Serie Diabetes 212 Adipositas und Inkretine Adipositas und Typ-2-Diabetes – eine epidemiologische und therapeutische Herausforderung Adipositas, metabolisches Syndrom und Diabetes mellitus Typ 2 – Letzterer von Gesundheitsökonomen gern als Volkskrankheit benannt – sind in den Industrienationen und den sich entwickelnden Ländern eine Herausforderung der präventiven Verhaltensmedizin ersten Ranges. Die steigende Lebenserwartung sowie veränderte Lebensgewohnheiten und Umweltbedingungen lassen den Typ-2-Diabetes weltweit ständig zunehmen. Derzeit liegt die Prävalenz der Erkrankung in Europa bei über acht Prozent. Im Jahr 2010 wird mit einer weltweiten Prävalenz von mindestens zehn Prozent der Weltbevölkerung gerechnet, in Deutschland werden im Jahr 2010 ca. zehn Millionen Menschen betroffen sein (16). Die Schätzungen der internationalen DiabetesFöderation (IDF) gehen von einer weltweiten Steigerung der Diabetesprävalenz um 55 Prozent bis zum Jahr 2025 aus (10). Die Ursachen für dieses Phänomen sind offensichtlich: Anstelle einer ausgewogenen Mischkost mit ausreichendem Anteil komplexer Kohlenhydrate und von Ballaststoffen setzt sich zunehmend eine hyperkalorische, fettreiche „Fast-Food“-Ernährung durch. Auf der anderen Seite wird ein ausreichendes Bewegungsausmaß in einer modernen Dienstleistungsgesellschaft eher zu einem Luxusgut der Freizeitindustrie, das der Mehrheit der Bevölkerung vorenthalten bleibt. In diesem Zusammenhang ist das zunehmende Auftreten von Adipositas und Typ-2-Diabetes bereits im Kindes- und Jugendalter besonders erschreckend (17). Galt ein Typ-2-Diabetes in der Altersklasse der unter 18-Jährigen bis vor wenigen Jahren noch als Rarität, so gibt es heute bereits Berichte mit einer höheren Inzidenz eines Typ-2-Diabetes als eines Typ-1-Diabetes in dieser Altersklasse. Die Risiken sind bekannt: Besonders das kardiovaskuläre Risiko von Patienten mit Diabetes übersteigt das von stoffwechselgesunden Personen um etwa das Vierfache (1, 6). Die gesundheitsökonomischen Konsequenzen sind aufgrund der Diabeteskomplikationen gravierend, die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für einen Patienten mit Diabetes mit mikro- und makrovaskulären Folgeerkrankungen liegen um einen Faktor vier über denen für einen durchschnittlichen Versicherten (12). Eine effektive und gleichzeitig patientengerechte Behandlung ist eine große Herausforderung, da ein Großteil der Patienten das Therapieziel „normnahe Stoffwechselkontrolle“ nicht erreicht. Andere sehr wichtige Behandlungsziele, wie die Gewichtsreduktion und die Vermeidung von Hypoglykämien, werden häufig ebenfalls nicht erreicht. Eine Therapie mit Sulfonylharnstoffen, Gliniden oder Insulin ist mit einer erhöhten Inzidenz von Hypoglykämien assoziiert. Ferner führen diese Therapieformen und die Therapie mit Glitazonen zu einer unerwünschten therapiebedingten Gewichtszunahme. Inkretinhormone In den letzten zwei Jahrzehnten wurde die physiologische Interaktion zwischen dem Gastroin- Neue Serie in der Adipositas Thema „Diabetes“ jetzt regelmäßig im Heft Liebe Leserinnen und Leser der Adipositas, neben den Schwerpunktthemen und der „Serie Hypertonie“ wird es zukünftig auch regelmäßig eine Serie zum Thema „Diabetes“ geben. Keine Krankheit ist mit der Adipositas so eng verknüpft wie der Typ-2-Diabetes; das trifft sowohl für die Häufigkeit als auch für die bekannten pathophysiologischen Zusammenhänge zu. Wenngleich man