsweise, um einen prothesefähigen Armstumpf zu erzeugen. Resümee Mit der Fortentwicklung steuerDie therapeutische Behandlung barer Prothesen darf man rechnen, wenn das Problem des biotechni- der traumatischen Armplexuspaschen Kontaktes überwunden wor- resen stellt sehr hohe Anforderunden ist. Die Amputation beseitigt gen an die Geduld und die Fachkomkeine Neurom- oder Phantom- petenz der interdisziplinär behandelnden Ärzte. schmerzen. A-3268 (54) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 49, 6. Dezember 1996 Neben der adäquaten medizinischen Versorgung geht es darum, den Patienten sinnvoll zu beraten, unangemessene Erwartungen zu korrigieren und ihn dahingehend zu motivieren, daß er mit großer Geduld die erforderlichen, oft jahrelangen Behandlungs- und Rehabilitationsmaßnahmen durchführt. Abbildung 6: Funktionelles Ergebnis trotz Ausriß aller Zervikalwurzeln durch Neurotisation zwischen einem Accessoriusnervenast und dem Nervus musculocutaneus Eine optimale wirkungsvolle Therapie kann nur durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den Neurologen, den Neurochirurgen, den plastischen Chirurgen, den Orthopäden sowie den physikalischen Therapeuten ermöglicht werden. Zitierweise dieses Beitrags: Dt Ärztebl 1996; 93: A-3262–3268 [Heft 49] Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser. Anschrift für die Verfasser: Dr. med. Anne Jürgens-Becker Neurochirurgische Klinik Krankenhaus Nordstadt Haltenhoffstraße 41 30167 Hannover