schon seit vielen Jahrzehnten die enge Interdependenz von Adipositas und Diabetes mellitus kennt, sind erst in den vergangenen Jahren vielfältige und zum Teil komplizierte Gemeinsamkeiten nachgewiesen worden. Ein Meilenstein zum klinischen Verständnis war die von Vague 1947 erstmals beschriebene männliche zentrale Adipositas, die von den Arbeitsgruppen Kissebah und Björntorp 1982/1983 als intraabdominale/viszerale Adipositas näher charakterisiert wurde. Berechnungen aufgrund großer epidemiologischer Studien weisen aus, dass ca. 70 % aller Typ-2-Diabetesfälle durch die Adipositas verursacht sind. Aufgrund der engen Verflechtung beider Krankheiten besteht bei adipösen Typ-2-Diabetikern eine gute Chance, die glykämische Kontrolle durch Gewichtsabnahme – auch schon durch eine geringe – bedeutsam verbessern zu können. Andererseits lässt sich ein Typ-2-Diabetes durch Vermeidung von Übergewicht weitgehend verhindern. Als Internist, Diabetologe, Ernährungs- und Sportmediziner bin ich verantwortlich für die neue „Diabetes-Serie“. Ich werde mich bemühen, fachkompetente und aktuell informierte Experten zu finden, die bereit sind, an dieser Stelle über klinisch interessante und wichtige Themen zu referieren. Prof. Dr. med. Alfred Wirth, Bad Rothenfelde, im November 2009 Adipositas 4/2009 © Schattauer 2009 Downloaded from www.adipositas-journal.de on 2017-11-02 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Serie Diabetes 213 testinaltrakt, dem Hypothalamus, dem Pankreas und anderen peripheren Organen zunehmend aufgeklärt. Mittlerweile ist bekannt, dass der Dünndarm maßgeblich Stoffwechseleffekte und Sättigung beeinflusst und dass Neurotransmitter und Peptidhormone des Darms hierbei eine entscheidende Rolle spielen. Diese Erkenntnisse haben nicht nur zu einer zunehmenden Akzeptanz verschiedener bariatrischer Operationsverfahren in der Adipositaschirurgie beigetragen, sondern haben auch zu neuen medikamentösen Behandlungsprinzipien der Diabetestherapie geführt. Hierbei stehen derzeit die sogenannten „inkretinbasierten“ Therapieformen im Mittelpunkt, auf die in diesem Artikel eingegangen wird und die die endokrinen Mechanismen von Darmhormonen nutzen. Gastrointestinale Hormone steuern die Funktion des exokrinen und endokrinen Pankreas. Von endokrinen Zellen der Dünndarmmukosa werden nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit die Peptidhormone Glukagon-like peptide-1 (GLP-1) und Gastric inhibitory Polypeptide (GIP) sezerniert. GIP und GLP-1 stimulieren postprandial die Insulinsekretion. Beide Hormone tragen zum Inkretineffekt bei. Dieser Effekt ist dadurch charakterisiert, dass nach oraler Glukosegabe eine weitaus stärkere Insulinantwort beobachtet wird als nach einer intravenösen Glukosegabe, bei der identische Blutzuckerverläufe erzeugt werden. GLP-1 und GIP stimulieren die Insulinsekretion jedoch nur bei erhöhten Glukosekonzentrationen, bei Normoglykämie oder Hypoglykämie ist die insulinotrope Wirkung dieser Hormone nicht zu beobachten (3). Von daher haben beide Hormone kein intrinsisches Hypoglykämierisiko. Der Inkretineffekt ist bei Typ-2-Diabetes eingeschränkt, da GIP die Insulinsekretion nicht mehr stimuliert und die GLP-1-Sekretion vermindert ist. Die Gründe, warum GIP bei Typ2-Diabetes nicht mehr insulinotrop wirksam ist, sind noch nicht vollständig aufgeklärt. Außerdem findet sich bei Typ-2-Diabetes ein Sekretionsdefekt von GLP-1, dieses Hormon wird nach einer Mahlzeit vermindert sezerniert. Die Insulinsekretion spricht jedoch nach exogener Gabe von GLP-1 auch bei Typ-2-Diabetes gut an, durch eine kontinuierliche intravenöse GLP1-Gabe in pharmakologischen Dosen kann der Blutzucker normalisiert werden (15). Da sämtliche GLP-1-Wirkungen beim Typ2-Diabetes bei solchen exogenen Gaben erhalten sind, können diese bei Typ-2-Diabetes prinzipiell therapeutisch genutzt werden. Abb. 1 Multiple physiologische Effekte von GLP-1 und therapeutische Effekte der GLP-1-Mimetika Physiologische Wirkungen von GLP-1 GLP-1 ist ein Spaltprodukt des Präproglukagon. Es wird in neuroendokrinen L-Zellen der Darmmukosa und im Zentralnervensystem gebildet. GLP-1 bindet an hochspezifische GLP-1-Rezeptoren und hat sehr unterschiedliche Wirkungen in verschiedenen Geweben (5). Hieraus erklärt sich das breite therapeutische Potenzial. GLP-1 stimuliert glukoseabhängig die Insulinsekretion der Beta-Zellen und hemmt in genauso glukoseabhängiger Weise die Glukagonsekretion der Alpha-Zellen der pankreatischen Inseln. Diese beiden Effekte tragen zur Normalisierung der postprandialen Hyperglykämie bei. Da GLP-1 nur bei Hyperglykämie die oben genannten Wirkungen zeigt, wird die Gegenregulation unter Hypoglykämiebedingungen durch Glukagon nicht gestört und die Insulinsekretion nicht stimuliert. Aus diesem Grund kann GLP-1 selbst keine Hypoglykämien auslösen (5). Weitere langfristige Wirkungen auf die Beta-Zellen wurden unter tierexperimentellen Bedingungen und an isolierten humanen Inseln beobachtet: Die Insulinsynthese wird durch GLP-1 stimuliert, außerdem wird die Betazellfunktion verbessert und die Betazellmasse vermehrt. Die Bindung von GLP-1 an Rezeptoren an Neurone in hypothalamischen Kernen führt zu einer Stimulation des Sättigungsgefühls. Zusätzlich hat GLP-1 im Gastrointestinaltrakt Effekte auf die Motilität und verlangsamt die Magenentleerung. Diese beiden Effekte erklären, dass Therapien mit GLP-1-Rezeptoragonisten langfristig zu einer Gewichtsabnahme führen. Darüber hinaus konnte unter GLP-1-Wirkung eine Verbesserung kardiovaskulärer Parameter (Reduktion des systolischen Blutdrucks, günstige Effekte bei kardialer Ischämie im Tiermodell, günstiger Effekt bei Herzinsuffizienz) und ein positiver Einfluss auf den Lipidstoffwechsel (Triglyzeride, Cholesterin) nachgewiesen werden (11, 13, 18). GLP-1 wird in vivo durch das ubiquitär vorkommende Enzym Dipeptidyl-Peptidase IV (DPP-4) sehr schnell degradiert und inaktiviert, so dass subkutan gegebenes GLP-1 eine Halbwertszeit von ca. ein bis zwei Minuten hat (5). Um die Physiologie von GLP-1 für die Therapie des Typ-2-Diabetes nutzbar zu machen, stehen derzeit zwei Möglichkeiten zur Verfügung (5): 1. die GLP-1-Mimetika (oder Rezeptor-Agonisten) als injektabile Substanzen und 2. die Dipeptidylpeptidase-IV (DPP-4)-Hemmer als oral wirksame Substanzen. Im Folgenden wird im Detail auf die zugelassenen GLP-1-Rezeptor-Agonisten eingegangen, da sie auch die Eigenschaft haben, Körpergewicht zu reduzieren. © Schattauer 2009 Adipositas 4/2009 Downloaded from www.adipositas-journal.de on 2017-11-02 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Serie Diabetes 214 Abb. 2 Leitlinie Pharmakotherapie des Typ-2-Diabetes der Deutschen Diabetesgesellschaft (13) GLP-1-Rezeptor-Agonisten Seit 2007 steht das Präparat Exenatide (Byetta®, Lilly Pharma GmbH) zur Behandlung des Typ-2-Diabetes in Kombination mit Metformin und/oder Sulfonylharnstoff-Präparaten bei Patienten, bei denen unter dieser oralen Therapie die Behandlungsziele nicht erreicht werden können, zur Verfügung. Gerade kürzlich hat Liraglutid (Victoza®, NovoNordisk Pharma GmbH) die europäische Zulassung erhalten. Weitere Präparate sind in Entwicklung und klinischer Prüfung. Exenatide wird aufgrund seiner pharmakokinetischen Eigenschaften zweimal täglich subkutan gegeben. Von diesem Präparat befindet sich eine Retardform zur einmal wöchentlichen Gabe in klinischer Prüfung (Exenatide LAR [Long-Acting Release]). Exenatide hat 53 Prozent Homologie zum humanen GLP-1. Es ist ein GLP-1-Rezeptor-Agonist mit hoher Affinität zum Rezeptor und hat eine verlängerte Halbwertszeit von 60 bis 90 Minuten. Nach subkutaner Injektion werden ausreichende Konzentrationen für etwa vier bis sechs Stunden erzielt, was eine zweimal tägliche Gabe morgens und abends möglich macht. Exenatide senkt den HbA1c-Wert im Vergleich zu Placebo um 0,8 Prozent bis 1,1 Prozent je nach Studie. In einer offenen Studie mit Exenatide über drei Jahre zeigte sich eine langanhaltende und stabile Verbesserung der Glykämieparameter mit einer HbA1c-Absenkung um ein Prozent. Vergleichsstudien mit Insulin zeigen, dass Exenatide die Glukosetoleranz hinsichtlich der HbA1c-Senkung und der Nüchtern-Glukose im selben Ausmaß (–1,1 %) verbessert (7, 11, 20). Im Gegensatz zu herkömmlichen Therapieformen zeigte Exenatide bezüglich der Körpergewichtsentwicklung bei Patienten eine signifikante Gewichtsabnahme von 1,5 bis drei Kilogramm nach 30 Wochen. Patienten, die mit Exenatide in einer offenen Studie drei Jahre weiterbehandelt wurden, nahmen noch weiter an Gewicht ab (5,3 kg nach drei Jahren) (11). Bei Vergleichsstudien mit Insulin betrug der Unterschied in der Gewichtsentwicklung ca. vier bis fünf Kilogramm in 30 Wochen. Studien mit Exenatide zeigten eine Verbesserung der Beta-Zellfunktion (Insulinsekretionsrate, Pro-Insulin : Insulin-Quotient). Ferner verbessert sich unter Exenatide die frühe Insulinantwort nach einem intravenösen Glukose-Bolus (7). Schwere Hypoglykämien traten unter Behandlung mit Exenatide nur bei Begleitbehandlung mit einem Sulfonylharnstoff auf und waren auf die Sulfonylharnstoffgabe zurückzuführen. In Vergleichsstudien mit Insulin waren die Hypoglykämieraten bei den zusätzlich mit Sulfonylharnstoffen behandelten Patienten vergleichbar, allerdings war die Zahl nächtlicher Hypoglykämien unter Exenatide niedriger (7). Die häufigste unerwünschte Nebenwirkung von Exenatide ist Übelkeit und Völlegefühl. Diese Nebenwirkungen lassen sich durch Dosistitration bei Behandlungsbeginn mildern. Generell ist die Übelkeit leicht bis moderat, tritt wäh- rend der ersten Wochen der Behandlung auf und verschwindet danach. Übelkeit war mit zwei bis 6,4 Prozent auch der häufigste Grund, in Studien die Behandlung mit Exenatide abzubrechen (7). Bei ca. 40 Prozent der mit Exenatide behandelten Patienten werden Antikörper gegen den Wirkstoff nachgewiesen. Diese haben zumindest in einem Zeitraum von drei Jahren keinen Effekt auf die Einstellungsqualität der Glykämie oder die Rate der Nebenwirkungen. Seit Zulassung von Exenatide wurden vereinzelt Fälle von akuten Pankreatitiden beobachtet. Insgesamt ist die Inzidenz der Pankreatitiden jedoch sehr gering und entspricht eher der ohnehin erhöhten Auftretenswahrscheinlichkeit bei adipösen Patienten mit Typ-2-Diabetes. Ein pathophysiologischer Mechanismus, der eine Erklärung für die akuten Pankreatitiden unter Exenatide-Behandlung bietet, ist bislang nicht bekannt. Patienten mit Typ-2-Diabetes haben u. a. aufgrund von häufiger vorhandenen Gallensteinen und häufigerer Hypertriglyzeridämie ein erhöhtes Pankreatitisrisiko. Das humane GLP-1-Analogon Liraglutid weist mit 97 Prozent Homologie eine sehr hohe Strukturähnlichkeit zum humanen GLP-1 auf. Es ist über eine Acylierung an eine C16-Fettsäure gekoppelt und hat eine Lys26- und eine Arg34Lys-Substitution. Die Fettsäurekopplung bewirkt eine erhöhte Selbst-Assoziation und Albumin-Bindung in vivo, ähnlich wie bei Insulin detemir. Das führt zu einer verlangsamten Absorption aus der Subkutis und zu einer geringeren Empfindlichkeit gegenüber DPP-IV. Die Absorption ist auf zehn bis 14 Stunden (Tmax) verlängert und die Plasma-Halbwertszeit auf elf bis 15 Stunden. Bei Liraglutid reicht daher eine einmal tägliche Injektion aus (4). Ein SteadyState wird bei Liraglutid schon nach drei applizierten Dosen erreicht. Liraglutid wurde in einem sehr großen Phase-III-Studienprogramm auf Wirksamkeit und Sicherheit untersucht. In Monotherapie sowie in Kombination mit einem oder zwei oralen Antidiabetika senkt es den HbA1c-Wert um etwa ein Prozent, die HbA1c-Senkung ist konstant und dauerhaft. In gleicher Weise wird der Nüchternblutzucker und auch die postprandiale Plasmaglukose gesenkt (8, 19). In einer direkten Vergleichsstudie war Liraglutid bezogen auf die Senkung der Glykämieparameter HbA1c und Nüchternglukose Exenatide überlegen (2), dito in Bezug auf die Nebenwirkung Übelkeit. Mit einer Liraglutid-Monotherapie (1,9 mg) nahmen die Patienten nach 14 Wochen drei Kilogramm an Gewicht ab (–1,21 kg gegenüber Placebo). Die beobachtete Gewichtsabnahme Adipositas 4/2009 © Schattauer 2009 Downloaded from www.adipositas-journal.de on 2017-11-02 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Serie Diabetes 215 war jedoch nicht auf die gastrointestinalen Nebenwirkungen zurückzuführen, die bei der Behandlung mit GLP-1-Mimetika generell häufig auftreten. In anderen Studien war mit Liraglutid ebenfalls eine Gewichtsreduktion zu beobachten, die nach wenigen Wochen ein konstantes Niveau erreicht und über mindestens zwei Jahre (das ist der derzeit längste Untersuchungszeitraum) erhalten bleibt (8, 9, 19). Fazit Die inkretinbasierten Therapien bieten durch ihre gute antihyperglykämische Wirksamkeit, ihr fehlendes Hypoglykämierisiko und ihren günstigen Effekt auf das Körpergewicht eine alternative Option zu gängigen Antidiabetika. Ein weiterer potenzieller Vorteil ist der positive Effekt auf die Betazellfunktion, der hoffen lässt, dass die neuen Substanzen zu einer Verzögerung der Progression des Diabetes beitragen können. Der auffälligste Unterschied zwischen den GLP-1-Rezeptor-Agonisten und den DPP4-Hemmern ist, dass GLP-1-Mimetika subkutan injiziert und DPP-4-Hemmer oral verabreicht werden. Nur unter GLP-1-RezeptorAgonisten kommt es zu einer Gewichtsreduktion, die DPP-4-Hemmer sind gewichtsneutral. Der Unterscheid kann dadurch erklärt werden, dass mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten dauerhaft sehr viel höhere Rezeptorligandenkonzentrationen erreicht werden als durch die Gabe von DPP-4-Inhibitoren, die lediglich vorübergehend endogene GLP-1-Konzentrationen erhöhen. Die Therapie mit einem GLP-1-RezeptorAgonisten ist dann sicher eine gute Behandlungsalternative, wenn eine orale Therapie mit Metformin oder mit einer Kombination aus Metformin und Sulfonylharnstoff nicht mehr ausreichend ist und eine gleichzeitige Gewichtsreduktion angestrebt wird. Diese Therapiemöglichkeit ist anstelle der dann bisher häufig praktizierten Einleitung einer Insulintherapie plausibel. Auch hier gilt es, als Therapieziel eine Hypoglykämievermeidung klar definiert zu haben. Falls bislang Sulfonylharnstoffe gegeben wurden, können diese oft abgesetzt oder zumindest reduziert werden. Bei Patienten, bei denen ein gleichzeitiger Gewichtsverlust ein zusätzliches Therapieziel ist, können von der Therapie mit einem GLP-1 Rezeptoragonisten profitieren. Den derzeit noch deutlich höheren Medikamentenkosten der neuen Therapiemöglichkeiten stehen Ein- sparmöglichkeiten durch die fehlende Notwendigkeit häufiger Blutzuckerselbstkontrollen aus Sicherheitsgründen gegenüber. Ein Ende 2008 veröffentlichtes ConsensusStatement der Amerikanischen Diabetesgesellschaft (ADA) und der Europäischen Diabetesgesellschaft (EASD) teilt die verfügbaren Substanzgruppen in etablierte (Metformin, Sulfonylharnstoffe und Insulin) und weniger etablierte (Pioglitazon und GLP-1-basierte Therapien) ein. In dieser Stellungnahme werden die etablierten Substanzen aufgrund der vorhandenen Endpunkt- und Sicherheitsdaten sowie pharmakoökonomischer Daten vorgezogen. Bei den weniger etablierten Therapien stehen die GLP-1-basierten Therapien jedoch als zweiter Therapieschritt nach Lebensstilintervention und Metformin auf der gleichen Stufe wie Pioglitazon (14). Auch in den Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) wurde die Therapie mit einem GLP-1-Mimetikum bei Therapieversagen auf eine Metformintherapie als Behandlungsmöglichkeit eingeschlossen (13). GLP-1 Rezeptoragonisten haben in Zukunft möglicherweise auch in früheren und späteren Stadien des Typ-2-Diabetes einen Stellenwert, wenn sich zeigen lässt, dass die Substanzen den Progress des Typ-2-Diabetes verlangsamen oder aufhalten können. Hierzu sind weitere Studien notwendig; auch zur Kombinationsmöglichkeit mit Insulin liegen derzeit noch keine ausreichenden Studienerfahrungen vor. In letzter Zeit werden zunehmend günstige Einflüsse von GLP-1 auf das kardiovaskuläre Sytem beschrieben. Auch hier sind zusätzliche Einsatzmöglichkeiten der inkretinbasierten Behandlungsformen denkbar (18). Langzeitstudien müssen den Einfluss auf harte vaskuläre Endpunktdaten ebenso klären wie die Langzeitsicherheit. Prof. Dr. med. Baptist Gallwitz, Tübingen Literatur 1. Balkau B et al. High blood glucose concentration is a risk factor for mortality in middle-aged nondiabetic men. 20-year follow-up in the Whitehall Study, the Paris Prospective Study, and the Helsinki Policemen Study. Diabetes Care 1998; 21: 360–367. 2. Buse JB et al. Liraglutide once a day versus exenatide twice a day for type 2 diabetes: a 26-week randomised, parallel-group, multinational, open-label trial (LEAD-6). Lancet 2009; 374: 39–47. 3. Creutzfeldt W. The incretin concept today. Diabetologia 1979; 16: 75–85. 4. Degn KB et al. 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Baptist Gallwitz Medizinische Klinik IV Otfried-Müller-Str. 10, 72076 Tübingen Tel.: 0 70 71/29 82 093, Fax: 0 70 71/29 50 04 E-Mail: [email protected] © Schattauer 2009 Adipositas 4/2009 Downloaded from www.adipositas-journal.de on 2017-11-02 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved.